Magie eines Flügelschlags – Rebecca Horn in der Kunstsammlung NRW

Von Bernd Berke

Düsseldorf. Hier sieht es aus wie auf einer mysteriösen Kultstätte: Ringsum stehen stumme Steine, irgendwo im Zirkel befinden sich ein Fernglas und eine fragile Schale mit tiefblauem Wasser.

Von oben her kreist, motorisch getrieben, eine lange Stange mit gefährlicher Spitze über dem Boden – bis sie auf ein aus dem Boden ragendes Gegenüber trifft. In diesem Moment steht alles still wie zum Anbeginn der Zeiten. Doch irgendwann regt sich sachte eine Schmetterlings-Figur und scheint damit die Kausalkette wieder in Gang zu setzen.

Man weiß ja, welche (un)heimliche Kraft dem Flügelschlag eines Schmetterlings zugeschrieben wird. Bewegt sich ein solch luftiges Wesen irgendwo auf Erden, so betrifft das angeblich den ganzen Kosmos. Wie dem auch sei. Die Installation der 1944 geborenen Rebecca Horn heißt jedenfalls „Circle for broken landscapes“ (Kreis für zerbrochene Landschaften) und beschwört eine mit Erwartung angefüllte Aura herauf, die auf heilsame Kräfte hinauslaufen könnte.

Die Kunstsammlung NRW (K 20) in Düsseldorf richtet der multimedial schöpferischen Rebecca Horn (es gibt auch ein filmisches Werk, und derzeit sinnt sie über ein Opern-Projekt nach) nun auf zwei Etagen die vielgliedrige Werkschau „Bodylandscapes“ (Körperlandschaften) aus, die bis in die 1960er Jahre zurückgreift.

Das gekräuselte Wasser lässt eine Schrift zittern

Eigentlich möchte K 20-Direktor Armin Zweite das Augenmerk endlich einmal auf Horns filigrane Zeichnungen richten. Die Künstlerin selbst hatte diesen Teil ihres Oeuvres wegen zahlloser Umzüge meist in Abstellräume verbannt, nach eigenem Bekunden nahezu vergessen und erst kürzlich die eigenen Schätze wieder gehoben. Also bekommt man jetzt noch niemals öffentlich gezeigte Raritäten auf Papier zu sehen. Trotz alledem: Neben den magischen Installationen verblassen die Blätter ein wenig, obwohl auch sie formal und impulsiv bezwingend sind.

Geradezu feierlich wirkt der Ablauf der Zeit bei diesen kinetischen Objekt-Versammlungen. Beispielsweise so: verdunkelter Raum. Abermals ein beweglicher Stab. Er streicht sanft über die Wasseroberfläche in einem Becken. Das Wasser kräuselt sich, eine Schrift-Projektion gerät dadurch ins Zittern. Der Gedanke an die Flüchtigkeit der Worte wird auch wachgerufen, wenn ein Goldstab in ein Aschefeld „schreibt“. All das könnte bald verwehen.

Verletzlicher Körper, bizarre Apparaturen

Die Zeichnungen, oft Ideen-Studien für spätere Performance-Auftritte, lassen Beweggründe ahnen. Es geht offenbar um schmerzliche Identitätssuche, um lange Prozesse der Ichfindung, durchwirkt mit Anwandlungen des Selbsthasses. Immer wieder wird der fragmentierte menschliche Körper, wird das waidwunde Ich an teils bizarre Apparaturen angeschlossen, also entgrenzt und anders zugerichtet.

Mal erscheint der weibliche Leib monströs wuchernd (etwa mit übergroßen Handschuhen, steilen Riesenhüten oder einer Maske aus Bleistiften), dann poetisch überhöht (mit Federkleid und Schwingen) oder in geschlechtliche Groteske getrieben: Brüste sind ein vielfach verzerrtes Leitmotiv. Neuere Zeichnungen ergehen sich im gänzlich freien Gestus, es sind seismographische Aufzeichnungen wechselnder Stimmungslagen – unter Titeln wie „Der Paradiesvogel stürzt durch mein Herz“.

Es häufen sich Verletzungs-Phantasien, Meditationen über latente Gefahr und Aggression: Eine scharfe Schere schwebt wie ein Damoklesschwert über einem Vogel-Ei; beim blitzenden Messer-Ballett treten „Liebe“ und „Hass“ gegeneinander an. Ein Endspiel mit offenem Ausgang in quälender Zeitlupe.

Kunstsammlung NRW (K 20), Düsseldorf, Grabbeplatz. Bis 9. Januar 2005. Di-Fr 10-18, Sa/So 11-18 Uhr. Eintritt 6,50 Euro, Katalog 28€.