Kölsches Naturereignis – Willy Millowitsch wird 90 Jahre alt / Oft als bloße Stimmungskanone verkannt

Von Bernd Berke

Der Aktionskünstler HA Schult hat, wie so oft, Unsinn erzählt: Nicht etwa sein goldenes „Flügelauto“, um dessen Verbleib es derzeit so viel Streit gibt, ist nach dem Dom die zweitgrößte Berühmtheit Kölns, sondern – natürlich – Willy Millowitsch. Und so hat der WDR denn auch gleich die Kölnarena gemietet, damit heute mindestens 14 000 Menschen Willys 90. Geburtstag gebührend feiern können.

Zugegeben: Früher, bis weit in die 70er Jahre hinein, haben die damals etwas Jüngeren das Kölsche Original und seinen stapfenden Humor ziemlich abgedroschen gefunden. Wenn er oder das Ohnsorg-Theater im Fernsehen kamen, hat man gar nicht erst eingeschaltet. Es paßte einem halt nicht in den damals gehätschelten Weltanschauungskram. Und mit 20 haben ja auch andere Dinge Vorrang.

Doch irgendwann meldete sich dann der Schriftsteller Hans-Magnus Enzensberger zu Wort, der ja immer die Nase vor dem Wind des Zeitgeistes hat, und bescheinigte ausgerechnet Millowitsch darstellerische Klasse. Nanu?

Das streckt auch der Westfale die Waffen

Man mußte eben nur mal darauf gestupst werden – und begann allmählich, Willy mit etwas anderen Augen zu sehen. Und eigentlich kann man ja selbst als Westfale nicht leugnen, welch ein eruptives Naturereignis rheinischen Frohsinns Willy Millowitsch verkörpert. Daß er auch leisere Töne beherrscht, weiß man spätestens, seit er die Altersrolle des WDR-Kommissars Klefisch übernahm.

Die traditionssatte Kölner Theaterära Millowitsch begann 1895, als Willys Großvater Wilhelm die vormalige Puppenbühne durch richtige Schauspieler ersetzte. Elemente der Kölner Volkskultur mischten sich mit der Operette. Willy stand mit sechs Jahren erstmals im Rampenlicht – als „Heinzelmännchen“. Mit 14 bestritt er seinen ersten großen Abendauftritt. Im selben Jahr verließ er die Schule, um sich nur noch der Schauspielerei zu widmen. Mutig, mutig.

Schon 1939, als sein Vater Peter erkrankte, übernahm Willy Millowitsch die Leitung des Theaters in der Aachener Straße, wo man heute noch spielt. Im Zweiten Weltkrieg wurde die Truppe als Fronttheater eingesetzt. Gewiß kein leuchtendes Kapitel.

Der damalige Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer höchstselbst setzte sich dafür ein, daß schon im Oktober 1945 wieder der Vorhang im Millowitsch-Theater hochgehen konnte – „damit die Leute schnell wieder was zu lachen haben“. Bis 1949 spielte man dreimal täglich. Mit der Währungsreform kam eine Krise. Wegen Besucherschwundes wurde das allzeit unsubventionierte Theater für viele Jahre geschlossen. Man spielte nur zur Karnevalszeit von November bis Februar.

Fernsehen half dem Theater auf die Beine

Doch zugleich bedeuteten die 50er Jahre den bundesweiten Durchbruch: Am 27. Oktober 1953 gab’s die erste Fernseh-Übertragung aus dem Millowitsch-Theater, und zwar live. Auf dem Programm stand „Der Etappenhase“.

Über 120 TV-Inszeniemngen folgten. „Tante Jutta aus Kalkutta“ brachte es 1962 auf eine Einschaltquote von 88 Prozent. Bemerkenswerter Effekt: Dank der TV-Erfolge lohnte es sich 1967 wieder, das Theater abermals zu eröffnen.

In über 80 Kinofilmen hat Millowitsch mitgewirkt. Meist war’s leichte bis seichte Ware. Doch gegen Ende der 70er Jahre wurde er auch für klassische Theaterrollen eingesetzt, etwa in Molières Komödie „Der Bürger als Edelmann“. Unter Regie von Jürgen Flimm brillierte er in der Fernsehfassung des Dramas „Die Wupper“ von Else Lasker-Schüler.

Gleichwohl ließ er sich nie lange bitten, als Stimmungskanone Schunkelhits wie „Schnaps, das war sein letztes Wort“ oder das „Wir sind alle kleine Sünderlein“ vorzutragen. Berührungsängste hat er eben nie gekannt. Auch dafür kann man ihn geringschätzen – oder aber ins Herz schließen.

TV-Sendungen heute: „Der Prinzipal – Porträt“ (ARD, 15.15 Uhr), „Eine Stadt voller Narren. Die Geburtstagsgala, live aus der Kölnarena“ (WDR, 20.15 Uhr / Wiederholung morgen in der ARD, 22.25 Uhr).