Shakespeare-Premiere mit Drehwurm und „Stinkefinger“ – Leander Haußmanns harsche Reaktion auf Buhrufe in Bochum

Von Bernd Berke

Bochum. Hat man so etwas schon erlebt? Da kassiert das Ensemble seinen Beifall und holt nun den Regisseur auf die Bühne: Leander Haußmann, Intendant des Bochumer Schauspiels. Der muß einige Buhrufe einstecken. Und wie reagiert er? Er zeigt den Vogel, reckt sodann einen „Stinkefinger“ in Richtung der vorderen Publikumsreihen und geht brüsk ab.

Welch ein Kerl! Fürs gleiche Verhalten ist der Fußballer Stefan Effenberg jahrelang aus der Nationalmannschaft verbannt worden. Fragt sich, von wem man mehr Souveränität, Reife und Stilgefühl erwarten sollte – von einem Kicker in seinen Zwanzigern, oder vom bald 40jährigen Chef einer ruhmreichen Bühne.

Gespielt wurde auch, und zwar Shakespeares „Viel Lärm um nichts“. Es war jene große Produktion mit fortgeschrittenen Schauspielschülern, die in Bochum gute Tradition hat. Die berühmte Komödie handelt vorwiegend von zwei Paaren: Graf Claudio und die schöne Hero lieben einander sogleich, werden aber durch gemeine Ränkespiele zunächst am Glücksgenuß gehindert. Edelmann Benedikt und Heros Cousine Beatrice wehren sich scharfzüngig gegen jede Gefühlsanwandlung, werden aber (gleichfalls auf intriganten Wegen) dann doch zueinander gedrängt.

Bevor sich diese Verhältnisse herauskristallisieren, erleben wir erst mal das kollektiveVorspiel. Merke: Die böse Gesellschaft behauptet ihren Vorrang, sie mischt sich in alle „privaten“ Dinge. Männlein und Weiblein noch strikt wie in einer Schlachtordnung getrennt, ergeht sich die junge Truppe in Gruppen-Übungen, die Merkmale der schauspielerischen Ausbildungsgänge tragen. Welche Lektionen haben sie gelernt? Beispielsweise den Umgang mit Fechtgerät und die sichere Einteilung des knappen Bühnenraums: Auch wenn alle durcheinander wuseln, darf keiner den anderen ungewollt anrempeln.

Der Reigen des Begehrens wird zum Totentanz

Die Bühne rotiert so ausgiebig, daß man schon vom Zuschauen fast einen Drehwurm bekommt. Doch der technische Trick weitet den Blick. Sinnfällige Simultan-Geschehnisse tun sich auf: Sah man gerade noch ein geil sich wälzendes Paar, so saust schon – wusch! –  die Szene vorbei, in der eine einstmals Geliebte gewürgt wird. Der Reigen des Begehrens als Totentanz. Hübsche Groteske: Auf dem Karussell erhebt sich ein Gehäuse (Bühnenbild: Alex Harb), durch dessen viele Türen Betrüger und Betrogene mitunter wie von Sinnen stolpern.

Diese Inszenierung (Ko-Regie: Leander Haußmann, Uwe Dag Berlin) sucht uns stets über Zusammenhänge zwischen Sex und Tod, Gier und Vergänglichkeit auf dem laufenden zu halten. Lustgott Cupido (längst kein Schüler mehr, sondern gestandener Darsteller: Steffen Schult) gibt hier den melancholisch singenden Mahner. Nichts Fleischliches ist von Dauer. Nun ja, Derlei Einsicht hat begrenzte Leuchtkraft, sie erlischt rasch zur Allerweltsweisheit.

Claudia (Lucas Gregorowicz) kehrt anfangs aus dem Kriege heim und sehnt sich nach der Liebe. Doch Liebe ist hier just ein anderes Wort für Krieg. Bescheidwisser von heute inszenieren solchen Befund freilich nicht nur trübsinnig, sondern in einer flackernden Mixtur aus Schwermut, Überdruß und Unernst, der oft eher albern als komisch wirkt.

Trivialmythen fließen umstandslos ein: Fürst Don Pedro (Uwe Eichler) tritt auf wie ein Bruder von Guildo Horn, Beatrice (Yvon Jansen) und Benedikt (auffallend, das könnte „mal einer werden“: Benjamin Höppner) hocken schon mal da, als hätten sie sich bei einer kieksenden „Herzblatt-Show kennengelernt.

Trotz solcher Gags hat der fast dreistündige Abend ein paar arge Längen. Das Ensemble hält sich insgesamt wacker, scheint aber mehr auf körperliche Ausdruckspräsenz denn auf Sprechkultur trainiert zu sein. Doch das eine oder andere, gar zu nachdrückliche Über-Agieren wird sich im Laufe des langen Bühnenlebens wohl noch geben…

Termine: 2., 6., 11., 13. Februar. Karten: 02 34/3333-111.