Sabbern, lallen, gackern, brüllen – Lars von Triers Film „Idioten“

Von Bernd Berke

„Geh’n wir?“ – „Ja!“ So lakonisch lautet der letzte Dialog in Lars von Triers Film „Idioten“. Ähnlich kurzentschlossen werden – vielleicht schon lang vorher – manche Kinobesucher das Weite suchen. Denn hier schaut man zwei Stunden lang einer Schar von Menschen zu, die stets das Verrückteste tun wollen, das sich gerade denken läßt.

Egal, ob im feinen Restaurant, in Wald und Flur oder in der biederen Wohnstraße: Sie kleckern und sabbern, sie gackern, lallen oder brüllen drauflos, simulieren beklemmende Angstzustände oder finden sich täppisch zum Gruppensex zusammen.

Der kühle Möchtegern-Guru Stoffer und seine sektenähnliche Gefolgschaft benehmen sich aus eigenem Entschluß wie geistig Minderbemittelte. Zwischendurch wird todernst diskutiert, was man geleistet habe und wie glaubhaft man schon sei. Der Weg ist das Ziel, möchte man ihnen zurufen.

Dahinter steckt eine krude Vorstellungswelt: Das intellektuelle Häuflein (Abendschullehrer, Werbemenschen usw.) will der Gesellschaft die Fratze zeigen, alle Spießer demaskieren und den jeweils anders gepolten „Idioten in sich“ entdecken, mehr noch: ihn lieben lernen, ihn stolz und sozial auffällig vor sich hertragen.

Einer fixen Idee hat sich auch Regisseur Lars von Trier, dem wir den wunderbar „unmöglichen“ Liebesfilm „Breaking the Waves“ zu verdanken haben, verschrieben: dem „Dogma 95″. Das heißt: Kino im Rohzustand. Verboten sind demnach u. a. künstliches Licht, Kamerastative, nachträglich beigemischter Ton, Requisiten, die nicht sowieso am Platze vorhanden sind, Genrestoffe, jegliche Verfremdung von Ort und Zeit. Alles soll sich im Hier und Jetzt zutragen und mit wackliger Handkamera eingefangen werden.

Von Trier und andere Dänen (zuletzt Thomas Vinterberg mit „Das Fest“) sind unterwegs zu einer höheren Form des Dilettantismus. Also wankt und schlingert es auf der Leinwand unentwegt, so daß man selbst ein wenig „verrückt“ wird, wenn man diesen Leuten bei ihrer entbehrungsreichen Seelenarbeit an der Idiotie zuschaut. Die verstörte Kamera wischt über die Szenen wie ein ständig abirrender Blick.

Seltsame Heilige zwischen den Wohlstandskindern

Manche Gaga-Aktionen haben nur die Aussagekraft einer Bierlaune, doch andere greifen ins existentielle Befinden des Menschen und wirbeln sein tierisches Urerbe auf. Dann geht’s beim Zusehen an die Substanz, so sehr wird man in die Szenen hineingerissen. Kino aushalten, heißt die Devise.

Lars von Trier hat wieder eine seiner seltsamen „Heiligen“ aufgeboten, die völlig entrückt und doch insgeheim überaus stark sind aus wirklichem Leid: Karen (Bodil Jörgensen) schlüpft vor lauter Einsamkeit bei der Gruppe unter.

Die anderen haben den Spuk auf Dauer nicht nötig und kehren ins Bürgerleben zurück. Nur Karen braucht die wahnhafte Grenzüberschreitung tatsächlich. Quälend intensiv die Schlußszene, in der sie ihre seelisch leblose Familie mit frisch entdeckter Idiotie konfrontiert. Da wirkt sie erleuchtet, ganz wie von einer anderen‘ Welt. Und es ist ein heilsamer Akt der Selbstbefreiung: „Geh’n wir?“ – „Ja!“