Der Touristen-Schock als farbliche Erregung – Schloss Cappenberg: Mehmet Güler malt Bilder zur Begegnung der Kulturen

Von Bernd Berke

Selm-Cappenberg. Seit Mitte der 70er Jahre wohnt der Künstler Mehmet Güler (55) in Deutschland, doch das hiesige Leben hat in seinen Bildern keine Spuren hinterlassen. Statt dessen richtet er den Blick immer wieder in seine türkische Heimat. Dort vollzieht sich, was Güler zutiefst beschäftigt: der kulturelle Wandel, den Touristen aus Mittel- und Westeuropa herbeiführen.

Entscheidender Moment des Schocks in der umfassenden Güler-Retrospektive auf Schloss Cappenberg: Wie zu Salzsäulen erstarrt, stehen links die dunkel verhüllten Silhouetten einiger anatolischer Frauen. Durch die Bildmitte verläuft eine zittrig-erregte Trennlinie in Grün, der Symbolfarbe des Islam. Rechts räkeln sich, freizügig und nackt, Touristinnen am sonnenhellen Strand. Welch ein heftiger Kontrast beim Aufeinanderprallen der Lebensformen.

„Patent“ auf ein besonders flutendes Blau

Bezeichnend die häufig wiederkehrenden Bildtitel: „Umzingelt“ fühlen sich die Einheimischen auf etlichen Bildern, und es herrscht vielfach „Aufregung“. Doch ebenso oft erscheint die Reibung der Kulturen in milderem Licht. Dann lauten die Titel beispielsweise „Erste Begegnung“, „Beobachtung“, „Gespräch“, „Dialog“ oder – ganz gelassen – „Mit der Zeit“. Zweischneidig auch der Titel der gesamten Schau mit Bildern seit 1969: Demnach ist die Touristenschwemme eine „Friedliche Besetzung“, aus der Versöhnliches oder Produktives entspringen mag.

Mehmet Güler ist freilich weit davon entfernt, derlei Befunde platt realistisch abzubilden. Die Ereignisse bleiben bloßer Anstoß zur künstlerischen ‚I’at. Es geht um die widerstreitenden Gefühle zwischen ängstlicher Abwehr und Verheißung ungeahnter Freiheiten, die vom Kulturschock ausgelöst werden. In Gülers Bildern gerinnen diese Emotionen zu schieren Farb-Ereignissen. Figuren sind nur noch schemenhaft zu erkennen.

Dominieren im früheren Werk noch die erdigen Nuancen, so wogen später zunehmend starke Töne mit- und gegeneinander. Sie lassen auch etwas vom buchstäblich „Bewegenden“ jeder menschlichen Begegnung ahnen.

Der Maler hat seine Palette so verfeinert, dass manche gar vom speziellen „Güler-BIau“ sprechen. Wie er diese flutende Farbe herstellt, in der die Augen geradezu baden können, bleibt aber sein „Betriebsgeheimnis“. Jedenfalls sieht man im Cappenberger Schloss reihenweise Kostproben in allen nur erdenklichen Schattierungen. „Freude am Blau“ heißen diese Arbeiten zumeist. Auch hier ist die touristische Situation nur Ausgangspunkt des bildnerischen Vorgangs: All das Blau des Himmels und des Meeres leuchtet gleichsam aus sehnsuchtsvoller Ferne mit hinein in diese traumnahe Welt der Kunst.

Schloss Cappenberg, bis 13. Februar 2000. Eintritt frei, Katalog 45 DM.