Sie meinen es ja so gut mit den Autoren – Über Sigrid Löfflers neue Zeitschrift „Literaturen“

Von Bernd Berke

Wenn Sigrid Löffler, nach all dem hässlichen Zank mit Marcel Reich-Ranicki, eine neue Zeitschrift herausbringt – na, da heißt es doch für die meisten Literaturfreunde: Nichts wie hin zum Zeitschriften-Laden! Aber lohnt es sich auch?

Am Dortmunder Hauptbahnhof gab’s das neue Produkt „Literaturen“, das seit gestern mit einer Startauflage von 70 000 Exemplaren offiziell auf dem Markt ist, schon am Vorabend. Nur: Die Verkäufer selbst wussten noch gar nichts von ihrem neuen Angebot, das schier unterzugehen droht im Wust der tausend bunten Spezial-Postillen.

Farbig kommt „Literaturen“ nicht daher, sondern es ist (offenbar ganz bewusst) im meist angenehmen, gelegentlich aber doch etwas kargen Schwarzweiß gehalten. Das Titelbild ist kläglich misslungen, das Layout im Heftinneren höchst konventionell, hie und da auch etwas fade geraten. Es gibt schon mal längere bildlose Textstrecken. Doch das kann sich eine Literaturzeitschrift wohl erlauben. Wollte man alle Beiträge auf den 152 Seiten (12 DM) lesen, so brauchte man schätzungsweise die gleiche Zeit wie für ein Buch mittleren Umfangs. Für diesen Aufwand darf man einen Gegenwert verlangen.

Zu den Inhalten also: Mit ausgesprochen populärer Schreibe hält sich „Literaturen“ nicht lange auf. Eher verschämt wird ganz hinten im Heft der Rummel um „Harry Potter“ abgetan, anhand eines Blicks auf die New Yorker Sellerlisten. Stephen King & Co. dürften hier keine weitere Heimstatt finden. Richtig so! Noch ein Trallala-Magazin zur Bestselleritis brauchen wir gewiss nicht.

Auf der Suche nach herzhaften Verrissen

Als solide Themenschwerpunkte dienen das Buchmesse-Gastland Polen sowie „Die Erfindung des Ostens“. Hierbei geht man von folgender Annahme aus: Der Westen habe den Osten auch gedanklich und literarisch „kolonisiert“, habe ihm seine Ideen aufgepfropft, nehme ihn also gar nicht recht wahr. Derlei falsches Bewusstsein soll natürlich aufgeweicht werden. „Osten“‚bedeutet übrigens nicht nur neue Bundesländer und Osteuropa, sondern auch Naher Osten. Da lässt sich ein Interview mit der Frankfurter Friedenspreisträgerin Assia Djebar (Algerien) gleich günstig mit unterbringen.

„Unter den Autoren der Zeitschrift finden sich einige der „üblichen Verdächtigen“ (Jan Philipp Reemtsma, Verena Auffermann, Ruth Klüger, Hubert Winkels), aber auch etliche Unbekannte. Sigrid Löffler. die als „verantwortliche Redakteurin“ firmiert, steuert einen längeren Essay über den Romancier Michael Ondaatje („Der englische Patient“) bei.Sie hat ihn in Kanada besucht. Eine schöne Dienstreise, ein kluger Text.

Gern Spaziergänge mit Schriftstellern

Besuche bei und Spaziergänge mit Schriftstellern (z. B. Durs Grünbein und Daniel Pennac, der eilfertig als „Kultautor“ gepriesen wird) scheinen eine bevorzugte Art der Annäherung zu sein. Überhaupt nähert sich das Blatt der Literatur und deren Urhebern mit Respekt. Einverstanden. Doch sie mögen offenbar überhaupt niemanden (auch nicht die Anzeigenkunden aus der Buchbranche) verprellen. Effekt: Unter den vielen Besprechungen, die auch in Sammel-Rubriken („Journal“, „kurz & bündig“) zusammengefasst werden, überwiegen bei weitem die Empfehlungen. Herzhafte, süffig formulierte „Verrisse“ sind“ hier kaum zu finden. Vielleicht ein Kontrastprogramm zum oft gnadenlosen Reich-Ranicki und dem „Literarischen Quartett“?

Wer in der Werbung „streitbare und meinungsfrohe“ Rezensionen verspricht, sollte allerdings nicht nur einen ordentlichen Überblick, sondern mehr Orientierung bieten. Was fängt man mit lauter positiven Kritiken an? Da stellt sich am Ende der Frust ein, aus Zeitgründen fast alle wichtigen Bücher zu versäumen.