Dosierter Reiz der Fremdheit – Cappenberg zeigt deutsche Brasilien-Bilder des 19. Jahrhunderts

Von Bernd Berke

Cappenberg. Der Mann geht als sehniger Jäger durch den Dschungel voran, einige Meter hinterdrein trottet seine Gefährtin mit der Kinderschar. Häufig kehrt dieses Familien-Muster in der neuen Cappenberger Ausstellung wieder. Falls die Bilder nicht trügen, herrschte bei den Indianern im brasilianischen Urwald vor rund 150 Jahren jedenfalls kein Matriarchat.

Die aus Berlin kommende Schau führt mit vielen Beispielen vor, wie einigermaßen begabte deutsche Reise-Künstler im frühen und mittleren 19. Jahrhundert brasilianische Verhältnisse bebildert haben. Eine Leitlinie ist der ebenso forschende wie staunende Blick, mit dem sich der große Alexander von Humboldt den Phänomenen der Welt näherte. Er, der zwar südamerikanischen, aber nie brasilianischen Boden betrat, animierte auch Maler und Zeichner, wissenschaftlich verwertbare Exaktheit mit Inspiration zu verknüpfen – ein ganzheitlicher, künstlerischen Sinn einbeziehender Ansatz. Aber auch die Perspektiven der Humboldt-Ära sind vom Zeithorizont begrenzt. Doch wer weiß, welche Aspekte wir Heutigen, medial Gesättigten schlichtweg ausblenden.

Die damaligen Darstellungen wurden meist von adligen Herren gefertigt, sie konnten sich ausgedehnte Reisen erlauben. Prinz Maximilian zu Wied-Neuwied etwa drang ab 1815 mit Gefolge in unwegsamstes Gebiet vor und hielt den Alltag der Puri-Indianer fest. Es muss beiderseits ein Kulturschock gewesen sein. Doch auf den Bildern wirkt alle Wildheit gedämpft, domestiziert, eingehegt, für europäische Geschmäcker zugerichtet.

Das Spektrum ist vielfältig: Einige erschöpfen sich in bloßer Wiedergabe (Abzeichnen von Pflanzen) oder ergehen sich in manchmal wohlig-schauriger Exotik, zeigen allerlei Waffen, Gerätschaften oder auch phantastischen Kopf- und Körperschmuck. Bestandsaufnahmen nach Art der „Wunderkammer“.

Vielfach werden die so unterschiedlichen Völkerschaften Brasiliens nur auf grob typisierenden Tafeln dargeboten. Andere Künstler geben sich hingegen Mühe, Individualitäten zu begreifen. Landschaften treten dann in ihrer besonderen tropischen Farbskala hervor, Menschen bekommen ein unverwechselbares Gesicht.

Es ist zumeist noch ein selbstzufriedener, kolonisatorischer Blick weißer Europäer, der sich auf „Eingeborene“ richtet, die oft bei Raufereien oder mystischen Ritualen und Tänzen gezeigt werden.

Das schöne Licht auf dem Sklavenmarkt

Diese als ursprünglich, doch auch als triebhaft wahrgenommene Fremdheit wird als dosierter Reiz eingesetzt, ebenso wie die Nacktheit der indianischen Bevölkerung. Doch das vermeintliche Paradies ist bedroht. Man sieht schon Bilder, auf denen die Abholzung des Urwaldes beginnt…

Rassen- und Klassen-Herrschaft auf Landgütern oder in Diamant-Minen kommt teils deutlich zum Ausdruck, doch dies wird nur registriert, nie mit Empörung dargestellt. Dunkelhäutige schuften vor einer Kirchen-Kulisse, portugiesische Einwanderer halten derweil ein Schwätzchen. Auf dem Bilde wirkt diese Ordnung der Dinge geradezu naturwüchsig.

Nicht einmal die Ansicht eines Sklavenmarktes hält sich bei sozialen Bedenken auf, sondern spielt mit Licht- und Schattenwerten, so dass das arge Geschehen pittoresk wirkt. Ähnlich verhält es sich mit der öffentlichen Auspeitschung eines vermeintlichen Übeltäters. Wahrscheinlich hat der Zeichner nur gedacht: Der Bursche wird’s wohl verdient haben.

Frappant die detailfreudig ausgemalten Urwald-Szenen des aus Augsburg stammenden Johann Moritz Rugendas, sie verströmen beinahe den Geruch tropischer Feuchtigkeit, rühren ans Dunkle auch in der Seele des Betrachters. Weitaus gebändigter kommen andere Landschaften daher. Da glaubt man sich etwa in liebliche Rhein-Gegenden versetzt. Auch in der Fremde sieht mancher nur das, was er von zu Hause her kennt.

Bilder aus Brasilien im 19. Jahrhundert. Schloss Cappenberg. Bis 23. Dezember. Tägl. außer Mo. 10-17 Uhr. Eintritt frei, Katalog 50 DM.