Furien des Verschwindens – Der Film „The Man who wasn’t there“ von den Gebrüdern Joel und Ethan Coen

Von Bernd Berke

„Get lost!“ heißt es im Original immer wieder an entscheidenden Stellen: „Verschwinde!“ Es ist ein Leitwort des neuen Films der Gebrüder Joel und Ethan Coen („Barton Fink“, „Fargo“, „The Big Lebowski“). Es geht um seltsame Unschärfen menschlicher Biographien, in deren Flackern das Individuum verloren gehen kann.

Den Titel „The Man who wasn’t there“ könnte man so übersetzen: Der Mann, den es nicht gab. Nun, dieser Kerl namens Ed Crane (phänomenal: Billy Bob Thornton) scheint zwar auf Erden zu wandeln. Allerdings fühlt er sich wie ein Geist, fristet er doch anno 1949 ein provinzielles Schattendasein als Friseur. Auch seine Ehe mit Doris (Frances McDormand) ist Brachland. Ed gibt sich, im Stile eines Humphrey Bogart, lakonisch gelassen. Doch innerlich brennt bei dem ungeheuer wortkargen Kettenraucher eine seelische Lunte.

Dieser zittrige Zwiespalt und alle Weiterungen sind in tief „atmenden“ Schwarzweiß-Bildern eingefangen, wie denn überhaupt die Qualitäten ungefärbter Licht- und Schattenwerte klassisch ausgespielt werden. Der Film wirkt, als sei er am Ende der 40er Jahre gedreht worden. Jede Figur in diesem Meisterwerk gewinnt ungeheure Präsenz: Jeder Mensch hat Größe, gerade weil er jederzeit undeutlich werden und „verschwinden“ kann. Natürlich hat das mit der Sterblichkeit der Gattung zu tun, so dass all dies auch eine Meditation über den Tod ist. Sein oder Nichtsein.

Ein Friseur will heraus aus seinem leeren Leben

Der Friseur will also ‚raus aus seinem Dasein, aus diesem Wartestand am Rande der großen Leere. Eines Tages keimt Hoffnung. Ein Kunde im Frisiersalon, Handelsvertreter von Beruf, will in die Trockenreinigungs-Branche einsteigen. Es fehlen ihm nur 10.000 Dollar. All das erzählt er Ed beim Haarschnitt. Damit beginnt das Verhängnis. Ed wittert eine Chance. Um an das Geld zu kommen, erpresst er brieflich Big Dave, den Chef seiner Frau. mit dem sie ein Verhältnis hat. Dave kommt dahinter, stellt Ed zur Rede, wird handgreiflich. Die Stichwaffe liegt bereit, es geht wie von selbst. Ed ist zum Mörder geworden.

Mit dem Geld, das Ed ihm gegeben hat, verschwindet der Trockenreinigungs-Fritze über alle Berge. Schlimmer: Bald taucht die Polizei im Friseurladen auf – und Ed will sich schon ins Schicksal fügen. Doch die Herren teilen ihm mit, dass seine Frau unter Mordverdacht steht. Hat sich denn seine eigene Schuld spurlos verflüchtigt?

Nun muss ein teurer Anwalt her. Und dieser intellektuelle Teufelskerl namens Freddy Riedenschneider (Tony Shalhoub) erhebt die Verteidigung zur quasi-philosophischen Angelegenheit. Von der Heisenbergschen Unschärfe-Relation spricht er und überträgt sie auf den Fall. Hinter gewissen Nebeln der Logik, so doziert er, könne ein Mensch mitsamt allen Verdachtsmomenten gleichsam unsichtbar werden.

Auch hier walten die Furien des Verschwindens. Sie machen Ed zum Gespenst seiner selbst. Seine Frau sitzt in U-Haft. Wenn er nun allein durch die Straßen geht, so schaut er niemanden an. Und keiner nimmt ihn wahr. Als wenn es ihn gar nicht gäbe. Letzte Chance auf Wirklichkeit: Ed verguckt sich in die lolitahafte Pianistin „Birdie“. Er will ihr den besten Lehrer verschaffen. Doch sie erweist sich als mindere Begabung. Da stößt Ed sie brüsk von sich.

Den Ausgang verraten wir hier nicht. Der äußerst subtil durchkomponierte Zweistunden-Film, in Cannes mit dem Regiepreis gekrönt, hat weit ins Unerklärliche ausgegriffen und eine Sphäre jenseits der gängigen Realität beschworen. Ergo: ein Werk, das gewiss nicht so schnell verblassen wird.