„Meine Figuren sollen nicht lange leiden“ – Interview mit der Krimiautorin Ingrid Noll

Von Bernd Berke

Ingrid Noll (63) ist die mit Abstand erfolgreichste Krimi-Autorin Deutschlands. Mit Büchern wie „Der Hahn ist tot“, „Die Apothekerin“ und „Kalt ist der Abendhauch“ stand sie jeweils Monate lang auf den Bestsellerlisten. Auch ihr neuer Roman „Röslein rot“ (Diogenes, 39 DM) schaffte wieder den Sprung auf Platz zwei – gleich hinter Donna Leons „Sanft entschlafen“. Ein famoser Doppelerfolg für den Züricher Diogenes-Verlag, der beide Krimi-Ladies unter Vertrag hat. Die WR traf Ingrid Noll auf der Frankfurter Buchmesse.

Sie haben erst im Alter von 55 Jahren mit dem professionellen Schreiben begonnen und erzielen Spitzenauflagen. Haben Sie ein Erfolgsgeheimnis?

Ingrid Noll: Ich habe einfach Spaß am Schreiben. Das teilt sich den Lesern offenbar mit.

Haben andere Autoren denn keinen Spaß an ihrer Tätigkeit?

Noll: Viele quälen sich fürchterlich und haben Angst vor dem leeren Blatt Papier. Das Gefühl kenne ich überhaupt nicht. Wenn mir nichts einfällt, schreibe ich eben nicht.

Warum werden in Ihren Büchern eigentlich so viele Männer zur Strecke gebracht?

Noll: Ja, das glauben die meisten. Wenn Sie mal in allen Bänden durchzählen, stimmt das gar nicht. Die Morde an Männern und an Frauen halten sich ungefähr die Waage.

In „Röslein rot“ erzählen Sie die Geschichte der frustrierten Ehefrau Annerose, die durch Familie und Hausarbeit beruflich viel zu kurz gekommen ist. Sie selbst haben drei Kinder und haben viele Jahre lang Ihrem Mann in der Arztpraxis geholfen. Ist diese Annerose etwa ein Selbstporträt?

Noll: Nein, nein! Ich bin nicht „zu kurz gekommen“. Ich habe drei Kinder, und alle waren keine „Pannen“. Im Gegenteil: Sie waren und sind mir viel wichtiger als meine Bücher.

Die Ehe dieser Annerose zerbröselt zusehends – bis hin zu Mordgedanken. Sehen Sie die Ehe als Schlachtfeld?

Noll: Ich selbst bin seit 39 Jahren verheiratet – und es geht immer noch gut. Allerdings war ich oft Beichtschwester für Bekannte und Freundinnen. Was ich da so gehört habe… Und auch mein Mann hat einiges aus seiner Praxis erzählt. Gerade Frauen, die man für glücklich hielt, zeigten ihm ihre blauen Flecken. Übrigens verwende ich so etwas nicht in meinen Büchern. Höchstens indirekt, verfremdet.

In „Röslein rot“ geschieht nur ein einziger Mord. Früher ging‘s reihenweise zur Sache.

Noll: Ach, ich war das viele Blut ein bißchen leid. Das heißt aber nicht, daß es beim nächsten Mal wieder so kommt. Ich lasse mich da ungern festlegen…

Mordaufklärung kommt bei Ihnen so gut wie nie vor, so als gäbe es gar keine Polizei, keine Kommissare…

Noll: Das interessiert mich auch nicht so sehr. Ich habe mich jetzt mal in einem Polizeipräsidium umgesehen. Ich fand es ziemlich langweilig. Die saßen ja alle nur an Computern.

Gibt Ihnen Ihr Mann schon mal Tipps in Sachen realistischer Morde?

Noll: Selbstverständlich. Ich frage ihn bei allen Todesarten. Auch weil ich will, daß die Figuren nicht so leiden müssen, sondern schnell tot sind. Manchmal sitzen wir ganz idyllisch in unserem Garten und überlegen, wie man Menschen um die Ecke bringt.. .(lacht).

Empfinden Sie Genugtuung über den Erfolg?

Noll: Dafür bin ich ein bißchen zu alt. Es steigt mir nicht mehr so zu Kopf. Ich stell’s mir schlimm vor, wenn jemand mit 20 schon ganz viel Erfolg hat. Denken Sie an Sportler oder Sänger. Und wenn die 30 sind, kräht kein Hahn mehr danach. Die verfallen dann in Depressionen, sind selbstmordgefährdet. In meinem Alter ist man dagegen gefeit. Dann weiß man: Herrgott, so was Besonderes bist du nun auch wieder nicht. Und irgendwann interessiert sich auch wieder keiner mehr für dich. Ich wäre nicht trübsinnig, wenn’s aufhört. Das ist nur ein kleiner Aspekt in meinem Leben – und nicht der zentrale.