Beim Fußball singt es sich nochmal so schön – Musikwissenschaftler erforschen das Stadion-Phänomen

Von Bernd Berke

Als Borussia Dortmund am 7. Dezember 1996 beim 1. FC Köln antrat, gewannen die Westfalen nicht nur auf dem grünen Rasen (3:1), sondern auch sängerisch: 25 verschiedene Lieder stimmten die Dortmunder Fans im Lauf des Spiels an, die Domstädter brachten es nur auf 14 – schon damals ein abstiegsverdächtiger Wert. Von wegen sangesfrohe Rheinländer!

Woher wir das wissen? Vom Fachmann. Der Kölner Musikwissenschaftler Guido Brink (Jahrgang 1968) untersucht das Phänomen der Fußball-Fangesänge seit Jahren. Jetzt haben er und der Würzburger Musikprofessor Reinhard Kopiez die Resultate im Buch zusammengefaßt. Es kommt gerade recht zur Fußball-WM.

Vier bis neun Takte sind genug

Brink zur WR: „Im Grunde müßte man bei jedem Spiel einer Liga-Saison reinhören.“ Doch pro Begegnung wären zwei Wissenschaftler im Einsatz, um dann wochenlang ihre Erkenntnisse auszuwerten.

Brink und Kopiez standen beim besagten Match und beim Dortmunder Rückspiel in den Fanblöcken. Sie hielten die akustischen Früchte mit Digital-Recordern fest. Neben Strophen und Refrains, oft in Kneipe, Bus oder Bahn eingeübt und im Stadion von „Ober-Fans“ angestimmt, kamen Kurzgesänge (knappe Tonfolgen auf Namen wie „Aaan-dy Möl-ler“) und wortlose Rhythmen in Betracht.

Die Forscher fanden heraus, daß sich Fußballfans gern beim Schlager der 70er Jahre, Volksliedern, anglo-amerikanischen Traditionals („When the Saints…“, „Over in the Gloryland“) und Popsongs der letzten Jahrzehnte bedienen. Stets gilt: Vier bis neun Takte sind genug. Die Melodien müssen eingängig sein, sie sollten für „Endlosschleifen“ taugen und dürfen keine sonderlichen Höhenschwankungen haben. Sogar den maximalen Oktaven-Umfang, bevorzugte Tonleitern und das mittlere Metronom-Tempo haben die Forscher gemessen.

Beileibe keine Neandertaler-Kultur

Die Vorlagen werden mehr oder weniger originell umgetextet, wobei gehässige Schmähgesänge (z. B.: „Ihr seid Kölner / asoziale Kölner“ (nach Bonnie Tylers „It’s a Heartache“) oft Vorrang genießen. Brink flachst: „Böse Menschen haben viele Lieder.“ Auf den Stehtribünen werde eben Dampf abgelassen, das Stadion sei „keine Kuschelecke“. Aber: Um eine primitive „Neandertaler-Kultur“ handele es sich nicht, sondern um einen der letzten noch nicht kommerzialisierten musikalischen Freiräume. Der Fangesang sei zudem eine kultische Handlung, mithin ein Stück Sinngebung. Hört, hört!

Brink tippt auf Bayern München als deutschen Meister dieser Disziplin. Bayern-Fans hätten in einem ganz normalen Spiel 53 verschiedene Melodien abgesungen. Ein Grund: „Die haben einen versierten Trompeter, der die Lieder anstimmt.“ Sakra!

Die Geburtsstunde heutiger Fangesänge läßt sich ziemlich genau markieren: Ende 1963 sangen sie beim FC Liverpool „You’ll never walk alone“, den Hit von Gerry & The Pacemakers. Bei der WM in England (1966) kam dann jener Klatsch-Rhythmus auf, der auch Dave Dees Song „Hold Tight“ antrieb.

Von den Beatles zu den Bayern

Noch Beispiele gefällig? Es gibt vielseitig verwendbare musikalische Steilpässe. Auf den Refrain des Beatles-Klassikers „Yellow Submarine“ singt man bundesweit „Zieht den Bayern / die Lederhosen aus“ oder auch „Eins-zwei-drei und wieder mal vorbei!“ Die armen Kölner wurden zur selben Tonfolge so verulkt: „Ihr seid nur / ein Karnevals-Verein“. Auch der Gassenhauer „Go West“ von den Pet Shop Boys ist variabel: In Gelsenkirchen singt man darauf das pathetische „Steht auf. wenn ihr Schalker seid“, in Dortmund das triumphale „Ole, hier kommt der BVB“. Und welchen Reim machen wir uns nun auf Bertis Buben?

Reinhard Kopiez/Guido Brink: „Fußball-Fangesänge“. Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg (mit Demo-CD), 39,80 DM / Das ARD-Fernsehen sendet heute um 23.00 Uhr einen Beitrag zum Thema.