Zum Schluß bleibt noch die Altersmilde – Robert Gernhardts „Lichte Gedichte“

Von Bernd Berke

„Ist der Mensch nicht mehr im Bilde, / bleibt ihm noch die Altersmilde.“ Klingt fast nach Wilhelm Busch, ist aber von Robert Gernhardt.

Der Dichter (Jahrgang 1937), in den 60er Jahren Mitbegründer der „Neuen Frankfurter Schule“ subtil-parodistischen Humors, gilt längst als einer der wichtigen deutschen Schriftsteller dieser Zeit. In seinem neuen Lyrikband geht es denn auch um die allzeit großen Themen der Literatur – Liebe, Tod und Vergänglichkeit. Gernhardts nach wie vor sprungbereiter Witz hat eine tiefere Grundierung erhalten als ehedem.

Acht Kapitel hat das Buch. Es beginnt mit Lust- und Liebesdingen sowie elegischen Bemerkungen zur (schwindenden) Natur. Kunstsinnige Betrachtungen, Reise-und Alltags-Impressionen schließen sich an. Auch sportliche Momente eines Boris Becker, die erhabene Häßlichkeit eines Recklinghäuser Hotels oder das montägliche Unbehagen im fast menschenleeren Möbelhaus werden besungen.

Die Schlußteile („endlich“, „herzlich“) aber handeln vom nahenden Alter und vom Tode: „Das Leben ist ein Fenster / in dem du kurz erscheinst.“ Unmittelbarer Anlaß war eine Bypass-Operation, der sich Gernhardt unterziehen mußte. Aus dem lyrischen Tagebuch des Krankenhaus-Aufenthaltes: „So nach und nach bleiben / ich und mein Körper / allein.“

Hier bereitet der Reim keine Pein

Robert Gernhardt orientiert sich an alten Traditionen der Gattung. Er zählt zu den ganz wenigen Gegenwartsautoren, deren Gedichte sich reimen und sich dennoch nicht verstaubt anhören. Im virtuosen Spiel mit Sprachebenen läßt Gernhardt etwa den hohen Ton in kalkulierte Kalauer abstürzen und somit anders nachhallen: menschlicher, herzensnäher. So gewinnt er der Überlieferung unverhoffte Töne ab. Und man merkt, daß dieser Autor auch Maler ist, so fein unterscheidet er Farben und Licht in ihren Nuancen.

Das „Klinik-Lied“ geht so: „So lieg ich hier / und denke mir / mein Teil zu manchen Dingen: / Nicht alles muß gelingen / Du mußt’s nicht immer bringen. / Du mußt nicht immer siegen. / Nur laß dir eins beibiegen: / Beim Aufdernaseliegen / gib bitte nicht den Heitern – / versag nicht auch beim Scheitern.“ Ein sprachliches Kleinod, in seiner bewußt hergestellten Holprigkeit auch rhythmisch durchdacht. Es schöpft aus dem Verzagen eine weise Gelassenheit.

Resignation schleicht sich nicht nur in den persönlichen Bereich. Auch der Zustand der Welt ist beklagenswert: „Kaum atmest du wegen der Eichen auf / da gehn schon die ersten Kastanien drauf / Natur.. . / Kaum erholt sich dein Land von der Trockenheit / da macht sich bereits wieder Hochwasser breit / Natur“.

…doch nichts im Portemonnaie

Und der Kulturbetrieb? Hurtig wechselnde Moden, Dichternamen als schnellverderbliche Handels-Ware: „Eine Zeitlang war Peter Handke das Thema / Dann war auf einmal Durs Grünbein das Thema / Im Grunde war keiner der beiden das Thema / Das Thema war immer: Erfolg.“ Selbst der wird oft schäbig vergütet. Gernhardt entwirft den Beschwerdebrief des verschuldeten Picasso an den Kunsthändler Kahnweiler: „Erst hab ich blau in blau gemalt / Sie haben äußerst mau gezahlt. / Dann hab ich s mit Rosé versucht / doch nichts im Portemonnaie verbucht. / Nun wären also Kuben dran – / Sie schaffen nicht mal Tuben ran…“

Zum Menschentrost gibt es gottlob die Dinge, die keinen Überdruß dulden. Beispiels^ weise das – freilich auch schmerzliche – Liebes-Begehren („Freundinnen im Speisewagen“) oder die schöne Dauer des Beisammenseins: „Schneiden und Scheiden“ zeigt das stets bedrohte, aber unbedingt bewahrenswerte Idyll eines Paares beim gemeinsamen Pflaumenschneiden:
„Man kann beim Entkernen Gefühle erleben, / die schlichtweg erheben. / Zum Beispiel das, nicht allein zu sein / Dann das Gefühl, zu zwein zu sein. / Sowie die Gewißheit: Was immer ihr tut – es wird gut…“ Da vernimmt man eine fast volksliedhafte Einfachheit (nicht Naivität!), die schlichtweg berührt.

Robert Gernhardt: „Lichte Gedichte“. Haffmans Verlag. 263 Seiten. 36 DM.