Schöne Sauferei des Nebels – Ein Buch gegen den Zeitgeist: Über den Zusammenhang von Tabak und Kultur

Von Bernd Berke

Wo findet man das sonst noch? Ein Buch, das sich eindeutig f ü r den Rauchgenuß erwärmt und dazu solche Sätze ins Feld führt: „Ich behandle das Leben als etwas Unangenehmes, über das man durch Rauchen hinwegkommen kann.“ Dies gestand einst der Dichter Robert Musil.

Ähnlich denken und fühlen die meisten Menschen, die in dem Buch vorkommen: „Auf leichten Flügeln ins Land der Phantasie – Tabak und Kultur“ heißt das Werk wider den Zeitgeist. Mit Freude an der Sache und anekdotischer Würze beschreibt der Autor Detlef Bluhm zunächst, wie Christoph Columbus das Kraut bei den Indianern vorfand und nach Europa brachte. Passendes Zitat vom Edel-Feuilletonisten Victor Auburtin: „Die Indianer haben das Tabakrauchen erfunden, welches die größte aller Erfindungen ist und der einzige wirkliche Kulturfortschritt seit Anbeginn der Zeit.“ Welch‘ nette kleine Übertreibung. Jedenfalls meint auch Bluhm, daß Rauchen die Phantasie anrege.

Als man fürs Qualmen ausgepeitscht wurde

Die „Sauferei des Nebels“, wie das Rauchen poetisch genannt wurde, wird durch die Epochen begleitet. Mal war das Schnupfen oder Kauen des Tabaks gesellschaftsfähig, mal galten Zigarre oder Pfeife als schick – und schließlich (Zeit ist kostbar) die kurzlebige Zigarette. Aufgerollt werden auch die dem Staatssäckel so dienliche Erfindung der Tabaksteuer und die erschröckliche Historie der Rauchverbote: Zeitweilig stand im alten Persien und China die Todesstrafe auf Verstöße, in Moskau blieb es anno 1643 beim Auspeitschen oder Naseaufschlitzen. Damit verglichen, sind die puritanischen Bemühungen in den heutigen USA, wo neuerdings selbst Hinrichtungs-Kandidaten die letzten Lungenzüge verweigert wurden, ein Nichts.

Nikotin galt lange als Heilmittel

Rauch-Zeichen waren immer auch gesellschaftliche Signale, besonders in der bürgerlichen Revolution von 1848 und in den 1920er Jahren beim Emanzipations-Prozeß der Frauen. Übrigens: Um 1910 gab es 20 000 Zigarettenmarken in Deutschland, und die Ärzte hielten Nikotin lange Zeit für ein Heilmittel.

Man hört zumal von geistiger Hochprominenz, die fast durchweg dem Tabak frönte in Klammern nennen wir jeweils das Sterbealter: Karl Marx (64), Sigmund Freud (82) und Albert Einstein (76) taten es oft und gern. Über alle Gräben hinweg haben auch diese Autoren eines gemeinsam: Charles Dickens (58), Thomas Mann (80), Bert Brecht (58), Jean-Paul Sartre (74), Georges Simenon (86) und Max Frisch (79) – um nur wenige zu nennen – pafften, was die Lungen hielten. Der Tenor Enrico Caruso (48) erwirkte eine Sondererlaubnis fürs Zigarrenrauchen hinter der Bühne, der Filmregisseur Luis Buñuel (83) war ein ebenso fanatischer Raucher wie sein Kollege Orson Welles (70). Von Humphrey Bogart ganz zu schweigen.

Der ungekrönte König aller Raucher

Als ungekrönter König aller Raucher gilt freilich Italo Svevo („Zeno Cosini“, „Ein Mann wird älter“), der seinem Laster viele Texte widmete, immer wieder aufhören wollte, es nie schaffte – und den inneren Kämpfen eine ganze Philosophie des Qualmens abgewann. Goethe war jedoch ein Spielverderber. Wenn Schiller bei ihm rauchen wollte, mußte er vor die Tür gehen.

Goethe wußte vielleicht nicht, was ihm entging. Wie sprach doch Thomas Mann durch Hans Castorps Mund im „Zauberberg“: „Ich verstehe es nicht, wie jemand nicht rauchen kann, – er bringt sich doch, sozusagen, um des Lebens bestes Teil und jedenfalls um ein ganz eminentes Vergnügen! Wenn ich aufwache, so freue ich mich, daß ich tagsüber werde rauchen dürfen…“

Detlef Bluhm: „Auf leichten Flügeln ins Land der Phantasie – Tabak und Kultur“. Transit-Verlag, Berlin. 160 Seiten. 34 DM.