Aus dem Schatten Mozarts befreit: Antonio Salieris „Schule der Eifersüchtigen“ an der Oper Köln

Schwer lastet der Schatten Wolfgang Amadeus Mozarts über der Erinnerung an Antonio Salieri. Der langjährige Wiener Hofkapellmeister und Komponist war eine maßgebliche Institution schon vor der Ankunft Mozarts in Wien und lange nach dessen frühem Tod bis hinein in die Zeit Franz Schuberts: Komponist von gut drei Dutzend Opern, Organisator und Inspirator des hauptstädtischen Musiklebens, gesuchter Gesangspädagoge und Lehrer einer ganzen Komponistengeneration, Beethoven und Schubert eingeschlossen.

"La Scuola de' Gelosi" in Köln: Hinten: Kathrin Zukowski (Gräfin Bandiera), Anton Kuzenok (Leutnant), vorne v.l.n.r.: Matteo Loi (Blasio), Alina Wunderlin (Ernestina), William Goforth (Graf Bandiera), Arnheiður Eríksdóttir (Carlotta). Foto: Hans Jörg Michel.

„La Scuola de‘ Gelosi“ in Köln: Hinten: Kathrin Zukowski (Gräfin Bandiera), Anton Kuzenok (Leutnant), vorne v.l.n.r.: Matteo Loi (Blasio), Alina Wunderlin (Ernestina), William Goforth (Graf Bandiera), Arnheiður Eríksdóttir (Carlotta). Foto: Hans Jörg Michel.

Überlebt hat sein Name bis in die jüngere Zeit hinein lediglich durch ein Gerücht: Salieri, so die rufmörderische und längst widerlegte Behauptung, habe Mozart vergiftet. Peter Shaffer hat in seinem Schauspiel „Amadeus“ daraus eine Parabel über Gottes Gerechtigkeit, Genie und Mittelmaß gestrickt, die Miloš Forman 1984 durch seinen Film international verbreitet hat.

Möglichkeiten, hinter den Schatten zu blicken, haben sich erst mit Aufführungen und Tonaufnahmen in den letzten Jahrzehnten eröffnet. Opern von Salieri, obwohl zu ihrer Zeit unglaublich erfolgreich, sind Raritäten: Das betrifft nicht nur die Menge seiner komischen Opern, unter denen sich höchst Gelungenes neben routiniertem Durchschnitt findet. Sondern leider auch die an Gluck orientierten französischen Tragödien wie „Les Danaïdes“ oder „Tarare“. Nicht zuletzt zeigt sich Salieri im Verbund mit dem Librettisten Giovanni Battista Casti als genialer Satiriker – eine Eigenschaft, die er seinem Kollegen und gelegentlichen Konkurrenten Mozart voraushat. Polit-Satiren wie „Cublai, gran Khan dei Tartari“ oder „Catilina“ sind überhaupt erst in den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts uraufgeführt worden, und das nicht in Wien, sondern in Würzburg und Darmstadt.

Vor zwei Jahren hat sich das entdeckerfreudige Theater an der Wien wieder einmal an eine Salieri-Oper gemacht und „La Scuola de‘ Gelosi“ wiederbelebt. Die Buffa hatte dem aus Legnago, einem venezianischen Städtchen südöstlich von Verona stammenden Komponisten 1778 nicht nur in Wien, sondern in der ganzen damaligen Opernwelt einen grandiosen Erfolg beschert. Die Oper Köln, die im Mozart-Jahr 2006 mit Salieris „La Cifra“ schon einmal Repertoirepolitik gegen den Strich gemacht hat, übernahm nun diese Produktion als Kölner Erstaufführung ins Staatenhaus.

Das Libretto von Caterino Mazzolá, damals noch ein Anfänger, ist in der bewährten Manier des italienischen „dramma giocoso“ konstruiert. Drei Paare – ein adliges, ein bürgerlich kaufmännisches, eins aus dem Stand der Dienstboten – gehen durch eine von einem Leutnant als Drahtzieher inszenierte „Schule der Eifersucht“. Zweidreiviertel Stunden komischer, grotesker, verblendeter und rührender Lektionen münden in die Erkenntnis, dass die Eifersucht genau das zerstört, was sie zu bewahren vorgibt, die eheliche Treue. Nur das Dienerpaar zeigt sich weitgehend immun: Geliebte ja – Ehefrau nein ist das Fazit, dass der Kammerdiener des Grafen aus seinen Beobachtungen zieht: Das Beispiel der adligen Herrschaften zeige, dass die Ehe zu vermeiden sei.

Die Inszenierung Jean Renshaws sorgt immer wieder für temperamentvolle Szenen, hier mit Alina Wunderlin (Ernestina), William Goforth (Graf Bandiera), Arnheiður Eríksdóttir (Carlotta), Matthias Hoffmann (Lumaca). Foto: Hans Jörg Michel.

Für das turbulente Hin und Her hat sich Christof Cremer an die vom Boulevard bekannte Türen-Klapp-Szenerie erinnert und eine Wand mit drei Durchgängen gestaltet, die sich – wie ihre beiden Rahmen – beliebig drehen lässt. So ist die Bühne auch ohne Maschinerie rasch und abwechslungsreich zu verwandeln; ein stummer Tänzer, der „carosello dubbio“ Martin Dvořák zerrt und schiebt die Teile ineinander und gegeneinander, wenn er nicht damit beschäftigt ist, zum Plot zu tanzen und zu akrobatisieren. Die Schraube dreht sich, nicht unheimlich wie in Brittens „Turn of the Screw“, sondern eher mit dem Hang zum Grotesken.

Die Inszenierung der Choreographin und einstigen Tänzerin Jean Renshaw betont diesen Aspekt in unermüdlichen, bewusst übertreibenden Bewegungen, die aber nicht auf platten Slapstick zurückgreifen. Sie lehnen sich eng an die Handlung an, tendieren aber immer wieder zur choreographischen Abstraktion. Der Musik Salieris kommt diese Methode entgegen, denn auch sie schmiegt sich an das Geschehen, will es aber selten empathisch vertiefen, sondern eher wie im Vorgriff auf Rossini in eine Sphäre quirliger Künstlichkeit heben.

So sind sie aufeinander losgelassen, die Figuren des Dramas, und der Zuschauer von heute erkennt, wie sich Mozart und Salieri gleichermaßen in der italienischen „commedia“ bedient haben: Der Graf Bandiera – mit frischem, aber technisch nicht geschliffenem Tenor: William Goforth – erinnert an „Nozze di Figaro“, weil er seiner Gattin überdrüssig ist, und bekennt ähnlich wie Don Giovanni, nicht so sehr die Schönheit als die „leichte Eroberung“ der Damen zu schätzen. Die Gräfin indes leidet und hat eine entsprechende große Arie mit einem ausdrucksvollen Rezitativ, die nicht die melodische Inspiration und romantisch anmutende Empfindungstiefe der Mozart-Gräfin hat, aber in ihrem Kontrast von bohrender Erregung und zärtlicher Erinnerung kein musikalisches Leichtgewicht ist. Kathrin Zukowski singt Wehmut wie Wut in eleganter Linie, zupackender Attacke, aber verbesserungswürdiger Artikulation.

Korngroßhändler Blasio erhitzt sich an der Eifersucht wie im deutschen Fach der misstrauische Herr Fluth in Otto Nicolais „lustigen Weibern von Windsor“. An der musikalischen Faktur seiner Rolle zeigt sich die satirische Ader Salieris, etwa wenn Matteo Loi in Anklängen an altertümliche Madrigale seine Lebensart erläutert oder eine gleichbleibende, sich beschleunigende Flötenfigur die rasch ansteigende Temperatur seines Furors illustriert.

Die gräfin Bandiera (Kathrin Zukowski) leidet. Foto: Hans Jörg Michel.

Seine Frau Ernestina, die erst aus Trotz gegen ihren überdrehten Gatten beginnt, das Werben des Grafen zu beachten, hat in Alina Wunderlin eine koloraturgewandte, auch im Lyrischen ansprechende Gestalterin – erst ratlos und betrübt, dann mit diebischem Vergnügen an dem vom Leutnant (mit hellem, glitzerndem Tenor: Anton Kuzenok) eingefädelten Komplott, das dieser Vorläufer Don Alfonsos („Cosí fan tutte“) erst kurz vor einer drohenden Tragödie auflöst. Die Diener Lumaca (Matthias Hoffmann) und Carlotta (Arnheiður Eiríksdóttir) hangeln sich pragmatisch durch die Intrigen und zeigen sich unbeeindruckt von den erotischen und emotionalen Verwicklungen ihrer Umgebung. Ihre Kostüme tragen dieselben Rautenmuster wie die Wandbespannung – sie gehören zum „Inventar“. Die Rauten tauchen auch in der Kleidung des bürgerlichen Paares auf, während die Gräfin mit groß geschwungenen floralen Mustern über das Klein-Karierte erhaben ist: Eine sinnige Bild-Idee von Ausstatter Christof Cremer.

Schreiben Salieri und Mazzolá also einen harmlos-unterhaltenden Buffa-Stoff ohne tiefere Gedanken? Oder ein Stück, das im Gewand des Buffonesken vorführt, wie sich Einstellungen und moralische Positionen überdreht verselbständigen und dann Menschen, Gefühle, Beziehungen in einem sich rasend drehenden Strudel verschlingen können? Die Groteskerie des Finales von Akt eins ließe eine gleichnishafte Deutung zu: Es spielt an einem jedem Wiener wohlbekannten Ort, dem „Narrenhaus“.

Letztlich entscheidet die Musik, was aus einer solchen Oper wird. Salieri will mit seinen fröhlich aus den Instrumenten purzelnden Noten nicht tiefer schürfen als es die Komödie braucht. Die Töne gruppieren sich wendig und fröhlich, selten einprägsam zu geschwind gestrichelten, schnell wieder verflatternden Linien. Die Melodien sind längst nicht so originell und individuell wie die Mozarts, aber stets unterhaltsam zur Stelle, wenn es darum geht, dem Ohr zu schmeicheln. Die Musik beleuchtet Situationen und Charaktere gerade so, dass es Spaß macht zuzuhören, ohne viel nachdenken zu müssen. Das ist Gebrauchsmusik in gediegener Qualität, die sich gar nicht individuell gebärden will. Arnaud Arber und das klein besetzte Gürzenich Orchester folgen ihr reaktionsschnell, mit kräftigen Akzenten und farbig charakterisierend. Das fegt mit nur manchmal eingetrübter, glitzernder Brillanz dahin, ohne dass Arber die Tempi übertreibt. Ob der Abend ausreicht, auch andere Theater zu animieren, einmal Salieri statt x Mal Mozart zu spielen, muss leider, wie so oft, dahingestellt bleiben.

Aufführungen noch am 18., 21., 23. April 2019. Info: https://www.oper.koeln/de/programm/la-scuola-de-gelosi/4049