Ruhrfestspiele: Peter Brook erzählt die Geschichte vom Gefangenen, der nicht ins Gefängnis darf

Szene mit dem Gefangenen (Hervé Goffings, links) und seiner Schwester (Kalieaswari Srinivasan). (Foto: Simon Annand/Ruhrfestspiele)

Stöcke, Äste, Baumstümpfe – karg ist die Bühne möbliert, nur so viel Material wie nötig. Trotzdem ist die Anmutung naturalistisch, zumal das Stück in Afrika spielt, und dort sieht es vielleicht ja so aus, stellenweise. Vor allem aber ist dies eine Bühne nach dem Geschmack von Peter Brook, dem großen, unglaubliche 94 Jahre alten britischen Theatermann, dessen Stück „The Prisoner“ bei den Ruhrfestspielen seine Deutschlandpremiere hatte.

Das scheinbare Paradox dieses Stückes, das Brook zusammen mit Marie-Hélène Estienne schuf, liegt darin, dass der Gefangene (the prisoner) eben kein Gefangener ist, sondern vor dem Gefängnis verharren muss. Es ist ihm so aufgegeben, zur Reflexion über sich selbst, über seine Tat, über Schuld und Sühne, innere und äußere Freiheit und manches andere mehr. Das zumindest sei, ist zu lesen, der Anspruch des Stücks.

Vatermord

Anlass für all das ist der Mord, den der Gefangene an seinem Vater verübte, als er ihn beim Beischlaf mit seiner Schwester überraschte, die er, der Gefangene, selbst mehr liebt als ein Bruder seine Schwester lieben sollte. Das ist eigentlich ziemlich psychologisch, bleibt jedoch im Ungefähren, weil es um Inzest hier angeblich nicht geht.

Der Täter also wird zunächst körperlich misshandelt und dann zu zehn Jahren Einzelhaft verurteilt. Ein liebender Onkel kann bewirken, dass er aus der Haft entlassen wird und der Onkel die Bestrafung übernimmt. Und die besteht – eben – aus dem beschriebenen Setting vor dem Gefängnistor.

Kalieaswari Srinivasan  (Foto: Simon Annand/Ruhrfestspiele)

Bedeutungsschwer

Die sparsame Bühnenausstattung (Licht: Philippe Vialatte, Bühnenelemente: David Violi) findet ihre Entsprechung in kargen akustischen Setzungen, in Tierschreien und, zum Ende hin, Baugeräuschen, wenn das alte Gefängnis (unsichtbar) abgerissen wird.

Wer angesichts dieses umfangreichen Geschehens {hinzu kommt noch die Einbettung der Geschichte in eine Rahmenhandlung, in der eine ethnologisch interessierte Ärztin sich an ihre Begegnung mit dem Gefangenen erinnert) aktionsreiches Bühnengeschehen erhofft, wird indes enttäuscht. Die Inszenierung ist eine überaus statuarische Veranstaltung, in der kaum ein Satz ohne Weisheit ist, in der aber auch der Dialog als Mittel des Erkenntnisgewinns abgeschafft wurde. Statt dessen zerdehnen viele, in ihrer Summe schwer erträgliche Pausen zwischen den Sätzen das ganze in vorgebliche Bedeutungsschwere.

Angeblich nicht absurd

Woher kommen die Weisheiten, die richtigen Fragen, die richtigen Anleitungen? Anders als beispielsweise bei Franz Kafka oder Samuel Beckett, an die man angesichts des scheinbar absurden Bühnengeschehens durchaus denken mag, wird es in „The Prisoner“ Antworten auf solche Fragen geben. Nur vermitteln die sich nicht in der Inszenierung. Alles passiert irgendwie und ohne erkennbare Mechanik, und deshalb vermag dieses Theater beim Zuschauer kaum die assoziative Maschine in Gang zu setzen, ihn weiterdenken zu lassen, die Dinge gar auf sich und die eigene Existenz zu beziehen.

Weitere Distanz schafft übrigens das Spiel in englischer Sprache, die vollends oft erst verständlich wird, wenn man die deutsche Übertitelung liest. Und mit ein wenig Wehmut denkt man an atemberaubende Theaterarbeiten Peter Brooks wie „Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte“ nach der Vorlage von Oliver Sacks. Aber das ist schon lange her.

Fünf Bühnenkünstler aus Paris

Hayley Carmichael, Hervé Goffings, Omar Silva, Kalieaswari Srinivasan und Vasant Selvam heißen die Akteure des Pariser Théâtre des Bouffes du Nord, die untadelig spielten, denen das Stück schauspielerisch aber auch relativ wenig abverlangt. Lange 80 Minuten, wohlwollender Applaus.

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