Bayerischer Suff im alten Griechenland – Stücketage beginnen mit Herbert Achternbuschs „Der letzte Gast“

Von Bernd Berke

Mülheim/Ruhr. Nein, der „Nabel der Kultur-Welt“ ist Mülheim gewiß nicht. Dieses (von manchen keck beanspruchte) Prädikat wies auch Hans-Georg Specht, Oberbürgermeister der Stadt, in aller Bescheidenheit zurück, als er jetzt die Mülheimer Theatertage eröffnete.

Doch immerhin steht nun gleichsam wieder ein Wanderpokal des deutschen Feuilleton-Betriebs an der Ruhr. Denn zum 21. Mal geht es beim allzeit interessanten Dramatikerwettbewerb ums beste neue deutsche Stück.

Der Aufgalopp der Inszenierungen begann mit A wie Achternbusch, Herbert. Der hat mit seinem Drama „Letzter Gast“ sozusagen bayerische Kneipenatmosphäre ins klassische Griechenland verpflanzt. Treffen sich also ein alter Ägypter, ein Grieche und der Wirt, („zugroaster“ Römer) in einem Lokal zu Hellas. An der ägäischen Bucht ist das Bier grün, es verfehlt aber seine Wirkung nicht. Und wenn hernach der lebensgefährliche „Selbstgebrannte“ zum Einsatz kommt, zucken gar Blitze über die Bühne, die schlagartige alkoholische Hirnzertrümmerung signalisieren.

Und so salbadern sie denn auch, einer nach dem anderen seinen delirierenden Monolog abliefernd. Groteske Parodie auf die altgriechische Kunst der Rede und des Dialogs? Mag sein. Zwölf Lokalrunden werden binnen zwei Stunden Spielzeit geschmissen, und jede wird eingeläutet wie ein Boxkampf.

Wie viele Hügel hat das antike Rom? Ist die Erde eine Scheibe oder eine Kugel? Wie wäre es, wenn die Menschen statt der vielen Götter nur noch einen einzigen verehren? All das und noch vieles mehr wird beredet am promillo-philosophischen Stammtisch, der später – welch sinnfälliger Kommentar zum Stück – im überquellenden Theaterschaum versinkt.

Auftritt der Tierkopf-Götter und des kleinen Krokodils

In Alexander Langs Einrichtung (Münchner Kammerspiele) wird dem verbalen Wirrwarr mit Fez und Karneval Genüge getan. Da defilieren die ägyptischen Tierkopf-Gottheiten (Horus, Anubis & Co.) stumm und gravitätisch durch die Szenerie, da rennen bayerische Polizisten samt Nikolaus hinterdrein, und überm Tresen, der an einen Altarschrein erinnert (schönes Bühnenbild: Caroline Neven Du Mont), reckt auch schon mal ein kleines Spielzeugkrokodil sein Haupt. Tri-Tra-Trullala.

Autor Achternbusch scheint sich stets auf die Gnade des frühesten Einfalls verlassen zu haben. Schreib’s halt gleich hin, ‘s ist sowieso egal. Geradezu verschwenderisch gut muten demgegenüber die schauspielerischen Leistungen an. Thomas Holtzmann als vierschrötiger Wirt, Michael von Au als tuntiger Grieche Semel, Regisseur „Alexander Lang selbst als stocksteifer Ägypter Ptah und Jörg Hube als lachender „letzter Gast“ Thukydides – das ist schon ein Ensemble, auch mit Trinksprüchen aller Ehren wert.

Sechs weitere Autoren und ihre Stücke sind noch im Wettbewerb. Man wird sehen, wem am Schluß zugeprostet wird.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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