Das Ekel von Datteln und andere Übeltäter – Gespräch mit dem Dortmunder „grafit“-Verleger Rutger Booß

Von Bernd Berke

Tatort: Dortmund. Mit dem Umzug aus dem Vorort Wellinghofen ins Stadtzentrum unterstreicht Rutger Booß den Anspruch, daß sein „grafit“-Verlag bis zum Jahr 2000 das führende Haus für deutschsprachige Krimis werden soll. Die WR sprach mit ihm über seinen Job und über die Krimi-Szene.

Wann und wie sind Sie Verleger geworden?

Rutger Booß: In der Buchbranche arbeite ich schon seit 1974 – zunächst als Lektor beim Dortmunder „Weltkreis“-Verlag, dann in der Zentrale einer linken Buchhandelskette und bei Pahl-Rugenstein in Köln. Als dort die Sparte Belletristik eingestellt wurde, stand ich plötzlich mit 45 Jahren ohne Arbeitsplatz da. In dieser Not habe ich mit meinem bißchen Geld meinem Ex-Arbeitgeber ein paar Autorenrechte abgekauft und mich selbständig gemacht. Das war ein großes Risiko, aber auch eine Chance, die man nur einmal im Leben bekommt. Jedenfalls ist so im Mai 1989 der „grafit“-Verlag entstanden.

Wie kam es eigentlich zu dem Namen „grafit“?

Booß: Den hat der Krimiautor Werner Schmitz erfunden. Der hatte beobachtet, daß die meisten Kleinverlage pompös-bombastische Namen tragen, die großen und erfolgreichen aber meist ganz kurze und griffige, höchstens zweisilbige. Leute, die nur unseren Namen kennen, stellen sich jetzt einen viel größeren Verlag vor.

Apropos Größe: Wie wollen Sie in vier Jahren Marktführer bei deutschsprachigen Krimis werden?

Booß: Da haben wir gute Aussichten. Zu den fünf Spitzenreitern auf diesem Gebiet gehören wir wohl schon.

Wen müssen Sie denn noch überholen bei ihrem Marsch an die Tabellenspitze?

Booß: Es gibt gar nicht so furchtbar viel Konkurrenz: Diogenes liegt noch vorn, dahinter folgen Rowohlt, Heyne, Goldmann. Die großen Verlage bestreiten ihr Krimi-Programm vorwiegend mit englischen und amerikanischen Autoren. In diesen Ländern ist das Genre viel weiter entwickelt als bei uns, wo der Kriminalroman erst seit den 60er Jahren ernstgenommen wird; seit Hansjörg Martin, -ky und Fred Breinersdorfer schreiben.

Viele Ihrer Bücher spielen in dieser Region. Warum ist das Ruhrgebiet eine so ergiebige Krimi-Landschaft?

Booß: Ich glaube, es liegt an der Zerstörung alter Strukturen, also der Titanen Stahl und Bergbau. Die massiven wirtschaftlichen Umbrüche bilden den Hintergrund vieler Ruhrgebiets-Krimis, speziell bei unserem Autorenduo Leo P. Ard und Reinhard Junge. Denken Sie nur an „Das Ekel von Datteln“.

Wie wichtig ist für Sie die Politik im Krimi?

Booß: Naja, das große Vorbild vieler deutscher Autoren sind natürlich die Schweden Sjöwall/Wahlöö und ihre „Kommissar Beck“-Geschichten. Wir haben die politischen Botschaften im Laufe der Zeit reduziert, denn sie sind für Spannungsliteratur eher gefährlich. Zunächst muß immer die Story stimmen. Wenn Politik hinzukommt, ist es in Ordnung.

Und die Sprache?

Booß: Ich meine schon, daß wir uns literarisch über dem Durchschnitt bewegen. Wir haben’s aber sehr gerne, wenn es ein bißchen schnoddrig und witzig zugeht. Gegen ausgiebige Gewaltdarstellungen habe ich hingegen eine Menge einzuwenden.

Wer liest Ihre Bücher?

Booß: Bei Krimis hat man keine fest umrissene Zielgruppe. Es geht quer durch alle Berufe und Schichten. Und es gibt eine interessante Untersuchung vom letzten Herbst, die besagt: Je weiter links einer politisch steht, desto mehr Krimis liest er. CDU-Wähler lesen am wenigsten Krimis.

Gibt es Autorennachwuchs? Bekommen Sie viele Manuskripte?

Booß: O, ja! Durchschnittlich etwa 200 im Jahr. Die modernen Textverarbeitungs-Systeme haben die Hemmschwelle für Autoren offenbar gesenkt. Manche Texte sehen äußerlich bildschön aus, sind aber inhaltlich Schrott. Aber wir haben auch einige Autoren durch „unverlangt eingesandte Manuskripte“ entdeckt.

Welche Auflagen erzielen Sie?

Booß: Unsere Renner waren der „Eifel-Blues“ mit 34.000 Exemplaren und „Das Ekel von Datteln“ mit 33.000. Wenn wir von einem Buch 4000 Stück verkaufen, werden wir nicht reich, aber es rechnet sich.