Ein Roman, so üppig wie tropische Blüten – John Updikes Buch „Brasilien“

Von Bernd Berke

Welch eine unglaubliche Geschichte: Da trifft ein schwarzer Junge aus den Favelas (Elendsvierteln) von Rio ein weißes Mädchen aus reichem Hause an der Copacabana. Sogleich schläft sie mit ihm und verläßt den ganzen gewohnten Luxus, um von Luft und Liebe zu leben. Auf der Flucht vor den brutalen Schergen ihres Vaters, eines hohen Diplomaten, ziehen Tristao und Isabel kreuz und quer durch Brasilien.

Ebenso erstaunlich ist, daß gerade John Updike diese erhitzte Romeo-und-Julia-Variante erzählt. Wollte der vielgerühmte Chronist der USMittelschicht mit seinem Roman „Brasilien“ etwa bewußt eine neue Kennmarke in seinem Werk setzen? Hat ihn einfach die Exotik der Schauplätze gereizt? Oder ist dieses Brasilien gar ein Gleichnis?

Updike treibt sein ungleiches und doch so verschworenes Liebespaar zwischen 1966 und 1988 durch das ganze Riesenland und durch mancherlei Unbill. Stationen des langen Liebes-, Lust- und Leidensweges sind Rio, Sao Paulo, Brasilia, Mato Grosso und entlegene Dschungelgebiete.

Gelegentlich muß Tristao mit einer in der Hosennaht verborgenen Rasierklinge hinlangen, um sich seiner Haut zu wehren. Zwischendurch werden dem Paar zwei Kinder geboren, fast wie die von Herodes verfolgte Heilige Familie ziehen sie da durch die Einöde. Später werden die Kinder von blutrünstigen Indianern geraubt. Unwiederbringlich.

Tristao schuftet als Fließbandarbeiter bei VW do Brasil, versucht sein Glück als Goldgräber und verdingt sich auch schon mal als Disco-Türsteher, während die in Elite-SchuIen erzogene Isabel als Näherin oder Hure tätig wird. Am liebsten aber greift sie für ihre oft extremen Liebesspiele auf Tristaos „Yamswurzel“ zurück. So naturpoetisch benennt Updike das Geschlechtsorgan seines männlichen Heiden. Er läßt sich keine Gelegenheit entgehen, eine seiner großen Stärken auszuspielen: die genüßliche Beschreibung von Sex in seiner Vielfalt.

Keine Lust mehr auf bürgerliche Langeweile

Doch der Autor will natürlich mehr. Er faltet die ganze neuere Geschichte Brasiliens (zwischen Militärregime, studentischem Aufbegehren, wirtschaftlichem Wildwuchs und galoppierender Inflation) vor uns aus. Er sucht auch in die tieferen Schichten der Mentalität vorzudringen und entdeckt darin eine vital-sprudelnde Mischung aus Schwermut und Leichtsinn.

Die Odyssee der bedingungslos Liebenden erweist sich auch als Zeitreise zu den Ursprüngen des Landes. Mysteriöser Scheitelpunkt der Geschichte ist jenes Traumzeit-Ritual, dem sich Isabel bei einem Schamanen im Dschungel unterwirft. Dessen Magie bewirkt, daß sie und Tristao die Hautfarbe tauschen: Sie wird schwarz, ihr Geliebter weiß und damit vollends karrieretauglich. Die uralten Zauber-Praktiken rufen die Vision einer multikulturellen Gesellschaft hervor, in der einer den anderen aus der Erfahrung seines Lebens heraus toleriert oder sogar liebt wie sich selbst.

All das konnte Updike in der Tat schwerlich mit einer US-Story beglaubigen. Er deutet ja an einer Stelle selbst an, warum er sich auf ein ganz anderes Gelände begeben hat: „Die Banalität, die bunt maskierte Langeweile des bürgerlichen Lebens – sie läßt den Geschichtenerzähler verstummen.“

Und verstummt ist Updike hier sicherlich nicht, ganz im Gegenteil: Phantasie, Sprache und manchmal auch ein etwas hohl tönendes Pathos wuchern in diesem Roman so üppig wie tropische Blüten.

John Updike: „Brasilien“. Roman. Rowohlt-Verlag. 316 Seiten, 42 DM.