Stets ritterlich zu den Schriftstellern – Gesammelte Kritiken und Essays von Sigrid Löffler

Von Bernd Berke

Schon oft hat uns Sigrid Löffler Genugtuung und manchmal auch Vergnügen bereitet, wenn sie mit ironisch oder beleidigt gekräuselten Lippen den Herrschaften Reich-Ranicki und Karasek im „Literarischen Quartett“ des ZDF klug Paroli bot. Nun sind ihre Zeitungs-Kritiken, Glossen, Porträts und Essays als Sammelband erschienen. Gleichfalls ein geistiges Vergnügen?

Zunächst einmal erfährt man aus ihrem Buch einiges übers österreichische Innenleben, von der bedrohlich rechtslastigen „Verhaiderung der Republik“ bis hin zum allffälligen „Kulturkampf“ um Burgtheaterchef Claus Peymann sowie – bester Text im ganzen Buch – dessen im Zorn aus Wien geschiedenen Schauspielerstar Gert Voss.

Autoren wohnen meist sehr schön

Doch damit hat es längst nicht sein Bewenden. Denn Frau Löffler unternimmt etliche schöne Reisen, um ihre Lieblingsautor(inn)en in Augenschein zu nehmen. Sie sucht den empfindsamenKünder Peter Handke in dessen Pariser Domizil auf, jettet zur „Meinungsmaschine“ Susan Sontag nach New York, stattet den Schriftstellerinnen Antonia S. Byatt und Ruth Rendell Visiten in England ab. Beneidenswert.

Gemessen an solchem Aufwand, wirken die Resultate zuweilen etwas brav. Sigrid Löffler will den Verehrten eben nicht wehtun. Einfühlsam schildert sie schon die jeweiligen Wohnungen, so als erwäge sie, sich selbst dort niederlassen. Die etwas geduckte Haltung droht den kritischen Blick zu trüben.

Andererseits entstehen aus der Sympathie einige Porträts, die uns die Autoren wirklich näherbringen. Mehrmals nimmt man sich bei der Löffler-Lektüre fest vor: Von dem oder jener müßtet du doch mal (wieder) etwas lesen. Umso besser, wenn die Ansätze originell sind – wie beim Aufsatz über Martin Walser, der im professionellen und familiären Verhältnis zu seinen vier Töchtern (zwei Schauspielerinnen, zwei Schriftstellerinnen) ungewohnte Seiten zeigt.

Gelegentlich widmet sich Sigrid Löffler auch den vom Literaturbetrieb „vergessenen“ oder sonstwie randständigen Gestalten wie W. G. Sebald oder auch Peter Hacks, der seit der „Wende“ allgemein totgeschwiegen wird, weil er sich höchst verwegen zur alten Ulbricht-DDR bekennt und die Honecker-Ära schon als Niedergang des wahren Sozialismus begreift.

Auf der sicheren Seite

Gern nimmt Frau Löffler Autoren gegen das Gros der bösen Kritik in Schutz, z. B. Günter Grass und Peter Handke. In solchen Fällen wirkt sie geradezu ritterlich. Beinahe unnötig zu sagen, daß sie politisch immer den Aufrechten angehört. Maßvoller Linksliberalismus. der jeden mißverständlichen Zungenschlag sensibel meidet, dazu eine Spur von unverfänglicher Frauenbewegtheit. Mit solchen edlen Grundhaltungen steht sie stets auf der sicheren Seite, ist aber nicht durchweg gegen Anflüge gepflegter Langeweile gefeit. Es fehlt hier und da eine Prise von Provokation, die hellhörig machen würde.

Sprachlich fällt dies auf: Hat sie einmal einen vermeintlich besonders treffenden Ausdruck gefunden, so verwendet Sigrid Löffler ihn hartnäckig und unverwandelt weiter, auch wenn es dann schon mal unschön scheppert. So beharrt sie auf der Charakterisierung „intellektueller Pop-Star“ für Susan Sontag oder reitet auf Lieblingsworten wie „zugange“ und „angesagt“ herum.

Vor Klischees ist sie nicht immer sicher: Da nennt sie Wolfgang Kresnik kurzum einen „Tanz-Berserker“ und verknüpft – in einer Tirade gegen Wegwerf-Journalismus – das Wort „Blattmacher“ sogleich mit „Plattmacher“. Am Zeitmangel lag es nicht: Sie hat die Beiträge fürs Buch überarbeitet.

Doch alles in allem: Sie schreibt meist einen recht lockeren, eingängigen und verständlichen Stil. Das ist bei Kritikern ihres seriösen Ranges wahrhaftig keine Selbstverständlichkeit.

Sigrid Löffler: Kritiken – Portraits – Glossen. Deuticke-Verlag. 271 Seiten, 39,80 DM.