Kunst aus klirrender Kälte – Archäologische Ausstellung über sibirische Waljäger vor 3000 Jahren

Von Bernd Berke

Hamm. Reichlich nachgedunkelt und arg ledrig sieht das Boot aus. Doch es macht einen intakten Eindruck. Denkbar gar, daß es noch für eine Paddelfahrt taugt. Der älteste komplette Kajak der Welt ist Prunkstück einer archäologischen Schau in Hamm und gehörte zur Ausrüstung arktischer Waljäger, die vor 2500 bis 3000 Jahren an der Nordostküste des heutigen Sibirien den Naturgewalten getrotzt haben.

Jagd auf die Großsäuger wurde freilich nicht in solchen Solo-Kajaks gemacht, sondern mit vereinten Kräften in „Siebenern mit Steuermann“. Während einer die Kommandos gab, stießen die anderen Männer mit Speeren und Harpunen aus Walroß-Elfenbein zu. Da werden viele Stiche nötig gewesen sein, bis der Wal erlegt war.

Die tollkühnen Herren hatten denn auch, so vermutet man, riesigen Respekt vor dem Tier und seiner Seele, mit der sie sich nach vollbrachter Tat rituell „versöhnt“ sehen wollten. Die ostsibirischen Ureinwohner jagten nur zum Überlebensbedarf, nicht für schnöden Gewinn wie heutige Fänger – und sie warfen nichts weg. Die Sehnen der Tiere wurden Z.B. zu Bindfäden verarbeitet oder in Bogenschußgeräte gespannt, die Häute dienten zur Abdichtung der hölzernen Behausungen und Boote.

Die meisten Gegenstände bestehen jedoch aus dem Elfenbein der Walroßzähne, das mit Hilfe von Steinwerkzeug bearbeitet wurde. Die rund 370 Fundstücke, die jetzt im Hammer Gustav-Lübcke-Museum zu bestaunen sind, wurden in den letzten Jahren zumeist aus Bestattungsanlagen geborgen. Die Objekte lassen auf ein entbehrungsreiches Dasein der sibirischen Eskimos schließen.

Kein Matriarchat gab’s in der eisigen Zone: Die Frauen blieben damals wohl brav in den Hütten und bereiteten die Mahlzeiten zu. Derweil müssen besagte Wal-Kämpfe für die Männer stets lebensgefährlich gewesen sein.

Magische Praktiken

Hinzu kam just die klirrende Kälte, fast das ganze Jahr über. Davon zeugen elfenbeinerne Schneebrillen und Schlittenkufen. Die Gleiter wurden von Rentieren gezogen.

Offensichtlich übten die damaligen Eskimos, wie bei naturnahen Völkern die Regel, magische Praktiken aus. So jedenfalls deuten Fachleute die vielen phantastischen Tierfiguren, Masken und Verzierungen der Waffen. Rätselhaft die Art der Bestattung: Den Verstorbenen wurden die Köpfe gewaltsam um 180 Grad gedreht, der Rücken wurde gar durchbohrt.

Ganz schmucklos liefen die Menschen auch damals nicht herum. Kämme und Gürtel deuten auf jenes Mindestmaß an Eitelkeit hin, ohne das unsere Gattung seit Urzeiten nicht auskommt.

„Arktische Waljäger in Sibirien vor 3000 Jahren“. Hamm, Gustav-Lübcke-Museum, Neue Bahnhofstraße  – Bis 21. Mai, tägl. (außer Mo) 10-18, Mi 10-20 Uhr. Katalog 38 DM.