Der herbe Charme verfallener Fabriken – Industrie-Fotos von Bernd und Hilla Becher in Münster

Von Bernd Berke

Münster. Ist es Sturheit oder Konsequenz? Seit über 30 Jahren fotografieren Bernd und Hilla Becher immer und immer wieder Industriebauten. Sie werden nicht müde, die Relikte einer versinkenden Arbeitsweit im Bilde festzuhalten.

Ein immenses Werk hat sich angehäuft, aus dem das Westfälische Landesmuseum in Münster – trotz beachtlicher Stellfläche – nur kleine Ausschnitte vorzeigen kann.

Bernd Becher (Jahrgang 1931) ist in Siegen aufgewachsen, ganz nah bei einem Hochofen. Der häßlich-erhabene Anblick hat ihn wohl fürs Leben geprägt. 1957 gab er die Malerei auf, weil er industrielle Motive möglichst emotionslos wiedergeben wollte. Vor-Bilder waren unterkühlt sachliche Fotos, die er in Betriebsbüros gesehen hatte. Seine Frau Hilla (geboren 1935), gelernte Lichtbildnerin, besaß Ausrüstung und technisches Wissen.

Am Aufnahmeverfahren hat sich seither so gut wie nichts geändert. Auch blieb es bis heute bei schwarz-weißen Abzügen, auf daß keine Farbe von Umriß und Gestalt ablenke. Schon der rötliche Schimmer von Mennige auf Stahlgerüsten wäre den Bechers zu bunt.

Es geht also nüchtern zu, wenn sie durch die Industriereviere reisen, um Zechen- und Wassertürme, Fabrikhallen, Hochöfen, Gasbehälter oder Kohlesilos aufs Bild zu bannen. Vieles existiert nicht mehr, anderes verwittert oder dient – schick restauriert – anderen Zwecken. Derlei Verfälschungen interessieren Bernd und Hilla Becher nicht. Sie suchen auch keine Besonderheiten, sondern Durchschnittsbauten.

Internationales Formenvokabular

In Münster sind die Aufnahmen meist zu Sechser- oder Neuner-Serien gruppiert, so daß haarfeine Vergleiche zwischen jeweils ähnlichen Bautypen möglich sind. Hier wird der Blick geschult: Was unterscheidet Siegerländer Fabrikhallen von einem Pendant in Belgien oder in den USA? Gibt es formale Entsprechungen zwischen Werksfassaden in Dortmund und Eisenhüttenstadt? Ja, es gibt sie. Man entdeckt überraschende Gemeinsamkeiten über Grenzen hinweg. Kühles Ingenieurs- und Kommerz-Kalkül schuf ein weltweit gültiges Formenvokabular, das (je nach Region) variiert wurde. Und das Motiv-Spektrum reicht vom herbbrutalen Charme nackter Stahlskelette bis zu reich verzierten Imponier-Fassaden. Auch die Geld-Religion brauchte „Kathedralen“.

Ostdeutsche Industriebauten fehlten bis 1989 im Repertoire der Bechers ganz. So sehr sie sich auch mühten, sie bekamen in der DDR keine Aufnahme-Genehmigungen. Die SED fürchtete sich vor Spionage. Als hätte man dort vorbildliche Fabriken sehen können…

Bernd und Hilla Becher: „Typologien“. Westfälisches Landesmuseum“, Münster; Domplatz. 11. Dezember bis 29. Jan. 1995, tägl. außer Mo 10-18 Uhr. Begleitbuch: 48 DM.