„Noh all dänne Jahre“ – das Abschlußkonzert der Ruhrfestspiele mit BAP

Das war ja mal ein Open Air, wie es im Buche steht. Es regnete, ach was, es schüttete in Recklinghausen wie aus Kübeln beim Abschlußkonzert der Ruhrfestspiele. Trotzdem kann man nicht sagen, dass das Konzert ins Wasser gefallen wäre. Der guten Laune der gut 5000 Besucher des BAP-Konzerts tat das Wetter und die verschlammte Konzertwiese keinen Abbruch. „Gibt ja schließlich kein schlecht‘ Wetter…“ mit dieser Mütter-Weisheit eröffnete Wolfgang Niedecken – auf die Minute pünktlich wie immer – den Abend.

Zwei Stunden lang (mehr war städtischer Vorgaben wegen nicht drin) rockten die fünf BAP-Musiker, verstärkt von der großartigen Geigerin Anne de Wolff, den Hügel. „Sonx“ aus dem sehr gelungenen, neuen Album „Halv su wild“, das textlich und musikalisch ausgefeilt an frühere Zeiten der Band anknüpft, wechselten sich ab mit den bewährten Gassenhauern. Wenngleich diese Stücke seit einigen Jahren neu arrangiert daherkommen, waren es erwartungsgemäß Lieder wie „Do kanns zaubere“ oder „Kristallnaach“, die beim Publikum die größte Resonanz fanden. Ganz zu schweigen von „Verdamp lang her“, dem als Mitgröhllied verkannten Song mit dem eigentlich todtraurigen Text. So endete der Abend und mit ihm die Ruhrfestspiele für die meisten Anwesenden inclusive Band mit dem Gefühl „et war schön, et war jood, am Engk vielleicht doch bissje zu koot“.

Wer jedoch über Jahrzehnte BAP-Konzerte besucht, mit den speziellen Ritualen und Abläufen dieser Gruppe aufgewachsen und vertraut ist, bleibt jedoch mit der Frage zurück „Wirklich alles halv su wild“? Die diesjährige Tournee besteht neben einigen Zusatzkonzerten bei Festivals aus Nachholterminen für die Tour, welche letzten Herbst aufgrund des Schlaganfalls von Wolfgang Niedecken abgesagt wurde. Wer nicht nur „aff un zu“ zufällig auf BAP-Konzerten landet, merkt eindeutig, es ist „Vill passiert sickher“ und leider fast „Nix wie bessher“.

Die Band rettet sich im Laufe eines Konzerts mit auffällig vielen Soli über die Zeit, den zugegeben guten Musikern, die Niedecken in den lezten 25 Jahren um sich geschart hat, wird ein weit größerer Raum als sonst gegeben. Es ist spürbar, dass es ohne deren Unterstützung nicht wirklich gut gehen würde. Es werden kaum noch Balladen gespielt, welche immer einen großen Teil der Bühnenpräsenz des Wolfgang Niedecken ausmachten. Die musikalische Leitung der „Kapelle“, wie Niedecken sein BAP immer nannte, hat er abgegeben, das regelt alles Helmut Krumminga, sein äußerst begabter Gitarrist. Und die Rituale, die sich im Laufe von Jahrzehnten aufgebaut haben? In Recklinghausen war von ihnen kaum etwas zu sehen, in Münster vor einem Monat nur ansatzweise. Natürlich kann das ein gangbarer Weg sein, BAP noch einige Jahre auftreten zu lassen. Aber auch Wolfgang Niedecken muss es sich gefallen lassen, dass man ihm die Frage, ob „Noh all dänne Johre“ nicht auch er „zu alt ist, um auf sich selber reinzufallen“ gleichfalls stellt. Die Vorstellung, dass ausgerechnet Niedecken, dessen Stimme in diesem Land durchaus Gewicht hat, eines Tages entzaubert da steht und sagt „Hätt ich datt bloss paar Daach fröher jewoss“ ist schlicht nicht schön.

Aber wahrscheinlich kann er gar nicht anders. Nicht umsonst wohl hat er sich als einzige Ballade, die er alleine vorträgt, das alte „Für ’ne Moment“ ausgesucht:
„All ming Jedanke, all ming Jeföhle
hann ich – sulang ich denke kann –
immer noch ussjelääf oder erdraare,
en unserer eijne Sprooch.“

Nicht immer machen „Sonx“ unverwundbar, wenn Niedecken das auch noch so sehr beschwört. Wünschen wir ihm, dass der Hoffnungsschimmer, der sich derzeit zeigt, wirklich „funkelnd zeigt, wo’s langgeht“.