Als die alten Chinesen ihre Erfindungen machten – Ausstellung in Hildesheim spannt Bogen über 5000 Jahre

Von Bernd Berke

Hildesheim. Wir wissen nicht, wer Rad und Feuer erfunden hat. Wir wissen aber, wer zuerst Schießpulver und Papier hergestellt hat. Es waren Menschen im alten China. Eine große Ausstellung in Hildesheim zeigt nun, daß die Ostasiaten der übrigen Welt noch auf vielen anderen Gebieten weit voraus gewesen sind.

Kein Jahr ohne opulente China-Schau. Wenn Dortmund schon mal keine zeigt (wie 1990 und 1993), springen eben andere ein. „China – eine Wiege der Weltkultur“ heißt die Präsentation im Roemer- und Pelizaeus-Museum. Sie ist den Dortmunder Highlights an Bedeutung ebenbürtig, konzentriert sich aber nicht auf eine Epoche wie etwa die Tang-Dynastie, sondern spannt den Bogen vom Neolithikum bis ins 19. Jahrhundert. Mit rund 300 Exponaten aus einem Zeitraum von 5000 Jahren werden Resultate der ungeheuren chinesischen Erfindungsgabe vorgeführt.

Auch Papiergeld hielten zuerst Chinesen in den Händen. Auf einem ausgestellten Schein wird etwaigen Fälschern ausdrücklich mit Enthauptung gedroht. Die alten Chinesen waren nicht nur Urheber des Papiers, sondern auch – lange vor Gutenberg – des Druckes mit beweglichen Lettern. Sie haben nicht nur als erste Porzellan produziert, sondern auch Lack und Seide. Fast nebenbei setzten sie auch noch Maßstäbe in der frühen Medizin und der Astronomie. Außerdem waren sie wagemutige Seefahrer, die alsbald zu großen Entdeckungsreisen aufbrachen. Aus all diesen Bereichen hält Hildesheim etliche Kostbarkeiten bereit.

Verblüffend praktische Alltagsdinge

Doch nicht nur Großtaten sind zu preisen. Die Ausstellung enthält auch verblüffend praktische Alltagsdinge, etwa jene rundum vergoldete Dienerinnenfigur. (ca. 150 v. Chr.) aus der Han-Dynastie, die als Palast-Lampe fungierte und.im berühmten Grab der Fürstengemahlin Dou Wan gefunden wurde. Der Lampenruß wurde in den Arm der Dienerin geleitet und verschmutzte daher nicht den Raum.

Frappierend auch jene mannshohe Figur (Ming-Dynastie, um 1443), an der sich Lehrlinge der Akupunktur übten. Der bronzene Modellmensch ist mit numerierten kleinen Löchern übersät. Er wurde mit Wasser gefüllt und sodann gänzlich mit Wachs überzogen, so daß man die Stellen nicht mehr sehen und die Flüssigkeit nicht austreten konnte. Der Akupunktur-Nachwuchs mußte nun unter dem strengen Blick der Lehrer zustechen. Nur wenn die richtigen Punkte getroffen wurden, rann Wasser aus der Figur. Solche Prüfungen müssen ziemlich spannend gewesen sein.

Goldfäden und Doppel-Phallus

Prachtvollstes Schaustück ist wohl das Grabgewand besagter Fürstin Dou Wan. Es besteht aus über 2000 Nephrit-Plättchen (eine Art Jadestein), die von feinen Goldfäden zusammengehalten werden. Das hervorragend erhaltene Gewand hüllte die Verstorbene wie ein Schuppenpanzer ein und sollte ihr ein Fortleben im Jenseits garantieren. Im Grab ihres Gatten Liu Sheng fand sich auch Frivoles: der Doppel-Phallus aus Bronzeblech mag, wie der Katalog erwägt, schon dem Lebenden als Requisit beim Liebesspiel gedient haben. Als Grabbeigabe erlangte das Stück symbolisch-rituelle Funktion.

Bereits in Dortmund konnte man über Spontaneität und Alltagsnähe des Kunsthandwerks zumal aus der Tang-Dynastie staunen. In Hildesheim ist’s nicht anders.

Altchinesische Kaisergräber bergen unterdessen noch ungeahnte, seit Errichtung nie gesehene Schätze. Nicht einmal zu Maos Zeiten, weiß Hildesheims Museumsleiter Prof. Arne Eggebrecht, haben sich Archäologen ins Innere gewagt. So machtvoll wirkt die Ehrfurcht vor den Jahrtausenden.

„China – eine Wiege der Weltkultur“. Roemer- und Pelizaeus-Museum, Hildesheim (Tel.: 05121/93690). Ab Sonntag, 17. Juli., bis 27. November 1994. Eintritt 12 DM. Täglich (auch montags) 10-18, donnerstags 10-20 Uhr. Katalog 65 DM.