Wohin geht die musikalische Reise?

Vorneweg: Das Zweifeln hat mit dem Verzweifeln nicht mehr gemein als ein paar Buchstaben. Beim ersten kratzt man sich am Hinterkopf, beim zweiten schlägt man die Hände vor der Stirn zusammen. Wenn es jedoch um Phänomene geht wie zum Beispiel Populärmusik, da ergeben sich Schnittmengen, welche heute (also im beginnenden 3. Jahrtausend nach christlicher Zeitrechnung) durchaus hilfreich sein könnten, wenn nicht sollten – um dem Planeten Erde entscheidende Impulse zu „geben“.

Das Fallbeispiel „Easy Listening“ wurde innerhalb kurzer Zeit abgehandelt und als sarkastisches Füllsel zwischen einerseits den Genres PopRock und DiscoHouse, andererseits Schlager und Underground optimal zur Geltung gebracht. „Violently Happy“. Björk wusste, wovon sie sang.

Nun war es eine zeitlang gut so. Die Hardcore-Tekknos gingen zwar genauso ihre eigenen Wege wie die paar übrig gebliebenen Metaller, doch die vernünftigen Spezialisten spürten: „groove is in the heart“. Das war der nachträgliche Soundtrack zum Mauerfall und die Hoffnungshymne auf ein friedliches Miteinander, und alle waren eingeladen. Und jeder sollte sein Bestes geben dürfen.

Dann kam Chirac auf die Idee, im Muruoraatoll Atombombentests durchzuführen. Die Love Parade erlebte ihre Hausse und weil aus der Punkrock- Ecke nichts mehr kam, war es schon bemerkenswert, daß Neil Young mit Pearl Jam auf Tour ging. Der Gitarrensound war in der Krise. Man ahnte, dass erstmal der Britpop federführend sein würde. Aus Frankreich selbst war zunächst Daft Punk erwähnenswert in Erscheinung getreten, in Fußstapfen von Talking heads, Zappa, Vangelis, sprich: irre… Kurz drauf kam AIR, und die möchte ich nicht beleidigen, wenn ich sie als Schülerlotsen der Politikverdrossenheit bezeichne, weiß aber noch gut, wie es mir auf einem ihrer Konzerte erging…Muruora! Und das obwohl in keiner Weise darauf angespielt wurde. Man kann es als große Kunst bezeichnen.

Große Kunst, was wäre es heute? Seit geraumen zwei Jahrzehnten wird ein Revival vom nächsten abgelöst, House und Techno sind zurückgekrochen in ihre Dunkelkammern…auf was dürfen wir gespannt sein? Selbst vom afrikanischen Kontinent kommt nichts, aus Asien schon gleich gar nichts, Südamerika…das war auch so eine Phase, um 2005 rum, als Bossa und Samba getanzt wurde (wo?).

Es gibt aber Anlass zur Hoffnung!

Es gibt das Label Arts&Crafts

Und langer Rede kurzer Sinn,

es gibt die „Broken Social Scene“…

Und Max Raabe hat seine Anhänger nicht von ungefähr.

Auf dieser CD von "Broken Social Scene" ist der Titel "Churches under the stairs" zu finden




Wege zur Musik: „The Feelies“

„Was wird das denn jetzt?“ Wohl an kaum eine zweite Situation, in der mir mein musikalischer Ziehvater eine Schallplatte vorstellte, kann ich mich genauer erinnern, als eben jene, in der er „The Feelies-Crazy Rhythms“ aus der Reihe zog.

Er hatte kein Regal, ging jedoch seit jeher äußerst pfleglich mit seiner Woche um Woche um fünf Scheiben (mindestens) wachsenden Sammlung um. Mit 16 Jahren hatte er es damit schon auf gut eineinhalb Meter Musik gebracht, und sein Spektrum war klar definiert. Wir kannten uns erst ein paar Monate, es war die Zeit von Dischord, Rough Trade und SST, noch lang kein Nirvana in Sicht, obgleich das Album „Bleach“ auf dem Markt  war und natürlich schon seinen Platz in Mikes Reihe hatte. Da waren die „Minutemen“ und die neuformierten „fIREHOSE“, da waren auch Jugendsünden wie „Die Kreuzen“, doch über „NoMeansNo“, „The Descendents“, „The Silos“ reichte es hinüber bis zu den „Fellow Travellers“. Alles interessant und für einen Jungspund wie ihn erstaunlich stilsicher. Ich selbst war immer musikinteressiert, doch wusste lang nicht wohin, so war meine Herangehensweise eher die eines Geschichtsstudenten…Beatles, Cat Stevens, auch Melanie…

Doch geht es hier nicht um Namedropping, es geht zunächst um diesen Moment, als er wie üblich die Platte samt Cover aus der mit der Öffnung nach hinten zeigenden Schutzhülle, dann die eigentliche Platte aus dem Cover nahm, welches er mir zur genaueren Betrachtung reichte und den Tonträger selbst sorgsam auf den Drehteller legte…

Das Cover, vier Nerds, für die der Begriff noch nicht gefunden war, nachkoloriert wie eine Postkarte aus Reit im Winkl die im Rathauscafé hing… „Was wird das jetzt?“

Der einzig halbwegs stimmige Vergleich in Sachen Schallplatte, der mir einfällt: „Pat Boone-40 greatest hits“ und der Song „Speedy Gonzales“, den ich meinem leiblichen Vater verdanke, da war ich 5 oder 6 Jahre alt. Und das einzig zutreffende Adjektiv lautet schrill. Und dann: Euphorie!

Denn was kam, das war ein formvollendetes Arrangement, wie ich es noch nie gehört hatte, woher auch? Ein dermaßen hibbeliger Sound, Percussions, die an Stellen der Hirnrinde anschlugen, die ich vorher nicht kannte, ein sich überlagenderer Gesang, der mich willfährig zu abnormen Bewegungen zwang, zwischen Spasmen und Eurythmie, nah am epileptischen Anfall.

„Was es wurde?“: „Loveless Love“ – und eine nicht endend wollende Odysse über Flohmärkte.

Auf den Gedanken zu fragen, ob es noch mehr Musik von denen gab, kam ich erst gar nicht, denn diese Erweckung war Erfüllung zugleich.

Doch Mike war ein guter Ziehvater und nach geraumer Zeit machte er mich vertraut mit „The Good Earth“ und „Only Life“. Eine Ernüchterung, doch wohl vorbereitet, ich hatte mir inzwischen etwas an theoretischem Unterbau angeeignet, und für zärtlicheren Wahnsinn mein Ohr geöffnet bekommen. Punk Rock muss nicht verzerrt sein, das Tempo nicht immer furioso (was schließlich für mein heutiges Dafürhalten die zentrale Aussage der „Crazy Rhythms“ darstellt).

Wer mit den Feelies vertraut ist, kann meine Vermutung, die Jungs hätten sich mit ihrem Debutalbum die Hörner aber sowas von ordentlich abgestossen, dass sie es fortan etwas ruhiger angehen mussten, hoffentlich nachvollziehen und eventuell bestätigen, auch wenn das grandiose side-project „Yung-Wu“ Argumente liefert, dies zu wiederlegen. Da kommen sie wieder, die sägende Gitarre, die klackenden Percussions, die man eher im Rumba gewohnt ist, der zersetzende Heulgesang – doch eben gereifter, elegischer.

Mike und Ich haben eine ähnlich lange Pause hinter uns. Vor ziemlich genau 19 Jahren haben wir zuletzt auf mehr oder minder ernstzunehmende Weise zusammen musiziert, unsere Wege führten zwar noch bis vor kurzem Parallelen, doch die Verlockungen der Großstadt mit der einhergehenden Problematik, dort einen vernünftigen Proberaum zu finden, ließen es nicht zu, weiter an eigenen Beiträgen zur Musikgeschichte etc. etc. PP

Aber man trifft sich. Und das Interesse ist geblieben. Und so war mein „Ach was!“ ein durchwegs positives, als er mir unlängst steckte, in ein paar Tagen stehe sie im freien Verkauf, und er sei schon bei VoPo Records gewesen (Berlin, Danziger Str.), und ja, dort würde er sie bekommen… Und so war ich doch sehr gespannt, auf die vor knapp einem Monat herausgebrachte vierte Scheibe von „the feelies“.

Dank Internet und den einschlägigen Plattformen konnte ich mir http://www.bar-none.com/the-feelies.html zur Probe anhören… Haben will ich sie, sowieso, doch konnte ich meine Ungeduld beruhigen, denn hier in Augsburg schlugen alle Versuche fehl, die Platte beim Fachhändler zu erstehen. Bestellen werde ich sie nicht. Ich möchte sie auf den Ladentisch legen, bar bezahlen, auf dem Weg nach Hause kurz in einem Café halt machen, schön schattig, die Platte in einer knisternden Plastiktasche mit beiden Händen sichernd einen Pernod genießen..und zur blauen Stunde dann das gute Stück von vorn bis zum letzten Ton auskosten…ein schöner Grund, mal wieder an die Spree zu reisen. Ist eine Prozession das Gegenteil einer Rezession? Ich freu mich drauf!

(Bild: Cover des Feelies-Debütalbums „Crazy Rhythms“)