Eine Instanz wird geschlossen – Nach 23 Jahren nimmt Dieter Hildebrandt Abschied vom „Scheibenwischer“

Bernd Berke

Ein wenig ist der Abschied vergiftet, wenn Dieter Hildebrandt heute zum letzten Mal den satirischen „Scheibenwischer“ (ARD. 21.00 Uhr) surren lässt. Gern hätte er einen nahtlosen Übergang zu einer vergleichbaren Nachfolge-Sendung gehabt. Doch „die Herren von der ARD“, so Hildebrandt etwas verbittert, hätten dies nicht gewollt.

Statt dessen möchten sie so altgedienten Hildebrandt-Mitstreitern wie Mathias Richling oder Bruno Jonas eine Pilotsendung abverlangen; ganz so, als müssten die den Beweis ihres kabarettistischen Könnens erst noch erbringen. Doch nicht um Fähigkeiten geht es beim geplanten Test, sondern allemal um die Einschaltquote. Wer weiß, ob ohne Hildebrandt auch noch rund 3 bis 4 Millionen Zuschauer dabei sein wollen.

Die große Zeit des TV-Kabaretts ist ohnehin vorüber

Die große Zeit des TV-Kabaretts dürfte ohnehin längst vorüber sein – jene Jahre etwa, als die Zuschauer noch keine Alternative zum Ersten Programm hatten und Hildebrandt mit der „Lach- und Schießgesellschaft“ wahre Straßenfeger-Quoten erzielte. Der „Scheibenwischer“, der (wie das Vorbild am Auto) auch bei widrigen Verhältnissen die Sicht freihalten und rasch für Klarheit sorgen soll, hat etliche aufklärerische Verdienste.

Im oft kurzatmigen Fernsehen darf dies als kleine Ewigkeit gelten: Seit 23 Jahren ist die Sendung im Programm und hat immer mal wieder für heftigen Unmut gesorgt, besonders in konservativen Kreisen. Reiz-Stichworte waren z. B. Nachrüstungsbeschluss, Tschernobyl und Rhein-Main-Donau-Kanal.

Als es noch richtige Feindbilder gegeben hat

Legendär wurde der Spruch des einstigen CSU-Vorsitzenden Strauß, Hildebrandt betreibe „Giftmischerei“. Politische Feindbilder solcher Prägung, auf die man mit Worten trefflich zielen konnte, gibt’s heute nicht mehr. Also arbeitet sich selbst ein Hildebrandt heute oft etwas mühselig an den unübersichtlichen Zeitläuften ab. Die Konkurrenz zur politisch oft reichlich bedenkenlosen Comedy kommt erschwerend hinzu.

Hildebrandt (75) ist dennoch zuversichtlich, was die Zukunft seines Metiers angeht. Landauf landab gebe es viele beachtliche Kleinkunstbühnen. Auch wenn manche Fernseh-Chefs Kabarett lieber auf Nachtschienen rangieren würden, sei die Gattung vital.

Im Fernsehen, so Hildebrandt kürzlich in einem Interview, gehe allerdings Bühnenflair verloren: „Das Glitzern im Auge sieht man über den Schirm nicht.“ Dafür sieht Hildebrandt nicht, wie wohl so mancher Zuschauer heute etwas feuchte Augen bekommt. Kleiner Trost: Am 2. Oktober soll’s noch eine Sonderausgabe geben.

Und nun sind wir gespannt, welche Themen und Figuren sich Hildebrandt heute vorknöpft und wem er sein letztes Solo widmet. Mach’s nochmal. Dieter!




Mitten hinein in ein strahlendes Hier und Jetzt – ein aufregendes Konzert der „Go-Betweens“ in Köln

Von Bernd Berke

Köln. Also gut, lassen wir gleich den Superlativ-Hammer niedersausen: Robert Forster und Grant McLennan sind das beste Songschreiber-Duo seit den seligen Beatles-Zeiten von Lennon und McCartney. Wie bitte? Wer? Nun, die beiden Australier haben 1978 die Formation „The Go-Betweens“ gegründet, welche sich in wechselnden Besetzungen schon damals heimlichen Kultstatus sicherte.

Die zwei sind in den 90er Jahren getrennte Wege gegangen und haben anno 2000 wieder zusammengefunden. Seither steht man mit seinem Lob und Preis längst nicht mehr allein da. Die beiden Frontleute (jeweils Gitarre und Vocals) sind enorm gereift, doch nirgendwo erstarrt. Und eigentlich müssten ihre Ohrwurm-Songs wie „Surfing Magazines“, „Caroline and I“, „Magic“ oder „Make Her Day“ die Charts anführen.

Hochintelligent und auch textlich ausgefeilt

Schon jeder für sich hat exzellente Ideen, doch gemeinsam sind sie so ziemlich unschlagbar. Vor einer treuen Gemeinde aus ganz NRW gaben sie jetzt im Kölner Kulturzentrum „Kantine“ ein wahrhaft hinreißendes Konzert, vornehmlich mit einem Mix aus ihren frischesten CDs „The Friends of Rachel Worth“ und „Bright Yellow Bright Orange“, aber auch mit aufpolierten Klassikern wie „Bachelor Kisses“. Resultat: reichlich zwei Stunden mit etlichen Glücksmomenten. Selbst nach vier Zugaben hätte man am liebsten noch mehr Nachschlag bekommen.

Bei dieser hochintelligenten, auch textlich ausgefeilten Pop-Musik mit ihren durchaus eingängigen Rhythmen und doch subtilen Harmonien stehen gar manche Pate, die uns lieb und wert sind: Bob Dylan muss genannt werden, aber auch Beach Boys und Byrds und nicht zuletzt Lou Reed. Zwei Gitarren, Bass und Schlagzeug. Mehr braucht man im Grunde seit jeher nicht. In dieser klassisch-aufrichtigen Besetzung treten sie an. Der schlaksige Forster ist ein skeptisch-intellektueller Typus mit leicht verschrobener John-Cleese-Aura. („Monty Python“-Fans wissen Bescheid). Er sorgt wohl in erster Linie fürs Verhangene in Moll, für sanfte Bruchlinien und exquisite tonale Zwischenlagen.

Als Songschreiber kaum zu übertreffen

Das allein wäre prächtig genug. Doch nun geschieht das Wunderbare: Sobald Forster zu Bedenklichkeit tendiert und zu zögern droht, drängt ihn McLennan voran und immer voran – mitten hinein in ein strahlendes Hier und Jetzt. Dann erklingen glasklare Refrains mit fast kindlich anmutendem Optimismus; Hymnen, die einem nicht wieder aus dem Kopf gehen. Es ist keine blinde Zuversicht, die sich herrlich freie Luft verschafft, sie ist der Traurigkeit, dem Zweifel und der Düsternis abgewonnen. Mal betrübt, mal jubilierend – das volle Leben.

Weiterer Termin: 15. Mai, Bielefeld („Forum“)




Patrice Chéreaus Huldigung an die Worte – festliche „Phädra“-Inszenierung zur Eröffnung der RuhrTriennale

Von Bernd Berke

Bochum. Das Wort klingt ja nicht so schön, doch die Eröffnung der RuhrTriennale in der Bochumer Jahrhunderthalle war fürs Revier ein, nun: ein wahres „Event“. Oder halt ein Ereignis. NRW-Ministerpräsidenf Steinbrück und Kulturstaatsministerin Weiss nahmen ebenso in recht knapp bemessenen Sitzschalen Platz wie etwa WDR-lntendant Pleitgen oder auch TV-Plauderer Biolek.

Frankreichs gepriesener Theater- und Filmregisseur Patrice Chéreau, seit seinem Bayreuther „Ring“ (1976) eine Leitfigur der europäischen Szene, gastiert mit seiner Inszenierung von Jean Racines Tragödie „Phèdre“ (Phädra). Der Produktion des Pariser Odéon-Theaters eilt ein Ruf wie Donnerhall voraus.

Ein antikes Portal (ansonsten radikal schmucklose Bühne: Richard Peduzzi) genügt, um in der riesigen Halle eine altgriechische Szenerie zu beschwören. Die Darsteller agieren zwischen zwei Zuschauerblöcken. Man fühlt sich unversehens in eine Polis versetzt, auf einen Platz, wo Schicksale von öffentlichem Interesse verhandelt werden. Chéreau hat das 1677 (zur Barockzeit Ludwigs XIV.) entstandene, strikt moralische Stück auf seine antiken Quellen zurückbezogen, hat ältere Schichten freigelegt wie ein Archäologe. Und siehe da: Am Anfang war das Wort!

Seit Lessings berühmtem Verdikt gelten die französischen Klassiker Corneille und Racine hierzulande als steif und blutleer. Lange sind sie für uns hinter Shakespeares leidenschaftlichem Welttheater nahezu verschwunden. Doch die kunstreich gereimten Alexandriner der „Phädra“ klingen in Chéreaus textdienlicher Zurichtung lebendig und seelenvoll, wobei die strenge Form letztlich gewahrt bleibt. Zudem lässt die französische Sprache (per Kopfhörer gibt es eine taugliche Synchron-Übersetzung) weiten Raum für Pathos.

Aus weiter Ferne so nah rücken uns somit die ebenso prägnant wie dezent gewandeten Gestalten (Kostüme: Moidele Bickel): die Königsgattin Phädra (gesättigt mit Leiden: Dominique Blanc), welche ihren Stiefsohn Hippolyte (Eric Ruf) liebt, der wiederum der gefangenen Fürstin Aricie (Marina Hands) zugetan ist. Die rasende Rache des Königs Theseus (Pascal Greggory) wird fürchterlich sein.

Lichtkegel folgen den Figuren wie göttliche Rest-Illuminationen. Immer wieder blicken die Protagonisten entgeistert, Haare raufend zum Götterhimmel, dabei wohnt doch die Zerrissenheit längst in ihrer eigenen Brust. Liebe scheint eingezäunt in rigide Regeln, weshalb man über sie in Kategorien des Kampfes und der Überwindung denkt.

Dies ist eine Huldigung an die Worte. So stark und wirksam sind sie, dass sie allein es immer wieder vermögen, die Leiber zu magnetisieren, zu beugen, herumzureißen. Sprache kommt dermaßen klar, rein und wuchtig zur Geltung wie nur selten. In gewisser Weise hat man hier einen mächtigen Gegenentwurf zum in Deutschland oft üblichen Körper-Theater mit allerlei Deutungs-Mätzchen. Ob man es immer so haben möchte, ist eine andere Frage.

Chéreau und sein großartiges Ensemble zeigen uns mit hochlöblicher Sprechkultur ein Stück des Verschweigens und der abgerungenen Geständnisse, beides mit auswegloser Tragik beladen: Reden heißt bereits irren, Schweigen bereits ein Übel zulassen. Und die Worte scheinen schmerzvoll einem Urgrund der Sprachlosigkeit zu entsteigen.

Zurück ins Jetzt: Die Jahrhunderthalle, deren gläserne Front an ein Flughafenterminal gemahnt, erweist sich als rechter Ort fürs Abheben mit Bühnenkunst. In diesem Falle ist es großes, denkbar würdiges Festtagstheater, keines für alle Stunden.

Weitere Termine: 3., 4.. 7., 8., 9., 10. und 11. Mai. Karten-Hotline: 0700 / 2002 3456.

 




Mit Ross und Reiter auf der Formensuche – Ruhrfestspiel-Schau über Marino Marini

Von Bernd Berke

Recklinghausen. Mit seinen zahllosen Ross- und Reiterfiguren hat er ehedem so manche Schulbuchseite geschmückt. Offenbar war dem Werk des italienischen Bildhauers Marino Marini (1901-1980) etwas Gefälliges und Verträgliches eigen.

In der Kunsthalle Recklinghausen, die jetzt einen Marini-Überblick als Ausstellungs-Beitrag zu den Ruhrfestspielen offeriert, finden sich gleichfalls etliche Beispiele für derlei harmonischen, allseits genehmen Sinn. Die Präsentation hat über weite Strecken etwas vom spröden, verblassten Charme der 1950er Jahre. Man mag das auf zweierlei Weise bewerten: Hat Marini den damaligen Zeitgeist zuinnerst erfasst, oder gelangte er nicht über dessen Grenzlinien hinaus?

Die Schau ist mit 120 Arbeiten bestückt. Die Bronze-Skulpturen, Zeichnungen und Gemälde stammen überwiegend aus dem Nachlass, der in Marinis Geburtsort Pistoia verwahrt wird. Hie und da wird ein Hang zu sperrigen, sich tendenziell auflösenden Formen des Zerfalls sichtbar – eine verkannte Seite Marinis.

Spektrum umfasst nur wenige Motive

Dieser Künstler hat sich zeitlebens auf wenige Themenfelder beschränkt. Mit Porträts, Akten, Reiterdarstellungen und Gauklern ist sein Spektrum nahezu erschöpft. Diese Figurationen hat er allerdings unermüdlich durchbuchstabiert. Allein die Vielfalt der Oberflächen-Strukturen, über die das Licht immer wieder anders gleitet, ist frappant.

Ästhetisch auf den alten Spuren der Etrusker wandelnd, drang der Toskaner immer wieder zu urtümlichen Formfindungen vor, die gleichzeitig den Geist traditionsgebundener Moderne atmen. Man findet hier beispielsweise das allgegenwärtige Pferd mitunter äls recht gerundetes Abbild der Natur, doch auch als zeichenhaftes Wesen, als Essenz. Abgemagerte, ja nahezu skelettierte Tiere, im steilen Sturze begriffen oder schon zu Boden gesunken, könnten auf eine skeptische (doch nie verstörende) Weltsicht hindeuten. Giacomettis dürre Gestalten sind hier ziemlich nahe.

Nennenswerten Widerstand gegen Italiens Faschisten hat Marini zwar nicht geleistet, er durfte lehrend tätig bleiben. Doch er hat sich auch nicht vereinnahmen lassen. Vielleicht waren die Etrusker sein Fluchtpunkt aus der Gegenwart. Der Versuch, über den Zeiten zu stehen.. .

Abstraktion ist kein Königsweg

Vor allem in den 50er Jahren genoss Marini dann weithin ausstrahlenden Ruhm, er galt damals als einer der größten Plastiker neben Henry Moore und Alberto Giacometti. Wohl auch deshalb saßen ihm für Porträtbüsten Kulturgrößen wie etwa Marc Chagall, Oskar Kokoschka oder auch Henry Miller Modell. In der Reihung wirken diese Köpfe nun so, als habe Marini die Physiognomie des Künstlertums an sich ergründen wollen.

Was von heute aus gesehen vernünftig anmutet: Die Abstraktion war nie Marinis höchstes Ziel. Sie ist nur eine Möglichkeit, kein Königsweg. Gelegentlich hat Marini ihre Ränder gestreift. Auch in diesen Gefilden ließ er sich von Naturvorbildern leiten. Er hat den Pfad des Gegenstands nie ganz verlassen.

Marino Marini. 4. Mai bis 22. Juni. Kunsthalle Recklinghausen (am Hauptbahnhof). Di-So 10-18 Uhr. Katalog 19 Euro.




Am Ende haben sich alle recht lieb: Klaus Pohls „Seele des Dichters – Unheimliches Lokal“ in Bochum uraufgeführt

Von Bernd Berke

Bochum. Das Bühnenbild besteht aus Stapelware: Überall türmen sich Kästen einer in Bochum gebrauten Biermarke, die denn im Verlauf des Abends auch schon mal geordert wird. Wie ein bleicher Mond hängt über dieser Szenerie eine Echtzeit-Uhr, die anzeigt, wie die dreistündige Aufführung verrinnt.

Derweil geht es in Klaus Pohls Stück „Seele des Dichters – Unheimliches Lokal“, das jetzt in den Bochumer Kammerspielen uraufgeführt wurde, um Gott und die Welt, um Dichtung und Wahrheit, Theater und Revolte, um Macht, Ohnmacht und Beziehungskram. Sprich: Es geht vorderhand um alles und letztlich um nichts.

Der Bilderbogen rauscht ziemlich folgenlos vorüber

Ein schier unüberschaubares Vielerlei wird da vor uns ausgebreitet – ganz so, als ergötze sich das Theater selbstgenügsam am eigenen Vorhandensein, am puren Plappern und quirligen Treiben. Da lässt man eben den wortreichen, farcehaften, oft etwas naiven Bilderbogen halbwegs amüsiert an sich vorüberrauschen. Wenn’s vorbei ist, ist’s aber auch gut.

Der Stücktitel, den der erfahrene Dramatiker und Schauspieler Pohl („Das Alte Land“, „Karate-Billi kehrt zurück“) gewählt hat, soll angeblich bei Arthur Schnitzler entlehnt sein, doch das macht nichts. Bedeutsamer ist der Umstand, dass es sich um einen Auftragstext für die alljährliche Produktion mit Bochumer Schauspielschülern handelt. Die durften munter Ideen liefern, und Pohl hat offenbar den jungen Leuten nichts verwehren wollen. Also hat er wohl nur wenig aussortiert, hat dies und jenes verwertet, um etliches „Spielfutter“ zu liefern. Eigentlich ein sympathischer Zug. Doch dann hat er auch noch selbst Regle geführt, so dass es gar keine rechte Kontrollinstanz mehr gab.

Kapitalistischer Einpeitscher der Kistenstapler-Brigaden

In der ortlosen „Kistenstadt“ konkurrieren zwei seltsame Kulturschaffende um Konzepte und Weiber – der Baumeister Caspar Neuhauser (aha, aha – man soll an Kaspar Hauser denken!) und der dichtende Kistenstapler Alexander Polti. Zum Panoptikum zählen außerdem der versoffene Ex-Priester Volker (typischer Flachatmungs-Gag: „Wir sind das Volk“ – „Und ich bin Volker“), eine Spanischlehrerin, ein schüchterner Spielzeugverkäufer, ein Mann ohne Schottenrock, eine sangesfreudige Serviererin im „Seelen“-Lokal, eine Schauspielerin und vor allem zwei feindliche Brüder: Zunächst beherrscht der schmierige Claus Rotter als Megaphon-Einpeitscher die Kistenstapler-Brigaden. Merke: Unter seiner Kapitalisten-Knute welken alle Träume dahin. Mit einem absurd-listig herbeigeführten Börsencrash wird er entmachtet, es bricht gar eine groteske Revolution aus. Auch wird das orgienfeindliche Alkoholverbot aufgehoben. Hernach, unter dem aus der Verbannung zurückgekehrten Bruder Peter Rotter, der sich vom Melancholiker zum Theatergründer und Impresario mausert, läuft’s anders.

Die langwierige Szenenfolge soll wohl (oh, Frevel!) ein wenig an die Theaterproben der Handwerker aus Shakespeares „Sommernachtstraum“ erinnern, doch hier heißt es: Spektakel an die Macht, circensisches Vergnügen, bis die Schwarte kracht. Ein wüstes Rap-Musical auf Mozart-Basis wird da ellenlang geprobt, bei dem ein weiblicher Don Giovanni die Männer reihenweise vergewaltigen soll. Peter Rotter stammelt immer wieder begeistert das Motto: „Raubvögeln! Schweinegut!“ Ziemlich frei flottieren da die Sinnbezüge, und am Ende haben sich alle irgendwie lieb.

Beachtliche Jung-Schauspieler retten Larifari-Text

Und die Darsteller? Nun, wenn sich die Profile mancher Figuren nie so recht schärfen wollen, liegt dies eher am Larifari-Text. Die Schauspieler agieren achtbar bis beachtlich. Besonders auffallend: Nora Jokosha als Claus Rotters schnippische, den lesbischen Lüsten zuneigende Gattin Lou und der schelmische Peter Luppa als Peter Rotter.

Auch die Anderen haben Beifall verdient, wenn auch nicht so frenetisch, wie ihn zur Premiere die Freundes-Fanclubs spendeten. Klaus Pohl bekam indes ein paar Buhs zu hören. Auch da in man kaum widersprechen. Schwer vorstellbar, dass weitere Bühnen sich zum Nachspielen drängen.

Termine: 15., 20. April, 7, 31.. Mai. Karten: 0234/3333-111.




Wege und Irrwege zum „Ich“ – Siegener Museum gibt weitere Einblicke in die Schürmann-Sammlung

Von Bernd Berke

Siegen. Eine Ausstellung muss nicht immer mit hundert oder mehr Exponaten aufwarten, um Bedeutsamkeit zu erlangen. Konzentrierter geht’s auch. So wie jetzt in Siegen.

Im Museum für Gegenwartskunst spürt nun eine kleine Schau einigen Strategien, Ritualen und Irrwegen der Identitätsbildung nach. Die Arbeiten von vier Künstlern repräsentieren abermals einen Ausschnitt aus der reichhaltigen Sammlung Schürmann, deren Facetten das Haus am Unteren Schloss immer mal wieder auffächert. Auch andernorts (Ostwall-Museum in Dortmund) pflegt man Teile dieser Kollektion.

In Siegen wahrt man den Proporz: zwei Künstlerinnen, zwei Künstler; zwei in den 40er, zwei in den 60er Jahren Geborene. Ein Geschlechter- und Generationen-Vergleich.

Konfrontiert mit 60 leblosen Puppengestalten

Die spektakulärste Installation stammt von Zoe Leonard (geboren 1961 in New York) und heißt „Mouth open, teeth showing“ – etwa: Mund auf, Zähne zeigen! Derlei Mimik kann freundlichen, aber auch zornigen Beiklang haben. Jedenfalls stehen dem Besucher 60 Puppen gegenüber, die meisten niedlich, manche grotesk. Geordnet sind sie nach strengem Raster, also gar nicht individuell. Doch beim Gang durch ihre Reihen nimmt man Unterscheidungs-Merkmale wahr. Gleichzeitig erweisen sie sich beim näheren Hinsehen umso deutlicher als leblose Puppengestalten. Ein flirrendes Spiel mit der Identität also, die sich mal festigt, mal verflüchtigt.

Natürlich geht es dabei auch mal wieder um spezifisch weibliche Selbstfindung. Etliche Puppen (vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis heute, in allen denkbaren Be- und Entkleidungszuständen) haben „spielerisch“ das Selbstbild vieler Mädchen mitgeprägt. Gebrauchsspuren zeugen von täglicher Zuwendung. Andere Exemplaren sind Sammlerstücke für Erwachsene, was weitere Fragen aufwirft: Vielleicht sollten diese Puppen seelische Defizite mildern?

Frühere Identität in drei Pappkartons

Paul McCarthy (geb. 1945 in Los Angeles) hat, derweil seine (frühere) Identität als Künstler „eingemottet“: In drei Pappkartons („The Three Boxes“, 1984) lagern 101 Video-Bänder mit Aufnahmen seiner frühen PerformanceAuftritte. Die Magnetspur ist mittlerweile fast unbrauchbar, zudem gibt es die passenden Alt-Geräte kaum noch. Melancholisches Fazit: Das frühere Dasein ist in mehrfacher Hinsicht museumsreif.

Sylvie Fleury (geb. 1961 in Genf) hat aus britischen Frauenzeitschriften Sprüche derBeauty-Werbung aufgeklaubt und präsentiert sie in großer Schablonenschrift auf hautfarben grundierter Wand. Spürbar wird, wie aggressiv solche Reklame die weibliche Selbstwahmehmung lenkt.

Schließlich Franz West (geb. 1947 in Wien). Vier filigrane, rostig anmutende Stühle, auf die man sich kaum zu setzen wagt, stehen vor einem Bildschirm. Da wird gezeigt, wie man mit zwei nebenan auf Sockeln liegenden Gips-Objekten umgehen könnte. Anfassen erlaubt, spielerisches Abweichen vom „Vor-Bild“ erst recht. Ein kleiner Befreiungsakt auf dem Weg zur eigenen Identität?

Übrigens: Auswärtige Besucher sollten nicht die hochkarätigen Dauerbestände des Museums versäumen. Hier hat Siegen ein ordentliches Pfund zum Wuchern.

Museum für Gegenwartskunst, Siegen (Unteres Schloss 1). Sammlung Schürmann bis 12. Oktober. Di-So 11-18 Uhr.




Verloren in der grauen Tiefe – Strindbergs „Fräulein Julie“ im Wuppertaler Schauspielhaus

Von Bernd Berke

Wuppertal. Ein paar karge Podest-Planken bedeuten hier die Welt, ein Bühnenbild im eigentlichen Sinne gibt es nicht. Wer nach bildkräftigem Theater hungert, der findet mit August Strindbergs Dreipersonendrama „Fräulein Julie“ in Wuppertal (Regie: Kathrin Sievers) keine Nahrung.

Grafentochter Julie ist das unechte Adelsdasein leid und will ihre Triebe nicht länger unterdrücken. Dem ebenso virilen wie aufstiegswilligen Kammerdiener Jean ist’s genehm. via Sex auch noch ans Startkapital für eine Hoteleröffnung heranzukommen. Doch finanziell hat Julie leider nichts zu bieten. Also lässt Jean die Gestrauchelte fallen und wendet sich wieder seiner treudümmlichen Alltagsgespielin z, der Köchin Kristin. Julie wählt als düpierte „Domestiken-Dirne“ den Freitod.

Nun könnte der (auch durch Sparsamkeit erzwungene?) Verzicht auf alle optischen Reize für eine Konzentration auf den Text und dessen Wesenskern stehen. Leitgedanke: Nur nichts Überflüssiges, nichts Ablenkendes zeigen. Doch dazu hätte man das Stück ganz anders ergreifen, gliedern oder umwenden müssen. So aber gibt’s weder ein Traumspiel noch harten Realismus, weder kunstvolle Stilisierung noch differenzierte Textauslotung oder Zertrümmerungs-Ästhetik. Dem Ganzen fehlt ein charakteristischer Umriss. Kein Profil, nirgends.

Eine Szene sieht folglich aus wie die andere, das Geschehen verliert sich in der öden grauen Tiefe des Bühnenraumes, nur in ganz raren Momenten rückt es uns etwas näher. Für Sekunden leuchtet da die Utopie eines Liebesverhältnisses jenseits der Standesschranken auf – und erlischt sogleich. Es regt sich kaum ein erotisches Knistern in dieser angeblichen Mittsommernacht und auch kein allmähliches Schweben.

Sascha Icks als Julie im luftigen Tanzkleidchen trippelt zwischen herkunftsgemäßer Strenge und emotionaler Bedürftigkeit nur schemenhaft durch die Rolle. Thomas Braus als Jean gibt erst den devoten Diener mit strategischen Hintergedanken, sodann das reißende männliche Raubtier, doch beides ohne wahre Konturen. Pirkko Cremer als Köchin Kristin wirkt wie ein reichlich naives, folkloristisch getöntes Anhängsel.

Termine: 4., 13., 16., 27. April. Karten: 0202/569-44 44.




Das Erbe von „Tegtmeier“ wirkt weiter – Jürgen von Manger wurde vor 80 Jahren geboren

Von Bernd Berke

Nun ja, es stimmt: Nirgendwo sonst als in Koblenz wurde Jürgen von Manger am 6. März. 1923 (also morgen vor 80 Jahren) geboren. Die Stadt am Mittelrhein in allen Ehren, doch wir wollen sie nun ganz rasch ausblenden. Denn das, was Manger alias „Tegtmeier“ ausgemacht hat, begann, als er mit 9 Jahren nach Hagen kam. Hier, am Saum des Ruhrgebiets und von außen her kommend, hat er wohl ein besonders genaues Gespür für die Sprache dieser Region entwickeln können.

Der 1961 von ihm ersonnene und seither bodcnständig verkörperte Rcvier-Kumpcltyp „Adolf Tegtmeier“ hat die an Ruhr und Emscher gesprochene Mundart in die letzten Winkel Deutschlands getragen; auf zahllosen Tourneen, via Hörfunk, Fernsehen oder Schallplatte – und übrigens auch auf einer Scheibe, die er seinerzeit eigens für die Leser der Westfälischen Rundschau produzierte.

Die immensen Mühen der Bildungssprache

Es war kein redseliges Idiom, das Tegtmeier im Munde wälzte. Letztlich war’s eine Kunstsprache, freilich gespeist aus dem wirklichen Wortgebrauch der Gegend. Stets merkte man Tegtmeier die immensen Mühen des Satzbaus an, die Reibung der Alltagsausdrücke mit Hoch- und Bildungssprache. Aus solchen Nöten erwuchs Komik, jedoch keine hämische. Denn hier zeigten sich auch Wahrhaftigkeit und Würde der „kleinen Leute“. Nur deshalb konnte die Figur Identität stiften – bis heute, wo etwa ein Herbert Knebel die Tradition fortführt.

Anhand einer neuen CD-Edition (mit vier Scheiben) kann man ihn nun nachschmecken – diesen ureigenen Humor, der nie schnellfertig oder brachial daherkommt, sondern sich stets langsam entfaltet: Noch einmal sind hier die makabren Einlassungen des „Schwiegermuttermörders“ vor Gericht („Da hab‘ ich ’se gesächt“) zu hören; abermals erleben wir mit dem freudig-beflissenen Halb-Banausen Tegtmeier „Wilhelm Teil“ im Theater. Trefflicher ist die (überwindbare) Schwellenwirkung der hehren Kultur .selten geschildert worden. Der Gang zum „Heiratsvermittler“, Gedanken über „Feines Benehmen“ und „Die Mieterversammlung“ – all‘ dies und noch viel mehr ist drauf auf den Silberlingcn.

Jugendzeit und erste Auftritte in Hagen

Zurück nach Hagen: Hier hatte Jürgen von Manger das Fichte- und das Dürer-Gymnasium besucht, hier war er bereits von 1939 bis 1941 Statist (u. a. im „Tell“) beim Theater.

Von 1941 bis 1945 war Jürgen von Manger Soldat. Die bitteren Erfahrungen in Russland blitzten zuweilen auch in späteren Sketchen auf. Schon 1945 kehrte er ans Hagener Theater zurück, diesmal als regulärer Darsteller (Stücke von „Othello“ bis „Maria Stuart“). 1947 zog es ihn ans von Saladin Schmitt geleitete Bochumer Schauspielhaus, zeitweise spielte er auch in Gelsenkirchen. Parallel dazu absolvierte Jürgen von Manger zudem ein komplettes Jura-Studium in Köln. Es kam beizeiten auch Tegtmeier zupass: Sein Ringen mit Juristen- und Amtsdeutsch beruhte auf Kenntnis.

1985 erlitt Jürgen von Manger einen Schlaganfall und konnte fortan nicht mehr auftreten. Mit 71 Jahren starb er am 15. März 1994 in Herne, beigesetzt wurde er in Hagen-Delstern. Seine Witwe, Ruth von Manger, die heute bei Kassei lebt, hat dem Bochumer CD-Label Roof Music den gesamten Nachlass ihres Mannes anvertraut.

Jürgen von Manger: „Wunderbar“. 4 CDs (25,90 Euro) bei Roof Music, Bochum (Tel. 0234/29878-16). Indigo-Bestell-Nr.: 21612 / Internet: www.roofmusic.de




Wüste Leidenschaft bis in den Tod – Ernst Stötzner inszeniert Ibsens „Hedda Gabler“ mit einer hinreißenden Dörte Lyssewski

Von Bernd Berke

Bochum. Von wegen Luxus, Eleganz und Ambiente: Das Haus, das der Kulturhistoriker Jörgen Tesman und seine Frau Hedda bezogen haben, wirkt in Petra Korinks Bühnenbild wie ein Verschlag. Auf trapezförmigem Grundriss umschließen Holzwände mit Billigbaumarkt-Anmutung die Szenerie, fensterlos und mit Schiebetüren versehen. Hier ist kein Bleiben, kein Ankern.

Ernst Stötzner, der Henrik Ibsen „Hedda Gabler“ In Bochum inszeniert, stellt Figuren in einen verwahrlosten Alltag. Bevor sich Hedda in Glitzerkleidchen oder Venus-Pelz hüllen darf, tritt sie als unbefriedigte Schlampe mit Netzstrümpfen und Morgenrock auf. Auch der ungeschlacht wirkende Jörgen muss, wenn Besuch kommt, erst mal rasch die Hose anziehen. Überdies läuft im Hintergrund pausenlos ein Fernsehgerät (mit Skisport). Sind wir etwa im sozialen Brennpunkt angelangt?

Irgendwie schon, wenn auch noch nicht in der trostlosen Trabantenstadt. Doch immerhin droht hier akut der soziale Absturz. Man hat sich finanziell übernommen, man lebt auf Bürgschaft, Kredit und vage Erfolgsaussichten hin.

Wilde Ausbrüche sind gestattet

Wo Ibsens Figuren sonst in aller Verhaltenheit ihre Lebenslügen zu verbergen suchen, sind ihnen diesmal wilde Ausbrüche gestattet. Wenn etwa der kläglich angepasste Jörgen (Felix Vörtler) gewahr wird, dass Ejlert Lövborg (Alexej Schipenko) mit ihm um ein Professoren-Pöstchen konkurriert, so tobt er wie Rumpelstilzehen. Der genialische Lövborg, der sich unterm Einfluss der eheabtrünnigen Frau Elvstedt (Diana Greenwood) „gefangen“ hat, doch alkoholgefährdet bleibt, erleidet eine überaus wüste Fallsuchts-Attacke schon beim ersten Glas Punsch.

Mit arg übertriebenem Tonfall und haltloser Gestik hat uns zuvor schon Jörgens Tante Juliane (Irm Hermann) verstört. Die Inszenierung bezahlt derlei forcierten Verdeutlichungs-Furor und ihren Mangel an Dosierung mit gewissen inneren Spannungsverlusten.

Dennoch ist es über weite Strecken ein Abend mit Sogwirkung. Denn das Ensemble ist stärker als jedes Konzept. Hinreißend: Dörte Lyssewski als just in die Ehe hinein geschlitterte, zu Tode gelangweilte, achtlos konsumierende, doch von (makabrem) Schönheitsdrang getriebene Hedda zeichnet eine Gestalt mit schlingerndem Tiefgang bis zur Bodenlosigkeit.

Das Weh und Ach der Beziehungen

Heddas todessehnsüchtige, im Übermaß fordernde Leidenschaft für Lövborg ist ein gleichsam strahlend finsterer Kontrast zur Neigung der Frau Elvstedt, welche Lövborg eher karitativ retten will.

Dörte Lyssewski spielt mit höchster Präsenz und wahrhaftig mit jeder Faser; man achte nur auf ihre vielfältigen Beinstellungen, in denen sich ein ganzes Seelenleben zeigt. Überhaupt hat Stötzner für die wehen (Dreiecks)-Beziehungen eine subtile Choreographie der Schrittfolgen bis hin zur tänzerischen Einlage ersonnen. Ausgeklügelt ist’s, wie sie sich hier aufeinander zu und vor allem voneinander weg bewegen.

Heddas rastlose Unzufriedenheit könnte konventionell im organisierten Fremdgehen mit dem Hausfreund (Martin Hörn als Richter Brock) verplätschern. Doch statt sich seiner kaltblütigen Gier auszuliefern, will die Generalstochter selbst einmal Macht ausüben. So treibt sie Lövborg ins Verderben – und erschießt sich am Ende selbst. Ihr ungeliebter Gatte, der flaue Fachidiot, hat von all dem Trachten nichts bemerkt. Felix Vörtler schafft es freilich, dass man diesen Trottel irgendwann nicht mehr nur belächelt, sondern auch bemitleidet. Des Richters berühmtes Schlusswort nach ihrem Freitod („So was tut man doch nicht!“) wird Hedda hier nicht zuteil. Die Überlebenden machen einfach stumm weiter und weiter – verdammt in alle Ewigkeit.

Termine: 11, 14., 24. März. Karten: 0234/3333-111.




Die Schwerkraft des Zufalls – Leon de Winters Roman „Malibu“

Von Bernd Berke

Vielleicht folgt das Leben ja nur einer mehr oder weniger glückhaften Physik des Zufalls, einer „Verkettung von Umständen“. Immer wieder taucht diese Wendung in Leon de Winters Roman „Malibu“ auf. Gleich eingangs macht er den Leser mit zwölf „Umständen“ vertraut, die von der Erd(beben)geschichte bis zum dürftigen Sicherheits-Zustand eines Fahrzeugs reichen.

All‘ diese Gegebenheiten verketten sich am 22. Dezember des Jahres 2000 wie Teufelswerk: Joop Koopman, aus den Niederlanden stammender und im Dunstkreis von Hollywood lebender, leidlich erfolgreicher Drehbuchautor, verliert seine soeben 17 Jahre alt gewordene Tochter Mirjam durch einen Motorradunfall. Ein Unglück, das den geschiedenen, allein erziehenden Mann aus der Bahn wirft. Ihn, der sich jetzt am liebsten für immer ins Alleinsein vergraben würde, umschwirrt schon bald ein geisterhafter Figurenreigen. Doch es geht auch um handfeste Interessen.

Leon de Winter (vorheriger Roman: „Leo Kaplan“) ist ein mit reicher Erfindungsgabe gesegneter Erzähler. Er schafft einprägsame Gestalten, über die man auch dann noch nachsinnt, wenn sie irgendwann im Gewölk der Handlung verschwinden. Sie scheinen im Romanverlauf aus dem Nichts zu kommen und wieder ins Nirgendwo zu gehen; ganz wie wir alle. Und sie behalten samt und sonders Geheimnisse bei sich. Womit für bleibende Spannung gesorgt ist.

Da ist beispielsweise der stiernackige, doch empfindsame Mike-Tyson-Typ namens Erroll, der Joop Koopman sozusagen fürsorglich belagert. Er hat die Unfallmaschine gesteuert, nun will er für den Rest seines Lebens nur noch dienstbar Buße tun. Würde Joop es wünschen, wäre Erroll gar zum Sühne-Selbstmord bereit. Oder Joops Jugendfreund aus holländischen Schultagen: Philip arbeitet mittlerweile für den israelischen Staatsschutz und will Joop, dessen jüdische Solidarität er einfordert, als Amateur-Spitzel auf den terrorverdächtigen Halb-Marokkaner Omar ansetzen. Der wurde nach einer Drogenkarriere in Holland zum Islamisten, ist aber erfreut, als er nun in Kalifornien einen anderen Niederländer trifft. Selbst dieser Fanatiker zeigt sympathische Züge. Dabei will er doch offenbar die Golden Gate Bridge sprengen…

Zudem taucht Joops erste Gespielin auf – jene Linda, mit der er es als 16-Jähriger treiben durfte. Nun, 30 Lenze später, rauscht sie mit tibetanischem Guru an, drischt esoterische Sprüche, knüpft die Beziehung zu Joop wieder neu – und hat doch üblen Trug im Sinn.

Joops Trauer, seine (übrigens nicht unerotische) Sehnsucht nach der verlorenen Tochter wird also eingebettet in einen Spionageroman und in eine Tagikomödie fortwährender Doppeldeutigkeiten. Ins vielschichtige Spiel geraten außerdem die schwelende Frage der jüdischen Identität und immer wieder die Kraftlinien des Glaubens in den diversen Religionen; bis hin zur Lehre von der Wiedergeburt.

Joop bliebe am liebsten purer Skeptiker. Doch viele Pfeile deuten hier verlockend auf ein Jenseits. Dort dürfte die Schwerkraft „verketteter Umstände“ nicht mehr gelten.

Leon de Winter: „Malibu“. Roman. Diogenes Verlag, Zürich. 417 Seiten. 22.90 Eure.

 




Die Überwindung der Peinlichkeit – Wilhelm Genazinos Buch „Eine Frau, eine Wohnung, ein Roman“

Von Bernd Berke

Die ganz frühen 1960er Jahre hatten etwas für sich: Das so genannte „Wirtschaftswunder“ schien vollbracht, allmählich wich der gesellschaftliche Stickstoff der AdenauerZeit, und es war ein Hauch von Aufbruch zu spüren. Just in jener Zeit spielt Wilhelm Genazinos neues Buch „Eine Frau, eine Wohnung, ein Roman“.

Anfangs ist der Ich-Erzähler gerade 17 Jahre alt. Aus nicht näher beschriebenem Anlass ist er „vom Gymnasium geflogen“. Nun begibt er sich, teilnahmslos bis widerstrebend, in einer süddeutschen Großstadt auf Lehrstellensuche; meist noch am Händchen seiner stumm besorgten Mutter. Am Ende ist ihm klar, dass er Schriftsteller werden muss. Ein Aufbruch nach Art des guten alten Bildungsromans.

Mittlerweile 18 geworden, hat er erste, teils bittere Welterfahrung gesammelt: Eine flaue Liebschaft (bereits ein gemeinsames Sparbuch, aber kein Sex) endete sang- und klanglos, die vage Hoffnung auf eine stimmigere Verbindung zerschlägt sich grausam: Die junge Frau, die da in Frage zu kommen scheint, wählt aus unerfindlichen Gründen den Freitod. Mit dieser Linda hat er sich beflissen über Literatur-Theorie unterhalten können. Dabei unterlaufen auch dem sonst stets so lakonisch-treffsicheren Wilhelm Genazino ungewohnt „papierene“ Sätze.

Ein Leitfaden ist das berufliche Doppelleben der Hauptfigur: Tagsüber ist er – in trostloser Abhängigkeit – bei einer Spedition tätig, abends aber darf er bereits Termine für eine Lokalzeitung wahrnehmen, allerdings vorn diesem Kaliber: Eröffnung der „Italienischen Woche“ im Kaufhaus, infame Talent-Wettbewerbe, Peter Alexanders neues Schlagerfilmchen im örtlichen Kino. Was der junge Mann bei solchen Gelegenheiten wahrnimmt, erscheint ihm oft lachhaft, bedrückend oder peinlich. Zwar schreibt er für sein Leben gern und genießt das vergleichsweise lässige Journalisten-Leben, doch darf er über trübe Verhältnisse im Blatt nur Beschönigendes mitteilen. Und schon sieht er die Gefahr, in diesem Zwiespalt hochmütig oder zynisch zu werden.

Seine Rettung sucht er in einem anders gerichteten Blick auf die Welt. Mit seiner (wohl autobiographisch grundierten) Hauptfigur findet auch Genazino hier zu seiner Domäne: zur oft frappierenden Registratur scheinbarer Nebensachen, die sich jedoch als unverwüstlicher Kernbestand des Daseins erweisen, als das (wie Genazino es nennt) „Unaufhörliche“ jenseits aller akuten Aufregungen.

Immer wieder träumt sich der junge Mann etwa mit Zufallsblicken aus Fenstern über missliche Situationen hinaus. Was er dort draußen wahrnimmt, ist zumeist diese beruhigende Alltäglichkeit, ein (Zitat) „selbstgenügsames, fast unbemerktes Dasein, das mich elektrisierte“. Also das ganz normale und somit niemals peinliche Leben. Das muss man eben nicht beschreien, sondern so sorgsam beschreiben, wie es Genazino vermag.

Wilhelm Genazino: „Eine Frau, eine Wohnung, ein Roman . Hanser Verlag. 160 Seiten, 15,90Euro.

 




Am Ende droht die große Leere – Kinofilm „About Schmidt“ mit einem grandiosen Jack Nicholson

Von Bernd Berke

Die Anfangs-Szene ist ganz konzentriert, sie bannt unheimlich stille, zerdehnte Momente des Wartens: Ein Mann allein im Büro. Seine Aktentasche. Eine Wanduhr. Er blickt müde hin. Die Zeit tickt. Als der Zeiger zur nächsten vollen Stunde umspringt, war’s das mit dem Arbeitsleben: Der Versicherungs-Statistiker Warren Schmidt ist ab sofort im Ruhestand.

Was nun? Sequenzen von solch ufigeheurer Dichte, die Einschnitte im Leben markieren, enthält dieser Film von Alexander Payne häufig. „About Schmidt“ geht frei und doch treffsicher mit der Romanvorläge von Louis Begley um, auf dem Papier war z. B. die Hauptfigur Anwalt und kein Versicherungsmann. Egal! Nicholson spielt hier eine ganz große Altersrolle; würdevoll und doch bestimmt vom leisen Schrecken des nahenden Todes, des womöglich gescheiterten Lebens.

Es zerreißt einem ganz sachte das Herz, wenn man sieht, wie dieser Schmidt mit den ersten arbeitsfreien Tagen so gar nichts Rechtes anzufangen weiß. Mal geht er lustlos einkaufen, dann wieder hockt er vor dem Fernsehgerät, wo er allerdings mittendrin aufhorcht: Eine Hilfsorganisation wirbt um zahlende „Paten“ für arme Kinder der Dritten Welt.

Ein Kinderbild scheint den ganzen Sinn des Lebens zu enthalten

Schmidt wird für den kleinen Ndugu aus Tansania monatlich Geld spenden und ihm lange Briefe schreiben, in denen er sich (zunehmend wahrhaftig) seiner selbst versichert. Die Schrift gerät zur Hoffnungslinie. Und am Ende wird als Antwort ein von Ndugu gemaltes Bild eintreffen, das in seiner vermeintlichen Naivität den ganzen Sinn des Lebens zu enthalten scheint…

Doch zunächst geht’s bergab. Schon bald besucht Warren Schmidt seinen jungen Job-Nachfolger. Der Schnösel begrüßt ihn mit großem „Hallo“, hat sich aber bereits bestens im Office eingerichtet und gibt mit jeder dynamischen Geste zu verstehen, dass er keinen erfahrenen Rat mehr braucht. Seiner Frau wird Schmidt jedoch vorgaukeln, er habe in der Firma noch einmal helfen können.

Die ihm nun ganztägig nahe Gattin (June Squibb), so denkt Schmidt bei sich, widert ihn nach 42 Jahren Ehe an. Ihre lachhaften Gewohnheiten, ihr Geruch gar. Waren sie einander überhaupt die Richtigen? Oder hätte „alles anders“ verlaufen müssen?

Wenigstens die Tochter vor einer üblen Ehe bewahren

Achtlos geht Schmidt eines Tages aus dem Haus, als sie die Wohnung saugt. Wenn er zurückkehrt, surrt der Sauger noch immer genau so – nur: Sie liegt tot auf dem Fußboden. Selbst wenn es eine späte Befreiung vom Ehe-Jochsein sollte, so schmerzt es doch. Nicholson zeigt alle Facetten zwischen dem (schalen) Triumph des Überlebenden und tiefster Bestürzung.

Nun droht die ganz große Leere. Denn auch die geliebte Tochter Jeannie (Hope Davis) wohnt weit entfernt, findet nur Zeit für eigene Belange. Zudem will sie den reichlich deppert wirkenden Randall (Dermot Mulroney) heiraten, der mit Wasserbetten handelt und überwiegend ungehobelte Verwandte hat. Schmidt zürnt: Ach, könnte er der Tochter doch die üble Liaison verbieten! Aber als alternder Mann ist man ja machtlos.

Schluss jetzt mit Erstarmng: Warren Schmidt macht sich mit dem Wohnmobil auf den Weg, besucht Stätten seiner Jugend, atmet unter weiten Himmeln durch, wird weltfromm unterm Sternenzelt. Dann wiede fürchtet er, sein Leben verrinne folgenlos.

Grandios lässt Nicholson die inneren Kämpfe ahnen bis zur notgedrungenen Hochzeitsrede für seine Tochter. Am liebsten würde er mit derben Worten die Feier platzen lassen, doch er nimmt hinter jeder Satzbiegung gerade noch die Kurve ins halbwegs Sozialverträgliche. Noch so eine brillante Szene.

Immer wieder werden in dieser bewegenden Spätlese eines Lebens Toasts und Trinksprüche an feierlichen Tischen ausgebracht. Es sind meist wohl gesetzte Lügenworte. Dahinter aber lauern die existenziellen Fragen.




Auch Maschinen haben Humor – Duisburger Retrospektive zum Werk des Deutsch-Amerikaners Stephan von Huene

Von Bernd Berke

Duisburg. Haben Maschinen eine Seele? Haben sie gar Humor? Man möchte darauf schwören, wenn man durch die neue Ausstellung im Duisburger Lehmbruck-Museum streift. Im Geleitzug mit München und Hamburg richtet Duisburg eine längst fällige Retrospektive über den anno 2000 verstorbenen Stephan von Huene aus. Vor allem die Klangskulpturen des documenta- und Biennale-erprobten Amerikaners mit deutschbaltischen Vorfahren haben hintergründigen Charme.

1976 übersiedelte von Huene (Jahrgang 1932) aus Los Angeles nach Deutschland. Hier heiratete er 1979 die Kunstkritikerin Petra Kipphoff („Die Zeit“), mit der er in Hamburg lebte.

Schon seit Beginn der 60er Jahre schuf er jene skulpturförmigen Instrumentarien, die jedem Betrachter bzw. Zuhörer unweigerlich ein Lächeln auf die Lippen zaubern. Im Frühwerk setzt sich die Mechanik ächzend per Blasebalg, Lochstreifen oder Walze in Gang. Später steuern Computer die Klang-Körper oder Klang-Möbel. Dieser Künstlerhat sich theoretisch und technisch stets auf dem Laufenden gehalten. Er war kein bloßer Phantast, sondern ein fleißiger Ergründer mit „Do it yourself‘-Fertigkeiten.

Auf Knopfdruck legt die Waschbrett-Combo los

Wenn der Strom fließt und der Schalter gedrückt ist, tritt in Duisburg beispielsweise eine ganze Waschbrett-Combo samt Glöckchen, Schlagwerk und Harmonika zum Musizieren an. Die groteske Apparatur steht auf einem hölzernen Skulpturensockel, in dessen Eingeweiden es hübsch rumort. Kaum denkt man an Zirkus, Kirmes oder Vaudeville, da legt schon eine andere Skulptur mit kopfstehender Hundefigur rasselnd los. Oder es steppen zwei einsame Beine („Tap Dancer“, 1967).

Geisterhaft spielende Xylophone, Trommeln und Orgelpfeifen sorgen für weiteres Getöse. Und eine schemenhafte „Loreley“, geformt nach geradezu „wissenschaftlich“ ermitteltem Schönheits-Ideal, kämmt ihr Goldhaar zu sirenenhaftem Sang. Dies alles tost keineswegs wild durcheinander, sondern wird jeweils zeitversetzt hörbar, damit nicht eine Arbeit die andere durchkreuzt.

Tradition ist nicht so fern: Der fröhlich-anarchische Dadaismus hat Pate gestanden. Kurt Schwitters‘ „Ursonate‘ hat von Huene in einer fremdartig klingenden Installation selbst aufgegriffen. Auch der Avantgarde-Komponist John Cage zählt zu den Anregern. Und selbst die (Alp)-Träume von Automaten-Menschen aus der romantischen Epoche dürften hier noch nachwirken.

Ein sanftmütiger Mensch, der die Wahrnehmung weckt

Stephan von Huene soll ein äußerst sanftmütiger Mensch gewesen sein, doch durch seine Kunst wollte er die Menschen aufwecken, damit sie ihre Wahrnehmung schärfen. Der Ausstellungstitel („Tune the world“) spielt auf ein Bekenntnis des Künstlers an, dem just die Feinabstimmung des Sensoriums für die Welt am Herzen lag.

Die sorgsam ausgeführten Werke standen erst am Ende langwieriger Denkprozesse, in die etliche Erkenntnisse einbezogen wurden. Projektskizzen zeugen vom Aufwand. Die Pop-Kultur gibt gewisse Grundmuster vor, Psychologie, Systemtheorie, Ingenieurskunst und manches mehr gesellen sich hinzu.

Von Huene hat gründlich analysiert, zergliedert und hernach die Teile zusammensetzt, bis eine Synthese gelang und die Objekte „wie aus einem Guss“ wirkten. Alle Elemente sind gleich wichtig und vereinigen sich zum schwellenden Akkord der Sinne: Das oft körperhaft wirkende Material (Leder-Haut, Holz als Knochen) ist zu beachten, die Bewegungsenergie (Kinetik) darf ebenso wenig vergessen werden wie der Klangeindruck.

Prinzipiell ins uferlose wuchernde Serien von Zeichnungen kommen hinzu. Figurationen von Goya bis Picasso oder aus Mythen und Märchen aufnehmend, schwelgen sie in geni(t)alen Obsessionen und rätselhaften Sprach-Fetzen. Auch hier findet sich vielfach der Gestus des Zergliederns. Die Körper zerfallen in quasi selbstständige Teile. Ganz so, als hätte ein neugieriges Kind ein Spielzeug bis ins Innerste untersuchen wollen.

Bis 30. März. Di-Sa 11-17. So 10-18 Uhr. Katalog 28 Euro




Unendliche Räume des Traumes – achtstündiges „Fest der Romantik“ im Dortmunder Schauspiel

Von Bernd Berke

Dortmund. Zuweilen war es wirklich wie ein schöner Traum – von einer allseits mit Künsten gesättigten Sehnsuchts-Welt: Dortmunds Schauspiel beging am Samstag erstmals sein groß angelegtes „Fest der Romantik“.

Mit einer ganzen Flut einschlägiger Texte werden im Laufe des fast achtstündigen Spektakels sämtliche Winkel des Theaters bespielt, bis hin zu Probenräumen und Unterbühne. Selbst in den Pausen sind Foyer und Wandelgänge von historisch kostümierten, literarischen Geistern erfüllt.

Es kann nur gut sein, wenn sich – in schwierigen Zeiten – ein Stadttheater so massiv inErinnerung bringt, wenn es zudem sein Innerstes hervorkehrt und sich in die imposante Maschinerie blicken lässt. Und so weckt das auch logistisch gewiss ungeheuer aufwändige Kaleidoskop in seiner Gesamtheit nachhaltige Sympathien für die Bühne.

Natürlich geht’s nicht um Hollywood-Romantik, sondern um Ausflüsse und Eckpunkte, um Sehnsuchts-, Nacht- und Schattenseiten jener Epoche, in der die Tore zu den unendlichen Räumen des Traumes und des Unbewussten aufgetan wurden. Nicht ganz lupenrein, aber im Sinne der Gewichtigkeit und der Grenzverläufe plausibel: Kleist, Hölderlin und Nietzsche sehen sich mit einbezogen. Man hätte etliche Linien auch in die Gegenwart verlängern können, etwa bis zu Botho Strauß.

Kleists „Käthchen“ mit Stahlhelmen und Wehrmachtsmänteln

Mit Kleists „Käthchen von Heilbronn“ beginnt der Reigen, Hausherr Michael Gruner lat den Klassiker selbst inszeniert. Er malt den Text nicht breit aus, sondern schraffiert ihn rasch mit verschatteten Grau-Tönen. Stahlhelme und Wehrmachtsmäntel lassen allzu früh ahnen: Das „Käthchen“ wird einmal mehr auf die gespenstischen Seiten deutscher Historie bezogen – eine Rechnung, die nicht restlos aufgehen mag. Es waltet kaum ein Zauber, sondern Entzauberungs-Absicht. Wenigstens ist damit der etwaige Vorwurf, in diesen kriegsschwangeren Wochen nur „auf Romantik zu machen“, vom Tisch.

Von dunklen Mauern umgeben und geheimnisvoll ausgeleuchtet (Bühne: Peter Schutz), schnurrt hier ein doch etwas bemühtes Spiel ab, das die sprachlichen Qualitäten derVorlage nicht immer im Sinn behält. Man vernimmt dumpfe Echos aus dem Gruselkeller der Geschichte. Graf Wetter vom Strahl (Pit-Jan Lößer) ist ein Typ fast wie aus dem Landser-Heft, das ihn so aufopferungsvoll liebende Käthchen (Astrid Rashed) bleibt selbst in traumhaften Sequenzen blässlich patent.

Gar zu greller Kontrast: Käthchens böse Gegenspielerin Kunigunde (gespielt von einem Mann: Manuel Harder) gerät zur jaulenden Chargenrolle, zur hassenswerten Gesamt-Germanin. Anders als bei Kleist, heiratet Graf Strahl dieses präfaschistische Monstmm und nicht das zarte Käthchen. Die reine Liebe ist nur ein Traum, es obsiegt martialisehe Geschichte. Ein Ansatz, den man filigraner hätte herausarbeiten können.

Worte zwischen Weltschmerz und Natur-Beglückung

Es folgt der wohl schönste Teil des Projekts, die mit punktgenauer Raffinesse dargebotene Offenbach-Oper „Hoffmanns Erzählungen“, die man eines Tages aus dem Projekt lösen und separat spielen sollte.

Sodann hat man die Wahl zwischen sechs parallel aufgeführten Texten. Schweren Herzens lasse ich Tieck, E. T. A. Hoffmann, Bonaventura, Achim von Arnim und Nietzsche beiseite und entscheide mich für Hölderlins Briefroman „Hyperion“, der hier als „dramatisches Fragment“ firmiert und bruchstückhaft auf drei Darsteller (Jürgen Hartmann, Manuel Harder, Birgit Unterweger) verteilt wird.

Regisseur Matthias Gehrt lässt die Zuschauer auf der knarzenden Drehbühne sitzen und rotieren. Das scheint von den wunderbaren Wendungen der Sprache abzulenken. Doch so kommen die Figuren von allen Seiten her ins vieldimensionale Wort-Gewoge zwischen Weltschmerz und Natur-Beglückung, die Phantome sind nah. Man lauscht bewegt und hoch erfreut: So herrlich ist einst in deutscher Sprache geschrieben worden.

Termine: 14. Feb. (18 Uhr), 16. Feb. (16Uhr), 22. Feb. (17Uhr). Karten: 0231/50 27 222.

 




Die Not wird mit dem Dreck verkleistert – Kay Voges inszeniert Wedekinds „Frühlings Erwachen“ in Oberhausen

Von Bernd Berke

Oberhausen. Der Bühnenräum ist rundum gekachelt. Es gibt Umkleidekabinen, Waschbecken, Duschen, ein paar Pissoirs. Alles in geradezu gellend weißer Sterilität, so dass man am liebsten die Augen schließen würde – besonders, wenn diese furchtbaren Neonlichter zu flackern beginnen. Ein „sauberer“ Albtraum.

Hier hat man sie eingesperrt wie in eine geschlossene Anstalt: die Jugendlichen aus Frank Wedekinds Stück „Frühlings Erwachen“. Ehedem haben sie sich mit wilhelminischem Drill und Triebunterdrückung „christlichen“ Zuschnitts geplagt. In Kay Voges‘ Oberhausener Inszenierung lernen sie erst einmal „Neusprech“, als sei’s ein Text von George Orwell („1984″). Gipsköpfige, völlig ent-individualisierte Erwachsene lugen von oben über die Kachelwände, geben Takt und Lügenworte vor: „Krieg bedeutet Frieden. Unwissenheit ist Stärke.“ Die Jugend spricht’s verängstigt im Stakkato nach.

Psycho-Szenerie mit gleißenden Kacheln

Es ist eine enorm beklemmende Psycho-Szenerie (Bühne: Svea Kossack), in der letztlich doch die herkömmlichen Herrschafts-Verhältnisse ausgetragen werden. Erzwungene Körper-Panzerung, Zurüstungen zu aggressiven, ja kriegerischen Ersatz-Handlungen – im Grunde das alte Leidens-Lied, sozusagen ein Mord an aller Lust. In Ewigkeit, Amen?

Die Regie ergreift vehement die Partei der Jugendlichen. Halbwegs liberale Positionen der Eltern, die bei Wedekind vorkommen, sind getilgt. Lehrer, Klerus und Erzeuger erscheinen hier nur als seelenlose Monster, als automatisiert schnarrende Funktionsträger. Aus solch wohlfeiler Eindeutigkeit lassen sich heftige Funken der Emotion schlagen.

Über weite Strecken ein beachtlicher Versuch

Es bleibt freilich über lange Strecken ein beachtlicher Versuch, das doch ein wenig angegilbte Stück näher ans Heute heranzuholen, uns damit auf den Leib zu rücken. Voges, der sich im Text bedient wie in einem Baukasten, filtert ein zunächst schlüssig wirkendes Konzentrat. Not und Drangsal der beherrschten Jugend wer den oft wahrhaftig greifbar.

Verwunderlich aber, dass man die „Aufklärungs“-Szene mit dem uralten Storchen-Märchen nicht gestrichen hat. Wendla dürfte nur fragen: „Wie bin ich auf die Welt gekommen?“ und müsste bangend ohne Antwort bleiben. So aber, mit all‘ dem Storchen-Gedöns, entschwebt das Stück plötzlich doch in weite Ferne.

Durchweg atemlos und gehetzt sind Gesten und Sätze der 14-jährigen Opfer, denen die Welt keine Ruhe lässt: Wendla (Regina Gisbertz) wird geschwängert und verreckt am Ende bei einer grauenhaften Abtreibung. Moritz (Kaspar Markus Küppers) bricht unter Sexualnöten und schulischem Druck zusammen, er gibt sich die Pistolenkugel. Nur der Nihilist Melchior (Daniel Wiemer) findet einen Überlebens-Dreh – mit mephistophelischer Hilfe des grotesk vermummten Herrn (Michael Witte), der einen abgeklärten Ton übers Geschehene breitet, als sei der Spuk vorüber.

Das Stück rabiat ins Heute gezerrt

Jetzt wird noch gekrittelt: Denn leider gibt Voges im Laufe des Abends den bühnenüblichen Untugenden eines ach so gängigen Welt-Ekels nach, er bedient das notorische Blut-, Sperma- und Tränen-Theater.

Die Darsteller, die Diffenzierteres als diese Art von Drastik verdient hätten, müssen nach und nach sämtliche Körpersäfte ausscheiden und sich zudem mit Erdbatzen gründlich beschmutzen, bis die gesamte Bühne besudelt ist; ganz so, als würden wir sonst ihre Nöte nicht begreifen.

Das Gegenteil ist der Fall: Ihre Regungen werden mit Dreck zugeschüttet und verkleistert. Und das Stück wird denn doch nicht ganz zu uns geholt, sondern zum Teil rabiat herbeigezerrt. Jammerschade um etliche interessante Ansätze. Unser Mitgefühl gilt derweil dem Reinigungspersonal.

Termine: 16., 19., 26. Januar. Karten: 0208/85 78 184




Im Chaos-Zimmer der Pubertät – Jürgen Kruse inszeniert in Bochum Handkes „Die Unvernünftigen sterben aus“

Von Bernd Berke

Bochum. „Jeden Tag ein Produkt weniger. Vorbei die schöne Vielfalt des Marktes. Umsonst die höheren Weihen. Das Ende der stolzen Zahlen. Ich bin ratlos.“ Knappe Worte zur Wirtschaftskrise, aus einem Stück der Stunde? Nein! Sie stammen aus Peter Handkes im Ölschock-Jahr 1973 verfasstem Text „Die Unvernünftigen sterben aus“.

Jürgen Kruse, der dieses Stück nun in Bochum inszeniert hat, stellt den zeithistorischen Abstand plakativ heraus: Die Jahreszahlen „ 1973″ und „2002″ prangen über der Szenerie. Auch gehört zu den Requisiten (Bühnenbild: Altmeister Wilfried Minks) – zwischen virtueller Hochhaus-Silhouette und kubischem Mobiliar – die Attrappe einer Marx-Engels-Ausgabe mit den berühmten blauen Buchrücken („MEW“). Jaja, die Revolten-Chose ist längst passe. Geschichtliche Verwüstung hat sich noch breiter gemacht.

Ein weiteres Direktoren-Drama

Der Unternehmer Quitt und vier Konkurrenten schmieden ein Kartell mit Preisabsprachen. Einziger Widerpart ist ein wahnwitziger Kleinaktionär (Alexander Maria Schmidt), der hier immer mit den Fingern schnippst wie ein Erstklässler. Quitt jedenfalls hält sich nicht an die Vereinbarungen und drückt die anderen – keineswegs nur geschäftlich – an die Wand. Punkt. Aus. Ein weiteres „Direktoren“-Drama in Bochum also.

Diesmal aber dauert die Sache über vier Stunden. Denn Kruse lässt Handkes Sätze vielfach manieristisch dehnen und die Worte äußerst langsam, Silbe für Silbe, aus Quitts Mund kollern. Darsteller Michael Altmann muss sogar unentwegt „Eeeees“ statt „Es“ sagen. Der Mann, der sich so ausgiebig in anderen gespiegelt sehen will, gibt mal den verzweifelt empfindsamen Wanderprediger, mal den cholerischen Markt- und Menschen-Beherrscher. Das schrankenlos ausgelebte Ich, der Rollenwechsel als Machtinstrument.

Mal wieder den Plattenschrank geplündert

Zudem hat Kruse mal wieder seine Plattensammlung geplündert, was sich diesmal als zeitraubender Fehlgriff erweist und die GEMA-Gebühren nicht wert ist. Denn schon Handkes Text über die letzten Zuckungen und Aufwallungen des bürgerlichen „Ich“ ist diffus genug. Die Klangspur, nach Kruses Lust und Laune zwischen Bryan Ferry und Hildegard Knef sich erstreckend, setzt die Assoziationen jeweils auf noch ganz andere, oft nicht recht passende Fährten. Die Bühne als Chaos-Zimmer der Pubertät: laute Musik, unaufgeräumt…

Zu Beginn wähnt man sich gar in einer Küstenkneipe, da ertönen Auszüge aus einem Hamburger Hafenkonzert, und Quitt drischt auf einen Sandsack mit aufgedruckter Weltkarte ein, der am Ende leer rinnen wird. Welch eine umstandslose Symbolik des Vergehens, des Welt- und Wirklichkeitsverlustes!

Stärke durch Distanz zum eigenen Tun

Doch vieles, was man ohne Textkenntnis Kruse zuschreiben würde, steht wirklich bei Handke – auch die gewittrigen Stürme, die aus Lautsprechern tönenden Monumental-Rülpser oder die lebenden Schlangen, die am Schluss züngeln. Willkommen im apokalyptischen Zirkus. Oder auch in der „Voodoo Lounge“ – dieser Stones-Titel steht auf der Tür, die zur Bühne führt.

Kruse folgt der Vorlage ziemlich genau und hält sie an allen Flanken überaus vieldeutig offen. Quitts Überlegenheit mag sich aus seiner besonderen Ich-Stärke speisen, vielleicht aber auch daraus, dass er – anders als die anderen Unternehmer – jederzeit von sich absehen und Distanz zu seinem Tun halten kann. Mitunter scheint sich der Text aus Sprechakt-Theorien nahezu rechnerisch zu ergeben. Er enthält viele Slapstick-Treibsätze und somit herrliche Spiel-Anlässe, die weidlich genutzt werden. Es kündigt sich freilich auch schon jener Peter Handke an, der durch schieres Erzählen und Erinnern die Welt bewahren will. Doch derlei Ansätze zerfaserten damals noch in atemloser Anekdotik.

Wie bei einer.ordentlichen Rock-Session, so bekommt in Bochum jeder Darsteller sein furioses Solo. Immer wieder erzielt das großartige Ensemble (u.a. Ernst Stötzner, Manfred Böll, Bernd Rademacher) auch konzentrierte, intime, beinahe privat wirkende Momente, in denen die Gestalten ihre Rollen probehalber verlassen. Anschließend drehen sie wieder auf wie nur je. Eine höchst interessante Figur zeichnet Johann von Bülow als Quitts Vertrauter Hans – ein wenig Hofnarr, Hausfreund der im Nichtstun verstörten Gattin (Julie Bräuning), ein wenig Lakai, doch auch Parasit.

Ortsüblicher Jubelbeifall, vermischt mit ein paar zaghaften Buhs für die Regle.

Termine: 25., 30. Dez. /9., 16. und 26. Jan. 2003. Karten: Tel. 0234/ 3333-111.

 




Körperkult und Ideologie – Bonner „Haus der Geschichte“ riskiert eine Ausstellung über Leni Riefenstahl

Von Bernd Berke

Bonn. Zur Eröffnung war eine antifaschistische Demo angemeldet, schon mittags wurden Flugblätter gegen die neue Austellung verteilt, und auch eine Strafanzeige gegen das Bonner „Haus der Geschichte“ (wegen Verwendung verfassungsfeindlicher Symbole) lag vor: Wo der Name der umstrittenen Filmregisseurin Leni Riefenstahl auftaucht, schnappen Reaktionen schnell ins bekannte Schema ein.

Riefenstahl, die kürzlich 100 Jahre alt wurde, war wohl viel tiefer ins NS-System verstrickt, als sie bis heute zugeben mag. Daher wirkt es auf manche wie eine gezielte Provokation, wenn jetzt das Bonner Haus der Geschichte eine Riefenstahl-Schau mit Filmausschnitten und rund 300 Dokumenten zu Leben und Werk zeigt, darunter etliche Leihgaben aus dem Privatbesitz der Künstlerin. Die aber habe keinerlei Einfluss aufs Konzept genommen, versichern die Veranstalter.

Ihre Kunstausübung ist keineswegs „unpolitisch“

Die Pressekonferenz war ausgesprochen defensiv ausgerichtet. Mit Prof. Lothar Gall, der dem Beirat des Museums vorsteht, hatte man zusätzlich einen Nestor der Historikerzunft aufgeboten, der dem Unterfangen Dignität verleihen soll. Die Ausstellung, so Gall, sei keine Hommage an Riefenstahl (NS-Parteitägsfilm „Triumph des Willens“, Olympiafilm 1936). Es solle klar werden, dass ihre Ästhetik eine „konstitutive Nähe“ zur NS-Ideologie aufweise, ihr notorischer Rückzug auf „unpolitische“ Kunstausübung also fehl gehe.

Prof. Hermann Schäfer, Leiter des Hauses, betonte einen weiteren Aspekt: Hollywood werde 2003 einen Riefenstahl-Film herausbringen. Da wolle man das Thema sachlich abhandeln, bevor die vom Kino geweckten Emotionen überhand nehmen. Bemerkenswerter Zugzwang…

Menschenmassen als formbare Ornamente

Was also gibt es zu sehen? Eingangs erhebt sich der überlebensgroße „Prometheus“ des stark NS-geneigten Bildhauers Arno Breker, als Kontrapunkt dienen Werbefotos für die Modemarken Calvin Klein und Joop. Was zu beweisen war: Die Verklärung „heldisch“-makelloser Körper, die auch Riefenstahls Werk eigen ist, wirkt nach.

Die insgesamt seriöse, nur punktuell etwas kurzatmig geratene Schau, die wenige „Reliquien“-verdächtige Objekte ohne tieferen Sinn enthält, ist chronologisch wie eine doppelte Phalanx aufgebaut: In der linken Reihe laufen Filmausschnitte, rechts erstrecken sich die Vitrinen.

Man merkt, wie sich gewisse Komponenten der Filme monoton wiederholen: Menschenmassen werden zu formbaren „Ornamenten“ stilisiert, es herrschen Körper- und Führerkult, und bis hin zu Tauchbildern oder den „Nuba“-Fotografien aus Afrika hat Riefenstahl Fluchtwelten aufgesucht. Überdies entsprachen die Männer vom Nuba-Stamm weitgehend dem zur NS-Zeit propagierten Ideal sehniger Krieger – zumindest aus ihrer Perspektive.

Verräterisches Dank-Telegramm an Adolf Hitler

Es gibt einige prägnante Dokumente, etwa ein glühendes Dank-Telegramm Riefenstahls an Hitler oder, noch erschütternder: ihre eigenhändige Vollmacht für den „Stürmer“-Herausgeber Julius Streicher, die Honorarforderungen „des Juden Béla Balazs“ (wörtlich) abzuwehren, der als Ko-Autor an Riefenstahls Film „Das blaue Licht“ mitgewirkt hatte.

Es bleibt kaum eine andere Schlussfolgerung: Leni Riefenstahl hat eifrig und ideologisch passgenau für die Nazis gearbeitet. Ein in der Ausstellung zitierter Satz von Luis Bunuel fasst es noch knapper: „Ideologisch grauenhaft, aber phantastisch gemacht.“

Haus der Geschichte, Bonn (Museumsmeile). Bis 2. März 2003, Di-So 9-19 Uhr. Eintritt frei.




Vom Kalauer zur Lebensweisheit – Der Dichter, Maler und Zeichner Robert Gernhardt wird 65 Jahre alt

Von Bernd Berke

Es ist überhaupt kein Frevel am klassischen Erbe, wenn man den Schriftsteller Robert Gernhardt in einem Atemzuge etwa mit Lichtenberg, Jean Paul oder Kurt Tucholksy nennt. Auch er gehört zu den ganz großen Humoristen und bildmächtigen Wortkünstlern unserer Literatur.

Zwischen Kalauer und Weisheit, Drastik und Feinsinn, die er so unnachahmlich zu verknüpfen weiß, ist Gernhardt nichts Menschliches, Tierisches und Sprachliches fremd. Seine prägnanten Sinn-Sprüche zieren nicht nur Anthologien, sondern sind auch ins verbale Volksvermögen eingeflossen. Höherer Nonsens mit Breitenwirkung: Die Kinofilme des Otto Waalkes wurden gleichfalls aus der Gernhardtschen Wortmanufaktur beliefert. Wo und wie auch immer: Bei Gernhardt stimmt der „Sound“ des Geschriebenen, und viele Menschen spüren das.

Der deutsche Nachkriegs-Humor auf einer neuen Stufe

Dass dieser ungemein sympathische, vielfach begabte Maler, Zeichner und Dichter morgen 65 Jahre alt wird, möchte man am liebsten nicht wahrhaben. Ist es denn wirklich schon so lange her, dass Gernhardt – im Verein mit F. K. Waechter und F. W. Bernstein –  dichtend und zeichnend die legendären „Pardon“-Seiten „Welt im Spiegel“ („WimS“) schuf? Nun ja, das war zwischen 1964 und 1976, liegt also ein Stück des Weges zurück. Doch es ist noch gegenwärtig, denn damals wurde der deutsche Nachkriegs-Humor auf eine lang vermisste neue Stufe gehievt. Diese Großtat fruchtet bis heute. Ohne Loriot, Heinz Erhardt oder eben Gernhardt & Co. („Neue Frankfurter Schule“) wäre beispielsweise ein Max Goldt kaum denkbar. Die Fackel wird also gottlob weiter getragen.

Die Feuilletons würdigten ihn erst recht spät

Schon gegen Ende der 60er Jahre, als Gernhardt noch unter dem Pseudonym „Lützel Jeman“ (Mittelhochdeutsch für „Kaum jemand“) arbeitete, hätte man ahnen können, dass da ein eminent sprach- und formbewusster Autor heranreifte, der die literarische Tradition gleichermaßen als „Wegweiser und Widerstand“ begriff. Doch die erste (noch dazu undotierte) Jury-Auszeichnung bekam Gernhardt erst mit 50 Jahren. Bis die Feuilletons sein Wirken priesen, dauerte es elend lang. Erst seit Mitte der 80er, als der Erzählband „Kippfigur“ erschien, gilt er auch hochmögenden Rezensenten als würdiger Gesprächsstoff.

Apropos: Auch als Kritiker ist Gernhardt selbst längst eine Instanz. Manches sich ernst gerierende Werk hat er als puren Humbug entlarvt, doch auch manches verborgene Pflänzchen hat er gehegt. Zumal mit dem lyrischen „Handwerk“ innig vertraut, seziert er dichterische Hervorbringungen (etwa von Wolf Biermann) so triftig und erhellend, dass ihm dabei allenfalls ein Enzensberger das Wasser reichen kann. Wann endlich erscheinen seine gesammelten Rezensionen als Buch?

Reime sind keinesfalls verpönt

Wie sonst nur noch Peter Rühmkorf, hat Gernhardt immer wieder bewiesen, dass Gedicht und Reim sich auch heute keinesfalls „beißen“ müssen. Der willkürlich gehackte Zeilensalat eines krampfhaften Modernismus ist ihm ebenso ein Gräuel wie alles volltönend Verblasene. In dem Band „Klappaltar“ hat er, parodistisch grundsolide gerüstet, Goethe, Heine und Brecht auf ihre bleibende Substanz hin überprüft – und zwar jeweils so ziemlich „auf Augenhöhe“.

Doch lassen wir den Autor zum Schluss selbst sprechen, liebe Gemeinde. Das folgende Gedicht, das in zunächst weihevollem Ton denn doch entschlossen zur Sache kommt, heißt „Vom Leben“:

„Dein Leben ist dir nur geliehn – / du sollst nicht daraus Vorteil ziehn.

Du sollst es ganz dem Andren weihn – / und der kannst nicht du selber sein.

Der Andre, das bin ich, mein Lieber – / nu komm schon mit den Kohlen rüber“.




Ein Traum beim Rauschen des Meeres – Jürgen Kruse inszeniert „True Dylan“ von Sam Shepard

Von Bernd Berke

Bochum. Wer in seinem Seelenhaushalt die musikalische Populärkultur der 60er Jahre hegt, sollte gespannt sein auf dieses Stück: „True Dylan“ von Sam Shepard handelt von den unvergänglichen Mythen jener Jahre.

Der US-Dramatiker Shepard, auch als Schauspieler („Homo Faber“) und Drehbuchautor („Paris, Texas“) geadelt, hat 1975 Bob Dylans „Rolling Thunder“-Tournee eingehend begleitet – für ein Filmprojekt, das nie realisiert wurde. Doch Dylans Aura ließ Shepard nicht ruhen: 1987 erschien sein Text „True Dylan“ (Der wahre Dylan) als vermeintliches Interview in der Zeitschrift „Esquire“. Doch der Dialog war eine fürs Theater zugerichtete Zwiesprachen-Phantasie mitsamt Regieanweisungen.

Klar, dass Jürgen Kruse bei der deutschsprachigen Erstaufführung im Bochumer „Theater unter Tage“ Regie führen musste. So viele Stücke hat er schon mit seinem erlesenen Rockmusik-Geschmack durchsetzt, dass er als bester Plattenaufleger der Bühnenwelt gelten kann. Von den Zeiten, als Rundfunk-DJs die Scheiben noch nach Gusto statt nach öder Hitparaden-Vorgabe spielten, schwärmen im Stück Sam und Bob, unschwer als theatralische Wiedergänger von Shepard und Dylan zu erkennen.

Am Strand von Kalifornien rückt Sam (Patrick Heyn), grotesk gerüstet mit allerlei Schreibstiften, Recorder und Mikro, zum Interview an. Bob (auch als Gitarrist okay: Lucas Gregorowicz) antwortet meist wortkarg und mit sanftmütiger Coolness. Natürlich geht’s vorderhand um Musik, doch auch um Engel, Frauen, Träume, das allzu kurze Leben des tödlich verunglückten James Dean. Mithin geht’s – in schöner Beiläufigkeit und Lässigkeit – um alles.

Mythen der Popmusik werden umkreist, bejaht, bezweifelt, angehäuft

Doch warum viele Worte machen, das Nennenswerte ist in gewissen Liedern gültig aufbewahrt: Am liebsten greift sich Bochums Bob also eine der zahlreichen Gitarren auf der Bühne und sucht die hinter den Mythen-Masken verborgenen wahren Empfindungen mit Songs auszudrücken. Bereitwillig macht sich die Inszenierung ein Shepard-Zitat zu eigen, das besagte, eine einzige Tonfolge wecke schneller die Emotionen als etliche Theaterszenen. Dementiert und demontiert sich hier die Bühnenkunst selbst?

Und was geschieht hier eigentlich: Werden die Mythen umkreist, bejaht, gerettet, bezweifelt oder in splitterhaften Reminiszenzen angehäuft? Von allem etwas. Und das Ganze wirkt wie ein Traum beim Rauschen des Meeres. Tief verstricken sich Kruse und die Darsteller ins etwas selbstgenügsame „name dropping“ aus der Folk- und Rockszene – ganz so, als gebe es keinen Ausgang mehr aus diesem mythensatten Pop-Universum.

Auch das Strand-Bühnenbild (Volker Hintermeier) ist pures Zitat, es folgt exakt dem LP-Cover von Neil Youngs „On the Beach“. Dem Text hat Kruse Assoziationsketten beigegeben, die unbekümmert mit dem reichlichen Inventar der Popkultur jonglieren. Weitere Zutat: Stumm lächelnd umkreisen Mädchen-Gestalten die Szenerie. Es könnten Groupies sein, doch auch engelhafte Jungfrauen, vielleicht gar sanfte Todes-Botinnen.

Wie fühlt man sich nach all dem? Gleichermaßen ratlos und inspiriert. Man möchte die ganze Nacht Musik hören. Doch was bleibt, wenn man daraus erwacht?

(Termine: 3., 7„ 8. Dez. Karten: 0234/3333-111)




Wildwuchs der Schöpferkraft – Werkschau über Antonius Höckelmann in Hamm und Beckum

Von Bernd Berke

Hamm/Beckum. Hier herrscht selten Stillstand, sondern meist kreisende, voran stürmende oder auch abwärts strebende Bewegung. Im Kosmos des zweifachen documenta-Teilnehmers Antonius Höckelmann (1937-2000) geht es fast durchweg brodelnd dynamisch zu.

Selbst auf dem Bildnis eines Golfers scheinen die starken Farben in alle Richtungen zu spritzen – ganz so, als tobe sich m dieser doch eher gemächlichen Sportart eine Action ohnegleichen aus. Erst recht gilt der Befund für Höckelmanns aufgewühlte Turf-Bilder: Pferderennen als Ereignis aus purer Bewegungs-Energie. Und bei Betrachtung g des wüsten Farben-Gewoges auf einem Kneipen-Gemälde bekommt man fast einen „Drehwurm“ wie nach dem x-ten Glas Pils.

Grell lacht Judith über Holofernes

Eigentlich wollte das Hammer Gustav Lübcke Museum eine Ausstellung zum 65. Geburtstag Höckelmanns ausrichten. Vor zwei Jahren verstarb der Künstler mit 63, so dass man seiner nun posthum gedenkt. Der breite Überblick (mehrdeutiger Titel: „Passionen“, was Leiden und Leidenschaft bedeuten kann) umfasst nun rund 80 Bilder und Skulpturen und wird ergänzt um kleinere Arbeiten, die zeitgleich im Stadtmuseum Beckum zu sehen sind. Überdies zeigt Hamm Foto-Strecken von Benjamin Katz, der Höckelmann sogar auf dem Krankenbett ablichten durfte.

Vereinte westfälische Kräfte also. Grund: Höckelmann stammte aus der Region. 1937 in Oelde geboren, ging er 1957 zum Studium bei Karl Hartung, dem großen Plastiker der Informel-Ära, nach Berlin. Doch es gab noch einen früheren, für die avancierte Kunstszene untypischen Einfluss. Höckelmann hatte in Oelde einem „Hergottsschnitzer“ über die Schulter geschaut. Viele Jahre später finden sich thematische Spuren, etwa im nahezu „naiv“ angelegten Lindenholz-Relief „Sündenfall“ (1988/91) mit kanariengelber Paradiesschlange und einem über Adam und Eva grollenden, bärtigen Gottvater.

Doch auch das wilde Reitervolk der Skythen hat Höckelmann inspiriert, etwa zu archaisch anmutenden Skulpturen blutverschmierter Opferstätten. Es sind Objekte, die fremd in unsere vermeintlich rationalen Zeiten hinein ragen. Ähnliches gilt für verknotete Mischwesen, die gelegentlich monströse Zähne oder Zungen vorzeigen, für bizarre Stuhl-Gewächse oder die biblische, grell lachende Judith mit dem abgeschlagenen Kopf des Holofernes – hier vielleicht eine finale Szene aus den laufenden Geschlechterkämpfen.

Am Anfang war die schiere Schöpferkraft, die einzelnen Themen haben sich wohl erst sekundär daraus ergeben. Oft scheint es, als habe Höckelmann mit bloßen Händen in den Urgründen wilden Wachsens und Werdens gewühlt: Hier wurde etwas ungestüm begonnen, dort etwas (scheinbar unvollendet und regellos) liegen gelassen.

Gesamtkunstwerk für eine Kneipe

Der herkömmliche Werkbegriff trifft hier nicht zu. Manches scheint unfertig, doch ist es vollendet. Ein untrüglicher Instinkt hat dem Künstler eingeflüstert, wann der Form Genüge getan war. Vitalität und Lebensnähe gingen Höckelmann über alles. Lieber als in schicken Ateliers betätigte er sich in Hinterhöfen, lieber als im Museum hätte er im Metzgerladen ausgestellt.

Einmal hat er eine Kölner Kneipe mit seinen hängenden Plastiken ausgestattet. Das Gesamtkunstwerk blieb leider so nicht erhalten, ein neuer Pächter ließ es entfernen. Die Einzelteile liegen heute irgendwo verpackt. Wie gut sich diese und andere Arbeiten halten werden, steht noch dahin: Konservatoren haben wenig Erfahrung mit Materialien wie Styropor und Alufolie.

Gustav Lübcke Museum, Hamm (Neue Bahnhofstraße 9). 1. Dez. bis 9. März 2003. di-so 10-18 Uhr / Stadtmuseum Beckum (Markt 1) di-so 9.30-12.30, sa 15-17 Uhr. Katalog 14,90 Euro.




Kraftlinien der Melancholie – Kunsthalle Bielefeld: Edvard Munch im Brennpunkt des Jahres 1912

Von Bernd Berke

Bielefeld. Magisch irrlichtert es in seinen nächtlichen Wäldem, Farben und Formen seiner Küstenlinien zeichnen schmerzvoll ganze Seelenlandschaften nach, und seine Menschenporträts verströmen eine ungeheure Aura. Edvard Munch (1863-1944) hat in seiner großen Zeit himmelweit über die sichtbare Welt hinaus gemalt.

Das Gros seiner Bilder ist heute im Munch-Museet zu Oslo versammelt. Dort trennt man sich nur äußerst ungern von den Schätzen, etliche Werke dürfen gar nicht mehr reisen. Es bedurfte der ganzen Übenedungsgabe des Bielefelder Kunsthallen-Leiters Thomas Kellein, um den beharrlichen Norwegern schließlich doch noch einige Hauptwerke zu entlocken. Somit konnte Kellein weitgehend sein Konzept umsetzen, Munchs wesentlichen Anteil an jener ruhmreichen Kölner ,Sonderbund“-Schau des Jahres 1912 zu rekonstruieren und sinnvoll zu ergänzen.

Vielfach angefeindete „Sonderbund“-Schau

Neben Vincent van Gogh, dem anno 1912 fünf Säle gewidmet waren, und Pablo Picasso, galt Munch seinerzeit als d i e Lichtgestalt der zeitgenössischen Kunst: Saal Nummer 20 in der eigens errichteten 5000-Quadratmeter-Halle erschien wie eine Apotheose, wie ein Zielbereich des gesamten Lehrpfades. Der Kulturkampf erzkonservativer Kreise gegen jeden „Modernismus“ spielte damals in die vielfach angefeindete Schau hinein, die zugleich Schneisen für den Durchbruch der deutschen Expressionisten schlug. Die leugneten es zwar zuweilen hartnäckig, doch wurden sie wohl allesamt von Munchs  Sogkraft erfasst.

Heute sind derlei „Schlachten“ längst geschlagen, und auch die Präsentation hat sich grundlegend gewandelt: Was damals dicht an dicht in Stellung gebracht wurde, hängt heute in so luftigen Distanzen, dass jedes Bild wie ein Individuum feierlich hervortritt. Der Adam-und-Eva Variation „Fruchtbarkeit“ (um 1894) bleibt sogar ein eigener Raum vorbehalten, der beinahe sakral wirkt.

Alkoholismus und seelische Wirrnis

Man sieht zudem die zutiefst melancholischen Darstellungen aus Munchs Frühzeit – etwa das bewegende Bildnis seiner finster verschatteten Schwester Laura, die viele Jahre in einer Psychiatrie zubrachte. Oder: Das formal verwandte „Selbstbildnis mit Weinflasche“ (1906), auf dem Munch in hilfloser Resignation verharrt.

1908 unterzog er sich einer Alkohol-Entziehungskur, an deren Ende er den gottgleich auftretenden Nervenarzt Daniel Jacobson malte. Eine Reihe monumentaler Männer-Porträts (im geistigen Gefolge von Nietzsches „Übermenschen“-Phantasien) zeugt von strotzendem Kraftkult. Frauen kamen in diesem Universum kaum noch vor. Vielleicht fand Munch sie allzu stark: Er fürchtete ihre erotische Verführungs- und Vernichtungskraft.

Nach der psychiatrischen Behandlung scheint zumindest die faszinierend düstere Seite der Schöpferkraft allmählich zu schwinden. Munchs Palette hellt sich auf, Dinge und Menschen scheinen nun weniger „beseelt“. Es breiten sich nordisches Licht und Ruhe aus. Darüber wird seit jeher gestritten: Mindert innerer Frieden die kreativen Kräfte?

24. Nov. 2002 bis 16. Feb. 2003. Tägl. außer Mo 11-18, Mi 11-21.Sa 10-18 Uhr. Katalog 18 Euro.




In der Wahrheit liegt die Größe – Michael Gruner inszeniert Ibsens „Nora“ in Dortmund

Von Bernd Berke

Die Garderobe der Schauspieler ist diesmal auf der Bühne sichtbar: Vor den Schminkspiegeln rauchen die Mimen noch, vollführen tänzelnd und plaudernd ihre Dehn- und Streck-Übungen. Gleich werden sie unter gleißenden Scheinwerfern ihren Auftritt haben im Theater des Lebens. Sie werden sich also verstellen und an ihren Lügen festhalten, so lange es nur irgend geht.

In den so ungeheuer folgerichtig gebauten Stücken des Henrik Ibsen verfolgen die Figuren dieses (selbst)zerstörerische Spiel bis zur Unerträglichkeit. Auch Dortmunds Schauspielchef Michael Gruner muss dies so empfunden haben, denn er treibt den dringlichen Ausruf „Schluss mit dem Theater!“ als Zentralsatz aus Ibsens Ehedrama „Nora“ hervor. Die Bühnenkunst auf der verzweifelten Suche nach der wahren und wirklichen Existenz. Einmal mehr. Paradoxe Fügung: Man müsste spielen, dass man nicht mehr spielt…

Ein durchaus korrumpierbarer Herr

Nora (Birgit Unterweger) ist das „Vögelchen“ im Ehe-Käfig; kindisch, naschhaft, geldgeil und verschwendungssüchtig flattert sie einher. Advokat Helmer (Bernhard Bauer), neuerdings Bankdirektor, hält sie sich zur niedlichen Zierde seines erfolgssatten Lebens. Doch zur Weihnacht kommt die bittere Wahrheit ans Licht: Einst hatNora eine Kredit-Unterschrift gefälscht, um eine lebensrettende Italienreise für ihren Mann zu bezahlen. Somit ist sie erpressbar.

Das kann Helmer in seiner angemaßten Strenge nicht dulden. Nicht etwa aus moralischen Erwägungen, sondern weil es seine Karriere ruinieren könnte. Erst verweigert er das „Wunder“ des Verzeihens, dann – als die Gefahr schwindet – will er weitermachen wie bisher. Ein durchaus korrumpierbarer Herr. Doch Nora ist schon entschlossen, Haus, Mann und die drei Kinder zu verlassen. Keine Lügen mehr.

Schminken auf der Bühne für das Theater des Lebens

Es gibt in diesem grandios haltbaren Stück etliche Szenen und Sätze, bei denen einem der Atem stocken sollte. Doch die Dortmunder Inszenierung scheint den Text über weite Strecken zu stutzen und eher als laue Pflichtübung zu absolvieren. Eine besondere Begeisterung für diesen Stoff will sich nicht so recht zeigen, Zugriff und Inspiration halten sich ebenso in Grenzen wie das Repertoire der Gesten. Meist schwebt nur ein etwas fahriger Geist über der Szenerie. Große Worte, in kleiner Münze ausgezahlt.

Vom Ende her gesehen, könnte dies allerdings pure Absicht sein. Etwa so: Solange sie einander etwas vorspielen, bleiben sie flache Aufsager. Sehen sie der Wahrheit ins Auge, so gewinnen sie menschliche Größe. Aber dieses Kalkül geht nur zum Teil auf: Wenn sie sich schließlich auf offener Bühne abschminkt, findet Nora auf einmal zur ernsthaften Statur, wie weggewischt ist all ihre Kinderei. Fast unvermittelt wächst nun auch die Darstellerin: Nun darf Birgit Unterweger endlich aufschließen zur abermals höchst präsenten Monika Bujinski, die als Noras Jugendfreundin zu einern ganz eigenen, hellwachen Ton findet, und zu Matthias Scheuring, der den todkranken Hausfreund Doktor Rank mit melancholischer Verhaltenheit konturiert.

Deutlich unter solchen Möglichkeiten bleibt freilich Bernhard Bauer, der den Helmer als abgeschmackten Yuppie gibt und sich hernach immer nur fassungslos an die Stirn greift. Auch Marcus Off als erpresserischer Krogstad kommt über die wohlfeilen Wonnen der Schmierigkeil nur in wenigen Momenten hinaus. Gleichwohl gab es wohlwollenden Beifall für alle Beteiligten.

Nächste Termine: 23., 30. Nov. Karten 0231/50 27 222




Wer innig mit den Bildern lebt – Werke aus der Sammlung Brabant im Ahlener Kunstmuseum

Von Bernd Berke

Ahlen. Das bringt Museumsleute in Verlegenheit: Wenn sie eine ausufernde Sammlung wie jene von Frank Brabant zeigen und dafür einen bündigen Titel finden sollen. In Ahlen begnügt man sich mit der Allerwelts-Kennung „Meister der Moderne“. Dahinter aber verbirgt sich die Geschichte eines Mannes, der insgeheim so innig mit den Bildern lebt wie sonst nur wenige.

Der 1938 in Schwerin geborene Frank Brabant wuchs in bescheidenen Verhältnissen auf. Kinobesuche waren für den Jugendlichen zu teuer, also ging er in die Museen, was seinerzeit nichts kostete. Dort begann für ihn sozusagen der „Film seines Lebens“.

1958 wurde er Versicherungskaufmann in Mainz, von 1968 bis 1988 war er Gesellschafter einer großen Discothek, heute genießt er die finanziellen Früchte. Seit 1964 frönt er seiner in jungen Jahren geweckten Bilder-Leidenschaft.

Die Wohnung über und über mit Gemälden gefüllt

Mit einem kleinen Blatt von Max Pechstein fing es an und wuchs sich aus. Je nach Geldbeutel (in den 60ern waren 3000 Mark für eine Arbeit von Erich Heckel eine enorme Summe) kaufte Brabant vor allem Expressionisten hinzu, doch auch Neo-Impressionismus und „Neue Sachlichkeit“ verschmähte er nicht. Konstruktive Kunst, welche in ihrer oft reißbretthaften Machart die Seele nicht existenziell berührt, fehlt fast gänzlich. Heute verwahrt Brabant in seiner 130-Quadratmeter-Wohnung, die er mit niemandem teilen muss, Hunderte von Kunstwerken. Ahlens Museumsleiter Burkhard Leismann versichert, Brabant habe die heimischen Wände über und über mit Bildern verhängt und gar einige Fenster mit Gemälden verdunkelt. Man stelle sich vor…

Erstaunlich, genug, dass man in Ahlen nun 192 Bilder aus dem so überaus lieb gewordenen Fundus präsentieren darf. Es muss den Sammler einige Überwindung gekostet haben, seine Schätze für eine mehrjährige Tournee (die in Ahlen mit später nicht mehr möglicher Vielfalt beginnt) „loszulassen“.

Ohne Rücksicht auf die Moden des Marktes

Stets erwarb Brabant – ohne Rücksicht auf Moden des Marktes – nur Bilder, die ihn direkt ansprachen. Was allzu populär ward, mag der Sammler nicht mehr vorzeigen: Warhol und Chagall waren daher für die Schau tabu. Es verwundert bei dieser Art des Sammelns nicht, dass die meisten Arbeiten Menschenbildnisse sind. Mögliches Motto: Bilder sehen dich an. Von Toulouse-Lautrec über Jawlensky bis zu Emil Schumaeher und Markus Lüpertz kommen so zahllose prominente Namen zusammen – oft mit eher unscheinbaren Nebenwerken.

Daneben finden sich aber auch etliche Ölbilder und Grafiken nahezu „namenloser“ Künstler. Wer kennt beispielsweise die 1898 in Dortmund geborene Gerta Overbeck-Schenk? Selbst hartnäckige Recherchen brachten das Ahlener Museum in manchen Fällen nicht weiter.

Man muss ja nicht gleich Bernard Schultzes Bildtitel wörtlich nehmen: „Ersatz für Leben“. Doch wer seine Existenz so sehr auf die Kunst abstellt wie Brabant, kann oder sollte dabei nicht einseitig bleiben. Alle Spielarten des menschlichen Daseins sind denn auch vertreten, bis hin zu drastischen Bordellszenen oder grauslichen Mord-Bildern.

Der häufigste Grundton des Ganzen dürfte freilich eine gewisse Melancholie sein. Wenn man hie und da (angesichts deutlicher Qualitäts-Sprünge) meint, es könne sich doch um ein eben sehr persönlich geprägtes „Sammelsurium“ handeln, so gibt es immer wieder Werke, die derlei Skepsis verstummen lassen; Ein Beispiel nur: Vor Karl Hofers „Mädchen mit blauer Vase“ könnte man stundenlang verharren.

Kunstmuseum Ahlen, bis 9. Februar 2003. Katalog 25 Euro.

 




Silbrig blitzt das Haifischbecken – Frische „Dreigroschenoper“ mit Max Raabe im Dortmunder Konzerthaus

Von Bernd Berke

Und der Haifisch, der hat Zähne; doch die Verhältnisse, sie sind nicht so; nur wer im Wohlstand lebt, lebt angenehm. Man kennt nur allzu gut den Herkunftsort dieser Zitatfetzen: „Die Dreigroschenoper“ von Bert Brecht und Kurt Weill zählt eben zum unverbrüchlichen Repertoire. Ist sie etwa „abgenudelt“?

Nicht unbedingt. Im Dortmunder Konzerthaus erklang jetzt eine Tournee-Version von erstaunlicher Frische, die in ihren besten Momenten so frech mit dem Stoff umgeht, wie es Brecht selbst wohl behagt hätte. Dabei spricht der erste Anschein dagegen: kein Bühnenbild, keine Kostüme, statt dessen Sänger(innen) in braver Abendgarderobe, teilweise mit Belcanto-Ambitionen, die Partitur immerzu in den Händen haltend.

Kurt Weill als zweites Zentralmassiv

Kann man Brecht so stockseriös nehmen, sollen wir etwa „romantisch glotzen“, wie der Stückeschreiber es verächtlich genannt hat? Aber was heißt hier Brecht? Der spielt diesmal mit seinen genial-plagiatorisch geschöpften Texten eine noble Nebenrolle. Der Schauspieler Jürgen Holtz übernimmt die epische Füllung und spricht mit sonorer Ironie die Überleitungen. In den Mittelpunkt rückt freilich eben der (konzertant dargebotene) Opern-Anteil – und Kurt Weill wird als weiteres Zentralmassiv neben oder gar vor Brecht sichtbar. So hat man’s noch in keinem Schauspielhaus erlebt.

Dirigent HK Gruber und das „Ensemble Modern“ haben die Partitur runderneuert. Die Musik wirkt auf einmal wieder silbrig blitzend, wie neu geschärft mit herrlich schrägen Jahrmarkts-Tönen und gelegentlich halsbrecherischen Tempi. Zwischendurch jault die auf „Hawaii“ getrimmte Gitarre. 1999 ergab das (seinerzeit noch mit Nina Hagen) eine preisgekrönte Plattenaufnähme. Und immer noch kann man es spüren: HK Grubers Hingabe an die Sache ist um keinen Deut ermattet. Mit diebischer Freude wechselt er die Rollen, gibt mal den vehementen Takt vor, singt mal mit Brechtschem Zeigegestus den „Peachum“.

Schnoddrig Distanz schaffen

Zentrale Figur ist Max Raabe, ansonsten mit seinem „Palastorchester“ unterwegs, hier als „Mackie Messer“ passende Register ziehend. In seiner ganzen Art wirkt er wie ein Sendbote aus den Zeiten der Uraufführung (1928). Wunderbar lässig lässt er das „R“ rollen, behandelt ach so bekannte Zeilen zuweilen beinahe schnoddrig, schnalzend Distanz schaffend – heute wohl die einzige Art, ihre Essenz zu bewahren.

Hätte sie lediglich die raue Ballade von der sexuellen Hörigkeit vorgetragen, könnte man Barbara Sukowa (Frau Peachum) Ähnliches attestieren. Doch hernach gerät sie arg ins Schleifen und presst ihren Part heiser hervor. Dafür aber steigert sich Sona MacDonaId(Polly) zusehends. Auch Ute Gferer (Jenny) und Winnie Böwe (Lucy) mehren das sängerische Kapital, so dass man die ganze Veranstaltung mit einem Brecht-Zitat loben muss: „Es geht auch anders, doch so geht es auch.“




In den Zeiten der Trauer – Wilhelm Lehmbrucks Entwürfe für Grabmäler in Duisburg

Von Bernd Berke

Manchmal muss man Sammlungen nur nach anderen Gesichtspunkten sortieren – und schon erschließen sich ungeahnte Einsichten. In Duisburg hat, als vermeintlich geringfügiger Anstoß, eine vor drei Jahren überlassene Dauerleihgabe auf die neue Spur geführt.

„Die Seele“ heißt das Relief des Museums-Namensgebers und großen Plastikers Wilhelm Lehmbruck (1881-1919). Es zeigt eine ätherische Frauengestalt, die sich anschickt, gen Himmel zu entschweben. Kaum tauchte die Arbeit im Lehmbruck-Museum auf, gruppierten sich – fast wie von selbst – immer mehr Skizzen, Zeichnungen und Skulpturen aus dem reichen Fundus um sie herum. Sie haben allesamt innig mit dem November-gemäßen Thema „Tod“ zu tun.

Lukrative Einnahmequelle

Katharina Lepper, Kuratorin der Ausstellung „Wilhelm Lehmbruck: Grabmäler – Entwürfe für Leben und Tod“, fand heraus: Dieser Künstler hat nicht nur (noch mehr als vermutet) weite Teile seines Frühwerks dem Tod gewidmet, sondern auch etliche Entwürfe für Grabmäler und Gedenksteine geschaffen wie für einen Musterkatalog. Einiges wurde auf Friedhöfen ausgeführt, das meiste ist nicht erhalten geblieben. Es kann aus Relikten bestenfalls indirekt erschlossen werden.

Fest steht, dass aufwändige Grabmäler, etwa mit Figureninventar und Säulen-Architektur, seinerzeit eine äußerst lukrative Einnahmequelle waren. Umso erstaunlicher, dass der damals gerade 25-jährige Lehmbruck einschlägige Aufträge erhielt. Erfahrene Kollegen erblassten vor Neid.

Zugeständnisse an die Verwertbarkeit

Freilich musste Lehmbruck auf diesem anfangs der ökonomischen Verwertbarkeit künstlerischen Tribut zollen. Wollte er reüssieren, so hatte er sich an die enge Konvention, ja gelegentlich gar an triviale Muster zu halten. Einige bewegt sich nah am religiösen Trauer-Kitsch. Serien von Kinderbildnissen („Junge Liebe“, um 1906) oder Mutter-und Kind-Darstellungen (unklar: ob es wirklich Trauerbildnisse sind und wer gestorben war), sind recht süßlich geraten, ein Bergmanns-Relief weicht kaum vom damals üblichen Duktus ab. Keine kühne Form-Reduktion weist in Richtung Moderne.

Dennoch kann man erahnen, dass Lehmbruck seinen künstlerischen Durchbruch schon in dieser Frühzeit hatte. Nach und nach entfernte er sich von akademischen Skizzen (das Nachzeichnen von Grabmälern gehörte zur Ausbildung) und tastete sich zur eigenen Auffassung vor. Zudem changieren einige Arbeiten zwischen Traurigkeit und Lebensfeier. Wahrhaft tief Empfundenes lässt sich eben nicht festlegen. Man könnte hier leicht auf die uralte Idee zurückkommen, der Tod führe just in ein neues Leben. Eine Glaubensfrage.

Was der Schlaf bedeuten kann

Die Ausstellung bewegt sich, dem Gegenstand entsprechend, auf teils unsicherem Gelände. Zuweilen entscheidet die Präsentation eines Werks über die Deutung mit: Der Kopf einer schlafenden Frau könnte, aufrecht an der Museumswand postiert, ein normales Porträt sein. Legt man ihn jedoch auf einen Sockel, so stellt sich gleich der Gedanke an das Fragment eines Grabmales ein. Dann würde der Schlaf den Tod bedeuten.

Inwieweit das Todesthema Lehmbrucks psychischer Disposition (starke Neigung zu depressiven Phasen) entgegenkam, darüber lässt sich nur spekulieren. Schmerzlich verbürgt ist, dass der Künstler sich am 25. März 1919 das Leben genommen hat.

Bis 9. Februar 2003




Die verspiegelten Orte der Zukunft – Düsseldorfer Werkschau des US-Konzeptkünstlers Dan Graham

Von Bernd Berke

Wer sein eigenes Konterfei schätzt, der wird seine Freude an dieser Ausstellung haben: Immer wieder begegnet man in der Düsseldorfer Werkschau des Amerikaners Dan Graham (60) – sich selbst. Es ist eine vielfach verspiegelte Schau, welche die brüchig und durchlässig gewordene Realität überblendet, bis sie verschwimmt.

Graham, der seine Installationen penibel plant (Skizzen zeugen davon), entwirft – mit Janus-Blick auf Traditionen und aktuelle soziale Tatbestände – verschachtelte Architekturen, spielt mit offenen und geschlossenen Formen. Zentrale Fragestellung dieser Konzeptkunst: In welchen Räumen bewegt sich der Mensch?

Mit einer Fotoreihe dokumentiert Graham die serielle Ödnis der gleichförmig unwirtlichen „Homes for America“. Dies ist ein Zustand, den es zu überwinden gilt. Grahams Denk-Modelle könnten dabei Anstöße geben. Sie haben oft vertrackten Hintersinn, zuweilen auch kontemplative Qualitäten.

In der Kunsthalle Düsseldorf stehen Hausmodelle von Dan Graham im Puppenstuben-Format. In einem dieser putzigen Eigenheime läuft das TV-Gerät, draußen im Vorgarten steht ein größerer Bildschirm und projiziert, was drinnen geguckt wird, nach draußen.

Die Wahrnehmung nimmt sich beim Wahrnehmen wahr

Ein andermal dringt die Außenwelt ins Haus. Das Private wird öffentlich, das Öffentliche rückt einem auf den Pelz; bis man die Sphären kaum noch unterscheiden kann.

Graham phantasiert beispielsweise spezielle Räume für eitle kleine Mädchen herbei, oder er heckt Pläne für gigantische Skateboard-Schüsseln aus. Es sind vielleicht Orte einer kommenden Zeit. Auf den ersten Blick wirken sie freundlich und harmlos, sie können aber auch leises Unbehagen wecken. Doppelgesichtige „schöne neue Welt“.

Graham hat ehedem mit Wortlisten und Zahlenreihen experimentiert (auch davon gibt’s Beispiele zu sehen) und mit rituellen Performance-Auftritten (Videos vorhanden) eigenwillige Sozialstudien betrieben. Nun lotst er die Besucher in Düsseldorf durch etliche Zeit- und Sinnschleifen. Allerlei ausgeklügelte Spiegelkabinette und Pavillons halten die Sinne zum Narren.

Irgendwann nimmt sich die Wahrnehmung selbst beim Wahrnehmen wahr, man gerät dabei unversehens auf eine andere, höhere (?) Betrachtungs-Ebene. Gut möglich, dass dies mit der guten alten „Bewusstseins-Erweiterung“ zu tun hat, dem Traum der 60er Jahre.

Kunsthalle Düsseldorf (Grabbeplatz). Dan Graham, Werke 1965-2000. Bis 5. Januar 2003. Di-Sa 12-19, So 11-18 Uhr.




Moral und Geschnatter im Garten Eden – Karin Beier inszeniert Neil LaButes „Das Maß der Dinge“ in Bochum

Von Bernd Berke

Neil LaBute („Bash“) gilt als einer der stärksten US-Dramatiker seit Edward Albee. Klar und einfach sind seine Stücke gebaut, zugänglich wie sonst nur wenige. Doch Vorsicht! Der Mann verdingt sich gern als szenischer Minenleger.

Man merkt erst allmählich, dass sich in seinen Texten Sprengsätze verbergen – so zuweilen auch in „Das Maß der Dinge“ (Original: „The Shape of Things“). Karin Beier hat den boulevardesken Vierpersonen-Reigen als deutsche Erstaufführung für die Bochumer Kammerspiele inszeniert.

Der gar schüchtern-unscheinbare Museumsaufseher Adam ertappt die Kunststudentin Evelyn beim Übersteigen einer Absperrung. Unumwunden gibt sie zu, sie wolle das Gemächt einer Feigenblatt-Statue mit Farbspray zur grellen Kenntlichkeit markieren – Vandalismus oder ein Akt der Aufklärung? Jedenfalls eine Verwandlungsabsicht nach Gutdünken.

Adam schaut schließlich geflissentlich weg, nachdem Evelyn (also: Eva) ihm ihre Telefonnummer in die schäbige alte Jacke gesprüht hat. „Paradise revisited“: Wir sind mal wieder zu Besuch im Garten Eden, und der Sündenfall erneuert sich zwischen Bonbonfarben und pelzigen Kakteen (Bühne: Julia Kaschlinksi).

Frisch gestylt zum Seitensprung

Mit biblischer Fracht ist’s nicht genug, denn fortan kommt der alte Pygmalion-Mythos (populär durchs Musical „My Fair Lady“) zum Zuge, nur dass diesmal die Frau aktiv wird und alles (mitsamt Belohnungs-Sex) auf Video festhält: Evelyn formt sich diesen Adam nach einem Wunschbild, das sich letztlich in sämtlichen Paarungen des Westens regen dürfte. Neue Frisur, neue Schickimicki-Jacke, Kontaktlinsen statt Brille, Fitness-Übungen, Diät, operative Nasenkorrektur; das ganze Programm – bis Adam ein smarter Heini der ziemlich durchschnittlichen Sorte ist.

Später, im Hörsaal. wird uns Evelyn den Hintergrund ihrer Maßnahmen erläutern. Am Ende geht alles reichlich restlos auf wie eine Gleichung. Etwas mehr Reibung wäre nicht übel.

Komödiantische Typisierung

Man ahnt dennoch, dass Adams Mutation im Sinne eines Identitäts-Raubes ein „kannibalischer“ Vorgang ist. Leider tischt uns LaBute eine überdeutliche Botschaft geradezu puritanischen Zuschnitts auf: Wer so gefällig zugerichtet wird, der nehme zwangsläufig Abschied von Aufrichtigkeit und Moral. Merke zudem: Kunst kennt gleichfalls keine Moral, sie ist exhibitionistisch, will sich nur zeigen. Und so traut sich der frisch gestylte Adam nun auch, die bislang unerreichbar scheinende Jenny zu küssen (und mehr), obwohl er doch offenbar mit Evelyn liiert ist, und obwohl Jenny sich anschickt, seinen Kumpel Phillip zu heiraten. Die konfliktträchtige Vierer-Konstellation wird in etlichen Dialog-Schüben durchgespielt, als sei’s eine chemische Versuchsanordnung.

Karin Beier scheut kaum eine komödiantische Typisierung. Evelyn (Nele Rosetz) sitzt so angespitzt und steil wie eine Rakete im Sessel, ihre stets „schussbereite“ Schnute kündet von Willkür und Anmaßung. Jenny (Angelika Richter) hingegen muss unentwegt x-beinig über die Szenerie staksen. Selbst nach einern rührenden Bekenntnis zur Stinknormalität geht sie trippelnd ab, so dass es doch wieder zum Kichern ist. Phillip  (Patrick Heyn) geriert sich als ungebrochener Macho mit großspurigen Gesten. Doch Martin Lindow als Adam darf zu einem ganz eigenen Tonfall zwischen Naivität des reinen Toren und über allem schwebender Einsicht finden. Das lasst, in all dem gewöhnlichen Geschnatter, immer wieder aufhorchen.

Termine: 26. Okt, 1., 12., 16., 21. und 29. Nov. Karten: 0234/3333-111.




Das Zerbrechliche gar nicht antasten – eine brave Version von Tennessee Williams‘ „Glasmenagerie“ in Essen

Von Bernd Berke

Essen. Es gibt noch ein Theater jenseits aller temporären Aufgeregtheiten um schrille Konzepte von „angesagten“ Regisseuren. Es gibt das „täglich‘ Brot“ der Bühnen. Ist es nur Graubrot?

Im Essener Schauspiel-Studio kann man jetzt eine Probe aufs Exempel machen. Dort hat Martin Schulze ein in der Erinnerung fast schon verblasstes Stück von Tennessee Williams inszeniert, und zwar derart konventionell, dass man meint, dergleichen schon vor Jahrzehnten gesehen zu haben.

Warum hier und jetzt dieses Stück?

Vom Mobiliar bis zu den Gesten ist eigentlich nichts erkennbar von heute. Manche mögen da aufatmen und sich befriedigt im Theatersessel zurücklehnen. Als sei der ganze Text so fragil wie seine Hauptfigur Laura Wingfield, hat man „Die Glasmenagerie“ kaum anzutasten gewagt. Man könnte dies als Behutsamkeit, als Zeichen des Respekts vor dem Autor auslegen. Dennoch beschleicht einen die Frage: Warum hier und jetzt dieses Stück, wenn man doch keinen speziellen Zugang gefunden hat? Man müsste dem Drama ja nicht gleich die Haut abziehen, um es zu durchleuchten.

Die körperlich leicht behinderte Laura (oft nur geistesabwesend dreinblickend: Anja Schiffel) ist überaus schüchtern. Sie hat sich vor der ach so robusten Weit zurückgezogen und in eine eigene Sphäre versponnen, in deren Zentrum jene Glastier-Sammlung steht. Zerbrechlich die Figuren, zerbrechlich die Seele – derlei Symbolhaftigkeit ist für heutiges Empfinden zu üppig aufgetragen. Doch auch solche zeitbedingten Unzulänglichkeiten nimmt die Regle ohne Abstriche in Kauf.

Es geht noch immer zu Herzen

Die dominant-redselige Mutter Amanda (Ute Zehlen), die angeblich schon viel bessere Zeiten gesehen hat (als ihr Mann sich noch nicht aus dem Staub gemacht hatte), sorgt dafür, dass endlich mal ein „Verehrer“ für Laura eingeladen wird. Obwohl dieser Jim (Georg B. Lenzen) sich redlich bemüht, Laura nicht zu verletzen, ist er doch letztlich ein schaler Propagandist seines eigenen Erfolgsstrebens. Außerdem hat er längst eine andere Braut.

Der Rest ist quälende Peinlichkeit, die immer noch seltsam zu Herzen geht, selbst in dieser kreuzbraven Version. Es wird einem angesichts all der wehen und welken Illusionen gelegentlich eng in der Brust, und man würde vor dem Verblühen einer solch heillosen Restfamilie am liebsten Reißaus nehmen – wie Lauras Bruder Tom (Nico Link), der sich abends immer ins Kino davonstiehlt.

Im Großen und Ganzen gibt es solides Schauspiel-„Handwerk“ zu sehen; kleine Seelenstudien der Beklommenheit, die sich jedoch kaum einmal wirklich verdichten. Wahrlich ein unaufgeregtes Theater. In Ordnung. Jetzt aber bitte wieder ein paar Anstöße! Oder auch: Mehr Butter aufs Graubrot.

Termine: 23., 24.,26. Oktober. 5., 6., 23. und 24. November Karten: 0201/8122-200.




Staunenswerte Fülle – das Revier im Zeichen der Kultur

Von Bernd Berke

Der alte, eigentlich etwas abgegriffene Slogan „Ruhrgebiet – Kulturgebiet“ hat sich am Wochenende mit ungeahntem Leben erfüllt. Fast kann man schon von Angebots-Überfülle sprechen.

Die Ruhrtriennale hat begonnen, Zehntausende waren bei der „Nacht der Industriekultur“ im ganzen Revier unterwegs, die Essener Zeche Zollverein wurde offiziell zum Weltkulturerbe erklärt. Und „ganz nebenbei“ eröffnete in der Essener Villa Hügel die fulminante Schau mit Barock-Stillleben.

In wenigen Tagen wird zudem Dortmund kulturell im Blickpunkt der Republik stehen, wenn vom 13. bis 15. September das Konzerthaus feierlich eingeweiht wird.

Da verblassen sogar Berlin und München

Derlei weithin ausstrahlende Aktivitäten haben nun auch die überregionale Presse von dern Qualitäten der Regio zwischen Dortmund, Hagen und Duisburg überzeugt. In der „Süddeutschen Zeitung“ erschien ein umfänglicher Artikel, der die Triennale und das Konzerthaus mit höchsten (Vorschuss)-Lorbeeren bedachte. Eine solche Philharmonie wie Dortmund, so klagte das Blatt, habe München nicht zu bieten. Auch die Tatsache, dass bei den Berliner Philharmonikern Simon Rattle als neuer Chefdirigent anfängt, werde neben Dortmunds neuem Haus verblassen.

Wer wollte auch direkt nach diesem prallen Revierkultur-Wochenende ins Mäkeln verfallen? Freuen wir uns erst einmal über Vielfalt ,und Lebendigkeit dieser Tage.

Die täglichen „Mühen der Ebene“

Beizeiten allerdings, wenn der Kartenverkauf der Ruhrtriennale nicht noch Höhenflüge erleben sollte, wird auch über das Verhältnis von Aufwand und Ertrag zu reden sein. Schlimmstenfalls wird die NRW-Landesregierung eine gewisse Standfestigkeit brauchen, um weiterhin die hohen Festival-Zuschüsse zu rechtfertigen. Hoffen wir, dass die Triennale nur den richtigen Anschub braucht, dann zum „Selbstläufer“ wird – und die bestehenden Bühnen zu ehrgeizigen Taten beflügelt.

Bei allem Regionalstolz muss zudem an die täglichen „Mühen der Ebene“ erinnert werden: an die oft missliche Lage der städtischen Theater. In Wuppertal herrscht ein rigider Sparkurs, in Dortmund drohen eines Tages vielleicht ebenfalls herbe Einschnitte. Kultur ist eben eine Daueraufgabe, nicht nur der Glanz einiger Wochenenden.

 




Funkelnd und fruchtig: „Sinn und Sinnlichkeit“ – flämische Barock-Stillleben in der Essener Villa Hügel

Von Bernd Berke

Essen. Die Stillleben-Gattung gilt manchen als öde: Blumen über Blumen häufen sich da; allerlei Speisen, etliche tote Tiere und Krüge oder Trinkgläser füllen die Gemälde. Da regt sich doch nichts.

Doch wer so drauflos denkt, hat diese Ausstellung noch nicht gesehen: Die üppige Schau flämischer Stillleben von 1550 bis 1680, die nun in der Essener Villa Hügel gastiert, ist bunt und fruchtig wie das pralle Leben.

Hinter barocker Wohlstands-Pracht lauert zwar allemal die Vanitas, also Vergänglichkeit. Doch anders als die eher nüchternen Holländer, haben die katholisch geprägten Flamen dieser Einsieht die Krone der Hoffnung aufgesetzt – oft unscheinbar: Eine Ähre über dem Totenschädel, das bedeutete nach damaligem Verständnis die Gewissheit der Auferstehung.

110 Werke aus vielen großen Sammlungen der Welt kann die Kulturstiftung Ruhr jetzt vorweisen. Der entlehnte Titel „Sinn und Sinnlichkeit (Roman von Jane Austen, Verfilmung desselben) trifft den“doppelbödigen Sachverhalt recht gut: Die Bilder sprechen alle Sinne an, und dahinter verbergen sich tiefere Sinn-Schichten, mit denen Kunsthistoriker sich plagen.

Eine Frau bleibt lieber im Hintergrund

Aufschlussreich dargelegt werden auch Grenzbereiche zu anderen Gattungen wie dem Genrebild oder der Historienmalerei. Hier kommt Peter Paul Rubens zum Zuge, von dem u. a. eine wahre Horror-Vorstellung zum Medusa-Mythos zu sehen ist.

Bemerkenswert: Neben all den Brueghels, Hoefnagels und de Heems ist auch eine der seinerzeit raren Malerinnen vertreten: Clara Peeters hielt sich freilich persönlich im Hintergrund. Ein einziges Selbstbildnis hat sie geliefert – mikroskopisch klein als Spiegelung in einem Tischgefaß…

Gründungsbild der Stillleben-Gattung, die anfangs in der künstlerischen Hierarchie als „niedrig“ galt, ist Pieter Aertsens „Speisekammer mit Maria, Almosen verteilend“ (1551). Die Heiligen-Szene rückt hier weit in den Hintergrund, wird beinahe blasphemisch verborgen hinter einem Schweinskopf. Doch nicht das biblische Geschehen sollte geschmäht werden, sondern umgekehrt: Der Künstler staffierte Produkte des Fleischerhandwerks mit Zeichen allerhöchster Würde aus – zwiespältig genug.

Am liebsten in die Bilder beißen

Den frappanten Augentäuschungen, diesen Vexierspielen zwischen Realität und Abbildung (Fachbegriff: trompe l’oeil) widmet man eine eigene Raumflucht. Cornelis Norbertus Gijsbrechts fügte veritable Scharniere und Schlösser in seine Bilder ein – erstaunlich frühe Vorform des neuzeitlichen Materialbildes.

Doch so sehr die Gläser auf manchen Bildern auch funkeln, so mundgerecht die Trauben auch hängen und prangen (hie und da möchte man am liebsten in die Bilder beißen, was natürlich strikt verboten ist), so handelt es sich doch nur selten um bloße Natur-Nachahmung. Vermeintliche Insekten-Forscher unter den Malern haben in Wahrheit vielfach Phantasietiere ersonnen. Und wenn etwa Adriaen von Utrecht für ein Jagd-Stillleben erlegtes Wild arrangiert, so tut er dies ganz im Sinne künstlerischer Komposition, auf dass sich eine „schöne Linie“ ergebe.

Häufig erotische Hintergedanken

Apropos Tiere. Bei den sinnenfrohen Flamen gab es kaum ein Lebewesen ohne erotische Anspielung. In abendlicher Weinrunde hat man damals frivol über derlei Gemälde-Finessen geredet. Gewisse Fisch-Teile verweisen so unmissverständlich aufs weibliche Genital wie Artischocken oder Austern. Kein Witz: Der Hase weckte derbe Hintergedanken ans „Rammeln“, der Vogel gemahnte buchstäblich ans „Vögeln“ Da sieht man doch die Bilder von Fischmärkten und Tafelfreuden gleich mit ganz anders geweiteten Augen…

1. September bis 8. Dezember. Villa Hügel, Essen. Katalog 30 Euro.




„Mit Klassik allein kann man kaum Geld verdienen“ – Gespräch mit dem Dortmunder Konzerthaus-Chef Ulrich Andreas Vogt

Ulrich Andreas Vogt (50) wirkt ein wenig gestresst. Er hat wieder mit dem Rauchen angefangen. Für den Intendanten des Dortmunder Konzerthauses, das vom 13. bis 15. September feierlich eröffnet und dann manchen musikalischen Weltstar hierher führen wird, ist jetzt die ganz heiße Arbeitsphase angebrochen.

Westfälische Rundschau (WR): Wie sieht ihr Pensum im Endspurt vor der Eröffnung aus?

Ulrich Andreas Vogt: Gestern war ich um kurz nach fünf Uhr morgens im Haus, und spät abends nach elf habe ich es verlassen. Das Protokoll für die Eröffnung, für den Besuch des Bundespräsidenten steht auf der Tagesordnung. Dann die Baustelle; die Planungen für die nächste und übernächste Saison…

WR: Ihre Gemütslage?

Vogt: Aufgeregt natürlich. Meist kommt man ja auch gar nicht dazu, sich Gedanken über sich selbst zu machen. Man hangelt sich von einem Problem zum anderen.

In Westfalen fehlt noch eine richtige Konzertstätte

WR: Wie schätzen Sie die Konkurrenz im Konzertleben ein? Bochum und Essen planen Philharmonien, in Köln gibt es längst eine.

Vogt: Der Kuchen ist nur einmal zu verteilen, aber ich meine: Der Kuchen wurde noch gar nicht richtig gebacken in dieser Region. In Westfalen fehlt bisher ein richtiger Konzertsaal. Wir haben zudem ein anderes Einzugsgebiet als Köln. Bei uns sind es Sauerland, Siegerland, Münsterland, Soester Börde. Der Essener Saalbau ist als Mehrzweckhalle konzipiert. Wir konnten uns auf die Konzert-Akustik konzentrieren.

WR: Und Bochum?

Vogt: Dort wird sich das Problem der Finanzierung stellen. Ich weiß, dass wir in Dortmund einen solchen Ratsbeschluss heute nicht mehr hinkriegen würden.

WR: Im Konzerthaus wird es nicht nur „E-Musik“ geben. Welche Rolle spielen Jazz, Revue, Pop und Musical?

Vogt: Eine große. Inhaltlich wie finanziell. Wir wissen sehr wohl, dass man mit bestimmten Sparten ernster oder klassischer Musik nur sehr schwer Geld verdienen kann. Das müssen wir ausgleichen – mit unserem Roncalli-Programm, mit der Christmas Show. mit Musical-Elementen. Zur Zeit planen wir ein Weltmusik-Projekt mit dem Popsänger Sasha. Das alles ist Kunst. Wir werden keine Schundware verkaufen. Leonard Bernstein hat gesagt: „Es gibt keine E- und U-Musik, es gibt nur gute oder schlechte.“

Siebtgrößte Stadt auf Platz 147 bei den Kulturausgaben

WR: Was halten Sie Kritikern entgegen, die die 94,3 Millionen D-Mark Baukosten fürs Konzerthaus beklagen?

Vogt: Dortmund ist die siebtgrößte Stadt der Bundesrepublik. Bei den Kulturausgaben pro Kopf stehen wir auf Platz 147. Ein Vakuum! Ein Konzerthaus gehört so zur Bildung wie eine Universität. Es reicht nicht aus, nur Schulen und Krankenhäuser zu bauen. Der Umbau des Essener Saalbaus ist erheblich teurer, 140 Millionen Mark. Ich denke immer noch in Mark.

WR: Und die Folgekosten?

Vogt: Auch relativ günstig. Wieder in Mark: Pro Jahr bekommen wir 7,7 Millionen an Subventionen, davon werden 3,9 Millionen für Zinsen und Tilgung verwendet. Es bleiben weniger als 3 Millionen für den Spielbetrieb übrig.

WR: Wie viele Abonnenten haben Sie gewonnen?

Vogt: Wir sind bei 2360, davon 60 Prozent aus dem Umland bis nach Lüdenscheid und Olpe. Auf 3000 wollen wir in dieser ersten Saison noch kommen. Wir streben eine durchschnittliche Platzausnutzung von etwa 78 Prozent an. Kammermusik liegt bei 56 Prozent im Soll, anderes dürfte ausverkauft sein.

Partituren und Bilanzen lesen

WR: Welchen Einfluss wird das Konzerthaus auf das Brückstraßen-Viertel haben?

Vogt: In den nächsten Jahren wird sich das Quartier stark verändern. Aber ganz fein muss es auch wieder nicht werden. Das Flair sollte erhalten bleiben. Kürzlich haben sich 96 Anrainer in einer Anzeige bei uns für die Aufwertung des Viertels bedankt – vom „Kartoffellord“ bis hin zum Sex-Shop…

WR: Sie sind Inhaber einer großen Firma für Gebäudereinigung. Wie lässt sich das mit der Intendanz vereinbaren?

Vogt: Ich bin immer zweigleisig gefahren, ich kann sowohl Partituren als auch Bilanzen lesen. Mit 13 war ich Theater-Statist. Als ich die Firma von meinem Vater übernommen hatte, habe ich an den Wochenenden Gesangs-Unterricht in Paris genommen und war später als Sänger an der Dortmunder Oper engagiert. Irgendwann wurde das zuviel. Jetzt bin ich praktisch aus der Firma ‚raus. Sie gehört mir zwar noch, wird aber von zwei Geschäftsführern geleitet. Das Unternehmen gibt mir jedoch soziale Sicherheit: Ich könnte jederzeit zurückgehen, wenn die Politiker etwas von mir verlangen, was ich künstlerisch nicht vertreten kann.

Konzerthaus-Tickets: 01805/ 44 80 44 oder 0231/22 696 222

(Das Gespräch führte Bernd Berke)

 




Mitten ins Traumreich – Grandioser Überblick zum Surrealismus in der Düsseldorfer Kunstsammlung NRW

Von Bernd Berke

Der Surrealismus war nicht bloß eine Kunstrichtung. Die Generation, die ihm frönte, hat einen ganzen Kontinent der menschlichen Psyche neu vermessen. Eine phänomenale Ausstellung der Kunstammlung NRW (neuerdings „K 20″ genannt) entwirft nun mit schier unglaublichen 500 (!) Exponaten ein Gesamtbild der Bewegung.

Werner Spies, einer d e r Surrealismus-Experten überhaupt, hat all die Schätze weltweit fürs Centre Pompidou eingesammelt. In Paris kamen rund 500.000 Besucher. Spies findet, die Düsseldorfer Version der Schau sei noch einmal eine Spur schöner geraten. Überhaupt erging man sich gestern bei der Pressekonferenz in Superlativen des Eigenlobs. Das Beste daran: Sie treffen zu!

Keinen bestimmten Stil entwickelt

Die Surrealisten haben keinen bestimmten Stil entwickelt, wie etwa die Im- oder Expressionisten. Die bildnerischen Reisen durch Gefilde des Unbewussten, des Traumes und des Rauschs erlauben so manchen Zugang und Nebenweg. Die Haltung ist wichtiger als die Malweise. Der Leitsatz surrealistischen Bestrebens könnte etwa so lauten: „Du sollst alles zulassen!“ Nämlich jeden noch so wilden Gedanken, sexuelle Urschreie und gewaltsame Wirrungen eingeschlossen, jede noch so abenteuerliche Kombination der Dinge. Legendär die Ansicht des Dichters Lautréamont, gar schön sei die Begegnung eines Regenschirms und einer Nähmaschine auf einem Operationstisch…

Schwellende Akkorde von Max Ernst und Giorgio de Chirico

In Düsseldorf wartet man nun mit Meisterwerken sonder Zahl auf. Überall begegnet der Besucher berühmten Bildem. Chronologisch sortiert, hängt nahezu die komplette „Bestenliste“ an den Wänden. Einen Überblick zu den künstlerisch handelnden Personen verschafft gleich eingangs Max Ernsts Kopf für Kopf nummeriertes Gruppenporträt „Das Rendezvous der Freunde“ (1922), die sich um den oft „päpstlich“-doktrinären André Breton scharen. Zweiter schwellender Anfangs-Akkord: Die Schlagschatten-Welt des Giorgio de Chirico, der sich hier als machtvoller Anreger des Surrealismus erweist. Er hat gleichsam das Tor zum Traumreich aufgestoßen.

Einen grandiosen Auftritt hat der unerschöpflich rätselvolle René Magritte. Geht man über eine Wendeltreppe in den zweiten Stock (wo die ständige Sammlung vorübergehend weichen musste), so tut sich ein atemberaubendes Bilder-Ensemble auf, das fast schon für eine Einzel-Präsentation Magrittes reichen würde. Doch auch die Werkkomplexe von Max Ernst, Picasso und sogar Miró (der ja derzeit „nebenan“ im Kunstmuseum breit vorgestellt wird) sind enorm reichhaltig.

Der Triumph wirkt bedrohlich

Hinzu kommen erhellende Seitenblicke auf Hans Arp, Giacometti und Man Ray. Selbst der oft geschmähte Salvador Dalí erfährt eine Ehrenrettung – zumal mit kleineren, nicht so selbstgefällig auftrumpfenden Arbeiten.

All dies summiert sich fürwahr zu einem „Triumph des Surrealismus“. Just so heißt denn auch 1937 ein Bild von Max Ernst, dessen Phantasiefigur den Betrachter allerdings bedrohlich anspringt; ganz so, als hätte Max Ernst geahnt, dass sich die dunklen Triebe, die von den Surrealisten erkundet wurden, auch in Faschismus und Weltenbrand entladen könnten.

Kunstsammlung NRW / „K 20″. Düsseldorf, Grabbeplatz. Vom 20. Juli bis 24. November. Di bis Fr 10-18 Uhr, 1. Mittwoch im Monat 10-22 Uhr. Eintritt 7,50 Euro, Katalog 39 Euro. www.kunstsammlung.de




Der Zorn auf den Zustand der Welt – Der Wiener Chanson- und Liederdichter Georg Kreisler wird 80 Jahre alt

Von Bernd Berke

Sein Charakter ist gewiss felsenfest gegründet, doch seine Stimmungen sind schwankend: Mal klingt Georg Kreislers Gesang melancholisch verhangen oder traumverlo, dann wieder wie von aller Welt nur noch angewidert, morbide und todessüchtig nach Wiener Art. Mitunter aber beginnen seine Lieder zu galoppieren wie wütende Rosse.

Dann hämmert das Piano im aggressiven Stakkato, und die Worte sausen durch abenteuerliche Reim-Kurven („In Bochum / gibt es ooch Um- / Sätze“). Durch all die vielen Jahre seines Schaffens ist Kreisler, der heute 80 Jahre alt wird, ein zorniger Mann mit lustvoll anarchistischen Neigungen geblieben; einer, der sich niemals abgefunden hat mit herrschenden Personen und Zuständen. So manche Rundfunkstation hat ihn, so klagt Kreisler, wegen solcher Beharrlichkeit boykottiert.

Einflüsse des amerikanischen Exils

Der Sohn eines jüdischen Rechtsanwalts musste seine Heimatstadt Wien 1938 beim Einmarsch der Nazis verlassen, er emigrierte in die USA. Dort setzte er seine gerade begonnene musikalische Ausbildung fort, Swing-Feeling inklusive. In den frühen 50er Jahren war er u. a. Nachtclub-Sänger in New York. Sinatra hat’s gesungen: Wer es dort schafft, schafft es überall.

1955 kehrte Georg Kreisler nach Wien zurück, wo – vielfach im Duett mit seiner Frau Topsy Küppers – seine wohl erfolgreichste Zeit begann. Heute lebt er mit seiner Bühnen- und Lebenspartnerin Barbara Peters in Basel.

Zahllose Platten hat Krelsler eingespielt, einige verkauften sich weit über hunderttausend Mal. Lieder wie „Geimma Taubenvergiften im Park“, „Zwei alte Tanten tanzen Tango“ oder „Wie schön wäre Wien ohne Wiener“ stehen ehern auf der imaginären Langzeit-Bestenliste deutschsprachigen Sangesgutes.

„Lieder gegen fast alles“

Natürlich hat der allzeit unverwechselbare Kreisler auch etliche Tourneen absolviert. Im kommenden Herbst will der Mann, der sich schon öfter „für immer“ von der Bühne verabschiedet hat, eine weitere Rundreise antreten. Eine bewundernswerte Antriebskraft muss ihn leiten, so unermüdlich gegen die Unbill der Welt anzusingen.

„Lieder gegen fast alles“ heißt denn auch seine neue CD, die gerade frisch aus der Presse kommt (kip records, No. 1024). Sie enthält zumeist ältere, jedoch neu arrangierte, hie und da behutsam umgetextete Lieder, die gleichwohl teilweise etwas Patina angesetzt haben. Manche Widerspenstigkeit wird eben irgendwann von selbst historisch – sei sie auch noch so scharf und trefflich formuliert. Beim besten Willen kann man nicht alle gewesenen oder zu befürchtenden Regierungschefs („Bundeskanzler irgendwer“) in einen Sack stecken und draufhauen.

Manchmal wird er ganz makaber

Doch die Stoßrichtung gegen rabiate Machthaber und Geldsäcke („Sie sind so mies“) stimmt in den Grundzügen noch immer. Und Kreislers Alarmrufe gegen alle antisemitischen Umtriebe sind nicht nur biographisch zutiefst beglaubigt, sondern bestürzend aktuell. Gerade in jüngerer Zeit, so bekannte er, seien ihm seine jüdischen Wurzeln erst wieder auf schmerzliche Weise bewusst geworden.

Leider fehlen auf der neuen Scheibe jene makabren Miniaturen, für die Kreisler zu Recht gerühmt wird. Kaum einen anderen gibt’s, der etwa einen so finsteren Blick auf „Die Ehe“ gerichtet hätte. Der ganze böse graue Alltag misslingender Zweisamkeit wird im gleichnamigen Song durchschritten, bis es auf einmal ganz lapidar heißt: „Dann hört man mit dem Hadern auf / und schneidet sich die Adern auf.“ Schwärzer geht’s nimmer.

 




Lauter Damen und eine Leiche im Haus – François Ozons grandioser Film „8 Frauen“

Von Bernd Berke

Das Familienoberhaupt Marcel liegt tot im Bett, der Mann ist offenbar hinterrücks erstochen worden. Welch eine Symbolik zur potenziell vater- und männerlosen Gesellschaft: Denn in François Ozons gleichnamigem Film haben nur jene „8 Frauen“ ihre fulminanten Auftritte, die allesamt der Tat verdächtig sind.

Jede enthüllt fortan die möglichen Motive und Abgründe der anderen, jede hat etwas zu verbergen, keine bleibt ungeschoren. Ein geradezu teuflischer Reigen, der dem Kinozuschauer freilich göttlich vorkommen mag. Denn Ozon bietet eine unvergleichliche Riege französischer Schauspielerinnen auf. Schon angesichts der Namen schmilzt das Herz des Connaisseurs, wobei das Alter der Damen keine Rolle spielt: Emmanuelle Béart, Isabelle Huppert, Fanny Ardant, Cathérine Deneuve, Virginie Ledoyen, Danielle Darrieux.

Die Hure, die Furie, das Lämmchen, die Madonna

Das Mord-Haus ist vorweihnachtlich tief eingeschneit, das weibliche Oktett bleibt daher zwangsläufig unter sich. Es ist eine konzentrierte Situation wie in einem Agatha-Christie-Krimi, eine dichte psychologische Versuchsanordnung. Furios, offensiv und ohne Scheu vor melodramatischen Aufgipfelungen jongliert der Film mit derlei Prägeformen, vor allem aber mit Essenzen der Fraulichkeit: die Hure, die Furie, das Lämmchen, die Madonna – solche Klischeemuster nicht nur der 1950er Jahre (in denen die Handlung spielt) werden zugleich mit großer theatralischer Geste bedient und federleicht ironisch aufgehoben. Es ist eine Komödie im Gewand der Tragödie – und umgekehrt: Erstaunlich genug: Die punktgenau durchgehaltene Stilisierung nimmt dem Geschehen kein Tüpfelchen von seiner Lebendigkeit. Fast schon Nebensache, dass sich der Kriminalfall am Ende ganz überraschend löst.

Gar manches kommt in diesem atemberaubend wechselvollen Enthüllungsdrama zum Vorschein, wir lernen sämtliche Schau- und Kehrseiten der erotischen Reize kennen: Hass, Eifersucht, inzestuöse Wünsche, sexuelle Abweichungen. Ein Gebräu zwischen Skandal und Hysterie, aus dem die Mordgelüste nur so zu strömen scheinen.

Jede Darstellerin hat ihr großes Solo

Und wem soll man nur die Krone der Schauspielkunst geben? Etwa Cathérine Deneuve, die die großbürgerlich, kühle Hausherrin Gaby mit plötzlichen Bruchlinien verkörpert? Oder Isabelle Huppert als deren Schwester Augustine mit ihren Furcht erregend famosen Ausbrüchen eines missgünstigen Biestes und ihrer gloriosen Verwandlung zur glänzenden Dame? Oder doch Emmanuelle Béart als zunächst dienstbares, doch zutiefst zwielichtiges Hausmädchen, das sich in einer grandiosen Sequenz als erotischer Vamp zu erkennen gibt? Nun, man mag sich gar nicht entscheiden. Jegliche Diva hat eben ihre eigene Strahlkraft, ihre eigene Unwiderstehlichkeit.

Obgleich jede Darstellerin ihre großen Soli (zudem mit wunderbar prägnanten Gesangs- und Tanzeinlagen) bekommt, ist dies im besten Sinne ein Ensemblefilm mit ausgewogen komponierten Duetten, Duellen und Gruppenszenen. Wenn in der Schluss-Szene alle Beteiligten auf die Kamera zuschreiten wie nach dem Ende einer Theater-Vorstellung, so ist dies eine wahre Apotheose, eine feierliche Verklärung.

Und noch eine selten erreichte Qualität muss man erwähnen: die ausgeklügelte Farbgebung. Jeder Figur ist ein ganz bestimmtes Spektrum im penibel rekonstruierten Stile von Technicolor zugedacht. Kunstvoll glamourös wird das Geschehen überformt, doch zugleich dient das Mittel der Charakterisierung. So sehen eben Kino-Klassiker aus.




Überhitzte Phantasien – Zu Martin Walsers höchst umstrittenem Roman „Tod eines Kritikers“

Von Bernd Berke

Nun ist es also entschieden, gestern hat man sich in Frankfurt „trotz Bedenken“ dazu durchgerungen: Der Suhrkamp-Verlag bringt Martin Walsers heftig umstrittenen Roman „Tod eines Kritikers“ am 26. Juni auf den Markt. Walser sagte, dies sei „ein Grund zur Freude“. Doch damit dürfte die Debatte noch lange nicht beendet sein. Im Gegenteil.

In der ARD-Talkshow „Boulevard Bio“ geriet das Thema späten Dienstag Abend sozusagen auf die allerhöchste Ebene: Sowohl Bundeskanzler Gerhard Schröder als auch Literaturnobelpreisträger Günter Grass nahmen (jeweils ohne das Buch zu kennen) Walser gegen Antisemitismus-Vorwürfe in Schutz.

Äußerungen von Kanzler Schröder, Günter Grass und Marcel Reich-Ranicki

Zur selben Zeit äußerte sich im ZDF der in Walsers Roman karikierte „Kritiker-Papst“ Marcel Reich-Ranicki genau gegenläufig. In seiner „Solo“-Sendung sah er sich gezwungen, quasi in eigener Sache Stellung zu beziehen. Walsers Text, so Reich-Ranicki, habe ihn „tief getroffen, denn er sei „in hohem Maße antisemitisch“. Viele Feuilletons sähen das ähnlich, nur nicht das der „Süddeutschen Zeitung“ (SZ). Warum? Reich-Ranickis Verschwörungstheorie: Dort seien drei Redakteure am Werk gewesen, die vormals bei der „Frankfurter Allgemeinen“ (FAZ) tätig waren – unter Leitung von Frank Schirrmacher, der jetzt den Vorabdruck des Romans in der FAZ abgelehnt hatte. Wollten die SZ-Leute etwa Rache am Ex-Chef nehmen?

Unsinniger Antisemitismus-Vorwurf

Abgesehen davon, dass sich einige gewichtige Stimmen pro Walser erhoben haben (u.a. auch Sigrid Löffler, Reich-Ranickis langjährige Mitstreiterin beim „Literarischen Quartett“), liegt wohl eine andere Hypothese näher: Frank Schirrmacher hätte danach seinen einstigen FAZ-Ziehvater“ Reich-Ranicki in (vorauseilendem?) Gehorsam vor Walsers Text bewahren wollen und in der gerade heißlaufenden Möllemann-Debatte einen idealen Anknüpfungspunkt für seinen Antisemitismus-Vorwurf gegen den Autor gesehen. Seither nimmt die Diskussion hysterische Züge an.

Nach eingehender Lektüre der (vom Verlag per e-Mail übermittelten) Suhrkamp-Druckfahnen zum strittigen Roman lässt sich jedoch glasklar feststellen: Dieser Text ist n i c h t antisemitisch!

Allerdings enthält er einige Überzeichnungen zum Machtgehabe eines TV-Kritikerfürsten, der hier „André Ehrl-König“ heißt. Walser gibt zu, für diese Figur habe Reich-Ranicki Pate gestanden. Auch mögen Überdruss und sogar Hass seine Feder geführt haben. Jedenfalls gerät im Roman ein von Ehrl-König via TV „verrissener“ Autor namens Hans Lach in Verdacht, sich für die Schmach mit einem Mord gerächt zu haben.

Klippschul-Stoff: Autor und Figur sind zweierlei

Aus Hans Lachs (mehrfach gebrochener, überblendeter) Innen-Perspektive werden mögliche Motive erwogen, werden Fragen von Schuld und Sühne aufgeworfen. Worauf es aber ankommt: Jener Ehrl-König wird eben keineswegs als Jude attackiert, sondern als anmaßender Kritiker, der nur das vernichtende „Entweder – Oder“ kennt. Seine Machttechniken werden in aller Verzerrung zur Kenntlichkeit gebracht.

Bereits in den Klippschulen der Literatur-Betrachtung wird gelehrt, dass man einen Schriftsteller und seine Figuren nicht verwechseln sollte. Gleichwohl hat Reich-Ranicki im ZDF Walser höchstselbst Mordgelüste vorgehalten. Oha! Wollte man allen Autoren der Weltliteratur die Aussagen ihrer Figuren als persönliche Schuld zur Last legen, so säßen die meisten lebenslänglich im Knast.

Eine andere Frage ist die nach der literarischen Qualitat. Gewiss wird Walser einkalkuliert haben, dass man sich über die Schlüssel-Figuren ereifern würde. In der oder jener Gestalt mag man z.B. Reich-Ranickis alten Freund-Feind Walter Jens oder auch den (derzeit schwer erkrankten) Suhrkamp-Chef Siegfried Unseld erkennen. Walser schwelgt streckenweise derart in solchen Bezügen und überzogenen Parodien, dass man eine „Bierzeitung“ zur Erheiterung literarischer Zirkel zu lesen glaubt. Manches in diesem Roman ist arg wiederholungsträchtig, anderes verliert sich nebulös zwischen literarischer Mystik und „Umwertungs“-Drang à la Nietzsche. Aber nur mit maßlos überhitzter Phantasie kann man darin „Antisemitismus“ aufspüren.




Wie die Händler des Todes mobben – Matthias Hartmann inszeniert in der Sparkasse „Die Direktoren“ mit Harald Schmidt

Von Bernd Berke

Direktor Denfert trägt eine besorgte Unschuldsmiene zur Schau, doch dieser Konzern-Jurist ist ein arger Mobbing-Teufel. Dem Direktionskollegen Odéon vom Finanzressort wispert er den dringlichen Rat zu, er solle ruhig den „Kosten-Koeffizienten“ auf 45 Prozent steigern. Der arme Wicht geht darauf ein.

Nun erzählt Denfert allen anderen, Odéon sei offenkundig verrückt geworden. Der wolle doch tatsächlich den Koeffizienten steigern. Wenn die Firma so teuer anbiete, bekomme sie nie Aufträge . .. Der Mann will nach oben, will hinauf zur Vorstandsebene – dorthin, wo sich Montparnasse (Harald Schmidt in seiner zweiten Bochumer Rolle) bereits befindet.

Denfert (aus der Deckung attackierend: Martin Hörn) hat noch viele Giftpfeile im Köcher. Seine Strategien treiben das Stück „Die Direktoren“ an, für das der Franzose Daniel Besse zwei Molière-Preise kassiert hat. Es geht nicht nur um Postenjagd, sondern auch um brisante Rüstungsgeschäfte von „Delta Espace“. Den Briten will man Raketen verkaufen und dabei die US-Konkurrenz ausstechen.

Handlung direkt und via Bildschirm

Bochums Bühnenchef Matthias Hartmann bringt die deutschsprachige Erstaufführung des tragikomischen Inüigen-Reigens nicht etwa im Schauspielhaus, sondern in der Sparkasse heraus: Mit dem Aufzug geht’s in den vierten Stock. Es ist just die trostlos gediegene Chefetage. Dort verteilen sich die Zuschauer auf drei Räume. Vom Geschehen sehen sie je etwa ein Drittel leibhaftig, den Rest nur per Direktübertragung – schwarzweiß auf großen Bildschirmen. Liegt es nur daran, dass man sich in einem recht konventionellen Konversationsstück fürs ambitionierte Fernsehspiel wähnt?

Von avantgardistischen Mühen ist der Text sternenweit entfernt. Doch er bietet eine solide Basis für Schauspielkunst der angenehm traditionellen Art. Kameras folgen den Schauspielern bis auf die Toilette. Die Bildschirmdarstellung, in nahtloser Abfolge mit Realszenen eine logistische Leistung, bewirkt auch diesen Eindruck: Die Figuren (alle nach Pariser Metro-Stationen benannt) scheinen einem Schattenreich zu entstammen.

Gestalten huschen vorbei, um plötzlich via „Fernsehen“ aufzutauchen. Ganz so, als überwache sie ein allgegenwärtiges Auge. Vielleicht ist’s ja das göttliche Auge der Historie, das schon alles gesehen hat und dessen Blickwechsel Hartmann so beschwört: Mittendrin tragen auf einmal alle Bosse barockisierende Kostüme und Perücken. Derart im Kerzenlicht verfremdet, gleitet die Handlung in kunstreich verschnörkelte Ränkespiele à la Marivaux hinein. Mobbing als Phänomen der Hochkultur.

Kultivierte Form der Gemeinheit

Im Gegensatz zu Becketts „Godot“, wo er als Prominenter in den Hintergrund trat, ist Harald Schmidt diesmal kenntlich. Sein Wein- und Golf-Kenner Montparnasse verkörpert eine ähnlich luzid-luziferische Mischung aus Kultiviertheit und Gemeinheit, wie sie Schmidt in seiner TV-Show pflegt. Die Rolle passt ihm wie angegossen.

Und erneut fügt er sich zum Ensemble, als habe er stets dazugehört. Herausragend neben ihm und Martin Hörn: Felix Vörtler als serviler Generaldirektor Bercy, zu jeder Demutsgeste bereit; Patrick Heyn als großmäulig-sexbesessener Châtelet, im Grunde ein ganz einsames Würstchen. Und Martin Rentzsch, der als Mobbing-Opfer Odéon flackert zwischen um Schonung bettelnder Zutraulichkeit, bodenloser Wut und Verzweiflung. Er endet bitterlich. Geschäfte und Karrieren gehen weiter. Es sind letztlich ganz normale Charakter-Fieslinge, die da mit dem Tod handeln. Unvorstellbar? Nein, jetzt höchst vorstellbar.

Nächste Termine in der Sparkasse Bochum (Massenbergstr. 4-6, Nähe Hauptbahnhof): 3., 9., 10. Juni. Karten: 0234/3333-111.




Heilige in einer Gesellschaft der Eitelkeiten – Schillers „Jungfrau von Orleans“ in Essen

Von Bernd Berke

Ein paar Luftschlangen liegen noch herum, und manche Leute tragen noch Pappnasen. Doch jetzt ist erst mal Schluss mit lustig. Vorläufiges Ende der Spaßgesellschaft. Der übermächtige Feind steht vor den Toren der Stadt. Und so lange diese Bedrohung währt, müssen für eine gewisse Zeit wieder mal eherne Werte und Wunderglaube her. Dies ist die Stunde der „Johanna von Orleans“.

Volker Schmalöer inszeniert Friedrich Schillers Drama im Essener Schauspielhaus textnah und dennoch zeitgemäß. Geschickt hat er gekürzt und zugespitzt, doch nicht verfälscht. Der Regisseur hat einen seltsamen Datums-Zufall erkannt: Das Stück wurde am 11. September 1801 uraufgeführt, auf den Tag genau 200 Jahre vor den Terroranschlägen in den USA. Ist es bloße Zahlen-Mystik?

Manche Menschen glauben ja, es gebe keine Zufälle, sondern nur Fügungen. Und sieht sich jene Johanna etwa nicht als (christliche) „Gotteskriegerin“ im vermeintlich geheiligten Kampfe? Neuerdings hören wir ja, dass Selbstmordattentäter wähnen, im Jenseits von Jungfrauen empfangen zu werden…

Johanna dient nur noch als Maskottchen

„Gott und die Jungfrau!“ rufen die Höflinge des verzärtelten Franzosenkönigs Karl VII. (Maximilian Giermann) immer wieder. Das Hirtenmädchen Johanna, beseelt von „höherer-Sendung“, hat das Schlachtengeschick gewendet und Orleans vor englischer Besatzung bewahrt. Nun feiert man sie im Lorbeerkranze.

Die Festtafel für den satten und so faulen Frieden ist gedeckt. Die höfische Gesellschaft sonnt sich im gleißenden Blitzlichtgewitter. Mit hohl tönenden Phrasen und gravitätischen Posen wie fürs Geschichtsbuch spielen sie sich allesamt als Sieger auf. Johanna dient ihnen nur noch als Emblem, ja als Maskottchen. Diese Gesellschaft pfeift auf jede „Heiligkeit“. Selbst die scheinbar weihevollen Momente gleiten alsbald in süßliche Schlagerseligkeit („Ganz Paris träumt von der Liebe“) hinüber. Schon singen sie, als sei nichts geschehen.

Die Bagage, über der schon der Pleitegeier kreist, will rasch zurück zu ihren frivolen Späßen, zurück zum bodenlosen Luxus. Als wär’s ein Stück von heute. Sehr prägnant zeigt sich, wie Johanna (Strahlpunkt eines fast durchweg beachtlichen Ensembles: Sabine Osthoff) an dieser profanen, taktierenden und lavierenden Welt der kurzlebigen Zweckbündnisse zerbricht. Sie bleibt dabei eine durchaus zwiespältige Figur: Sichtbar wird ihre Größe, aber auch ihre tragische Lächerlichkeit in diesem Umfeld. Und auch sie selbst scheint ein wenig angekränkelt von Eitelkeit. Zumindest zeitweise gibt sie der Versuchung nach, sich auf den Glorienschild heben zu lassen. Da klingen manche ihrer martialischen Sätze nicht mehr inbrünstig, sondern nur noch blechern.

Der eigene Vater denunziert die Tochter als „Hexe“

Doch dann berührt es einen zutiefst, wenn Johanna dem Liebesblick von Lionel (Steffen Gangloff) erliegt, gleichsam ihre jungfräuliche Engelskraft verliert und ihr kämpferisches Aufstampfen danach zur trotzigen Groteske gerät. Ganz so, als sei mit der himmlischen Erleuchtung denn doch eine entscheidende Sinnquelle verlorenen gegangen.

Als „Hexe“ denunziert wird Johanna vom eigenen Vater (Volkert Matzen). Er kann offenbar nicht ertragen, dass sie sich der patriarchalen Verfügungsgewalt entziehen wollte. Zum Schluss legt er, anders, als im Original, selbst Hand an und schminkt ihr Gesicht weiß. Ein leiser, fast unmerklicher Tod, fernab von den Schlachtfeldern. Dann die Verklärung: Auf einem Podest fährt die sterbende Johanna aufwärts. Doch diese Erhebung ist nur ein Produkt der Mechanik. Woran sollen wir noch glauben?

Termine: 19. April, 5., 30. Mai. Karten: 0201/81 22-200




Wenn Killer sich die Wartezeit vertreiben müssen – Jürgen Kruse inszeniert in Bochum Pinters „Der stumme Diener“

Von Bernd Berke

Jürgen Kruses rabiate Zeiten sind wohl vorüber. Der Regisseur zerlegt die Stücke nicht mehr zu Kleinholz, sondern dekonstruiert sie sorgsam und sozusagen breit grinsend. So auch Harald Pinters Zweimänner-Drama „Der stumme Diener“ im Bochumer Theater unter Tage.

Der Text stammt von 1957, besitzt aber schon eine coole Anmutung wie Kinofilme à la „Pulp Fiction“. Nebenher: Robert Altman hat Pinters Stück 1987 mit dem nachmaligen „Pulp“-Star John Travolta verfilmt. Kruse jongliert, wie’s pop-kultureller Brauch ist, kundig mit derlei Querbezügen. Fans seiner erlesenen Soundtracks müssen nicht darben: Ein Kofferradio steht auf der Bühne und gibt Songs von Frankie Miller, den Kinks etc. von sich. Yeah!

Bei Pinter geht’s, wie just in „Pulp Fiction“, um zwei Beufskiller. In einer dunklen Absteige, die mit allerlei Gerümpel vollgestopft ist, warten Ben und Gus auf ihren nächsten Auftrag „von oben“. Doch sie warten ins Leere hinein wie Samuel Becketts Wladimir und Estragon auf „Godot“. Selbiges Stück lief, parallel zur Pinter-Premiere, droben im Schauspielhaus. Ein Knüpfpunkt: Kruse pflanzt einen Fetzen aus Becketts „Man weiß nicht wann“-Monolog des Knechts Lucky in seine Pinter-Deutung. Selbst Schillers „Geben Sie Gedankenfreiheit,“ Sire!“ („Don Carlos“, auch auf dem Bochumer Spielplan) taugt als Versatzstück.

Worte sind keine Sinnträger mehr

Doch es bleibt nicht bei Insider-Scherzchen. Die beiden Herren sind hier keine Stadtstreicher-Gestalten, sie tragen Jacketts und Hüte, sie halten sich bereit. Doch wofür? Und wie sollen sie sich die Zeit vertreiben? Gus (Johann von Bülow) knipst Lampen an und aus. Ben (Patrick Heyn) liest immerzu dieselbe Zeitung, die er später in Streifen reißt. Worte sind halt keine Sinnträger mehr, sondern nur noch Material: Minutenlang streitet Ben mit Gus, ob man beim Teekochen den Kessel oder das Gas anzünde. Die Logik bekommt einen Drehwurm, ähnlich wie bei Karl Valentin.

Und noch einen (etwas manirierten) Kunstgriff wendet Kruse an, um Bedeutungen bröseln zu lassen: Die hellwachen Schauspieler betonen beim Pingpong der Sätze immer mal wieder andere Silben, so dass die Worte „falsch“ und fremdartig verstaucht klingen. Sprach-Zerfaserung in einer ausgerenkten Welt. Doch nicht als düsteren Zerfall erlebt man dies, sondern als Comedy. Etwaige Verzweiflung versteckt sich dahinter sehr gut. Man spürt nur eine ganz langsam anwachsende Aggression in den Fugen der absurden Dialoge.

Am Ende räumt Gottvater auf

Das Dominanz-Verhältnis der beider Männer (im Stück ist Ben der Boss, Gus der Zauderer und Zweifler) ist freilich entschärft. Hier sind sie beide Brüder der Beckett-Figuren. Groteske für sich: Per Speiseaufzug (englisch: „dumb waiter“ = stummer Diener) treffen anonym abstruse Anforderungen ein. Die Herren erhalten keine Lebensmittel, sie sollen welche abgeben.

Anders als im Original erschießen Ben und Gus einander. Ein weißbärtiger Gottvater-Typ samt Engels-Assistentin, auch durch finale Schüsse der untoten Killer nicht zu verletzen, kommt schließlich zum Aufräumen. Ausfegen, Leichen mit Schildchen versehen. Damit es eine Ordnung hat. Oh, himmlische Ironie.

Termine: 18. April, 6., 7., 22. Mai. Karten 0234/3333-111.




Am „Webstuhl der Zeit“ entsteht ein Jahrhundert aus Daten – Text- und Bilderserien von Hanne Darboven in Münster

Von Bernd Berke

Wie hat das bloß alles angefangen – und wohin soll es führen? Die Künstlerin Hanne Darboven (61), Sproß der Kaffee-Dynastie. beackert seit geraumer Zeit intensiv alle einzelnen Tage, Jahre und Jahrzehnte seit anno 1900 auf der Basis eines eigensinnigen Rechen-Systems.

Daraus ergeben sich abertausende von Notizen, sonstige Schriftstücke und Dokumente, die zahllose Aktenordner füllen, welche wiederum ganze Regal-Kilometer einnehmen dürften. Mit diesen Ablagerungen verglichen, wirken selbst üppigste Text-Konglomerate von James Joyce („Ulysses“) oder Aino Schmidt („Zettels Traum“) wie bloße Aphorismen.

Auch Kuriositäten-Sammlungen wuchern mittlerweile aus der unglaublichen Datums-Welt der Hanne Darboven heraus. Vieles lagert in Museen, außerdem sind vier Darboven-Häuser voll bis unters Dach. Ein wahrer Frondienst am Webstuhl der Zeit.

Mit eiserner Disziplin

Mit eiserner Disziplin, so hört man, verrichtet die in der Kunstwelt verehrte Hanne Darboven ihr im Prinzip unaufhörliches Tagwerk – einer Krebserkrankung zum Trotz. Früh aufstehen. Kaffee trinken. Dann von Tisch zu Tisch, von Projekt zu Projekt, überall „Akten“ anhäufend. Scheint es auch Wahnsinn, so hat es doch Methode.

Eine „Keimzelle“ der geradezu irrwitzigen Mühen an den Kreuzungspunkten von Biographie und Zeithistorie ist jetzt in der umfassenden Darboven-Schau des Münsteraner Landesmuseums zu sehen: Der abgewetzte alte Koffer enthält rasch und spontan vollgekritzelte Tagebuch-Hefte.

Irgendwann in den frühen 60er Jahren muss Hanne Darboven auf die Idee verfallen sein, die Quersummen jedes Datums zu ziehen. Daraus erwuchs jene wie besessen fortgeführte Rechenarbeit, deren Schema später bildlich in endlos lange, streng durchgehaltene von Tages-Quadraten überführt wird, welche ein stetes An- und Abschwellen der Zeit suggerieren. Sisyphos war vergleichsweise ein Faulpelz.

Grundlage einer neuen Notenschrift

In dieser strikt geordneten, doch allseits wuchernden Welt tritt manches über die Ufer, erobert neue Sinnfelder, erhebt universellen Anspruch. So wurden Zahlen und Quadrate längst zur Grundlage einer Notenschrift. Die entsprechende meditative Musik ist in Münster vom Band zu hören.

Weit ausgreifende Text- und Bilderserien wie „Kinder dieser Welt“ oder „Welttheater“ (mit vielen Vignetten aus der Darboven-Kaffeereklame zur Kolonialzeit) kommen hinzu. Man staunt über lange, lange Reihen von „Büchern“ (rund 2000 Bände, dazu etwa 2600 gerahmte Elemente), randvoll mit Dokumenten jeglicher Art. Früher ging’s öfter in Richtung Politik (häufig im Gefolge von Beauvoir oder Sartre), nun mehren sich Rückzüge in den Vorstellungs-Raum der eigenen Einzel-Existenz.

Klösterliche Schreib-Exerzitien

Stets sind nur einige Seiten aufgeschlagen, blättern soll man nicht. Auch Fotos erscheinen zwischen den ungeheuren Text-Deponien, z. B. jene häufig in völlig verschiedenen Kontexten wiederkehrende, skurrile Farb-Postkarte, die einen dänischen Briefträger bei der Arbeit zeigt.

Fleißig abgeschriebene Passagen aus Büchern schwellen ebenso an wie von Inhalten befreite Schreib-Exerzitien: etwa lauter „u“- oder „w“-Wellen entlang einer Übungslinie; wie damals in der Grundschule, doch hier mitunter viele hundert Seiten lang.

All das türmt sich auf zum ästhetischen Ereignis zwisehen Kunstfreiheit und Klosterstrenge. Als Betrachter wird man gleichsam in eine Parallel-Welt versetzt. Hanne Darboven führt unter Einsatz ihrer Lebensdauer vor, wie tief man sich in den Falten der Zeit verlieren (und finden?) kann. Fast schon übersinnlich.

Hanne Darboven. „Bücher“. Westfälisches Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte, Münster (Domplatz). Bis 26. Mai. Täglich außer Mo 10-18 Uhr.

 




Man muss die Menschen ins Theater locken – Debatte beim „Kulturwirtschaftstag“ in Dortmund

Von Bernd Berke

Derart geballte Expertenschaft in Sachen Theater und Kulturvermittlung dürfte sich in Dortmund noch nie versammelt haben: Rund 500 Fachleute aus der ganzen Republik trafen sich gestern im Opernhaus, um neue Vermarktungs-Chancen für die Bühnenkunst auszuloten. Knapp gefragt: Wie lockt man mehr Publikum ins Theater?

Offiziell hieß das Ganze „Kulturwirtschaftstag Nordrhein-Westfalen“. Theater- und Marketing-Leute machten Bekanntschaft mit der jeweils anderen Mentalität. Mag sein, dass manches Misstrauen sich im Laufe des Tages gemildert hat. Im Prinzip jedoch walten alle ihres Amtes: Theatermenschen halten die Kunst in Ehren, Vermarkter hingegen gieren nach zählbaren Erfolgen. Gegen volle Häuser aber hat wohl niemand etwas einzuwenden. Mit dem auch gestern oft zitierten Goethe („Faust“) zu reden, ist’s halt fein, „wenn sich der Strom nach unserer Bude drängt.“

Jammern helfe nicht weiter, beschied NRW-Ministerpräsident Wolfgang Clement zum Auftakt: „Jammernde Kranke bekommen auch keinen Besuch.“ Analyse sei gefragt. Die ökonomischen Chancen des Theaters seien bisher kaum ausgeleuchtet worden. Dabei erweise sich immer mehr, welch ein wichtiger Wirtschaftsfaktor die Kultur sein könne – nicht nur die öffentlich finanzierte. Der private Sektor breite sich als belebende Konkurrenz rasant aus.

Clements Hoffnung auf die kommende Ruhr-Triennale

Rechtzeitig, so Clement, müsse man sich allerseits Gedanken über das „Publikum von morgen“ machen. Die Gesellschaft entwickle sich derart differenziert, dass man eines Tages nicht mehr ein „Theater für alle“ anbieten könne. Als Lokomotive (oder gar als Metrorapid?) der NRW-Bühnenzukunft sieht Clement bekanntlich die kommende „Ruhr-Triennale“ unter Leitung von Gerard Mortier.

Mortier sprach gleich anschließend und dämpfte die etwaige Euphorie: Wirtschaftlieher Erfolg sei eine wünschenswerte Folge von Kultur, nicht aber ihr Ziel. Kunst wiederum sei keine lässliche Freizeit-Beschäftigung, sie solle vielmehr das ganze Leben durchdringen und Freude bringen – nicht etwa bloßen Spaß. Er verstehe die „Vermittlung“ als Chefsache. Zuerst komme allerdings stets das Kunst-Ereignis, dann die Aufgabe, es den Menschen nahe zu bringen. Mortier: „Es bleibt immer eine Gratwanderung.“

Forsch ging Bernd M. Michael von der Düsseldorfer Werbeagentur Grey zur Sache. 15 Millionen Menschen seien in Deutschland für Kultur gewonnen, 50 Millionen könnten es sein. Woher er nur diese phantastische Zahl nimmt?

Angst vor dem Kommerz und „elitäres Denken“

Michael warf den Theatermachern vor, meist immer noch elitär zu denken und höchstens „handgestrickt“ zu werben. Als leuchtende Gegenbeispiele nannte er Konzerte mit Pavarotti oder Theaterauftritte von Harald Schmidt in Bochum; anz so, als könne es jeden Tag „Events“ dieser Sorte geben.

Sein provozierender Vertrag stachelte jedenfalls die Debatten des Nachmittags an. Rolf Bolwin vom Deutschen Bühnenverein stellte klar, dass schwere Kost nicht dem Kommerz geopfert werden dürfe, denn Theater habe einen gesellschaftlichen Auftrag. Nur sollte man eben auch das Schwierige besser „verkaufen“. Und da bot Marketing-Mann Michael, zugleich Vorsitzender eines Agenturen-Verbandes, unverhoffte Hilfe an. Er werde anregen, dass Berufskollegen auch mal kostenlose Werbung für Theater machen. Über Erlöse könne man später reden. Na, bitte. Immerhin ein Ansatz.