„Der Mensch entgleitet sich immerzu“ – ein Gespräch mit dem Schriftsteller Dieter Wellershoff

Von Bernd Berke

Frankfurt. Der in Köln lebende Dieter Wellershoff zählt seit Jahrzehnten zu den am meisten beachteten deutschen Autoren. Er hat nicht nur zahlreiche Romane, Novellen und Hörspiele verfasst, sondern ist auch als gewichtiger Theoretiker der Roman-Gattung hervorgetreten.

Am 3. November wird Wellershoff 75 Jahre alt – auch aus diesem Anlass ein Gespräch über seinen neuen Roman „Der Liebeswunsch“, geführt am Buchmessestand seines Verlages Kiepenheuer & Witsch.:

In ersten Kritiken zu Ihrem Buch ist bemerkt worden, es ähnele in gewisser Weise Goethes „Wahlverwandtschaften“: Zwei miteinander befreundete Paare, zwischen denen zunächst ein labiles Gleichgewicht herrscht, das dann durch Treuebruch aus der erotischen Balance gerät.

Dieter Wellershoff: Solch eine Vierer-Dramaturgie gibt es in der Tat auch in den „Wahlverwandtschaften“. Es ist aber auch eine Grundstruktur des Lebens. Goethe sieht eine anonyme Schicksalshaftigkeit walten, eine Art Chemie. Meine Figuren sind zwar auch Getriebene. es sind aber auch Elemente von Wahlfreiheit und Zufall dabei. Mein Roman hatte einen langen Vorlauf. Über anderthalb Jahrzehnte habe ich mich mit dem Thema beschäftigt, es hat allmählich immer mehr Stoff aufgesaugt. Es begann damit, dass sich eine Frau aus unserem ferneren Bekanntenkreis aus dem Hochhaus gestürzt hat – so wie meine Romanfigur Anja.

Sie ist das Opfer der Vierer-Konstellation…

Wellershoff: Ja. Ich verstehe den Menschen als Lebewesen, das sich immerzu entgleitet – im Gegensatz zum Tier, das immer dasselbe tut, will und fühlt. Deshalb kann sich der Mensch auch in beliebigen Möglichkeiten verlieren. Oder er kann in falschen Notwendigkeiten feststecken, zum Beispiel in einer unglücklichen Ehe. Während der Leser gleich am Anfang weiß, dass Anja sich umgebracht hat und dann erfährt, wie es dazu gekommen ist, machen die Figuren ihre Erfahrungen schrittweise – im „Dunkel des gelebten Augenblicks“, wie der Philosoph Ernst Bloch einmal gesagt hat.

Sie erzählen abwechselnd aus den Perspektiven Ihrer Figuren. Auf welche Person bezieht sich der Titel „Der Liebeswunsch“? Auf alle?

Wellershoff: So kann man es sehen. Explizit aber nur auf Anja, sie ist abhängig von Emotionen, sie heiratet aus Lebensangst. Sie ist wie eine Leerstelle, Liebe kommt ihr wie die letzte Rettung vor. Von dieser Ausschließlichkeit fühlen sich die anderen bedroht, sie wollen nicht verschlungen werden. Diese anderen haben ja praktischen Lebenserfolg. Anjas Mann Leonhard ist Richter, er wird zum Gerichtspräsidenten befördert. Paul, der ihr Geliebter wird, und seine Frau Marlene sind Ärzte.

Es gab zuvor längere Zeit keinen Roman von Ihnen .

Wellershoff: Der letzte liegt 17 Jahre zurück, ich hatte viele andere Projekte. Mit diesem neuen Roman bin ich übrigens sehr zufrieden. Ich werde in einigen Tagen 75 Jahre alt – und ich glaube nicht, dass man das dem Buch anmerkt. Es ist kein „Alterswerk“ mit den Spuren meines Alters.

Sie kommen bei Ihrem Thema nicht umhin, Sexualität zu schildern.

Wellershoff: Im 19. Jahrhundert hat man diesen Bereich nie dargestellt. Von Henry Miller bis Harold Brodkey ist es dann oft ziemlich rücksichtslos geschildert worden. In Brodkeys Text „Unschuld“ wird über 40 Seiten ein einziger Koitus vorgeführt: Ein Mann bemüht sich, eine frigide Frau zum Orgasmus zu bekommen. Das ist meine Sache nicht. Für mich ist Sexualität kein rein körperlicher Vorgang.




Nächtliche Gespräche mit dem Kühlschrank – Treffen mit Axel Hacke auf der Buchmesse

Von Bernd Berke

Frankfurt. Axel Hacke (44) hat mit seinen Büchern und mit Glossen im Magazin der „Süddeutschen Zeitung“ die oft absurden kleinen Katastrophen seines Familienlebens höchst unterhaltsam aufbereitet. Sein „Kleiner Erziehungsberater“ geriet zum heimlichen Bestseller, sein neues Buch heißt: „Ich sag’s euch jetzt zum letzten Mal“.

Hauptfiguren: Ehefrau Paola, Söhnchen Luis (nur die Vornamen hat Hacke erfanden), der Autor selbst und der brummige alte Kühlschrank namens „Bosch“. Die WR traf Axel Hacke am Buchmesse-Stand des Verlages Antje Kunstmann.

Wie sind Sie eigentlich auf die Idee gekommen, einen Kühlschrank auftreten zu lassen?

Axel Hacke: Nun ja, der ist noch’n bisschen melancholischer als ich – und damit ein guter Gesprächspartner für nachts, wenn man allein in der Küche sitzt und noch ein Bier trinkt. Mit dem kann man auch gut über das Bedrohliche an der ganzen modernen Technik reden. Mit der Konstellation Autor, Frau, Kind und Kühlschrank lässt sich fast das ganze Alltagsleben einfangen. Und das hat offenbar einiges mit dem Alltag meiner Leser zu tun. Ich kriege Briefe, in denen sinngemäß steht: „Wie kommen Sie dazu, aus meinem Leben zu berichten?“

Stimmt es eigentlich, dass Ihr kleiner Sohn im Auto unentwegt und möglichst laut den Titel „Sex Bomb“ von Tom Jones hören will?

Hacke: Oh ja, das Problem hatte ich wirklich, als er vier Jahre alt war. Im Moment ist sein Lieblingslied allerdings „Der Anton aus Tirol“. Wenn Sie das hundert Mal hören müssen…

Man merkt Ihren Texten an, dass Sie es wunderbar finden, einen Sohn zu haben – aber auch, dass Sie oft schrecklich genervt sind.

Hacke: Ich finde es im Grunde toll mit Kindern. Und dann wiederum stören sie einen in dem, was man als Erwachsener zu tun hat. Wenn ich meinen Sohn in den Kindergarten bringe, habe ich’s wahnsinnig eilig. Und dann will er diese Musik nochmal hören! Da kocht es in mir…

Ihre Frau wirkt in den Texten viel gelassener als Sie.

Hacke: Ja, in den Texten schon. Eigentlich hat sich da so eine Art Parallel-Universum für mich aufgebaut. Die Wirklichkeit, aber leicht zur Seite verschoben. Inzwischen laufe ich sozusagen mit dem Notizblock durchs Leben. Manchmal dachte ich schon: Ich recherchiere ja immerzu in meiner Familie herum. Das Gute daran: Inzwischen weiß ich, wenn etwas im Alltag schief geht, kann ich immer noch eine Geschichte daraus machen.

Erzählen Sie uns ein Beispiel?

Hacke: In der Elterngruppe vom Kindergarten gab es einen Öko-Fanatiker, der uns dermaßen als „Wurstesser“ denunziert und gemobbt hat, dass wir die Gruppe notgedrungen verlassen haben. Zunächst war ich ungeheuer wütend. Erst nach einem halben Jahr konnte ich eine Geschichte daraus machen. Erst da war es nicht mehr verkrampft und böse, sondern hatte die Leichtigkeit, auf die es mir ankommt. Diese schöne Distanz.

Die Familie gibt jedenfalls mehr Geschichten her als andere Lebensformen?

Hacke: Ich glaube schon. Mann – Frau, Eltern – Kinder. Das ist von vornherein spannungsreich. Da muss man gar nicht mehr viel hinzu erfinden. Und wenn das Kind dann noch so ein Temperamentsbolzen ist wie mein Sohn…




Ein Rundgang durch das Reich der Zufälle – Buchmesse: Sigrid Löffler, Harry Potter, Beatles und Nobelpreisträger Gao Xingjian

Aus Frankfurt berichtet Bernd Berke

Trübes, kühles Wetter in Frankfurt. Ausgesprochenes Bücherwetter. Hinein also in die Hallen der Buchmesse, hin zu den Büchermenschen.

Man muss sich Fix- und Zielpunkte schaffen, sonst droht man schier unterzugehen im Reich der Zufälle, das hier aus 380.000 Titeln besteht. Da trifft es sich, dass Sigrid Löffler (ehemals beim „Literarischen Quartett“) just die zweite Nummer ihrer Zeitschrift „Literaturen“ vorstellt und eine erste Bilanz ihres ehrgeizigen Projekts zieht. Von der ersten Nummer wurden rund 70.000 Exemplare gedruckt, nun sind es bereits 103.000. Buchhandel und Kioske hätten mehr geordert als zuvor, auch die Abo-Zahlen entwickelten sich ordentlich.

Löffler, leicht pikiert über das vielfach skeptische Echo auf die erste Ausgabe: „Viele Leser sind mir lieber als gute Kritiken.“ Trotzdem: Ein paar „Feinjustierungen“ habe man vorgenommen am Konzept, besonders in optischer Hinsicht. Auch den vierten Band von „Harry Potter“ bespricht man jetzt.

Apropos: Man kommt um den Millionen-Seller einfach nicht herum. Am Stand des Hamburger Carlsen-Verlages ist den Mitarbeitern die halbwegs überstandene Hektik rund um die Potter-Mania noch anzumerken. Sie schauen etwas erschöpft, aber glücklich drein. Ja, die erste Auflagen-Million sei restlos abgesetzt, man drucke nun eilends nach, denn es gebe schon 500.000 weitere Vorbestellungen. Nein, die Autorin Joanne K. Rowling werde nicht zur Buchmesse kommen, vielleicht befürchte sie einen gar zu großen Rummel. Nächstes Jahr wahrscheinlich.

Schwerpunkt mit Comics

Lässt man sich durch die Hallen treiben, so hat man den Eindruck, dass Kinder- und Jugendliteratur tatsächlich auffälliger und selbstbewusster präsentiert wird als in den Vorjahren. Vielleicht liegt’s ja auch am Comic-Schwerpunkt, den man kurzerhand mit verbucht, obwohl doch die fanatischsten Sammler gewiss Erwachsene sind, manchmal auch erwachsene Kindsköpfe.

Viele Comics bleiben ewig jung, einige Pop-Gruppen desgleichen: Die „Beatles“ ziehen immer noch – und wie! Ullstein präsentiert großflächig seine opulente „Beatles Anthology“, ein Werk, das wahrlich Besitzwünsche weckt. Bei Heyne hängt man sich mit „Die Beatles – Wie alles begann“ an den Nostalgie-Trend, ein weiterer Verlag hat rasch ein illustriertes Songbook neu aufgelegt. Und das sind nur die Zufallsfunde in Sachen „Fab Four“.

Warum hat die Jugend des Westens Mao verehrt?

Letztes Jahr war’s Günter Grass, diesmal ist es Gao Xingjian, der die Messe mit seiner Anwesenheit schmückt. Es ist doch immer wieder erhebend, einen frisch bestimmtenLiteraturnobelpreisträger leibhaftig zu sehen. Das dachten sich wohl auch die zahllosen Kamerateams und Fotografen der Weltpresse, die gestern den Chinesen in ein wahres Lichtgewitter tauchten. Tatsächlich wirkt Gao, dessen Werke in China strikt verboten sind, schon fast wie ein Europäer, seine Pressekonferenz absolvierte er auf Französisch.

„Comme un miracle“ (wie ein Wunder) sei ihm die Preisvergabe erschienen. Jaja, Gerüchte über Mauscheleien im Preiskomitee habe er „gestern vernommen“, dazu wolle er aber nun wirklich nichts sagen. In Anlehnung an den Polen Witold Gombrowicz, der gleichfalls Im Exil gelebt hat, rief Gao aus: „China – das bin ich.“ Will heißen: Das kommunistische Regime habe alle guten alten chinesischen Traditionen zerstört, er aber wolle sie aufsuchen und aufrecht erhalten.

In Hongkong und Taiwan sei er gelegentlich noch gewesen, doch er habe kaum Hoffnung, jemals das festländische China wieder zu sehen. Maos „so genannte“ Revolution sei „ein Wahnsinn, ein Albtraum“ gewesen. Er, Gao, frage sich bis heute, wieso die Jugend des Westens diesen Mann habe bewundern können. Jaja, vor mehr als dreißig Jahren war es so. Und schon damals sang John Lennon mit den „Beatles“ dagegen an („Revolution“). So schließt sich der Kreis.

Frankfurter Buchmesse: Bis einschl. Freitag für Fachbesucher, Samstag/Sonntag (21. und 22. Oktober) auch für Privatleute. 9-18.30 Uhr, Tageskarte 14 DM. Messekatalog (Buch und CD-Rom) 35 DM.




Das Niemandsland am Ende aller Träume – Tennessee Williams‘ „Endstation Sehnsucht“ in Wuppertal

Von Bernd Berke

Wuppertal. Kreuz und quer über die Bühne verstreut sieht man Scheußlichkeiten der 50er Jahre. Verschlissenes Mobiliar, ärmliche Plastik-Kultur. Ringsum schaut’s aus wie auf einem billigen Campingplatz.

Oder wie auf einem melancholischen Gemälde von Edward Hopper: Rechts verläuft ein Gleis ins Niemandsland, daneben erheben sich dürre Telegrafenmasten. Wahrlich, es ist die „Endstation Sehnsucht“. Hier leben und leiden die unbehausten Figuren aus Tennessee Williams‘ Stuck.

Im Wuppertaler Schauspielhaus (Regle: Paolo Magelli / Bühnenbild: Cary Gayler) begegnen sich die Schwestern Blanche DuBois und Stella anfangs so, als wären, sie wieder die kleinen Mädchen von damals. Sie balgen, sie kichern und kitzeln einander. Doch es ist nur ein Nachklang früherer Spiele. Inzwischen ist ja längst das Erwachsenen-Leben mit all seinen Zumutungen über sie beide hinweg gegangen, gleichsam schweren Schrittes.

Blanche (Eicke Gercken) sucht bei Stella (Patricia Hermes) letzte Zuflucht: Das einstige Familien-Vermögen schwand dahin, vor allem aber hat sie alle Freunde und fast jede Hoffnung auf Liebe verloren. Sie wirft sich nun jedem hin wie eine Hure und ertränkt ihre wachsende Hysterie in Alkohol.

Mechanik statt Magie des Textes

Stella wiederum ist mit Stanley Kowalski (This Maag) nicht nur verheiratet, nein, sie ist ihm verfallen. Dieser Klotz von einem Kerl säuft und pokert unentwegt. Wenn Stella nicht spurt, schlägt er sie grün und blau. Doch ihr Begehren höret nimmer auf. Stanley wirkt hier gar nicht so animalisch, sondern ist einer von der weinerlich-brutalen Sorte, selbst zutiefst vereinsamt; wie denn überhaupt die Wuppertaler Aufführung mehrerlei Einsamkeiten vor uns ausbreitet. Vom gelingenden Leben dürfen all diese Menschen wohl nicht einmal träumen.

Ganz anders als bei Frank Castorf, der dasselbe Stück in Salzburg (und nun in Berlin) herausbrachte und die Vorlage nach eigenem Gutdünken umstülpte, hat die Wuppertaler Inszenierung großen, vielleicht auch allzu großen Respekt vor dem Original. Man wagt kaum, ihn anzutasten, zu raffen oder zu stilisieren. Sie reichen uns den Text sozusagen Zeile für Zeile dar. Doch obwohl man alles breit ausspielt, bleibt der Ertrag merkwürdig schmal. Wir erleben eher die Mechanik als die Magie des Stückes.

Eine gar zerbrechliche Frau

Längen gibt’s ebenfalls: Schier endlos sitzen Stanley und seine Kumpane am Pokertisch, wir dürfen ihnen beim Biertrinken zusehen. Prost! Aber man nimmt sich auch Zeit, peinigende Sprechpausen wirken zu lassen.

Nachdem das anfängliche hektische Getrappel und Geplapper vorüber und die offensichtliche Nervosität abgelegt ist, gewinnt man dem Text einige Nuancen ab. Besonders Eike Gercken als Blanche vermag ihre Figur anrührend darzustellen, es gibt sogar einige inbrünstige Momente.

Sie mimt zunächst die Tapfere, die „eigentlich ganz patente“ Frau. Doch dazu ist sie viel zu zerbrechlich – und schließlich ganz und gar gebrochen. Am Ende hockt sie da als überschminkte, grässlich rosa gekleidete Barbie-Puppe und lässt sich willenlos wegführen – geradewegs in die Psychiatrie. Das schiere Elend in bonbonbunten Mischlicht-Farben. Doppelt betrüblich.




Nichts mehr sehen von dem Schmerz der Welt – Lars von Triers Film „Dancer in the Dark“

Von Bernd Berke

Man sitzt im Kino, und es bleibt einige Minuten lang vollkommen schwarz auf der Leinwand. Wann fängt der Film denn endlich an?

Er hat begonnen. Die musikalisch untermalte Dunkel-Passage gehört schon dazu. So wird man eingestimmt auf die Geschichte einer Frau, die allmählich ihr Augenlicht verliert und sich langsam damit abfindet: „Noch mehr von der Welt sehen zu wollen, wäre Gier“, redet sie sich ein.

Die Isländerin Björk, bislang vor allem als höchst kreative Popsängerin gerühmt, spielt in Lars von Triers 138-Minuten-Film „Dancer in the Dark“ (Goldene Palme in Cannes) jene ärmliche Fabrikarbeiterin Selma. Kann sie das?

Björk als bedauernswerte Fabrikarbeiterin

Und ob! Wie dringlich und mutig sie spielt, als ginge es wirklich ums ganze Leben! Daneben verblasst sogar Catherine Deneuve als Fabrikkollegin und besorgte Freundin. Diese Selma ist (ähnlich wie Emily Watson in von Triers bewegendem „Breaking the Waves“) eine jener seltsam entrückten „Heiligen“, eine wie von ganz weit her gesandte Gestalt: bestürzend elend, einsam, erdhaft, nahezu pflanzlich vegetierend, jeder Unbill schutzlos ausgeliefert – jedoch kraft ihrer Leidensfähigkeit und ihrer nie ganz versiegenden Hoffnung geradezu überirdisch erhoben.

Wegen ihrer Sehschwäche bekommt die junge Frau, die aus Tschechien in die USA(hier ein Niemandsland der fahlen Farben) eingewandert ist, Probleme mit der Bedienung der scharfkantigen Maschinen. Doch die allein Erziehende will den Knochenjob um jeden Preis behalten, sie hängt gar Überstunden an. Denn sie muss ja sich selbst und ihren Sohn ernähren, muss die Miete für den schäbigen Wohnwagen zahlen. Wichtiger noch: Sie weiß, dass der Sohn ihre Augenkrankheit geerbt hat. Doch bei ihm wäre durch eine teure Operation noch etwas zu retten. Dafür schuftet sie, dafür spart sie und versteckt das Geld in einer Keksdose im Küchenschrank.

Beim bunten Musical den Alltag vergessen

Ihr einziger Trost sind die abendlichen Musicalproben eines Amateurtrüppchens. Da spielt sie endlich mal eine tragende Rolle. Und sie phantasiert immer wieder Szenen des grauen Alltags zu großen bunten Musical-Auftritten um: Auf einmal tanzen – hinreißend gefilmt, perfekt geschnitten – alle Fabrik-Arbeiter im Rhythmus der Maschinen. Doch eines Tages sieht Selma so schlecht, dass sie sich auf der kleinen Bühne nicht mehr zurechtfindet. Schluss mit Gesang und Tanz, mit himmelwärts schwebenden Tönen. Es ist zum Heulen.

Außerdem betritt nun der Leibhaftige die Szenerie – in Gestalt ihres Vermieters, eines verdrucksten Polizisten. Weil er das Luxusleben seiner Frau nicht mehr bezahlen kann, stiehlt er heimtückisch Selmas Spardose und somit den Hort ihrer Hoffnung. Überdies kehrt er den Spieß um und beschuldigt Selma so ungeheuerlich, dass sie sich zu einer wahnsinnigen Bluttat hinreißen lässt: Aufschrei der gequälten Kreatur, Riss in der ganzen Welt! Diese Szenen treffen einen wie Hammerschläge.

Eine haltlos taumelnde Handkamera

Dass sich Lars von Trier einmal mehr der wackligen Handkamera nach Art der „Dogma“-Filme bedient, hat man in aller Atemlosigkeit längst vergessen – mehr noch: Dieser rohe Stil passt so genau zur Geschichte, dass er die Wirkung steigert. Haltlos taumelt die Kamera durch den Abgrund zwischen den Menschen.

Nun erleben wir ein Gerichtsdrama: So perfide wird die des Mordes bezichtigte Exil-Tschechin als hinterlistige „Kommunistin“ verunglimpft, dass man am liebsten laut protestieren möchte. Doch natürlich lautet das Urteil der Jury: schuldig!

Nachdem der Pflichtverteidiger versagt hat, will ein anderer Advokat sie noch aus der Todeszelle retten – für viel Geld. Doch ihre Entscheidung steht fest: Lieber den Augenarzt für den Sohn bezahlen als den eigenen Anwalt…

Jeder ihrer 107 Schritte zum Galgen wird am Ende schmerzlich zelebriert. Eine lodernde Anklage gegen die Todesstrafe und ihre dumpfen Verfechter.




Sie meinen es ja so gut mit den Autoren – Über Sigrid Löfflers neue Zeitschrift „Literaturen“

Von Bernd Berke

Wenn Sigrid Löffler, nach all dem hässlichen Zank mit Marcel Reich-Ranicki, eine neue Zeitschrift herausbringt – na, da heißt es doch für die meisten Literaturfreunde: Nichts wie hin zum Zeitschriften-Laden! Aber lohnt es sich auch?

Am Dortmunder Hauptbahnhof gab’s das neue Produkt „Literaturen“, das seit gestern mit einer Startauflage von 70 000 Exemplaren offiziell auf dem Markt ist, schon am Vorabend. Nur: Die Verkäufer selbst wussten noch gar nichts von ihrem neuen Angebot, das schier unterzugehen droht im Wust der tausend bunten Spezial-Postillen.

Farbig kommt „Literaturen“ nicht daher, sondern es ist (offenbar ganz bewusst) im meist angenehmen, gelegentlich aber doch etwas kargen Schwarzweiß gehalten. Das Titelbild ist kläglich misslungen, das Layout im Heftinneren höchst konventionell, hie und da auch etwas fade geraten. Es gibt schon mal längere bildlose Textstrecken. Doch das kann sich eine Literaturzeitschrift wohl erlauben. Wollte man alle Beiträge auf den 152 Seiten (12 DM) lesen, so brauchte man schätzungsweise die gleiche Zeit wie für ein Buch mittleren Umfangs. Für diesen Aufwand darf man einen Gegenwert verlangen.

Zu den Inhalten also: Mit ausgesprochen populärer Schreibe hält sich „Literaturen“ nicht lange auf. Eher verschämt wird ganz hinten im Heft der Rummel um „Harry Potter“ abgetan, anhand eines Blicks auf die New Yorker Sellerlisten. Stephen King & Co. dürften hier keine weitere Heimstatt finden. Richtig so! Noch ein Trallala-Magazin zur Bestselleritis brauchen wir gewiss nicht.

Auf der Suche nach herzhaften Verrissen

Als solide Themenschwerpunkte dienen das Buchmesse-Gastland Polen sowie „Die Erfindung des Ostens“. Hierbei geht man von folgender Annahme aus: Der Westen habe den Osten auch gedanklich und literarisch „kolonisiert“, habe ihm seine Ideen aufgepfropft, nehme ihn also gar nicht recht wahr. Derlei falsches Bewusstsein soll natürlich aufgeweicht werden. „Osten“‚bedeutet übrigens nicht nur neue Bundesländer und Osteuropa, sondern auch Naher Osten. Da lässt sich ein Interview mit der Frankfurter Friedenspreisträgerin Assia Djebar (Algerien) gleich günstig mit unterbringen.

„Unter den Autoren der Zeitschrift finden sich einige der „üblichen Verdächtigen“ (Jan Philipp Reemtsma, Verena Auffermann, Ruth Klüger, Hubert Winkels), aber auch etliche Unbekannte. Sigrid Löffler. die als „verantwortliche Redakteurin“ firmiert, steuert einen längeren Essay über den Romancier Michael Ondaatje („Der englische Patient“) bei.Sie hat ihn in Kanada besucht. Eine schöne Dienstreise, ein kluger Text.

Gern Spaziergänge mit Schriftstellern

Besuche bei und Spaziergänge mit Schriftstellern (z. B. Durs Grünbein und Daniel Pennac, der eilfertig als „Kultautor“ gepriesen wird) scheinen eine bevorzugte Art der Annäherung zu sein. Überhaupt nähert sich das Blatt der Literatur und deren Urhebern mit Respekt. Einverstanden. Doch sie mögen offenbar überhaupt niemanden (auch nicht die Anzeigenkunden aus der Buchbranche) verprellen. Effekt: Unter den vielen Besprechungen, die auch in Sammel-Rubriken („Journal“, „kurz & bündig“) zusammengefasst werden, überwiegen bei weitem die Empfehlungen. Herzhafte, süffig formulierte „Verrisse“ sind“ hier kaum zu finden. Vielleicht ein Kontrastprogramm zum oft gnadenlosen Reich-Ranicki und dem „Literarischen Quartett“?

Wer in der Werbung „streitbare und meinungsfrohe“ Rezensionen verspricht, sollte allerdings nicht nur einen ordentlichen Überblick, sondern mehr Orientierung bieten. Was fängt man mit lauter positiven Kritiken an? Da stellt sich am Ende der Frust ein, aus Zeitgründen fast alle wichtigen Bücher zu versäumen.

 




Woran die stärksten Frauen scheitern mussten – Jürgen Bosse inszeniert Schillers „Maria Stuart“ in Essen

Von Bernd Berke

Essen. Das soll Maria Stuart sein? Mit kahl geschorenem Haupte betritt sie die Essener Schauspielbühne. Schottlands Königin, die in Friedrich Schillers Drama als Schönheit sondergleichen gepriesen wird, sieht aus wie eine blasse Büßerin in Sack und Asche.

Doch sobald die junge Darstellerin Sabine Osthoff in Jürgen Bosses Inszenierung zu sprechen anhebt, weiß man’s besser: Nicht bußfertig, sondern so selbstgewiss und fordernd klingt ihre rasche Rede, als stehe sie auf feministischen Barrikaden. Aber derlei „Möblierung“ gibt’s in Wolf Münzners kargem, sehr spieldienlichem Bühnenbild nicht.

Mit Maria verglichen, wirkt Englands Regentin Elisabeth (höchst differenziert: Heike Trinker) geradezu sanftmütig, nachdenklich – und damenhaft elegant. Gleichsam als moderne Business-Frau hat sie auch seelische Kältezonen. Dass sie am liebsten jungfräuliche Amazone bliebe, möchte man ihr trotzdem (und trotz eines kraftvollen Bogenschusses) kaum glauben.

Aus Angst vor Volksaufruhr und königlich-weiblicher Konkurrenz hält Elisabeth jene Maria in England schmählich gefangen. Doch sie wirkt hier keineswegs harscher als ihre so mutwillige Widersacherin. Das gilt selbst für die zentrale Szene, die Begegnung der beiden Monarchinnen. Auch der feuerköpfige Mortimer (Benjamin Morik), der Maria aus dem Kerker befreien will, kommt anders daher als sonst. Zwischen all den steifen Staatsräten Englands (besonders imposant: Berthold Toetzke als Burleigh) tollt er in kurzen Hosen hemm und entfacht als wirrer Heißsporn eine Hektik, die mehr und mehr auch komische Züge trägt.

Ungemein rasch gesprochener Text

Apropos Hektik: Man hat zwar in Essen einige Rollen gegen den Strich besetzt, spielt jedoch den Text getreulich nach. Aber in welcher Eile! Hätte man sich doch nur dreieinhalb statt drei Stunden Aufführungsdauer gegönnt, so hätte man Sinn- und Denkpausen setzen können. Man sollte Schillers wunderbare Verse sorgsamer gliedern. Die Inszenierung hat also gewisse Schwachpunkte. Dennoch kommen die Qualitäten der Vorlage zur Geltung: Es ist und bleibt eben schlichtweg genial, wie Schiller die Wechselwirkungen hoher Staatspolitik, religiöser Gegensätze (Elisabeth ist anglikanisch, Maria katholisch) und erotischer Rivalitäten im Intrigenspiel verflochten hat. Das Drama von 1800 ist spannend bis auf den heutigen Tag.

Man ahnt ja auch den redlichen, durchaus tragfähigen Ansatz der Regie: Offenbar will Jürgen Bosse Möglichkeiten weiblicher Autonomie unter patriarchalischen Verhältnissen, im letztlich doch von Männern beherrschten Polit-Getriebe erkunden. Und so erscheinen Maria und Elisabeth wie zwei widerstreitende Seelen in einer vom selben Zwang beengten Brust. Man kann sich ungefähr ausmalen, wie stark die zwei Frauen gemeinsam wären. Zumindest in diesem (historischen) Kontext scheinen sie aber beide zum Scheitern verurteilt. Wenn das keine Tragödie ist…

Am Ende, nach Marias Hinrichtung, schwankt Elisabeth im golden schimmernden Kleide auf ihren Thron. Von allen Ratgebern verlassen, sitzt sie ganz einsam im langsam verlöschenden Licht. Ein wirklich einprägsames Schlussbild.

Termine: 23., 24. Sep. / 8., 14., 29. Okt. Karten: 0201/8122-200




Die Evolution frisst ihre Kinder – Nicky Silvers Horror-Comedy „Fette Männer im Rock“ in Dortmund

Von Bernd Berke

Dortmund. Die blonde Tussi im Kostüm beklagt sich, als wär’s mit der Pauschalreise nicht so recht gelaufen: Nein, ach nein, Strände habe sie noch nie leiden können. Der ganze Sand in Strümpfen und Schuhen…

Diese Phyllis (Harriet Kracht) und ihr debiler, anfangs immerzu stotternder Sohn Bishop (Sebastian von Koch) sind als einzige Überlebende eines Flugzeugabsturzes auf einer Insel gestrandet. Als Bishop seinen ersten Hunger mit Muttis Lippenstift gestillt hat, darf er die verblichenen Fluggäste tranchieren. Mit dem Unterarm einer Nonne fängt’s an, hernach ist es auch schon mal ein Baby, das er kannibalisch vertilgt und dessen Hirnschale er mit dem Trinkhalm ausschlürft. Hier fragt man sich denn doch beklommen, wohin sich das Theater treiben lässt.

Nicky Silvers Farce „Fette Männer im Rock“ erspart einem aber auch nichts. In der Dortmunder Studio-Aufführung (Regie: Hermann Schmidt-Rahmer) erleben wir eine schrille Horror-Comedy. Immer wieder gleiten jedoch Schatten und Irrlichter des Traumes über die Szenerie, so dass dies alles als monströse Kopfgeburt kenntlich wird, womöglich ausgebrütet in der Phantasie eines früh vom Vater vernachlässigten Kindes. Mal überlappen sich die Zeitebenen und Figuren, mal gleiten sie mit Spiegeleffekten aneinander vorbei – just wie im (Alb)-Traum.

Die Personen sind nicht mehr fest umrissen, sind nur noch Wiedergänger ihrer selbst, Attacke und Selbstaufgabe fließen ineinander. Auch bodenloser Unernst und jähes Erschrecken changieren hier, zuweilen bewusst bonbonkitschig verknüpft.

Jener besagte Vater (Sébastien Jacobi), blasiert-cooler Kinoregisseur, tut’s unterdessen mit einem durchgeknallten Pornofilm-Starlet (Sandra von Kiedrowski), das zwischen den paar verbliebenen Optionen des Lebens zuckt, als seien es Stromstöße. Frau und Sohn werden das Flugunglück ja wohl nicht überlebt haben, oder? Doch!

Nach Jahren kehren die zwei zurück, nun flackert das Urzeit-Lagerfeuer mitten im Wohnzimmer. Sohn Bishop, längst verwilderter „Wolfsjunge“ und durch nichts mehr aufzuhalten, besorgt der Mutter haufenweise die ersehnten Schuhe – von Leuten, die sie „nicht freiwillig hergeben“. Sodann schlachtet er den Vater, dessen schwangere Gespielin und wohl auch die inzestuös begehrte Mutter ab. Das hysterische Nach-Spiel in einer Psychiatrie lässt alles vollends kollabieren. Wer Arzt ist und wer Patient, kann man allenfalls noch daran erkennen, ob der Kittel vorn oder hinten zugeknöpft wird. Am Ende ertönt nur noch das Geschrei der Affen…

Umkehrung der Evolution also. Unterm dünnen Anstrich der Zivilisation bricht die rohe Kreatur hervor – wie für alle restlichen Zeiten. Wir müssen keine Kriegsgebiete nennen, um derlei Befürchtungen in der Realität zu verankern. Und wir müssen keine bestimmten Medien oder Geiselnahme-Talkshows zitieren, um zu ahnen, dass Grausamkeiten konsumierbar zugerichtet werden. Silvers Stück ist gar nicht so haltlos, wie es zunächst scheinen mag.

Die Inszenierung wandelt gelegentlich auf dem Grat, letztlich ödes Nur-noch-Chaos zu produzieren. Doch das Darsteller-Quartett, allen voran Sebastian von Koch als Mutant des abgründig Bösen, spielt zuweilen so schockierend angriffslustig, dass man die Stätte der Kultur am Ende keineswegs nur amüsiert, sondern angefüllt mit wirren Ängsten und Aggressionen verlassen mag. Ob solche Gefühle wohl fruchten?

Termine: 22., 30. September. Karten: 0231/502 72 22.




Als die Zukunft brodelte – Wuppertaler Ausstellung aus dem Umkreis der russischen „Futuristen“

Von Bernd Berke

Wuppertal. Mit grell bemalten Gesichtern und in wallenden Phantasie-Gewändern zogen sie durch Moskau oder St. Petersburg. Manche trugen auch schrille gelbe Brillen zur Schau. Wenn sie sich zu Gruppen vereinten, nannten sie sich beispielsweise „Karo Bube“ oder „Eselsschwanz“.

Etwas verrückte „Szenen“ gab es eben schon lange vor unserer Zeit. Besagte Leute waren russische Künstler, Musiker und Dichter um 1910. Mit dem Furor der Jugend forderten sie, die gesamte bisherige, „von Ratten zerfressene“ Kultur müsse erneuert werden. Ganz und gar der Zukunft zugewandt, verstanden sie sich als „Futuristen“ – ein Wort, das in Italien erst später aufkam.

„Die Russen sind da“, verkündet ein großes Transparent vor dem Eingang. Fast klingt’s wie eine Reminiszenz an Ängste aus dem Kalten Krieg. Doch das Wuppertaler Von der Heydt-Museum zeigt nur einen Querschnitt durch das russische Kunst-Schaffen jener bewegten Zeiten nach 1900. Die 155 Werke von 33 Urhebern, vornehmlich aus St. Petersburg geliehen und in dieser Fülle bei uns noch nie gezeigt, fasern freilich im Verbund mit Gebrauchs- und Textilkunst zu einer verwirrenden stilistischen Vielfalt aus. Das Wort „Futuristen“ dient hier nur noch als notdürftige Klammer und umfasst alle, die damals nach vorn schauten.

Keine Verherrlichung des Krieges

Die Namen der meisten Künstler sind bei uns unbekannt. Selbst in ihrer Heimat, wo Stalin sie in den 30er Jahren drangsalierte, sind sie weithin vergessen. Während Italiens Futuristen um den Manifest-Autor Marinetti sich generell an Dynamik berauschten (sei es in Gestalt von Rennautos, brodelnden Großstädten oder Kriegsgetümmel), begriffen die Kunstler aus den weiten russischen Landen den Krieg nicht als stählernes Reinigungsbad. Natalija Gontscharowa ließ auf einer Lithographie von 1914 gar Engel eingreifen, um bedrohliche Flugzeuge am Himmel aufzuhalten…

Auch priesen die Russen die Metropolen keineswegs als einzig wahre Gär-Stätten der Moderne. Ländliche Motive, allerdings formal aufgefächert oder aufgesplittert, kommen hier häufig vor. Wurzeln in der Volkskunst sind unverkennbar, doch zeitgemäße Impulse aus Expressionismus oder Kubismus ließen eine arglose Weltsicht nicht mehr zu. Auch Bauern und Pferde werden vom Gewitter der Formzertrümmerung erfasst.

Das Neue ersehnen oder vor seiner Gewalt erzittern

Einen gewissen Schwerpunkt der Schau bilden Arbeiten von David Burliuk (1882-1967), der zu Beginn des Jahrhunderts an Ausstellungen beim „Blauen Reiter“ in München beteiligt war. Künstlerische Eigenkraft mag man ihm nur bedingt zusprechen. Beflügelt von allgemeiner Aufbruchstimmung, wirken seine in Werke noch vielversprechend, doch später verlieren sie sich in knatschbunt kolorierter Gefälligkeit. Derlei ästhetische Sinkflüge oder gar Abstürze werden in Wuppertal reichlich, wenn auch summarisch (dicht gehängt) abgehandelt.

Doch es finden sich auch etliche Bilder, die seinerzeit als wild empfunden wurden und heute noch beträchtliche Energie ausstrahlen. Einige der stärksten Beiträge stammen von Frauen: Die erwähnte Gontscharowa hat mit dem rasanten „Radfahrer“ (1913) gar eine der Ikonen der Jahrhundert-Frühe gemalt. Elena Guros „Frau mit Tuch“ (1910) ist in kühner Ausschnittwahl und riskanter Farbgebung eines der originellsten Bilder der gesamten Auswahl. Die kubistischen Formfindungen der Vorjahren in Köln schon eingehend vorgestellten Ljubow Popowa halten jeden Vergleich aus.

Höchst einprägsam ist auch Pavel N. Filonows Großformat „Umwandlung des Menschen“ (1914/15). Es handelt natürlich noch nicht von Gentechnik, wohl aber vom seelisch-körperlichen Elend des Proletariats in den wuchernden Städten. Diese Menschen erzittern geradezu vor ragenden Hochhäusern und überhaupt vor der Gewalt des Neuen. Ein erschütternder Blick auf die Kehrseite der Zukunft.

Von der Heydt-Museum, Wuppertal (Turmhof 8). 17. September bis 26. November. Di-So 11-18, Do 11-20 Uhr. Katalog 45 DM.

 




Was Experten entgeht oder: Blinde Flecken der Kulturgeschichte

Von Bernd Berke

Über Kulturgrößen wie den Komponisten Hanns Eisler, der viel mit Brecht zusammengearbeitet hat, und den Wiener Chansonnier Georg Kreisler („Tauben vergiften im Park“) gibt es jede Menge Literatur – und erst recht über Charlie Chaplin. Aber eine Kleinigkeit hat bisher gefehlt.

Denn manchmal entgehen auch den fleißigsten Deutern und Biographen interessante Details. Die werden dann – beispielsweise – von einer WR-Leserin aus Unna entdeckt. Wir reichen sie nun weltexklusiv weiter. Allein durch intensive Lektüre und Kombinationsgabe hat Tanja Krienen (43) eine Querverbindung zwischen den genannten Namen ziehen können, die bislang offenbar von allen Autoren übersehen worden ist: Eisler und Kreisler (seinerzeit beide im US-Exil) haben gemeinsam für die Musik zu Chaplins Frauenmörder-Film „Monsieur Verdoux“ (1946) gesorgt.

Gewiss: Diese Erkenntnis wird die Welt nicht umstoßen. Doch immerhin hat Kreisler selbst das hübsche Aperçu der Kulturgeschichte brieflich bestätigt, und Eisler-Biograph Jürgen Schebera will es in die nächste Auflage seines Buches einfließen lassen.

Tanja Krienen ist keine Frau vom Fach, keine Filmkundlerin oder dergleichen. Früher arbeitete sie als Erzieherin mit sozial auffälligen Kindern, heute hilft sie, die Firma ihres Mannes zu organisieren. Doch sie liest viel, veranstaltet auch schon mal – nahezu kurios – Nietzsche-Gedenklesungen in Spanien und kennt sich eben hie und da aus. Vorteil solcher Amateur-Forscher(innen): Sie sind nicht mit Fachblindheit geschlagen, sind offen für neue Fragen. Und wenn sie auch noch ein gutes Gedächtnis haben…

Den Ablauf der Episode mit Chaplin, Eisler und Kreisler muss man sich so vorstellen: Im Film gibt es einige Szenen, in denen Chaplin Klavier spielt. Zitat aus Kreislers Brief an Tan ja Krienen: „Dabei spielte er natürlich nicht wirklich, sondern damals wurde das noch so gemacht, dass ein im Film nicht zu sehendes Klavier für mich aufgestellt wurde, und ich spielte die betreffenden Passagen und behielt dabei die Bewegungen Chaplins im Auge“.

Zweite Aufgabe für Kreisler: Chaplin pfiff ihm Melodien vor, die Kreisler in Notenschrift festhielt. Mit diesen Blättern ging er dann zu Hanns Eisler, der Orchestermusik daraus machte. Kreisler, damals 23 Jahre jung, fungierte als musikalischer Bote. Noch heute rätselt er: „Ich weiß nicht, warum Eisler nicht selbst ins Studio zu Chaplin kam, möglicherweise war ihm der Weg zu weit.“ Jedenfalls tauchte weder der eine noch der andere Musikername im Film-Nachspann auf. Die Vertonung galt damals als untergeordnete Tätigkeit.

Es war also ein ziemlich folgenloser Berührungspunkt dreier sehr unterschiedlicher Künstler. Einflüsse im Werk sind nicht einmal beim damals noch prägsamen Kreisler vorhanden. Von Eisler, der später auch die DDR-Hymne („Auferstanden aus Ruinen“) komponierte und dem Weltstar Chaplin ganz zu schweigen. Sie werden den kleinen Vorfall bald vergessen haben.

Aber so kann’s gehen, selbst wenn sich ganz erlauchte Geister treffen: Man weiss, dass die beiden vielleicht größten Romanautoren des 20. Jahrhunderts, Marcel Proust und James Joyce, einander ein einziges Mal begegnet sind. Welch ein funkelnder Dialog über Literatur und Leben hätte daraus werden können! Doch die beiden Genies wussten – bis auf ein paar höfliche Floskeln – einander gar nichts zu sagen. Und wie nennen wir solche fruchtlosen Begebenheiten? Vielleicht sind es die „blinden Flecken“ der Kulturhistorie.

 




Picassos neue Heimat liegt mitten in Westfalen – In Münster eröffnet ein erstaunliches Museum mit rund 800 Lithographien

Von Bernd Berke

Zeit für ein kleines Städtequiz. Wir nennen die klingenden Namen Barcelona, Paris und Antibes in Südfrankreich. Frage: Welcher Ort gehört noch in diese Reihe?

Seit gestern: Münster. Denn hier gibt es jetzt das weltweit vierte Museum, das ausschließlich dem Werk des Pablo Picasso (1881-1973) gewidmet ist. Rund 800 Picasso-Lithographien („Steindrucke“) nennt das schmucke neue Doppelhaus im Druffelschen Hof und dem benachbarten Hensenbau sein Eigen.

Damit besitzt man nahezu Picassos Gesamtwerk in dieser Technik. Nur etwa zehn bis zwölf weitere Arbeiten dürften noch irgendwo auf dem Markt herumgeistern – zu handelsüblichen Preisen zwischen 1000 und 200.000 Mark pro Stück. Natürlich hortet Münster die Blätter nicht exklusiv, denn Picasso hat seine Lithographien meist in Auflagen um 50 Exemplare herstellen lassen. Auch ist in Antibes, direkt an der Côte d’Azur, das Ambiente noch eine Spur grandioser. Doch wir wollen nicht meckern. Im Gegenteil.

Gestern konnte man sich beim ersten Rundgang staunend überzeugen: In einem relativ kurzen „Litho-Rausch“ (etwa von 1945 bis 1950) hat Picasso weite Sektoren seines ungeheuren Themenkreises auch beim Stein- und Zinkplatten-Druck ausgeschritten.

Warum die Frau grüne Haare hat

Man kennt die Grundmotive und freut sich immer wieder über die Vielfalt, die der Meister ihnen abgewann: Figuren aus Mythos und Bibel, Stiere, Gaukler, Faune; und besonders Frauen, Frauen, Frauen. Denn Picasso hatte – ähemm! – nicht nur einen hohen „Verbrauch“ an Farbe, Leinwand und Papier…

Eine der schönsten Serien heißt „Frau mit grünem Haar“ (1943). Der ewige Konkurrent Matisse hatte Picassos Gefährtin Françoise Gilot gesehen und verzückt gemeint, man müsse die Süße unbedingt mit grüner Frisur abbilden. Der lüsterne Wunsch weckte Picassos häufig lodernde Eifersucht, und sogleich setzte er den Gedanken selbst in die Tat um, bevor es der Rivale tun konnte. Picasso stellte das Antlitz der Gilot durchweg frontal dar, die nicht minder schöne Jacqueline Roque zeigte er stets im Profil. Das Wissen des Eroberers: Die eine wirkt so, die andere so am besten.

Oft ist dasselbe Motiv in verschiedensten (Zwischen)-Zuständen zu bewundern, man kann die feinen Abstufungen miteinander vergleichen. Es ist, als blicke man direkt in die Werkstatt Picassos: Fehlte nur noch, dass er selbst um die Ecke biegt und sich an die alte Druckmaschine begibt, die hier gleichfalls zu sehen ist. Immerhin: Sein Sohn Claude war gestern wirklich da.

Zur Eröffnung präsentiert man 210 Arbeiten. Nach und nach soll (durch „Rotation“ im Viermonats-Rhythmus) die gesamte Kollektion vorgestellt werden. Größtenteils ist sie dem heute 72-jährigen Gert Huizinga aus Lengerich zu verdanken. In den 50ern freundete er sich mit Picassos Lieblings-Drucker Mourlot an, erwarb immer mehr Blätter und hütete sie lange daheim. Schließlich wuchs ihm das Ganze über Kopf und Dach, so dass er alle Schätze in eine Stiftung einbrachte, die nun von drei großen westfälischen Finanz-Dienstleistern getragen wird. Nicht immer wird Banken-Geld so gut angelegt.

Graphikmuseum Pablo Picasso, Münster, Königsstraße 5. Geöffnet ab Sonntag, 10. Sept.: Di-So 10-18, So 11-17 Uhr (Immer nur 100 Besucher auf einmal. Unbedingt erkundigen: Tel. 0251/41 447-0). Eintritt 9 DM. Bestandskatalog 59 DM.

 




Mario Adorf – einfach denkmalwürdig / Zum 70. Geburtstag des großen Schauspielers

Von Bernd Berke

Diese gedrungene Statur. Dieser dunkel funkelnde Blick unter buschigen Augenbrauen. Die sprungbereite Gefährlichkeit, die sich hinter Leutseligkeit so täuschend verbergen kann. Bei ihm kann das Böse furchtbar charmant und der Charme abgründig böse sein.

Für harmlose Rollen ist er nicht geschaffen. Und so hat Mario Adorf, der heute 70 Jahre alt wird, im Laufe seines Schauspielerlebens denn auch allem die Schattierungen des Gangster- und Ganoventums verkörpert; vom debilen Triebtäter bis zum ehrenwerten Herren im edlen Zwirn. mte: Seinen

Kino-Durchbruch hatte er 1957 in Robert Siodmaks „Nachts, wenn der Teufel kam“ – als geistesgestörter Serienmörder. Pfiffige Spielart: 1959 war er der helle Kopf einer Jugendbande in „Am Tag als der Regen kam“. Gar viele Facetten kamen mit den Jahren hinzu. Wie sagt man in derlei Fällen: Er ist mit allen Wassern gewaschen…

Dem altväterlichen Kino den Mief ausgetrieben

Adorf zählte zu den ganz wenigen, die dem altväterlichen deutschen Kino der 50er Jahre den Mief ausgetrieben haben. Ein Kraftkerl seiner Klasse konnte es mit dem Zeitgeist der Adenauer-Ära aufnehmen. So wie Bernhard Wicki als Melancholiker quer zur Mehrheits-Mentalität stand, so Adorf als listiger, frecher, sturzvitaler Herausforderer. Denkmalwürdig.

Seine ungeheure, nuanciert wandelbare Präsenz reichte für mehrere Karrieren. Selbst in weniger ambitionierten Produktionen der 60er- und 70er-Jahre (Karl May, Italo-Western, Mafia-Thriller) merkte man auf, sobald er die Bildfläche betrat. Auch wenn er ein Klischee bediente, war er zugleich dessen Verneinung.

Rollen bei Schlöndorff, Fassbinder und Billy Wilder

Eine derartige Ausnahme-Erscheinung durfte auch den Regisseuren des „Jungen deutschen Films“ nicht entgehen: In Schlöndorffs Böll-Verfilmung „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ spielte Adorf einen zwielichtigen Kommissar, Fassbinder holte ihn als brachialen Baulöwen (Adorf über die Rolle: „ein sympathisches Schwein“) für „Lola“, und in Schlöndorffs Oscar-gekrönter Grass-Adaption „Die Blechtrommel“ war er der Vater Matzerath. Überdies wurde Adorf von Billy Wilder („Fedora“), Sam Peckinpah („Major Dundee“) und Claude Chabrol („Stille Tage in Clichy“) geschätzt. Doch mit Hollywood kam er nicht zurecht: „Wäre ich dort geblieben, hätte ich ewig den Mexikaner spielen müssen“.

Schließlich die bärenstarken Fernsehrollen. Nie war Heimkino schöner als mit diesen satirisch angehauchten Dramen, die unsere geldlüsterne Gesellschaft herrlich auf den Begriff brachten. Bestimmt kein Zufall, dass Adorf in einigen der besten TV-Produktionen der letzten Jahrzehnte mitgewirkt hat, auch als Komödiant von hohen Gnaden.

Unvergessliche Momente in „Kir Royal“ 

Mit diebischen Freude erinnern wir uns an den Kaufhauskönig in Dieter Wedels „Der große Bellheim“ (1992), an den Gangster-Paten beim selben Regisseur in  „Der Schattenmann“ (1996). Einen „Mittelpunktschauspieler“ hat ihn Helmut Dietl genannt. Wahrhaftig: Wer wird je den furiosen Moment vergessen, wenn Adorf in Dietls Serie „Kir Royal“ (1986) auf die Szene stampft: „Ich scheiß euch alle zu mit meinem Geld!“ So sprach der rheinische Klebstoff-Fabrikant Heinrich Haffenloher, der sich den Zugang zur Schickeria erkaufen wollte. Daneben verblassten sogar Franz Xaver Kroetz, Senta Berger und Ruth-Maria Kubitschek ein wenig.

Sein Rüstzeug hat Adorf, der in Zürich geboren wurde und in Mayen (Eifel) als uneheliches Kind bei der Mutter aufwuchs, am Theater erworben: 1953 besuchte er die Otto-Falckenberg-SchuIe, von 1954 bis 1960 gehörte er zum Ensemble der Münchner Kammerspiele.

Und nun können wir es kaum noch erwarten, Adorf als gewieften Hamburger Senator in Dieter Wedels ZDF-Sechsteiler „Die Affäre Semmeling“ zu sehen. Dreht schneller, Leute!




Wenn der Alltag ganz leise ins Rutschen gerät – Udo Scheel und seine rätselhaften Bilder-Choreographien in Recklinghausen

Von Bernd Berke

Recklinghausen. Wer mit Udo Scheel durch seine neue Recklinghäuser Ausstellung geht, bekommt eine Lehrstunde über Sinnen und Trachten der Kunst gleich gratis hinzu.

Ganz geläufig (und sympathisch selbstironisch) parliert der 60-Jährige über seine Bilder und die kunsthistorischen Beweggründe. Immerzu hat er passende Beispiele aus Geist und Geschichte parat – von Malern wie Giotto oder Tintoretto bis zu erlesenen Literaten wie Victor Hugo oder Robert Walser. Scheel ist nicht nur ein bildender Künstler, sondern auch noch ein gebildeter.

Die Auswahl in der Recklinghäuser Kunsthalle bewegt sich zwischen zwei Extremen: Gezeigt weiden ungeheuer große und ganz kleine, sozusagen handliche Bilder. Seit Scheel seinen Lebensmittelpunkt von Münster nach Berlin verlegte und im dortigen Atelier. einen Rundum-Blick auf die Hauptstadt genießt, arbeitet er vorzugsweise an großformatigen Panoramen.

Vor den weiten, bogenförmigen Horizonten blitzen flüchtige Eindrücke aus Stadtgängen auf, verstreute Erinnerungs-Splitter eines allzeit neugierigen Flaneurs. Doch es bleibt nicht beim vermeintlich privaten Kopftheater. Oft erweitert sich die Szenerie, gleichsam durch malerische „Grabungen“, zum vieldimensionalen Geschichts- und Geschichten-Raum.

Hier schlägt der einsame Golfspieler seinen Ball, dort hängen ein paar Herren kopfüber ins Bodenlose, doch gleich daneben begeben sich malerische, ungegenständliche Farb-Ereignisse. Bemerkenswert, wie einer dies alles sinnfällig und formbewusst in ein Bildgefüge bringt und Widersprüche versöhnt. Verkehrte Welt, jedoch im Leinwand-Geviert gebändigt.

Scheel malt stets aus dem Gedächtnis, niemals nach Vorlagen. Wohl gerade deshalb schleichen sich gewisse Versatzstücke immer wieder ein: seltsam geformte Vasen, möhrensüchtige Hasen, Zähne fletschende Hunde oder auch monströs verlängerte rote Krawatten. Vollends erstaunlich: In den Randzonen etlicher Bilder prangen allerlei Schreibtischlampen. Eine spezielle Besessenheit, eine fetischistische Spielart gar?

Vor allem die Kleinformate, dicht an dicht gehängt fast wie Cartoons, haben einigen Witz. Es sind vielgliedrige Rätselbilder, freundliche kleine Attacken auf bürgerliche Gemütlichkeit, nervös tänzelnde Choreographien grassierender Neurosen. All das ist ersichtlich dem normal verrückten Alltag entnommen und hebt doch schräg von ihm ab. Sogar ein Bügeleisen schlittert – einem soeben getauften Schiffsriesen gleich – vom Bügelbrett herab, als befinde sich auf dem Fußboden das Meer. Auch vieles andere steht buchstäblich auf der Kippe: Besonders die Verhältnisse zwischen Mann und Frau changieren zwischen Sehnsucht, Gier und Gewalt, Poesie und Pein.

Einige Szenen scheinen sogar auf mögliche Kriminal- oder Schauergeschichten hinzudeuten, doch mörderisch geht es eben nicht zu. Bizarre Vorgänge werden zwar ins Auge gefasst, aber letztlich eher milde und nachsichtig lächelnd betrachtet. So oder so ist das Leben, nehmt’s doch nicht gar zu schwer…

Udo Scheel. Kunsthalle Recklinghausen (am Hauptbahnhof). Bis 15. Oktober. Di-So 10-18 Uhr. Katalog 30 DM.




Und immer wogt das Werk – Jörg Immendorffs wechselhafte Bilderwelten im Dortmunder Ostwall-Museum

Von Bernd Berke

Dortmund. Die entblößte Frau geht an Krücken. Noch dazu balanciert sie auf zwei Kugeln. Doch wenn man sie so sieht, mag man an ein Wunder glauben: Sie wird, wenn auch staksig, vorankommen.

Das Gemälde, dessen Frauenfigur der altdeutschen Welt des Hans Baldung, genannt Grien entlehnt ist, könnte als Sinnbild für weite Teile des Werkes von Jörg Immendorff (55) stehen. Immer wieder scheint dieses insgesamt so imposante Œuvre ins Stocken oder Schlingern, mithin in produktive Unruhe zu geraten. Doch man kann sich darauf verlassen, dass die Pfade nicht in Sackgassen führen; dass irgendwann eine Wende kommen wird, eine Nahtstelle, ein wegweisendes Schlüsselbild – oder gar ein fulminanter Ausbruch des Neuen.

Erst der Pfusch der frühen Jahre, dann immer wieder die Suche, das Kraut-und-Rüben-Chaos, endlich glücklich gefundene, „geschlossene“ Formen: Mit solch beständigen Wechseln und Wogen lässt sich allemal eine lebendige Ausstellung bestreiten, in der jeder Raum (wie Immendorff gestern bemerkte) „seine ganz eigene Temperatur“ hat.

123 Bilder und elf Skulpturen von Immendorff bietet das Dortmunder Ostwall-Museum auf. Der Überblick umfasst alle Werkphasen des Düsseldorfers, der gewiss zu den prominentesten Künstlern der Republik zählt. Mit ansehnlichen 40000 Mark ist denn auch der Preis der Kulturstiftung Dortmund dotiert, den Immendorff heute in Empfang nimmt. Wer hat, der hat.

Rückblende: Anno 1966 hatte Immendorff ein nahezu fertiges Gemälde mit kräftigen Pinselhieben durchkreuzt und darauf geschrieben: „Hört auf zu malen!“ Die Legende besagt, dass in diesem Moment sein Lehrmeister Joseph Beuys das Atelier betreten und „Spitzenbild!“ gerufen habe. Es soll ein Zündfunke gewesen sein: Fortan strebte Immendorff Bilder jenseits der Bild-Gewissheit an, und allzeit kämpften thematische Vorlieben mit rein malerischen Impulsen.

Früher schlug das Herz ganz links: Plakative Bilder in der (freilich halbwegs reflektierten) Nachfolge eines „Sozialistischen Realismus“ bestimmen Immendorffs Kunst-Kurs der 70er Jahre. In Dortmund finden sich einige Beispiele. Ohne zuweilen faule Kompromisse zwischen Bildlichkeit und Schrift kommen sie nicht aus. Heute betrachtet, ist’s knallrote Nostalgie.

In den 80ern wurde Immendorff, zumal mit seiner Bilderserie „Café Deutschland“, zum Seismographen gesamtdeutscher Tendenzen – wie Martin Walser oder Botho Strauß auf literarischem Felde. Ganze Geschichts-Bühnen tun sich in diesen theatralischen Großformaten auf, der Adlerblick des Künstlers stößt meist von oben auf solche Szenerien. Bilder, an deren Vielgestaltigkeit man sich satt schauen könnte.

Ein Hauptaugenmerk der Dortmunder Auswahl gilt indes Immendorffs jüngstem Schaffen. Man wird Zeuge einer Abkehr vom breit ausgespielten erzählerischen Gestus. Es wirkt wie ein Rückzug von historischen Anklängen, wie eine Zurüstung zum Gang ins Elementare. Vielfach wird surreales Formen-Vokabular erkundet, in ganz eigener, souverän zitierender Kombinatorik. Manchmal schnurrt die vordem so reichhaltige Bilderwelt zum Schattenriss zusammen; oder zum ungeheuer rot pulsierenden, organisch blasenhaften Gebilde. Weniger Inhalts-Oberfläche, mehr Tiefe – ein typisch deutscher Zug?

„Immendorff – Bilder“. Museum am Ostwall, Dortmund. Eröffnung Samstag, 2. September, 17 Uhr. Ausstellung 3. Sept. bis 22. Okt. Di/Mi/Fr/So 10-18, Do 10-20, Sa 12-18 Uhr. Eintritt 4 DM, Katalog 45 DM.




Energische Bilder aus dem Bauch der Erde – Arbeiten aus 50 Jahren von Erwin Bechtold in Ahlen

Von Bernd Berke

Ahlen. Ein Mann hält Rückschau: Erwin Bechtold, vor 75 Jahren in Köln geboren, bewegt sich seit rund einem halben Jahrhundert auf der Kunstszene. Nun blickt er im Ahlener Museum auf sein reiches Schaffen. Etliche Bilder hat er lange nicht mehr gesehen – und nun ist er überrascht, wie treu er sich selbst in all der Zeit geblieben ist.

Man wird nicht gar so viele 75-Jährige finden, die derart neugierig und vital sind wie der hoch aufgeschossene, vom Leben anscheinend gar nicht gebeugte Bechtold. Seine Bekenntnisse sind allemal in die Zukunft gerichtet: „Nichts ist endgültig fertig“. Oder: „Für mich ist nicht so spannend, was ich gestern gemacht habe, sondern was ich morgen machen werde“. Beständiger Zweifel am Geschaffenen hält seine Bilder und wohl auch ihn selbst jung.

Zu Beginn der 50er Jahre hatte er – damals für Deutsche noch eine abenteuerliche Reise – in Paris beim berühmten Fernand Léger („Ungeheure Ausstrahlung, aber ein miserabler Pädagoge“) frühe künstlerische Impulse empfangen. Seit 1958 lebt der künstlerische Autodidakt (von Haus aus Setzer und Drucker) die meiste Zeit auf Ibiza.

Und seine Kunst? Nun, sie beruht zuallererst auf konstruktiven Bildgerüsten, auf immer wieder anders und oftmals seriell durchgespielten Grundformen wie etwa Quadrat, Winkel oder Bogen.

So unberechenbar wie das Leben

Doch er arbeitet keinesfalls streng geometrisch, nicht Maß für Maß. „Gestische Ausbrüche“, spontan gesetzte Bewegungen im Bild hauchen den statischen Mustern Odem ein und beziehen ihre Energien wohl auch aus Bechtolds heftigen informellen Anfangen. Es ist also langst nicht alles Kalkül. Diese Bilder sind so wenig berechenbar und mitunter so irritierend wie das Leben. Doch sind es Werke, auf deren Qualität man sich durchweg verlassen kann, denn der einstige documenta-Teilnehmer (1968) entlässt offensichtlich kein Werkstück aus seinem Atelier, das nicht bis ins Letzte sinnreich gefügt wäre.

Mit gehäufeltem Sand vermischt, bekommen die Farbspuren mitunter eine greifbare Materialität, als seien sie von einem Vulkan ausgespien worden – tief aus dem Bauch der Erde. Über einige Bilder ziehen sich Ritzungen oder gar Kraterspuren, aus denen lackartig glänzende Farb-Bahnen sanft glitzern. Dieser Kontrast verstärkt die Wirkung der ansonsten stark aufgerauten Oberflachen – und umgekehrt: Das Schrundige lässt das samtig Schimmernde umso stärker hervortreten.

Mit heutigen Mitteln alte Themen aufgegriffen

In Ahlen ist man so klug, keine strikte Chronologie einzuhalten, sondern beispielsweise Bilder von 1959 direkt mit neuesten Arbeiten zu konfrontiercn. Und siehe da: Sie passen geradezu phänomenal zueinander, wenn auch das Werk sich zeitgemäß entwickelt und entfaltet hat. Das zumeist erdhafte Farbspektrum mit so vielen grauen, braunen, schwärzlichen Tönen hat sich im Prinzip ebenso gehalten wie das Interesse an gewissen Form- und Flächen-Strukturen. Man merkt, dass hier stets derselbe Geist am Werke war.

Bechtold hat sich innig in seine früheren Phasen hineinversetzt und zur Schau ein Künstlerbuch gestaltet: Mit seinen heutigen Mitteln greift er die ehemaligen Stile nochmals auf – sozusagen eine monologische Zeitreise, aus der flirrende Spannung erwächst. Und so kommt einem die Ausstellung zum 75. Geburtstag des Künstlers auch gar nicht vor wie eine hehre Retrospektive im Sinne eines Schlusspunktes, sondern just wie eine Zwischenbilanz. Fortführung jederzeit.

Erwin Bechtold: „Wie war das. Wie ist das“. Kunstmuseum Ahlen. Bis 5. November. Di/Do 15-18, Mi/Fr 15-19, Sa/So 10-18 Uhr. Eintritt 8 DM (Gag wegen des Künstler-Geburtstages: 75-Jährige zahlen nichts). Künstlerbuch 65 DM.




Vom Bergmann zum Baulöwen mit Rolex – Peter F. Bringmanns klischeereicher Dortmund-Krimi „Der Schnapper“

Von Bernd Berke

Ganoven tragen vorzugsweise Rolex-Uhren, büchsen gern nach Rio aus und müssen irgendwann aus diesem Grunde sterben: „Er wusste zu viel…“

Mit solchen längst totgesagten Klischees (Marke 50er Jahre) wirft Peter F. Bringmanns Dortmund-Krimi „Der Schnapper“ (ZDF, Sa., 20.15 Uhr) nur so um sich. Es wäre zum Verzweifeln, gäbe es da nicht die erzsympathische Titelfigur, Horst Krause als Kommissar Schrader. Der verabscheut Handys und all den neumodischen Kram. Auch nimmt er stets den Bus. Nur keine Hektik. Ja, selbst seine Ehe ist, völlig krimi-untypisch, noch nach 25 Jahren glücklich. Mit einer Mischung aus barockem Wesen und ortsüblichen Kumpel-Qualitäten hebt Krause einfach die Laune. Und man hält natürlich zu ihm, wenn er es mit einem jungen Chef-Schnösel zu tun bekommt.

Apropos Kumpel: Der Kriminalfall, den man beinahe aussparen könnte, ergibt sich zwischen ehemaligen Bergbau-Kollegen, die vor 15 Jahren zu plötzlichem Reichtum gelangt sind. Damals gab es eine Explosion mit mehreren Toten, bald darauf machte der Pütt dicht. Alles Zufall? Wohl kaum: Ein Ex-Sprengmeister hat es gar zum Baulöwen gebracht, der die halbe Stadt zubetoniert und offenbar Leute im zuständigen Amt besticht. Oha! Und das in Dortmund. Kaum zu glauben, oder?

Das erste Opfer (einst Steiger, dann Inhaber einer Lottostelle in Aplerbeck) muss gleich zu Beginn in der Halle der stillgelegten Zeche zu Tode stürzen. Sehr dekorativ. Natürlich hat jemand nachgeholfen. Wir sehen ja alles mit an, wie denn überhaupt der ganze Film zwar konfus und hanebüchen daherstolpert, aber letztlich völlig rätselfrei bleibt: Der alte Kumpan Rolf (Edgar M. Böhlke) war’s, zum Schrecken seiner früheren Spießgesellen aus Brasilien zurückgekehrt und in einer schäbigen Absteige hausend. Dort sinnt er weiter auf Erpressung und Mord.

Mit lahmer Routine hakt Rolf sein dürftiges Repertoire ab. Es ist allemal von vorgestern. Zwischen Szenen mit tödlichem Schlangenbiss (Serum in Reichweite, doch der Schurke zertritt die Ampulle) und einzementierter Leiche spielen Bergmannskapellen ihr „Glück auf“ und dergleichen. Auch sagen die Leute „watt“ und „datt“. Putzige Folklore fürs übrige Deutschland. Etwa so, wie sie in Hawaii vor Touristen Hula tanzen. Gebt Baströckchen für Dortmund!




Die Frau denkt nach, der Mann schweift ab – Gisela Brinkmann und Manfred Vogel im Wittener Museum

Von Bernd Berke

Witten. „Männer sind Kopfmenschen. Frauen haben es mehr mit Gefühlen“. Ein längst widerlegtes Klischee, oder? In der neuen Ausstellung des Märkischen Museums verhält es sich jedenfalls pfeilgerade umgekehrt.

Die Wittener Künstlerin Gisela Brinkmann (Jahrgang 1955) verfolgt strenge Gedanken-Konzepte, während der in Duisburg lebende Prof. Manfred Vogel (Jahrgang 1946) nach eigenem Bekunden „aus dem Bauch heraus“ arbeitet.

Gisela Brinkmann sammelt seit 1991 Tulpen, Tulpen und immer wieder Tulpen. Sie kauft sie jedoch nicht im Blumenladen, sondern pflückt die Pflänzchen hie und da, auch schon mal (mit Leuchtweste und Botanisier-Tütchen ausgerüstet) in öffentlichen Anlagen. Launiges Katalog-Zitat: „Gisela Brinkmann klaut auch. Sie ist eine Tulpenräuberin“. Allerdings eine ganz harmlose – und noch dazu unterwegs im Dienste der Kunst.

Hat sie die „Beute“ heim gebracht, so hält sie mit Acrylfarbe möglichst exakt die staunenswert vielfältigen Farben als jeweils monochrome Rechtecke fest. Jede Tulpe leuchtet anders. Bevor die Pflanzen ganz verwelken, greift die Künstlerin zu den Blütenstempeln und „stempelt“ buchstäblich mit ihnen symbolische Datums-Zeichen unter die Farbreihen. Es sieht zart aus, wie eine japanische Tuschzeichnung.

Wie die Farben von 733 Tulpen in den Computer geraten

Die gesamte Aktion wird zudem penibel auf Farb- und Zeitkarten erfasst, schließlich als Datenbank in den Computer eingespeist. 733 Exemplare sind inzwischen verzeichnet. Ein Internet-Auftritt hätte theoretisch das Zeug zur heimlichen Kult-Seite. Ob die Netz-Adresse www.tulpen.de wohl schon vergeben ist?

Was nach Art eines naturwissenschaftlichen Forschungsprojektes abläuft, treibt durchaus ästhetische Blüten hervor. Die aus Blumenblättern gewonnenen Farbmeditationen erweisen sich auch als Chiffren der vergehenden Zeit, des eigenen Lebens, das sich nicht festhalten lässt. „Ich sammle Farben“, sagt Gisela Brinkmann. Ebenso gut könnte sie sagen: „Ich sammle Augenblicke“.

Dies kann auch Prof. Manfred Vogel, einst Meisterschüler bei Gerhard Hoehme, mit Fug von sich behaupten. In Witten sieht man, wie seine fotografische und seine malerische Arbeit einander wechselseitig beeinflussen.

Prof. Vogels „Votos“ mit V

Vogel nennt seine Lichtbilder „Votos“ – mit V. So will er andeuten, dass sie etwas ganz Persönliches seien: Vo-gels Vo-tos eben. Er fotografiert vorzugsweise das Entlegene, Randständige, welches sich der Wahrnehmung sonst beinahe entzieht: Risse in der Asphaltdecke, verwitterte Steine und dergleichen. In Zweier-Kombinationen gehängt, beginnen die vermeintlich „unscheinbaren“ Motive miteinander formal zu kommunizieren, manchmal auch zu streiten: ruhige Fläche gegen Ballung, Schärfe gegen Unschärfe…

Ähnlich verliert sich Vogel auch als Maler gern im Ungefähren: Er nimmt vage Assoziationen auf, verfolgt geringste Spuren streunend, schweift ab, setzt nur gelegentlich Kontrast-Schärfen. In vielen Ländern unterwegs, begreift Vogel die Bilder auch als Reisetagebuch des Sich-Treibenlassens.

Das malerische Resultat etlicher Streifzüge über Märkte in Paris lässt das Ursprungsthema freilich nur noch wie aus nebelhafter Ferne anklingen. Auch das Fußballfieber. das Vogel zur EM 1996 vor dem Fernsehgerät packte, führte zwar zu Bildtiteln wie „Wembley“ und „Tifosi“; Farben und Formen aber flüchten vom Anlass weg: hinaus ins Freie.

Gisela Brinkmann / Manfred Vogel. Märkisches Museum, Witten (Husemannstraße 11). Bis 15. Oktober. Di-So 10-13 und 14-17 Uhr. Eintritt frei.




Die Sprachschützer sehen Dämme brechen – Hagen: Erste Regionalgruppe des Bundesverbandes formiert

Von Bernd Berke

Hagen. Sie waren bundesweit am schnellsten: Von allen Sektionen des „Vereins Deutsche Sprache e. V.“, der sich vornehmlich gegen ein Übermaß englischer Begriffe wendet, hat sich die Regionalgruppe im Postleitbezirk 58 als erste satzungsgemäß formiert. Sie nennt sich „Verein Deutsche Sprache – Grafschaft Mark“.

Der Name klingt konservativ, und auch die Forderungen, die zur Vereinsgründung im Hagener Lokal „Zum Bauernhaus“ („gutbürgerliche Küche“) erhoben wurden, hatten eher mit ängstlichem Bewahren zu tun. Eigentlich kein Wunder: Das Durchschnittsalter der Erschienenen lag bei 60 Jahren. Jedenfalls war unentwegt von der „Flut“ angloamerikanischer Wörter; die ins Deutsche eindringen, die betrübte Rede.

Vereinzelt vernahm man auch schon mal solche Töne: Warum nur solle man nicht stolz auf die deutsche Sprache sein? Das dürfe man ja heute nicht mehr laut sagen, bedauerte einer. Nun ja, wenigstens Patriot wolle er sein dürfen. So wie die Franzosen, die ihre Sprache ganz anders verteidigten als wir, die den Kindern das Englische bald schon im ersten Schuljahr beibringen würden. Dann, so das Lamento, wäre einer der letzten Abwehr-Dämme gegen fremdes Wortgut gebrochen.

Insgesamt hat der vom Dortmunder Professor Walter Kramer geleitete Verein fast 11000 Mitglieder. Zwischen Witten, Schwelm, Schwerte, Iserlohn und Lüdenscheid (besagter „58er“-Bereich) sind es etwa 150, davon kam rund ein Drittel zum allerersten Treff.

Lehrer ansprechen und die Medien beobachten

In Hagen konnte man alle Geburtswehen einer treudeutschen Vereinsgründung erleben: Wie wird abgestimmt, was gehört auf die Tagesordnung, ist der Vorsitzende automatisch Delegierter bei künftigen Bundesversammlungen? So sehr verhedderte man sich in derlei Fragen, dass sämtliche Sprachprobleme vorübergehend in den Schatten traten.

Rasch ging’s hingegen mit der Wahl des regionalen Vorsitzenden: Dr. Wilhelm Werth (74) aus Wetter hatte sich geradezu aufgedrängt; nicht zuletzt, weil der rüstige Herr offenbar tatendurstig ist. Vor Wochenfrist hatte er in seiner Heimatstadt Veranstaltungsplakate eines Seefestes („Fun-Sport“, „Livebands“, „Bungee-Jumping“) mit der Formel „Wir sprechen auch Deutsch!“ überklebt, was ihm prompt Rechtshändel mit den Veranstaltern einbrachte. Auch die Post missfällt Werth ganz besonders: „Die mit ihrem Englisch: ,Call-City‘ und wie der Quatsch alle heißt…“

Nun wollen er und seine Getreuen es dem Dortmunder Bundesvorstand, „der manchmal etwas lahm ist“ (Werth), so richtig zeigen: Infostände für allerlei Gelegenheiten müssen her. Lokalpolitiker, Lehrer und Germanisten müssen im Sinne der Vereinsziele angesprochen werden. Und sogleich ernannte man für jede Stadt Beauftragte, die die lokalen Medien eingehend „beobachten“ sollen. Wehe also, wenn ein Kollege etwa beim Kinderfest am Wochenende „coole Kids“ sichten oder auf dem Sportplatz „Highlights“ erblicken sollte. Dann könnte es Leserbriefe hageln, oder man steht bei den Redakteuren gleich „auf der Matte“

Der Vize-Vorsitzende Alfred Bielefeld (Witten) brachte das Thema Internet zur Sprache: Man müsse die eigene „Homepage“ zur Überzeugungsarbeit nutzen. Wie bitte? Bielefeld, ein wenig verlegen: „Oh, dafür fällt mir auch kein passender deutscher Begriff ein“.




Die nüchterne Schönheit – Essener Ausstellung erkundet Einflüsse des Bauhauses in Nordamerika

Von Bernd Berke

Essen. Als neue Vereinigung der spezialisierten Künste verstand sich das ruhmreiche „Bauhaus“ in Weimar und später in Dessau. Alle Kunstformen sollten, auf der Basis soliden Handwerks, in der Architektur wieder zusammenfinden – fast wie in einer mittelalterlichen „Bauhütte“, doch den Ansprüchen des technischen Zeitalters gemäß.

Das Essener Folkwang-Museum führt nun vor, dass die Entwicklung inhaltlich und geographisch weite Kreise gezogen hat. Am liebsten hätten die Bauhaus-Meister (Walter Gropius, Ludwig Mies van der Rohe, Josef Albers, Laszlo Moholy-Nagy, Paul Klee, Wassily Kandinsky und etliche andere) mit ihren Künsten wohl das gesamte Leben erfasst. Es sollte keine Schnörkel mehr geben, alle Formen sollten sich an die Funktion schmiegen, und zwar in sämtlichen Sparten: Baukunst, Technik, Werbung, Mode, Theater, Fotografie, industrielle Formgebung…

Schon in der Weimarer Republik war das politisch-soziale Klima fürs Bauhaus widrig, es ließe sich da eine wahrhaft dämonische Geschichte von Plüsch-Verlogenheit und Präfaschismus erzählen. Die Nazis vertrieben das Bauhaus 1933 endgültig aus Deutschland. An diesem Wendepunkt setzt die Essener Schau mit über 350 Exponaten an. Sie erkundet den nachhaltigen Einfluss jener Bauhaus-Künstler, die in die Vereinigten Staaten emigrierten.

Beruhigend zweckmäßig oder kühl abweisend

Am Beginn des Rundgangs finden sich einige Objekte und Dokumente aus der Dessauer Zeit, z. B. die berühmten Stahlrohrmöbel von Marcel Breuer, Klee-Gemälde oder ein Textil-Musterbuch – und schon geht es flugs über den großen Teich. Der US-Schwerpunkt der Ausstellung lässt ahnen, wie tiefgreifend die Bauhaus-Lehre in Chicago und New York gewirkt hat. Die gelegentlich Furcht erregenden Fluchtlinien amerikanischer Wolkenkratzer-Architektur lassen sich durchaus beziehen auf Gebäude, die die deutschen Emigranten dort errichteten. Die nüchterne Reduzierung aufs Wesentliche, oft so wohltuend schmucklos und beruhigend zweckmäßig, zeigt hier mitunter ihr anderes, kühl abweisendes Gesicht.

Zahlreiche Arbeiten amerikanischer Bauhaus-Schüler, die etwa im Geiste Mies van der Rohes stadtplanerische Visionen entwarfen, bezeugen direkte Einflüsse. Die Schau hält hier auch Überraschungen bereit: Wer hätte etwa gedacht, dass ein Josef Albers dem späteren Pop-Art-Heroen Robert Rauschenberg erste Wege gewiesen hat? Bekannter ist schon dieses familiäre Gespann: Andreas Feininger, Sohn des Bauhaus-Malers Lyonel, prägte als Bildredakteur e der Illustrierten „Life“ und als Fotograf die ästhetischen Vorgaben auf diesem Felde mit.

Der Essener Baukonzern Hochtief finanziert die Schau und begeht damit sein 125-jähriges Bestehen. Es durfte also einiges kosten, musste aber huschhusch gehen, weil die Idee erst vor einem Jahr aufkam, als Hochtief das Klee-Haus in Dessau restaurierte. So ließen sich Honorare für eine Kölner Designfabrik abzweigen, die die Schau eilends durchgestylt hat. Edel hat man rahmenlose Bilder und Fotos in die Stellwände eingesenkt, die überall umlaufenden Schriftzüge künden von Eleganz. Ob sich die Exponate dadurch besser erschließen, steht aber auf einem anderen Blatt.

„Bauhaus: Dessau – Chicago – New York“. Museum Folkwang. Essen, Goethestraße. 12. August bis 12. November, Di-So 10-18, Fr 10-24 Uhr. Eintritt 15 DM, ermäßigt 10 DM, Familie 30 DM. Katalog 50 DM.

 

 




Wild wuchernder Wahnsinn – Martin Kusej bringt in Salzburg „Hamlet“ auf die Bühne

Aus Salzburg berichtet Bernd Berke

Ein riesiges Treibhaus steht auf der Bühne. Darin werden in den nächsten vier Stunden die schlimmsten Dschungel-Pflanzen wuchern: Intrigen, Rachsucht, Wahnsinn, Mord. Zunächst hat hier noch wirkliches Grün gestanden, doch das wird gleich zu Beginn geschnitten, die schütteren Reste dienen bestenfalls noch als Tarnung für die zahlreichen Spitzel im Staate.

Später wird der gläserne Bau (Bühne: Martin Zehetgruber) nackt und kahl sein wie eine aufgelassene Industriehalle, gegen Schluss wird Schnee liegen. Auch sind die meisten Bodenbretter verschwunden, man kann nur über dem offenen Schlund der Hölle balancieren.

Es ist der zunehmend naturwidrige Schauplatz für Shakespeares große Tragödie „Hamlet“. Anfangs haben wir gesehen, wie das Areal von Soldaten umstellt war. Diese Wehrhaftigkeit soll einen perfiden Machtwechsel abschirmen. Hamlets Vater ist von dessen eigenem Bruder Claudius umgebracht worden. Der hat somit nicht nur die Krone an sich gerissen, sondern gleich noch die Königin, Hamlets Mutter, geheiratet, Das ist die dem Drama vorausliegende Ur-Szene, die alles weitere Verhängnis auslöst.

In Martin Kusejs Salzburger Festspiel-Inszenierung steht Hamlet sogleich erbittert frontal zur Gesellschaft, die sich unterm neuen Herrscher wohlig eingerichtet hat. Sie verhöhnen ihn, weil nicht auch er sich geschmeidig den Verhältnissen anpasst.

Der König (Marcus Calvin) und seine schmierig-mafiosen Schranzen machen es sich im Luxus bequem. Von sich selbst scheinen diese Leute zu glauben, sie strahlten die Erotik der Macht aus. sie seien furchtbar fesch.

Fesch hergerichteter Faschismus dämmert herauf

Und an wen könnte man bei diesem Stichwort in der Alpenrepublik denken? In der Festspielzeitung hat Kusej, der aus Österreich stammende Regisseur des Stuttgarter Staatsschauspiels, den Hamlet-Stoff mit Jörg Haiders Aufstieg in Austria kurzgeschlossen. Es ist etwas faul im Staate. Kusej sieht alle Übel eines fesch hergerichteten Faschismus heraufdämmern. Und er stellt die Frage nach Widerstand.

Darf man, wie Hamlet es so lange tut, bedenklich zögern, oder soll man losziehen gegen „ein Meer von Plagen“? Natürlich geht ein Weltendrama wie „Hamlet“ in derlei politischer Zueignung nicht auf, auch wenn hier am tödlichen Ende der Walzer „An der schönen blauen Donau“ aus den Lautsprechern dröhnt, was im Premieren-Publikum Buh- und Bravo-Orkane auslöste.

Ästhetisch fesselndes Theater

Doch Kusej hat der Versuchung widerstanden, das Stück nur auf seine politischen Ängste hin zurechtzubiegen. Gespielt wird Heiner Müllers reimfreie Übersetzung. Es entfaltet sich ästhetisch fesselndes Theater; in Sachen Sprechkultur erfreulich auf der Höhe, szenisch durchdacht, die Tempi zwischen Furioso und Zeitlupe virtuos wechselnd – und oft zutiefst bewegend, wie etwa in den Wahnsinns-Szenen der Ophelia (Johanna Wokalek). Gewiss: Einige Szenen hat man umgestellt, doch all das ist nachvollziehbar.

Hamlet (Samuel Weiss), der den Selbstmord-Monolog gleich zu Beginn hervorstößt, wühlt sich hier aus anfänglich hilfloser Verzweiflung heraus und legt sich eine listenreiche Strategie zu. Atemberaubend, wie der Darsteller die Übergänge zwischen beiden Haltungen vorführt.

Dieser Hamlet ist gar nicht so sehr der von des Gedankens Blässe angekränkelte Intellektuelle. Zwar zaudert er, doch schlägt er hernach umso drastischer zu, kalt bis ans Herz. Polonius, Rosenkranz und Güldenstern müssen dran glauben. Er knallt sie ab wie in einem schlechten Film. Hamlets Rache bekommt geradezu terroristische Selbstläufer-Qualitäten. Wo spielte das Stück noch? Damals in Dänemark? Heute in Österreich? Der Rest ist Schweigen.




Nur noch Zerstreuung und Betäubung – Frank Castorf inszeniert in Salzburg Tennessee Williams‘ „Endstation Sehnsucht“

Aus Salzburg berichtet Bernd Berke

„Big Brother“ hat nun auch Tennessee Williams eingeholt, die allgegenwärtigen Kameras sind bis zur „Endstation Sehnsucht“ vorgedrungen. Lust auf heftige Eheprobleme? Eine Sekunde, wir schalten um von der Küche ins Badezimmer, sehen Sie selbst!

Regisseur Frank Castorf hat Williams‘ Nachkriegs-Klassiker von 1947 (George Orwells Roman „1984″ mit dem „Big Brother“-Motiv erschien übrigens 1948) für die Salzburger Festspiele in unsere Zeit gezerrt; in eine Zeit, die keine privaten Dinge mehr zulässt, in der jedes ordinäre Gezeter sogleich für schrille Talkshows zugespitzt wird. Und so übermittelt denn auch ein TV-Bildschirm in dieser Inszenierung mancherlei Szenen zwischen Dusche und Toilette. Anders als im Originaltext, quetschen sich die Beteiligten auch schon mal zu dritt oder sechst auf der Bettstatt und vollführen groteske sexuelle Turnübungen.

Willkürliche Einschübe und jede Menge Zeitgeist

Die Geschichte vom geradezu tierhaft virilen „Proll“ Stanley Kowalski, der die ungleich zarteren Seelen seiner Frau Stella und ihrer Schwester Blanche sozusagen mit bloßen Fäusten zermalmt, wird von Castorf mit willkürlichen Einschüben versehen. Kowalski, der ja nun einmal aus Polen in die USA eingewandert ist, bekommt eine fetzenhafte Solidarnosc-Biographie verpasst, er soll einst an der Seite (und im Schatten) Lech Walesas für die Freiheit gekämpft haben. Doch von seinen früheren Utopien ist nichts geblieben als eine ziellos rasende Energie am Rande der Kriminalität. So ähnlich ergeht’s hier allen: Das früher Erträumte zeigt nur noch seine albtraumhaften Fratzen.

Trostlos wirkt die unbehauste Szenerie. Gegen Ende wird diese auf grelle Art dürftige Kleinwohnung der Kowalskis (Bühne: Bert Neumann) so weit nach hinten gekippt, dass alles Mobiliar verrutscht und die Darsteller sich nicht mehr auf den Beinen halten können. Die Welt ist also mal wieder ein unrettbar sinkendes Schiff. Doch dieser im Theater ach so gängige Befund wird nicht so sehr erkundet, sondern schlichtweg vorausgesetzt.

Alles ist mies, aber wir spielen’s munter ‚runter

Mögliches Motto: Alles ist mies, aber wir spielen’s munter ‚runter. Als sei’s eine Bochumer Regietat nach Art von Jürgen Kruse, wird unablässig Popmusik ins triste Geschehen eingeschleust – von Lou Reed („Perfect Day“) bis „Oasis“. Überhaupt wird das menschliche Elend allzeit mit Singsang verkleistert, den Rest erledigt „Doktor Alkohol“. Ruhe und Besinnung sind nicht mehr vorgesehen, nur Zerstreuung und Betäubung. Noch so ein Befund, der etwas für sich hat; wie denn Castorf überhaupt etlichen grauslichen Zeitgeist auf die Bühne schaufelt. Und zwischendurch lässt er sogar einige kostbare Momente stehen, in denen das wahre Leiden an Sehnsucht und Begierde hindurch schimmert.

Auf die Nerven geht aber diese Manier: Stets werden Sätze wiederholt und auf die schrille, zumeist hysterische Spitze getrieben. Das schmälert die durchaus achtbaren schauspielerischen Leistungen. Der Text geht vielfach im Gebrüll oder Gewinsel unter. Alle Haltungen sind nur noch Pose und Zitat, eine Lebensgeschichte geschweige denn eine umrissene Identität scheint keine dieser Figuren zu haben. Sie alle existieren nur noch als zumeist infantile Improvisationen ihrer selbst.

Henry Hübchen als Stanley Kowalski flattert zwischen haltloser Wut, fast schon rührend lachhafter Kraftmeierei und bloßer Leichtfertigkeit. Kathrin Angerer als Stella oszilliert als piepsiger Marilyn-Monroe-Verschnitt zwischen Vorstadtschlampe und Sensibelchen, und auch Silvia Rieger als Blanche, ehemals wohl attraktiv, ertrinkt in Augenblickslaunen.

Unter vier Schlagworte fasst das mit superklugen Essays gesättigte Programmheft die Zeitdiagnose: Danach herrschen in diesen unseren Tagen: Verwahrlosung, Lebensgier, Paranoia und Depression. All dies prägte die Inszenierung, die ein Gewoge aus Bravo- und Buh-Rufen hervorrief. Wie sagte doch die Frau vom Frittenstand am Theater, die tags zuvor die Generalprobe gesehen hatte: „Es ist halt a Problemstück“. Ei, freilich.




Die Muster des Sichtbaren – Ein ganz Großer der Abstraktion: Ellsworth Kelly und seine Zeichnungen in Bonn

Von Bernd Berke

Bonn. Ein Amerikaner in Paris. Vielleicht hat er sich zwischendurch im Hotel schrecklich gelangweilt. Unentwegt hat er jedenfalls die Fensterkreuze des Zimmers gezeichnet, als gäbe es in dieser Stadt sonst nichts zu sehen. Doch aus solcher müßigen Selbstbegrenzung quillt oft das Ungeahnte in der Kunst.

Ellsworth Kelly, der 1948 aus Boston/USA nach Frankreich kam und dort bis 1954 lebte, gilt heute als einer der ganz großen Abstrakten der Nachkriegszeit. In Fensterformen, Schienenmustern der Pariser Metro, Spiegelungen auf dem Wasser der Seine oder denLinien- und Netzstrukturen von Tennisplätzen entdeckte er seinerzeit serielle Grundmuster oder „Module“, die sich trefflich variieren ließen – erst recht unter gezieltem Einsatz des Zufalls.

Etwa so: Einige Pinselhiebe vollführen, sodann das Bild zerteilen und auf gut Glück neu collagieren. Oder so: Gleich mit verbundenen Augen malen, die Linien frei fließen lassen. Man staunt über die geradezu klassische Formvollendung, die auf solche Weise reifen kann.

Nah am Moment der Ideenfindung

Die größtenteils noch nie öffentlich gezeigten Arbeiten befinden sich überwiegend im Besitz des Künstlers. Der vierfache documenta-Teilnehmer (erstmals 1968) eröffnet somit einen Einblick in seine Werkstatt. 1992 sah man in Münster Kellys Gemälde. Im Bonner Kunstmuseum führen nun die Zeichnungen aus der Frankreich-Zeit zurück zum Moment der Ideenfindung, näher an den Zündpunkt des künstlerischen Prozesses heran.

Kelly fand zu einer Bildsprache, aus der jede individuelle Handschrift getilgt war. Diese Un-Persönlichkeit hat er zeitlebens angestrebt. Expressive Gebärden blieben ihm ebenso fremd wie die Figuration, die nur zu Beginn seines zeichnerischen Oeuvres auftaucht, freilich schon als karge Inventur, gleichsam als Zufalls-Schnappschuss: Man sieht die Mal-Utensilien auf einem Tisch verstreut, dahinter im Spiegel den Unterkörper des Künstlers, kopflos anonym.

In einem weiteren Schritt mutieren die Farbtiegel zu abstrakten Formen. Auf der Suche nach einer „Grammatik“ des Sehens spürt Kelly die offenbar allzeit gültigen Raster hinter den Dingen auf, er lotet Farb- und Raumverhältnisse aus – bis an den Saum der völligen Stille und Leere. Oft scheint es, als sei sein Blick zunächst beiläufig wie im Traum zu diesen Rändern hin geglitten, ja geirrt, dann aber plötzlich „scharfgestellt“ worden.

Das Trinkglas sieht immer wieder anders aus

Der heute 77-Jährige ist kein großer Erklärer seiner selbst, man möchte ihn beinahe für ein wenig schrullig halten. Seine Anekdoten über andere Berühmtheiten der neueren Kunsthistorie bleiben in Ansätzen stecken. „I loved Miró.“ Warum? Nun ja, einfach so.Als er Willem de Kooning oder Gerhard Richter traf, habe man einander Wertschätzung bekundet. Soso. Auch nicht allzu aufschlussreich.

In Bonn beschränkt sich sein Kommentar zur ausgestellten Werkgruppe letztlich auf den Satz „Zeichnen ist wahrnehmen“. Zur Erläuterung nimmt er ein Trinkglas in die Hand, kippt und dreht es. Effekt: Der Kreis der Glasöffnung sieht immer wieder anders aus – je nach Perspektive wie eine Ellipse oder ein bloßer Strich. Ein wahrhaft elementarer, kontemplativer Zugang zur sichtbaren Welt.

„Spectrum Colors Arranged by Chance“ (Spektralfarben, nach Zufall arrangiert) heißt ein Kelly-Bild mit 1600 bunten Quadraten. Man mag kaum glauben, dass es aus dem Jahr 1951 stammt, wirkt es doch wie ein mit Pixeln übersätes Feld der neuesten Computerzeit. Die Zukunft war eben immer schon da.

Ellsworth Kelly: „The Early Drawings“ (Die frühen Zeichnungen). Kunstmuseum Bonn. Bis 10. Sept. Di-So 10-18, Mi 10-21 Uhr. Katalog 59 DM.




Sanftes Licht aus paradiesischen Gefilden – Amsterdamer Rijksmuseum präsentiert „Das Goldene Zeitalter“

Von Bernd Berke

Amsterdam. Wichtig ist nicht nur wie, sondern auch wo man lebt. Für einen Maler gilt dies wohl erst recht. Da gibt es beispielsweise diese Sache mit dem „Delfter Licht“, das sich unvergleichlich mild ausbreitet und alle Dinge in eigentümlich beruhigender Klarheit hervortreten lässt.

Wer weiß: Vielleicht wäre Jan Vermeer als Künstler ein ganz anderer geworden, hätte ihn nicht dieses Licht umhüllt und ihm die Welt vor Augen geführt. Er musste es „nur“ noch malen…

So ist denn in der famosen Amsterdamer Ausstellung „Der Glanz des Goldenen Jahrhunderts“ ein Kapitel eben jenem Delfter Phänomen gewidmet, dessen Wirkungen auch bei Künstlern wie Pieter de Hooch und Gabriel Metsu zu gewahren sind. Man schaue nur, wie sich dieses Licht, als fließe es aus paradiesischen Gefilden, in Vermeers Meisterwerk „Die Küchenmagd“ sanft über den Brotkorb ergießt. Man schaue und staune.

So wird es einem in dieser einmaligen Sonderschau zum 200jährigen Bestehen des Rijksmuseums öfter ergehen. Zu sehen sind aus aller Welt zusammengeführte Schätze des Goldenen Zeitalters der niederländischen Kunst, also aus dem 17 Jahrhundert.

In 23 sinnreich aufbereitete Abteilungen gliedert sich die Fülle der 200 prächtigen Exponate, darunter auch kostbare Alltagsgegenstände jener Ära wie etwa edles Mobiliar und funkelnde Trinkgefäße. Die relativ kurze Anreise nach Amsterdam lohnt sich aber vor allem wegen der meisterlichen Gemälde von Rembrandt, Frans Hals, Vermeer und anderen.

Abschied von der Harmlosigkeit

Gleich eingangs steht man vor zwei denkbar verschiedenen Darstellungen des Heiligen Sebastian. Während Joachim Wtewael anno 1600 den Märtyrer sogar im Moment des größten Schmerzes mit makellosem Leibe zeigt, erscheint er auf dem 1625 gemalten Bild von Henrik Ter Brugghen als Mensch aus Fleisch und Blut, den man mit Pfeilen übel zugerichtet hat. Lichtführung und Schattenwurf verleihen der Szene eine ungeheure Dramatik. Der Einfluss eines Caravaggio ist unverkennbar.

Es ist, als seien Strategien szenischer Dramatisierung an die Stelle religiöser Überhöhung getreten. Zur gekonnten Inszenierung zählt auch die Wahl des einzig richtigen Gipfel-Moments, beispielhaft zu sehen an Rembrandts „Raub der Europa“ (1632).

Hier also haben wir den Eintritt ins große Zeitalter der niederländischen Kunst, in dem sich nicht nur das Menschenbild ändert. Auch der allmähliche Übergang von idealisier- ten Phantasie-Landschaften zu realistischen Panoramen ist ein Thema der Ausstellung. Die Seestücke ergehen sich nicht mehr im unnatürlich lieblichen Spiel der Wellen, sondern schildern die volle, lebensbedrohliche Wucht der Meereswogen. Es sind Abschiede von der Harmlosigkeit.

Wirtschaftlich waren die Niederlande damals erstarkt. Wohl auch deshalb wurden sinnliche und weltliche Dinge, wurde die Aneignung der greifbaren Wirklichkeit zur größten Triebkraft der Künste. So raffiniert und täuschend echt wirken etwa manche Stillleben, dass man am liebsten in die Früchte hineinbeißen würde. Hier ist Genauigkeit eine Lust, dort ein Schock: Rembrandt gibt uns in „Die Anatomie des Dr. Tulp“ einen fast drastisch deutlichen Einblick ins Handwerk der Chirurgen – und eine Ahnung von der Vergänglichkeit allen Lebens.

Sinnlichkeit und Gier

So exakt die Abbilder erscheinen mögen, so tragen sie doch symbolische Fracht: Ein Hochzeitsporträt des Frans Hals (um 1622) lässt sich letztlich nur verstehen, wenn man weiß, welche Bedeutung die Pflanzen als Sinnbilder des Treuegelöbnisses haben.

Von berstender Sinnlichkeit, freilich auch von Gier künden die Genrebilder mit all den Huren, feuchtfröhlichen Zechern, Kupplerinnen und lüsternen Freiern. Doch es gibt auch die geläuterte Liebe: Welcher höhere Sinn und Edelmut waltet in Rembrandts Paarbildnis „Isaak und Rebekka“ („Die Judenbraut“, um 1665), dem Inbild lebenslanger Treue!

Amsterdam, Rijksmuseum (Stadhouderskade 42 / Tel. 0031/20 67 47 047). Bis 17. September. Tägl. 10-17 Uhr. Dt. Katalogbuch (Belser Verlag) 98 DM.




Das Fischstäbchen und die Küchen dieser Welt

Von Bernd Berke

Das glaubt einem erst mal niemand. „Ein Fischstäbchen-Kochbuch? Gibt’s doch gar nicht!“ Gibt’s wohl! Von wegen: Packung auf, unaufgetaut rein in die Pfanne, goldgelb braten und rasch verzehren. Diese freudlosen Zeiten sind vorbei. Jetzt können die Freunde des Fischstäbchens in Vielfalt schwelgen.

Obwohl: Eigentlich sind „Fischstäbchen pur“ ja auch nicht zu verachten. Die meisten Kinder mögen sie – ähnlich wie Pommes – sowieso furchtbar gerne. Auch mancher Erwachsene würde sich wohl zur Kabeljau-haltigen Stapelware bekennen, gäbe es nicht diese selbsternannten Gourmets und Lifestyle-Meinungsführer, die uns weismachen wollen, man könne alles nur noch in unendlichen Verfeinerungen genießen. Sie kochen und essen nicht mehr Spinat mit Kartoffelbrei, sondern Spinat „an“ Kartoffelbrei.

Garniert mit allerlei Früchten

„Die besten Rezepte aus aller Welt“ verspricht „Das Fischstäbchenbuch“ (Lappan Verlag, 64 Seiten, 19,80 DM). Das Ganze ist nicht tierisch ernst gemeint. Davon zeugen schon die Cartoon-Illustrationen. Kalauerndes Beispiel: Statt eines Taktstockes schwingt der Maestro ein Fischstäbchen. Unterzeile: „Herbert von Kabeljau dirigiert das Forellenquintett“. Nun ja.

Nun aber zum Kern der Sache, der sich gleichsam unter der bröselnden Panade verbirgt: Wir finden Rezepte, die das gute alte Fischstäbchen mit den Küchen der Welt verquicken: China, Venezuela, Japan, Frankreich, Italien, Indien, Deutschland…

Fakirs Beschwörungen…

Für die chinesische Variante wird den Stäbchen eine süßsaure Sauce bereitet, japanisch sollen sie mit frittiertem Gemüse schmecken. Zur französischen Fassung gehören Crêpes, den Rest muss man sich wortwörtlich auf der Zunge zergehen lassen: „Crêpes mit der Porreefüllung bestreichen. Ein bis zwei Fischstäbchen dazugeben, Briescheiben darauflegen (…) Dazu passt ein leichter Weißwein oder ein Gläschen Pernod.“ Voilà!

Poetisch klingen zuweilen die Namen: Das norwegische Gericht heißt beispielsweise „Edvard Griegs Wintertraum“, das Resultat der indischen Küche wird „Fakirs Beschwörungen“ getauft und bringt die Fischquader in kulinarische Berührung mit Passionsfrüchten, Bananen, Lauch, Maracujasaft, Ingwer und Joghurt.

Auf Küchenkrepp abtropfen lassen

Für die italienischen Momente im Leben werden die Fischstäbchen auf ein „Tomaten-Mozzarella-Basilikum-Gratin“ gebettet, der Schweizer kombiniert sie angeblich am liebsten mit Raclette, der Deutsche wahlweise mit Nordsee-Krabben, Pellkartoffeln, Bohnen oder Speck. Unterdessen zaubert der Grieche einen Auflauf mit Brokkoli, und der Amerikaner kommt auch hier nicht ohne Ketchup aus. Das Grundrezept lautet eben: Stäbchen plus jeweiliges Klischee der Länderküche.

Ein Satz kehrt hartnäckig in allen Anleitungen wieder: „Fischstäbchen im Öl knusprig braten und auf Küchenkrepp abtropfen lassen“. Hoffentlich kriegen wir das hin! Der Selbstversorger, der sich nicht mundgerecht von Käpt’n Iglo oder anderen Tiefkühlfirmen beliefern lassen mag, erhält obendrein das Rezept für „Leckere Fischstäbchen aus eigener Produktion“. Schwere Aufgabe: „Kabeljau in Fischstäbchen entsprechende Blöcke schneiden.“ Das Standardmaß lautet übrigens: 89 mal 27 mal 18 Millimeter. Wir üben schon mal.




Peter Handke, Serbien und das schiere Nichts – über sein Buch „Unter Tränen fragend“

Von Bernd Berke

Es ist schon ein eigenartiger Perspektiven-Wechsel, wenn man den Kosovo-Krieg einmal aus umgekehrter Sicht bilanziert findet: Hie die teuflisch vernichtende NATO, dort die heldenhaften Serben; hie kriegslüsterne „Kettenhunde“ der westlichen Presse, da die jugoslawische Propaganda, angeblich aus Notwehr geboren und daher zu bejahen…

So jedenfalls will es uns Peter Handke in seinem Buch „Unter Tränen fragend“ beibiegen. Es tut weh, derart Monströses von einem Schriftsteiler zu lesen, den man sonst aufs Höchste schätzt.

Zweimal hat sich Handke 1999 – mitten im Kriege – auf Reisen durch Rest-Jugoslawien begeben, aus Mitgefühl mit dem serbischen Volk. Schon die landesübliche Gastfreundschaft schildert er als Labsal. Setzte man ihm ein gutes Frühstück vor, so trübte sich die Wahrnehmung – und schon war der Dichter geneigt, beispielsweise die Vertreibungen im Kosovo im milderen Licht zu betrachten. Hier scheint seine sonst so wache Bereitschaft zum Mitleid zu schwinden.

Menschlich eingenommen von persönlichen Begegnungen (was man im Grunde gut verstehen kann), gerät Handke auch über die Landschaft ins Schwärmen: Die Donau erscheint ihm gar wie ein zweiter Ganges, eine entsprechende Würde uralten Herkommens und der Vergeistigung muss man sich wohl hinzu denken.

Belgrad kommt Handke zunächst „leuchtend unversehrt“ vor, später dann als Opfer der westlichen Vernichtungs-Maschinerie, die bei Handke wahrhaft apokalyptische Ausmaße annimmt, für alle Zeiten jedes Weltvertrauen zerfresse und sämtliche Gerechtigkeits-Utopien von 1968 als Heuchelei enthülle. Handke, sonst nie als Besinger der Fabriken aufgefallen, rhapsodiert gar vom „stolzen“ Automobilwerk, das von NATO-Bomben getroffen wurde.

Das wahrhaftige Erzählen vergiftet

Zumal Politiker und Zeitungen des Westens haben sich, glaubt Handke, ein für allemal moralisch selbst erledigt. Für den Dichter fast noch schlimmer: Sie haben zugleich die Möglichkeiten wahrhaftigen Erzählens vergiftet. Zwischendurch zurück in Frankreich, mag er die vermeintlich von Lügen verseuchte Sprache dort gar nicht mehr ertragen und sehnt sich nach serbischem Zungenschlag. Selbst am Bankautomaten erfasst ihn das Weh: In welcher Sprache soll er nun sein Konto abfragen?

Und das serbische Militär? Besteht offenbar nur aus ein paar harmlosen, versprengtenSoldaten. Umso größer der geradezu alttestamentarische Zorn, den Handke angesichts der NATO-Bombeneinschläge in sich anschwellen fühlt.

Sicher: Der Kosovo-Einsatz wird samt seinen diffusen Folgen inzwischen auch im Westen kritischer eingeschätzt. Doch Handke lässt sich derart hinreißen zur serbischen Sicht, dass sein Buch zwangsläufig ungerecht wird und Differenzierungen gar nicht mehr in Betracht kommen. Selbst der noble Stil dieses Autors scheint manchmal darunter zu leiden. Die zahllosen Einschübe in Klammem wirken verzweifelt hilflos.

Bemerkenswert ein poetisches Bild auf Seite 73: „Einem Kind wurde einst von dem Leiden eines anderen erzählt. Darauf ging das Kind abseits und umarmte die Luft.“

Auch Handke steht mit diesem Buch beklagenswert für sich allein. Und er umarmt wohl nicht einmal die Serben, sondern das schiere Nichts.

Peter Handke: „Unter Tränen fragend“. Suhrkamp-Verlag. 158 Seiten. 36 DM.




Die Geburt der Phantome – „Surreale Welten“ im Wuppertaler Museum

Von Bernd Berke

Wuppertal. Mit großen Namen wartet die neue Ausstellung im Wuppertaler Von der Heydt-Museum auf. Nur ein paar Beispiele: Goya, James Ensor, Max Ernst, Magritte, Picasso. Sie alle haben „Surreale Welten“ (Titel der Schau) ins Bild gesetzt. Aber was heißt in diesem Falle „surreal“?

Der Begriff wird hier etwas weiter gefasst. Nicht nur der eigentliche Surrealismus (mit Dalí, de Chirico und Ernst gleichwohl prominent vertreten) gerät ins Blickfeld, sondern auch etliche Vor- und Ausläufer dieser Richtung. Phantome aus Traumgefilden haben schließlich nicht erst in unserem Jahrhundert die Bilder bevölkert.

Die von Hamburg her kommende Auswahl stammt aus der beachtlichen Sammlung eînes ungenannten Hanseaten, der als Banker gutes Geld verdient und es mit viel Sinn und Verstand für Kunst ausgegeben hat. Betrüblich nur, dass er seine Schätze wahrscheinlich einem Berliner Institut vermachen will. Dort haben sie doch schon so viel…

Viele Quellen des Übernatürlichen

Surreale Gestalten, so sieht man nun in Wuppertal, können aus vielem hervorquellen, sie scheinen just zum Ur-Bestand menschlicher Wahrnehmung zu gehören: Und so sprießen sie denn aus architektonischen Erfindungen, aus Tier- und Naturszenen, aber auch aus Maschinenwelten, sozialen Verwerfungen – und aus dem menschlichem Körper mitsamt seiner Geschlechtlichkeit. Davon zeugt vor allem ein verschwiegenes Kabinett mit fleischlichen Phantasien des Hans Bellmer. Wie in einer Schöpfer-Bastelstube werden da die Leiber zerteilt und neu montiert.

Giovanni Battista Piranesi hat zur Mitte des 18. Jahrhunderts visionäre Bilderserien von Kerkern und Verliesen („Carceri“) entworfen. Die Verwirr-Architektur setzt in bedrückend dunklen Labyrinthen geheimnisvolle Figuren frei, die als surreal gelten können –Gefängnisse als Brutstätten fiebriger Kopfgeburten.

Von Francisco de Goya sind einige „Caprichos“ zu sehen: Ein Arzt verwandelt sich unversehens zum Esel; selbst ein Baum nimmt, heftig vom Winde gebeugt, gespenstisch übersinnliches Leben an. Wenn derart die Dinge ins Gleiten geraten, so rücken die Albträume mit ihren Phantasmagorien schon ganz nah. Die um 1865 gefertigten Paris-Ansichten von Charles Meryon wirken zunächst harmlos wie Postkarten. Doch dann sieht man, wie mitten in der Stadt eine Seeschlacht tobt oder fliegende Fische durch die Lüfte segeln.

Als ob ein Loch im Himmel wäre

Auf einmal ist es, als sei ein Loch in den Himmel gestoßen worden, aus dem die „andere“ Wirklichkeit herabstürzt. Doch das Surreale hat viele Facetten, nicht nur bedrohliche: Welten liegen zwischen den düsteren Todesahnungen eines James Ensor, den fast lieblich schwebenden Gestalten des Symbolisten Odilon Redon, den schier unendlichen Metamorphosen bei Max Ernst und Picasso, dem feinsinnigen Humor bei Paul Klee, den subtilen Sinnestäuschungen und Gedankenspielen bei René Magritte und den Formen-Explosionen bei Wols.

So reichhaltig ist diese Schau mit über 250 Werken, dass man eine Entdeckung beinahe versäumt: Der als Schriftsteller berühmte Victor Hugo („Les Misérables“) hat außerordentliche Tuschzeichnungen geschaffen. Am Rande der Abstraktion oszillierend und somit ihrer Zeit ganz weit voraus, sind es zarte „Erscheinungen“ wie aus einer höheren Welt.

Von der Heydt-Museum, Wuppertal (Turmhof 8). Bis 3. September. Di-So 11-18, Do 11-20 Uhr. Eintritt 10 DM, Katalog 45 DM.

 




Künstlers Erdenwallen zwischen Porno und Designer-Droge – Mülheimer Stücketage begannen mit Rainald Goetz‘ „Jeff Koons“

Von Bernd Berke

Mülheim. Auf der Bühne zappeln „Adam und Eva“ unter lautem Lustgestöhne. „Sie poppen, sie ficken, sie tun es“, kommentiert einer ungerührt übers Mikrofon. Und dann, vollends gelangweilt: „Mein Gott, ist das geil“.

Drastischer Auftakt zum Mülheimer Dramatikerwettbewerb „stücke 2000″: Mit Adam und Eva sind hier Jeff Koons und Ilona Staller („La Cicciolina“) gemeint. Wir erinnern uns: Der US-Trivialkünstler wurde grell berüchtigt, als er seine Orgasmen mit Italiens Porno-Queen zu grässlichen Kitsch-Skulpturen gefrieren ließ. Auch sonst hat er alle Untiefen, der Banalität durchwatet. Inzwischen ist er ziemlich „out“…

Der Dramatiker Rainald Goetz hat sich freilich noch einmal vehement auf den Mythos gestürzt und ihn – in seinem Stück „Jeff Koons“ – unter Wortkaskaden pompös beigesetzt. Goetz (Jahrgang 1954 / knackig betitelte „Werke: „Krieg“, „Irre“, „Hirn“), der auf seine älteren Tage der Techno- und Rave-Szene huldigt, sieht in Koons (geboren 1955) eine Ikone der neueren Künste, sozusagen Andy Warhols Stellvertreter auf Erden.

Immerhin: Das im eigentlichen Sinne „Obszöne“, weil gänzlich Marktgeile einer solchen Kunstkarriere hat auch Goetz leicht angewidert registriert. Ein Überdruss am „Betrieb“ wird spürbar. Künstlers Erdenwallen ist nicht nur feierlich.

Ratternde Textcollage

Lauter Warhols mit unverkennbarem Weißhaar sind es denn auch, die zu Beginn in einer Absteige hocken, immer mal wieder „einen nehmen“ (Dosenbier, Designer-Drogen) und versuchen, der Goetzschen Textfluten Herr zu werden. Da wird gereimt bis zum Irrsinn und rhythmisiert, dass es knattert. Es wechseln Stakkato und Plätschern, Sperrfeuer-Sprache und drangvoll „deutsche“ Innigkeiten. Insgesamt bleibt es diffus. Mögliche Motti bei der Themen- und Satzwahl: „Alles geht“ oder „Einer geht noch ‚rein“.

Es ist, als wolle Goetz sich gleichzeitig in allen Geschossen aufhalten, in Keller und Parterre wie auf dem Dachboden. Er will Wahrnehmungen mitteilen, zudem den Untergrund aufwühlen und auch die höhere, die Meta-Ebene gleich mitliefern. So kommt’s zum ort- und gestaltlosen Hin und Her. Wir tippen mal auf „chemische Beihilfe“ zum Schreiben. Da gäb’s eine hehre Tradition.

In Mülheim war Stefan Bachmanns Inszenierung vom Deutschen Schauspielhaus Hamburg zu sehen. Da Goetz seine Textflächen nicht durch Figuren-Zuordnung eingrenzt und die Szenen-Partikel willkürlich vor- und rückwärts nummeriert, bleiben der Regie manche Freiheiten.

Die kleine Tierschau

Da treten beispielsweise prügelnde und fixende Stadtstreicher in barocken Kostümen samt Perücken auf. Und gegen Schluss lachen wir ratlos über „Rainalds kleine Tierschau“: Von Koons einst auf den Kunstsockel gehobene Comic-Figuren wie der rosarote Panther und allerlei Bärchen versammeln sich hier leibhaftig zur Vernissage, schwätzen erzdummes Tiefsinns-Zeug über Kunst und erzeugen ein abstraktes „Bild“ mit ihren diversen Körperausscheidungen.

Auch die Euphorien und Schaffenskrisen des Künstlers Koons alias „Adam“ (Oliver Mallison) geraten zur Groteske; der Mann will sich die Ideen aus dem Kopf graben und muss sie sich dann im Doppelsinne aus dem Kopf schlagen. Josef Ostendorf, der Darsteller, der die Aufführung dominiert, nimmt als Kommentator dem Geschehen gottlob jene Weihe, die im Text noch wabert.

Das unbändige Johlen beim Schlussbeifall kam wohl von jenen, die das Schrille geil finden und das Geile krass – oder so ähnlich. Bis zum 24. Juni folgen noch sechs Stücke im Wettbewerb. Es bleibt also Hoffnung.




Der Mann mit den wuchtigen Meinungen – Kritiker Marcel Reich-Ranicki wird morgen 80 Jahre alt

Von Bernd Berke

Prägnante Szene bei der letzten Frankfurter Buchmesse: Am Stand der Deutschen Verlagsanstalt (DVA) wird Marcel Reich-Ranicki von Journalisten und Bewunderern umlagert wie ein Popstar. Einer ruft ihm die (müßige) Frage zu, wer denn wohl der größte russische Autor aller Zeiten sei. Von ihm erwartet man eben literarische Urteile wie von einer höchstrichterlichen Instanz.

Der Kritiker lässt sich – wie üblich – nicht lange bitten, mag sich diesmal freilich nicht so recht festlegen: Tolstoi sei ein ganz Großer gewesen, aber auch Gogol, Puschkin und Dostojewski hätten sehr gut geschrieben. Aha!

Bei Licht betrachtet, sind die Maßstäbe des höchst belesenen Reich-Ranicki, der am morgigen Freitag 80 Jahre alt wird, recht simpel: Entweder gefällt ihm ein Buch – oder es langweilt ihn. Entweder das Thema interessiert ihn – oder eben nicht. Man wundert sich schon, wie es jemand mit einem solchen Raster so weit bringen kann.

Den Beinamen wird er nicht los

Vielleicht liegt es daran: Reich-Ranicki vertritt seine stets glasklaren Meinungen mit solcher Wucht und Verve, dass man schwer dagegen an.kommt – und er versteht es wie kein Zweiter, die Klaviatur der literarischen Einflussnahme zu bedienen. Auch stillt er eine gewisse Sehnsucht nach eindeutigen, leidenschaftlichen, zuweilen auch etwas groben Stellungnahmen. Welt und Literatur sind unübersichtlich genug. Da soll uns einer Schneisen schlagen – notfalls mit der Machete. Den Beinamen „Literaturpapst“ wird er jedenfalls nicht mehr los, auch wenn er heute zugeben kann, nicht unfehlbar zu sein.

Mittlerweile ist er selbst Bestsellerautor. Über eine halbe Million Exemplare wurden von seiner bewegenden Autobiographie „Mein Leben“ bereits verkauft. Eindringlich schildert er seine Kindheit in Polen und Berlin, sein Leben in der NS-Zeit. Reich-Ranickis Eltern wurden im KZ umgebracht, er selbst musste sich vor den Nazi-Schergen versteckt halten. Wer will es ihm da verübeln, dass er später dem polnischen Geheimdienst angehörte und der KP beitrat? Bald sah er den Irrtum ein und wurde 1949 wegen „ideologischer Fremdheit“ aus der Partei ausgeschlossen.

1958 kam er nach Deutschland. Ab 1960 schrieb er für die „Zeit“, von 1973 bis 1988 war er Literaturchef der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Doch erst „Das Literarische Quartett“ (ZDF) hat Reich-Ranickis Show-Qualitäten zur Entfaltung kommen lassen. Man kann es als Konzentrat noch einmal nachschmecken: „Herrrlich! Grrrrässlich!“ heißen die dreistündigen „Quartett“-Auszüge, die das ZDF ab 1.50 Uhr in der Nacht zum Samstag zeigt, bereits freitags um 22.15 Uhr gibt es ein einstündiges Porträt im ZDF.

Literatur als Zuflucht eines „Außenseiters“

Deutschlands bekannteste Autoren wenden sich – mit Ausnahme von Siegfried Lenz – mit Grausen ab. Literaturnobelpreisträger Günter Grass ist Reich-Ranicki gram, seit der den Roman „Ein weites Feld“ (1995) verriss und auf dem „Spiegel“-Titelbild buchstäblich in der Luft zerfetzte. Als der Kritiker kürzlich die Hand zur Versöhnung reichen wollte, schlug Grass sie aus. Auch Martin Walser gehört nicht zu Reich-Ranickis Verehrern. Die Einsamkeit des Kritikers…

In mehr als einer Hinsicht ist dies tragisch, hat Reich-Ranicki doch bekannt, wie er sich seit seinen schrecklichen Erlebnissen im Warschauer Ghetto ohnehin stets als Außenseiter gefühlt hat – selbst in den Redaktionen der „Zeit“ und der FAZ. Als wahre Heimat hat er daher immer die (deutsche) Literatur begriffen.

Und es gibt noch eine Zuflucht: Seit 60 Jahren lebt er mit Teofila zusammen, die er unter schlimmsten Umständen im Ghetto kennen gelernt hat. Auch wenn er gelegentlich damit kokettiert, auf erotische Nebenwege erpicht zu sein – nehmt alles nur in allem, so ist er treu gewesen.




Raserei bis zum Stillstand – Mülheim: Acht Mini-Dramen von illustren Autoren uraufgeführt

Von Bernd Berke

Mülheim. Es klingt fast wie ein Witzanfang: Kommt ein Mann ins dunkle Theater und irrt fluchend umher. Oder: Kommt ein Mann zum Arzt und redet lauter Unsinn. Wie Blitzlichter flackern gleich acht solcher Mini-Dramen an den Zuschauern vorüber.

Illustre Autoren haben zur Uraufführung beigetragen, nämlich acht frühere Preisträger des Mülheimer „Stücke“-Wettbewerbs: Herbert Achternbusch hat eine Zahnarzt-Groteske beigesteuert, Klaus Pohl führt uns an eine ostdeutsche Bushaltestelle, Oliver Bukowski liefert einen rotzigen „Prolo“-Monolog. Sogar der sonst auf Distanz bedachte Höhenwandler Botho Strauß ist dabei.

Binnen Minuten ist jeder Teil abgetan, das Ganze hat die Länge eines Fußballspiels. Man fühlt sich wie beim Zappen am TV-Gerät. Der Schnellgang über den dramatischen Laufsteg, für eine einzige Aufführung inszeniert von Thirza Bruncken, heißt im Obertitel „Erdball, Lichtgeschwindigkeit, Los los“. Da ist der gehetzte Grundton angestimmt, der den meisten Mini-Stücken eigen ist und der von der manchmal etwas ra(s)tlosen Regie szenisch ausgereizt wird.

Aus der Zeit geschleudert

Ein gemeinsames Thema, ja ein Daseins-Befund des Autoren-Oktetts zeichnet sich schemenhaft ab: Praktisch alle Figuren sind irgendwie aus der Zeit, aus der „globalisierten“ Welt hinaus geschleudert worden, da laufen die Uhren auch schon mal rückwärts. Doch zumeist herrscht sinnlos in sich selbst rasender Stillstand; bis zum Schlusspunkt der Historie: Werner Buhss („Vollklimatisiert“) lässt drei Astronauten im erinnerungslosen Nichts schweben – am Ende jeder menschlichen Geschichte.

Gelegentlich geht’s so albern zu wie beim ComedyWettbewerb: George Tabori lässt in „Sprechstunde“ schläfrige Altmännerscherze vom Stapel, Herbert Achternbuschs „Frau Sägebrecht“ wirkt wie Slapstick aus der Muppet-Show, jeder Satz kollert wie Zufall hervor – und doch quillt ein Quäntchen Poesie heraus. Urs Widmers „Schnell und träge“ klingt wie trotziges Kindertheater. Atemloses Aufhorchen eigentlich nur bei Botho Strauß, der in wunderbarer Sprache die bedrängende Vision einer Fabrik entwirft, in der alles Leben unter den besinnungslos produzierten Waren erstickt wird…

Im Grunde war’s eine hübsche Idee zum Auftakt der 25. Stücketage. Doch viel mehr als ein Pröbchen ist es denn auch nicht geworden. Der Beifall – uralter Theaterscherz – war „endenwollend“.




Ein ungleiches Maler-Trio – Drei Wege zur Autonomie: Cézanne – Manet – Schuch in Dortmund

Von Bernd Berke

Dortmund. Das Wagnis ist nicht gering: Zwei berühmte Heroen der malerischen Moderne, nämlich Edouard Manet und Paul Cézanne, werden jetzt in Dortmund mit einer nahezu unbekannten Größe konfrontiert. Bange Frage: Können die Bilder des Österreichers Carl Schuch (1846-1903) dem direkten Vergleich überhaupt standhalten?

Das Museum für Kunst und Kulturgeschichte, das mit dieser Schau den Abschluss umfangreicher Umbauten begeht, rühmt sich, besagtes Trio erstmals miteinander zu präsentieren. Das mag wohl sein. Auf diese riskante Idee ist eben noch niemand gekommen…

„Drei Wege zur autonomen Kunst“ – so der Untertitel – sind von den Künstlern beschritten worden. Belegstücke sind vornehmlich Stillleben (so viele Äpfel sah man wohl selten beisammen) sowie einige Landschaftsbilder. Als Zugabe sind ein paar sehr tiefgründige Gemälde von Gustave Courbet zu bewundern, der den anderen eine Leitfigur gewesen ist.

Die Lebendigkeit der Austern und Äpfel

Das Gros der Bilder stammt von Schuch, der einige Jahre in Paris gewohnt hat, den beiden Franzosen aber nie persönlich begegnet ist. Bestimmt war es leichter, diese Leihgaben zu bekommen, als noch mehr Werke von Manet und Cézanne. Denn der gebürtige Wiener Schuch, der zeitlebens vergebens auf Ausstellungen hoffte, darob verbitterte und umnachtet starb, ist selbst manchen Fachleuten kein Begriff.

Allen drei Malern ist dies gemeinsam: Die Gegenstände werden immer weniger realistisch nachgebildet, sie sind alsbald nur noch Anlässe zum freieren Spiel mit Flächen und Farben. Ein Apfel etwa, der vordem noch mit Händen zu greifen und essbar zu sein schien, verflüchtigt sich zunehmend zur farblichen Erscheinung. Am Horizont dämmert die Abstraktion herauf.

Ein Blick auf die Entstehungsjahre der Bilder beweist: Die vorher geborenen Manet (Jahrgang 1832) und Cézanne (geb. 1839) haben sich deutlich früher von den Gegenständen entfernt als Schuch (geb. 1846). Dies ist freilich noch kein Wert an sich.

Großes Talent, doch selten Vollendung

Der genauere Augenschein zeigt allerdings Qualitäts-Unterschiede: Manets 1862 geschaffenes Stillleben „Austern“ stellt die Köstlichkeiten grandios und geradezu dynamisch auf die Szene. Seine „Vier Äpfel“ nehmen Beziehungen zueinander auf wie quicklebendige Wesen. Nahrung für die Phantasie.

Oder: Wenn Cézanne etwa eine Obstschale malt, wählt er kühne und raffinierte Ausschnitte, schafft delikate Farbereignisse und erfasst stets den richtigen, den einzig möglichen Moment. Wie schön, dass man derlei Meisterwerke in Dortmund genießen kann! Der Schriftsteller Emile Zola hatte seinerzeit stark behauptet, eine gemalte Möhre könne eine Revolution auslösen. Fast möchte man es glauben.

Demgegenüber hat sich Schuch denn doch mühen müssen. Gewiss besaß er großes Talent, doch zur Vollendung hat er selten gefunden. Manche Bilder, wie etwa die „Sägegrube“ (1878), künden durchaus von Originalität. Bei seinen Stillleben ist es aber weniger die Malweise als die zuweilen etwas gesucht wirkende Kombination der Dinge, die von Eigenheit zeugt: „Rosen, Keksteller und Orange“, „Hummer, Zinnkanne und Spargelbund“; Ansichten aus der guten Küche, die den optischen Appetit schnell stillen und darüber hinaus auf nichts Wesentliches deuten.

Cézanne – Manet – Schuch. Museum für Kunst und Kulturgeschichte, Dortmund (Hansastraße). 30. Mai-30. Juli. Di-So 10-18, Do 10-20 Uhr. Eintritt: 12 DM. Katalog 48 DM.




Die Stille vor der Zukunft – Zehn NRW-Künstler beleben die riesige Gladbecker Maschinenhalle Zweckel

Von Bernd Berke

Gladbeck. Filzpantoffeln über die Straßenschuhe streifen und ehrfürchtig über kostbares Parkett wandeln – so kennt man’s von Besichtigungen alter Schlösser. Warum aber sollte man sich in einem verwitterten Industriebau des Ruhrgebiets so verhalten?

Vielleicht, weil ein Künstler es vorschlägt. Werner Haypeter aus Bonn hat 200 Quadratmeter des rissigen Kachelbodens in der (1908 erbauten) früheren Gladbecker Maschinenhalle Zweckel mit einer wächsernen, transparenten Schicht überzogen. Damit diese nicht zerkratzt, soll man in Pantoffeln hinüber gleiten, bis man merkt: Das sonst so unscheinbare Relikt der Zechen-Ära schimmert samtartig durch und strahlt nun etwas Würdevolles aus, es wird zum quasi-archäologischen Zeugnis einer verfallenden Kultur.

Zehn Künstler aus NRW haben eigens für die riesige leere Halle neue Arbeiten geschaffen. „Here we go“ heißt die höchst inspirierte Unternehmung, also etwa „Auf geht’s!“, aber auch: „Hierhin gehen wir“. Flankiert von der renommierten Ausstellungs-Kuratorin Katja Blomberg, haben die Künstler dem Raum subtile Reflexionen über Region und Welt, Absterben und Neuanfänge einbeschrieben.

Die Ausstellung ist gleichsam ein meditatives Gegenstück zur derzeitigen Dortmunder Medienkunst-Schau „Vision Ruhr“ (Zeche Zollern II/IV), die ja auch ehemalige Industriegebäude mit Vexierbildern der Vergangenheit und Zukunft belebt. In Dortmund packen sie’s eher spielerisch und doch seriös an, in Gladbeck geht es klösterlich still und doch aufregend zu. Viele Wege führen zum Ziel.

Gladbecker Beispiele: Wolfgang Nestlers Leuchtkästen reagieren empfindlich auf einen am Dach installierten Windmesser, das Licht zeigt Regungen der Luft an. Eine Technik, die sich der Natur anschmiegt. Auch Mathias Lanfer gibt der Technik eine neue, sozusagen sanftere Richtung, indem er Drahtgebilde aus der Autoproduktion zu pflanzlich wirkenden Gebilden umwandelt.

Die regionalen Zeitungen (u. a. zahllose Exemplare der Westfälischen Rundschau) türmt Thomas Klegin aus Schwerte zu über zwei Meter hohen Wänden eines Labyrinths auf. Im Zentrum stehen ein karger Tisch und zwei Stühle. Hier drinnen ist man ganz und gar umgeben von gedruckten Informationen. Imposant wirkt das – freilich auch lastend. Das Papier verschafft sich einen machtvollen Auftritt, als wolle es dem Internet noch einmal zeigen, wer der wirkliche Herr der Zeilen ist.

Mutierte Köpfe und ein weißer Andachtsraum

Die Maschinenhalle Zweckel, einst Energiezentrale der Zeche, darf als „Kathedrale“ des Industriezeitalters gelten. Einige Künstler greifen die weihevolle Stimmung auf. Paul Schwer hat Glasplatten mit einer Mixtur aus Buttermilch und Pigmenten bemalt, sie wirken wie filigrane Kirchenfenster.

Innig und andächtig auch dies: Die gebürtige Essenerin Doris Halfmann, Tochter einer Bergarbeiterfamilie, lässt von der Decke unaufhörlich Wasser in ein kohlrabenschwarzes Becken tropfen. Irgendwann wird das Bassin so voll sein, dass die darin stehenden Kerzen verlöschen. Eine kontemplative Installation, die unversehens Gedanken an Vergänglichkeit und Tod weckt.

Angstvoll auch dieser Ausblick in die Zukunft: Thomas Bernstein (Düsseldorf) formt grotesk-gruselige Silikon-Köpfe, die er den Maschinen-Resten in der Halle aufpflanzt. Die Häupter sehen aus wie die von genetisch mutierten (Un-)Wesen. Was kommt da auf uns zu?

Leise und feierlich hingegen der Schluss: Andreas Bee stellt einen vollkommen weißen Iglu aus Chinapapier auf, den man betreten kann. Im Inneren erhebt sich eine gleichfalls schneeweiße Schale. Es ist ein Raum der Besinnung, offenbar unberührt vom stetigen Wandel der Zeiten.

„Here we go“. Maschinenhalle Zweckel, Gladbeck (Frentroper Straße). Eröffnung So., 28. Mai, 12 Uhr. Bis 20. August. Tägl. außer Mo 12-19 Uhr. Eintritt 5 DM. Katalog (inklusive Eintritt) 30 DM.




Neue Gemeinschaft stiften – Jochen Gerz‘ Kunstaktion „Das Geschenk“ in Dortmund

Von Bernd Berke

Dortmund. Gesichter blicken einen an – und es werden immer mehr. Schon gestern waren es 400 Porträts, die die Wände des Dortmunder Ostwall-Museums zierten. Im August sollen es rund 5000 sein. Der Ankauf für die Sammlung ist bereits beschlossene Sache.

Der mit documenta- und Biennale-Weihen versehene Künstler Jochen Gerz (60) beschert den Dortmundern mit seiner Aktion „Das Geschenk“ ein spezielles Gemeinschafts-Erlebnis.

In der Medienkunst-Schau „Vision Ruhr“ (frühere Zeche Zollern II/IV – die WR berichtete) hat Gerz ein Fotostudio mit moderner Digitaltechnik eingerichtet. Studenten der Dortmunder FH lichten dort kostenlos Besucher ab. Möglichst gefasst sollen sie dreinschauen, niemand soll sich in Szene setzen. Gerade dann tritt die Individualität der Gesiebter (frontal und in Nahsicht) hervor. Im Schnitt haben sich die Macher 8 Minuten Zeit für eine Porträtsitzung gegeben – samt Ausdruck und Rahmung.

Jede(r) Fotografierte darf ein Bild mit nach Hause nehmen, aber nie das eigene. Also trägt man das Bildnis eines oder einer Unbekannten heim, gewährt symbolisch „Gastfreundschaft“. Das eigene Konterfei nimmt wiederum ein „Fremder“ mit. Menschenfreundliche Vision: sich auf den Anderen einzulassen, ohne Ansehen von Herkunft, Beruf und dergleichen.

Inspirieren ließ sich der in Paris lebende Gerz vom Gedanken an die oftmals bewiesene Solidarität der Revier-Bewohner. Vor diesem Hintergrund stiftet sein Projekt eine neue Gemeinschaft. Besonderer Zusatz-Effekt: Man besitzt ein Kunstwerk und ist zugleich Teil von ihm. All das beschränkt sich nicht auf den privaten Raum, sondern greift ins Öffentliche aus: Sämtliche Zweitabzüge gelangen ins Ostwall-Museum, das somit nach und nach ganz gefüllt wird. Frankfurts Schirn-Kunsthalle will die Schau übernehmen.

Die Westfälische Rundschau unterstützt die Aktion auf vielfältige Weise, auch durch Veröffentlichung von Porträtfoto-Seiten (in der Dortmunder WR-Ausgabe). Zur Eröffnung der Ostwall-Schau (heute um 19 Uhr) wird WR-Chefredakteur Frank Bünte mit Jochen Gerz und dem Ausstellungsleiter Axel Wirths über die „Geschenk“-Aktion sprechen.

Jochen Gerz: „Das Geschenk“. Museum am Ostwall, Dortmund. Bis 20. August. Di/Mi/Fr/So 10-18, Do 10-20, Sa 12-18Uhr.

„Vision Ruhr“, Zollern 11/IV, DO-Bövinghausen (Grubenweg). Bis 20. August. Tägl. außer Mo 10-19, Fr 10-22 Uhr.




Sprachlos im Angesicht der gequälten Kreatur – Bruce Nauman im Duisburger Lehmbruck-Museum

Von Bernd Berke

Duisburg. Fünf Tierkörper aus Aluminium hängen, teilweise kopfüber, im Gestänge des „Karussells“. Wenn es sich dreht, werden Rotluchs, Bär, Hirsch und zwei Kojoten quälend langsam im Kreis herumgeschleift. Eine Spur am Boden zeugt von all den vergangenen Umdrehungen. Ein Bild der ohnmächtigen, zutiefst geschundenen Natur, das man nicht so schnell vergisst.

Dabei ist die 1988 entstandene Installation des Amerikaners Bruce Nauman sogar ein wenig „entschärft“. Denn anders als jetzt im Duisburger Lehmbruck-Museum, prallten die träge rotierenden Leiber bei früheren Ausstellungen auch schon mal gegen die Wände und hinterließen hässliche Dellen. Es muss auf den Betrachter noch schmerzlicher gewirkt haben.

Nauman (Jahrgang 1941), seit rund-35 Jahren auf der Szene und längst weltberühmt, wird in Duisburg mit einem 46 Exponate starken Werk-Überblick gewürdigt. Der Amerikaner, der nebenher eine große Pferdezucht in New Mexico betreibt, vertritt ein klares Credo: „Die Kunst muss sofort voll da sein.“ Ohne Umschweife soll sie einen gleich packen und nicht mehr loslassen. Tatsächlich sind Nauman immer wieder Arbeiten geglückt, die diesen Anspruch erfüllen.

Für die großflächig plakatierten Wortspiele (etwa: „War“ – „Raw“, also Krieg und roh) gilt dies noch am wenigsten, sie wirken heute eher etwas lässlich. Doch Nauman, seit jeher ein großer Sprach-Skeptiker, hat seinem Zweifel in Medien-Installationen gültigen Ausdruck verliehen.

Zum Beispiel in „Good boy – bad boy“ (Guter Junge – böser Junge, 1985): Zwei Fernsehgeräte, frontal auf den Betrachter gerichtet. Man sieht einen Mann und eine Frau, die einander nicht „erblicken“, sondern vor sich hin quatschen, jeweils im isolierten Gehäuse. Ihre Texte („Ich habe Sex. Du hast Sex“) häufen sich auf Dauer zum blanken Unsinn.

Die Aggression und der Sturz ins Bodenlose

Der Tonfall wird binnen einer Stunde immer hastiger, immer aggressiver. Schließlich erscheint Sprache bloß noch als leeres Dröhnen. Verständigung zwecklos. Wer das über 60 Minuten durchsteht, ist ein harter Knochen.

Vollends löst sich das Verbale in der Video-Installation „Raw Material“ (Rohmaterial, 1991) auf. Hier sehen wir des Künstlers Gesicht, per Kamera-Dreh auf die Seite gekippt und also im Ungefähren schwebend. Verstörender noch: Der Mund auf dem Bildschirm macht immerzu nur „Brrrrrrhhh“ – bis zur Erschöpfung des Körpers und jeden Sinnes. Eine nachhaltige Irritation am Rande der Trance geht von diesem überlegten Arrangement aus. Es ist wie so oft bei Bruce Nauman: Mit genau berechneten, minimalen Mitteln erzielt er ein Höchstmaß an Wirkung.

Die Duisburger Auswahl beschränkt sich keineswegs auf Videos, sie zeigt Bruce Nauman als vielseitigen Künstler. Beispiele: Auf dem Boden liegen Metallskulpturen (ring- oder sternförmige Modelle für bizarre Tunnel, die nie gebaut worden sind). An den Wänden hängen Neon-Plastiken als Anti-Reklame (ein grell leuchtender „Taucher“ stürzt ins Bodenlose) oder Zeichnungen wie das Bewegungs-Bildnis eines Mannes, der (gleichsam in Zeitlupe) mit dem Baseballschläger einen Liegenden verdrischt – und dabei eine Erektion bekommt, als sei derlei Gewalt buchstäblich „geil“. Doch die unerbittlich zergliedernde Anatomie des Vorgangs lässt keinen Zweifel an der Abgründigkeit der brutalen Aktion.

Die Ausstellung hat kulturpolitischen Hintersinn. Sie versammelt Arbeiten aus deutschen, niederländischen und belgischen Sammlungen – aus jenem Länderdreieck also, das NRW-Ministerpräsident Clement in jeder Hinsicht aufwerten möchte. Auch kulturell könnte dieses Kräftefeld einen Gegenzug zum Gewicht Berlins ausüben.

 

Bruce Nauman. Lehmbruck-Museum, Duisburg (Friedrich-Wilhelm-Straße). Bis 2. Juli. Eintritt 6 DM, Katalog 35 DM.




Unterwegs in das Zeitalter der Trance – Botho Strauß‘ neuer Prosaband „Das Partikular“

Von Bernd Berke

Hand aufs Herz: Wer weiß schon, was gemeint ist, wenn jemand „apotropäisch“ blickt, oder was unter dem „feirefizartigen Gehabe“ eines Menschen zu verstehen ist? So kennt man Botho Strauß. Ganz ohne Lexikon geht die Lektüre eben nicht vonstatten.

Doch die manchmal so überaus erlesene Wortwahl täuscht über eines hinweg: Kaum je seit seinen legendären Liebesverwirrungs-Beobachtungen „Paare Passanten“ (1981) ist Strauß kopfüber und kopfunter so tief in den Beziehungs-Alltag eingetaucht wie in „Das Partikular“. Der Titel bezieht sich auf das (alles Zufällige und historisch Bedingte aussondernde) „Auge Gottes“, das den Menschen sieht, wie er wirklich ist…

Die Alltagsnähe ist nur ein Quell, niemals das Ziel. Strauß benennt Dämonen und Phantome der Gegenwart, um sie zu bannen, um sich desto entschiedener von all dem abzustoßen, und zwar in Richtung jener von allem Tages-Geschwätz gereinigten Mythen und Trance-Zustände, denen dieser ungemein belesene Autor seit langem zustrebt.

Standbilder der Hingabe und Untreue

Ein flammendes Bekenner-Zitat entschlüpft Strauß auf Seite 74: „E i n m a l muß es so sein, daß das Zeitalter der Trance n i c h t zurückliegt.. . einmal m u ß es das j e t z i g e sein, das uns wirklich umgibt!“ Ja, das zur neuen Frömmigkeit bereite literarische Ich wähnt sich gar schon „im Vorhof der Seligen Zeit“.

Wir bleiben einstweilen nüchtern und stellen fest: Die vielen Prosastücke (und ein längeres Gedieht) dieses Bandes sind zu Kapiteln gebündelt, jedoch in zahllose Mikro-Episoden zersplittert, als wären von der Welt nur noch lauter winzige Spiegelscherben übrig, die es einzusammeln gilt. So klirren und glitzern denn auch die Worte.

Strauß kann den Dramatiker nicht verleugnen: Manche Passagen wirken wie theatergerechte Stellproben, welche die Anziehungs- und Abstoßungskräfte zwischen Männern und Frauen in kurz aufleuchtenden Szenenbildern festhalten – und wieder ins nebelhafte Nichts entlassen, aus dem sie offenbar gekommen sind. Andere Situationen verdichten sich gleichsam zu Skulpturen des Begehrens und des Hasses, devoter Hingabe und ruchloser Untreue, Erwartung und Enttäuschung.

Atemberaubend genaues Erzählen

Nur ein paar Tropfen aus dem wogenden Meer des zuweilen atemberaubend genauen Erzählens: Die Rede ist von einem Manne, der in Gesellschaft charmant und wendig ist, daheim, aber urplötzlich ein Rohling; von der Frau, die jedes Geschehen erst im Nachhinein verarbeitet, so dass sie unter einem anschwellenden „Erlebnis-Stau“ leidet; von allerlei Paaren mit „Zwitter-Gebrechen“ („einander Ungeschickte“), die nur noch spurlos beisammen sind. Doch wir werden auch Zeugen eines grotesk misslingenden Möbelkaufs – fast wie bei Loriot.

Seltsame Erscheinungen: ein abgründiger Kinderhasser, der den Erzähler in eine kafkaeske Hinrichtungs-Orgie hineinzieht; ein Mann, der die (berechtigte) Eifersucht seiner Frau mit windigen Ausreden zu zerstreuen sucht und dem geradezu übersinnliche Entlastung zuteil wird.

Die Magie kommt aus dem Internet

Allenthalben diese befremdlich gewordene Wirklichkeit, rätselhafte Momentaufnahmen, Vexier- und Wimmelbilder des Lebens, deren Grundelemente man zu kennen glaubt, die aber oft einen Dreh ins Mystische bekommen. Erzählt wird nuancenreich und mit ungeheurer ästhetischer Trennschärfe, wenn auch zuweilen mit Mahner- und Seher-Stimme, fern von jeder ironischen Tonlage. Ironie gilt Strauß ja als ein Grundübel dieser Zeit. Ernst und aufs Höchste gefasst sei der Mensch! Doch der Autor ist milder geworden, er hält nicht mehr so barsche Predigten.

Strauß‘ Suggestion verfehlt ihre Wirkung kaum: Wie, wenn nicht durch Trance, soll man sich all diesen flackernden Phänomenen entziehen? Als Vorbote der hypnotischen Zeit erscheint dem Autor das Internet. Irgendwann, so die Strauß’sche Science-Fiction, werde man jederlei Gestalt aus dem Netz in Echtzeit „herunterladen“ können; sie käme dann auf einen zu wie in einem traumhaften Zauberreich, „wie gerufen“. Fragt sich nur: Wollen wir sie reinlassen?

Botho Strauß: „Das Partikular“. Hanser-Verlag. 220 Seiten. 34 DM.




Im Taumel der Zukunft – Ausstellung „Vision Ruhr“ in Dortmund / Medienkunst erobert früheres Zechengelände Zollern II/IV

Von Bernd Berke

Dortmund. Du gehst die Treppe hoch, in einen dunklen Tunnel hinein. Du läufst dort oben, etwas bang unter dich blickend, über Felder aus Glas. Plötzlich erscheint, wie aus dem Nichts, dein elektronisch erzeugter Begleiter, geheimnisvoll schimmernd. Er reagiert sogar, wenn du stehen bleibst oder dich umdrehst. Da passt er mal wieder, der Slogan: Du bist nicht allein.

Warum diese vertrauliche Anrede? Weil man von solcher Medienkunst ganz direkt „angesprochen“ und geradezu umfangen wird. Immer wieder sieht man sich, beim weitläufigen Rundgang durch die Dortmunder Riesen-Schau „Vision Ruhr“, von ausgeklügelten Apparaturen ertappt oder animiert. Doch vor allem kann man vielfach selbst das Geschehen beflügeln. Es ist ein Abenteuer-Pfad mit vielen Stationen, an dem auch Kinder Vergnügen haben werden.

Virtuelle Reisen durch eine Welt der geisterhaften Bilder

„Vision Ruhr“ dürfte die umfangreichste Dortmunder Ausstellung aller Zeiten sein. Mit Hilfe etlicher Förderer hat man rund 6,5 Millionen DM aufgebracht. 25 Künstler bzw. Künstlergruppen (u. a. aus den USA und Japan) „bespielen“ die ehemalige Zeche ZollernII/IV im Ortsteil Bövinghausen mit avancierter Medienkunst. 15 Projekte sind eigens für Dortmund entstanden, zwölf Arbeiten werden in der Stadt bleiben – vielleicht als Grundstock für ein künftiges Museum der Medienkünste?

Spannungsreich sind die Kontraste zur alten Architektur, die ja – als Westfälisches Industriemuseum – selbst schon für Krise und Neubeginn steht. Nun aber tauchen die Bauten vollends ein in die zuweilen so schrecklich schöne neue Medienwelt, von der man sich im Revier entscheidende Zukunftsimpulse erhofft. Die Künstler freilich beschwören nicht nur Paradiese“ herauf, sondern spüren auch Erschütterungen nach.

Und so betritt man denn den oft schwankenden Boden der Bedeutungen. Vielleicht sind es der Taumel und das Schwindelgefühl der Zukunft, die man da verspürt. Beispielsweise, wenn man jenen Globus auf einer Leinwand berührt und sich so quer durch unsere Welt zoomt, auf den Spuren des Internet rasend; oder wenn man sich in einer Rotunde virtuell an markante Stätten des Reviers „beamt“; oder wenn man mittels rostiger Zechen-Hebel Computer steuert und damit geisterhaft „unter Tage“ umher schweift.

Jim Campbell projiziert in der ehemaligen Lohnhalle eine kleine Taschenuhr in gigantischer Vergrößerung über die Köpfe. 13 Kameras erfassen Menschen, die durch die Halle schreiten, und blenden ihre Bewegungen ins Zifferblatt ein. Verstreichende Zeit, unaufhörliches Wandeln.

Spielerisch und doch hintergründig geht es bei Perry Hoberman und seiner Installation „Workaholic“ zu. Mit Haar-Fönen können Besucher ein Pendel bewegen, in dem ein Scanner steckt. Der wiederum erfasst Strichcodes (wie an der Supermarktkasse) und verwandelt sie – immer wieder anders – zu flackernden Bildern.

Nächste Verblüffung, beschert von Jill Scott: Indem man Hände, Füße oder den ganzen Körper in Holzvorrichtungen zwängt, kann man gezielt Video-Tanzszenen auslösen. Der eigene Leib als Programmgestalter, verquickt mit Bildern – die etwas andere Körper- und Medien-Erfahrung.

Nachhaltiger „erwischt“ einen die Arbeit des „Studio Azzurro“. Gegen transparente Automatik-Schiebetüren rennen und springen projizierte Menschenfiguren an wie gegen eine Gefängniswand. Man selbst schreitet unbehelligt durch diese Pforten – und auf einmal sieht man einen dieser Menschen unter sich liegen, als habe man ihn selbst niedergetreten. Wo sonst erzeugt medial vermittelte Gewalt sofort ein schlechtes Gewissen?

Doug Hall sorgt in der Schachthalle für gewaltige elektrische Entladungen, die gar einen brenzligen Geruch hinterlassen. Geleitet wird die Energie auf zwei Stühle hinter Gittern. Muss man an eine Hinrichtung denken? Oder nur an entfesselte Kräfte?

„Vision Ruhr“. Zeche Zollern II/IV, Dortmund-Bövinghausen (Grubenweg 5). 14. Mai bis 20. August. Di/mi/Do/Sa/So 10-18, Fr 10-20 Uhr. Eintritt 15 DM, Familie 30 DM, Katalog 39 DM. Internet: www.vision-ruhr.de

 




Der Geist des Freiherrn vom Stein – Endlich eine Dauerschau auf Schloss Cappenberg

Von Bernd Berke

Selm/Cappenberg. Immerhin 15 Jahre lang, von 1816 bis zu seinem Tode 1831, hat der große preußische Reformer, der Freiherr vom (und zum) Stein, auf Schloss Cappenberg gelebt. Man darf sich wundern, dass ihm dort erst jetzt eine Dauerausstellung gewidmet wird.

Die Schau, die nun mit rund 200 historischen Exponaten das Obergeschoss im Westflügel füllt, wäre längst fällig gewesen. Der Geist des Ortes (wenn nicht gar der des Freiherrn) hat doch geradezu danach gerufen!

Der Freiherr vom Stein erwarb das Schloss als Altersruhesitz. Mit seiner Frau, zwei Töchtern und einigen Bediensteten genoss er hier die Beschaulichkeit nach einem wechselvollen Leben. Brieflich pries er „den weiten, freien Blick in eine große, schöne, von den Gebirgen des Sauerlands begrenzte Ebene.“ An solcher Stätte ließ sich’s wohlsein. Hier erreichte ihn auch Post vom Dichterfürsten Goethe, der dankbar eine gemeinsame Rhein-Reise erwähnte.

Der umsichtige Freiherr, der seine Laufbahn als Bergrat in Wetter/Ruhr begann, wurde nachmals berühmt durch Reformen zur Bauernbefreiung (Aufhebung der Leibeigenschaft). Auch hat er Vorläufer der regionalen und kommunalen Selbstverwaltung entwickelt. 1808 ward ein antifranzösischer Brief aus seiner Feder ruchbar – unter der napoleonischen Besatzung ein Frevel. Napoleon ächtete ihn, der Freiherr musste flüchten, fand sich später gar als Berater des russischen Zaren wieder. Zur Abwehr gegen französische Häscher trug er einen Stock mit aufgesetztem Springmesser bei sich, der nun in einer Çappenberger Vitrine zu sehen ist. Das Ding wirkt gefährlich!

Die Ausstellung beginnt mit archäologischen Funden vom Areal, auf dem 1122 das erste Prämonstratenser-Kloster in deutschsprachigen Landen gestanden hatte. Graf Gottfried von Cappenberg hatte damals seine Stammburg dem Ordensstifter Norbert von Xanten vermacht. Der muss ein christlicher Fundamentalist gewesen sein. Eine Skulptur zeigt, wie er einem „Ketzer“ den Fuß ins Genick setzt.

Doch im Mittelpunkt steht natürlich (mit etlichen Porträts, Dokumenten und weiteren Relikten) der Freiherr vom Stein. Es wird etwa seine Lektüre ausgebreitet, und man bekommt gar seine (etwas abgewetzte) Aktentasche sowie einen bequemen Reisesessel zu Gesicht. Da rückt einem die Historie plötzlich recht nahe.

Freiherr vom Stein. Dauerausstellung auf Schloss Cappenberg, Di-So 10-17 Uhr

 




Exotische Blüten einer neuen Lust – Noch titelloser Tanzabend * von Pina Bausch mit berauschend schönen Bildern

Von Bernd Berke

Wuppertal. Szene vom Geschlechter-Markt: Eine Frau hält ein Tellerchen hoch, ein Mann legt Münzen darauf. Nun darf er einer anderen Frau in den Haaren wuscheln und wühlen. Es ist eine beinahe rührend hilflose Lust-Gebärde, die aber unterschwellige Aggression enthält.

Doch man blickt hier nicht nur in die Abgründe fluchwürdiger Käuflichkeit, sondern es ist, als eröffne sich hier unversehens ein von falschen Erwartungen entlastetes, freilich höchst unsicheres Experimentierfeld der Sinne. In Pina Bauschs neuem, immer noch titellosen Tanzabend * erklingt gleich zu Beginn ein Popsong mit dem Refrain „There is no love today“ (Es gibt heute/heutzutage keine Liebe). Suggestiv, ja fast einschmeichelnd hört er sich an, der niederdrückende Befund.

Szenen zwischen Trance und Traum

Vielleicht verhält es sich so, bestürzend und verheißungsvoll zugleich: Am Nullpunkt der (romantischen) Liebe angelangt, sind Männer und Frauen frei, alles noch einmal von Grund auf zu erkunden. Sie schreiten gar zu vergleichenden Messungen ihrer Körperteile – Beginn einer vielfältigen Sichtung der erotischen Bestände, der verbliebenen Vorlieben und Rituale, vom ersten Werben bis zur letzten Träne, auf der Suche nach künftigen Horizonten.

Im Hintergrund (Bühne: Peter Pabst) erhebt sich machtvoll eine begrünte Anhöhe, aus der Wasser-Rinnsale tropfen. Später kippt diese Wand nach hinten, wird zum sanfter gewellten Hügel, auf dem ganz am Schluss ein kleines Holzgestell aufragt wie ein begonnener Schiffbau. Ist es eine Arche zum allerletzten Aufbruch vor der Sintflut?

Vom Krauchen bis zum engelhaften Fluge

Mag sein, dass wir uns anfangs im tropischen Gebiet befinden, wo die Lüste irgendwann wie exotische Blüten gedeihen könnten. Hitzig und flirrend lasziv wirken viele der nun in dichter Abfolge oder sogar simultan auf uns einstürzenden Szenenbilder; ein Pandämonium aus Ver- und Entkrampfungen, ein farbenreicher Reigen der Körper zwischen Getriebensein und Befreiungsversuchen, zwischen tierischem Krauchen und engelhaftem Fluge.

Die Geschlechter erproben ihre Posen und Rollen, bis hin zu den Extremen. Beispielsweise von der Hure zur Madonna: Eine Frau wird auf einem Stuhl in die Lüfte gehoben, für Sekunden schwebt sie über allem wie eine heilige Jungfrau. Ein andermal stehen Stühle wie ein Kartenhaus aufeinander, und man zwängt sich mühsam unten hindurch wie durch ein Nadelöhr, damit nichts stürze. Die überlistete Schwerkraft der irdischen Last. Zudem diese grotesken Einsprengsel zwischen Trance und Traum: Ein Einkaufswagen mit Kohlköpfen wird vorüber geschoben, ein Fakir beginnt (für Obdachlose?) zu kochen, ein paar Hühner scharren vor sich hin. Rätsel müssen sein, auf der Bühne wie im Leben.

Die Männer zupfen und zerren an den Frauen, sie wollen sie hierhin und dorthin ziehen. Doch diese sind nicht wehrlos, sie entschlüpfen geschickt, allerdings zu neuen, anderen Näherungen verlockend. Ein schönes, schillerndes Spiel, das sich aus den eher gezackten, kantigen Bewegungen der Männer und den oft schwebenden Figuren der Frauen auf Dauer wie von selbst ergibt. Der Unterschied und seine wundersamen Folgen.

Der fortwährende Tanz des Lebens

Wie sich das fügt: Wie lässig die Frauen es genießen, wenn ihre Gesichter immer wieder mit Wasser übergossen werden, während sie am Boden liegend rauchen. Ein Bild der Erquickung, des Wachstums, gar der Fruchtbarkeit. Südlich warm, einhüllend, fließend, sinnlich. „Liebst du jemanden?“ und „Wie viele Babys habt ihr?“, fragen die Tänzerinnen ins Publikum hinein, mit sanfter Dringlichkeit. Tatsächlich: All das hat mit einem selbst zu tun. So oder so.

Mensch, werde wesentlich: Die grandiose Musikauswahl (Schwerpunkt: südamerikanische Rhythmen) vermittelt eine Ahnung vom Antrieb der Musik überhaupt, vom fortwährenden Tanz des Lebens.

Die oft berauschend artistischen Soli geraten zu Inbildern der Körperlichkeit im Raume und damit des menschlichen Hierseins. Und es gibt wirbelnde, dann aber in der Drehbewegung verhauchende Szenen mit luftig fliegenden Kleidern, fast überirdisch und zum Heulen schön hingetupft. Könnte man’s mit Worten sagen, so müssten sie’s nicht tanzen.

Termine: 9., 10., 12., 13. Mai. Karten: 0202/569-4444.

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Nachtrag: Der Tanzabend bekam später den Titel „Wiesenland“

 




Wo das Ungeahnte jederzeit geschehen kann – Ruhrfestspiel-Ausstellung zeigt Arbeiten des Niederländers Waldo Bien

Von Bernd Berke

Recklinghausen. Ganz gleich, ob auf weltweiten Reisen oder in der Kunst: Dieser Mann hält sich gern im „Niemandsland“ auf, im undefinierten Bezirk zwischen festgelegten Bereichen. Da, wo alle Grenzen verschwimmen und das Ungeahnte geschehen kann.

Der Niederländer Waldo Bien (Jahrgang 1949), der jetzt die Ausstellung der Ruhrfestspiele bestreitet, ist ein Grenz- und Schwellen-Gänger zwischen verschiedensten Stilen, Themen, Materialien. So kommt es beispielsweise vor, dass er Röntgenbilder übermalt oder Fotos, die er mit Walfisch-Öl begossen hat, unter Plexiglas einschließt. Die sämigen Schlieren und das eigentümliche Verwittern künden vielleicht von Vergänglichkeit. Oder ist es nur ein purer ästhetischer Akt, bar jeder anderen Bedeutung?

Eine Schlangenhaut, mit Tinte blau gefärbt, gilt Bien als Zeichen für Dynamik, ja als Vorbild unserer Schrift, die sich schlängele wie ein solches Reptil. Buchhalterische Zahlenkolonnen erscheinen auf einigen Bildern als Vorstufen architektonischer Kolonnaden, die Zahlensäulen mutieren zu Säulengängen: Ökonomie als Triebkraft des Bauens. Auf derlei Ideen, die sich aneinander entzünden und dann aufleuchten, muss man erst einmal kommen.

Bien will sich nicht dingfest machen lassen: Der eigentlich eloquente Beuys-Schüler sagt, er könne im Grunde nicht beschreiben, was er tue. Wahrscheinlich, so findet er, nähere man sich seiner Arbeit am besten, indem man feststellt, was er nicht macht. Oh, da käme einiges zusammen! Auf den Markt ziele er jedenfalls nicht, für ihn sei die Kunst ein immerwährendes Labor der Freiheit. Alles fließt…

Zurück zum Sichtbaren. Im Zentrum steht das „Sterbezimmer“, eine Installation im Traditionsstrang der – Achtung, Etikett! – „arte povera“ („arme Kunst“): Man sieht eine Bettstatt aus verbogenem, rostigem Metall, darauf lasten (sozusagen als Matratzen und Kissen) schwerste Kohle-Quader, die Bien selbst aus dem Bauch der Erde gehievt hat. Nach Joseph Beuys‘ Tod hat er ein Gemälde in dieses vordem so finstere Zimmer gehängt. Es zeigt ein luftiges, womöglich unendliches Blau, als wär’s nur ein Ausschnitt, direkt vom Himmel genommen. Und so mag sich dieser andächtige Raum im Laufe der Jahre immer weiter verwandeln.

Doch gar zu einst nimmt Bien das alles nun auch nicht. In den Ecken des Zimmers hat er schmale Lücken gelassen, Ausblicke ins Freie. Warum dies? „Weil ich als Schüler so oft in der Ecke stehen musste“.

Eines Tages haben Waldo Bien und sein US-Kollege Virgil Grotfeldt ihre gemeinsame Vorliebe für die Nicht-Farbe Schwarz entdeckt. Es war der Beginn einer wunderbaren Künstlerfreundschaft. Seither arbeiten sie zusammen, wann immer sie sich treffen. Früchte dieser spontanen Dialoge sind in Recklinghausen zu sehen. Die Doppelbilder sind in gemeinsame Rahmen gefasst, welche freilich an einer Seite offen bleiben, so als könnten jederzeit weitere Elemente angefügt werden. Doch vorerst sind es je zwei: mal wie füreinander geschaffen, mal einander ganz abweisend fremd. Fast wie im richtigen Leben.

Kunsthalle Recklinghausen (am Hauptbahnhof). 6. Mai bis 2. Juli. Di-So 10-18 Uhr. Katalogbuch 48,50 DM.




Bochumer Frage: War Shakespeare ein Antisemit?

Von Bernd Berke

Bochum. „Regt uns Shakespeare noch auf?“ So heißt heute ein Vertrag in Bochum. Um diese Frage rasch zu beantworten: Gewiss tut er das!

Denn die Festrede der Bochumer Shakespeare-Tage hält diesmal die prominente Autorin Mirjam Pressier („Bitterschokolade“). Sie behauptet in ihrem Buch „Shylocks Töchter“ unumwunden, der weltweit verehrte Dramatiker William Shakespeare sei Antisemit gewesen. Sie will dies anhand seiner Figur Shylock, des jüdischen „Kaufmanns von Venedig“, darlegen; wobei sie zugesteht, dass „Antisemitismus“ hier nicht im Sinne des 20. Jahrhunderts zu verstehen sei, allerdings als höchst problematische Vorform der später manifesten Judenfeindschaft.

Da wird es am morgigen Sonntag (ab 11 Uhr im Schauspielhaus Bochum, 800 Plätze) wohl manchen Unmut geben. Denn in der für alle Interessierten offenen Festversammlung werden viele der rund 300 Tagungsteilnehmer sitzen – und die sind nun einmal mehrheitlich Mitglieder der Deutschen Shakespeare Gesellschaft e. V., welche dem Meister aus Stratford-upon-Avon forschend, aber doch in erster Linie bewundernd nachspürt.

Prof. Dieter Mehl, Präsident der in Weimar ansässigen Shakespeare Gesellschaft, erläutert das Thema der Fachtagung, die sich bis Sonntag hauptsächlich im Museum Bochum abspielt: Es gehe ums „Weiterspinnen shakespeare’scher Ideen und Figuren auf literarischem Felde. Beispiele: Jane Smileys Roman „ 1000 Acres“, der die „König Lear“-Legende aufgreift, und Gertrud Fusseneggers neue Novellen „Shakespeares Töchter“, in denen eine Schwester der berühmten Liebenden Julia zu Wort kommt.

Die Shakespeare Gesellschaft will in Kürze eine Stiftung gründen, um reibungslos Spendengeld einsammeln zu können. Die Vereinigung, der naturgemäß zahlreiche Professoren und Englischlehrer angehören, hat 2260 Mitglieder aus vielen Ländern.

Sogar Engländer blicken mitunter neidvoll aufs Treiben der deutschen Shakespeare-Freunde. Die haben ein Problem weniger als die Briten: Dort ist Shakespeare vielen . Menschen durch übermäßige Schullektüre verleidet worden.

Infos: Tagungsbüro 0234/51 600-30 (Heute 8.30-18 Uhr).




Die Besinnung nach den wilden Zeiten – Ernst Ludwig Kirchners erstaunliches Spätwerk in Essen

Von Bernd Berke

Essen. Als der Künstler Ernst Ludwig Kirchner 1923 nach Davos kam, war er völlig entkräftet, teilweise gelähmt und drogensüchtig. Die vitalen und manchmal wilden Jahre des Expressionismus in Dresden und Berlin lagen hinter ihm. Nun begab er sich in dauerhafte ärztliche Obhut, suchte in der stilleren Schweiz Ruhe und Besinnung, übte als einzigen Sport das eher meditative Bogenschießen aus.

Derlei Lebens-Wandel musste sich auch aufs bildnerische Schaffen auswirken. Wenn jetzt das Essener Folkwang-Museum Kirchners Schweizer Spätwerk (bis zum Freitod des von den Nazis als „entartet“ Verfemten im Juni 1938) ins Zentrum rückt, so können wir einen anderen Kirchner entdecken, als er uns aus Zeiten der Künstlergruppe „Die Brücke“ vertraut ist.

Der Abgesang auf den Expressionismus hatte sich verbal um 1919 angekündigt. Der endgültige Abschied hatte dann zunächst praktische Gründe: Kirchner ließ sich aus Berlin etliche Bilder nach Davos schicken. Die Leinwände wurden für den Versand gerollt und datbei vielfach beschädigt. Also galt es, sie eigenhändig zu restaurieren. Der selbstkritische Kirchner nahm gleich eine Revision vor.

Beispiel: Das 1910 angefertigte Bild „Eisenbahnüberführung in Dresden-Löbtau“ übermalte Kirchner 1926 derart gründlich, dass es seinen Charakter änderte. Er tilgte den nervös-expressionistischen Gestus und setzte ruhige Flächen, wo vorher fahrige Striche gewesen waren. Das ganze Bild wirkte nun weit weniger spontan, dafür umso klarer und monumentaler. In ähnlicher Weise, glättend und besänftigend, verfuhr er mit weiteren Werken.

Unterwegs zur symbolischen Darstellung

Daraus entwickelte sich auch bei Neuschöpfungen jener Stil, welcher (nach einem prägnanten Wort Kirchners) nicht mehr schauend sondern bauend vorging, sprich: Das unmittelbar Gesehene trat zurück hinter sorgsam arrangierte Form-Additionen, die sich zusehends symbolisch verdichteten.

Tänzerinnen (ein Hauptmotiv in dieser Phase) sind nun nicht mehr so sehr lebendige Wesen, sic verkörpern stattdessen ein allgemeineres Prinzip bunt umrankter Freude. Schweizer Bergbauern stehen fürs entbehrungsreiche, in Traditionen verwurzelte Leben schlechthin.

Häufig breitet sich nun rund um die Figuren eine Aura von Farbfeldern aus. Dies hat nicht nur esoterischen Beigeschmack, sondern erweist sich auch als Mittel zur psychologischen Durchdringung.

Auf solch abstrahierende, aber doch „lesbare“ Art vermag Kirchner zwei Seiten einerPersönlichkeit zugleich darzustellen. Einen Mäzen zeigt er halb im Schatten – die helle Seite bezeichnet das öffentliche Wirken, die dunkle die Homosexualität, die der Mann verbarg. Fast eine triviale Fügung. Ähnlicher Fall: Mutter und Sohn, einander fast feindlich gegenüber gestellt, sind in doppeltem Umriss sichtbar. Bittere Realität und Wunsch nach besserem Einvernehmen sind als simultane Überblendung gegenwärtig.

Die Schau lässt durch punktuelle Vergleiche mit anderen Künstlern (Picasso, Max Ernst, Le Corbusier) Verwandtschaften erkennen. Zuweilen befindet sich Kirchner ihn ihrem Kielwasser, dann wieder schreitet er voran. Manchmal herrscht in ein und demselben Bild derart unbekümmerter Stil-Pluralismus, als habe Kirchner bereits die Heraufkunft yon Pop-Art und Postmoderne beschleunigen.

Ernst Ludwig Kirchner: „Farben sind die Freude des Lebens. Essen, Folkwang-Museum (Goethestraße). 9. April bis 18. Juni. Di-So 10-18, Fr 10-24 Uhr. Eintritt 8 DM, Katalog 42 DM.