Boltanskis Abo-Falle

Selten konnte die Netzkunstwelt etwas derart Undurchdachtes registrieren: Der hochgelobte, vielgerühmte Christian Boltanski hat einen Webshop basteln lassen, über den er – darin vergleichbar mit einer Pornoseite – per Abonnement gegen eine Monatsgebühr von zehn Euro zehn einminütige Filme vertreibt – jeden Monat einen.

Der Künstler, Jahrgang 1944, überdies dreimaliger documenta-Teilnehmer und Kaiserring-Träger 2001, verpflichtet den Abonnenten von www.christian-boltanski.com ferner zu einem kompletten Jahresabschluss. Mehr gibt’s dort nicht. Im Unterschied zu den Profis der Abo-Zocker lockt der Meister des Inventarismus nicht mit Previews, Goodies oder sonstigen Angeboten. Nicht einmal ein Pressebutton oder Info-File ist verlinkt. Der Rezipient erwirbt den Zugang als sprichwörtliche Katze im Sack.

Nun lässt sich hinsichtlich des Popularitätsgrads und der allseits dem Werk attestierten Bedeutungsschwere wie -höhe des französischen Meisters argumentieren, dass es sich um hintersinnig-konzeptuelles Wirkeln handele, das zu diesem poveren Ergebnis geführt hat. Sicher, die Mechanismen, mit denen die ausschließlich französischsprachige Site funktioniert, sind ein wenig anders als bei den kommerziellen Kollegen.

Auf der spartanisch-schmucklos grauen Seite mit ihrer schwarzen Allerweltstypografie leiten nur wenige Links am unteren Rand den Besucher. Der erste führt zum Filmarchiv, daneben lassen sich bereits erworbene Dateien auf ihre Authentizität hin prüfen. Es gibt einen Zugang zum Account, den man anlegen muss. Natürlich noch die typische Enfilade des Vertragsabschließens bis zum Payment. Ein Impressum und ein Verweis auf die Werbeagentur, die wahrscheinlich das Projekt hat programmieren lassen, vollenden den Strauß der Möglichkeiten.

Man könnte meinen, der Künstler hebele auf diese marktaffine Weise, aber eben mit anderen gestalterischen wie inhaltlichen Mitteln, die Ökonomisierung nicht nur von Original und Kopie, sondern auch von Urheber- und Verwertungsrechten aus. Außerdem suche er – wie vor Jahren schon Musiker wie die Einstürzenden Neubauten oder Radiohead – nach freieren, galerie- bzw. labelunabhängigen und direkteren Distributionswegen und spiele mit der Utopie derselben.

Man liest bereits im Geiste die Elogen der Fans: „Christian Boltanskis neue Website affirmiert und verweigert sich gleichermaßen dem Gedanken des Social Web-Hypes und rangiert daher in einer Art Zwischenreich: Es spiegelt und konterkariert die Mechanismen der zunehmend aggressiver agierenden Kreativwirtschaft, aber auch der Piratenkultur, und legt mit einfachen Mitteln gleichermaßen die Sehnsucht nach Authentizität in einer zunehmend abstrakter werdenden sozialen Sphäre bloß. Blahblubb…“ Ende des imaginierten Zitats.

Aber nein, dieses Angebot muss auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt werden. Es ist schlichtweg schwach und spiegelt letztlich in keiner Weise so etwas wie den Hacker-Spirit, den man angesichts der Flughöhe des Projektleiters und -schöpfers hätte erwarten können. Dieses Angebot schreit es förmlich heraus: Im Internet sind selbst die Verheißungen großer, etablierter Künstler nicht viel mehr als eine werbewirksame Maßnahme zur Akquise von Bargeld, selbst wenn diese im intellektuellen Gewand daher kommt. Keine Partizipation, nur Rezeption: Ein weiteres Merkmal der Seite. Keine formale wie inhaltliche Spiegelung der eingesetzten Mittel.

Wenn ein Künstler so ein Thema anfasst, sollte er sich mit Spezialisten zusammensetzen, die nicht nur etwas von der Gestaltung des Scheins verstehen. Das Netz hält mehr bereit, verlangt daher auch nach anderen, intelligenteren künstlerischen Strategien, und eine einfache Bezahlschranke lässt sich genauso wenig als künstlerisches Mittel schön schreiben wie ein minimalistisches Layout. Die einzige Leistung dieser Site ist ihr Modus: die  absolute Assertion.




Baumängel am Duisburger Lehmbruck-Museum: Zack und vorerst dicht

„Raimund, Dir haben sie gerade das Museum dicht gemacht.“ Der Direktor des Duisburger Lehmbruck-Museums, Raimund Stecker, bekam am Tag seines Geburtstags, dem 8. März, von seiner Stellvertreterin Claudia Thümler einen Anruf mit diesem Wortlaut. Das klingt wie der Beginn eines Spielfilms, aber die Realität ist oft noch seltsamer. Stecker interpretierte die abrupte Stilllegung: „Wir sind vor vollendete Tatsachen gestellt worden.“ Denn quasi in einer Nacht- und Nebelaktion schloss die kommunale Bauordnung erst einmal die Pforten. Zum Wochenende. Das kam reichlich überraschend, zumal jetzt zwei Ausstellungseröffnungen auf dem Programm stehen. Der Vorgang der Schließung ohne Vorwarnung erscheint zunächst einmal wie eine Absurdität. Jetzt arbeiten nicht nur die Bauarbeiter am Glasdach, um so schnell alsbald mit einem Provisorium den Publikumsbetrieb wieder herzustellen. Auch die Museums-Crew sucht nach Mittel und Wegen, die geplanten Projekte bis zum 15. März zu realisieren.

 

Die Blitzsanierung der Decke im Lehmbruckmuseum, Duisburg

Die Blitzsanierung der Decke, Foto: Lehmbruckmuseum

Rin inne Kartoffeln, raus ausse Kartoffeln, oder doch nicht? Dass das Duisburger Lehmbruck Museum für eine denkmalschutzgerechte Sanierung vollständig schließen wird, ist eine Tatsache. Bis wann das dauert, kann allerdings zum heutigen Zeitpunkt niemand genau sagen. Dieses herausragende Museum für Skulpturen im Kantpark bedarf der Renovierung. Das scheint spätestens jetzt offiziell die normative Kraft des Faktischen zu sein. In der vergangenen Woche, so berichtet ein Sprecher der Stadt, habe es Kontrollen gegeben, an deren Ende die Bauordnung sich zu einer „verschärften Gefährdungsabschätzung“ hinsichtlich der Deckenplatten in der Glashalle genötigt sah. Kontrollen kündige die Verwaltung übrigens niemals groß an, und wenn aufgrund von festgestellten Mängeln die Sicherheit nicht mehr garantiert werden könne, werde auch schnell gehandelt. Zudem sei eine sichernde Maßnahme an einem Geländer nicht hinreichend ausgeführt worden. Hinzu tritt aber noch ein anderes Faktum, was die Duisburger Behörde zu besonderer Aufmerksamkeit geradezu nötigt. Die grausame Tragödie auf der Love Parade 2010 hat schließlich auch zu erhöhter Sensibilität beigetragen. Zumal Mitarbeiter wegen fahrlässiger Tötung auf der Anklagebank sitzen.

Auch die Gutachter des städtischen Immobilien-Managements Duisburgs (IMD), die sich um eine Erfassung aller notwendigen Maßnahmen bemühen, stellten diesen Montag bedauerlicherweise erhebliche Mängel an dem denkmalgeschützten Bau fest. Um die Decke in der großen Glashalle wieder instand zu setzen, sind gemäß Medienberichten 400 000 bis 450 000 Euro vonnöten. Doch das sind nur erste Schätzungen von IMD-Geschäftsführer Uwe Rohde. Nun ist es kein Wunder, dass ein Gebäude aus den sechziger Jahren irgendwann einmal Pflege benötigt. Entsprechende Maßnahmen zu avisieren und zu finanzieren hat man bislang versäumt. Denn seit der Vollendung sei kein Handschlag getan worden. Seitens der Stadt rechtfertigt man die Situation mit der angespannten Haushaltslage.

Beim allem Verständnis für die städtischen Hintergründe sollte eines nicht in Vergessenheit geraten: Trotz der Tatsache, dass bereits unter dem Dirigat von Christoph Brockhaus eine umfangreiche Mängelliste angefertigt wurde, die Raimund Stecker weitergeführt hat, ist bislang gar nichts geschehen. Das muss sich ändern, denn das Haus hat eine dauerhafte Zukunft mehr als verdient. Hinter vorgehaltener Hand wird das Verhalten auch der Politik als eine Abfolge von „Vertröstungen“ gewertet. Man habe die Causa ausgesessen und eben lange nicht reagiert. Und nun drücken die Not, das schlechte Gewissen, und es soll unbedingt vermieden werden, dass es zu einem weiteren schockierenden Ereignis kommt. Das ist natürlich vollkommen richtig, doch reicht es zu sagen, dass Geld fehle? Es ist schon erstaunlich, dass es für ein Museum von dieser Güte keinen Masterplan in Sachen Sanierung gibt. Dabei sei der Tenor bei allen in der Stadt klar: „Das Haus muss sein“, meint Stecker. Doch wie es weitergehen soll, weiß nicht nur er nicht. Der Stadtsprecher und der Kunsthistoriker erläutern quasi unisono, dass die Richtungsentscheidungen auf politischer Seite gefällt werden. Bleibt also zu hoffen, dass nun der Stein für eine ordentliche und finanziell abgesicherte Instandhaltung dieser wunderbaren Architektur endlich ins Rollen kommt.

Nachtrag, 14.3.2012: Wie das Lehmbruckmuseum und die Stadt Duisburg soeben bekannt gegeben haben, können beide Ausstellungen wie geplant, aber unter Auflagen am morgigen Donnerstag, 19 Uhr, eröffnen. Weiters bestehe Planungssicherheit auch für die darauf folgenden Projekte.




Konzeptlos in die documenta

Die documenta ist in vielerlei Hinsicht ein sehr, sehr merkwürdiges Unterfangen. Sie will Weltausstellung der Bildenden Kunst sein und liegt doch in der Hand nur eines Direktors. Sicher wird der seine Adlaten und Faktoten treiben, an ihm allein, so zeigt’s die Geschichte, bleibt aber der Ruhm oder Unruhm kleben. Und überdies: Eine „Weltkunst“ gibt es nicht. Niemand kann die Übersicht haben, und uns zu geben vermag sie auch keiner. Was sicher auch damit zutun hat, dass der Mensch, gemessen an den Zeitläuften, nur ein relativ enges Fenster bewusst mitbekommen kann. Steht man beispielsweise im Saft seines Lebens, das Grünzeugs hinter den Ohren ist fortgeschnippelt, und haben einen Mami und Papi nicht gerade im Buggy durch jede Ausstellung und die Kasseler Auen geschoben, startet man gegebenen- oder äußerstenfalls in der kunstleistungskursvertrödelten Oberstufe mit der ersten ernsthaften Beschäftigung in Sachen zeitgenössischer Kunst. Man schaut fünf Jahre später eine Ausgabe während des Studiums und, gesetzt den Fall man ist recht flott bei der Sache: Schon findet man sich im Berufsleben (nicht mehr) wieder, möglicherweise als Kritiker, und soll über eine solche Veranstaltung auch noch fundierte Aussagen verfassen.

Der Zeitpunkt, zu dem wir’s allerdings wirklich können, weil wir genügend Ausgaben gesehen haben, liegt immer schon in der fernen Zukunft. Sind wir jedoch dort erst einmal angelangt, verstehen wir den Betrieb nicht mehr, geschweige denn die Künstler und ihre Werke. Ein Blick in die Altherrentexte gewisser Autoren, vorzugsweise publiziert vom frakturierten Oberkopf am Main, reicht. Wie muss es erst sein und sich anfühlen, wenn man eine solche Veranstaltung als Curator in Chief auf die Beine zu stellen hat? Allein die historische Belastung, das Erbe der Großen seit den Fünfzigern, ist eine Qual für sich! Kein normaler Mensche möchte mit Carolyn Christov-Bakargiev (CCB) tauschen, die ihre Ausgabe für 2012 vorbereitet. Was alles ist zur vergangenen Veranstaltung gegen die Buergelmaschine in Stellung gebracht worden. Nun, geschadet hat ihm das mediale Debakel nicht. Heute ist er ganz professoral. Vielleicht kann man dem nur entkommen, indem man nicht einfach nur Unsinn macht bzw. viel dummes Zeugs präsentiert, daherredet, proklamiert und nebenbei auch noch Künstler düpiert, vielleicht muss es genau so sein, wie CCB es jetzt zelebriert: Ein Feuerwerk des reflektierten Schwachsinns. Denn so dämlich wie die jetzigen Beiträge der Kuratorin in der Öffentlichkeit sind, so geplant irrsinnig muss das sein. Ein Interview mit Noemi Smolik in Frieze d/e, Heft 1, Sommer 2011, offenbarte die pathologisierende Wirkung des Jobs auf diese kunstsinnige Multiplikatorin.

Was für ein Dialog! Der beginnt mit dem Zauber der Dialektik. Nordpol. „Die Welt sieht ein bisschen anders aus, wenn man den Blickwinkel derart verlagert“, kratzt die Chefin ihre Miles and more im Hirn zusammen und präsentiert den Humbug der Öffentlichkeit, die scheint’s für jeden Pup als Mülleimer herzuhalten hat. Denn für eine derartige Erkenntnis benötigt niemand Polarluft und muss sicher nicht tonnenweise CO2 qua Flugzeugabgas in den Himmel pumpen. Es ist nicht ganz klar, was kuratorische Arbeit mit CCBs Nordfahrten zutun hat. Aber das muss es auch nicht, denn sie ist ja irgendwie selbst die Künstlerin, diejenige, welche ein großes Werk namens documenta 13 zu realisieren, aufzuführen hat. Begleitet sie Künstler bei ihren Recherchen? Frau Smolik fragt leider nicht danach. Oder ist derartiges Geplänkel mittlerweile das verbale Initialritual für ubiquitäres Bullshit-Bingo im „kritischen“ Sektor des Kunstbetriebs? Jedenfalls formiert sich am Pol ein großes Experiment mit unbekanntem Ausgang. Die documenta. Unendliche Weiten. Wir schreiben das Jahr 2011, und die Verantwortung sei Segen und Bürde zugleich, sagt CCB. Dabei ist es doch vollkommen gleichgültig, was sie präsentiert: Dass die Besucherzahlen jedoch kontinuierlich gestiegen sind, lässt eigentlich vermuten, dass die Beschwernis nicht allzu groß ist. Es wird schon, liebe CCB, keine Bange. Der Kunstrubel rollt weiter. Na ja, und irgendwie wird vor diesem Hintergrund auch verständlich – gewissermaßen –, warum Du so viel Murks erzählst. Etwa über das Konzept.

Denn nach diesem eiskalten Vorgeplänkel kommt sie wirklich zur Sache. Besser: Sie kommt natürlich nicht zur Sache, sondern nur zum Konzept, und die d13 soll keines übergestülpt bekommen. Denn Konzepte überschatteten heute die „Arbeit der Kultur“. Was aber ist die? Seit wann geht die Kultur auf Arbeit? Und wenn ja, wo? Eine Ausstellung konzeptlos zu gestalten hieße für sie, möglicherweise „in einer sehr guten Kunstmesse zu enden“. Ist das so? Ist eine Messe tatsächlich konzeptlos? Das wird Herrn Hug oder wen auch immer doch extrem ärgern, und es ist beinahe schon verwunderlich, dass die Macher der Frieze solch unreflektierte Hirnsoße gestatten. Zum Glück tun sie das, nicht nur der Pressefreiheit wegen. Denn hier geht es um mehr als nur den schnöden Alltag in einem gesellschaftlichen Subsystem mit postfeudalistischen und protooligarchischen Zügen. Konzept heißt gemäß Duden unter anderem, einen klar umrissenen Plan zu haben. Ist das so verkehrt mit Blick auf ein derartiges Mammutprojekt? Wie sich die documenta finanziert? Keine Ahnung, aber sollte auch nur ein Cent meiner Steuern in das Vorhaben fließen, so kann man erwarten, dass sich die Dame auf ihren Hosenboden setzt und gefälligst ihre Hausaufgaben macht, sprich: ein tragfähiges Konzept einer Ausstellung entwickelt und begründen kann, warum sie diesen oder jenen Künstler eingeladen hat und andere nicht. Was ihr Blick auf die Gegenwartskunst ausmacht, woran er sich orientiert. Und so weiter… Doch vielleicht brütet CCB etwas ganz anderes aus, und wir verstehen ihre Worte (noch) nicht. Alles denkbar, alles möglich, denn sie sagt ja auch, dass die documenta eigentlich keine Ausstellung ist.

Das Dumme an der Sache ist nicht, dass CCB gewagte Thesen in den Raum wirft. Das sollte zur d13 auf jeden Fall passieren. Allerdings sollten nicht die Pfade des Bewusstseins verlassen werden. Zum Verzweifeln ist’s bei dem absolut hirnrissigen Vergleich zwischen dem Konzept einer Ausstellung wie der d13 und Facebook. Sie behauptet: „Hier überschattet das Konzept des Kommunizierens den Inhalt dessen, was kommuniziert wird, und schafft so narzisstische Störungen in der Gesellschaft.“ Der Vergleich zwischen dem Konzept einer Kunstausstellung und der scheinbaren Funktions- und Wirkweise einer Internetplattform verbietet sich. Außerdem ist diese FB-Interpretation sachlich falsch. Der formalisierte Rahmen, der die Kommunikation über das Internet erlaubt, ist letztlich flexibel genug, um ein enormes Quantum herkömmlicher Kommunikation zu gestatten. Eben jene unterstellten narzisstischen Störungen ereignen sich bei bereits Veranlagten, aber nicht in Form einer direkten, monokausalen Konsequenz, wie es CCB suggerieren möchte. Diese Hinrichtungsargumente, die gerade nicht argumentieren, wollen der Technik eine Schuld zuschreiben, die verkennt, dass es keinen Schuldigen gibt, selbst Herr Zuckerberg ist keiner. Was CCB hier übertreibt, ist falsch verstandene Medientheorie der frühen Neunziger. Wer also möchte von offensichtlich ignoranten, ganz deutlich uninformierten Pseudokünstlern eine Ausstellung im Format der documenta serviert bekommen? Was kann denn da erscheinen? Vielleicht ist es de facto so, dass man als Kurator der Kasseler Über-Veranstaltung heute tatsächlich wie ein Künstler agieren muss. Vielleicht führt am Nordpol kein Weg vorbei. Vielleicht ist Kassel auch wirklich nicht der eigentliche Veranstaltungsort dieser Schau und vielleicht versteht man ferner den Humor dieser Kaste von künstlichen Kunstmultiplikatoren nicht mehr. Aber was aus dieser Wortblubberei zu lesen ist, das reicht, um einem die Lust zu verderben: einerseits am Betrieb, andererseits an der Ausstellung. Und das zu bemerken, ist keine Frage der Häufigkeit des Besuchs.




Well established? Mäßige Ware beim Spinnereirundgang

Die Zeiten des Undergrounds sind vorbei. Die Leipziger Baumwollspinnerei ist gentrifiziert und im allgemeinen Kunstbetriebseinerlei angelangt. Vergangenes Wochenende bewies der Rundgang am Ort der Verheißungen abseits der Bundeshauptstadt, die mit ihrem Gallery Weekend wieder Rekorde brach, dass in Plagwitz die Luft raus ist.

Nicht, dass es in Berlin besser sei, aber: Langeweile bei Judy Lybke, der am Samstag Nachmittag nicht an der Spree weilte, sondern seiner Heimatstadt den Vorzug gab. Er zentriert sein Angebot um eine Arbeit von Carsten Nicolai, „pionier I“. Die Gallerina am Eingang sagt mit Wimpernaufschlag: „In fünf Minuten geht’s los“, als ob im Zoo die Pinguinfütterung begänne. Hatte aber vorher schon gesehen, dass eine Windmaschine einen weißen Fallschirm blähte. Das bisweilen zappelige Ding solle laut Handzettelprosa „im übertragenen Sinne als Metapher für die unsichere Balance zwischen Ordnung und Entropie“ dienen. Abgesehen davon, dass man sich mal diesen Satz auf der Zunge zergehen lassen sollte (was ist eine Metapher im übertragenen Sinn? Der scheinbare Gegensatz zwischen Ordnung und Entropie!), destillierte sich die Bedeutungslosigkeit jenes Objekts zum Sinnbild der maximal denkbaren Banalität künstlerischer Inkompetenz – dies, um auch mal ein wenig zu schwurbeln.

Matthias Kleindienst offerierte eine Personale von Tilo Baumgärtel. Nun gut, seine Narrationen kennt man ja ebenfalls. Was soll man noch dazu sagen, zu diesen postsurrealen Albdrücken? Wenn nur die Malerei ein wenig schmackhafter wäre. Die flauen Oberflächen wirken ein wenig lieblos in ihrer Machart. Auch der Laden für Nichts hat schon bessere Zeiten erlebt. Kathrin Thieles „Weiße Lügen“. Von ihr habe ich in der Vergangenheit spannendere Bilder gesehen. Das alles kommt gedruckt im Katalog ganz gut, jedoch im Original? Fragwürdig.

Thomas Sommer (maerzgalerie) hingegen weckte, sieht man von den Objektkästen aus der „C“-Serie ab, mit seinen teils apokalyptischen Landschaften gelegentlich das müde Auge. Am meisten beeindruckte noch Hartwig Ebersbach in der Dogenhaus Galerie. Seine „Tötende Madonna“, mit dem Fuß gemalt, ist großartig und sowohl satter Stoff fürs Auge als auch genug Anregung fürs Hirn. Selbst wenn die Hochformate mehr als die Queren überzeugen. Kunterbuntes dann in der Werkschauhalle. 14 internationale Galerien präsentierten Schlaglichter aus ihrem Programm. Lustig: Ein Typ, mit dicker Fototasche bepackt und in Begleitung einer ziemlich schönen Frau, beide im Gespräch mit dem Düsseldorfer Gastgaleristen Michael Cosar, schaut auf sein Handy und skandiert zwischen den Betrachtern plötzlich peinlich laut dreimal „Meister“. Ja, die bewegenden Ereignisse des Tages fanden andernorts statt.

Gut, dass das Wetter so prima war. Draußen eine Bratwurst plus Pils. Danach noch ein Blick in die Halle 14. Und wieder ein Ärgernis. „Changes“ heißt die international hochkarätig besetzte Gruppenschau. Robert Longo, Nina Berman, Harun Farocki und weitere mit Werken über 9/11 und wie das Ereignis den Planeten veränderte. Erstaunlicherweise zu einem Zeitpunkt, als die Ermordung Osama bin Ladens kurz bevor stand. Bermans „Marine Wedding“, ein Schock! Diese Fotografin ist sensationell. Ja, auch Magnum-Altmeister und „Bilderfabrikant“ gemäß Selbstbeschreibung, Thomas Hoepker lohnt. Wenn man aber ein Foto wie „Blick von Williamsburg/Brooklyn auf Lower Manhattan New York 11. September 2001“ aufs Ruffsche Format aufbläht, ist es ein Frevel am Werk. Dieses sensationelle Foto leidet unter der Bürde, aus dem Magazinkontext ins museale Groß verwachsen worden zu sein.

Vor Boesners Künstlerbedarfsladen ein einziger silbergrauer Porsche SUV vom Shuttlesponsor. Sinnbild des Zustands heuer. Security-Personal bewacht mittlerweile die Zufahrt, Rasen dort, wo man vormals noch parken konnte. Die Luft ist raus, Großsammler wurden nicht gesichtet. Aber dennoch gibt es kaum ein Ambiente mit einer derart angenehmen Stimmung. Die Hoffnung verebbt jedenfalls nicht. Denn die Kunst in den Räumen wechselt, der Charme der Spinnerei jedoch bleibt.

http://spinnereigalerien.de

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Verschaukelt

Die Einheit ist Geschichte, und sie ist nach wie vor unvollendet. Vollendete Tatsachen schaffte jedoch die Einheitsdenkmalsjury mit ihrer Auswahl des Entwurfs aus dem Stuttgarter Architekturbüro Milla, das zusammen mit Sasha Waltz die Möglichkeit des Andenkens an die Prozesse, die zu dem Staatsgebilde von heute geführt haben, grandios dämlich verschaukelte. Dieses Werden als 50 Meter breite Wippe materialisieren zu wollen, mag vielleicht als Metapher im Hirn funktionieren. Die Vorstellung, das Ganze dann in der Nähe des rekonstruierten Disney-Objekts namens Stadtschloss aufgestellt zu erleben, führt zu einem Ensemble, das an Peinlichkeit nicht zu überbieten ist.

Sicherlich, unter keinem guten Stern stand das Projekt von Beginn an. Zuerst die Schmach des Scheiterns von Wettbewerb Nummer eins. Aber auch der zweite Rundgang verhieß nach der Vorauswahl nichts Gutes. Man denke etwa an die Beliebigkeit von Stephan Balkenhols „Kniendem“. Unentschieden eben. Und das trifft gleichermaßen auf die Wippe zu. Viel lässt sich heineinsehen. Oh, körperlich erlebtes Pendeln im großen Format. Kommt es dann zur existenziellen Erfahrung, wenn bewegungsfreudige Kids Touristengruppen in Bewegung bringen? Nun, so hoch kann die Amplitude schon aus baurechtlichen Gründen nicht ausschlagen. Sicher und gepampert, wird alles der üblichen Artigkeit angepasst. Also doch nur Symbolik mit wohlmeinendem Label „Wir sind das Volk. Wir sind ein Volk“. Selbst wenn auf dem Plateau kein Kaiser Wilhelm mehr aufragt, sondern egalitär jeder Besucher den Fuß auf das Werk zu setzen vermag, so wird es doch dadurch weder aus gestaltungslogischer noch ikonografischer Perspektive besser um das Projekt.

Letztlich spiegelt der Entwurf die herrschende Tagespolitik eines Landes, in dem die Akteure der derzeitigen Regierung hin und her wackeln. Sie reflektieren eine wankelmütige Kanzlerin, einen Außenminister, der etwa mit Blick auf die arabische Revolution erst vollmundige Hilfe verspricht, dann aber wiederum nur den lähmenden Takt für ein unentschiedenes Pendeln zwischen verhaltenem Aktionismus und Rückzieherei vorgibt. Ganz gleich in welches Ressort man schaut – sieht man vielleicht einmal von, man höre und staune, Frau Leutheusser-Schnarrenberger ab, ist es ein bleiernes Schwanken auf niedrigem Niveau. Wenn das Denkmal für diesen Nicht-Zustand der Berliner Republik geschaffen worden wäre, meinen Segen hätte es bekommen. Der deutschen Einheit wird ein derartiger Fun-Park jedoch keineswegs als dauerhafter Anlass der Erinnerung oder des An- und Überdenkens gerecht.