Der preußische König zeigt sich milde

Von Überfällen auf Spielhallen oder über dreiste Handtaschenräuber liest man heutzutage, wenn die Polizei ihren Tagesbericht abliefert. Früher, als die Menschen noch quälenden Hunger kannten, ging es noch direkter zu: Da wurden sogar Grundnahrungsmittel wie Getreide gestohlen.

In Berlin saß ein milder König. (Foto: Pöpsel)

Für den Bereich Schwelm ist aus dem Jahr 1795 eine regelrechte „Hungerrevolte“ überliefert. Wenn es in Notzeiten zu Getreideknappheit kam, hatten die Magistrate der Städte die Aufgabe, die vom preußischen Staat verordneten Korn-Ausfuhrverbote und die Einschränkung des Branntweinbrennens zu überwachen. Weil im Winter 1794/95 in der Grafschaft Mark die Brotpreise sprunghaft in die Höhe schnellten, griff die Not leidende Bevölkerung von Schwelm zur Selbsthilfe, indem sie Fuhrwerke mit Getreide überfiel, das trotz des Verbots in das nahe Bergische Land ausgeführt werden sollte: Die Kaufleute erhofften sich auf den dortigen Märkten noch höhere Erlöse als in der Mark.

Von einem dieser Überfälle gibt es im Archiv der Stadt Schwelm einen genaueren Bericht. Fünf „Rädelsführer“ wurden festgesetzt und angeklagt. Sie richteten daraufhin ein Bittgesuch an den preußischen König und baten um Milde, und dem kam der Regent sogar nach. Ihnen wurde unter anderem zugute gehalten, dass sie ja im Sinne eines königlichen Erlasses gehandelt hätten, wonach verbotenerweise ausgeführtes Getreide zu konfiszieren sei.

Die königliche Kriegs- und Domänenkammer in Hamm drängte zwar später auf ein scharfes Urteil, weil man revolutionäre Stimmungen wie im absolutistischen Frankreich fürchtete, doch der König lehnte eine Revision des Urteils ab. Zudem ordnete er an, aus den Heeresmagazinen die Hälfte des für die Truppen vorgesehenen Getreides an die Not leidende Bevölkerung im Herzogtum Cleve-Mark zu verteilen.

Solche Einzelmaßnahmen konnten an der fortschreitenden Verarmung weiter Teile der Bevölkerung im 19. Jahrhundert jedoch nichts ändern. Revolutionär wurde diese Entwicklung dann in den Hungerwintern der 40-er Jahre bis hin zur Revolution im Jahre 1848.

Heute haben wir keinen mílden König mehr, und auch eine Revolution ist nicht in Sicht. Oder?




Andere Länder – andere Zeitungen

Wenn wir verreisen und dabei die Bundesrepublik verlassen, dann kaufe ich mir regelmäßig auch die dortige Regionalzeitung. Als ehemaliger Rundschau-Redakteur interessieren mich immer noch die Unterschiede und Gemeinsamkeiten im Zeitungsmachen.

Der Hafen von St. Tropez (Foto: Pöpsel)

Neulich wieder in Südfrankreich, da war es der „Var matin“, ein Schwesterblatt des „Nice matin“. Dort in Nizza sitzt auch die Zentralredaktion.
Var heißen ein Fluss und das Departement, in dem zum Beispiel Cannes, Grasse, Frejus und St. Tropez liegen. Ein ziemlich großes Gebiet, und entsprechend knapp fällt die lokale Berichterstattung aus den einzelnen Orten aus – anders als im Ruhrgebiet, denn das sieht man in französischen Zeitungen sofort: Wenn überhaupt etwas aus einzelnen Orten berichtet wird, dann sind es knappe Berichte von Vereinsveranstaltungen mit einem gestellten Gruppenfoto und Reporte aus dem Gemeinderat.
Die Bilder werden überwiegend nicht in Farbe gedruckt, bis auf den Mantelteil, obwohl man im Falle „Var matin“ eigentlich nicht von „Mantel“ reden kann. Die Titelseite enthält eine Mischung aus Lokalem und überregionaler Politik, dann kommen sechs bis acht Seiten Lokales, nach Städten sortiert, es folgen eine Seite Frankreich, eine Seite Wirtschaft, eine Seite Ausland und zehn Seiten Sport, aber was für Sport: Zunächst natürlich, wie überall im Süden Frankreichs, geht es auf zwei bis drei Seiten nur um Rugby. Dann kann man sich auf zwei weiteren Seiten den Galopprennen und ihren Ergebnissen widmen, bevor die Segelregatten bewertet werden. Erst dann findet man auf einer weiteren Seite Fußball – eine Reihenfolge, die in Dortmund oder Schalke völlig ausgeschlossen wäre.
Ähnlich sieht es in anderen Teilen Frankreichs aus, zum Beispiel in Burgund oder in der Picardie, wo die „Voix du Nord“ sehr stark ist.

Auch Cannes gehört zum Departement Var. (Foto: Pöpsel)

Mein Gesamteindruck ist aber, dass Tageszeitungen in Deutschland deutlich besser sind als in Frankreich. Auch überregional bietet zum Beispiel die „Süddeutsche“ weit mehr Informationen als etwa „Le Monde“, bis auf das Thema Afrika. Da ist man in Frankreich aus kolonialer Tradition näher dran.




Das Ruhrgebiet war gegen Nazis nicht immun: Schon 1932 füllte Hitler die Westfalenhalle

Die Neonazis beunruhigen Dortmund – zu Recht. Ein kleiner historischer Abstecher zeigt nämlich, dass das Ruhrgebiet keineswegs immun war gegen die Nazis um Hitler.

Die alte Westfalenhalle (Foto: Stadtárchiv Dortmund)

Vor gut 85 Jahren, Mitte Juni 1926, kam der Anführer der Nationalsozialisten zum ersten Mal ins Ruhrgebiet. Wegen seiner persönlichen Kontakte zu den Hattinger „Parteigenossen“ begann Hitler seine Rundreise in der Stadt Hattingen. Im Lokal „Märker“ traf er sich mit den örtlichen NSDAP-Mitgliedern, und auf der Treppe vor dem Lokal entstand ein Erinnerungsfoto, auf dem zum ersten Mal auch die Mädchengruppe der NSDAP Hattingen zu sehen ist. Anschließend fuhr Hitler weiter nach Bochum, Elberfeld und Essen, wo er jeweils vor großen Versammlungen seine umjubelten Reden hielt. Die Polizei hatte darauf bestanden, dass diese Kundgebungen als „Mitgliederversammlungen“ aufgezogen wurden, was den Ortsgruppen natürlich entgegen kam. An den Eingängen mussten die Zuhörer Personalausweis, den Partei-Mitgliedsausweis und eine Einlasskarte vorzeigen, und dennoch waren die Versammlungen überfüllt. Wer noch nicht Mitglied war, wurde gleich an der Kasse aufgenommen. Allein für Bochum schätzte die Polizei die Teilnehmerzahl im Evangelischen Gemeindehaus auf etwa 1000.

Im März 1932 war Hitler wieder einmal im Ruhrgebiet, und diesmal sprach er in der Westfalenhalle vor mehr als 18.000 begeisterten Anhängern. Es ging um die Reichspräsidentenwahl, in der Hitler später gegen den Amtsinhaber unterlag.

Bei den letzten freien Reichstagswahlen am 6. November 1932 erhielt die NSDAP entgegen ihren Erwartungen „nur“ 33,1 Prozent der Stimmen. Sie verlor reichsweit 34 Mandate, allerdings lagen die Verluste der Nazis im Ruhrgebiet unter dem Reichsdurchschnitt. Es gibt also im Revier keinen Grund, von einer besonderen Resistenz auszugehen.




Bochum stand für Gebirge und Straßenbahn

Bochumer Zeche Prinzregent in den 50-er Jahren

Der Blick auf das Ruhrgebiet ist ja immer relativ. Bei mir zum Beispiel als im flachsten Münsterland geborenem Dorfkind stand früher das Revier für Gebirge und Straßenbahn, für Kohlezechen und Kaninchen.

Meine Mutter stammte aus Bochum-Weitmar und hatte nach der kriegsbedingten Evakuierung 1942 ins Münsterland geheiratet. Was lag bei armen Leuten wie uns also näher, als einen Teil der Sommerferien statt am Meer bei den Großeltern und anderen Verwandten im Kohlerevier zu verbringen. Wenn ich dann mit meinem Opa spazieren ging und er mir die Gegend zeigte, die Stoppelfelder und Kohlehalden, die Bergmannshäuschen und Kriegsruinen, dann waren die Hügel und Täler nördlich der Ruhr für mich echtes Gebirge. Andere Höhen kannte ich nicht, die Alpen kamen erst später in den Blick.

Auch Straßenbahnen waren für einen Dorfbubi eine Sensation. Vor allem die Klingel, die vom Schaffner mit einem längs laufenden Lederband bedient wurde, fand ich faszinierend. Und erst die Kaninchen im Stall hinter dem Haus der Großeltern. Mit Hingabe verbrachte ich Stunden beim Füttern, und diese Annäherung hinderte mich nicht, später beim Verzehr zu helfen.

Meine Onkel und der Großvater waren allesamt auf Zeche beschäftigt. „General“ und „Prinzregent“ hießen im Bochumer Süden die beiden großen Förderanlagen. Weiße Hemden bekamen schnell einen schwarzen Rand, wenn wir zu Fuß von Weitmar zur Tante nach Wiemelhausen gingen, denn vom Zechenglände wehte immer etwas Kohlenstaub durch die Luft.

Zu Hause spielten wir in den umliegenden Wäldern und an den Bächen, und doch waren die Besuche in Bochum das Größte. Wie gesagt, der Blick auf das Ruhrgebiet ist immer relativ.




Ein Ausflug an den Südrand des Reviers

Ausstellung "Textil verbindet" im Industriemuseum Ennepetal

Ein kleiner Ausflugstipp: Seit einigen Jahren gibt es am Südrand des Reviers in Ennepetal in einer alten, denkmalgeschützten Gießerei ein beachtenswertes Industriemuseum, das von April bis November an jedem ersten Sonntag im Monat geöffnet hat und – zur Zeit noch – kostenlos besucht werden kann. Es wird geführt von einem privaten Förderkreis, man kann Former- und Gießer-Vorführungen erleben, und auf dem Freigelände an der Neustraße treffen sich zu den Öffnungszeiten Besitzer von PKW- und Traktor-Oldtimern mit ihren Fahrzeugen.

Das Museum liegt auch nur wenige Minuten vom Eingang der Kluterthöhle entfernt, einer der längsten Naturhöhlen Deutschlands.




Der „Simplicissimus“ im Ruhrgebiet

Im berühmten Schelmenroman vom „Simplicissimus“ über den Dreißigjährigen Krieg erwähnt der Autor Grimmelshausen auch den kaiserlichen General Melchior von Hatzfeld. Dieser General hinterließ seine Spur aber nicht nur in der Literatur, sondern auch im heutigen Ruhrgebiet, genauer an dessen Rand, in Hagen und in der heutigen EN-Kreishauptstadt Schwelm.

Der Dreißigjährige Krieg, in dem es vordergründig um die Religionsausübung ging, hatte 1618 begonnen. In den Jahren ab 1622 war auch der Raum südlich der Ruhr zunächst durch die Besetzung mit katholischen (spanischen) Truppen betroffen. In der Stadt Schwelm hielt jedoch die protestantische Bevölkerung auch nach dem Abzug der Spanier an ihrer reformierten Konfession fest.

Titel des "Simplicissimus"

Darüber ärgerten sich die verbliebenen Katholiken so sehr, dass sie 1630 die kaiserlichen Soldaten aus dem bergischen Radevormwald und aus Lennep herbeiriefen, die dann „die Stadt ganz und gahr ausplünderten“, wie der Historiker Gerd Helbeck in seinem lokalgeschichtlichen Werk zitiert. Der Erbkirchrat der Schwelmer Kirche, Junker Georg von Vaerst, wurde gefangen genommen, sein Wohnhaus total verwüstet.

Erst 1631 gab der Droste von Wetter der lutherischen Gemeinde Schwelm ihre Kirche zurück, denn inzwischen hatten die protestantischen Schweden in den Krieg eingegriffen und die Position des hier in der Grafschaft Mark herrschenden Kurfürsten von Brandenburg gestärkt. Unter anderem erlebten die Schwelmer 1632 den Einzug eines Finnischen Regiments.

Nicht nur Schwelm, auch viele andere Städte mussten in diesem Krieg immer wieder Plünderungen und Brandstiftungen hinnehmen oder sich durch Zahlungen an die Soldaten und ihre Anführer frei kaufen. Dann gab es einen Schutzbrief, von denen mehrere in Schwelm erhalten geblieben sind.

Zu den Schutzmaßnahmen der Stadtbürger gehörten auch die Ausgaben für Boten und Kundschafter, damit man frühzeitig von der heranziehenden Soldateska oder von marodierenden Freibeutern erfuhr. Die Bürger suchten dann Fluchtorte aus, zum Beispiel in der Kluterthöhle in Altenvoerde (heute Ennepetal), und sie versteckten ihre Wertgegenstände. So ist zu erklären, dass sich immer wieder Münzen und Gegenstände aus dieser Kriegszeit in Verstecken oder im Boden finden.

Im September 1640 zog der zu Beginn erwähnte General von Hatzfeld in Schwelm ein. Mit seiner Einheit wollte er weiter nach Hagen, und um den Weg zu finden, musste ihn ein Schwelmer Bürger begleiten. Dieser Dienst wurde entlohnt, und über das Entgelt ist ein Eintrag in der Schwelmer Stadtrechnung erhalten. Insgesamt hat die Stadt Schwelm in den Jahren 1640/41 für Erpressungen, Kontributionen und sonstige kriegsbedingte Zahlungen fast 1700 Reichtaler ausgegeben.

Mit dem Friedensvertrag von Münster und Osnabrück endet 1648 der Dreißigjährige Krieg. Für den Bekenntnisstand wurde darin als Stichjahr 1624 festgelegt, und für Städte mit gemischten Konfessionen wurde die Gleichheit der Bekenntnisse hergestellt. Daher gab es auch in Schwelm nach Kriegsende weiter eine reformierte und eine katholische Gemeinde.




Der Dirigent im kalten Bachwasser

Zum Thema Sergiu Celibidache läuft in der Westfälischen Rundschau derzeit eine interessante Sonderseite „Kultur extra“. Dazu hier eine erweiternde Anekdote:

Sergiu Celibidache

Als nach dem Ende des Krieges 1945 in den Großstädten des Rhein-Ruhrgebietes die Opern und Konzertstätten durch Bomben und Brände zerstört waren, mussten Theaterensemble und Orchester auf umliegende Kleinstädte ausweichen.

So kam es, dass in der Industriegemeinde Milspe (gehört seit 1949 zu Ennepetal) das ehemalige „Gefolgschaftshaus“ der Firma ABC („Spax“-Schrauben) unter dem neuen Namen „Haus der Kunst“ ein vielbesuchter Veranstaltungsort wurde. Mehr als 40 000 Besucher kamen in den ersten beiden Nachkriegsjahren, um Schauspieler aus Wuppertal, Düsseldorf oder Essen zu sehen.

Zu den „Gastspielern“ gehörten mehrfach auch die Berliner Philharmoniker. Ihr Dirigent war Sergiu Celibidache, der vor seinem ersten Auftritt an einem warmen Sommerabend den Wunsch nach einem erfrischenden Bad im Freien äußerte. Man führte ihn zu einem nahen Hammerteich, den auch die Kinder und Jugendlichen des Dorfes zum Schwimmen nutzten. Natürlich war das Bachwasser ziemlich kalt, aber Celibidache war zufrieden und schritt am Abend erfrischt zum Dirigat.




Ein Blick in den Bochumer Herbst

Im Schauspielhaus Bochum herrscht jetzt Ruhe, doch man kann schon eine Vorschau auf den Herbst bekommen.

Deshalb hier eine ganz sachliche und nicht vollständige Aufstellung dessen, was auf uns zukommt:

Ab 8. September Vorverkauf für Oktober
16. September Nachtflohmarkt
24. September Spielzeit-Eröffnungsfest
6. Oktober Premiere „Drei Schwestern“ (Tschechov), auch am 12., 20. und 29. Oktober
8. Oktober „Die Dreigroschenoper“ (Brecht/Weill), auch am 16. und 22. Oktober
9. Oktober „A Tribute to Johnny Cash“
13. und 14. Oktober Bochumer Symphoniker
15. Oktober Premiere Tanztheater „Der verlorene Drache“ (Airaudo), auch am 20. und 30. Oktober
15. Oktober „Amerika“ (Kafka)
16. Oktober „Die Jungfrau von Orleans“ (Schiller)
21. Oktober „Haus am See“ (Finger)
23. Oktober „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“ (Brecht)
28. Oktober „Woyzeck“ (Büchner) und Leseabend Tschechov mit Rolf Boysen
30. Oktober „Faust“ (Goethe)
1. November „Die Ratten“ Hauptmann.

Ich hoffe, dass ich einige Mitmenschen neugierig machen konnte.




Kunst kommt von Können – aber nicht immer

Lange war es geschlossen, das Osthaus Museum in Hagen. Seit es 2009 mit dem angeschlossenen Schumacher-Neubau wieder eröffnet wurde, zieht es vor allem Architektur-Freunde an.

In diesem Sommer nun hat das Haus eine frühere Tradition wieder aufgegriffen: Die Ausstellung „Hagener Künstlerinnen und Künstler“. Alle zwei Jahre soll sie stattfinden. Für 2011 hatten sich 117 bildende Künstler beworben, 42 wurden durch eine Jury ausgewählt, und bei dieser Menge – im Verhältnis zur Größe der Stadt Hagen – kann man sich vorstellen, dass es deutliche Qualitätsunterschiede gibt.

Das Osthaus Museum in Hagen

Auf drei Ebenen verteilt finden sich Malerei, Collagen und Skulpturen, aber auch großformatige Fotografien und Computerkunst. Interessante Strukturen auf durchlöchertem Sperrholz oder Experimente mit Kunststofffolien hängen neben konventionell abstrakten Acrylbildern. Übergroße Spermien aus Pappmaché schmücken eine Querwand, und der stets präsente Uwe Nickel durfte mehrere seiner knallbunten, noch am Kubismus orientierten Wandgemälde beisteuern. Die sind, wie so oft in der Kunst, eher Geschmacksache.

Einige Künstlerinnen und Künstler widmen sich der Kombination von Fotos, die auf Leinwände gedruckt wurden, und ihrer nachträglichen Bearbeitung mit Öl- oder Acrylfarben. Das bringt verblüffende Effekte, erinnert jedoch stark an die verwischten Richter-Bilder, und der kann es wirklich besser. Natürlich ist ein solcher Vergleich etwas ungerecht, aber wer sich mit seiner Kunst in ein renommiertes Museum begibt, der muss auch damit rechnen.

Am Ende des Rundgangs kommt man auf der dritten Ebene in eine Sonderausstellung des früh verstorbenen Hagener Malers RappaPort – „Objekt und Farbe“ heißt diese Präsentation, zusammen gestellt vom „Freundeskreis RappaPort“. Figürliches vermisst man hier völlig, stattdessen beeindrucken aber seine seriellen Bilder. Das hat schon was.

Und dann blickt man durch eine Seitentür in einen Raum der ständigen Sammlung, da hängen die Bilder von Christian Rohlfs, und schlagartig wird einem der Unterschied klargemacht: Kunst kommt von Können, aber nicht immer.

Osthaus Museum Hagen, Hochstraße 73. Erwachsene 6 Euro. Bis 28. August 2011




Neulich im Kreuzworträtsel: Wo endet das Ruhrgebiet?

Neulich im Kreuzworträtsel die Frage: Stadt im Sauerland mit neun Buchstaben. Als Lösung sollte man dort „Ennepetal“ eintragen, aber liegt Ennepetal im Sauerland?

Wie der ganze Ennepe-Ruhr-Kreis gehören Ennepetal und die anderen acht Städte politisch zum Ruhrgebiet, sind also Mitglied im „Regionalverband Ruhr“. Landschaftlich fühlt man sich in Städten wie Breckerfeld und Ennepetal oder im Hagener Süden aber tatsächlich wie im Sauerland. Wer durch die Kreisstadt Schwelm bummelt und die verschieferten Fachwerkbauten mit den grünen Fensterläden bewundert, der wähnt sich eher im Bergischen Land. Ähnlich sieht es an den anderen Rändern des Reviers aus: Haltern ist doch kulturell und landschaftlich mehr eine münsterländische Stadt, und Xanten oder Wesel liegen natürlich am Niederrhein.

Das Ruhrgebiet ist eben eine künstliche Struktur, orientiert an der Industrieentwicklung und an dem Wunsch, eine gemeinsame Landschaftsplanung zu erreichen. Klar, die ersten Kohlen grub man aus den Pingen auf den Haßlinghauser Wiesen, bevor der Bergbau in Witten unter die Erde ging und weiter nach Norden wanderte. Klar, die erste Kleinmetallindustrie entstand in den Seitentälern der Ruhr-Nebenflüsse, und das war natürlich das Sauerland, dem Namen nach also das „Süderland“ – doch südlich wovon? Wahrscheinlich entstand die Bezeichnung aus Sicht der frühmittelalterlichen Machtzentren, und die lagen in Soest und Dortmund, in Essen, Hattingen und Werden. Das Süderbergland war der unterentwickelte Süden, das Mezzogiorno Westfalens, aber dennoch Keimzelle der heutigen Industrieregion.

Was sagt also ein Ennepetaler anderswo in der Welt, wenn man ihn fragt, wo das denn liegt? „Zwischen Hagen und Wuppertal“ lautet meist die Antwort. Das ist schon sehr genau, ein „Zwischen“ eben – nicht richtig Ruhrgebiet, nicht richtig Sauerland.

In Amerika fragte uns mal ein Arzt nach unserer Herkunft. „From Germany“ war die erste Antwort. Und genauer? „Near Cologne“. Und dann seine überraschende Rückfrage: „Is that in France?“

So relativiert sich mit der Entfernung die Bedeutung von Grenzen.




Als Heinrich Heine von den Franziskanern lernte

Mitten im Trubel der Düsseldorfer Altstadt gibt es seit etwa fünf Jahren einen sehr ungewöhnlichen Ort der Ruhe – das „Max-Haus“.

Es ist katholisches Stadthaus, Veranstaltungszentrum, Kunstgalerie, Gebetsstätte, Cafe und Konzerthaus in einem. Ungewöhnlich wirkt es nicht nur durch die Ausstrahlung, sondern vor allem durch seine preiswürdige Architektur, seine Offenheit für jedermann und seine Geschichte.

In der Nähe des früheren Hafens hatten Franziskaner auf den Resten der alten Citadelle 1661 ein Kloster errichtet, eine Kirche gebaut und ab 1695 eine Lateinschule eingerichtet, die Vorläuferin der heute noch bestehenden Max-Schule. Die Kirche war ursprünglich dem heiligen Antonius von Padua gewidmet. Als jedoch 1803 durch den Beschluss zur Säkularisation auch Kirche und Kloster abgerissen werden sollten, benannten die Mönche ihren Komplex schnell um nach dem heiligen Maximilian – dem Namenspatron des Kurfürsten. Durch diesen schmeichlerischen Trick (man ist eben in Düsseldorf) konnten die Gebäude erhalten werden, die Franziskaner gingen als Pfarrer in die Gemeinden und die Schule wurde im Sinne der französischen Besatzung als „Lyceum“ weiter betrieben.

Diese Schule nun bekam durch den späteren Dichter Heinrich Heine ein literarisches Denkmal. Der jüdische Junge hieß zu der Zeit noch Harry und besuchte die katholische Einrichtung von 1807 bis 1814. Er erinnert sich an mehreren Stellen seines Werkes, zum Beispiel in den „Reisebildern“, an diese für ihn meist angenehme Zeit, er führt einzelne Lehrer an und klagt über die Schwierigkeiten des Sprachenlernens. Im „Buch Le Grand“ schreibt er unter anderem über seine Probleme mit dem Lateinischen: „In den dumpfen Bogengängen des Franziskanerklosters, unfern der Schulstube, hing damals ein großer, gekreuzigter Christus von grauem Holze, ein wüstes Bild, das noch jetzt zuweilen durch meine Träume schreitet und mich traurig ansieht mit starren blutigen Augen – und vor diesem Bilde stand ich oft und betete: O du armer, ebenfalls gequälter Gott, wenn es dir nur irgend möglich ist, so sieh doch zu, dass ich die verba irregularia im Kopfe behalte.“ Dieses Kreuz hängt übrigens immer noch im Kreuzgang des ehemaligen Klosters.

Nachdem die Franziskaner vor drei Jahrzehnten das Kloster aufgegeben hatten, drohte es zu verfallen oder kommerziell genutzt zu werden. Weil die Düsseldorfer Katholiken und das Erzbistum Köln jedoch auf der Suche nach einem geeigneten Zentrum waren, wurde der Komplex nach einem Architektenwettbewerb renoviert und modernisiert. Der ehemalige Kreuzgang blieb erhalten, und durch ein großes quadratisches Glasdach entstand im Innenhof ein wetterfester, lichtdurchfluteter Veranstaltungsraum, der unter anderem für die „Mittwochsgespräche“, aber auch für Konzertreihen wie „Bach beflügelt“ genutzt wird. Besucher können das Haus jederzeit betreten, lesen, Kaffee trinken oder in einem „Raum der Stille“ meditieren oder beten. Außerdem gibt es im ehemaligen Kreuzgang ständig Ausstellungen verschiedener Künstler. Zur Zeit läuft noch bis zum 20. August 2011 eine Gemeinschaftsausstellung von fünf Künstlern unter dem Titel „Graffiti im Kreuzgang“. Kurator für diesen Teil des Zentrums ist der Düsseldorfer Künstler Christoph Pöggeler, dem man im Stadtbild überall begegnet: Er schuf die lebensgroßen und lebensechten Figuren, die man in der Düsseldorfer Innenstadt an vielen Stellen auf Litfasssäulen stehen sieht.

Zur Straße hin wurde die Fassade des ehemaligen Klosters unverändert gelassen. Auch das bronzene Erinnerungsschild an den berühmten Schüler Heinrich Heine hat man gelassen. Nebenbei: Weil der Umbau des Klosters zum „Katholischen Stadthaus“ so gelungen sei, hat der Düsseldorfer Architekten- und Ingenieursverein 2010 dem Max-Haus die jährliche Auszeichnung „Bauwerk des Jahres“ verliehen.

Ein Besuch in diesem Ensemble lohnt sich also, auch wenn man als Atheist oder Protestant oder sonst etwas keinen Bezug zum Katholizismus hat.




Ist es im Dortmunder „U“ manchmal etwas unheimlich?

Neulich lag ich im Krankenhaus, als am Sonntagabend ein junger Kosovo-Albaner eingeliefert wurde. Als Bettnachbarn kamen wir ins Gespräch.

Er war beim Fußballspiel am Kopf verletzt und zur nächtlichen Beobachtung in mein Zimmer eingeliefert worden. Der etwa 30-jährige Mann erzählte mir auch von seiner Arbeit. Als Angestellter einer Sicherheitsfirma war er mit seinen Kolleginnen und Kollegen für die Bewachung im Dortmunder „U“ zuständig. Mit Kunst und Kultur in diesem Sinne hatte er nicht so viel am Hut, aber er stellte immerhin fest, dass er als Aufpasser oft ganz allein in den Räumen stehe. Kaum Besucher, und das, wo doch seine Firma so viel Geld für die Bewachung bekomme. Wer das denn wohl alles bezahlen müsse?


Jetzt legten auch die Offiziellen ihre ersten Besucherzahlen vor: Nur etwa die Hälfte der erwarteten Kulturfreunde wollten im vergangenen Jahr ins „U“-Gebäude. Sicher liegt das auch an der Dauerbaustelle, aber nachdenklich macht es trotzdem.

Da ist wohl noch sehr viel zu tun, um den Inhalt dieses architektonisch so attraktiven Projekts an die Frau und den Mann zu bringen.




Im Kino: Udo ist eben doch nicht Kurt Krömer

Mal wieder ins Kino gegangen, weil im WDR ein Interview mit Kurt Krömer über seine Rolle als „Udo“ zu sehen und zu hören war. Hat es sich gelohnt?

Natürlich ist Kurt Krömer im Detail immer ein Hinsehen wert. Im Film „Eine Insel namens Udo“ spielt Krömer aber gar nicht seine Rolle als Kurt Krömer, sondern einen eher schüchternen, etwas zerbechlichen Mann, ohne Krömers markante Brille. Er ist der Kaufhausdetektiv Udo, der von allen übersehen wird – „schwersichtbar“ eben – bis die Managerin Jasmin kommt und ihn wahrnimmt, samt Flecken im Hemd und seiner schrulligen Art. Sie ist auf ihre Weise eben selbst ein wenig kauzig, und so endet diese Komödie dann auch etwas naiv romantisch.

Gelohnt hat sich der Kinobesuch wegen der teils witzigen Dialoge und der schrägen Bilder. Auch die Grundidee, dass Udo unsichtbar sein kann und nur von seinen engen Freunden und eben von Jasmin gesehen wird, hat einen gewissen Reiz. Allerdings habe ich mich in der Mitte auch ein wenig gelangweilt, denn die Geschichte wird doch sehr in die Breite gewalzt. Übrigens waren wir im Kino auch fast allein – „Bad Teacher“ zieht doch mehr Leute an.

Im Abspann konnte man lesen, dass ARTE und der WDR die Mitfinanzierer waren. Also aufgepasst: Demnächst auf Ihrem Bildschirm „Eine Insel namens Udo“. Wahrscheinlich um Mitternacht.




Entnazifizierung im Revier: „Darum war ich in der Partei“

Über die Befreiung des Ruhrgebiets vom Nationalsozialismus durch alliierte Truppen habe ich hier vor einiger Zeit einige Hintergründe dargelegt. Nun soll es um die Entnazifizierung nach 1945 gehen.

Wenn die Amerikaner und ihre Verbündeten eine Stadt oder Gemeinde befreit hatten, dann setzten sie in der Regel sofort einen unbelasteten Bürgermeister ein. Manchmal brachten sie ihn sogar mit. Gleichzeitig hatten sie genaue Vorstellungen über die geplante „Denazification“. Noch vor der Kapitulation der deutschen Wehrmacht hatten die Besatzungsmächte am 25. April dazu eine Direktive erlassen, die vor Ort durch provisorisch eingerichtete Behörden und den Militärkommandanten umgesetzt wurde. In der britischen Zone, zu der auch das Ruhrgebiet gehörte, arbeitete die Besatzungsmacht mit einem Skalensystem von 1 bis 5. Die Kategorien 1 und 2 landeten vor Spruchgerichten. Dazu gehörten insbesondere Angehörige der verbrecherischen NS-Organisationen wie SS, Waffen-SS und des SD. Später kam die Unterscheidung zwischen A und B hinzu, nach welchen Kriterien Entlassungen aus dem öffentlichen Dienst, aber auch aus „finanziellen Unternehmen“ vorzunehmen seien. Wer unter A fiel, gehörte zu den „zwangsweise zu entlassenden Personen“. Solche Listen gab es wenige Wochen nach Kriegsende auch für Journalisten.

Wie das im Revier praktisch ablief, zeigen die Erlasse des Regierungspräsidenten in Arnsberg. Am 3. Juni 1945 verlangt er, dass sich die noch vorhandenen Mitglieder der Ortsgruppenstäbe der aufgelösten NSDAP „unter Aufsicht zu versammeln“ haben. An Ort und Stelle musste dann eine Liste aller ehemaligen männlichen und weiblichen Mitglieder der NSDAP in der jeweiligen Gemeinde angefertigt werden. Die beteiligten Funktionäre mussten eine eidesstattliche Erklärung abgeben, außerdem waren die Parteimitglieder nach dem Grund ihres Eintritts in die NSDAP zu befragen. Am 15. Juni seien die Listen abzugeben, eine Abschrift erhielt der Militärkommandant, bei wahrheitswidrigen Angaben drohte „strengste Bestrafung“.

Für das damalige Amt Milspe-Voerde – heute das Gebiet der Stadt Ennepetal – sind im Stadtarchiv diese Listen der einzelnen Ortsgruppen, nach Zellen geordnet, erhalten geblieben. Daraus ergibt sich zum einen, wie stark die Bevölkerung mit Funktionären der NSDAP und ihrer Gliederungen durchsetzt war, und zum anderen, wie feige die Menschen nach der Befreiung mit ihrer persönlichen Geschichte umgingen. Als Gründe für den Parteieintritt am häufigsten genannt wurden: Zwang der Behörden, Überredung durch die eigenen Kinder, Übernahme durch den BDM, wegen der Arbeitsstelle, wegen langjähriger Erwerbslosigkeit, Überredung durch die Frauenschaftsleiterin, aus taktischen Gründen (sehr oft genannt), wegen Aufforderung durch den Ortsgruppenleiter, um den Ehemann vor Angriffen seitens der Partei zu schützen, weil man es für einen guten Zweck hielt, um eine sichere Existenz zu bekommen, aus geschäftlichen Gründen, um im Beruf zu bleiben, weil man ohne Wissen übernommen worden sei.

Seltener werden die Gründe genannt, die wahrscheinlich für die meisten ehemaligen Parteimitglieder eher zutrafen: aus politischer Dummheit (mehrfach genannt), aus Überzeugung (nur wenige Nennungen), weil man Fanatiker war oder einfach „aus Dummheit“.
Einige Befragte machten auch persönliche Angaben: Ein Gastwirt sei nur eingetreten, um eine Konzession zu bekommen, ein anderer war Blockwart und eingetreten, „um meine Familie zu schützen“, ein dritter war körperbehindert und fühlte sich gezwungen, der Partei beizutreten, ein vierter sei „nur auf Anordnung des Dienstvorgesetzten“ beigetreten. Ein Unternehmer schrieb: „Weil ich im Anfang die Sache für gut und ehrlich hielt.“

Wie man sieht, wurde in den meisten Fällen der Parteieintritt als unausweichlich dargestellt. Einige ehemalige NSDAP-Mitglieder versuchten in dieser Befragung sogar, einen angeblichen Austritt zu konstruieren. Ein Unternehmer aus Gevelsberg schrieb, er sei im August 1944 aus der Partei ausgetreten, und das habe er auch in einem Schreiben am 10. Mai 1945 dem Herrn Amtsbürgermeister mitgeteilt. Zu dem Zeitpunkt war das Ruhrgebiet jedoch bereits mehrere Wochen besetzt, und das Deutsche Reich hatte am 8. Mai bedingungslos kapituliert.

Warum sich zahlreiche Sozialdemokraten und Kommunisten, aber auch engagierte Christen dem verbrecherischen Regime widersetzten und dafür Verfolgung und Tod in Kauf nahmen, die meisten Bürger der Hitler-Partei jedoch mit Überzeugung nachrannten, das bleibt ein großes Rätsel. Wenn man den persönlichen Notizen im Ennepetaler Stadtarchiv glaubt, dann waren es überwiegend sehr egoistische Motive – ohne Rücksicht auf die angekündigten Opfer.

Feierstunde zur Gründung der Stadt Ennepetal 1949




Kriegsende an der Ruhr: Bei Hattingen gab es „Friendly Fire“

Immer im Mai wird in Deutschland an das Ende des Zweiten Weltkriegs erinnert. Im Ruhrgebiet erlebten die Menschen diese Befreiung, die es ja objektiv war, in den Wochen von Anfang bis zum 18. April, als die im sogenannten Ruhrkessel eingeschlossenen Soldaten der Wehrmacht kapitulierten. An einige Details dieser Militäraktionen soll hier erinnert werden.

Für die alliierten Truppen bedeutete die Stadtlandschaft Ruhrgebiet eine gefährliche Herausforderung. Deshalb näherten sie sich mit ihren Panzerverbänden von mehreren Seiten. Bereits am 3. März 1945 hatten deutsche Soldaten die Rheinbrücken in Düsseldorf gesprengt, andere Übergänge folgten. Bei Wesel gelang es britischen und amerikanischen Pioniereinheiten am 23. und 24. März, den Rhein zu überqueren. Nacheinander werden die Städte Dorsten, Dülmen und Hamm befreit. Gleichzeitig näherten sich von Süden durch das Sauerland und das Bergische Land Verbände in Richtung Ruhr. Am 2. April hatten sich bei Siegen die von Norden kommende 2. US-Division und die aus Süden kommende 3. Division getroffen, so dass der geplante Kessel großräumig geschlossen und zugezogen werden konnte.

Bis zum 11. April zogen die südlichen Truppen der Alliierten etwa der heutigen B 54 folgend über Olpe, Meinerzhagen und Kierspe Richtung Hagen, Ennepe-Ruhr und Wuppertal. Wenn es Widerstand gab, wurde mit Panzerwaffen zurückgeschossen, so zum Beispiel in Schmallenberg-Oberkirchen oder in Ennepetal-Voerde. Dort hatte eine deutsche Panzerbesatzung einen amerikanischen Panzer in Brand geschossen. Als Folge gingen zahlreiche Häuser im Dorf durch Granatfeuer in Flammen auf. Unna war am 11. April „überrollt“ worden, wie die Menschen es ausdrückten, während Dortmund von der Wehrmacht kampflos geräumt wurde.

Von Osten aus erreichten die alliierten Soldaten Bochum und die Ruhr, während von Süden amerikanische, britische und belgische Einheiten über Schwelm und Sprockhövel Richtung Hattingen vorrückten. Diese erreichten am Abend des 15. April 1945 den Fluss, doch bevor es zur Teilung des Ruhrkessels durch den Zusammenschluss der alliierten Einheiten kam, lieferten sich die befreundeten Truppen noch ein Gefecht – „Friendly Fire“ genannt, weil man sich nicht rechtzeitig erkannte. Diese und andere Details finden sich in den zunächst als geheim eingestuften Tagesberichten der 8. US-Infanterie-Division, die als Kopien im Stadtarchiv Ennepetal liegen.

Drei Tage später, am 18. April, kapitulierte die deutsche Wehrmacht im Ruhrkessel. Etwa 350.000 Offiziere und Soldaten kamen in Kriegsgefangenschaft, die meisten lagerten zeitweise in den Rheinwiesen bei Düsseldorf. Die NS-Gauführung hatte sich kurz vor der Überrollung noch einmal in Hasslinghausen versammelt, dann schlug man sich in Zivil in die Büsche.

Am 25. April trafen in Torgau an der Elbe amerikanische und sowjetische Truppen zusammen, am 8. Mai kapitulierte Deutschland bedingungslos – der Krieg war in Europa beendet, im Fernen Osten dauerte er noch bis zur Kapitulation Japans am 2. September.

Wie die Befreier mit den NS-Funktionären umgingen, soll bei anderer Gelegenheit erzählt werden.




Zu Fuß durch Amerika

Eine seltsame Art zu reisen kündigt bereits der Untertitel an: „Zu Fuß durch Amerika“. Ausgerechnet durch das Land der Autofahrer. Doch dann erinnert man sich an den Namen des Autors. Wolfgang Büscher, das war doch der Journalist, der vor acht Jahren in seinem Buch „Berlin-Moskau“ einen ähnlichen Fußmarsch durch die östliche Pampa beschrieben und damit einen Bestseller gelandet hatte.

„Hartland“ lautet der Titel seines neuen Reisebuches, und da zögere ich bereits, denn Büscher ist weit mehr als ein Reiseschriftsteller. Hartland ist ein einfühlsamer, poetischer Zugriff auf das riesige, vertraute und doch so fremde Land auf der anderen Seite des Meeres.
Büscher kannte Amerika nicht, bevor er sich mit großem Rucksack und ausreichend Geld von Kanada aus zu Fuß auf den Weg von Nord nach Süd durch den Mittleren Westen der USA macht, von der kanadischen Grenze bis nach Mexiko.

Er lässt sich auf die Menschen ein, sieht Vorurteile bestätigt oder widerlegt und wird überrascht durch Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft und echte Offenheit vieler Amerikaner. Er folgt teilweise den Spuren der Zerstörung, die wir europäischen Eroberer auf dem Weg nach Westen hinterließen. Er spricht mit Indianern und modernen Cowboys, lässt sich streckenweise in Pick-Ups mitnehmen und kommt so auch in Familien und fromme Christengruppen. Ratlos hört er den durchweg konservativen Meinungsäußerungen der Leute im amerikanischen Herzland zu – denn darauf bezieht sich auch der doppeldeutige Titel: Hartland heißt der erste Ort, den Büscher in den USA betritt, und dieser Name leitet sich von „Heartland“ ab. Aber Büscher lässt bei seiner Wegbeschreibung keinen Zweifel, dass er auch die deutsche Bedeutung von „Hartland“ meint, wenn er den endlosen Marsch durch die Prärie beschreibt oder den Spuren der unglückseligen Geschichte der amerikanischen Ureinwohner folgt. Zum Schluss verliert er zwar noch sein Gepäck, aber auch dem kann er erfrischende Gedankengänge abgewinnen.

Wer sich von Büschers weicher Prosa mitziehen lässt, und das ging auch schon bei „Berlin-Moskau“ so, der versteht sofort, warum der Autor bereits vor Jahren den Tucholsky- und den Ludwig-Börne-Preis erhielt.

Wolfgang Büscher: Hartland. Zu Fuß durch Amerika. Rowohlt Berlin, 302 Seiten, 19,90 Euro