Gedenktag von großem Gewicht: Im nächsten Jahr werden wir an die 1918 ausgerufene Weimarer Republik erinnert

Gedenktage gibt es ja mittlerweile in Unmengen, und dank Wikipedia kann man sich für jeden Tag des Jahres ein Gedenken aussuchen. Allerdings sind diese Anlässe nicht alle in ihrer Bedeutung gleichwertig, und deshalb ist ihre historische und faktische Einordnung auch die Aufgabe guten Journalismus‘.

Grabmal der beiden 1920 im Kapp-Putsch erschossenen Männer aus Ennepetal. (Foto Pöpsel)

In diesem Jahr sind besonders drei historische Ereignisse hervorzuheben, weil sie nachhaltige Auswirkungen hatten. Das ist zum einen Martin Luthers Anti-Papst-Handlung vor 500 Jahren, die inzwischen fast bis zum Überdruss erörtert wurde.

Das Zweite Ereignis von Bedeutung war vor hundert Jahren, im Sommer 1917, der Eintritt der Vereinigten Staaten von Amerika in den Ersten Weltkrieg und damit die Wende zur endgültigen Niederlage der deutschen Reichswehr.

Als Drittes muss man die Oktoberrevolution 1917 in Russland nennen, die letztlich in der mörderischen Stalin-Diktatur endete und in deren Folge später die DDR entstand – ein erst 1989 überwundener undemokratischer Polizeistaat.

Und wo bleibt das Positive? Das kommt bestimmt im nächsten Jahr, denn dann können wir den Beginn der ersten echten Demokratie auf deutschem Boden vor einhundert Jahren feiern, die von den Sozialdemokraten am 9. November 1918 ausgerufene Republik, die später wegen des Tagungsortes des Parlaments „Weimarer Republik“ genannt wurde.

Die SPD bereitet sich auf Bundesebene bereits auf das Jubiläum vor – schließlich spielte sie damals die Hauptrolle, und ihr Vertreter Friedrich Ebert wurde der erste Reichspräsident.

Auch auf regionaler Ebene gibt es historische Forschungen, zum Beispiel über das Wirken der Arbeiter- und Soldatenräte, die sich im Laufe der Novemberrevolution bildeten und die Anfang 1919 gewaltsam ausgeschaltet wurden.

In Großstädten wie Dortmund bestimmten die Räte wochenlang das öffentliche Wirken, in Kleingemeinden findet man nur Randnotizen über ihre Arbeit. Im Protokollbuch der Gemeindevertretung Milspe zum Beispiel, heute Teil der Stadt Ennepetal, gibt es nur einmal eine Eintragung vom 18. November 1918, als neben den Gemeindevertretern auch der spätere Reichstagsabgeordnete Walter Öttinghaus „als Arbeiter- und Soldatenrat“ das Sitzungsprotokoll mit unterschrieb.

Die neue demokratische Republik war natürlich gefährdet, und als im März 1920 mit dem Kapp-Putsch der Angriff von rechts begann, gab es auch im Ruhrgebiet zahlreiche Tote. Zwei junge Männer aus Milspe, Max Fuchs und Artur Klee, wurden bei Kämpfen mit den Putschisten am Bahnhof in Remscheid erschossen. Die Gemeindevertretung ließ sie in einem Ehrengrab bestatten, und als Rechtsnachfolgerin hat sich auch die Stadt Ennepetal zur weiteren Grabpflege verpflichtet – als sichtbares Zeichen für eine Demokratie, die mit der Ausrufung der Republik in Berlin vor beinahe 100 Jahren begann und die mit der NS-Diktatur schon 1933 ihr Ende fand.




Worin sich Frankreich und Sachsen ähnlich sind

Nach dem Urnengang ist vor dem Urnengang. Kaum hat England gewählt, ist Frankreich an der Reihe:

Wenn am kommenden Sonntag das französische Parlament neu gewählt wird, dann könnte es nach derzeitigen Umfragen zu einer satten Mehrheit für die neue Partei „La République En Marche“ (LREM)  des jungen Staatspräsidenten Emmanuel Macron kommen. Das scheint für Europa und Deutschland eine positive Perspektive zu sein, aber die politische und gesellschaftliche Spaltung unseres Nachbarlandes ist unübersehbar.

Schein-Idylle an der Côte d’azur. (Foto: HH Pöpsel)

Auf der Landkarte Frankreichs mit den eingefärbten Ergebnissen der Präsidentschaftswahl in den einzelnen Départements sieht man deutlich eine Ost-West-Grenze: In den Regionen östlich von Paris bis hinunter zum Mittelmeer erreichte der rechte Front National mit Marine Le Pen fast überall die Mehrheit, in den westlichen Landesteilen bis hin zum Atlantik gelang Macron der Sieg.

Besonders hoch fiel der Erfolg des neuen Präsidenten in Paris aus – ausgerechnet dort, wo die meisten Migranten leben. Ebenfalls besonders deutlich siegte seine Kontrahentin Le Pen an der Côte d’azur, in Nizza, Cannes und St. Tropez – dort, wo außer algerischen Arbeitern eher wenige Migranten zuhause sind, wenn man mal von den Popstars wie Bono oder Johnny Depp auf ihren Landgütern oder den zahlreichen britischen Rentnern absieht.

Diese Tendenz sieht man so ähnlich auch in den Neuen Ländern in Deutschlands Osten, in Sachsen, Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg: Wo die wenigsten Flüchtlinge leben, ist der Widerstand der Bevölkerung am größten und der Einfluss rechter Parteien und Bewegungen am stärksten. Vielleicht bringt ja die neue Pro-Europa-Bewegung mit ihren sonntäglichen Kundgebungen etwas Schwung in die Demokratie-Debatte. Aber wie in privaten Beziehungen weiß man, dass Gefühle sehr schwer zu beeinflussen sind.

Übrigens heißt dieser Blog ja Revierpassagen, deshalb noch ein Hinweis auf eine Querverbindung ins Ruhrgebiet: Der neue französische Präsident Macron wurde im kommenden Dezember vor vier Jahrzehnten im schönen Amiens geboren. Das ist seit langer Zeit eine Partnerstadt Dortmunds.




„Gaffer“ gibt es doch schon lange – ein Beispiel von 1967

Über sogenannte Gaffer an Unfallstellen wird immer wieder empört berichtet, aber ist das ein neues Phänomen? An einem Beispiel aus dem Jahre 1967 soll das an dieser Stelle einmal genauer beleuchtet werden: Eine Lokomotive stürzte damals in Ennepetal aus den Gleisen und rollte den Bahndamm hinunter.

Die abgestürzte Lok liegt am Straßenrand, der Lokführer ist umgekommen. (Foto: Stadtarchiv Ennepetal)

Gegen 3 Uhr in der Nacht zum 21. Juni 1967 war eine E-Lok der Baureihe E 41 auf einem Nebengleis der Bergisch-Märkischen Strecke zwischen Schwelm und Hagen beim Rangieren gegen einen Prellbock geprallt. Die Lok sprang aus den Schienen und stürzte den Abhang hinunter. Der 41-jährige Lokführer versuchte sich durch einen Sprung aus dem Führerhaus zu retten, wurde jedoch durch die Lok erdrückt und getötet. Das tonnenschwere Fahrzeug blieb auf der Seite neben der Bundesstraße 7 liegen.

Noch in der Nacht verbreitete sich die Nachricht von dem spektakulären Unfall in der Stadt, und schon am Morgen waren Hunderte von Menschen zu der Unglückstelle gerannt oder mit ihren Autos dorthin gefahren, verfolgten die schwierigen Bergungsarbeiten und machten Fotos. Auf der Bundesstraße 7 bildeten sich in beiden Richtungen kilometerlange Staus, die auch in den folgenden Tagen anhielten, und die Polizei musste Verstärkung anfordern und regelnd eingreifen, damit überhaupt die Kräne der Spezialfirma an die zu bergende Lok herankamen.

Menschen scheinen in ihrer Psyche darauf trainiert zu sein, bei Ereignissen mit Blut und Horror fasziniert zuzuschauen. Das trifft nicht nur für Unglücke im Straßenverkehr zu. Auch öffentliche Hinrichtungen waren bis in die Neuzeit hinein ein ganz besonderer Anziehungspunkt für Menschen, die den Schauder erleben wollten und die für sich das Glück fühlten, nicht selbst betroffen zu sein.

Heute kommt noch hinzu, dass mit Kameras in Smartphones und Tablets das Geschehen sofort dokumentiert wird. Journalisten erheben dann oft empört und belehrend den Zeigefinger, dabei dient ihre eigene Arbeit kaum einem anderen Zweck, als ihren Kunden die Katastrophe ins Haus zu liefern. Besonders heuchlerisch wirken dann Aufrufe, doch bitte zur Identifizierung der möglichen Täter und zur Rekonstruktion des Tathergangs private Fotos und Videos zur Verfügung zu stellen. Und das hört man ausgerechnet von einer Behörde, die sonst das Filmen am Unglücksort verteufelt – irgendwie etwas weltfremd.




Ein kleines Museum mit Küchen und mehr als 700 Kochbüchern

Draußen sieht und riecht man den Frühling – Zeit für den Garten oder für einen Ausflug. Schöne Ziele gibt es im Ruhrgebiet, zum Beispiel das kleine Henriette-Davidis-Museum in Wetters Ortsteil Wengern – dort, wo die berühmte Köchin am 1. März 1801 geboren wurde. Gestorben ist sie übrigens am 14. April 1876 in Dortmund, und auf dem dortigen Ostfriedhof findet man auch noch ihr Grab.

Kochbücher sind auch in Zeiten von chefkoch.de noch sehr nützlich. (Foto Pöpsel)

Davidis war eine Pfarrerstochter, die im Elternhaus in Wengern und in verschiedenen fremden Haushalten das Kochen gelernt hatte und ihr Wissen in Buchform weitergeben wollte. Es gab zwar in der Mitte des 19. Jahrhunderts bereits neben privaten, mit der Hand geschriebenen Koch-Tagebüchern auch gedruckte Kochbücher, doch keines  war im deutschsprachigen Raum so folgenreich wie Davidis‘ „Praktisches Kochbuch für die gewöhnliche und feinere Küche“. Insgesamt kam es auf 21 Auflagen, es wurde in vielen Familien über Generationen hinweg weitergegeben, und der von Davidis geprägte Satzanfang „Man nehme…“ ist auch heutigen Köchen noch geläufig. Manche Rezepte allerdings kann man heute kaum noch benutzen, zum Beispiel die Anleitung, wie man einen Kapaun zubereitet.

Neben diesem Kochbuch schrieb Henriette auch ein Buch für die kleine Puppenköchin sowie Anleitungen zur Erziehung junger Mädchen. In einem kleinen Fachwerkhaus in Wengern, dem ehemaligen Mühlenhäuschen, gibt es seit 1994 das Henriette Davidis gewidmete Museum. Es geht zurück auf und wird heute noch geleitet von dem evangelischen Pfarrer Walter Methler.

Neben Küchen- und Haushaltsgeräten findet man in dem Haus auch etwa 700 verschiedene Ausgaben und Auflagen der Davidis-Werke, unter anderem eine in den USA erschienene Fassung, die für die dortigen deutschsprachigen Einwanderer gedruckt worden war.

Henriette-Davidis-Museum, Elbescheweg 1 in 58300 Wetter, Tel. 02335-61116. Geöffnet jeweils am 1. Sonntag im Monat von 15 bis 17 Uhr. Führungen zu anderer Zeit nach Absprache.

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Das Wirken von Henriette Davidis stand bzw. steht auch im Mittelpunkt des Deutschen Kochbuchmuseums in Dortmund, das allerdings zur Zeit wegen Umzugs und Erarbeitung eines neuen Konzepts geschlossen ist.




Ein Rathaus kündet vom guten Leben bei Wein und Gesang

Rathäuser als Zentralen der kommunalen Politik können das unterschiedlichste Aussehen und die seltsamste Geschichte haben. Wenn es sehr gut kommt, dann wurden sie direkt als Rathaus gebaut wie das wunderschöne spätmittelalterliche Fachwerkhaus in der Altstadt von Hattingen oder das Rathaus von Michelstadt – angeblich das älteste seiner Art in Deutschland.

Rathaus Ennepetal, früher ein Wohnheim für junge Fabrikarbeiterinnen. (Foto HH Pöpsel)

Weniger schön finden die meisten Bürger ihre als Neubauten errichteten Rathaus-Betonschachteln, wie man sie in Lüdenscheid oder Essen findet. Wieder andere Rathäuser zogen in ein Gebäude, das ursprünglich für einen ganz anderen Zweck gebaut wurde. Zu dieser Art gehört auch die Stadtverwaltung in der Industrie-Kleinstadt Ennepetal am Südrand des Ruhrgebietes.

Die Stadt gab es bis 1949 noch gar nicht. Zwei Gemeinden – Milspe und Voerde – schlossen sich damals freiwillig zusammen. Sie waren schon zuvor als ein gemeinsames Amt Milspe-Voerde locker verbunden gewesen, und diese Amtsverwaltung residierte seit 1937 in einem großen Altbau, der schon Ende des 19. Jahrhunderts von einem Fabrikanten als Wohnheim für seine jungen Fabrikarbeiterinnen gebaut worden war. War schon die Beschäftigung von Frauen in dieser Größenordnung in einer Schraubenfabrik damals ungewöhnlich, so war es die fürsorgliche Unterbringung nicht minder.

Neckische Putten mit Weinreben am alten Rathaus. Prost. (Foto HH Pöpsel)

Als einige Jahrzehnte später das Gebäude für diesen Zweck nicht mehr gebraucht wurde, wechselte es den Besitzer, der es zu einem Hotel umbaute. Auf diese Weise kamen auch die Stuckelemente an die Vorderfront, die vom guten Leben bei Wein und Gesang berichten. Als dann später die Amtsverwaltung einzog, ließ man den Außenschmuck unangetastet, und so blieb es auch, als nach der Stadtgründung im April 1949 ganz folgerichtig das Rathaus der neuen Stadt dort eingerichtet wurde.

Auch heute noch dient es als Verwaltungsgebäude, und im Sitzungssaal tagen noch immer die Politiker – wenn auch nicht mehr bei Bier und Wein. Das gibt es nur noch nach Dienstschluss in der Kantine, und die liegt immerhin im Untergeschoss dieses seltsamen Rathauses.




Nashorn oder Fuchs: Städtische Symboltiere auf der Straße

Mit dem Bau des Konzerthauses in Dortmund fing es an: Überall in der Stadt wurden bunte Nashörner mit Flügeln aufgestellt.

Die wundersamen Fabelwesen sollten für den neuen Kulturtempel werben, und weil sie so zahlreich auftraten, wirkte ihr Erscheinen auch. Das Konzerthaus gilt als eine der Erfolgsgeschichten Dortmunds, und die Flügelhörner stehen immer noch in der Stadt herum – manche beschädigt oder beschmiert, aber sie sind da.

Der Fuchs als Symbolfigur in der Stadt Ennepetal. (Foto: HH Pöpsel)

In ähnlicher Weise hat sich die viel kleinere Stadt Ennepetal südwestlich von Dortmund eines Symboltiers erinnert, und dieser bunte Fuchs steht nun in Überlebensgröße in allen Stadtteilen auf Betonsockeln, und zwar nicht nur im öffentlichen Raum. Auch Privatleute, Vereine und Unternehmen haben jeweils einen der knapp zwei Meter großen Füchse erworben und aufgestellt. Eine Autolackiererei hat ihren Fuchs sogar aufs Firmendach gestellt und schmückt ihn dort je nach Jahreszeit als Nikolaus, Osterhase oder Karnevalsprinz.

Wie aber kam Ennepetal auf den Fuchs? Seit mehreren hundert Jahren gibt es die Sage, dass sich ein Wanderer in die Ennepetaler Kluterthöhle wagte und sich dort verirrte. Hilfe fand er nur in einem Fuchs, an dessen buschigen Schwanz sich der Mann klammerte, und weil der Fuchs entfliehen wollte, zog er den Wanderer mit sich zum Ausgang der Höhle in Hohenlimburg.

Vor dem Höhleneingang aber saß ein Riese, der das Menschenfleisch schon gerochen hatte. Als aber nun der freigelassene Fuchs in den Wald flüchtete, hetzte der Hüne – sich irrend in der Beute – hinter dem Fuchs her, und unser Wanderer konnte dadurch frohgemut seines Weges ziehen. Diese Sage lernt natürliches jedes Grundschulkind in Ennepetal und Umgebung kennen, und so hat auch jeder Einheimische sofort eine Beziehung zu den Fuchsfiguren.

Aril 2006, im Vorfeld der Fußball-WM: Die Dortmunder Nashörner gab's damals in den Farben aller Teilnehmerländer. (Foto: Bernd Berke)

April 2006, im Vorfeld der Fußball-WM: Die Dortmunder Nashörner gab’s damals in den Farben aller Teilnehmerländer. (Foto: Bernd Berke)

Zwar ist die Kluterthöhle in Ennepetal mit fast sechs Kilometern Ganglänge die größte Naturhöhle Deutschlands, aber bis Hohenlimburg im Lennetal reicht sie natürlich nicht. So ist das eben mit den Sagen. Die Menschen waren schon immer fasziniert von Höhlen und fürchteten gleichzeitig ihre Gefahren, und diese Kombination findet ihren Niederschlag in Erzählungen unserer Vorfahren wie der Fuchs-Sage, die es seit mehr als 150 Jahren auch in schriftlicher Form gibt, zum Beispiel in den „Westphälischen Volkssagen in Liedern“ aus dem Jahre 1841. In dieser gereimten Version hat der Wanderer sogar einen typisch deutschen Namen bekommen: Hans nennt ihn der Dichter.




„Und der Köter hört dich ohne meckern zu“

Wenn man durch die Fußgängerzone einer beliebigen Stadt im Ruhrgebiet schlendert, dann hört man – oft ganz unfreiwillig – die seltsamsten oder lustigsten Wortwechsel. Gerade der Dialekt der Ruhrpottsprache mit seinen eigenen Wortschöpfungen macht viel Spaß. Und manchmal kommt sogar Philosophisches dabei heraus.

Ein Hund mault selten. (Foto Pöpsel)

Ein Hund mault selten. (Foto: Pöpsel)

Neulich sah ich zwei ältere Frauen im Gespräch, die eine mit einem Dackel an der Leine. Gerade hatte sie ihrer Bekannten erzählt, dass ihr Partner ausgezogen und das Leben in der Wohnung so still geworden sei. Tröstend erfuhr sie von ihrem Gegenüber, für die häusliche Zufriedenheit brauche man doch keinen Mann. Alleinsein sei viel schöner: „Da kannsse maulen oder nich maulen, wie de willss, und der Köter hört dich ohne meckern zu.“

Ähnlich lakonisch erlebten wir einen Dortmunder im Urlaub, der in einer offenen Telefonzelle stand und seinem Freund oder Verwandten zufrieden vom Aufenthalt in der Fremde berichtete. Das Wichtigste fasste er in zwei kurzen Sätzen zusammen. „Iss schön hier. Wir sind ja widda in datselbe Hotel, woll?“ Am besten sieht es da aus wie zuhause, dann kann gar nichts schiefgehen.




,,Meine Zeit mit Cézanne“ – ein berührender Film über Freundschaft und Egozentrik

Noch läuft er in ausgewählten Programmkinos der Republik: „Meine Zeit mit Cézanne“, dieser berührende Film über eine Männerfreundschaft und über die zerstörerische Egozentrik eines Malergenies.

Paul Cézanne, Kind aus reichem Hause, und der später berühmte Schriftsteller Emile Zola lernten sich als Schuljungen in Aix en Provence kennen und behielten ihre Freundschaft bis ins Alter, allerdings nicht bis zum Schluss, denn an der fast pathologischen Egozentrik Paul Cézannes zerbrach die Verbindung.

Der französische Film wurde an den Originalschauplätzen der beiden Künstler-Biographien gedreht. Emile und Paul mussten sich jeweils auf ihrem Gebiet – in der Literatur und der Malerei – als Neuerer gegen massive Widerstände durchsetzen. Zudem kämpften sie zeitweise in der Liebe um dieselbe Frau.

Scheitern musste die Freundschaft schließlich an Cézannes totaler Ichbezogenheit. Allerdings lässt der Film von Danièle Thompson an dieser Stelle eine etwas andere Wendung zu als das damalige wahre Leben. Immerhin soll Cézanne nach Zolas Tod trotz des Zerwürfnisses mehrere Tage geweint haben.

Die Faszination im Kino geht natürlich nicht nur von dieser Geschichte aus, sondern mehr noch von der schauspielerischen Leistung der beiden Hauptdarsteller: Guilllaume Canet als Emile Zola und Guillaume Gallienne als Paul Cézanne spielen sehr facettenreich – nicht umsonst gehören sie zur ersten Reihe der französische Film- und Theaterschauspieler.

Für die Kulturgeschichte unseres Nachbarlandes haben die beiden dargestellten Künstler eine herausragende Bedeutung. Und obwohl sie bei uns nicht diese Bekanntheit erreichen, war der Kinosaal an einem normalen Wochentags-Nachmittag ausverkauft. Das lässt hoffen.

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Der Film ist derzeit (bis mindestens Mittwoch, 19. Oktober) in folgenden Ruhrgebiets-Kinos zu sehen:
„Camera“ (Dortmund): 16:30 Uhr
„Casablanca“ (Bochum): 15:00 und 18:30 Uhr
„Filmstudio Glückauf“ (Essen): 14:45 und 20:00 Uhr.




„Zeche Hannover“ in Bochum: Einst trutzige Burg für den Bergbau – heute ein Museum

Als vor gut 150 Jahren der Kohlebergbau im Ruhrgebiet immer mehr in die Tiefe ging, da wurde auch in der Bochumer Bauerschaft Hordel eine weitere Zeche gegründet.

Nach dem Wohnsitz des Bergwerk-Gründers im damaligen Königreich Hannover erhielt die neue Fördergrube den Namen Zeche Hannover. Um die Fahrt in Körben sicherer und schneller zu machen, bauten die Besitzer später den trutzigen Malakowturm, der noch heute steht und wie eine trutzige Burg in die Landschaft des Bochumer Nordens ragt.

Malakowturm der Zeche Hannover (Foto Pöpsel)

Der Malakowturm der Bochumer „Zeche Hannover“. (Foto: Hans Hermann Pöpsel)

Heute sind die Gebäude der längst stillgelegten Zeche ein Bestandteil des Westfälischen Industriemuseums – getragen und betreut vom Landschaftsverband Wetstalen-Lippe (LWL). Wie auch in anderen Alt-Zechen nutzt der Landschaftsverband die Räume für Ausstellungen. Zur Zeit kann man dort, bei freiem Eintritt, eine Zusammenstellung von Fotos, Gegenständen und Dokumenten über polnische „Displaced Persons“ sehen.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und der Naziherrschaft lebten in Deutschland hunderttausende befreite Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene aus unterschiedlichen Ländern, die aus politischen Gründen nicht in ihre ursprüngliche Heimat zurückkehren konnten oder wollten, zum Beispiel nach Jugoslawien oder in die Sowjetunion und eben auch nicht in das inzwischen kommunistische Polen.

Diese „Displaced Persons“, auch kurz DP genannt, lebten zunächst in Lagern, bis die deutschen Landesregierungen Anfang der 50-er Jahre dazu übergingen, gezielt neue Siedlungen für diese Personengruppen zu bauen. Außerdem wanderten zahlreiche DP in andere Länder aus, zum Beispiel nach Kanada oder in die Vereinigten Staaten.

Die Ausstellung im Bochumer Malakowturm zeigt sehr anschaulich, wie die polnischen DP lebten, wie sie das Lagerleben organisierten, welche kulturellen Aktivitäten es gab und wie die Katholische Kirche gezielt auf die Menschen zuging und half.

Interessant ist in der Zeche Hannover, dass man aus der kleinen Ausstellung ohne Übergang in den mächtigen Maschinensaal gelangt. Die dort stehende Fördermaschine aus dem Jahre 1893 ist die älteste noch am ursprünglichen Standort verbliebene Seilzuganlage  des Ruhrkohlebergbaus, und manchmal wird sie vom rührigen Förderverein der Zeche noch in Betrieb genommen – allerdings nicht mit Dampfkraft, sondern mit Elektromotoren.

LWL-Industriemuseum Zeche Hannover, Günnigfelder Straße 251 in Bochum. Mittwoch-Samstag 14–18 Uhr, an Sonn- und Feiertagen 11–18 Uhr. Eintritt frei. Internet: https://www.lwl.org/industriemuseum/standorte/zeche-hannover




,,Brennender Midi“ – neuer Provence-Krimi

Seine Fans haben schon darauf gewartet, und endlich, seit Mitte Mai, liegt Cay Rademachers neuer Provence-Krimi vor. Ganz pünktlich, wie vom Verlag Dumont angekündigt, hat der ehemalige GEO-Redakteur und Frankreich-Kenner sein Manuskript fertiggestellt und lässt unter dem Titel „Brennender Midi“ seinen Kommissar, den Capitaine Roger Blanc, unter der südlichen Sonne den dritten Fall ermitteln.

Brennender Midi

Blanc war strafversetzt worden von Paris in den Süden. Dort fand er natürlich keine Ruhe, sonst wären diese Krimis nicht so spannend. Im ersten Fall ging es um Korruption und ihre Folgen („Mörderischer Mistral“), im zweiten greift Radmacher in die jüngere Geschichte Frankreichs („Tödliche Camargue“), und nun muss Roger Blanc herausfinden, warum ein Propellerflugzeug über einem Olivenhain abstürzte. Der tote Pilot gehörte der franzosischen Luftwaffe an und war sehr erfahren.

Der Capitaine und seine Kollegen ermitteln zahlreiche Ungereimtheiten, während es privat ebenfalls sehr turbulent umgeht, denn Blancs Affäre mit der Untersuchungsrichterin geht weiter. Immerhin ist diese Aveline die Ehefrau jenes Staatssekretärs, der damals für seine Versetzung in die Provinz gesorgt hatte.

Cay Rademacher lebt mit seiner Familie seit Jahren in der Nähe der kleinen Stadt Salon-de-Provence, und nicht zufällig arbeitet auch seine französische Frau als Untersuchungsrichterin, vergleichbar etwa mit einer Staatsanwältin in Deutschland.  Der 1965 geborene Autor hat sich seine recht große Anhängerschaft sicher nicht nur durch die spannenden Plots erworben, sondern auch durch die gelungene Beschreibung der südlichen Lebensweise, die in seinen Lesern die Sehnsucht nach dem Midi aufleben lässt.

Cay Rademacher: „Brennender Midi. Ein Provence-Krimi mit Roger Blanc“. DuMont Buchverlag Köln. 304 Seiten, 14,99 € (als E-Book 11,99 €).

 




Originelle Museen in Berlin – aber die Currywurst würde ebenso gut ins Revier passen

Wenn es in der Stadt Bochum ein Bergbaumuseum gibt, dann kann man für seine Existenz und den Standort Ruhrgebiet gute Gründe finden – die Geschichte des Kohle-Abbaus eben. Nach Berlin fahren viele Menschen nur wegen der reichhaltigen Kunstmuseen, das hat eine Hauptstadt nun einmal zu bieten. Berlin glänzt aber auch mit kuriosen Ausstellungen, für die es natürlich ebenfalls lokale Begründungen gibt.

Einheitsladen für Berliner Currywurst. (Foto Pöpsel)

Einheitsladen für Berliner Currywurst. (Foto: Pöpsel)

Da rühmt sich das „Spy-Museum Berlin“ zum Beispiel damit, die Geschichte der „Hauptstadt der Spione“ zu zeigen, multimedial natürlich und mit 350 Ausstellungsstücken auf 32.000 Quadratmetern. Ebenfalls auf die Teilung der Stadt geht das „DDR-Museum“ in der Nähe des Doms zurück, passend an der Karl-Liebknecht-Straße angesiedelt.

Auch auf die damalige Ostzone gehen das „Trabi-Museum Berlin“ in der Nähe des Checkpoint Charlie und das „1. Berliner DDR-Motorrad-Museum“ zurück. Letzteres zeigt neben dem Alexanderplatz ausschließlich „The History of east german Motorbike Production“. Besonders bekannt in dieser Reihung ist die „East Side Gallery“, das bemalte Stück Berliner Mauer, ein Freiluft-Museum, das ständig durch Bauherren gefährdet ist.

Eine Einrichtung allerdings weckt im Ruhrgebiet zwiespältige Gefühle: Das „Currywurst-Museum“ an der Schützenstraße / Ecke Friedrichstraße, eine „interactive exhibition“. Schließlich sieht sich der Ruhrpott genauso wie Berlin als Geburtsstätte dieser kulinarischen Spezialität. Herbert Grönemeyer hat sie besungen, und während hier im Westen die Bratwurst als Grundlage dient, wird in der Hauptstadt eine Knackwurst zerschnibbelt.

Vielleicht macht ja mal jemand in Dortmund ein konkurrierendes Currywurst-Museum auf, oder zumindest ein Museum für die berühmte „Pommes Schranke“. Aber dann kommt bestimmt wieder ein Belgier und nimmt das Urheberrecht für sich in Anspruch.




Bochum-Weitmar: „Museum unter Tage“ im Schlosspark zeigt nicht Bergbau, sondern Kunst

Im Bergbaumuseum Bochum war schon so mancher zu Gast, und als im vergangenen Jahr im Schlosspark Weitmar das „Museum unter Tage“ eröffnet wurde, da hatten sogar wir im ersten Moment die Assoziation: Noch einmal Bergbau, noch mehr Ruhrgebiet. Nichts davon findet man an diesem überraschenden Ort im Bochumer Süden.

Eingang in die Unterwelt. (Foto Pöpsel)

Eingang in die Bochumer Kunst-Unterwelt. (Foto: H. H. Pöpsel)

Vor einigen Jahren schon setzte die Stiftung „Situation Kunst“ in die alte Schlossruine einen Kubus als Ausstellungsgebäude, das im vergangenen Jahr auf dem benachbarten Grundstück eine sehr attraktive Ergänzung bekam. Oberhalb der Bodenfläche entstanden lediglich drei kleine quadratische Gebäude als Zugangsräume, die in die Kunst-Unterwelt führen. Und das ist eine fast 2000 Quadratmeter große, zur Zeit in 18 Kojen aufgeteilte weiße Ausstellungshalle, hell beleuchtet und klimatisiert. Steht man im Park, sieht man nur eine rechteckige Kiesfläche, die das Ausmaß der darunter liegenden Kunsträume spiegelt. Die Idee und Ausführung überraschen in sehr positivem Sinne.

Seit der Eröffnung dieses Museums unter Tage werden dort unter dem Titel „Weltsichten“ Landschaftsbilder in der Kunst seit dem 15. Jahrhundert gezeigt, allesamt aus dem Bestand der Stiftung, die der Ruhr-Universität angegliedert ist. Nicht nur Bilder eher unbekannter Maler kann man entdecken, auch chinesische Zeichnungen und Gemälde von Künstlern mit großem Namen wie Courbet und Corot, Cezanne, Paul Klee und Picasso hängen an den weißen Wänden. Man darf gespannt sein, mit welchen Bildern später einmal diese moderne Ausstellungsfläche gefüllt sein wird.

Aber nicht nur das Museum ist einen Besuch wert. Auch der von der Stadt Bochum in Absprache mit der Besitzerfamilie Berswordt sehr behutsam rekonstruierte Schlosspark strahlt eine angenehme Ruhe aus. An schönen Tagen werden die Wiesenflächen wie selbstverständlich zum Sonnenbaden genutzt. Nur Stille darf man nicht erwarten, denn das leichte Rauschen von der belebten Hattinger Straße hört man überall.

Museum unter Tage. Nevelstraße 29 c in 44795 Bochum. Mi-Fr 14-18 Uhr, Sa, So und an Feiertagen 12-18 Uhr, Eintritt 5 €, ermäßigt 3 €.

Internet: http://www.situation-kunst.de/mut.htm




Die älteste deutsche Schraubenfabrik in Ennepetal produziert die berühmte „Spax“

Seit mehr als vier Jahrzehnten geht es immer zu Pfingsten im Ennepetaler Bremenstadion rund: Jeweils acht internationale Fußball-A-Juniorenmannschaften kämpfen um den Spax-Cup. In diesem Jahr sind das neben dem TuS Ennepetal und Schalke 04 der VfL Wolfsburg, der Hamburger SV, der FC Liverpool und FC Arsenal sowie aus Brasilien die Kicker von Atletico Mineiro und Fiuminense. Beim Namen Spax-Cup bekommen begeisterte Heimwerker große Augen, denn die Spax kennen sie als eine ganz besondere Schraube.

Eine ABC-Mustertafel aus den 50er Jahren. (Foto Pöpsel)

Eine ABC-Mustertafel aus den 50er Jahren. (Foto: H.H.Pöpsel)

Schon 1823 wurde die Firma Altenloh, Brinck & Co. als erste deutsche Schraubenfabrik in der Gemeinde Milspe gegründet, das ist heute der Stadtkern von Ennepetal, und unter der Abkürzung ABC produziert das Unternehmen immer noch sehr erfolgreich. Bereits 1856 gründete ABC als eine der ersten Firmen in Deutschland eine eigene Betriebskrankenkasse, 1857 führte man eine Dampfmaschine für die unabhängige Energieversorgung ein, und mit einem Holzschrauben-Vollautomaten begann 1866 die industrielle Massenfertigung von Schrauben. Der große Durchbruch kam jedoch vor genau fünf Jahrzehnten mit der Entwicklung der Universalschraube Spax, die sich mit einem eigenen Gewinde in den Werkstoff hineinschneidet.

Heute hat die ABC-Firmengruppe neben dem Stammwerk in Ennepetal Produktionsstandorte in Gevelsberg und Hattingen sowie an zwei Orten in der Nähe von Paris. Außerdem baute ABC Vertriebsgesellschaften in England, Polen, Frankreich, Spanien, der Türkei und in den USA auf. Mit ähnlichen Unternehmen in Malaysia und Japan gibt es Allianzen. Wenn auch seit einigen Jahren aus Fernost qualitativ schwächere Kopien der Spax-Schraube auf den Markt kommen, vertrauen doch vor allem Handwerksbetriebe auf das Original aus Ennepetal.

Auch ein Alter von 193 Jahren, das das Unternehmen ABC inzwischen auf dem Buckel hat, führt also nicht unbedingt zu Schwäche. Als Fußballsponsor wie beim Spax-Cup jedenfalls spielt es eine ziemlich jugendliche Rolle. Im vergangenen Jahr gewannen übrigens die Brasilianer von Atletico Mineiro das Pfingstturnier.




Bochumer Schauspielhaus als Krimi-Schauplatz

Kriminalromane, die in einer identifizierbaren Stadt oder Region spielen, gibt es inzwischen in großer Menge, und auch das Ruhrgebiet als Schauplatz böser Taten kommt nicht zu kurz. In diese Gruppe reiht sich auch der Germanist und pensionierte Lehrer Rainer Küster mit einem Bochum-Krimi ein. Diese „Schuldenspiele“ ereignen sich überwiegend im Schauspielhaus, das wir doch sonst nur als trauten Ort der schönen Künste kennen.

Schuldenspiele

Als Gast-Star hat in einer „Wilhelm-Tell“-Inszenierung ein berühmter Schweizer Schauspieler die Hauptrolle übernommen, und dieser Star ist in der Nacht nach einem seiner umjubelten Auftritte plötzlich verschwunden. Angekündigte Vorstellungen müssen abgesagt werden, Unruhe unter Kolleginnen und Kollegen und größte Besorgnis bei der Intendantin sind selbstverständlich.

Der Hauptkommissar Erich Rogalla, ein etwas mürrischer Mann aus Wattenscheid, wird mit der Untersuchung beauftragt. Er findet zunächst nur Blut auf der Treppe des Gästehauses, aber keinen Schauspieler. Erst später kommen die Leiche und Erklärungen hinzu, und entsprechend wird der zweite Teil des Buches nach und nach spannender – natürlich gibt es hier nicht die Auflösung, aber am Titel kann man schon sehen, in welche Richtung es geht.

Auch bei Rainer Küster liegt ein Reiz der Lektüre am Schauplatz. Nicht nur das Schauspielhaus, auch die genannten Straßen und Plätze Bochums und die markanten Gebäude lassen den Ortskundigen in sein eigenes Bild dieser Stadt eintauchen.

Eher störend wirkt, dass Küster mit seinem Hauptkommissar immer wieder Klischees über das Ruhrgebiet und über die Westfalen sowie Vorurteile über Theaterkultur transportiert, die der Krimi-Atmosphäre eher schaden. Man wird den Verdacht nicht los, dass hier ein Autor seine eigenen Vorstellungen projiziert. Trotzdem: Für Freunde eines recht spannenden Lokalkrimis lohnt sich dieses Taschenbuch.

Rainer Küster: „Schuldenspiele“. Universitätsverlag Dr. Brockmeyer Bochum, 272 Seten, 12,90 €. (ISBN 978-3-8196-1015-8)




Werden wirklich viele alte Menschen arm sein?

Im Herbst 2017 wird es wieder Wahlen zum Deutschen Bundestag geben, und schon hört man im Hintergrund das Säbelrasseln. Die CSU möchte die zukünftigen Rentner beglücken und weiß die Sozialdemokraten an ihrer Seite. Mit der Behauptung, im Alter sei fast die Hälfte der Mitbürger von Armut bedroht, wird der Ruf nach einer Rentenreform auf Kosten der jetzt noch berufstätigen Generationen laut.

Aber stimmt das wirklich? Werden tatsächlich so viele Menschen im Alter arm sein? Dietrich Creutzburg ist jetzt dieser Frage in der Samstagausgabe der FAZ nachgegangen, und er nennt sein Ergebnis „Das Märchen von der Altersarmut“. Zumindest nachdenken kann man über seine Berechnungen.

Zwei Rentner im Park. (Foto Fischer-Pöpsel)

Zwei Rentner im Park.
(Foto Fischer-Pöpsel)

An dieser Stelle sollen einmal nur die von Creutzburg genannten Zahlen zur Diskussion stehen: Nach dem aktuellen Rentenbericht und der Prognose der Ministerin Andrea Nahles werden die Renten bis 2029 bei angenommener jährlicher Steigerung von 2 Prozent um insgesamt rund 41 Prozent steigen.

Im vergleichbaren Prognose-Zeitraum, nämlich in den vergangenen 15 Jahren, haben sich die Verbraucherpreise um insgesamt etwa 25 Prozent erhöht. Wenn diese Entwicklung so fortgeschrieben wird, „werden die Renten 2029 auch real, also preisbereinigt, 15 Prozent mehr wert sein als heute“, schreibt Creutzburg. Eine Durchschnittsrente von 1000 Euro steigt also nach Nahles‘ Prognose bis 2029 auf 1400 Euro, in heutigen Preisen gerechnet also auf einen Wert von 1150 Euro. „Verschärfte Altersarmut folgt daraus nicht“, schreibt der Autor.

Aber es gibt doch jetzt schon so viele Mini-Renten, rufen die Sozialverbände. Horst Seehofer hat sogar vermutet, dass bald „die Hälfte der Bürger“ auf Grundsicherung angewiesen sein könnte.

Auch dazu nennt Creutzburg Zahlen: Zur Zeit seien nur etwa 3 Prozent der Bürger über 65 Jahre auf Grundsicherung angewiesen. Natürlich sei der Anteil der Rentner, die nur eine kleine gesetzliche Rente erhalten, deutlich höher als 3 Prozent. Das habe aber meist andere Gründe – Beamte zum Beispiel, die neben ihrer Versorgung aus früheren Tätigkeiten eine gesetzliche Minirente beziehen, oder Ärzte, Anwälte und andere Berufsgruppen, die Versorgungswerken angehören. Auch werde in manchen Berechnungen bei Ehepaaren mit ungleichem Einkommen der Partner mit dem geringeren Einkommen automatisch als arm gewertet, „auch wenn der Haushalt finanziell gut ausgestattet ist“.

Es lohnt sich also meines Erachtens, auch in so schwierigen Fragen wie der Altersversorgung auf die Fakten zu achten, ohne das Schicksal der wirklich armen Mitbürger aus den Augen zu verlieren.




Nüchterner Blick auf die Ursachen und Folgen der „Flüchtlingskrise“

Kaum ein Problemfeld ist so stark von Emotionen geprägt oder genauer mit ihnen belastet wie die sogenannte Flüchtlingskrise.

Oft naive Hilfsbereitschaft auf der einen Seite, starke Ablehnung oder nur leichte Überfremdungsängste auf der anderen Seite bestimmen die Diskussion in Europa, seitdem Millionen Menschen aus Krisen- und Armutsgebieten in die reiche Europäische Union migrieren. In dieser Situation tut eine Versachlichung, wie sie der Politikwissenschaftler Stefan Luft jetzt vorgelegt hat, sehr gut.

Fluecht

In der Taschenbuchreihe Beck Wissen fasst der bereits einschlägig mit ähnlichen Veröffentlichungen hervorgetretene Bremer Privatdozent „Ursachen, Konflikte und Folgen“ der massenhaften Wanderung von Menschen in aller Welt zusammen, natürlich mit dem Schwerpunkt der Flüchtlingsströme nach Mitteleuropa seit dem Spätsommer 2015.

Stefan Luft liefert klare Definitionen der einzelnen Migrationsgruppen und bedient sich auch zahlreicher Statistiken. Er relativiert damit so manche in der Größenordnung überschätzte Zuwanderer-Zahl. Weltweit, zum Beispiel, beträgt der Anteil der grenzüberschreitenden Migration nur 0,6 Prozent der Bevölkerung. Das soll aber auch bei Luft nicht heißen, dass die derzeitige Situation in Deutschland zum Beispiel problemlos wäre.

Der Privatdozent geht auch auf die emotionale Belastung der Bevölkerung in den Aufnahmeländern ein. Er kritisiert, dass die Politik in der EU im vergangenen Jahr trotz deutlicher Hinweise der UNO nicht rechtzeitig reagiert hat, und er sagt auch, dass ein Gelingen von Integration ganz deutlich von der Größe der zugewanderten Gruppe abhängt. Das kann man auch als Argument für eine sogenannte „Obergrenze“ lesen.

Auch auf die Rolle der Religion geht der Wissenschaftler ein, und in seinem Ausblick referiert er die Forderungen des UNHCR: Genau wie zum Beispiel in der Verteidigungspolitik müsse es dringend einen europäischen Konsens über die Aufnahme und Integration derjenigen Migranten geben, die nicht in ihre Herkunftsländer zurückkehren können oder die nicht in andere Länder umgesiedelt werden, zum Beispiel nach Kanada oder in ähnliche Zielgebiete. „Die Unterstützung durch ökonomisch starke Staaten ist in jedem Fall unumgänglich“ schreibt er, und das heißt: Es wird sehr viel Geld benötigt.

Stefan Luft: „Die Flüchtlingskrise. Ursachen, Konflikte, Folgen“. Reihe Beck Wissen, München 2016. 128 Seiten, 8,95 €




Vom mühsamen Neubeginn nach dem Krieg

Wer die Fernsehbilder aus Syrien oder Libyen sieht, der kann sich kaum vorstellen, wie einmal aus diesen Trümmern eine neue Gesellschaft und ein Neuaufbau auch in ganz handfestem Sinne entstehen könnte. Dazu sei ein Rückblick auf das Jahr 1945 in Deutschland erlaubt. Vor gut sieben Jahrzehnten sahen unsere Städte auch so aus, vielleicht noch stärker zerstört, und auch hier gab es Hunger und Tod und vor allem viele traumatisierte Kinder und Erwachsene.

Gefangene deutsche Soldaten im April 1945 auf einer Wiese in Ennepetal.

Gefangene deutsche Soldaten im April 1945 auf einer Wiese in Ennepetal. (Foto: Stadtarchiv Ennepetal)

Natürlich war die Versorgung mit Nahrungsmitteln und Wohnungen zunächst das größte Problem. Die Besatzungstruppen organisierten die Grundversorgung, wenn auch nicht überall erfolgreich, und außerdem funktionierte der Schwarzmarkt sehr schnell – nach dem Motto: Schattenwirtschaft ist auch eine Wirtschaft.

Unbelastete Männer

Politisch sorgten sich die Alliierten sofort um die Verdrängung der faschistischen Strukturen und Ideologie. Beim Vormarsch setzten sie in allen befreiten Gemeinden unbelastete Deutsche als Bürgermeister oder Gemeindevorsteher ein. Teilweise brachten sie diese Kandidaten sogar schon mit. Außerdem entstanden in vielen Städten unmittelbar nach der Befreiung die sogenannten „antifaschistischen Ausschüsse“, die sich um die Installation einer demokratischen Selbstverwaltung kümmerten.

Am Beispiel des Amtes Milspe-Voerde, der späteren Stadt Ennepetal, kann man das weitere Vorgehen aufzeigen: Der von den Amerikanern bestimmte Amtsbürgermeister, ein von den Nazis 1933 entlassener Sozialdemokrat, setzte drei Monate nach dem Ende der Diktatur einen „Amtsausschuss“ ein, dem ausschließlich unbelastete Männer angehörten. Dieser Ausschuss organisierte den Neuaufbau der Verwaltung und war bis Herbst 1946 im Amt, denn die alliierte Militärverwaltung hatte in der Zwischenzeit die Neu- oder Wiedergründung demokratischer Parteien zugelassen.

Wahlbeteiligung bei 80 Prozent

Am 15. September 1946 gab es dann in der Britischen Zone auf kommunaler Ebene die ersten freien Wahlen seit dem Ende des NS-Regimes. Im Amt Milspe-Voerde, unserem Beispiel, erhielt die SPD 18 Sitze, die CDU bekam drei Sitze, die FDP 2 und die KPD einen Sitz. Die 24 Sitze entfielen ausschließlich auf Männer. Die Wahlbeteiligung lag bei etwa 80 Prozent.

Zwei Jahre später, am 17. Oktober 1948, gab es die zweite Wahl, und in der erhielt im Amt Milspe-Voerde die FDP mit sieben Sitzen die selbe Anzahl an Mandaten wie die CDU, und die Liberalen stellten sogar danach den Bürgermeister, der wegen des Patts in der Amtsvertretung per Los ins Amt kam.

Von „unbelasteten“ Personen konnte man da aber nicht mehr sprechen, denn dieser FDP-Bürgermeister Dr. Fritz Textor war seit 1933 in der SA und seit 1937 in der NSDAP und ein aktiver Unterstützer der NS-Ideologie gewesen. Trotzdem widmete ihm der Rat der Stadt Ennepetal später eine Straße. Ein „Neuaufbau“, wie er in vielen Städten unseres Landes abgelaufen ist.




Vor 70 Jahren: Als es das Essen nur auf Lebensmittelmarken gab

Manchmal wird ja so geredet oder geschrieben, als bräche mit dem Einzug der Migranten in unser Land die Welt zusammen. Was wirkliche Not ist, das wissen oft nur noch Mitmenschen, die heute 75 Jahre oder älter sind, denn die haben die Jahre des Hungers nach dem Zusammenbrauch der Naziherrschaft miterlebt, miterlitten.

Lebensmittelkarte von 1946

Lebensmittelkarte von 1946

Damals hatten zwar die meisten Menschen noch die Reichsmark in der Tasche, aber die dazu passenden Waren fehlten. Auch die Besatzungsmächte mussten planwirtschaftlich den Mangel per Lebensmittelkarten verwalten. Eine solche 70 Jahre alte Karte kann man hier sehen. Für jedes Brot, für jedes Nudelpäckchen oder Mehltütchen, für jedes Gramm Fett musste mit der Schere ein kleiner Schnipsel abgetrennt und abgegeben werden, doch meistens reichte das nicht einmal, um satt zu werden. Außerdem handelten manche verbotenerweise mit den Marken, um Tabak oder Alkohol auf dem Schwarzmarkt zu ergattern.

Einzelne Berufsgruppen wurden jedoch von den Alliierten bevorzugt, weil sie besonders schwere Arbeit zu verrichten hatten oder volkswirtschaftlich besonders wichtig waren, Bergleute zum Beispiel. Außerdem setzte schon bald nach Kriegsende der von Amerika aus organsisierte Versand der Care-Pakete ein. Manche werden sich noch an den rötlichen Käse erinnern, der in Dosen abgegeben wurde. In den Schulen gab es zudem die sogenannte Quäker-Speisung, auch sie war von privaten christlichen Vereinigungen in den Vereinigten Staaten organisiert.

Erst mit der Währungsreform im Sommer 1948 und der Aufgabe der Lebensmittel-Planwirtschaft gab es wieder alle Dinge des täglichen Bedarfs zu kaufen. Der Magel an Gütern war beendet, nur war umgekehrt ab diesem Zeitpunkt für viele das gute Geld knapp.




„Geschichte im Westen“ – zur 30. Ausgabe der verdienstvollen Zeitschriften-Reihe

„Tief im Westen“ krächzte Grönemeyer einst ins Mikrofon, und im Revier wusste jeder sofort Bescheid: Der Westen, das ist hauptsächlich das Ruhrgebiet, aber auch ganz Nordrhein-Westfalen zählt sich zum Westen der Republik.

Es gibt sogar seit einiger Zeit die Diskussion, ob in einem Europa der Regionen das wirtschaftlich starke NRW nicht besser in einem Staatenbund mit den Benelux-Ländern aufgehoben wäre als in der so bayernlastigen Bundesrepublik. Wer weiß, wie lange die Nationalstaaten alter Prägung noch existieren – und weil Historiker in langen Zeiträumen rechnen, gibt es in der Reihe „Geschichte im Westen“ auch dieses Thema.

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Mit Druckkosten-Hilfe der beiden Landschaftsverbände Rheinland (LVR) und Westfalen-Lippe (LWL) gibt es im Essener Klartext-Verlag seit nun drei Jahrzehnten die Zeitschriften-Reihe „Geschichte im Westen“. Natürlich ist das Wort Hefte untertrieben, denn es handelt sich jeweils um veritable Bücher. Die jetzt erschienene Nummer 30 hat als Schwerpunkt das Thema „Europa und Region – Nordrhein-Westfalen, Belgien und die Niederlande“. Die Autoren – überwiegend Historiker an Hochschulen – beschäftigen sich unter anderem mit den Wirtschaftsbeziehungen der Länder, mit polizeilicher Zusammenarbeit, mit politischen Grenzen als Sprachgrenzen und mit der Entstehung des Mehrebenen-Systems in Nordrhein-Westfalen nach dem Zweiten Weltkrieg.

Außerhalb dieses Schwerpunktes findet sich ein Aufsatz von Professor Dr. Ulrich Pfeil von der Universität in Metz (Lothringen), der sich mit der nationalsozialistischen Vergangenheit des ersten Bürgermeisters der 1949 gegründeten Stadt Ennepetal befasst. Jener FDP-Politiker Dr. Fritz Textor war gegen den Widerstand der Sozialdemokraten und der KPD per Losentscheid ins Amt gekommen, und als der Stadtrat jetzt eine neu gebaute Straße nach Textor benannte, gab es erneut heftige Proteste, die jedoch ohne Erfolg blieben. Mit knapper Mehrheit lehnte der Stadtrat trotz des eindeutigen Gutachtens von Professor Pfeil eine Umbenennung ab. So kommt es, dass Ennepetal nicht nur vier Straßen nach honorigen NS-Widerstandskämpfern benannte, sondern auch eine Straße dem seinerzeit aktiven SA-Mann und NSDAP-Mitglied Textor widmete und im Wissen um seine Vergangenheit diese Widmung per Beschluss ausdrücklich bestätigte.

In den Schwerpunkt des Buches passt dieser Dr. Textor trotz anderer Ankündigung doch etwas hinein: Als Kulturrat nämlich war er während der deutschen Besatzung in Brüssel für die Bemühungen um die Germansierung der Wallonen mitverantwortlich. Deshalb heißt der Artikel von Pfeil über ihn auch „Von einem ,Westforscher‘ der zweiten Generation“. Textor war nach dem Krieg übrigens nicht nur Bürgermeister, sondern auch Direktor des Gymnasiums und Schulbuchautor.

„Geschichte im Westen“. Zeitschrift für Landes- und Zeitgeschichte. Jahrgang 30 (erschienen im Dezember 2015): „Europa und Region – Nordrhein-Westfalen, Belgien und die Niederlande“. Klartext-Verlag Essen, 226 Seiten, 25 Euro.




Vom Rückfall in die Barbarei – Heinz Helles Endzeit-Roman „Eigentlich müssten wir tanzen“

In eine verstörende Endzeit-Situation zieht der Schweizer Autor Heinz Helle die Leser in seinem zweiten Roman „Eigentlich müssten wir tanzen“, der für den Deutschen Buchpreis nominiert war und diese Auszeichnung durchaus verdient gehabt hätte.

Eine Gruppe von fünf Freunden, eine typische Männerrunde, verabredet sich zu einem Wochenende in einer abgelegenen Berghütte, und als sie wieder zurück wollen in ihren Alltag, finden Sie eine zerstörte Welt vor. Abgebrannte Häuser und Wälder, Leichen überall, kein Trinkwasser und keine Lebensmittel.

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Durch diese Endzeit-Welt versuchen sich die Männer durchzuschlagen – aber wohin?

Nach und nach geht die Hoffnung verloren, nach und nach verschwinden die Reste der Zivilisation im Verhalten der nun ehemaligen Freunde, ohne moralische Skrupel liefern sie den jeweils anderen seinem Sterben aus.

In 69 kurzen Kapiteln berichtet der 37jährige Autor sachlich und ohne Belehrung oder Wertung, was Menschen in einer solchen Situation erlebt und gedacht haben könnten. Zum Schluss bleibt dem Erzähler – einem nicht näher Benannten aus der Gruppe – nur der hypothetische Ausblick auf ein Leben in Sicherheit, wie es ohne diesen Zusammenbruch hätte gelebt worden sein können.

Ein hoffnungsloses Buch? Zum einen sehr wohl, denn es zeigt, dass ohne die kulturellen Errungenschaften unserer Gesellschaft der Mensch nichts ist, dass wir zurückfallen können in die Barbarei, in eine Welt, in der alle einsam und ohne Sinn vor sich hin vegetieren. Andererseits will Heinz Helle uns wohl auch Mut machen, uns auf das zu konzentrieren, was in unserer heilen Welt an Glück oder Sinn möglich sein kann, auch wenn wir letztlich alle sterben müssen.

Heinz Helle: „Eigentlich müssten wir tanzen“. Roman, Suhrkamp, 173 Seiten, 19,95 €.




DVD-Doku zeigt, wie die Amerikaner im April 1945 nach Westfalen kamen…

Im Frühjahr 1945 endete der Zweite Weltkrieg, weil sowjetische und amerikanische Truppen mit ihren Verbündeten von mehreren Seiten das „Reich“ in die Zange nahmen. Auch in Westfalen durchkämmten US-Soldaten Dorf für Dorf, Stadt für Stadt, um Deutschland von der Naziherrschaft zu befreien. Dabei nahmen sie auch Kamerateams mit, die den Einsatz aus amerikanischer Sicht filmten. Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe hat aus diesen Aufnahmen eine eindrucksvolle DVD über Westfalen zusammengestellt.

Als zum Beispiel der Kulturverein der Stadt Sprockhövel vor einigen Tagen diese neue DVD öffentlich aufführte, war der Saal proppevoll. Die überwiegend älteren Besucher waren bei Kriegsende Kinder oder Jugendliche gewesen und erinnerten sich nur in Details an die Ereignisse rund um Ostern des Jahres 1945. Die Dokumentation auf der Leinwand zeigte ihnen natürlich nur das einseitige Bild der amerikanischen Kameraleute, die ihre Aufnahmen auch für die Kino-Wochenschauen in der Heimat drehten.

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In den Schwarz-Weiß-Filmausschnitten, die der LWL aus acht Stunden Material des National-Archivs Washington zusammengestellt hat, kommen neben Kampfhandlungen und Kriegszerstöungen durch die Bomben auch die Folgen der Grausamenkeiten in den Lagern für Fremdarbeiter und Kriegsgefangene und die Internierung von NS-Funktionären vor. Die Sieger zeigen sich bei Paraden und Trauerfeiern für ihre gefallenen Kameraden, und von den deutschen Menschen sieht man einen erstaunlich schnellen Übergang in die Normalität des Alltagslebens in Friedenszeiten.

Aus Westfalen sind unter anderem Szenen aus folgenden Gemeinden und Städten zu sehen: Altenhundem und Würdinghausen im Kreis Olpe, Bad Salzuflen, Beckum, Bochum, Gelsenkirchen, Haltern, Hamm, Menden, Hemer, Münster, Olpe, Herne, Lügde, Minden, Paderborn, Stuckenbrock, Elspe, Recklinghausen, Dortmund, Schmallenberg, Soest und Siegen, Wehrden, Suttrop bei Warstein und Witten. Die Idee zu dieser Zusammenstellung bisher überwiegend unveröffentlichter Aufnahmen hatte Professor Markus Köster, der Leiter des LWL-Medienzentrums. Dort kann man die DVD auch privat erwerben.

Als die Amerikaner kamen. US-Filmaufnahmen vom Kriegsende 1945 in Westfalen. DVD mit Begleitheft, 14,90Euro. Bezug im LWL-Medienzentrum für Westfalen, Fürstenbergstr. 14, 48147 Münster. E-Mail: medienzentrum@lwl.org.




„Tödliche Camargue“: In Südfrankreich wird weiter stilecht gemordet

Der Dumont-Verlag hat in dem GEO-Redakteur Cay Rademacher einen Krimiautor gefunden, der Spannung mit sicherem Stil und sprachlicher Eleganz verbindet. Davon kann man sich auch in seinem zweiten Provence-Krimi überzeugen, in dem wieder Capitaine Blanc ermittelt.

Ging es im ersten Band noch um Korruption im Bauwesen, so spannt er nun im Buch „Tödliche Camargue“ den Bogen weiter und lässt die blutige Tat in einem Zusammenhang zur jüngeren Zeitgeschichte stehen.

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Roger Blanc war seinerzeit von einem Tag zum anderen aus Paris in die Provence versetzt worden, weil er in der Hauptstadt mit seinen Korruptionsermittlungen einigen Politikern zu heftig auf den Fuß getreten war. Zufällig hat er vor Jahren in der Nähe von Salon eine halb verfallene Ölmühle geerbt, die er nun wieder herrichten lässt, während er gleichzeitig in schwierigen Mordfällen ermitteln muss.

In der Camargue spießt ein wilder Bulle einen Radfahrer auf und tötet ihn. So beginnt das Buch. Das Opfer ist ein in Frankreich bekannter Journalist, und Blanc vermutet sofort und zu Recht, dass jemand absichtlich das Gatter geöffnet hat, um die Bluttat herbeizuführen. Geschickt baut der Autor mehrere Verdachtslinien auf, doch der Krimi endet überraschend.

Zusätzlichen Reiz erhält die Geschichte durch das sehr erotische Verhältnis zwischen Blanc und der selbstbewussten Untersuchungsrichterin, die zudem die Gattin genau jenes Staatssekretärs ist, der hinter Blancs Versetzung in die Provence steckte. Allerdings bleibt nach dem Lesen der wohlige Eindruck, dass die Abschiebung des Capitaine nach Südfrankreich eher ein Glücksfall für ihn war. Hoffentlich sind seine Ermittlungen nicht so bald beendet.

Cay Rademacher: „Tödliche Camargue. Ein Provence-Krimi mit Capitaine Roger Blanc“. Dumont, 304 Seiten, 14,99 €




Aus Köln in die Provence – eine interessante musikalische Geschäftsidee

Wenn der Sommer kommt und das Musizieren in deutschen Konzert- und Opernhäusern ausfällt, dann haben die Musikanten Zeit und kommen auf interessante Ideen. In der Provence zum Beispiel sieht man immer im August und September ähnliche Plakate, auf denen ein „Kammerensemble Cologne“ für ein Konzert in der jeweiligen Dorfkirche wirbt.

Konzert in der Dorfkirche für 20 Euro. (Foto: H.H.Pöpsel)

Konzert in der Dorfkirche für 20 Euro. (Foto: H.H.Pöpsel)

Das sind mehr oder weniger junge Leute, die mit ihren Instrumenten über das Land ziehen und sich das Leben in einer wunderschönen Landschaft, das gute Essen und den Aufenthalt bei meist sonnigem Wetter durch ihre Auftritte in den mittelalterlichen Städten und Dörfern Südfrankreichs verdienen. Sie werben mit dem Namen Köln und spielen Mozart und Vivaldi, Telemann und Bach. Musiziert wird fast immer in der Dorfkirche, manchmal auch im Gemeindesaal, und wer die Lebenshaltungskosten an der Côte d’Azur kennt, der wird sich auch nicht über den Eintrittspreis von zwanzig Euro für Erwachsene wundern.

Modern würde man das eine „Win-Win-Situation“ nennen. Die Musiker verdienen sich den Sommer, die Touristen und einheimische Musikfreunde bekommen ein ausgereiftes Konzerterlebnis, und die schöne Stadt Köln wird noch bekannter, als sie eh schon ist. Viva Colonia.




Die Babywälder füllen sich mehr und mehr

Man kennt ja das angeblich chinesische Sprichwort: Ein Mann müsse im Leben ein Haus gebaut, einen Baum gepflanzt, ein Buch geschrieben und einen Sohn gezeugt haben. Nun ja, das mit dem Sohn wurde hierzulande gendermäßig mit „Kind“ getauscht, aber ansonsten sind das doch hehre Ziele. Zumindest das Baumpflanzen gut neun Monate nach der Zeugung setzt sich immer mehr durch – im „Babywald“, wie das Phänomen heißt.

Pflanztag im Hasper Babywald. (Foto Pöpsel)

Pflanztag im Hasper Babywald. (Foto: Pöpsel)

Meist in Kooperation mit den Krankenhäusern der Region sind vor etwa 15 Jahren die ersten Babywälder entstanden. In einem Forstbezirk oder bei Landwirten können die Eltern eines Neugeborenen, aber auch Paten, Großeltern oder Freunde einen Baum pflanzen, an dessen Stützpflock ein Schildchen mit dem Namen und dem Geburtstag des Kindes genagelt wird. Daraus ensteht dann nach und nach ein neuer Wald oder eine Streuobstwiese wie in Hagen-Haspe.

Pflanzen im Babywald kann man zum Beispiel in Gelsenkirchen und in Neuenrade, in Iserlohn, Herdecke und Menden, und wenn das Pflanzgebiet in Schwerte-Wandhofen mit 400 Bäumchen nicht schon ausgefüllt wäre, ginge der Betrieb auch dort weiter.

In Hagen-Haspe zum Beispiel begann man vor 13 Jahren zusammen mit dem Evangelischen Krankenhaus „auf dem Mops“, eine Fläche nahe der Hinnenwiese mit jungen Obstbäumen zu füllen. Die Bepflanzer müssen vorher eine Gebühr überweisen und sich entscheiden zwischen Apfel, Kirsche oder Pflaume. Zwei Mal im Jahr gibt es dann einen Pflanztag, und dabei helfen das Forstamt und die Freiwillige Feuerwehr.

Für die Obstbäume gibt es sogar eine Anwachsgarantie: Wenn ein Apfelbäumchen nicht so recht will, dann wird es eben durch einen neuen ersetzt. Und weil in Haspe so fleißig gepflanzt wird, ist der erste Babywald schon voll. Im letzten Herbst begann man deshalb auf einer anderen Wiese, und das Schönste ist: Wenn das im Babywald gewürdigte Kind einmal größer ist, dann darf es aus Herzenslust die Äpfel, Pflaumen oder Kirschen von seinem eigenen Baum ernten und verzehren.




Die Unternehmer-Familie Quandt und ihr Bezug zum Ruhrgebiet

Vor einigen Tagen ist Johanna Quandt, eine der reichsten Frauen der Republik, gestorben. Die Familie lebt zwar im hessischen Bad Homburg und mehrt dort ihr Vermögen mit den BMW-Besitzanteilen, aber es gibt seit langer Zeit eine enge Beziehung zum Ruhrgebiet. In Hagen gehörte das Unternehmen Varta zum Quandt-Kerngeschäft, und in Ennepetal lebte Günther Quandt, Johannas Schwiegervater, bis zu seinem Tod im Winter 1954.

Der Unternehmer war eng mit dem NS-Regime verbunden – geschäftlich und privat. Der Nazi-Propagandaminister Joseph Goebbels hatte ihm seine hübsche und zuvor schon untreue Frau Magda ausgespannt, und als nach der Scheidung Ende 1931 die Hochzeit mit Goebbels anstand, wurde sogar auf Quandts Gut Severin in der Nähe von Parchim (Mecklenburg) gefeiert – mit Adolf Hitler als Trauzeugen und Quandts ältestem Sohn Harald (10) als „Blumenkind“ in SA-Uniform. Die Braut war jene Magda Goebbels, die 1945 ihre fünf Kinder ermordete und sich dann selbst tötete.

Die Stockey-Villa zu Günther Quandts Lebzeiten. (Bild: Stadtarchiv Ennepetal)

Die Stockey-Villa zu Günther Quandts Lebzeiten. (Bild: Stadtarchiv Ennepetal)

Günter Quandt wurde nach dem Krieg als nationalsozialistischer Mittäter von den Alliierten interniert, und als er 1948 frei kam, erwarb er in Ennepetal-Milspe eine Unternehmervilla von der Witwe Stockey als Wohnsitz für sich allein. Die Wahl fiel vermutlich auf diesen Standort, weil er nahe an der Varta-Zentrale in Hagen lag. Über Weihnachten 1954 unternahm Quandt eine Reise nach Ägypten, wo er am Tag vor Silvester starb.

Sein zweiter Sohn Herbert heiratete später die kürzlich verstorbene Johanna, die ihr Vermögen bereits vor ihrem Tod an die beiden Kinder Susanne Klatten und Stefan Quandt verschenkt hatte.

Zufälligerweise gibt es noch eine indirekte Verbindung nach Ennepetal: Günther Quandts erste Ehefrau Magda besuchte als junges Mädchen eine katholische Klosterschule in Vilvoorde bei Brüssel, bevor sie mit ihrer Familie nach Berlin zog, und diese Stadt Vilvoorde ist seit mehr als vier Jahrzehnten die belgische Partnerstadt von Ennepetal.

Quandts Villa ging nach seinem Tod von den Erben in den Besitz der Stadt Ennepetal über, die dort zeitweise ihr Bauamt einrichtete. Heute gehören Park und Villa einem privaten Investor.




Frauen an die Macht – zumindest im EN-Kreis

Wenn am Abend des 13. September in Nordrhein-Westfalen die Stimmen der Wahlen der Bürgermeister und Landräte ausgezählt sind, dann ist dieser Abend auch ein Gewinn für den Vormarsch der Frauen in der Politik – zumindest im Ennepe-Ruhr-Kreis. Darauf deuten jedenfalls die Kandidaturen hin.

Gut 320.000 Einwohner hat der Kreis im Süden von Dortmund und Bochum, und diese Einwohner verteilen sich auf neun Städte. In Ennepetal kandidieren für den Bürgermeister-Posten die beiden Frauen Anita Schöneberg (SPD) und Imke Heymann (CDU / Grüne / FDP / Freie Wähler) gegeneinander – das Amt wird also auf jeden Fall weiblich besetzt werden.

In Breckerfeld bewirbt sich unter anderem die ehemalige WR-Redakteurin Dr. Petra Kappe (SPD) um die Nachfolge des Amtsinhabers Klaus Baumann, allerdings wird sie es in der bisher CDU-geführten Kleinstadt nicht leicht haben.

In den Städten Gevelsberg, Wetter und Sprockhövel wurden die Bürgermeister bereits zusammen mit den Gemeinderäten gewählt, dort errangen allerdings jeweils Männer die begehrten Positionen.

In Herdecke bewirbt sich die parteilose Amtsinhaberin Katja Strauss-Köster erneut und mit guten Chancen als Bürgermeisterin, in Hattingen hat der Journalist Dirk Glaser ebenfalls die Unterstützung mehrerer Parteien, und in der größten Stadt des Kreises, in Witten, will Bürgermeisterin Sonja Leidemann wiedergewählt werden – allerdings gegen den Willen ihrer SPD, die einen eigenen Kandidaten aufgestellt hat und die nun der Bürgermeisterin mit einem Partei-Ordnungsverfahren droht.

Auch um den Posten des Landrates beziehungsweise der Landräten des Ennepe-Ruhr-Kreises bewirbt sich mit Dr. Babett Bolle (CDU) eine Frau. Der bisherige Landrat und Sozialdemokrat Dr. Armin Brux tritt nicht mehr an, für ihn möchte sein Parteifreund Olaf Schade aus Hattingen, bisher Referent der Landtagspräsidentin in Düsseldorf, gewählt werden. Dazu müsste Schade aber Frau Dr. Bolle in den Wahlkabinen übertrumpfen.




Dortmunds Meisterwerke bitte länger zeigen!

„Schade, dass Anfang August schon wieder alles vorbei sein soll.“ Das meinte Rolf Pfeiffer Mitte Mai hier in den Revierpassagen, nachdem er die Ausstellung „Meisterwerke im Dortmunder U“ gesehen und beschrieben hatte. Der 9. August wird als letzter Besichtigungstag auf den Plakaten und Handzetteln genannt, und dieser schnelle Schluss wäre wirklich sehr, sehr schade.

Der Komplex "Dortmunder U" (Foto: Pöpsel)

Der Komplex „Dortmunder U“ (Foto: Pöpsel)

Man kann allen kunstliebenden Menschen nur empfehlen, dem Rat von Rolf zu folgen und sich an einem der noch verbleibenden Tage anzusehen, was in den Archiven der Dortmunder Museen an Schätzen schlief, die nun nur noch zwei Wochen zu sehen sein werden – wenn sich die Ausstellungsmacher nicht doch noch entschließen, den Bildern und Skulpturen von Beckmann, Macke, Liebermann und vielen anderen einen Nachschlag zu gewähren.

Noch interessanter wäre allerdings die Idee, den Gedanken einer ständigen „Dortmunder Gemäldegalerie“ wieder aufzugreifen, der im vorigen Jahrhundert zum Grundstein dieser ungewöhnlich reichhaltigen Sammlung führte. Die für die jetzige Ausstellung umgebaute 6. Etage im „U“-Turm zeigt sehr schön, wie ein solches Projekt einmal aussehen könnte.




Gesammelte Totenzettel

Unsere Mutter ist jetzt schon seit vielen Jahren tot, und als wir uns kürzlich während eines unserer Besuche bei der Schwester an die gemeinsame Kindheit erinnerten, kramten wir etwas wehmütig in der Kiste mit Erinnerungen an die Mutter. Zu den Sammelstücken gehört auch ein Kästchen mit Totenbriefen, die sie bei Beerdigungen erhalten und aufbewahrt hatte. Das ist wohl etwas sehr Katholisches.

Beisetzungen in katholischen Gemeinden beginnen fast immer mit einem Gottesdienst in der Kirche, und bevor man gemeinsam zum meist nahen Friedhof zieht, bekommen alle Teilnehmer am Kirchenausgang den sogenannten „Totenbrief“ in die Hand gedrückt. Dieses Blättchen ist etwas größer als DIN A 7 – damit es später als Lesezeichen ins Gesangbuch passt – und enthält neben einem Bibelspruch und dem Kreuz den Namen und die Lebensdaten des oder der Verstorbenen, manchmal auch den Geburts- und den Sterbeort, und in späteren Jahren auch den Namen der Druckerei.

Eine katholische Beerdigung in den 60er Jahren. (Foto: Pöpsel)

Eine katholische Beerdigung in den 60er Jahren. (Foto: Pöpsel)

Aus der großen Zahl der gesammelten Zettel kann man sehen, dass unsere Mutter zu Lebzeiten eine ungewöhnlich hohe Anzahl von Trauergottesdiensten besucht haben muss. Sie war eben sehr gläubig und ging auch zu Beisetzungen von Menschen, die sie nur oberflächlich kannte. Der älteste Nachweis in dem Konvolut stammt aus dem April 1963, nämlich von der Beisetzung ihrer eigenen Mutter, und der jüngste Zettel datiert vom 3. Juli 1996.

Natürlich finden sich in der Sammlung auch die Blättchen zur Beisetzung ihres Mannes – unseres Vaters – und zahlreicher anderer Verwandter, so dass sich allein während des Blätterns im Zettelkasten eine Summe von Erinnerungen einstellen konnte. Vielleicht ist das ja der eigentliche Zweck dieser Totenzettel, dass die Verstorbenen nicht so schnell vergessen werden.

Etwas befremdlich wirken auf uns heute manche Formulierungen, zum Beispiel zum Tode eines achtjährigen Mädchens, das „der göttliche Kinderfreund nach langer Krankheit zu sich in die Schar seiner Engel holte“. Katholisch eben.

Übrigens lautet der am häufigsten verwendete Bibelspruch „Herr, Dein Wille geschehe!“ Und wenn ein Bild hinzugenommen wurde, dann waren es fast immer die betenden Hände des Herrn Dürer.




Grüne Oasen zwischen den Städten

Die historischen Wandervereine aus Sauerland, Eifel und anderen deutschen Mittelgebirgsregionen haben so ihre Probleme mit dem Image und dem Nachwuchs, aber das ändert nichts daran, dass Wandern immer neue Freunde gewinnt.

Wer dann auf eigene Faust loszieht, der sucht passende Begleiter in Buchform. Die findet man für viele Gegenden im Düsseldorfer Droste-Verlag, zum Beispiel mit dem Freizeitführer für den Ennepe-Ruhr-Kreis. Unter dem Motto „Grüne Oasen zwischen den Städten“ werden darin 20 Wanderungen beschrieben.

Wird auch im Buch beschrieben: die Heilenbecke-Talsperre. (Foto: H.H.Pöpsel)

Wird auch im Buch beschrieben: die Heilenbecke-Talsperre. (Foto: H.H.Pöpsel)

Der Autor – oder auch Wanderführer – Jörg Mortsiefer durchstreifte den naturnahen Kreis im Süden der großen Ruhrstädte und beschreibt nicht nur den genauen Wegeverlauf, sondern liefert auch das jeweilige Streckenprofil. Er bewertet auch den Schwierigkeitsgrad der einzelnen Wanderungen, nennt die ungefähre Wanderzeit, geht auf Fauna und Flora ein und erläutert, wo es sie gibt, die kulturellen Sehenswürdigkeiten. Außerdem nennt er die Anfahrtmöglichkeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln und Einkehrmöglichkeiten an den jeweiligen Rundstrecken Die 20 Wanderungen haben eine unterschiedliche Länge, und natürlich findet man zu jeder Strecke eine farbige Karte.

Die Liste der Wandertipps beginnt im Norden an der Ruhr, rund um Hattingen und die Isenburg, geht weiter über Witten und Wetter, beschreibt die Elfringhauser Schweiz und den Harkortsee, die Glör- und die Heilenbecke-Talsperre im Süden, den Krägeloher Berg in Breckerfeld oder das Freizeitgebiet Hülsenbecker Tal in Ennepetal, aber auch das wunderschöne bergische Örtchen Beyenburg mit seiner spätgotischen Klosterkirche an der Grenze zu Wupertal.

In dieser Droste-Reihe kann man sich für unsere Region auch an Führern über das Bergische Land, den Kreis Mettmann, den Wupperweg oder mit Tipps für „20 Wanderungen zwischen Ruhr und Lippe“ bedienen.

Jörg Mortsiefer: „20 Wanderungen im Ennepe-Ruhr-Kreis“. Droste-Verlag, Düsseldorf, 128 Seiten, 9,90 Euro.




Eine Lehrerin im Jahre 1852

Gelegentlich hört man Eltern kleiner Jungen klagen, dass nicht nur im Kindergarten, sondern auch in der folgenden Grundschule ihr Sprössling fast ausschließlich dem Wirken von Erzieherinnen ausgesetzt sei. Dabei gibt es Lehrerinnen an Schulen noch gar nicht so lange.

Auch im Hattinger Rathaus hatten nur Männer das Sagen. (Foto Pöpsel)

Auch im Hattinger Rathaus hatten nur Männer das Sagen. (Foto Pöpsel)

Beispielhaft berichtet zu diesem Thema Gerhard Solbach im Märkischen Jahrbuch über die erste Lehrerin in Hattingen, und die kam erst vor gut 160 Jahren in den Schuldienst. Im „Amts-Blatt der Königlichen Regierung zu Arnsberg“ vom 9. Oktober 1852 wird in der Abteilung Personal-Chronik erwähnt: „Die Schulamts-Candidatin Caroline Weyland aus Iserlohn ist zur Lehrerin an der evangelischen Elementar-Schulanstalt zu Hattingen, Kreis Bochum, provisorisch ernannt worden.“

220 Kinder in einer Klasse

Diese Elementar-Schule war bis 1858 in einem der Fachwerkhäuser am historischen Kirchplatz untergebracht. Die Klassen waren bereits seit den 40-er Jahren überfüllt. Einer der Lehrer habe zeitweise 220 Schulkinder in einer Klasse unterrichten müssen, und deshalb beantragte der Schulvorstand, eine weitere Klasse einrichten zu dürfen und die Zuweisung einer sechsten Lehrkraft. Diese Stelle bekam jenes erwähnte Fräulein Weyland mit ihrer Ernennung am 21. Juli 1852. Sie war damit die erste Lehrerin in Hattingen, und in anderen Gemeinden der Region ging es mit der Zulassung von Frauen in den Schuldienst ähnlich zu.

Caroline Weyland hatte ihre Ausbildung in der Diakonissenanstalt in Kaiserswerth erhalten, der von dem evangelischen Theologen Theodor Fliedner begründeten Lehranstalt bei Düsseldorf. Die neue Lehrerin erhielt 120 Taler im Jahr als Gehalt – eine Summe, die für männliche Lehrer mit Familie zu gering gewesen wäre. Für ein unverheiratetes Fräulein hielt man die Summe jedoch für ausreichend, und so argumentierte der Schulvorstand auch ganz offen, dass man eine Lehrerin erbeten habe, weil sie billiger war. Allerdings versprach man dem Fräulein, dass sie bei Bewährung im Amt mit einer „angemessenen Gehaltserhöhung“ in einigen Jahren rechnen könne.

Auch Caroline Weyland hatte bis zu 120 Kinder in einer Klasse zu unterrichten. Zeitgleich mit ihrer Anstellung war auch für die unteren vier Klassen die Trennung nach Geschlechtern eingeführt worden. Die vom Schulvorstand versprochene Gehaltserhöhung bekam sie aber trotz Gesuch nicht bewilligt, weil der Schulvorstand davon ausging, dass „sich die Volksschullehrer in der Stadt durch Privatunterricht viel Geld verdienten“, wie Gerhard Solbach in seinem Aufsatz schreibt. Das sei aber wohl sehr übertrieben gewesen.




Vor 70 Jahren: Als das Ruhrgebiet im Frühjahr 1945 befreit wurde

In den vergangenen Wochen wurden wir zwei Mal deutlich darauf hingewiesen, was vor sieben Jahrzehnten in Deutschland geschah: Die Bombardierung Dresdens, ein Symbol für den Untergang des „Dritten Reiches“, jährte sich am 13. Februar, und nach dem Tod des früheren Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker kamen alle Würdigungen auf seine berühmte Rede vor dem Bundestag zu sprechen, in der er den Tag der Kapitulation des Deutschen Reiches am 8. Mai 1945 einen „Tag der Befreiung“ nannte. Was zum Kriegsende in der Rhein-Ruhr-Region geschah, soll hier kurz skizziert werden.

Mit der Landung alliierter Truppen in der Normandie ab dem 6. Juni 1944 begann das Ende des NS-Regimes im Westen. Am 21. Oktober 1944 wurde Aachen als erste deutsche Stadt befreit – während in anderen Reichsteilen weiter gekämpft und gestorben wurde. Erst Ende Februar kamen die Truppen der Alliierten an den Rhein – ein schwieriges Hindernis für den Vormarsch, denn die Deutsche Wehrmacht sprengte vor ihrem Rückzug sämtliche Brücken, zuletzt am 3. März 1945 im Bereich der Stadt Düsseldorf.

Die erste Überquerung des Rheins gelang dann den Amerikanern über eine Pontonbrücke am 7. März bei Remagen, und die aus Holland vorstoßende britische Armee überwand den Fluss erstmals am 24. März bei Wesel.

Weil gleichzeitig alliierte Trupen von Süden und Osten auf das Industriegebiet vorrückten, entstand nach und nach ein Kessel, der bekannte Ruhrkessel, in dem fast 300.000 Wehrmachtssoldaten eingeschlossen waren. Die Stadt Hamm wurde am 1. April befreit, und einen Tag später war der Ruhrkessel geschlossen.

Von Süden stießen die Alliierten über Siegen, Olpe und Schmallenberg vor, wo es noch heftige Kämpfe gab, und zu Ostern erreichten die Befreier die Ruhr. Am 18. April 1945 kapitulierten die eingeschlossenen Wehrmachtsteile im Ruhrkessel, die bedingungslose Kapitulation auf Reichsebene folgte erst an besagtem 8. Mai 1945. Hitler hatte sich schon am 30. April umgebracht.

Leider wurde im Osten Asiens weiter gekämpft. Am 6. und 9. August zündeten die Amerikaner über Hiroshima und Nagasaki ihre Atombomben, und darauf folgte mit der Kapitulation Japans am 2. September endlich das Ende dieses schrecklichen, von Deutschland begonnenen Weltenbrandes.




Draußen vor der Stadt: Landwehren, Ballspiele und Müllabfuhr im 16. Jahrhundert

Landwehren sind lang gestreckte Erdwälle, die im Mittelalter angelegt wurden, um das Territorium gegen Eindringlinge zu schützen oder um Räuberbanden die schnelle Flucht vor allem mit Fuhrwerken zu vereiteln. Darüber erschien hier vor drei Jahren bereits ein Artikel als „historisches Stichwort“. Jetzt gibt es zu diesem Thema ein sehr informatives neues Buch, dem sich interessante Einzelheiten entnehmen lassen. Das Werk entstand nach einer Fachtagung der Altertumskommission für Westfalen.

Heute wirkt Münster sauber und fröhlich. (Foto: Hans H. Pöpsel)

Heute wirkt Münster sauber und fröhlich. (Foto: Hans H. Pöpsel)

In den Aufsätzen der Wissenschaftler kann man viel erfahren über den Aufbau und die Funktion der Wehren, auch die manchmal dazu gehörenden Türme werden vorgestellt, und man kann an alten Karten und Fotos erkennen, wo solche Landwehren noch heute in der Natur sichtbar sind. Außerdem wird vorgestellt, wie und in welcher Häufigkeit sich das Wort Landwehr in Flur- und Familiennamen erhalten hat.

Solche Bollwerke gab es in Westfalen natürlich nicht nur zwischen den Landesherrschaften, sondern auch zwischen dem bäuerlichen Land und den Städten. Bernd Thier, einer der Autoren, widmet sich ausführlich dem Beispiel Münster. Vor allem über die Nutzung des Geländes außerhalb der Stadtmauer zitiert er interessante Quellen.

Schon für die Mitte des 16. Jahrhunderts sind Flächen für Ballspiele und Sommerhütten der betuchten Bürger belegt, Teiche für die Fischzucht entstanden, und vor allem wurde der Müll der Stadtbürger vor den Mauern entsorgt. Schon im 16. Jahrhundert ließ der Magistrat in Münster den Abfall durch einen öffentlichen Wagen abfahren, um damit die Äcker außerhalb zu düngen. Die Stadtführung stellte dazu ein Pferd und einen „Dreckkarren“ zur Verfügung. Verstorbene Christen wurden in der Stadt rund um die Kirchen und den Dom beigesetzt. Außerhalb der Mauern lag hingegen der jüdische Friedhof, wie im ausgehenden Mittelalter und der frühen Neuzeit üblich.

Dieses sind nur ein paar Details eines Sammelbandes, der für Freunde der Landeskunde und der westfälischen Geschichte weit mehr zu bieten hat und der gar nicht so „dröge“ zu lesen ist, wie man es sonst den Westfalen zu sein unterstellt.

Cornelia Kneppe (Hrsg.): „Landwehren. Zu Funktion, Erscheinungsbild und Verbreitung spätmittelalterlicher Wehranlagen“. Aschendorff Verlag, 350 Seiten, 39 €.




„Ungestört sein“ – ein kurzes Gedicht

Im Schlafzimmer

will fast

jede

und

jeder

ungestört sein.

Aber Religion

soll keine

Privatsache

sein

mancherorts.

Ungestört

will jeder

Atheist sein

im Schlafzimmer

im Ohr

in seinem Gehirn.

Amen

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Einkaufen früher und heute

Ein hundert Jahre altes Foto: Es zeigt ein Fachwerkhaus im Dörfchen Voerde, heute ein Ortsteil der Stadt Ennepetal, das Haus mit einer Art Schaufenster, sonst keine Werbung außer dem Namen des Ladeninhabers. Einkaufen in einem solchen Kolonialwaren-Geschäft war damals normal. Und heute? Discounter und Supermärkte bestimmen unseren Alltag.

In solchen Läden wurde die Ware noch aus Fässern und Schubladen in Papiertüten gefüllt oder in Zeitungspapier eingewickelt, Heringe lagerten in der Tonne, Zucker und Mehl stand in Säcken auf dem Boden, und weil es keine Autos gab, fand man natürlich derartige Geschäfte der „Grundversorgung“ an jeder Ecke.

Ein Dorfladen in Voerde  vor 100 Jahren. (Foto: Stadtarchiv Ennepetal)

Ein Dorfladen in Voerde vor 100 Jahren. (Foto: Stadtarchiv Ennepetal)

Heute wird diese allgemeine Versorgung mit den wichtigsten Lebensmitteln von Supermärkten oder Discountern übernommen, und die kleinen Eckläden mit ihrer „Tante Emma“ sind verschwunden. Das führt in Gesprächen meist zu nostalgischen Seufzern – früher sei das doch besser gewesen.

Allerdings übersehen viele dieser Wehmutsmenschen, dass die Kleingeschäfte mit Alleininhabern für die Käufer ein teures Vergnügen waren. Mit den Erlösen bauten sich die Ladenbesitzer große Mehrfamilien-Mietshäuser, die Rendite ihrer Geschäfte lag meist im zweistelligen Bereich. Schon vor hundert Jahren versuchten die Konsumgenossenschaften der Arbeiterbewegung, dagegen anzugehen, doch auch sie waren nicht viel billiger.

Durch den Konkurrenzdruck arbeiten die Handelskonzerne heute mit sehr viel geringeren Margen. Die Preise sind im Vergleich zum Arbeitslohn günstig, und die Waren sind frischer und vor allem viel hygienischer verpackt und damit allgemein gesünder. Man denke nur daran, dass den größten Anteil an der Verlängerung der Lebenszeit der Menschen die Verbesserung unseres Trinkwassers hatte, also die Hygiene im weitesten Sinne.

Nostalgie macht zwar viel Spaß, führt aber rational manchmal auch ein wenig in die Irre.




Mit 66 zum ersten Mal in der Schwebebahn

Es soll sie ja geben, jene Menschen aus Nordrhein-Westfalen, die schon in Rente sind und doch noch nie in der Wuppertaler Schwebebahn gesessen und hoch über der Wupper das leichte Pendeln des Wagens genossen haben. Zu dieser Gruppe gehörten auch unsere Freunde aus dem südlichen Münsterland, die durch unsere Einladung mit ihren 66 und 63 Jahren zum ersten Mal dieses Technikwunder im Bergischen Land erlebten.

Die Schwebebahn über der Wupper in Elberfeld. (Foto: Hans H. Pöpsel)

Die Schwebebahn über der Wupper in Elberfeld. (Foto: Hans H. Pöpsel)

Einen gemeinsamen Besuch der sehr eindrucksvollen Pissarro-Ausstellung im Wuppertaler Von-der-Heydt-Museum verbanden wir also mit der Fahrt in der Schwebebahn von der Endstelle Oberbarmen bis nach Elberfeld. Döppersberg hieß die dortige Haltestelle früher, jetzt hat man sie großstädtisch in „Hauptbahnhof“ umbenannt. Gemeint ist damit allerdings der benachbarte DB-Bahnhof.

Schon der Aufstieg vom Straßenniveau auf die Einstiegsplattform ist gewöhnungsbedürfnis, und dann kommt die Bahn leicht ratternd tatsächlich wie schwebend angefahren. Allerdings schweben die Wagen ja nicht wirklich wie die Jungfrau im Zaubertrick, sondern sie hängen mit einem Stahlarm und einem Laufrad in einer Schiene, die fast durchgängig dem Flussverlauf folgt. Wegen dieser Konstruktion sagen Fachleute auch nicht „Schwebebahn“, sondern sie nennen das Gefährt eine „Einschienenhängebahn“.

Die Wuppertaler Bahn ist auch nicht die einzige ihrer Art in Deutschland, denn auch in Dresden gibt es so ein Schwebefahrzeug, das die Touristen auf einen Aussichtsberg befördert. Die beiden Bahnen sind jeweils zweigleisig und fast gleich alt: In Wuppertal ging sie am 1. März 1901 in Betrieb, und in Dresden fährt sie seit dem 6. Mai des selben Jahres. Konstruiert wurden sie von dem Ingenieur Eugen Langen.

Auch weltweit sind die deutschen Bahnen nicht einmalig: Seit 1982 verkehrt so eine „Einschienenhängebahn“ im amerikanischen Memphis und verbindet zwei Stadtteile rechts und liks des Flusses Mississippi , allerdings etwas komfortabler als bei uns: Sie „schwebt“ nämlich fast lautlos auf Gummirädern. Der berühmte Mephis-Bürger Elvis Presley konnte sie nicht jedoch mehr benutzen – er starb fünf Jahre zuvor, am 16. August 1977.




Hagener Künstler stellen im schönen Schwelmer Schloss „Haus Martfeld“ aus

Da haben die Hagener Maler und Bildhauer mal einen Sprung über die Ennepe gewagt und sind mit ihren Werken in die Kreisstadt Schwelm gefahren, um sie dort auszustellen. Die „Künstler-Gilde Hagen“ war im Frühjahr nach einem Besuch in der Schwelmer Wasserburg „Haus Martfeld“ vom Ambiente so angetan, dass sie das Angebot für eine Ausstellung dort sehr gerne angenommen hat.

„Farbe kommt nicht nur aus der Tube“ heißt nun die Schau, die man sich im Martfeld-Obergeschoss noch bis zum 11. Januar ansehen kann. Mehr als 40 Künstler und Künstlerinnen gehören der Hagener Gilde an. Gut die Hälfte von ihnen beteiligt sich an der Schwelmer Ausstellung. In einer so heterogenen Gemeinschaft gehen selbstverständlich auch die Qualtitätsvorstellungen auseinander, und entsprechend finden sich in der Ausstellung nicht nur Bilder von technisch hervorragendem Niveau oder mit überraschend umgesetzter Bildidee wie jener Katze, die Gitarre spielt, oder die überdimensional großen Schweizer Schokoladenstücke. Auch eher an naive Malerei erinnerende Bilder mit falscher Perspektive oder fast kitschige Blumenbilder kann man sehen.

„Das Haus Martfeld hat ein tolles Ambiente – genau die passende Atmosphäre für unsere Bilder“, meinte zur Eröffnung Christiane Bispinghoff, eine der Künstlerinnen, die seit zwei Jahrzehnten dabei ist. Tatsächlich ist die alte Wasserburg mit ihrem großen öffentlichen Park für sich schon einen Besuch wert. Das Haus beherbergt neben den Räumen für Wechselausstellungen wie diese auch ein Museum zur Kultur und Geschichte des Schwelmer Raumes und eine große Münzsammlung sowie das Schwelmer Stadtarchiv. Leider ist die Hauptstadt des Ennepe-Ruhr-Kreises finanziell derart klamm, dass sie sich Öffnungszeiten nur am Wochenende erlaubt.

Ausstellung der Hagener Künstler-Gilde im Haus Martfeld in Schwelm, Haus Martfeld 1. Bis zum 11. Januar 2015, jeweils am Samstag und Sonntag von 12 bis 17 Uhr geöffnet, Eintritt 1 Euro.

www.kuenstlergilde-hagen.de und schwelm.de




Heute vor 75 Jahren: Hitler kündigte den Angriff auf Frankreich und England an

„Mein Entschluss ist unabänderlich. Ich werde Frankreich und England angreifen zum günstigsten und schnellsten Zeitpunkt.“ Mit diesen Worten kündigte Adolf Hitler heute vor 75 Jahren, am 23. November 1939, in einer Ansprache vor den Oberbefehlshabern der Deutschen Wehrmacht den bevorstehenden sogenannten „Westfeldzug“ an. Der später so bezeichnete „Zweite Weltkrieg“ bekam damit eine ganz neue Dimension.

Auch auf der Avenue des Champs-Elysee marschierte ab 1940 die Deutsche Wehrmacht. (Foto von 2014/Hans H. Pöpsel)

Auch auf der Avenue des Champs-Elysee marschierte ab 1940 die Deutsche Wehrmacht. (Foto von 2014/Hans H. Pöpsel)

Hitler begründete den geplanten Überfall mit dem schon im Osten benutzten Argument: „Die steigende Volkszahl erforderte größeren Lebensraum…Hier muss der Kampf einsetzen.“ Bereíts am 1. September 1939 hatte die Wehrmacht Polen überfallen, und deshalb erklärten dessen Schutzmächte Groß-Britannien und Frankreich zwei Tage später dem Deutschen Reich den Krieg. Weil Hitler von der Überlegenheit der Wehrmacht und der deutschen Rüstungsindustrie überzeugt war, schmiedete er nun seine Angriffspläne in Richtung Frankreich.

Am 10. Mai 1940 begann dann der sogenannte Westfeldzug mit dem militärischen Überfall auf Belgien, Luxenburg und die Niederlande und deren Besetzung. Gut drei Wochen später begann am 5. Juni der Angriff auf Frankreich, das tatsächlich dem schnellen Vorrücken der deutschen Truppen wenig Widerstand leisten konnte.

Bereits am 4. Juni besetzte die Wehrmacht Frankreichs Hauptstadt Paris, aus der sich die noch vorhandenen Teile der französische Armee zuvor zurückgezogen hatten. Am 22. Juni 1940 unterzeichneten in Compiegne die Vertreter des französischen Militärs und der Staatsführung das Waffenstillstandsabkommens – im selben Eisenbahnwaggon, in dem 1918 Deutschland hatte kapitulieren müssen. Die Dritte Französische Republik war damit beendet, Marshall Petain verlegte seine Rest-Regierung nach Vichy.

Gut vier Jahre später, Ende Augsut 1944, begann mit der „Operation Overlord“ die Befreiung von Paris, nachdem bereits im Juni alliierte Truppen in der Normandie gelandet und in den Wochen darauf gegen die Hauptstadt vorgerückt waren. Mit einem Generalstreik in der Stadt und Angriffen der Widerstandskämpfer begann die Befreiungsaktion, die nur deshalb ohne große Schäden und Opfer gelang, weil der deutsche Stadtkommandant Dietrich von Choltitz am 25. August gegen den ausdrücklichen Befehl Hitlers kampflos kapitulierte. Der hatte nämlich verlangt, eher ein „Trümmerfeld“ zu hinterlassen als zu kapitulieren.

So also erlangte Frankreich seine Freiheit zurück, Paris war in doppeltem Sinne gerettet, und die Touristen aus aller Welt können sich auch heute noch an den herausragenden Bauwerken in der Stadt an der Seine erfreuen.




Beyenburg mit seinem Stausee – ein bergisches Idyll am Rande von Wuppertal

Na klar, die Dortmunder schwärmen von ihrem Phoenixseee, die Bochumer loben die Kemnade, und auf ihren hübschen Baldeneysee lassen die Essener nichts kommen.

Richtig schön aber ist es am Beyenburger Stausee. Kennen Sie nicht? Liegt ja auch viel weiter südlich, in Wuppertal, das heißt, genau genommen geht die Grenze zwischen dem politischen Ruhrgebiet (Ennepetal) und dem Bergischen Land (Wuppertal) mitten durch den kleinen Wupper-Stausee. Das schönste an dem Teich ist aber das Örtchen Beyenburg.

Beyenburg, der älteste Teil Wuppertals. (Foto: H.H.Pöpsel)

Beyenburg, der älteste Teil Wuppertals. (Foto: H.H.Pöpsel)

Dort im Südosten der Großstadt Wuppertal macht der Namen stiftende Fluss eine große Schleife um ein kleines Felsgebirge herum, auf dem die Kreuzherren schon im 13. Jahrhundert ein Kloster und eine imposante gotische Kirche errichten ließen. Um dieses Kloster herum entstand ein Dorf, das heute mit seinen bergischen Schiefer- und Fachwerkhäusern ein besonders idyllisches Bild abgibt. Man kann durch das Ober- und das Unterdorf flanieren und dabei eine Ruhe genießen, die man in einer Großstadt wie Wuppertal nicht vermuten würde. Natürlich fehlt auch ein historischer Biergarten nicht, der im Sommer von Leuten aufgesucht wird, die diesen Geheimtipp zu schätzen wissen.

Das Kloster war aufgegeben, wird aber seit ein paar Jahren wieder von einigen Brüdern bewohnt, die sogar eine neue Marien-Wallfahrtskapelle am Flussufer eingerichtet haben.

In Beyenburg ist auch die Fernsehschauspielerin Ann-Kathrin Kramer aufgewachsen, und weil es da so schön ist, lebt sie heute dort auch wieder mit ihrem Lebenspartner und Schauspielkollegen Harald Krassnitzer. „Eine Liebe in Wuppertal“ überschrieb die Brigitte Woman einmal ein Porträt der beiden TV-Helden. Eine Liebe zu Wuppertal, die kann man entwickeln, wenn man einmal in Beyenburg war.




Tanzte man sur oder sous le Pont d’Avignon? – Was aus Hörfehlern entstehen kann

Zumindest in Europa kennt fast jede und jeder das Lied von der Brücke in Avignon, und sei es nur aus dem Vortrag der kleinen Mireille Mathieu. Dort auf der halben Brücke über die Rhône – in Frankreich ist dieser Fluss männlichen Geschlechts (Le Rhône) – wurde angeblich so gern getanzt, nämlich „sur le Pont“. In Wahrheit handelte es sich aber wohl um einen Hörfehler, der sich irgendwann eingeschlichen hat.

Die halbe Brücke von Avignon. (Foto: Hans H. Pöpsel)

Die halbe Brücke von Avignon. (Foto: Hans H. Pöpsel)

Getanzt wurde nämlich ursprünglich unter den Bögen der Brücke, also nicht „sur“, sondern „sous le Pont d’Avignon“. Für die touristische Vermarktung ist das aber gleichgültig – und das Eintrittsgeld zum Betreten der Tanzfläche (auf der Brücke) kann sich sehen lassen. Solche veränderten Schreibweisen durch Hörfehler sind gar nicht so selten. Nehmen wir das Beispiel Japan: Die Japaner nennen ihr eigenes Land in lateinischer Schrift „Nippon“. Die Engländer aber als die ersten europäischen „Entdecker“ verstanden nicht „Nippon“, sondern (in Lautschrift) „Jeppen“, sie schrieben dementsprechend „Japan“, und die Franzosen machten daraus „Japon“.

Ähnlich erging es dem asiatischen Lande Mianmar. Weil der Name von den Einheimischen schnell gesprochen wurde, verstanden die Engländer nicht Mianmar, sondern Burma, aus dem später Birma wurde. Heute ist aus der britischen Schreibweise wieder in lateinischer Schrift die korrekte Bezeichnung Mianmar geworden.

Auch in Westfalen gibt es zahlreiche solcher Umdeutungen. Im Namen meiner münsterländischen Heimatgemeinde „Herzebrock“ zum Beispiel vermutete ich als Kind ganz selbstverständlich die romantische Geschichte von einem gebrochenen Herzen. Tatsächlich aber geht das Wort auf das althochdeutsche „horsabroich“ zurück, und Englischkundige sehen sofort, dass hier etwas vom Pferd erzählt wird, dem „Horse“ – eine sumpfige Pferdeweide war nämlich gemeint. Entsprechend entstand der Stadtname Essen natürlich nicht aus der Nahrungsaufnahme, ebenso wie Dortmund nicht der Ort war, in dem das Essen verschwand, obwohl sich die Restaurantszene heute sehen lassen kann.




„Mörderischer Mistral“ – lesenswerter Provence-Krimi von Cay Rademacher

Die meisten Menschen sehen lieber Krimis im Fernsehen als sie in Buchform zu lesen. Das hat zum Teil auch mit der grenzwertigen Qualität zu tun. Der Dumont-Verlag hat in Cay Rademacher aber einen Autor gefunden, der Spannung mit sicherem Stil und sprachlicher Eleganz verbindet. Mit Capitaine Blanc setzt er nun einen neuen Kommissar in die Welt, der in Südfrankreich ermittelt.

Blanc wird von einem Tag zum anderen aus Paris in die Provence versetzt, weil er in der Hauptstadt mit seinen Korruptions-Ermittlungen einigen Politikern zu heftig auf den Fuß getreten ist. Zufällig hat er vor Jahren dort unten in der Nähe von Salon de Provence, der Heimatstadt des Nostradamus, eine halb verfallene Ölmühle geerbt, die er nun wieder herrichten will, während er gleichzeitig in einem Mordfall auf einer Müllkippe ermitteln muss. Das mit dem erwähnten Zufall stimmt aber vielleicht gar nicht, denn die Untersuchungsrichterin in seinem Fall ist die hübsche Ehefrau jenes Pariser Staatssekretärs, der ihn in die vermeintlich unattraktive Provinz abgeschoben hat.

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Als Blanc und seine Kolleginnen und Kollegen auf der Suche nach einem Verdächtigen noch im Ungewissen sind, wird ein zweiter Mann umgebracht, ein ehrenwertes Mitglied der Gesellschaft, und schon wieder läuft alles auf einen Fall von Korruption hinaus, denn die beiden Fälle gehören zusammen.

In einem dramatischen Schlusskapitel kann Blanc mit Hilfe einer Frau den Täter festnehmen. Zum Glück gibt es ja noch die Liebe als ein weiteres treibendes Handlungsmoment, aber der Leser oder die Leserin sollte sich überraschen lassen.

Rademacher erzählt sehr spannend und kenntnisreich – schließlich ist die Frau an seiner privaten Seite selbst von Beruf in Südfrankreich Untersuchungsrichterin, was in Deutschland ungefähr der Position eines Staatsanwalts entspricht. Das mag auch der Grund sein, dass die Richterin in seinem Roman recht gut davonkommt.

Cay Rademacher: „Mörderischer Mistral“. Ein Provence-Krimi mit Capitaine Roger Blanc. 272 Seiten, Dumont Verlag, 11,99 €.