Kunstwerk für Millionen – HA Schults Auto-Denkmal im Dortmunder Hauptbahnhof

Von Bernd Berke

Dortmund. Da eilte selbst Oberbürgermeister Günter Samtlebe herbei und hielt eine launige Ansprache. Denn nicht alle Tage gibt sich ein so prominenter Aktionskünstler wie HA Schult in Dortmund die Ehre. Mitten in die Empfangshalle des Hauptbahnhofs hat Schult ein Marmor-Auto postiert.

An diesem Kunstwerk werden bis zum 4. August wohl einige Millionen Menschen vorübergehen, denn täglich sind’s im Schnitt rund 120 000, die durch den Bahnhof hasten. Das meiste Aufsehen erregte gestern Schults schrille Muse Elke Koska, die übrigens aus Dortmund stammt und hier das Mallinckrodt-Gymnasium besucht hat. Sinnierte Günter Samtlebe: „Da kann man mal sehen, was aus den Leuten so wird.“

Das gar nicht aus Marmor bestehende, sondern marmorierend bemalte Fahrzeug (besser: „Steh-Zeug“) prangte 1994 als Symbol des politischen Zeitenwandels auf einem Sockel vor dem Marmorpalast in St. Petersburg, wo es einen Panzerwagen Lenins ersetzte. Seither hat das gute Stück eine Tournee durch acht deutsche Städte hinter sich. Nun aber spricht Schult, dem Regionalstolz schmeichelnd: „Das waren nur Fingerübungen, um es endlich in Dortmund zeigen zu können.“

Warum der Bahnhof? Schult: „Weil hier so viele Leute sind, und weil hier auch Nutten oder Penner meine Kunst sehen können.“ Und die Finanzen? Schult läßt sponsern. Denn sein Auto ist nicht irgendeins, sondern ein Mittelklassemodell aus Kölner Fabrikation, welche mit dem Spruch „Die tun was“ beworben wird. Man muß sie nicht nennen, man kann getrost fortfahren…

Nein, man habe sich mit dem Auto keine Konkurrenz ins Haus geholt, meinte gestern Ernst Liedschulte von der Deutschen Bahn AG. Man begreife das Automobil als sinnvolle „Ergänzung“ zur Schiene. Und Dortmunds Oberbürgermeister Günter Samtlebe befand launig, mit HA Schult und Elke Koska habe man sich ein „Power-Paar“ in die Stadt geholt. Ökologisch korrekt, empfahl er Schult jedoch, bald ein Marmor-Fahrrad herzustellen.

Derweil bildete sich beim Eröffnungs-Zeremoniell eine neugierige Menschenmenge, angelockt auch vom gewohnt schrillen Erscheinungsbild Elke Koskas. Die erschien mit einem großen schwarzen Hund und trug statt eines Handtäschchens einen kleinen Silberkessel. Todschick. Mancher Urlauber machte hier gleich beim Reisestart sein erstes Erinnerungsfoto, und auf die Erläuterungstafel zu „Marmorne Zeit“ (Werktitel) hatte schon einer gekritzelt: „Schult, laß dich nicht unterkriegen, deine Kunst ist klasse“.

Stimmt das? Mal ehrlich: Mag das Auto in St. Petersburg noch von historischer Aura profitiert haben, so wirkt es in Dortmund relativ schlicht. Erst wenn Schult und seine Elke live dazu auftreten, wird s spektakulär. Sie selbst sind das Kunstwerk.

 




Aus Lust und Liebe wird rohe Gewalt – Düsseldorf: Karin Beier inszeniert „Sommernachtstraum“ in neun Sprachen

Von Bernd Berke

Düsseldorf. In grauer Vorzeit wurden alle Wesen in eine männliche und eine weibliche Hälfte geteilt. Seitdem, so will es der griechische Mythos, gibt es die Sehnsucht nach Vereinigung. Und irgendwann fiel die Menschheit in babylonische Sprachverwirrung. Seither, so steht’s in der Bibel, ringen wir um Verständigung. Karin Beiers Düsseldorfer „Sommernachtstraum“-lnszenierung handelt von den Folgen beider Ur-Trennungen.

In neun bunt durcheinander gewirbelten Sprachen wird Shakespeares Stück vom internationalen Ensemble gespielt: Italienisch, Englisch, Französisch, Hebräisch, Ungarisch, Polnisch, Bulgarisch, Russisch und Deutsch.

Man muß sich erst an den schwindelerregenden Wechsel der Idiome gewöhnen. Doch die so verschiedenen Sprachmelodien verleihen dem Text musikalische Qualität, als spielten da diverse Instrumente eines Orchesters; schrille Mißklänge inbegriffen. Denn die Figuren und ihre Sprachen hetzen einander auch schon mal mit nationalistischen Untertönen. Jedes Wort birgt Gefahr.

Wenn die Körper zu reden beginnen

Vor allem aber: Shakespeares unverwüstliche Liebes-Wirrnis. mit der man auf der Bühne so manches wilde Phantasie-Abenteuer riskieren darf, wird im polyglotten Chaos ungeheuer körperbetont dargeboten. Wie im Urlaub: Menschen, die einander sonst nicht verstehen, reden mit Händen und Füßen. Hier erlebt man hochgezüchtete Kunstformen solcher Bemühungen. Sie münden mal in tanztheatralische Figuren à la Pina Bausch, mal in die vollends famosen Clownerien des (beileibe nicht nur) komischen Handwerker-Haufens, der hier mit Bohrmaschinen zum Satyrspiel antritt. Über den aufgebockten Bühnenboden, in den allerlei Falltüren eingelassen sind, werden nur hie und da ein paar Tücher gespannt und drapiert. Schon kann es losgehen mit der Ideenflut, mit unbändigem Spaß und blutigem Ernst.

Karin Beier beweist, auch unter erschwerten Bedingungen der vielen Zungenschläge, ihr enormes Geschick im Umgang mit Schauspielern. Gelegentlich wirkt das Ensemble wie ins absolute Spielglück „freigelassen“; mag die Szene denn rollen, wohin sie auch will. So bekümmert man sich auch nicht allzu sehr um integren Text, sondern dichtet munter hinzu und borgt Zeichen auch aus trivialen Bereichen (Comics, Kino, Fernsehen, Horror).

Zupackende Frauen und hilflose Männer

Elfenkönig Oberon und Athens Herrscher Theseus werden hier vom selben Manne gespielt (Paolo Calabresi mit perlendem Parlando). Er ist Doppel-Regent im Tages- wie im Traumreich (durch das der Puck in Damenschuhen stöckelt) und präsentiert die Szenen wie ein Impresario.

Unnachgiebig enthüllt werden zumal die Demütigungen und Gewaltakte, die aus Liebe und Lust erwachsen. Die Frauen werden heftig handgreiflich in ihrer Liebessucht, sie reißen den Männern geradezu Hemd und Hosen runter. Dies macht die Herren so hilflos, daß sie sich in Aggression flüchten. Jedwede erotische Anziehung endet als brutale Abstoßung, gewaltsames Mitschleifen, Schlagen oder Würgen. Dunkle, unbeherrschbare Macht der Triebe. Liebe oder Haß? Es scheint fast egal zu sein. Oh, jammervolles Begehren. Gegen solche Härten werden – wie poetische Wunschbilder – jene hauchzarten Szenen gesetzt, durch die von fernher leise ein magisches „Kling-Klang“ zu wehen scheint.

Phänomenal, wie sich Karin Beier eine gleichsam kindliche Sicht bewahrt hat. Manchmal wähnt man sich auf dem Spielplatz. Dann setzt es z.B. Pitsche-Patsche-Ohrfeigen, und alle tummeln sich mit heißen Köpfen und Geschrei. Doch derlei wunderliche Alberei kann sogleich in untröstliche Trauer übergehen – wie ein lachlustiger Kindertag in plötzliche Tränen.

Termine: 3., 4., 5., 18. Nov. Karten: 0211/36 99 11.

 




Die artige Avantgarde – Wuppertals Museum zeigt Ausstellung über Worpsweder Künstlerkolonie

Von Bernd Berke

Wuppertal. Idyllen, wohin man auch blickt: Die Bäuerin stillt am Ackersrande ihr Kind. Der Pfarrer hält eine Andacht im Freien – und alle lauschen demutsvoll. Die alte Märchenerzählerin spinnt Geschichten aus, die Kleinen bleiben ganz brav dabei. Es herrscht, so scheint es, tiefer Frieden im Land.

Der Eindruck von artigen, frommen und tugendsamen Zeiten läßt kaum den Gedanken aufkommen, daß die berühmte Künstlerkolonie Worpswede bei Bremen, in der solche Bilder entstanden sind, bei den Zeitgenossen als ein Posten der Moderne gegolten hat. Paßt das denn zusammen: heile Welt der Ackerkrume und avantgardistischer Anspruch?

Unverfälschte Natur gesucht

Otto Modersohn, Fritz Mackensen, Heinrich Vogeler, Fritz Overbeck und Hans am Ende wollten, nach dem Beispiel französischer Freiluftmaler, in möglichst unverfälschter Naturnähe leben und diesem Hochgefühl bildlichen Ausdruck verleihen. Eine in Bremen zusammengestellte, beachtliche Ausstellung im Wuppertaler Von der Heydt-Museum erinnert jetzt an diesen Künstlerkreis, der anno 1895 – vor genau 100 Jahren – mit seinen Beiträgen zur Mammut-Ausstellung im Münchner Glaspalast (1931 abgebrannter Prachtbau) den triumphalen „Durchbruch“ erfuhr.

Bemerkenswert: Hätten die Worpsweder damals in München nicht im Kontext von lauter konservativen Akademiemalern ausgestellt, sondern bei der freimütigen „Sezession“, so wäre wohl kaum eine Differenz aufgefallen. So aber bemerkten Kritik und Publikum den Unterschied sogleich und priesen ihn.

Weiterer Coup, um am Kunstmarkt zu reüssieren, waren die Riesenformate, die sogleich alle Aufmerksamkeit in Beschlag nehmen und auf den ersten Blick imponieren sollten. Fritz Mackensens „Gottesdienst im Freien“ (1895) war beispielsweise so großflächig geraten, daß der Künstler das Bild in der wärmeren Jahreszeit lieber nicht im Atelier ließ, sondern draußen an eine Friedhofsmauer lehnte. In Wuppertal sieht man eine etwas kleinere Vorstudie.

In der eigentlichen Worpsweder Gruppenphase (1894 bis 1899) kamen bei manchen Kunstbetrachtern gewisse Untertöne ins Spiel. Mit „Worpswede“, so befanden sie, schließe man endlich wieder künstlerisch zum Konkurrenten Frankreich auf, dessen Impressionisten die Szene so lange und nachhaltig beherrscht hatten. Manche Leute suchten und fanden bei den Worpswedern etwas Kerniges und „Echtes“, nicht vom französischen Raffinement Verdorbenes. Am deutschen Wesen…

Jenseits der bloßen Idylle

Gegen solche Zuweisungen konnten sich die Worpsweder schlecht wehren. In Wuppertal werden ihre Arbeiten nicht – wie sonst so oft – als Hervorbringungen einer Gruppe behandelt, denn man will die individuellen Unterschiede nicht verwischen. Also wird jedem Künstler eine eigene Raumflucht gewidmet, so daß die stilistischen Eigenheiten jeweils klar hervortreten.

Es wird zum Beispiel deutlich, daß Heinrich Vogeler die entschiedenste Neigung zu floralen Jugendstil-Ornamenten entwickelte oder daß Hans am Ende eine verspielte Vorliebe für Windmühlen-Motive hegte. Auch die Gewichtung von Figuren und Landschaften handhabt jeder ein bißchen anders. Und es gibt herrliche Landschaftsbilder in dieser Schau – mit satten Herbstfarben, geheimnisvollen Mooren und wunderbarem Wolkenspiel. Es ist eben Kunst, die über bloß naive Idyllen hinausweist.

Die Worpsweder Maler. Vom 22. Oktober 1995 bis 14. Januar 1996 im Von der Heydt-Museum, Wuppertal (Elberfeld, Turmhof 8). Di bis So 10-17 Uhr, Do 10-21 Uhr. Katalog 38 DM.

 




Kunst aus dem Verborgenen – Erstaunliche Kostproben aus Dortmunder Privatsammlungen

Von Bernd Berke

Dortmund. Zugegeben: Einen Mäzen wie Peter Ludwig, der komplette Museen aus seinen Kunstkollektionen bestücken kann, gibt es in Dortmund nicht. Doch auch hier wachsen hochkarätige Sammlungen.

Sie werden freilich – typisch westfälisch? – nicht mit Pomp und Getöse, sondern in aller Stille zusammengetragen. Jetzt bekommt man erstmals Kostproben zu sehen. Und man reibt sich erstaunt die Augen: Solche museumsreifen Exponate stammen also aus Dortmunder Privathäusern!

Bestand reicht für eine Fortsetzung

Mit der Ausstellung „Dortmund sammelt“ gastiert die bundesweit renommierte, vor allem mit Expressionisten hervorgetretene Galerie Utermann im Harenberg City-Center. Wilfried Utermann verfügt natürlich über vielfältige Kontakte zu Kunstsammlern. Er hat Einblick in die Schätze, die – zumal durch seine eigene Präsenz am Kunstmarkt – in Dortmund vorhanden sind. Er kennt so viele Kostbarkeiten, daß er sich schon jetzt eine Fortsetzung der aktuellen Schau vorstellen kann, etwa mit einer bislang weithin unbekannten Sammlung zum 18. Jahrhundert.

Deren Besitzer bleibt ebenso ungenannt wie die sieben Dortmunder, die zur jetzigen Schau exakt 101 sehenswerte Arbeiten aus dem Umkreis des Expressionismus und der Klassischen Moderne beigesteuert haben. Umso bekannter sind die Namen der Künstler: Max Beckmann, Lyonel Feininger, Erich Heckel, Ernst Ludwig Kirchner, Käthe Kollwitz, August Macke, Emil Nolde, Max Pechstein, Pablo Picasso, Christian Rohlfs, Emil Schumacher.

Max Beckmanns „Blühender Garten“

Besonders von Beckmann („Blühender Garten“, 1933 / „Stilleben mit Fingerhut“, 1943) und Kirchner („Kokotten auf dem Kurfürstendamm“, 1914) sind Spitzenstücke zu sehen. Und die imponierende Liste ist nicht einmal vollständig.

Der Hausherr des City-Centers, Bodo Harenberg: .„Am liebsten würde ich diese Kunstwerke für immer hier behalten.“ Doch selbstverständlich wird die Ausstellung hernach wieder aufgeteilt und kehrt zu den sieben Eigentümern zurück. Harenberg legt Wert auf die Feststellung, daß es sich um eine doppelte Privat-Initiative handelt: die der Dortmunder Sammler und die des Dortmunder Galeristen. Man hört heraus, daß er sich ähnliches Engagement von der öffentlichen Kulturpolitik wünscht…

„Dortmund sammelt“. Ausstellung der Galerie Utermann im Harenberg City-Center, Königswall 21 (am Hauptbahnhof). 1. September bis 1. Oktober. Täglich (auch sa/so) 11-18 Uhr. Eintritt frei, Katalog 38 DM.




Hansgünther Heyme wird 60: Lektionen von der Bühne herab

Von Bernd Berke

Ein Theater, das sich bloß kulinarisch gibt oder psychologische Feinheiten ausspinnt, ist seine Sache nicht. Er will das Publikum belehren. Dabei hat der Regisseur Hansgünther Heyme, der heute 60 Jahre alt wird, den Zuschauern manchmal staubtrockene Lektionen unterbreitet.

In Zeiten der Beliebigkeit ist Heymes Festhalten am Theater als einer „moralischen Anstalt“ sympathisch zu nennen. Irgendwie muß man ihn mögen, diesen „Dickkopf“, der nicht davon abläßt, etwa antike Dramen und deutsche Klassiker auf ideologischen Gehalt zu überprüfen. Ästhetisch war es aber doch gelegentlich zum Verzweifeln, wenn er etwa Goethes/Fausts „Gretchen“ kurzerhand eine Rockgitarre umhängte oder Schillers „Räuber“ ohne große Umschweife mit Neonazis kurzschloß.

In der jüngsten Theatergeschichte des Reviers spielt Heyme eine bedeutende Rolle: Sein vehementes Eintreten für den Bestand hiesiger Bühnen mag dem einen oder anderen Politiker ein wenig die Augen geöffnet haben. Ab 1985 war er Schauspieldirektor in Essen, und seit 1990 leitet er die Ruhrfestspiele, die er zum „Europäischen Festival“ umgestaltete und die er nicht etwa mit seinem Stil dominiert. Verschiedenste Positionen haben dort Platz – ein Zeichen, daß Heyme Lust und Laune nicht verhindern will. Nur: Er selbst kann sie eben schwerlich herbeizaubern, das überläßt er klugerweise anderen.

Gütiger Chef und Opfer der Rezensenten

Am „grünen Hügel“ in Recklinghausen schwärmen sie jedenfalls vom besten Chef, den sie je gehabt haben.

Ganz schlimme „Verrisse“ der „Kritiker-Mafia“ (so Heyme damals verbittert) ereilten ihn von 1979 bis 1985 in Stuttgart, wo er Nachfolger des im Streit nach Bochum gewechselten Claus Peymann geworden war. Schmerzlich vermißte man Peymanns poetisches Theater, das nun von Heymes zuweilen knochigen Konzepten abgelöst wurde. Oberbürgermeister Manfred Rommel gerierte sich gar als Oberrezensent und befand, Heymes Inszenierungen seien „eine Katastrophe“. Seither schweigen einige überregionale Zeitungen Heymes Arbeit tot.

Weitere wichtige Stationen waren Köln (1968-1979), dessen Schauspiel er – zeitweise mit dem Gegenpol Roberto Ciulli – leitete, und Bremen, wo er nach einem Jahr die Intendanz aufgab.

Prägend war die Begegnung des 22jährigen Heyme mit dem berühmten Erwin Piscator, dem er alsbald assistierte. Nach und nach fand er zu einem entschiedenen „Regie-Theater“, das kein Stück für bare Münze nimmt. Stets muß ein verborgener Kern freigelegt werden. Und da geht’s bei Heyme allemal politisch zu. Gewiß kein Fehler – vorausgesetzt, die Menschen auf der Bühne werden nicht zu leblosen Marionetten der Beweisführung.




Acht Bilder und ein Name – „Weight and Measure Drawings“ von Richard Serra in Dortmund

Von Bernd Berke

Dortmund. Eine Ausstellung mit acht Zeichnungen? Ja, lohnt sich denn da überhaupt der Weg zum Dortmunder Ostwall-Museum? Nun ja. Es sind Riesenformate, und sie stammen von einem Heros der neueren Kunst: dem Amerikaner Richard Serra.

Dortmunds Kunstverein, der mit dieser Schau am Ostwall gastiert, kann sich auch mit dem bloßen geographischen Verlauf der Wanderausstellung brüsten. Die bisherigen Stationen hießen New York, Baltimore und Lissabon. Nun ist Dortmund als einzige deutsche Stadt an der Reihe, es folgen Miami und eventuell Tokio. Da werden weltstädtische Träume wach.

Im Februar war Richard Serra kurz hier und hat den Ort des Geschehens inspiziert, die Hängung übernahm nun – nach exakten Vorgaben des Meisters – einer seiner Assistenten. Serras große Stahlskulpturen (für die er hierzulande weitaus bekannter ist) beziehen sich ebenso machtvoll wie subtil auf Außenräume. Auch seine Zeichnungen sollen nicht nur für sich bestehen, sondern Erscheinungsbild und Volumen der umgebenden Innenräume „gewichten“. Daher auch der Titel der Schau, „Weight and Measure“ (Gewicht und Maß).

Die acht gerahmten Hochformate, bis zu vier Meter aufragend, bringen dem Ostwall-Lichthof einen ausgeklügelten Rhythmus bei, der innig mit dem Raum zu tun hat und doch sanft von ihm absticht. Ein Wechselspiel aus Näherung und Abgrenzung, Wachstum und Schrumpfung von Flächen. Die schwarzen und weißen, in sich strukturierten Felder hat Serra mit Ölstiften teilweise zentimeterdick auf kostbares Japan-Papier aufgetragen. Es sind Zeichnungen, die nicht in der zweiten Dimension verharren, sondern heimlich, still und leise, aber doch entschieden in den Raum vordringen.

„Weight and Measure Drawings“. Zeichnungen von Richard Serra. Museum am Ostwall, Dortmund. 21. Juli bis 3. September, di-so 10-17 Uhr. Katalog 20 DM.




Christos frohe Botschaft von der Verhüllung des Reichstags – Aachener Skizzen-Ausstellung im Vorfeld der Berliner Aktion

Von Bernd Berke

Aachen. Wenn der Künstler Christo ab 17. Juni den Berliner Reichstag verhüllt, werden restlos alle Deutschen glücklich sein. Warum? Christos Gefährtin Jeanne-Claude verriet es gestern in Aachen: 80 Prozent freuen sich, wenn die Hülle aufs Gebäude gelegt wird – und 20 Prozent frohlocken. wenn man sie wieder abzieht.

Christo Javacheff erschien im üblichen Räuberzivil und mit genialisch-wirrem Haarschopf. Der Bulgare, der seit Langem in New York lebt, erinnert ein wenig an „Stadtneurotiker“ Woody Allen.

Gefährtin ist um kein Wort verlegen

Er und seine um kein Wort verlegene Ehefrau (Christo: „Nun laß mich doch auch mal antworten“) kamen jedenfalls ins Aachener Suermondt-Ludwig-Museum, um eine Ausstellung mit Skizzen sowie Fotografien zu dieser und zu früheren Verhüllungen (Pariser Brücke Pont Neuf, 3100 gelbe bzw. blaue Schirme in Japan und Kalifornien) zu eröffnen. Doch natürlich richtete sich die Neugier der versammelten Presse ausschließlich auf das gigantische Projekt in Berlin. Wie fühlt man sich, so kurz vor der Verwirklichung eines Traums, der nahezu 24 Jahre lang ein bloßes Luftschloß geblieben ist – bis der Bundestag 1994 endlich seine Zustimmung gab? Jeanne-Claude: „Stellen Sie sich vor, Sie wären 24 Jahre lang schwanger gewesen und nun stehe die Geburt endlich bevor.“

Wie sich die Sache mit dem Reichstag optisch und ästhetisch ausnehmen werde? Ja, da sei man selbst sehr gespannt, ließ Christo wissen. Das Vorhaben sei so riesenhaft, daß es eben die Vorstellungskraft übersteige, es habe eine „offene Dimension“. Eben deswegen, soufflierte Jeanne-Claude, nehme man solche Dinge ja in Angriff: „Weil wir sehen wollen, wie es dann wirkt.“ Wie die Deutschen den verhüllten Reichstag wahrnehmen werden, wage er erst recht nicht zu prophezeien: „„Ich bin kein Deutsch.“

Technisch tut man unterdessen alles Menschenmögliche. In zwölf Fabriken werden die Verhüllungs-Materialien gefertigt. Christo legt großen Wert auf die Feststellung, daß jede Firma ihre Vergütung pünktlich erhalte. Hingegen habe er, der keinen Pfennig Steuergeld in Anspruch nehme, zunächst enorme Schulden machen müssen. Wie heißt es doch so schön in der Werbung: Zahlen Sie mit Ihrem guten Namen…

Die vielen Ziffern und die Harmonie

Trotz der Gesamtkosten von rund zehn Millionen DM ist Christo zuversichtlich, am Ende keinen Offenbarungseid leisten zu müssen. Der Finanzierung dient ja nicht zuletzt die Aachener Ausstellung, denn die Skizzen sind – nach Schluß der Schau – käuflich zu erwerben. Interessenten können sich diskret vormerken lassen. Für größere Zeichnungen sind übrigens auch schon mal 200 000 DM fällig.

Mit erwartungsfroh leuchtenden Augen schwelgte Christo in Zahlen und Ziffern: 15 600 Meter Seil werde man zur Befestigung der 110 000 Quadratmeter Spezialstoff um den Reichstag spannen, die Faltentiefe werde etwa einen Meter betragen. Na, und so weiter. Er war kaum zu bremsen.

Und wenn alles getan, alles verhüllt ist? Dann wolle man dafür sorgen, daß es rund um den Reichstag Stunden voller Harmonie geben werde. Freude, schöner Götterfunken !

Christo und Jeanne-Claude: „Der Reichstag und urbane Projekte“. Suermondt-Ludwig-Museum, Aachen (Wilhelmstraße 18). 6. Mai bis 6. August Di-Fr 11-19 Uhr, Sa/So 11-17 Uhr, Mi 11-21 Uhr. Katalogbuch 29,80 DM.




Im Schattenreich der Lüste – Ausstellungen über Toulouse-Lautrec und Hopper in Bremen

Von Bernd Berke

Bremen. Die Dame hat ihre Lippen ganz leicht gekräuselt und gestülpt. Zeichen einer bloßen Augenblickslaune? Nicht, wenn einer wie Henri de Toulouse-Lautrec hingeschaut hat. Sein Blatt „In den Vierzigern“ fängt den Zustand einer ranzig gewordenen Ehe in der unscheinbaren und doch vielsagenden Mimik eines Moments ein.

234 Lithographien umfaßt die großartige Ausstellung der Kunsthalle Bremen: Da sind sie alle beisammen – die verderbten Königinnen der Nacht, die etwas schäbigen Priesterinnen der Gier, dazu ihre Kunden und Kavaliere, zumeist fettwanstige Wüstlinge. Manche der Frauen wirken, als seien sie – nach vielerlei Ausschweifung – tief in ihrer Seele über alles Weltliche und Männliche erhaben.

Fasziniert und und angewidert

Das Panoptikum der „Pariser Nächte“ zwischen 1890 und 1901 zeigt keineswegs unvermischte Lebensfreude, sondern auch die Schatten der Lüste. Toulouse-Lautrec (1864-1901), der seit Kindheit krüppel- und zwergenhafte Mann, war als teilnehmender Beobachter in den Pariser Etablissements wohl zugleich fasziniert und angewidert vom sündigen Leben.

Um 1890 hatte ToulouseLautrec seinen unverkennbaren Stil längst gefunden. In der Kunsthalle plagt man sich daher nicht mit dem sinnlosen Unterfangen ab, Entwicklungslinien nachzuzeichnen. Man hat die Arbeiten stattdessen nach „Schauplätzen“ gruppiert: Theater- und Chanson-Bühnen, Vergnügungslokale, Bordelle usw.

Die Plakate von Toulouse-Lautrec gehören zum bildlichen Allgemeingut. Angeregt von japanischen Farbholzschnitten, hat der Franzose einen so souveränen Umgang mit menschlichen Silhouetten, formaler Staffelung, entschlossener Linienführung und Schriftzügen erlangt, daß die Wirkung bis heute anhält. Ob er nun Sensationen im „Moulin Rouge“, Auftritte von Größen wie Aristide Bruant und Jane Avril oder Theaterprogramme ankündigt – es sind stets, wenn es so etwas wie Analogie zu Ohrwürmern gäbe, „Augenwürmer“.

Nicht minder herrlich auch die vielen kleineren, oft skizzenhaften Blätter. Sie wirken unterschwellig, aber ebenso nachhaltig. Da ist zum einen das variantenreiche Licht- und Schattenspiel, besonders um die Augenpartien. Umschattete Blicke, rastlos, unbefriedigt, übernächtigt. Toulouse-Lautrec hat die erotischen Strategien der Näherung und der Lockung, aber auch der Abwehr, der Verstoßung und des Verwelkens unglaublich genau eingefangen. Gelegentlich findet er zu großer formaler Kühnheit. So etwa, wenn er eine in Paris gastierende amerikanische Tänzerin „nur“ als furiose Farbwolke darstellt. Der Wirbel mit Seidenschleier wirkt beinahe abstrakt.

Hoppers Denkmäler der Einsamkeit

Wenn man in Bremen ist, sollte man sich keinesfalls eine zweite Ausstellung entgehen lassen: druckgraphische Werke des Amerikaners Edward Hopper (1882-1968) im Kunstforum am Markt. Die Radierungen, Zeichnungen und Aquarelle des mittlerweile sehr populären Hopper stammen aus dem Whitney Museum of American Art.

Starker Kontrast zu Toulouse-Lautrec: Nach dessen bevölkerten Metropolen-Szenen sieht man nun Meer, Weite, Stadtwüste, vereinzelte Menschen. Hier sind die Nächte nicht gleißend, sondern funzelig. „Somewhere in France“ heißt, beinahe programmatisch, ein Bild – irgendwo in Frankreich. In einem solchen „Irgendwo“ verlieren sich Hoppers Figuren immerzu. Bei ihm ist der Mensch mit sich und seinen unerfüllten Sehnsüchten allein, selbst Gebäude wirken wie einsame Monolithen.

Elegischer Hang zum Unerreichbaren findet Ausdruck in ziellosen Passagen, Bootsfahrten in endlose Weite und Bahnstrecken, die ins Nichts zu führen scheinen. Unvergeßlich, wie intensiv Hopper die Körper zu wechselnden Tageszeiten herausmodelliert – wie unumstößliche Denkmäler des Alleinseins:‘

Toulouse-Lautrec: „Pariser Nächte“. Kunsthalle Bremen (Am Wall 207). Bis 22. Januar 1995. Di-So 10-20 Uhr. Eintritt Sa/So 15 DM. Wochentags 12 DM. Katalog 48 DM.

Edward Hopper: „Night Shadows“. Bremen, Kunstforum am Markt (Langenstr. 2 / Nähe Rathaus). Bis 30. November. Di/Mi 10-18, Do 10-21, Fr-So 10-18 Uhr. Eintritt 10 DM.




Shakespeare als Kind und als Karnevalist – Berliner Theatertreffen: Verdruss mit dem Klassiker, Glück mit Jelinek

Von Bernd Berke

Berlin. „Wow, sterben! Echt?“ So spricht sonst keine Julia von Shakespeare, so quatschen vielleicht Comic-Figuren oder „Szene“-Typen. Doch wenn eine Regisseurin wie Karin Beier sich das alte Liebesdrama in Frank Günthers Übersetzung vorknöpft, wächst Julia der Schnabel anders.

Es stand zu befürchten, daß das Berliner Theatertreffen nach seinem Senkrechtstart (die WR berichtete) ins Trudeln geraten würde. Tatsächlich legte die Düsseldorfer Version von „Romeo und Julia“ keine sonderliche Ehre ein. Der Beifall des kundig-kritischen Berliner Publikums im Schillertheater (als Staatsbühne bekanntlich weggespart) war Pflichtübung, mit Buhrufen für die Regie versetzt.

Karin Beier, die schon in der freien Szene mit Shakespeare umsprang und dann von Volker Canaris ans Düsseldorfer Schauspielhaus geholt wurde, setzt das berühmte Paar (Matthias Leja, Caroline Ebner) in eine Szenerie aus industriellen Fertigteilen. Sieht aus wie unter ’ner Autobahnbrücke. Hier können sich die jungen Leute mal richtig austoben – mit Disco-Tanz und Kung-Fu-Kampf.

Eine ganze Spielzeugkiste wird ausgekippt

Einmal hüpft sogar ein lustiger Aufziehfrosch daher. Eine Mixtur aus schöner neuer Fitness-Welt und Spielplatz. Beiers bunte Bühne spielt „Pelle, Petz und Pingo“. Doch solch allzu grelle Farbigkeit wird auf Dauer grau.

Platz für Liebe gibt’s hier natürlich nicht, nur für einen Zoo von wirren Gefühlen. In der gemeinhin als Balkonszene bekannten Sequenz schweben Romeo und Julia auf zwei Schaukeln und plappern wie Papageien. So etwas färbt ab. Auch ernstere Sätze klingen später kindsköpfig.

Leider sonnenklar, was Karin Beier uns beibiegen wollte: daß heutige Jugendliche die alten dramatischen Gefühle nicht mehr aufbringen können. Doch muß sie dazu ihre ganze Spielzeugkiste vor uns auskippen?

Sonderbar, wie sich die Handlung schließlich ins Hoffnungslose wendet. Vielleicht erklärt sich der schroffe Wandel so: Kind lacht. Kind weint. Und wird auch wieder lachen. Aber warum hat man diese Talentprobe gleich zum Berliner Theatertreffen eingeladen? Man hätte Karin Beiers weitere Entwicklung abwarten sollen.

Weißer Mercedes, schnurlose Telefone

Mit ihrer Auswahl von Shakespeare-Umsetzungen hatte die Jury der Theatertage eh keine glückliche Hand. Das zeigte auch Michael Jurgons‘ Schweriner „Othello“-Inszenierung, vorgeführt im Haus des Berliner Ensembles. Das Stück erstickt unter karnevalistischen Einfällen. Vordergründige Modernismen der kaum noch erträglichen Art kommen hinzu. Der eifersüchtige Othello (Dirk Glodde), im Übermaß geschminkt wie ein „Sarotti-Mohr“ und meist äffisch in seinem Gehabe, fährt schon mal im weißen Mercedes vor, und es wird eifrig mit schnurlosen Telefonen hantiert. Man führt DDR-Uniformen spazieren, ein Transvestit sächselt wie einst der verhaßte Staatschef Walter Ulbricht. Wenn ein Regisseur dermaßen Shakespeare nicht für voll nimmt, fällt es auf ihn selbst zurück. Überzeugend freilich der Intrigant Jago (Thorsten Merten), sympathisch-hemdsärmelig und kumpelhaft. Diesem Keri kann man es kaum übel nehmen, wenn er die Militaristen des Stücks gegeneinander hetzt.

Die Sprachmaschine wirft Deutsches aus

Mit einem ungeheuer schwierigen Text von Elfriede Jelinek plagte sich anderntags im Ballhaus Rixdorf zu Berlin-Neukölln ein sechsköpfiges Frauenensemble des Deutschen Schauspielhauses Hamburg (Regie: Jossi Wider): Jelineks „Wolken. Heim.“ versucht sich an sprachlicher Tiefen-Analyse prekären „Deutschtums“, anhand einer Textcollage von Hölderlin bis zum RAF-Bekennerschreiben. Die Zusammenstellung macht nationale Macken dingfest, sperrt sich aber gegen theatralische Umsetzung.

Desto staunenswerter. was die Hamburger daraus gewinnen. Die im Original nicht dialogisch aufgeteilte Textmasse wird zur Partitur für sechs Frauenstimmen, zur bösen Sprach-Maschine, die mit bedrohlichem Singsang immerzu erschreckend Deutsches auswirft. In Anna Viebrocks Bühnenbild zwischen Führer-Bunker, Kaserne und teutonischer Gemütlichkeit verleihen Darstellerinen wie Ilse Ritter und Marlen Diekhoff dem Stoff große Dringlichkeit. Die anwesende Autorin bekam rauschenden Applaus. Da war es wieder: das Glück des Gelingens im Theater.




Wuppertal: Museum muß vorerst keine Bilder verkaufen – Ratsbeschluß sorgt nur für vorläufige Entwarnung

Von Bernd Berke

Wuppertal. Vorläufige Entwarnung: Das Ansinnen der Stadt ans Von der Heydt-Museum, zwecks Aufbesserung der Finanzen einige Bilder zu veräußern, ist erst einmal vom Tisch. Dennoch hängt weiter ein Damoklesschwert über dem Museum.

Einstimmig beschloß der Wuppertaler Stadtrat am Montagabend eine Dreipunkte-Erklärung zum bundesweit beachteten Bilder-Streit. Darin heißt es u. a., einen regelmäßigen (!) Verkauf von Kunstwerken zur Etat-Steigerung dürfe es nicht geben. Damit bleibt die Möglichkeit offen, von Fall zu Fall eben doch solche Aktionen ins Auge zu fassen.

Weiter enthält der Ratsbeschluß einen Dank an die Stifter von Kunstwerken, denen man die Sorge nehmen will, die von ihnen zur Verfügung gestellten Werke könnten zur etwaigen Verkaufsmasse gehören. Schließlich wird festgelegt, daß nur die Museumsleitung selbst über eventuelle Verkäufe aus der Sammlung entscheiden dürfe.

So weit, so scheinbar beruhigend für Museumschefin Dr. Sabine Fehlemann. Als Kulturdezernent Heinz-Theodor Jüchter gestern den Ratsbeschluß erläuterte, war sie freilich sichtlich bedrückt. Sie gab denn auch auf Nachfragen zu verstehen, daß sie in Sachen Bilderverkäufe nicht mehr Stellung beziehen wolle. Hat man es ihr etwa untersagt? Sie selbst jedenfalls hatte kürzlich die städtischen Begehrlichkeiten mit einem alarmierenden Kurzinterview mit dem Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ ruchbar gemacht. Gestern aber sagte sie zu der ganzen Angelegenheit kein einziges Wort.

Kulturdezernent spricht von Millionen-Einsparungen

So ergriff denn – annähernd als Alleinredner – der Kulturdezernent die Gelegenheit, die Ratsmeinung zu interpretieren. Das Museum, so Jüchter, bleibe aufgefordert, seine Einnahmen deutlich zu verbessern. Die Stadt könne nicht mehr Geld zuschießen. Im Gegenteil.Er, Jüchter, müsse in den nächsten Jahren enorme Kultur-Sparvorschläge vorlegen, allein beim Theater gehe es um 6 Millionen DM.

Einen ersten Lichtblick für das Von der Heydt-Museum gibt es: Die aus Bukarester Schätzen bestückte Schau „Von Cranach bis Monet“ hat fast 95000 Besucher angezogen. Sonst kommen im ganzen Jahr nicht so viele Kunstinteressenten in das Elberfelder Haus. Der Überschuß der Ausstellung soll nun aber nicht in den Ankaufsetat des Museums gesteckt werden, sondern in Werbekampagnen.

Mit diesen Anstrengungen könnte jedoch ein Teufelskreis des Leistungsdrucks beginnen. Denn der erhöhte Werbeetat muß sich lohnen. Gäbe es Besucherflops, so würden alsbald die Alarmglocken läuten. Museumsleiterin Fehlemann muß nun wohl zusehen, daß ihre Ausstellungen „mehrheitsfähig“ sind. Sie geriete bei Fehlschlägen rasch in Begründungsnot und würde eines Tages doch wieder gedrängt werden, an Bilderverkäufe zu denken.

Übrigens kommen für derlei Verkäufe gerade mal jene sechs Prozent der Wuppertaler Bestände in Frage, die mit städtischen Geldmitteln angeschafft wurden. Es sind vor allem Werke von jungen Künstlern aus der Region, die eh keine großen Erlöse brächten. Der Löwenanteil des Eigenbesitzes stammt aus Stiftungen und wäre bei Verkäufen tabu, wie Kulturdezernent Jüchter versicherte.

 




Als Natur schon künstlich wurde – Deutsche Graphik der Goethezeit im Wuppertaler Museum

Von Bernd Berke

Wuppertal. „Zurück zur Natur!“ rief Jean-Jacques Rousseau. Um 1800, zur vielbeschworenen Goethezeit, folgten auch viele deutsche Künstler dem Appell. Es war fast zu spät, denn am historischen Horizont dämmerte schon die Industrialisierung herauf und drohte die Idyllen zu zerstören. Wie Graphiker des Klassizismus und der Romantik die Natur sahen, zeigt jetzt ein breiter Überblick Im Wuppertaler Von-der-Heydt-Museum. 260 Arbeiten aus Eigenbesitz sind zu sehen.

Das Verhältnis zur Natur muß schon damals oft recht künstlich gewesen sein. Zahllose Ideallandschaften mit all ihren pittoresk drapierten Zutaten hat es so niemals gegeben. Es waren geschönte Postkarten-Ansichten, aus lauter Versatzstücken gefügt. Hier eine antike Säule, dort ein edel, tugendsam oder heroisch aussehendes Menschlein, und im Hintergrund hatten sich derweil Wald und Flur immer hübsch nach dem goldenen Schnitt zu richten. Wirklich zu schön, um wahr zu sein.

Zudem suchten vor allem einige Romantiker in der Natur noch ganz anderes: nationale Identität etwa. Es war die Zeit, in der man z. B. die Alpen als Ort eines vermeintlich sittsamen Lebens entdeckte und in der das deutsche Mittelalter mitsamt Heldensagen in Naturkulissen verpflanzt wurde. Goethe selbst, dem viele Künstler ehrerbietig Arbeitsproben sandten, bewunderte zwar manch ein Blatt in ästhetischer Hinsicht, aber das nationale Gewese wurde dem Dichterfürsten denn doch etwas unheimlich.

Im Klassizismus wurde auch der Wüstling harmlos

Interessante Blätter sind zu sehen. Beispiele: Die „Faust“-Illustrationen des Peter von Cornelius oder die einlullenden Lieblichkeiten des Ludwig Richter. Sodann finden wir Bonaventura Genellis Zyklus ,Aus dem Leben eines Wüstlings“ (im Vergleich zu William Hogarths berühmter Serie „The Rake’s Progress“: klassizistisch geglättet und verharmlost), die idealisierten italienischen Landschaften von Joseph Anton Koch, die schon der Abstraktion zuneigende Naturmystik Philipp Otto Runges – und auch zwei Blätter von C. D. Friedrich.

Thematisch fallen die außerordentlich lebendigen Tierdarstellungen Johann Christian Reinharts etwas aus dem Rahmen. Sie verraten einen sonst seltenen Drang zum Realismus, dessen Arrangements allerdings gelegentlich unfreiwillig komisch wirken, etwa wenn naturgetreu gezeichnete Kühe oder Ziegen versonnen in künstlich hochgezüchtete Landschaften blicken.

Nicht immer ist die Natur dem Menschen gut. Bei Carl Wilhelm Kolbe („Landschaft mit groteskem Eichenbaum“) zeigt sie auch schon mal eine häßliche Fratze. Und Alfred Rethels Totentänze stehen vollends für die Nachtseiten.

Im Obergeschoß hat man eine zweite Ausstellung installiert: Zeichnungen des französischen Bildhauers Jean-Baptiste Carpeaux (1827-1876), eines Vorläufers von Auguste Rodin. Aufschlußreich der Vergleich mit den Lithographien und Kupferstichen der Goethezeit. Skizzenhaft war Carpeaux‘ Strich, nervös, zuweilen verzerrend bis zur Karikatur. Die Moderne war eben schon zum Anbeginn ein schmerzlicher Abschied von Beschönigungen.

Deutsche Graphik um 1800 – Klassizismus und Romantik / Jean-Baptiste Carpeaux. Von-der-Heydt-Museum. Wuppertal-Elberfeld (Turmhof 8). Bis 12. September. Di-So 10-17, Do 10-21 Uhr. Katalog 28 DM.




Joan Hoet und die „Oase von Schwerte“ – Diskussion mit dem documenta-Chef in der Ruhrstadt

Von Bernd Berke

Schwerte. Wenn das kein Lob aus berufenem Munde ist: Als „Oase in der Stadt“ hat Jan Hoet, Chef der vor einem Monat beendeten documenta, den rührigen Schwerter Kunstverein bezeichnet.

Hoet gab sich am Mittwoch abend in der Ruhrstadt die Ehre – und viele, viele kamen. Gleich zweimal mußte das Publikum in einen jeweils größeren Raum wechseln, bevor die Diskussion über Gegenwartskunst beginnen konnte.

Vom documenta-Dauerstreß ein wenig erholt, ging Hoet vor allem mit der Kunstkritik hart ins Gericht, die die Kasseler Schau überwiegend „verrissen“ hatte. Jawohl, er fühle sich „irritiert und verletzt“, bekannte Hoet. Nur wenige Rezensenten hätten die Schau als das genommen, was sie gewesen sei: als „offenes Feld“. Statt jedes Werk individuell zu betrachten, habe man nur gängige Positionen bestätigt sehen wollen. Hoet kulinarisch: „Die documenta war ein großes Gastmahl. Es gab auch geschmolzene Butter. Aber in Deutschland mag man nur harte Butter.“ Außerdem seien die Künstler sehr zufrieden mit der documenta. Darauf komme es an. Und 609.000 Besucher anzulocken, das solle erst einmal jemand nachmachen.

Leidenschaftlich wandte sich Hoet gegen jede vorschnelle Systematik in der Kunstbeurteilung: „Am besten ist es, wenn man so hinguckt, als ob man gar nichts wüßte“, meinte er unter beifälligem Nicken der Zuhörer. Überhaupt erntete er recht wenig Widerspruch. Eigentlich wurden ihm nur ein paar Künstlernamen entgegengehalten, die nicht auf der documenta vertreten waren – Einwände, die Hoet ziemlich leicht entkräften konnte. Immerhin entwickelte sich eine kurze Debatte über Kitsch und Zynismus in der Kunstszene.

Hoet ging aber auch auf einen ganz aktuellen Vorwurf ein. Viele hatten die letzte Ausgabe der ZDF-„Aspekte“ gesehen. Dort war behauptet worden, seit Ende der documenta würden einige in Kassel gezeigte Werke verschrottet. Hoet fuhr angesichts solcher „Unterstellungen“ aus der Haut. Nichts werde verschrottet. Im Gegenteil: Einiges sei verkauft, manches bleibe in Kassel. Lediglich „die Tapete mit den Ameisen“ sei abgerissen worden. Die aber existiere als Druckwerk vielfach.

Übrigens: Indirekt verdankt Schwertes Kunstverein seine Gründung dem belgischen Ausstellungsmacher. Vor einigen Jahren überzeugte ein Besuch in Hoets legendärer Ausstellung „Chambres d’amis“ (die in Genter Privatwohnungen stattfand) eine Gruppe aus Schwerte so sehr, daß man beschloß: Jetzt muß ein Kunstverein her!




Ein Schwabe sorgt für Kunstgenuß in Dortmund – Secessions-Bilder aus Rolf Deyhles Sammlung

Von Bernd Berke

Dortmund. Großer Tusch zur Dreifach-Premiere in Dortmund: Das Museum für Kunst- und Kulturgeschichte ist gewachsen; der Unternehmer Rolf Deyhle präsentiert erstmals seine Sammlung in unseren Breiten; die neue Dortmunder „Kultur und Projekte GmbH“ debütiert.

Atem holen und der Reihe nach: Das Museum an der Hansastraße öffnet sich nun auch in Richtung Bahnhof. Bedeutsam auch der Flächenzuwachs um 1000 qm, verteilt auf drei Räume, die – ohne architektonische Mätzchen – sich ganz in den Dienst der Kunst stellen. Damit verglichen, darbt das Ostwall-Museum. An der Hansastraße leitet Wolfgang Weick nunmehr das (teu)erste Haus am Platze.

Klar, daß man diesen Anbau nicht mit einer x-beliebigen Schau eröffnen konnte. Glücksfälle häuften sich, so daß man nun die neuen Hallen mit „Robert Breyer und die Berliner Secession“ würdig bestücken kann. Und das kam so: Der Stuttgarter Unternehmer Rolf Deyhle betreibt u. a. die „Stella Musical GbmH“, die in Bochum den „Starlight Express“ rollen läßt. Just deshalb ist er auch Mitglied im hochkarätigen Sponsorenring „Initiativkreis Ruhrgebiet“. Dort hat er viel Kontakt mit Prof. Jürgen Gramke vom Kommunalverband Ruhrgebiet. Der wiederum sorgte dafür, daß Deyhle sich für einen Dortmund-Abstecher jener Schau erwärmte, die auch noch in die USA und nach Japan wandert. Gesponsert wird die Tour von der Autofirma mit dem Stern.

Im Kontext von Liebermann, Corinth und Slevogt

Deyhle sammelt seit 30 Jahren Kunst. Inzwischen ist sein Domizil mit rund 2000 Bildern randvoll. Ganz im Stillen hat er eine der bedeutendsten deutschen Privatsammlungen zusammengetragen. Schwerpunkt: Künstler aus dem deutschen Südwesten. Doch die Kollektion ist nicht etwa provinziell. Rund um den aus Schwaben stammenden Sezessions-Maler Robert Breyer (1866-1941) gruppierte Deyhle dessen berühmte Mitstreiter: Max Liebermann, Wilhelm Trübner, Max Slevogt, Lovis Corinth, dazu – etwas außer der Reihe – Carl Hofer, Max Beckmann, Käthe Kollwitz.

Aus diesem prominenten Pulk ragen Breyers Bilder nicht hervor, sie werden aber aufgewertet. Auch bekanntere Künstler hatten eben ihre schwachen Stunden – und Breyer hatte seine starken. Die Sezession, ausgehend von München und kulminierend in Berlin, war die künstlerische Opposition gegen das Kaiserreich Wilhelms II. und dessen starre Akademiekunst. Vorbild waren Frankreichs Impressionisten.

Die Ausstellung ist nach Themen gegliedert: Porträts, Stilleben, „Garten und Park“, „Erotik und Exotik“ usw. Breyers Stärke sind Porträts und Atelier-Szenen. Vor allem die höchst eleganten Porträts lassen ahnen, daß Breyer aus begütertem Hause stammte. Das war auch sein Manko, denn er mußte nie „um sein Brot“ malen. So kam es wohl, daß er sehr bald in seiner Entwicklung stehenblieb und auch ziemlich Unsägliches malte – wie jene „Tauzieher“ von 1889. Dennoch kann man in dieser Anstellung schwelgen – im „Türkischen Bad“ (1903) ebenso wie in der „Atelierszene mit Frauen“ (1929).

Sammler Deyhle sprach gestern mit leiser Ironie vom „Hunger“, den seine Kollektion erregen könne. Aus den Zuhörerreihen kam der scherzhafte Zuruf: „Wir haben angebissen.“ Doch Dortmund, so Deyhle zur WR, kann sich nicht die größten Chancen auf Dauerleihgaben ausrechnen. Sinnvoll sei es, so Deyhle, seine Sammlung dereinst in Baden-Württemberg anzusiedeln. Immerhin: Dortmunds Museumsleiter Weick ist Schwabe – wie Deyhle. Da redet sich’s leichter miteinander.

„Robert Breyer und die Berliner Secession“. Museum für Kunst- und Kulturgeschichte, Königswall/Hansastraße. Ab sofort bis 20. September. Di.- So. 10-18 Uhr. Katalog 38 DM.




Ein Schönling schmilzt dahin – Bodo Kirchhoffs filmreifer Roman „Infanta“

Von Bernd Berke

„Mindanao, Cebu City, Frankfurt und Rom – Januar 1985-Januar 1990″. Diese „Signatur“ von Bodo Kirchhoff am Schluß seines Romans läßt auf mehrerlei schließen. Der Autor ist reisefreudig, und er hat sich beim Schreiben Zeit gelassen. Er hat sich nicht dem Zwang unterworfen, jedes Jahr mit einem neuen Werk „auf dem Markt“ zu sein.

Ein häufiger Vorwurf an unsere Schriftsteller lautet ja, daß sie vor dem bis dato weitgehend behüteten, nicht eben zum rauschhaften Schaffen antreibenden Leben hierzulande in ferne Weiten flüchten – in Träume, erklügelte Künstlichkeiten oder fremde Länder.

Solchen Anwürfen entgeht Kirchhoff virtuos, indem er sie unterschwellig zum Thema macht. Da läßt er einen – sonst im römischen Luxus-Ambiente wohnenden – Deutschen namens Kurt Lukas, charakterlich so blaß wie die beliebige Abfolge seines Vor- und Zunamens, mitten in philippinische Revolutionswirren taumeln. Lukas ist Dressman für edle Reklame: „unbeschriebenes Blatt“, Schönling, unbeleckt von größerem Leid. Ausgerechnet so ein Mann gerät nun, quasi stellvertretend für eine (in Sachen Existenznot relativ unbedarfte) „gesamteuropäisch-amerikanische“ Zivilisation, in die Provinz eines bitter armen Landes der „Dritten Welt“.

Ohne daß Namen genannt werden, ist bald klar, daß der mit Elementen eines Polit-Krimis verschnittene Roman in jener Zeit spielt, als Diktator Marcos sich noch mit schmutzigsten Mitteln an die Macht klammerte, während die Mehrheit des Volkes für Frau Aquino demonstrierte. Zahllose Details lassen ahnen, daß sich der Autor intensiv auf den Inseln umgetan hat. So entgeht er der oberflächlichen Exotik der Schauplätze.

In die politische Zwischenzeit fällt Lukas wie in eine Untiefe: Die unaufhörlich lastende Hitze des Landes löst alle festen Formen auf, auch die Seele gerät „ins Schwimmen“. Politisch-erotischer Siedepunkt der Handlung ist das in Manila spielende Mittelstück, drittes von fünf Kapiteln. Die Aufteilung gemahnt ans klassische Drama.

Fünf Missionare, eine bizarr-liebenswerte Gesellschaft alter Männer, haben Kurt in der tiefsten Provinz der philippinischen Südinsel aufgenommen. Das heißt, eigentlich locken sie ihn dorthin, um mit ihm einen subtilen Lebend-Versuch über die irdische Liebe anzustellen, die sie allesamt nie so richtig kennengelernt haben. Zweite „Versuchsperson“ ist die wunderschöne Philippinin Mayla, zunächst Haushälterin bei den frommen „Fathers“, dann (im Sinne der Landreform) einflußreiche Sekretärin beim Bischof, die gezielt mit Lukas zusammengebracht wird.

Kirchhoff führt ein facettenreiches Panoptikum der Liebes-Zustände vor – vom kaum noch erzählbaren Ideal-Zustand bis zur absoluten Negation. Und mehr noch: Es ist dies auch ein über weite Passagen beinahe kokett-zurückhaltend wie spannend erzähltes Buch, z. B. über Reibungsverhältnisse zwischen Sprache und Liebe, Leben und Schreiben, zwischen politischer Wirklichkeit und ihrer dramaturgisch zugerichteten Darstellung in den Medien.

Kirchhoff verfügt über einen raffinierten, nur scheinbar „einfachen“ Stil. Ständige Perspektiven-Wechsel (Zitate aus fiktiven Tagebüchern der Missionare) verfeinern noch die Darstellung. Solch souveräne Könnerschaft gleicht überlegener Kälte zum Verwechseln.

Übrigens: Das Buch ist so bildkräftig, daß es nach Verfilmung „schreit“. Schon die Eingangsszene wirkt kinogerecht, wie mit einer Kamera abgetastet. Überhaupt ist Kirchhoff besonders ein Meister der Anfänge, während er für die „Durchführung“ nicht durchweg den nötigen Langstrecken-Atem hat.

Bodo Kirchhoff: „Infanta“. Roman. Suhrkamp-Verlag, 502 Seiten. 39,80 DM




Weltweit größtes Beuys-Museum entsteht am Niederrhein

Von Bernd Berke

Düsseldorf. Mit zunächst rund 40 Millionen DM kann am Niederrhein das weitaus größte Beuys-Museum der Welt entstehen. Die Eröffnung ist für 1994/95 geplant.

Mit dem Millionen-Betrag, berechnet nach heutigem Kostenstand, soll das zwischen Kleve und Kalkar gelegene Schloß Moyland zum Museum umgebaut werden. Der größte Teil der Summe kommt aus Landesmitteln für Stadterneuerung Das Land wird auch rund 80 Prozent der Betriebskosten (nach Eröffnung ca. 1,7 Mio. DM jährlich) finanzieren. NRW-Ministerpräsident Johannes Rau (SPD), der die entsprechenden Kabinettsbeschlüsse seiner Landesregiemng gestern in Düsseldorf erläuterte, sprach von einer Sternstunde fur die hiesige Kunstlandschaft.

In die „Stiftung Museum Schloß Moyland“ gehen zwei Besitztümer ein: Zum einen die umfangreichste BeuysSammlung überhaupt, zusammengetragen von den Brüdern Hans und Franz Joseph van der Grinten (Kranenburg/Nîederrhein). Die beiden Bauernsöhne, heute ausgewiesene Kunstexperten, hatten als Jugendliche mit dem aus Kleve stammenden Beuys Freundschaft geschlossen und ihm manches Werk abgekauft, als er noch längst nicht weltberühmt war. Zweites Stiftungsvermögen ist das Schloß selbst, das sich heute im Besitz des Barons Adrian von Steengracht befindet und dessen Vorfahren es 1766 erwarben. Der gotische Kernbau (14./15. Jhdt.) wurde später im neugotischen Stil „ummantelt“. Zur stolzen Geschichte des Gemäuers gehört u. a. die legendäre erste Begegnung Friedrichs des Großen mit dem französischen Philosophen Voltaire im lahr 1740.

Nach schweren Kriegbeschädigungen drohte das Schloß zur Ruine zu verfallen. Davon ist längst keine Rede mehr. Im Gegenteil: Auch der Schloßpark wird wahrscheinlich wiederhergestellt. Die Gesamtanlage dürfte ein Schmuckstück der mit 348 Instituten nicht gerade ärmlichen NRW-Museumslandschaft werden. Besonderen Reiz verspricht man sich vom Zusammenspiel altehrwürdiger Geschichte und zeitgenössischer Kunst.

Johannes Rau schwärmt von der Sammlung

Johannes Rau, der das Zustandekommen der Stiftung als Fügung großer Glücksfälle bezeichnete, sagte, die Kollektion umfasse derzeit rund 40 000 Originalkunstwerke und reiche Archivbestände. Werke von Joseph Beuys (über 220 gemalte Arbeiten, zahlreiche Plastiken, über 250 Objekte, mehr als 3500 Zeichnungen/Aquarelle sowie ein riesiges Beuys-Archiv u. a. mit Briefen) sind dabei „nur“ das Herzstück. Hinzu kommen etliche wertvolle Bilder, Objekte und Skulpturen rheinischer Künstler: aus dem Umkreis der Düsseldorfer Kunstakademie und überhaupt aus dem weiten und prominent besetzten Feld der Moderne. Kupferst’iche, ein Medaillenkabinett, eine Plakatsammlung sowie eine photographische Abteilung runden die Sammlung ab.

Die Bestände sind dermaßen groß, daß laut Auskunft der Bruder van der Grinten nur jeweils 8 bis 9 Prozent auf einmal gezeigt werden können. Mithin wird man auch ständig Wechselausstellungen aus Eigenbesitz veranstalten können, man muß sich nur im Depot bedienen. Das Schloß soll einen vollwertigen Museumsbetrieb (mit pädagogischem Dienst, Werkstätten usw.) aufnehmen und durch Ankäufe seine Sammlung möglichst noch erweitern.

Daß Beuys‘ schwieriges Werk die Leute abschrecken könne, glauben die Brüder van der Grinten keineswegs. In letzter Zeit seien breites Interesse und Wohlwollen auch bei Nicht-Experten festzustellen. Außerdem werde man sich bemühen, Besucher mit ge-genständlichen Arbeiten von Beuys (Zeichnungen) behutsam heranzuführen.




Die Welt sieht aus wie ein krankes Organ – Ingomar von Kieseritzkys „Anatomie für Künstler“

Von Bernd Berke

Wer Ingomar von Kieseritzkys heimlichen Bestseller, die irrwitzige Katastrophen-Enzyklopädie „Das Buch der Desaster gelesen hat, wird – da gibt es wohl kaum einen Mittelweg – diesen Autor entweder herzhaft hassen oder begierig zu seinem nächsten Buch greifen: „Anatomie für Künstler“ heißt es und ist wiederum so schnoddrig-zynisch geschrieben wie der ; Vorläufer. Mitleidlos-medizinischen Blicks, sieht der Autor die Welt gleichsam an wie ein krankes Organ.

Es geht buchstäblich ums Irresein. Kieseritzkys „Held“ und Ich-Erzähler Marun sitzt in der Gummizelle einer Anstalt. Mit Medikamenten vollgepumpt, kaum noch denkfähig, aber noch nicht lendenlahm und also ständig in bitter-komischen Sexualnöten, macht der Ex-Antiquitätenhandler sich ans Schreiben von Briefen und Eingaben, ans Ausfüllen idiotischer Fragebogen der Psychiater usw. Aus solchen Schriftstücken bestehen große Teile des Buchs. Man ahnt zunächst nur: Der Mann muß kürzlich eine ganz fürchterliche Mordserie auf einem Treffen hochkarätiger Wissenschaftlern „hingelegt“ haben. Er selbst kann sich an kaum etwas erinnern.

Von seinen Versuchen, die Sache irgendwie zu rekonstruieren, handelt „Anatomie für Künstler“ (dessen Titel auf Seite 136 „erklärt“ wird). Immer wieder kreisen Maruns lüsterne Gedanken und die treulose Ex-Gespielin Laura, aber auch um einen mehr als spleenigen Onkel in England sowie einige exzentrische Freunde, die den Kultursektor mit abstrusen Elaboraten bedienen.

Durch Briefwechsel und Erinnerungs-Partikel findet allmählich die Welt Einlaß in die Zelle, bzw. die Zelle weitet sich zur bizarren Weltansicht. Und wir fragen uns: Ist denn diese Welt etwa eine einzige geschlossene Anstalt, von lauter Verrückten bevölkert?

Kieseritzky. macht jedenfalls aus menschlichen Leiden und Wahn-Systemen die pure Groteske; er kommt bei seinen Schilderungen ohne jedes erkennbare Mitleid und ohne jede „Moral“ aus, liefert elende Szenen laufenden Irrsinns gleichsam roh und „nackt“. Auch ist er ein Meister der fröhlichen Abschweifung, darin würdiger Nachfahre eines Laurence Sterne. Die Themen-Mixtur sorgt für zündende Kontraste – und für plötzlich auflodernde Erhellungen, so etwa, wenn pornographische Gewaltphantasien mit der Sprache der KZ-Schergen „kurzgeschlossen“ werden.

Als begnadeter „Chaosforscher“ entwirft Kieseritzky ständig neue und absurde Stichwort-Listen und Systeme – ein Spiel mit zwangsneurotischen Gedankenmustern. Sprachlich durchmißt er dabei alle Höhen und (Un-)Tiefen.

Ingomar von Kieseritzky: „Anatomie für Künstler“. Roman. Klett-Cotta Verlag, 234 Seiten, 36 DM.




Kraftakt mit Trabi – Wuppertal stemmt Heiner Müllers „Germania Tod in Berlin“ im Schnelldurchgang

Von Bernd Berke

Wuppertal. Rekordverdächtige Wuppertaler Bühnen: Nach nur zwei Wochen Probenzeit hat man einen „Brocken“ wie Heiner Müllers rabiat-genialische Geschichtscollage „Germania Tod in Berlin“ auf die Bretter gebracht. Und man dürfte zu den ersten Theatern gehören, die einen leibhaftigen „Trabi“ szenisch einbeziehen.

Man kann sich das in etwa vorstellen: Die Theaterleute waren – wie wir alle – fasziniert von den unglaublichen Vorgängen in der DDR, sie wollten aber nicht allzu lange sprachlos bleiben, weil sie (wie das Programmheft verrät) Angst hatten, daß Wiedervereinigungs-Schwätzer nationalistischer Prägung nun wichtige Positionen (verbal) besetzen. Her also mit einem deutsch-deutsch deutbaren Stück; hurtig also in den Kostüm- und Requisitenfundus und schnell das Passende hervorgeholt: ein Stoffbär mit Zinnenkrönchen aus Papier? Als Symbol für Berlin geeignet! Ein Hakenkreuz-Emblem? -Kann doch, auf die Jacke des „Alten Fritz“ gepappt, für die furchtbare Kontinuität deutscher Geschichte stehen!

Jeder Vergleich mit Frank Patrick Steckels Bochumer Inszenierung vor Jahrsfrist wäre ungerecht. Steckels Bearbeitung war bis in die Feinheiten durchdacht, sie trieb aus Entsetzen Scherz und aus Scherz Entsetzen hervor. Dagegen bleibt Holk Freytags handstreichartige Einrichtung des Stückes noch ganz im Bann der November-Euphorie, sie läßt die blutvolle deutsche Historie zwischen Nibelungen-Sage und Zweistaatlichkeit in nur eineinhalb Stunden vornehmlich als Farce abrollen und kommt erst spät darüber hinaus, Müllers Text einige kabarettistische Lichtlein aufzusetzen.

Breitwandeffekt im Theaterfoyer

Gespielt wird im Foyer, mit Breitwandeffekt. Von überall her, auf Treppen und provisorischen Podesten, tauchen die Figuren auf. Manche Szenen werden da ganz verschenkt, weil sie schon räumlich zu sehr auseinanderdriften. Was, wiederum mit Zeitdruck erklärbar, am besten gelingt, sind Szenen mit flüchtigem Sketch-Charakter, so z. B. ein unverhoffter „Gorbi“-Auftritt oder die Darstellung der grotesk-kindischen Nibelungen-Schlagetots. Insgesamt aber gilt: Bei dieser Parforce-Tour ist der Zuschauer ohne vorherige Kenntnis des Stücks verloren. Die Widersprüchlichkeit der Vorlage, die zwisehen Stalinismus und Antistalinismus oszilliert und mal Klitterung, mal Vision ist, wird letztlich verfehlt. Gcsetzt, der Text wäre ein Steinbruch, so hat man nur einiges Geröll und Kiesel hervorgeholt.

Zur aktuellen deutsch-deutschen Lage tragen weder Stück noch Inszenierung überragende Erkenntnisse bei. Es sei denn, man wertet die Tatsache als wichtig, daß die Texte beider Nationalhymnen prima auf die Melodie der jeweils anderen passen, wie hier sangbar demonstriert wird.

Das junge Ensemble, wiederum die kurze Probenzeit in Rechnung gestellt, schlägt sich gleichwohl tapfer. Außerdem ist vielleicht gerade dies eine Inszenierung, die sich im Lauf der nächsten Wochen noch verändern und entwickeln kann. Nur: Die Zeit hätte man sich durchaus vorher nehmen dürfen. Das Theater muß nicht mit Zeitungen konkurrieren wollen, auch wenn ein gewisser Peter Zadek das einst gefordert hat. Riesenbeifall gab’s. Es war halt ein geneigtes Premierenpublikum.




Politische Gründe: Land streicht Zuschüsse für chinesische Tournee – Gastspiele in Iserlohn und Lüdenscheid gefährdet

Von Bernd Berke

Düsseldorf/Lüdenscheid. Die große Gastspiel-Tournee der chinesischen Sezuan-Oper durch zehn NRW-Städte, darunter Lüdenscheid und Iserlohn, ist nunmehr ernsthaft gefährdet. Wie die WR gestern erfuhr, hat das Land Nordrhein-Westfalen seine Zuschüsse für die Gastspiele zurückgezogen.

Jürgen Weiss, in der Düsseldorfer Staatskanzlei zuständig für intemationale Fragen, zur WR: „Angesichts der politischen Ereignisse in China erschien uns die finanzielle Unterstützung derzeit als nicht opportun“. Damit fehlen insgesamt 100 000 DM für die Gastspielreise, also 10 000 DM pro beteiligter NRW-Stadt. Es ist fraglich, ob die Kommunen diesen Anteil aus eigenen Töpfen ersetzen können.

Lüdenscheids Kulturdezernent Klaus Crummenerl, der erst durch die WR vom Düsseldorfer Entscheid erfuhr, reagierte gestern tief enttäuscht: Er halte den Beschluß für nicht richtig Und „politisch doppelbödig“. Die Kultur dürfe nicht auf solche Weise zum Büttel der großen Politik gemacht werden. Falls jetzt Schadenersatzansprüche von irgend einer Seite auf die Stadt Lüdenscheid zukämen, werde man überlegen, ob man sich i nicht beim Land schadlos halten könne, sagte Crummeneri. In Iserlohn war noch keine Stellungnahme zu erhalten.

Jürgen Weiss von der Düsseldorfer Staatskanzlei räumte ein, man sei „ein bißchen hin- und hergerissen“ gewesen, denn kulturelle Bindungen müßten normalerweise gepflegt werden. Und: „Die Verindungen zum chinesischen Volk wollen wir ja halten“. Es habe aber bereits im Juni, kurz nach den Massakern in Peking, einen Düsseldorfer Kabinettsbeschluß gegeben, nach dem die Beziehungen des Landes zur Volksrepublik China vorläufig „einzufrieren“ seien. Ausnahmen waren dabei lediglich für laufende vertragliche Verpflichtungen des Landes NRW vorgesehen. Solche hätten aber im Falle der Sezuan-Tournee wohl nicht bestanden. Man habe jedenfalls abgewartet, ob sich die Lage in China entscheidend verändern würde. Das sei bekanntlich nicht geschehen.

Das spektakuläre Gastspiel der Sezuan-Oper (kompletter Name: Chengdu Municipal Sichuan Opera Theatre) sollte am 5. Oktober ein Kernstück der Lüdenscheider Kulturtage mit China werden. Wie berichtet, hatte die Truppe Bert Brechts Stück „Der gute Mensch von Sezuan“ auf die klassische Spielweise der chinesischen Oper übertragen wollen. Die China-Ausstellungen der Kulturtage sind durch den Düsseldorfer Beschluß nicht gefährdet.




Künstler werden für 320 Mark

Wer möchte nicht ein Künstler sein? Dieser Beruf kann unter Umständen viel Prestige einbringen. Wird nämlich ruchbar, daß man’s ist, steht man womöglich sofort im Mittelpunkt jeder Party.

Mancher, der es vielleicht noch nicht ist, kann es nun werden. Er/sie kann sogar ein entsprechendes Diplom erhalten, einen Künstler-Ausweis dazu und den Kunstpreis „La Musa dell’Arte“ gleich obendrein. Wie das?

Eine neue Organisation mit dem blumigen Namen „Albo professona!e degli artisti europei“ (nüchtern übersetzt: Berufs-Album europäischer Künstler), ansässig im italienischen Calvatone, verspricht Rat und Hilfe.

Per Rundbrief wird einem europaweiten Interessentenkreis der Beitritt schmackhaft gemacht. Nicht nur bildende Künstler könnten Mitglieder werden, nein, willkommen seien z. B. auch: Arzte, Architekten, Rechtsanwälte, Schauspieler, Tänzer, Journalisten, Musiker „sowie alle übrigen, die sich auf humanistischem Gebiet einsetzen“. Ein breites Spektrum, fürwahr.

Jedenfalls: Wer beitritt, soll ins Berufsalbum eingetragen werden und ein Vorzeige-Exemplar desselben erhalten, Mitgliedsausweis und Diplom inklusive. Außerdem möge man doch folgenden Satz ankreuzen und mit Unterschrift besiegeln: „Nehme die Verleihung des großen Preises von Europa ,La Musa dell’Arte‘ an und erwarte, daß ich diesen großen Preis zugesandt bekomme“. Wer kann da schon Nein sagen? Schließlich bestehe die Auszeichnung aus einer Messingskulptur mit 24 Karat Gold („einzig auf der Welt“) .

Übrigens: Der Mitgliedsbeitrag beläuft sich auf 320 Mark. So „preiswert“ kann es sein, Künstler zu werden.                                                                                          Bernd Berke




Das Gewicht von Lüdenscheid

Von Bernd Berke

Lüdenscheid. Der rührige Uwe Obier, Leiter der Städtischen Galerie Lüdenscheid, steht dafür ein: In der Kunstlandschaft hat die Stadt ihr Gewicht. Das nimmt der Künstler Peter Freese – mit Anhauch von Ironie – ganz wörtlich.

Aus Holzlatten hat Freese ein schematisches Autobahnnetz von NRW angefertigt; die Stadt-Punkte werden mit Eisengewichten, wie man sie vom Wochenmarkt her kennt, markiert. Was schon die Anschauung offenbart, wird auf der zugehörigen Skizze präzisiert: Lüdenscheid kommt ein sattes 10-Kilo-Gewicht zu. Daneben nehmen sich Dortmund (ein Kilogramm), ja selbst die Kunstmetropolen Köln und Düsseldorf als Leichtgewiçhte aus. Bochum ist sogar nur durch eine Leerstelle repräsentiert. Wo ein Gewicht stehen müßte, tut sich das blanke Nichts auf.

Klar: Das ist stark übertrieben, ist Chuzpe, eine Frechheit. Doch der „Standort Lüdenscheid“, den Freeses Arbeit so gewichtig versinnbildlicht, wird auch in der Ausstellung gleichen Namens seinem Ruf gerecht, ein bemerkenswertes Kulturzentrum Südwestfalens zu sein.

Anlaß der Ausstellung „Standort Lüdenscheid“ ist das zehnjährige Bestehen des „Märkischen Stipendiums“, hier desjenigen für Bildende Kunst. Gezeigt werden in der Städtischen Galerie (Alte Rathausstraßel) insgesamt rund 50 Arbeiten jener Künstler, die während dieser zehn Jahre eines der (mit 24 000 DM und freiem Atelier in Lüdenscheid dotierten) Stipendien erhielten. Der Überblick macht deutlich, daß die Juroren keine bestimmte Richtung über die Jahre hinweg favorisiert und schon gar keinen Modeströmungen nachgegeben haben, sondern nur dem Argument der Qualität.

Wer vielleicht Schwellenangst vor gegenwärtiger Kunst verspürt, bekommt dies Gefühl in Lüdenscheid auf spielerische Weise „gespiegelt“: Der einzig gangbare Weg in die Ausstellung führt nämlich über die „Markierungsarbeit“ von Hannes Forster – eine Aufpflasterung, die man  wohl oder übel beschreiten muß. Wer das tut, der „steht auf Kunst“. Auch das mag man wörtlich nehmen. Eine weitere Bodenplastik, von Nikolaus Gerhart, ist stummes Zeugnis einer „Rettungsaktion“. Es handelt sich um ein Wandstück, das Gerhart beim Abriß einer alten Lüdenscheider Werkstatt beiseite bringen konnte. Ein minimaler Rest von Vergangenheit. Doch es gilt zu retten. was zu retten ist.

Den allermeisten Arbeiten (rare Ausnahme: Freese) kann man sich kaum auf einer bloßen Inhaltsebene nähern; man muß sich schon auf Form-Sprachen einlassen. Das gilt etwa für die Lineaturen der Schrift-Bllder von Rolf Nickel, für die antennenartigen Installationen von Günther Zins und die metallischen Schwingungsgebilde von Erwin Herbst.

Die Ausstellung ist bis 3. Juli zu sehen (Katalog: 25 DM).




„Waldheim hat mich in den Nacken geküßt“ – furioses Interview mit Claus Peymann in der „Zeit“

Wien/Hamburg. (bke) In die vollen gegangen ist Wiens Burgtheaterdirektor Claus Peymann in einem gestern veröffentlichten Interview mit der Hamburger Wochenzeitung „Die Zeit“. Schon der Einstieg ist stark. Peymann über Wien: „Wenn Sie wüßten, was für eine Sch.. . ich hier erlebe! Man müßte dieses Theater… abreißen lassen. Vielleicht schmeiße ich morgen schon alles hin.“

Peymann, der sich selbst als einen „Vergewaltiger auf der Probe“ bezeichnet, der „brutalste Gewalt“ anwende, um Schauspieler auf seine Linie zu zwingen, schont auch seine Regie-Kollegen nicht. George Tabori danach „eine absolute Sau in der Arbeit“, „ein Tyrann erster Güte.“ Klaus Michael Grüber (Schaubühne Berlin) sei eh nur „dauernd besoffen“, Dieter Dorn (Kammerspiele München) sei jemand, der „eine Inszenierung nach der anderen hinwichst“. In diesem Stil zieht Peymann, der sich in dem Gespräch „weitaus gebildeter als die meisten Regisseure“ nennt, munter weiter vom Leder. Kritiker, Autoren, Schauspieler – alle bekommen ihr Fett ab.

Grotesk schließlich, was der Ex-Bochumer Schauspielchef über Österreichs Bundespräsidenten Kurt Waldheim verrät. Das umstrittene Staatsoberhaupt habe ihn, Peymann, „neulich überraschenderweise in den Nacken geküßt.“ Damit habe Waldheim – nach einer Aufführung von „Richard III.“ – überfallartig seine Bewunderung für Peymanns Arbeit bekunden wollen. Peymann: „Es war eine Vergewaltigung.“




Phantomkünstler und Autosalon im Museum – „Stellproben“ am Dortmunder Ostwall

Von Bernd Berke

Dortmund. Vorsicht! Wer zur Ausstellung „Stellproben“ (Eröffnung Sonntag, 11.30 Uhr; Dauer bis 12. Juni) ins Dortmunder Ostwall-Museum geht, könnte in einige Sinnfallen tappen.

Die Irritation beginnt gleich hinter dem Eingangsbereich. Vier nagelneue Exemplare einer bayerischen Marke lassen für einen Moment das Gefühl aufkommen, in einen Autosalon geraten zu sein. Doch die knallroten Fahrzeuge, noch dazu auf rotem Teppich, sind eine Installation und stammen aus der Ideenwerkstatt des Franzosen Ange Leccia, der schon bei der letzten „documenta“ die autombile Waren-Ästhetik in museale Umgebung verpflanzte; damals freilich bediente er sich der Stuttgarter Nobelmarke. Die vier Ostwall-„Schlitten“, die übrigens nur mit Mühe durch die schmalen Museumspforten paßten, wirken auf den ersten Blick wie ineinander verkeilt. Doch die vermeintliche Blockade täuscht. Alle könnten sogleich losfahren.

Die Verwirrung setzt sich – noch weitaus subtiler – damit fort. daß man noch nicht einmal ohne weiteres sagen kann, wieviele Künstler eigentlich an der Dortmunder Ausstellung beteiligt sind. Und das kommt so: „Four American Artists“ (vier amerikanische Künstler) lautet der Titel einer Folge von vier Räumen und eines schmalen Extra-Katalogs. Doch wer nun mit aufgesetzter Kennermiene behauptet, Werke von dem und jenem habe er bereits irgendwo gesehen, blamiert sich gründlich. Denn die vier US-Künstler gibt es gar nicht, sie sind allesamt eine Erfindung des Belgiers Guillaume Bijl. Für die perfekte Illusion einer US-Gruppenausstellung hat Bijl, der auf der nächsten Kunst-Biennale in Venedig verbreten sein wird, vier Künstler-Namen samt Phantom-Biographien ersonnen und sich vier „Stil-Masken“ aufgesetzt. Das funktioniert. Man mag kaum glauben, daß die Arbeiten (ein Raum zeigt z. B. minimalistische Kunst, der nächste pop-artistische Spiele mit „trivialen“ Objekten) von einem einzigen Künstler herrühren. Fehlt eigentlich nur noch, daß Bijl vier Konten fürs Künstlerhonorar einrichtet.

Sehr genau muß man auch bei dem in Düsseldorf lebenden Stefan Demary hinschauen, um nicht dem Trug zu verfallen. Er verfremdet im Detail: Da fährt ein Legostein-Auto gegen alle physikalisehen Gesetze durch eine Wand, ein Schachspiel besteht – nun spielt mal schön! – nur aus schwarzen Figuren, ein gepunkteter Hund stiert Wandflecken an, die so aussehen, als gehörten sie zu seinem Fell – und Kanzler Kohl trägt eine Zusatzbrille verkehrt herum.

Hinter diesen winzigen Manipulationen wirkt eine Installation des Belgiers Luc Deleu um so wuchtiger, gewaltiger. Wie von einer Gigantenfaust hingeschmettert: ein raumfüllendes Chaos aus Dutzenden von stehenden, liegenden, gestürzten Altglascontainern (man muß sich regelrecht an den grünen Dingern vorbeidrücken). Der Müllbehälter als Müll, als Wegwerf-Gegenstand. Übrigens: Besucher, so bitten die Museumsleute, sollten kein Altglas mitbringen. Eine weitere Idee konnte der Künstler aus finanziellen Gründen in Dortmund nicht verwirklichen, sie wird nur als Skizze auf dem Deleu-Katalog angedeutet. Burgzinnen vergleichbar, wollte der Belgier rund um das Dach des Ostwall-Museums 608 Verkehrszeichen (No. 205 = Gefahrenstelle) anbringen. Gar so schlimm ist es denn doch nicht: Das Museum ist kein gefährlicher Ort, es wirbelt nur ein bißchen unsere Sehgewohnheiten durcheinander.




Sponsoren hoffen auf Kunst als Werbeträger – Tagung in Köln: „Marketing mit dem Museum“

Von Bernd Berke

Köln. Unsere Museen ächzen unter Finanznot, unsere Unternehmen sind auf der Suche nach einem gepflegten Image. Beiden soll geholfen werden, das Zauberwort heißt „Sponsorschaft“.

Eine Tagung unter dem dynamischen Titel „Marketing mit dem Museum“ brachte gestern in Köln Wirtschafts-Vertreter und Museumsleute zwecks „Abbau der Berührungsängste“ an einen Tisch. Besonders Manager aus der Auto- und Bank-Branche zeigten sich aufgeschlossen. Aber auch andere Zweige waren vertrçten. Als Dortmunder Teilnehmer hatte sich Heinrich Frommknecht, Vorstandschef der „Signal“-Versicherung, angesagt.

Wohin die Reise geht, brachte Prof. Hugo Borger, Generaldirektor der neun Städtischen Museen zu Köln, in aller Deutlichkeit auf den Punkt: „Ich würde sogar meinen Dienstwagen mit dem Namen einer Firma schmücken, wenn es der Sache des Museums dient“, sagte Borger in seiner Eröffnungs-Ansprache. Er hoffe inständig, daß Betriebe, die Ausstellungen mitfinanzieren, anschließend mehr verkaufen: „Dann können sie uns beim nächstenmal noch besser unterstützen.“

Borger diente sich den versammelten Indusüievertretern als Werbepartner an. Der Museumsmann befand, daß Produktwerbung im Museum wirksamer als Sportwerbung sein müsse. Die Museen seien längst keine verstaubten Verwahranstalten mehr, sondern „Erlebnisräume“; sie hätten „mehr Besucher als die Fußballstadien“, darunter zunehmend solche aus der (besonders konsumkräftigen) Altersgruppe zwischen 20 und 40. Fazit: Er, Borger, habe gar keine Bedenken, demnächst z. B. wieder kostbares antikes Glas in Zusammenarbeit mit der Firma Olivetti zu präsentieren. In den USA und Japan seien solche Kooperationen selbstverständlich. Bei uns hingegen müsse vor allem der Mittelstand für „Sponsorship“ gewonnen werden.

Mitveranstalter der Tagung war eine in Frankfurt ansässige „Initiative für Industrie-Kultur e. V. – laut Satzung ein Zusammenschluß von „Privatleuten“, die aber größtenteils der Industrie verbunden sind. Im Namen dieser Initiative hielt Richard Bachinger (Dresdner Bank) ein Kurzreferat, in dem er auch die „Aufgabe der Medien“ nicht vergaß: Wenn ein Unternehmen eine Ausstellung finanziell fördere, so sollten Presse, Funk und Fernsehen den Sponsor gefälligst auch nennen. Denn: Man müsse die Investitionen in Kultur vor den und Aktionären vertreten können. Das aber werde erschwert, wenn der Image-Effekt zu gering sei. Bachinger mahnend: „Sponsoring muß ein Geschaft auf Gegenseitigkeit sein.“

Zur Frage, was sich die Unternehmen von Kulturförderung versprechen, hieß es, die spendablen Firmen verfolgten eine „Corporate Identity-Strategie“. Klartext: Da sie sich immer weniger durch ihre Produkte oder Dienstleistungen voneinander abheben, wollen sie eine klar erkenn- und unterscheidbare Identität erwerben, beispielsweise durch Kultur. Der Ausstellungsbesucher soll sich, möglichst noch nach Jahren, erinnern. Etwa so: „Die Firma X ? Ach, das waren doch die, die damals die wundervollen Rembrandt-Bilder in Y-Stadt gezeigt haben!“




Kinder aus Nazi-Familien: Fluch der späten Geburt – Monolog-Folge „Schuldig geboren“ in Bochum

Von Bernd Berke

Bochum. Draußen in der kalten Nacht geht, nervös kettenrauchend, ein Mann auf und ab. Es ist der Schauspieler Sven-Eric Bechtolf. Wir Theaterzuschauer sehen ihn durch die Fensterscheiben des Kammerspiel-Foyers, hören ihn via Mikrophon und Lautsprecher.

Hinter Bechtolf: (echte) Taxifahrer und ihre Fahrgäste, über den „verrückten“ Nachtwandler lachend. Noch weiter hinten, auf der gegenüberliegenden Straßenseite: das fernsehabendliche Flimmerlicht in den Wohnzimmern. Drinnen, im Foyer, laufen auch zwei Monitore, das Alltäglichste vom Alltäglichen zeigend, vorüberhuschende Autos.

Eine gespenstische Verzahnung: Drinnen ist draußen, draußen drinnen – und gestern ist heute. Die Texte, die hier gesprochen werden, sind authentisch. Sie entstammen Peter Sichrovskys Buch „Schuldig geboren – Kinder aus Nazifamilien“.

Sichrovsky, Jahrgang 1947, dessen Eltern als jüdische Emigranten in England lebten, hat die – heute etwa zwischen 35 und 45 Jahre alten – Kinder von Schergen und überzeugten Nutznießern der NS-Zeit nach dem Verhältnis zu ihren Eltern befragt. Die schreckliche Gewöhnlichkeit der Aussagen wird noch gesteigert dadurch, daß diese Eltern in der Mitte, nicht an der Spitze der NS-Hierarchie standen. In den Monologen der „schuldig geborenen“ Nachkommen offenbart sich ein Weiterwirken des „deutschen Syndroms“ bis in die Gegenwart, ein dauerhafter Fluch der späten Geburt.

In den 14 Texten, die für jeden Bochumer Aufführungsabend anders zusammengestellt werden (zur Premiere waren es sechs) treten in greller Verschärfung die Symptome der notorischen „Unfähigkeit zu Trauern“ zutage. Je nach Charakter, äußern die Kinder sich verharmlosend, entschuldigend, stolz, sarkastisch, ratlos oder hilflos aufbegehrend über ihre Eltern.

Eine seriöse Inszenierung darf natürlich die selbstgerechten Passagen nicht bruchlos stehenlassen, sie muß heftig konterkarieren. Das Bochumer Regieteam (Andrea Breth, Thomas Kallin, Jochen Tovote) hat sich ersichtlich bemüht, dies zu leisten. Beständige Gefahr ist dabei das Abgleiten in bloße Karikatur. So verfällt Hildegard Kuhlenberg als „Brigitte“, die ihren Nazi-Vater noch immer bewundert, in eine Art „Else-Stratmann“-Diktion, um das Gesagte zu denunzieren. Und Armin Rohde als „Gerhard, 41, der Ratlose“, liefert zwar eine bravouröse Sozialstudie eines Fleischerladenbesitzers, der wegen der Taten seines Vaters keinen Laden in der lukrativen Fußgängerzone bekam, doch geht diese Darstellung eigentlich schon zu sehr in Richtung Kabinettstück.

Die traumatische Dimension des Erinnerungszwangs wird am deutlichsten bei Sven-Eric Bechtolf als „Rudolf, 36. Der Schuldige“, der sich durch die Taten seiner Eltern ein für allemal besudelt fühlt und mit angeekeltem Zynismus deren Nachkriegs-Wohlleben in Südamerika schildert. Nie aus einem schweren Alptraum auftauchend: Ingrid Oesterheld, die sich beflissen eine bessere Zukunft einredet, am Ende aber in einer Art Blackout verstummt. Das monströse „Damals“ hat sie eingeholt. Verunsichernd schließlich: Kim Collis als angepunkte 19jährige Täter-Enkelin „Stefanie“, die rotzig einen neuen Nationalstolz einfordert.

Das Bühnenbild (Peter N. Schultze) bewegt sich sehr im Rahmen des Erwartbaren: eine Schuttlandschaft mit aufgestecktem deutschen Fähnchen.




Solo für Bazon oder: Die ratlosen Ärzte am Krankenbett der Kunst

Von Bernd Berke

Witten. Vielversprechend war das Thema, grandios am Ende das Scheitern: Über „Krankheit und Gesundheit in der Kunst“ redeten sich im Wittener Saalbau einen Tag lang Experten für Kunst, Literatur und Psychologie die Köpfe heiß.

Nachmittags hielten sie hochfliegende Vorträge (Titelbeispiel: „Aus der Sintflut der Information zu gestalterischer Transformation?“), abends traktierten sie die schätzungsweise 100 zahlenden Zuschauer (Eintritt: 5 DM) mit einer Podiumsdiskussion, an deren Ende der Organisator, Dr. Ralph Driever, erschöpft bekennen mußte, man habe das Thema nicht annähernd ausloten können. „Arzte“ am Krankenbett der Kunst, ratlos.

Einen gewissen Genußwert konnte man der Hypothesen-Parade freilich abgewinnen, wenn man sich entschloß, das Ganze unter musikalisehen Gesichtspunkten anzuhören — sozusagen als „Diskussions-Serenade für fünf Stimmen und Publikumsbeteiligung“. Zwei angekündigte Solisten fielen allerdings aus: Der Aktionskünstler Wolf Vostell sagte Wochen vorher ab, Essens Schauspielchef Hansgünther Heyme, heimischer Verpflichtungen wegen, nur Stunden vorher. Da blieb denn nur noch  e i n Diskussions-Virtuose: Bazon Brock, Ästhetik-Professor aus Wuppertal, der denn auch einige unvergleichliche intellektuelle Soli „hinlegte“ und sich am Ende zum veritablen Brüll-Duett mit einem erbosten Architekten im Zuschauerraum steigerte.

Ein aus Dortmund angereistes Trio im Publikum, das sich auf einem Flugblatt als „Art Klinik“ (Kunstklinik) vorstellte, spielte dazu gleichsam basso continuo, also wiederkehrende Grundmuster. Tenor ihrer beharrlich durchgehaltenen Zwischenrufe: Alle Menschen sind verrückt, also ist Kranksein auch in der Kunst das Normale. Daran mußte jedes Argument abprallen. Zwischendurch wurde auch schon mal die Tonart gewechselt und der Basler Kunsthistorikerin Elka Spoerri bescheinigt: „Du tickst ja nicht richtig“.

Frau Spoerri versuchte, am Beispiel Adolf Wölflis (der als Psychotiker viele Jahre in Anstalten war und eine ganz eigentümliche Bildwelt ersann) darzulegen, welchen Anteil die Krankheit an der Kreativitat habe. Bazon Brock erläuterte beredt, daß Krankheit als Voraussetzung für künstlerische Arbeit ein veralteter Gedanke der Romantik-Epoche sei. Er, Brock, glaube indessen, daß Krankheit den schöpferischen Prozeß behindere. Allerdings gebe es auch eine Form vorgeblicher „Gesundheit“, die faschismusanfällig mache. Brock nannte in diesem Zusammenhang die Namen Ernst Jünger, Albert Speer und Arno Breker.

Vor der Eloquenz des Wuppertaler Professors mußten die anderen Diskussionsteilnehmer (außer den Genannten noch der Schweizer Psychiater Dr. Gottfried Waser und der Schriftsteller Dr. Hans Georg Bulla aus Hannover) ihre rhetorischen Waffen strecken. Zum zweiten Kernpunkt, wie denn die Kunst Krankheit darstelle, drang man gar nicht mehr vor.

Ziemlich einig war man sich darin, daß – aus dem Blickwinkel der Künste – viele psychiatrische Begriffe fragwürdig seien. So diene die Kennzeichnung „krank“ oft nur als Rechtfertigung, wenn man Unbequeme ausgrenzen wolle.




Wie Motive sich verwandeln – Graphik von Christian Rohlfs im Ostwall-Museum

Von Bernd Berke

Dortmund. Daß er in erster Linie Maler, konnte Christiaa Rohlfs (1849-1938) auch nicht verleugnen, wenn er sich druckgraphischen Techniken zuwandte. Während andere Künstler ihre graphischen Arbeiten in mehr oder weniger hohen Auflagen herstellten, wahrte Rohlfs fast immer die Aura des Originals und beließ es jeweils bei einem Druckabzug. Dann freilich variierte er die Motive durch Übermalungen und Uberzeichnungen vielfach.

Einen staunenswerten überblick zum gesamten (!) Motivumfang des graphischen Werks von Rohlfs, der lange Jahre in Hagen lebte, kann man sich nun im Dortmunder Ostwall-Museum verschaffen (Eröffnung: Sonntag, 17 Uhr; Dauer der Ausstellung: bis 7. Februar). Maßgeblich an der Auswahl beteiligt sind die Dortmunder Galerie Utermann, das Essener Folkwang-Museum (dorthin wandert die Ausstellung im April 1988) und nicht zuletzt die 96jährige Rohlfs-Witwe Helene, die allein 40 rare Arbeiten zur Verfügung stellte. Die Künstlerwitwe will zur Ausstellungseröffnung erscheinen.

185 druckgraphische Arbeiten von Rohlfs, dazu rund 60 Übermalungen und „Zustandsdrucke“ (gleichsam Zwischenresultate der Arbeiten) sind in Dortmund zu sehen. Mit dieser beispiellos umfangreichen Zusammenstellung bleibt das Ostwall-Museum einmal mehr seinen Traditionen treu: Dem Schwerpunkt der Dortmunder Sammlungsbestände entsprechend, liegt auch bei Rohlfs der Hauptakzent auf expressionistischen Seh- und Darstellungsweisen; zudem ergibt sich bei ihm ein ausgeprägter Regionalbezug (Hagen, Soest).

Interessant ist vor allem, wie ein- und dasselbe Motiv durch farbliche und sonstige Überarbeitung ganz unterschiedliche Qualitäten und Gefühlswerte entfalten kann. Dies gilt zum Beispiel für eines der Spitzenstücke der Ausstellung, die 1918/19 entstandene Serie „Der Gefangene“, von der auch Original-Holzdruckstöcke gezeigt werden. Die auf die denkbar knappste Formel gebrachte Leidenssituation – ein ausgemergelter Mensch zwisehen vier Gitterstäben – wirkt je nach Variante einmal ganz und gar trost- und hoffnungslos, dann wiederum so, als könnte dieser „Gefangene“ die Stäbe augenblicklich zerbrechen und sich befreien. Auch die sechs Varianten des Motivs „Singvogel“ (um 1912; ein Bauer im „Gespräch“ mit dem Tier) zeigen immer neue Facetten desselben Themas.

Ausstellung und Katalog (30 DM) werden durch die Dokumentation verschiedenster Bearbeitungsformen fast zu Kompendien dieser Techniken. Und: Von religiösen und Todesmotiven bis hin zu ganz und gar heiteren Themen, von frühen Jugendstil-Anklängen über die breite Bahn des Expressionismus bis hin zu Aufschwüngen in den Symbolismus kann man das ganze inhaltliche und stilistische Spektrum Rohlfs‘ nachvollziehen.

 




Bochums „fliegende Untertasse“

Von Bernd Berke

Das Theater, sinniert Bochums Schauspielchef Frank-Patrick Steckel, sei vielleicht einer „fliegenden Untertasse“ vergleichbar. Es komme nicht aus unserer Alltagswelt, sondern „von woanders her“. Ob die Insassen feindliche oder freundliche Absichten hätten, sei so schnell nicht auszumachen.

Mit diesem galaktischen Denkbild gab Steckel den Filmemachern Axel Bornkessel und Claus-Ferdinand Siegfried ein Stichwort, auf das diese offenbar nur gewartet hatten. Hartnäckig vertretene These ihres WDF-Beitrags „Schaupielhaus Bochum – eine Stadt und ihr Theater“: Die Bühne der Revierstadt sei weit entfernt von der täglichen Realität und besonders von den Problemen der arbeitenden Bevölkerung. Man kann so etwas behaupten, doch hier fehlte der schlüssige Nachweis.

Steckel bestätigte immerhin: Peter Zadek und Claus Peymann seien mit ihren Produktionen aufs Publikum zugegangen. Bei ihm, Steckel, möge hingegen das Publikum sich den Produktionen nähern. Steckel vertrat – zumindest in den gezeigten Statements – seine Sache nicht allzu offensiv. Er sagte vor allem, was das Theater nicht sei, nämlich weder Realitätsknecht noch Utopie-Produzent. Was aber dann?

So war es denn ein Leichtes, mit Hauruck-Montagen den offenbar vorgefaßten Befund bildkräftig zu untermauern. Muster: Ausgesucht „abgehobene“ Szenen aus Bochumer Aufführungen, dann Bilder von Krupp und Opel hart und direkt dahintergesetzt. Oder: erst „Nibelungen“, dann City-Kaufhaus. Da sollte man als Zuschauer wohl schaudernd spüren, wie sich zwischen der Stadt und ihrem Theater eine meilenweite Kluft auftut.

Nebelhaft wurde die (ansonsten recht durchsichtige) „Beweis“-Strategie, als Szenen aus Pirandellos „Die Riesen vom Berge“ dafür herhalten mußten, Bochumer Arbeiter mit eben jenen „Riesen“ gleichzusetzen, vor denen das Theater große Angst habe und sich einigele.




Die Bühne als Forum für sperrige Prosatexte – „Totenfloß“ und „Die Seidels“ bei „stücke ’87“

Von Bernd Berke

Mülheim. Die Jury der Mülheimer Theatertage „stücke ’87“ ist wahrlich nicht zu beneiden. Nach fünf von sechs Wettbewerbs-Beiträgen hat sich noch immer kein Text als „Stück des Jahres“ aufgedrängt.

Gewisse Aussichten auf den Dramatikerpreis hat Harald Mueller – allerdings eher wegen der hervorragenden Inszenierung seines Stücks „Totenfloß“ durch George Tabori, die einer wunderbaren Rettung des Textes gleichkommt. Das Mülheimer Publikum war in zwei Lager gespalten: Herzhafte „Buhs“ wurden mit lauten „Bravos“ vergolten.

Das Stück spielt im Jahr 2050, in einem chemisch und atomar verseuchten Endzeit-Deutschland. Mueller montierte eine auf brutale Kernbestände reduzierte „Zukunftssprache“: eine Mischung aus knappstem Techno-Idiom, Amerikanismen und Slang – etwas Orwell, etwas Anthony Burgess („Uhrwerk Orange“), etwas Arno Schmidt („Gelehrtenrepublik“).

Das entseelte „Neusprech“ und sein Kontrast zu lyrischen Sprachresten aus unverseuchter Zeit sind aber schon die deutlichsten Vorzüge – abgesehen davon, daß Mueller als wohl einziger Stückeschreiber das Thema so direkt aufgegriffen hat. Viele Bühnen spielten das Stück denn auch, vor allem „nach Tschernobyl“. Sie taten dies, so muß vermutet werden, mangels Alternativen (ein Armutszeugnis für die deutschsprachige Gegenwartsdramatik). Jedes Beckett’sche Endzeit-Szenario ist, obwohl dort nicht von Cadmium und Fallout die Rede ist, bedrückender als „Totenfloß“.

Inhaltlich ergibt sich nämlich bei Harald Mueller größtenteils eine simpel ausgemalte „Hochrechnung“ heutiger Katastrophen, wie sie nahezu täglich von den Medien vermeldet werden, also eine auf die Spitze getriebene Fortschreibung, die aus durchschnittlicher Science-fiction geläufig ist. Die gespenstische Flußfahrt der vier verstrahlten und vergifteten „Untoten“, die aufeinem Floß das angeblich „cleane“ (saubere) Xanten ansteuern wollen, mündet schließlich gar in einen unbedarften moralischen Appell.

Regisseur Tabori hat sich gar nich eerst auf die manchmal platten Beschreibungsversuche des Textes, der zu vieles ausspricht und zu viel Unvorstellbares vorstellen will, eingelassen, sondern das Stück in einen reinen Kunst- und Spielraum verlegt. Dabei zeigt sich dann doch, daß der Text, ohne daß man ihm Gewalt antun müßte, Ansätze zu theatergemäßer Umsetzung bietet, was längst nicht von allen Beiträgen bei „stücke ’87“ behauptet werden kann.

Hatte man zunächst gemeint, Georg Seidels „Jochen Schanotta“ sei das Anti-Stück des Wettbewerbs, so hatte man eben nur noch nicht Stefan Schütz‘ „Die Seidels (Groß & Gross)“ in der lnszenierung der Städtischen Bühnen Osnabrück durchlitten.Auch Schütz (aus der DDR kommend, in Hannover lebend) operiert mit einer künstlichen Sprache aus klassizistischen und expressionistischen Anklängen sowie Kraftworten. Geradezu berserkerhaft düster, wirft er den Zuschauern (viele gingen in Mülheim vorzeitig) einen allgemeinen Weltekel hin, den er nur notdürftig aus dem gesellschaftlichen Elend nach dem Scheitem der deutschen Revolution von 1918/19 herleitet. Der tiefschürfend-sperrige Text, oft „um drei Ecken herum“ formuliert, könnte als Prosa bestehen. Sein Erscheinen auf dem Theater ist alles andere als zwingend, es ist Zufall.




Rock-Revue „Linie 1″ Favorit beim Publikum – Halbzeit des Mülheimer Wettbewerbs „stücke ’87“

Von Bernd Berke

Mülheim. Man könnte es wagen, schon zur „Halbzeit“ den Hauptanwärter auf den Mülheimer Dramatikerpreis ’87 vorherzusagen, wenn es nur nach dem Willen des Publikums ginge: er hieße mit ziemlicher Sicherheit Volker Ludwig.

Seine Rock-Revue von der U-Bahn „Linie l“, eine Stationen-Geschichten aus dem Berliner Untergrund zwischen Bahnhof-Zoo und Kreuzberg, mobilisierte am Wochenende zahlreiche Fans des Grips-Theaters, und deren frenetischer Beifall ließ kaum einen Zweifel daran, daß die Stimmzettel in den Wahlurnen der Stadthalle vielfach auf „gut“ oder „sehr gut“ lauteten.

Doch das gesamte Publikum hat auch bei ..Stücke ’87“ wieder nur eine einzige Stimme, die Theaterexperten der Jury werfen hingegen acht Voten in die Waagschale. Es ist kaum anzunehmen, daß dieses Gremium sich dazu durchringen wird, ein Rock-Musical zum Stück des Jahres zu erklären, das die Szene zwischen Punks, Pennern und Wilmersdorfer Witwen mit Elementen der Typenkomödie sowie einem Schuß Broadway verquickt und überhaupt keinerlei Berührungsscheu erkennen läßt – weder vor Gefühlen, die man landläufig unter Kitschverdacht stellen könnte, noch vor Kabarett- und Slapstick-Einlagen, ja, noch nicht einmal vor einem Happy-End. Das grenzt an Provokation inmitten der vorherrschenden Endzeitstimmung des Theaters.

Ob nun „Linie 1″ als fröhlicher Ausverkauf von gesellschaftlichen Randgruppen oder als populäre Aufbereitung verdrängter Utopien begriffen wird – pralles Theater ist es allemal. Und das liegt nicht nur an der Inszenierung, sondern vor allem am Text, der ja in Mülheim zur Debatte steht.

Zuvor waren zwei Stücke gezeigt worden, die jeweils auf ihre Weise schmerzlich deutlich machten, daß Kultur leider manchmal viel mit Sitzfleisch und mit „aussitzen° zu tun haben kann. Weder Elfriede Jelineks „Krankheit“ (vorgeführt vom Schauspiel Bonn), noch der „Jochen Schanotta“ des DDR-Äutors Georg Seidel (dargeboten vom Baseler Theater) dürften für den Preis in Frage kommen.

Lesbische Vampire kontra faschistoide Machos

Jelineks Stück ist streckenweise immerhin ein beachtliches Sprach-Kunstwerk. Doch Feinheiten gehen in Peter Eschbergs schrill-spekulativer Bühneneinrichtung sowieso den Bach herunter. Außerdem reißt das Stück Bäume aus, wo gar keine sind: lesbische Vampire kontra faschistoid daherbrabbelende Machos, die am Ende alles Weibliche mit der Schußwaffe erlegen – da fühlt man sich auch als Zuschauer leicht wie von Blutsaugern befallen.

Im übrigen haben sich die mit der Brechstange erzeugten Gegensätze des Stücks schnell erschöpft. Daß Frauen mystisch raunen, Männer hingegen nur bramarbasieren, hat man nach wenigen Szenen begriffen. Was sich danach endlos hinzieht, ist nur Wiederholung, ein Kreisen in sich selbst.

Noch strenger nimmt Georg Seidel die Zuschauer mit „Jochen Schanotta“ in die Zucht. Schanotta ist ein 18jähriger DDR-Rebell, der im Labyrinth der kleinen Freiheiten (lange Haare und Disco sind erlaubt) den.verzweifelten und von Anfang an vergeblichen Versuch unternimmt, die wirklichen Glücks- und Freiheitsmöglichkeiten des Individuums auszuloten.

Das diffuse Aufbegehren des jugendlichen Querdenkers wider die starre Erwachsenenwelt des realen Sozialismus mag auf DDR-Bühnen Sprengkraft entwickeln, hier mutet der Rebell ohne Rebellion seltsam gestrig an. Grundierung des Stücks ist das Vakuum der Langeweile, in dem jedes Anrennen zugleich ein Scheitern ist. So sieht man nur eine einzige Dimension, nämlich die schiere Vergeblichkeit auf der Bühne.




Banalität und Alptraum der Folter – Roberto Ciulli inszeniert Sartres „Tote ohne Begräbnis“

Von Bernd Berke

Mülheim. Es ist eine Zumutung und zum Davonlaufen, was uns Roberto Ciulli in Mülheim als Sartres „Tote ohne Begräbnis“ vorsetzen läßt. Doch können nicht Zumutungen auf dem Theater eine andere Qualität bekommen? Können sie nicht dazu zwingen, sich mit Dingen auseinanderzusetzen, an die man andernfalls nicht im Traum geriete?

Ciulli läßt Sartres (kaum noch gespieltes) Stück über eine Gruppe von Résistance- Kämpfern, die sich in der blutrünstigen Gewalt französischer Nazi-Kollaborateure befinden, als schrecklichen „Folterabend“ vorführen. Der ohne Pause und also ohne Fluchtmöglichkeit gespielte Text ist rigoros gekürzt. Ciullis Fassung läßt wenig ahnen von Sartres Ansinnen, die existentielIe Entscheidungsfreiheit in einer Extremsituation zu zeigen – die Entscheidung zwischen Verlust der Würde durch Verrat und Verlust des Lebens durch Schweigen. Statt dessen starrt man sprachlos-entsetzt in ein Horrorkabinett.

Die vordere Bühnenhälfte (Spielstätte im Raffelbergpark) ist voll von brackigem Wasser. Ein Unterweltfluß, eine Art Acheron? Doch mythisch Anwandlungen steht das banale Inventar entgegegen: Der „Warteraum“ der Opfer, in dem sie der Folter entgegenzittern, erweist sich (zu erinnern ist an reale Stadien als Stätten der Gewalt) als Turnhalle mit Barren, Sprungbock und Sprossenwand, an der die Widerständskämpfer anfangs wie Gekreuzigte hängen. Überhaupt flimmert das Geschehen ständig zwischen alptraumhafter Bedeutsamkeit und abgründiger Banalität.

Hinten, abgegrenzt durch einen Vorhang, liegt das armselig-schäbige Abteil der Folterknechte: Rostiges Stahlbett, nackter Scheinwerfer, ein Radio; das ist alles.Umso absurder zelebrieren die Folterer ihre Bluttaten – mal geschminkt, mal schmierige Erotik signalisierend, mal kühl experimentierend, mal wie Turner sich zur Gewalt „ertüchtigend“. Und: Zu Folter und Mord ertönt immer Musik. Die Folter als bizarres Fest.

Doch auch ihre Opfer erscheinen keinesfalls als Helden. Sie sind mit ihren Peinigern im selben hermetischen Wahnsystem gefangen. Ihre Wunden tragen durchaus auch groteske Züge, was – falls eine Steigerung möglich wäre – alles noch schlimmer, noch sinnloser macht. Am Schluß bleibt nicht einmal (wie bei Sartre) „Erlösung“ durch den Tod, sondern Verewigung der Qual in einer endlos zerdehnten Zeit.

Die Aufführung entwirft starke, verstörende Bilder. Das Ensemble – voran Veronika Bayer – spielt, wenn der Begriff hier erlaubt ist, höchst „diszipliniert“. Dennoch bleibt die Frage, ob Ciulli nicht an dem Problem scheitert, scheitern muß, ein Phänomen wie die Folter auf der Bühne nur scheinhaft verdoppeln und verkünsteln zu können.




Lachnummern aus der Menschheitsgeschichte – Roland Rebers „Merlin“ beim Theaterpathologischen Institut in Lünen

Von Bernd Berke

Lünen. Irgendwo zwischen Zeit und Ewigkeit steht ein Gitter. Davor lümmelt sich „Merlin“ (Joe Bausch), seines Zeichens keltischer Zauberer, in den Sessel. Ein Greis in Morgenrock und langen Unterhosen, verschmitztes Einstein-Gesicht.

In Roland Rebers „Merlin“-Projekt, das am Samstag vom „Theaterpathologischen Institut“ (TPI) im Lüner Hilpert-Theater erstaufgefiihrt wurde, ist diese Titelfigur der unsterbliche Geist, der (wenn er nicht gerade über sein intergalaktisches Radio die neuestenRock-Hits sendet) die Historie mit weltbewegenden Ideen infiziert, die allemal in Katastrophen enden.

Es erscheinen einige von Merlins früheren Opfern: Die vor lauter Lustverzicht mannstoll gewordene Lysistrata (Ute Meisenheimer); der sagenhafte König „Artus“ (Jochen Nickel), über die mißlungene Gralssuche zeternd; die schamhafte Jungfrau Jeanne d’Arc (Fee Sachse), die die Holzzweige ihres Scheiterhaufens wie ein Röckchen trägt, und Robespierre (Frank Holz), ein Klugschwätzer sondergleichen. Sie alle sind auf Erden im Dienste von Ideen gescheitert. Nun sind sie Lachnummem, die mit ihren Klischees hausieren und vor Stammtisch-Zoten nicht zurückschrecken. Vollends in den Gefilden der Farce bewegen sie sich, als Robespierre den anderen das Ritual scheindemokratischer Abstimmungen beibringt. So weit das leidlich lustigeund schauspielerisch noch tragbare Geschichts-Kabarett.

Als ganz gewöhnliche Leute, diesen Plan rückt „Merlin“ dann endlich heraus, sollen die vier ins Leben zurückkehren – zwecks „Projekt ’68“, also APO-Zeit. Folgt ein Umbaupausen-Film über Vorfahrtregeln im Verkehr. Dann führt uns Reber – aber „volle Kanne – in die rebellischen Spätsechziger: dicker Joint, Che-Guevara-Poster, dümmliches Gelaber von sexueller Revolution und – Theater im Theater – lachhafte Proben für ein „proletarisches“ Stück. Soll man denken, es hätten damals nur Vollidioten die Szene beherrscht? Wirklich auseinandergesetzt hat sich der Stücke-Schreiber Roland Reber mit seinem Thema offenbar kaum – er wäre ohnehin reichlich spät dran.

Nachdem Reber das, was er für die „68er“ hält, gründlich niedergemäht hat, treibt er einige Darsteller (Auftritt: die Beziehungsgeschädigte; die Terroristin) doch noch in „große“ Tiefsinns-Monologe hinein – etwa des Inhalts, daß, gleichsam von Lysistrata bis Dutschke, der Einzelmensch unter Ideengebäuden sich krümmte, was aber nicht sein soll. Welch eine Erkenntnis! Am Schluß taucht „Merlin“ wieder auf und krächzt „We shall overcome“. Das ganze Ideentheater könnte also von vorn beginnen? Nein, danke!

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Leserbriefe

„WR-Kritiker fiel offenbar Haßgefühlen zum Opfer“

Betr.: WR-Bericht „Lachnummern aus der Menschheitsgeschichte“

Wenn Ihre Mitarbeiter und Ihre Zeitungsich schon überregional mit theaterspezifischen Themen auseinandersetzen, kann man als Leser ja wohl ein Mindestmaß an Objektivität und Sachkenntnis erwarten. Dieser oben genannte Artikel läßt aber eindeutig den Schluß zu, daß Herr Berke sich von dem Stück persönlich angegriffen fühlte und deshalb auf ein rhetorisch so niedriges Niveau abgesunken ist.

Im übrigen ist festzustellen, daß die lokale Berichterstattung sich von der überregionalen deutlich nach oben hin abhebt. Es gibt also noch Leute mit Sachverstand. Gott sei Dank! Klaudia Witt, Lünen

Eigentlich lohnt es sich nicht, über die Berichterstattung Ihres Mitarbeiters Bernd Berke Worte zu verlieren. Dieser primitive Schreibstil erreicht bzw. übertrifft noch einen Bild-Zeitungs-Journalismus. Herr Berke muß bei seiner Berichterstattung in seiner Arroganz außerdem wohl Haßgefühlen gegen Roland Reber zum Opfer gefallen sein.

Ulla und Eugen Zymner, Olfen




„Ehrenrettung“ für den Graphiker Marc Chagall – Münster legt Schwerpunkt auf Frühwerk

Von Bernd Berke

Münster. Der im März 1985 verstorbene Marc Chagall hat sich in seinem graphischen Spätwerk oft nur noch spannungslos-süßlich selbst zitiert. Es fällt schwer, dies zu schreiben: Auf seine alten Tage hat Chagall manche Belanglosigkeit zu Papier gebracht. Zudem tauchen immer häufiger „wilde“, nicht autorisierte Nachdrucke auf.

Jetzt präsentiert das Westfälische Landesmuseum in Münster rund 300 graphische Arbeiten Chagalls, und just zu diesem Zeitpunkt steigt ein örtliches Kaufhaus massiv in den Kommerz mit Chagall-Drucken ein.

Chagalls graphisches Spätwerk rangiert im Urteil der Fachwelt niedrig. Gleichviel, ob den Experten vielleicht gerade die außerordentliche Popularität des Chagall’schen Figurenkosmos verdächtig ist – das Landesmuseum versucht sich nun sozusagen an einer „Ehrenrettung“, indem es den Schwerpunkt aufs graphische Frühwerk legt, das noch vor lauter unverbrauchter Fabulierlust sprüht.

Ernst-Gerhard Güse, der die Auswahl für Münster zusammenstellte: „Wir haben viel aussortieren müssen, weil es einfach nicht unseren Qualitätsvorstellungen entsprach.“ Chagall, der Weltkünstler – ein Stümper? Das nun doch nicht! Was für Münster ausgesucht wurde, reicht allemal für einen Platz in der Kunstgeschichte.

Im Mittelpunkt stehen große Graphikzyklen, die zwar nicht vollständig, aber in beachtlichen Anteilen zu sehen sind. Am Beginn: Chagalls Illustrationen zu seiner Autobiographie „Mein Leben“ von 1922, die auf’Anregung des Berliner Galeristen Paul Cassirer entstanden, durch den Chagall überhaupt erst (mit 35 Jahren!) auf die Möglichkeiten der Graphik aufmerksam wurde. Diese Radierungen zeigen noch ganz die dörfliche Welt, in der Chagall aufwuchs. Dichtung und Wahrheit verfließen aufs Herrlichste ineinander. Da sitzt etwa auf dem Blatt „Haus des Großvaters“ selbiger rittlings auf dem Dach – und Chagall behauptete in seiner Biographie, dies sei tatsachlich so vorgefallen.

Der Graphiker Chagall widmete sich vor allem Illustrationen dichterischer Vorlagen, zuerst (1923) zum satirischen Gogol-Roman „Die toten Seelen“. Gogol zeigt sich in diesem Werk als Meister der gekonnten Abschweifung, und Chagall kommt es genau auf jene „Nebensachen“ an, die die Atmosphäre ausmachen. Die Gogol’sche Sozialkritik blendet er allerdings weitgehend aus. Es folgen Illustrationen zu La Fontaines Tierfabeln. Chagall, zuvor mit leichter Linienführung arbeitend, bündelt und schraffiert, findet seinen unverwechselbaren Stil. Zugleich verdeutlicht die La Fontaine-Serie sein Heimischwerden im französischen Kulturkreis. Weiterhin sehenswert: Illustrationen zu „1001 Nacht“(„Arabische Nächte“), Bilder zum Alten Testament und Farblithographien zu Longus‘ klassischem Roman „Daphnis und Chloe“.




Neuer Atlas zeigt Westfalen in allen Einzelheiten – Erste Blätter sind erschienen

Von Bernd Berke

Münster. Wie hoch ist die Bettenkapazität für Touristen in Arnsberg? Wo herrscht im Sauerland „Reizklima“? An welchen Stellen in Westfalen kommen weiße Seerosen vor? l Diese und etliche andere Fragen soll der „Westfalenatlas“ beantworten, dessen erste Lieferung jetzt erschienen ist.

Mit dem „Jahrhundertwerk“, bundesweit als Kartenprojekt beispiellos, geht es langsam, aber stetig voran: Die ersten vier von 100 Blättern sind fertig. Pro Jahr sollen vier weitere hinzukommen. Bei diesem Tempo wird man das Jahr 2009 schreiben, wenn das Konvolut komplett vorliegt. Und aktualisieren will man zwischendurch auch noch.

Keine andere deutsche Gegend freilich wird dann dermaßen detailliert kartographiert sein wie Westfalen. Nahezu alle denkbaren Aspekte natürlicher, historischer und gesellschaftlicher Art sollen erfaßt werden. Das geht von der Mundartentwicklung über Siedlungsformen und Bevölkerungszahlen bis hin zur heimischen Tier- und Pflanzenwelt. Federführend ist die für dieses Mammut-Unternehmen eigens personell aufgestockte Geographische Kommission für Westfalen, die dem Landschaftsverband Westfalen-Lippe untersteht.

Schon im Gründungsjahr der Kommission (1936) reiften Träume von einem derartigen Kartenwerk. Nach dem Krieg wurde die Idee wieder aufgegriffen. Zielgruppe sind vornehmlich die Schulen des Landes, deren Lehrpläne nun wieder verstärkt Bemühungen um regionalkundliches Wissen vorsehen. Die ersten Atlas-Blätter (je eine Haupt- und vier Nebenkarten, dazu Texthefte) sind von der nächsten Woche an über den Buchhandel zu beziehen. 100 Bestellungen liegen vor, die Startauflage soll 2000 Stück betragen.

Wie schwer es sein wird, wissenschaftliche Daten ganz unterschiedlicher Herkunft und Zuverlässigkeit anschaulich auf Karten darzustellen, schwante den Machern vermutlich schon, als sie versuchten, überhaupt erst einmal den Begriff „Westfalen“ einzugrenzen. Vergangene Jahrhunderte verstanden nämlich darunter ein nördlicher gelegenes Gebiet. Erst die Ausdehnung der Preußen-Provinz „Westfalen“ kommt heutigen Begriffen näher. So reichen denn die Karten auch von Oldenburg bis Marburg, wobei Westfalen als Kerngebiet hervortritt, das mit anderen Regionen eng verflochten ist.

Hier die Preise: Jahreslieferung 58 DM (im Voraus-Abonnement 46,40 DM), Einzelkarten 19,80 DM, Sonderrabatt für Schulklassen.




Spukhafte Schraffuren – Werkschau über Paul Flora in Münster

Von Bernd Berke

Münster. Als Karikaturist der Wochenzeitung „Die Zeit“, auf deren Titelseite er von 1957 bis 1971 präsent war, ist er weithin bekannt geworden. In welchen kunstgeschichtlichen Zusammenhhängen Paul Flora (63) und seine filigranen Federzeichnungen stehen, macht jetzt eine Retrospektive im Westfälischen Landesmuseum Münster mit über 200 Exponaten deutlich (ab Sonntag, bis 18. August, Katalog 18 DM).

Schon die skurrilen Erfindungen der frühen Jahre – gezeigt werden Arbeiten ab 1940 – verdanken sich jener johen Kunst des Weglassens und dem lakonisch-souveränen Spiel mit Form und Linie, über die Flora später fast nach Belieben verfügte. Manche Blätter führen auf die Spur eines gewichtigen künstlerischen Ahnherrn: Paul Klee. Den Blick fürs abseitig-groteske Detail und immerwährende Todedrohung schärfte der Österreicher Flora eingestandenermaßen bei Alfred Kubin.

Aus gespinstartigen Schraffuren, deren mal akkurates, mal mal wirres Geflecht außerordentlich differenzierte Schattierungen ergibt, schichtet Flora ganze Bilder auf. Die hauchfeinen Linienkaskaden verdichten sich zu präzisen Augenblicks- und Zustands-Schilderungen. Auch wenig greifbare Phänomene wie Nebelschwaden nehmen so spukhafte Gestalt an. Und die verhaßten Militärs erscheinen da auch schon mal als pflanzlich-ornamentale Strukturen.

Floras makabre Ader tritt u. a. in seiner „Dracula“-Serie hervor, aber auch in zielsicher hingeworfenen Chaos-Studien wie dem „Eisenbahnattentat“ (1958) oder dem „Unhold als Menschenschlächter“.

Flora schritt nicht den ganzen Themenkreis der Kunst aus, sondern wählte enge Bezirke, deren bildnerische Möglichkeiten er (zuweilen obsessiv) in allen Nebenverästelungen ausschöpfte. Beispiele dafür sind eine subtile Serie über Könige, die in Sänften getragen werden, sowie sein düsteres „Markenzeichen“: der Rabe, der in ungezählten Variationen auftaucht, auch als Schnabelmaske mittelalterlicher „Pestärzte“.

Ein großer Teil der Ausstellung widmet sich natürlich den politischen Karikaturen für „Die Zeit“, deren tagesaktuelle Anlässe zwar verblaßt sind, deren formale Grundlagen und Qualitäten aber hier, im Kontext des Gesamtwerks, erst recht verblüffen.




Dortmunder Musikprofessor klagt über mangelnde Hilfe bei Europa-Projekt

Von Bernd Berke

Dortmund. Das „Europäische Jahr der Musik“ wird in Dortmund von Mißklängen begleitet: Bemüht, ein gemeinsames Konzert von Musikstudenten aus zehn Ländern finanziell abzusichern, hat die Dortmunder Uni gleich mehrfach Abfuhren bekommen.

Weder das Bonner Bundesbildungsministerium noch der Kommunalverband Ruhrgebiet (KVR) wollen das Vorhaben finanziell unterstützen, klagt Organisator Willi Gundlach, Dortmunder Professor für Musik und ihre Didaktik. Gundlach enttäuscht: „Zuwendungen hätten auch Anerkennung bedeutet“. Verdächtig, aber „nicht beweisbar“ (Gundlach): Das Bundesbildungsministerium scheint die Idee aus Dortmund auch noch kopiert zu haben, ließ doch Ministerin Dorothee Wilms (CDU) mitteilen, Bonn wolle ein international besetztes Studentenkonzert unter Schirmherrschaft des Bundespräsidenten aufziehen, und zwar ausgerechnet im Juni, wenn auch die Dortmunder Aufführung (26.6. in der Reinoldikirche) steigen soll. Prof. Gundlach: „Darüber haben wir uns wirklich geärgert“.

Hintergrund: Aus Anlass des „Musikjahrs“ sollen 78 Studenten aus den Partnerstädten  Dortmunds und von den Partner-Unis der Dortmunder Hochschule für eine Woche in der Westfalenmetropole mit 60 „Einheimischen“ zusammen Händels „Messias“ auf Schloß Nordkirchen gemeinsam für die die Aufführung in der Reinoldikirche einstudieren.

Mitwirkende werden u.a. aus Rostow (UdSSR), Buffalo (USA), Stettin (Polen), Novi Sad (Jugoslawien), Pisa (Italien), Norwegen und den Niederlanden erwartet ein beispielhafter musikalischer Akt der Völkerverständigung also. Gratis ist er allerdings nicht zu verwirklichen. Zwar entstehen den Dortmunder Veranstaltern keine Anreisekosten (die tragen die Herkunftsländer der Teilnehmer), wohl aber Aufwendungen für die Unterbringung. Geschätzter Gesamtbedarf: 33 000 DM. Davon tragen das NRW-Kultusministerium 10.000 DM (Minister Schwier ist auch Schirmherr), die Stadt Dortmund 5000 DM, die 60 beteiligten Dortmunder Studenten weitere 6000 DM. Hofft Prof. Gundlach: „Wir werden gerade über die Runden kommen“.

Erstaunt war man beim KVR in Essen über die Klage aus Dortmund. Wie Bernhard von Schmettow, Leiter der Abteilung Landeskunde und Kultur und damit zuständig für Anträge auf Förderung, gestern gegenüber der WR versicherte, habe man von einem solchen Projekt „noch nie gehört“.




Dortmunds neuer Intendant Horst Fechner: Publikum fordern, aber nicht überfordern

Von Bernd Berke

Dortmund. Mit einer entschiedenen Verjüngung des Schauspielensembles und behutsamen Korrekturen im Musiktheaterbereich will Dortmunds künftiger Generalintendant Horst Fechner in die Theaterspielzeit 1985/86 gehen.

Wie Fechner, derzeit noch Intendant in Kiel, gestem in Dortmund mitteilte, kann er die wohl spektakulärsten Neubesetzungen im Ballettbereich vorweisen. Mit Youri Vamos (als Leiter des Ballettensembles) und Joyce Cuoco (bisher: Staatsoper München) kämen Spitzenkräfte des Metiers. Fechner über das Engagement von Joyce Cuoco als Primaballerina: „Das ist ungefähr so, als wenn Borussia-Trainer Ribbeck Karl Heinz Rummenigge präsentieren könnte“.

In puncto Spielplan (dessen Entwurf vor öffentlicher Bekanntgabe dem Kulturausschuß vorgelegt werden muß) bekundet Fechner, das Publikum „zwar fordern, aber nicht überfordern“ zu wollen. Sowohl die gängige „Fledermaus“ als auch eine anspruchsvollere Produktion wie etwa „Elektra“ seien „notwendig und in Dortmund machbar“. Ausgehend von der gewachsenen Spielplan-Tradition Dortmunds, müßten auch Publikumsminderheiten bedient werden. Dies sei geradezu die Pflicht einer Bühne, die am Ort ein „Theater-Monopol“ halte.

Fechner denkt zum Beispiel an neue Formen des Musiktheaters für jugendliche Zielgruppen. Um eine „Wegwerfkultur“ zu vermeiden, will Fechner dafür sorgen, daß sich ein Repertoire von Aufführungen herauskristallisiert, die lange auf den Spielplänen bleiben.

Absurde Sparzwänge in Kiel: Zertanzte Ballettschuhe nicht ersetzt

Mit Sparzwängen in vielerlei Gestalt wird sich der neue „General“ auf jeden Fall herumschlagen müssen. Eine Einsparungsmöglichkeit, die bereits vertraglich unter Dach und Fach gebracht wurde: Der Austausch kompletter Opernausstattungen mit der Staatsoper Warschau, die für ihre hervorragenden Dekorationen und Kostüme bekannt sei. Außerdem werde man nicht umhin können, zumindest eine Opernproduktion ohne Inszenierungsaufwand, also konzertant anzubieten.

Generell gelte aber, daß Einsparungen in Sachen Ausstattungsetat enge Grenzen gesetzt seien. Übertriebener Sparwille in diesem Bereich könne nachgerade absurde Konsequenzen haben. So sei es in Kiel passiert, daß die Ballettschuhe, die die Primaballerina bei „Schwanensee“ zertanzt hatte, aus Etatgründen nicht ersetzt werden konnten.

Fechner will zunächst kaum selbst inszenieren. Er konnte aber bereits namhafte Gastregisseure für die ersten Produktionen gewinnen. So steht fest. daß Heinz-Lukas Kindermann, der jüngst in Berlin für die „Traumspiel“-Opernuraufführung sorgte, die Eröffnungspremiere der kommenden Saison gestalten wird. Roland Veite, beispielsweise schon am Musiktheater Gelsenkirchen und beim Münchner Staatstheater am Gärtnerplatz tätig, sowie John Dew („Ring“-Inszenierung in Krefeld) werden ebenfalls in Dortmund arbeiten.




Spaniens Klassische Moderne – Druckgraphik im Ostwall-Museum

Von Bernd Berke

Dortmund. Frauengestalten feiern frenetische Feste, eine Stierkampfszene wird zur grazilen Tanzfigur; Kröte, Hummer oder Ziegenschädel ergeben frappierend plastisch wirkende Stilleben-Kompositionen – kein Zweifel, das ist die Bildwelt Pablo Picassos. Sie steht jetzt im Mittelpunkt einer Ausstellung des Dortmunder Ostwall-Museums (bis l. August, kein Katalog), die sich der Druckgraphik aus Spaniens „Klassischer Moderne“ widmet und aus lang nicht mehr gezeigtem Eigenbesitz bestritten wird.

Die Blätter von Picasso, Dalí, Miró und Juan Gris wurden in den 50er und frühen 60er Jahren dem berühmten Kunsthandler Daniel Hanry Kahnweiler abgekauft. Seither ist ihr Marktwert schwindelerregend gestiegen.

In der Eingangshalle sieht man 23 Graphiken von Picasso – Demonstration der außerordeutlichen Vielfalt von Techniken, mit denen der Künstler in den 50er Jahren operierte. Dieser Vielfalt entspricht die Unterschiedlichkeit der Quellen, aus denen Picasso zitierend schöpft.

Im ersten Stock folgen eine Serie kubistischer Buchillustrationen von Juan Gris, sowie Arbeiten aus Salvador Dalís nachsurrealistischem Schaffen – fast „barock“ gestaltet, aber mit hintergründigen Einsprengseln von Traumgeheimnis. Beispiele für Joan Mirós scheinbar simple und naive Darstellungsart (darunter das in seiner archaischen Gewaltsamkeit erschütternde Pastellbild „Ehebruch“ von 1928) setzen den Schlußakzent.

Wiewohl in der Summe nicht eben üppig geraten, bietet die Ausstellung doch eine Reihe hinlänglich interessanter Anschauungsstücke abseits vom Hauptwerk der spanischen Meister.




Das Material ist die Botschaft – Skulpturenausstellung „Bella Figura“ in Duisburg

Von Bernd Berke

Duisburg. Konservative Kunstbeflissene haben sie unablässig gefordert – die Rückkehr zum erkennbar Figürlichen, zum Menschenabbild in den Künsten. Es scheint, daß sie erhört worden sind.

Nach allen Minimal- und sonstigen Experimenten, die allemal auf Abstraktion hinausliefen, entstehen nun wieder körperhafte, allerdings fast immer in irgendeinem Grad deformierte Skulpturen. Die Zeit der flachen Bodenplastiken – schon die Duisburger Ausstellung „dreidimensional“ hat es gezeigt – ist vorerst vorüber.

„Bella Figura“, Präsentation von 12 Bildhauern im Duisburger Lehmbruck-Museum (1. Juli bis 2. September, Katalog 20 DM), verdeutlicht den Trend noch. Der Titel führt in die Irre: Kein einziger italienischer Bildhauer ist vertreten, sondern zehn aus der Bundesrepublik und je einer aus Österreich und den Niederlanden.

In zumeist expressiver Manier erheben sich die Plastiken wieder in die Vertikale. Zugleich treten die verschiedensten Materialien und ihre Behandlung deutlich in den Vordergrund. „Botschaften“ gleich welcher Art sucht man vergebens, allenfalls findet man Privat-Mythologien wie etwa beim diesjährigen deutschen Biennale-Vertreter A. R. Penck, auf dessen rätselhaften Holzskulpturen die magischen Zeichen erscheinen, die er auch in seinen Bildern verwendet.

Penck gehört zu jener Hälfte der Ausstellung, die dem plastischen Werk bereits arrivierter Maler gewidmet ist. Hierzu zählen auch Georg Baselitz‘ grob behauene, mit Farbspuren überzogene Holzköpfe. Von Jörg Immendorff sieht man unter anderem an Totempfähle erinnernde Holzpflöcke mit eingeschnitzten Gesichtern. An einem Pfahl hängt, als schütteres Netz. die schwarzrot-goldene „Fahne“. Markus Lüpertz, weiterer „Star“, fertigt farbübersprühte, verquollene Bronzeköpfe.

Wie die nachfolgende Künstlergeneration die Anregungen der mittlerweile berühmten Vorbilder weiterverfolgt, wird in einigen Beispielen dokumentiert. Zu den Interessantesten Entdeckungen zählt wohl die „Alibi-Frau“ der Ausstellung, die in Schwerte geborene und in Köln arbeitende Rosemarie Trockel, zum Beispiel mit ihren aus Gips und Graphit geformten, hermetischen „Philosophenköpfen“, die kaum noch etwas mit dem Generaltrend „Expressivität“ zu tun haben.

Eine Überraschung auch die Arbeiten von Heinz Kleine-Klopries. Der gebürtige Mülheimer verwendet vornehmlich Pappe, die unter seinen Händen ungeheure Ausdrucksstärke gewinnt. So windet sich etwa eine Pappgestalt, höchst glaubhaft „Streßphänomene“ (Titel) demonstrierend. Die plakastivsten Beiträge sind die Figuren des Holländers Henk Visch mit ihren ausladenden Gebärden und Formen.




Kleist in die Ferne des Klassikers gerückt – „Die Familie Schroffenstein“ in Wuppertal

Von Bernd Berke

Wuppertal. Die Bühne schwarz ausgeschlagen, darauf ein verwitterter Baum. Warten auf Godot? Nein, die Wuppertaler Bühnen haben sich den selten aufgeführten Kleist-Erstling „Die Familie Schroffenstein“ vorgenommen.

Ein aus heutiger Sicht teilweise monströses Stück, das aber auch Stärken hat. Es geht um eine blutige Familienfehde. Zwei Clan-Linien derer von Schroffenstein bekämpfen einander – und das auf bloße Gerüchte und Sinnes-Täuschungen hin. Allseitiges Mißtrauen, dem sich nur (wie in „Romeo und Julia“) ein Liebespaar (mit tödlichen Folgen) entzieht, setzt eine unaufhaltsame Mechanik der Rache in Gang.

Nun muß man ja nicht direkt auf Vorgänge zwischen den heutigen Supermächten anspielen. Was aber unter Regie von Dieter Reible geschieht, jenes textbrave Vom-Blatt-Spielen mit unfreiwillig komischen lauten Emotions-Ausbrüchen, das rückt Kleist in die unverbindliche Ferne eines „Klassikers“.

Kaum ein Einfall hat textdienliche Funktion: Daß die Bühne nach vorn hin abschüssig ist, erschwert allenfalls den Darstellern das Gehen. Daß vor dem Orchestergraben eine „Liebes-Insel“ gegen den „Kontinent der Rachetaten“ abgesetzt ist, ist zumindest ein diskutabler Ansatz. Aber Gregor Höppner und Mechthild Reinders agieren dort allzu hilflos.

Sicher, Kleist ist schwer spielbar – jedoch nicht unspielbar. Das beweist gegenwärtig der Kleist-Zyklus im ZDF. Unglückliches „Timing“ in Wuppertal: Verglichen mit den Inszenierungen von Peymann und Flimm, tritt das Ungenügen hier desto deutlicher hervor. Dennoch herzlicher Beifall des Publikums.




Anbetung und Ausbeutung – der Wald in der Kunst

Von Bernd Berke

Recklinghausen. Zwischen Anbetung und Ausbeutung – so haben Künstler in den letzten zwei Jahrhunderten Natur gesehen und dargestellt.

Reichliches und hochkarätiges Anschauungsmaterial zur historischen Entwicklung des Naturverständnisses bietet ab heute die Kunstausstellung der Ruhrfestspiele ’84, die als Titel eine ironisch abgekürzte Eichendorff-Zeile trägt: „Wer hat Dich Du schöner Wald…“ „…aufgebaut so hoch da droben“, heißt es bei Eichendorff weiter. Schon das Katalog-Titelblatt (der „Holzfäller“ des jüngst wieder enorm aufgewerteten Schweizers Ferdinand Hodler) läßt ahnen, daß aufbauende Kräfte sich dem Wald nur selten widmeten.

Wohl noch nie hat die Kunsthalle Recklinghausen mit so vielen großen Namen aus der Kunstgeschichte aufwarten können: Cézanne, Corinth. Corot, Courbet, Max Ernst, C.D. Friedrich, Heckel, Klee, Kirchner – und so weiter im Alphabet.

Der Wald in der Kunst seit 1800: Anhand von 188 Leihgaben aus ganz Westeuropa kann man hier verfolgen, wie jede Epoche, jede Stilrichtung dazu ihre eigene, kaum verkennbare Anschauung entwickelt hat. Es beginnt mit Beispielen der Romantik, deren Vertreter den Wald in quasi religiöse Höhen entrückt haben. So bringt etwa Caspar David Friedrich Bäume in unmittelbaren Bildzusammenhang mit einer Kathedrale. Der Verdacht, daß hier etwas „vergoldet“ wurde, was schon verloren zu gehen drohte, ist kaum von der Hand zu weisen.

Im Biedermeier, zum Beispiel bei Spitzweg, dient der Wald vornehmlich als künstlich komponierte Staffage für idyllische Szenen. Übrigens erweist sich gerade Spitzweg, ansonsten Liebkind der Andenkenhändler, mit den in Recklinghausen gezeigten Bildem als Maler von Rang.

Mit der Industrialisierung setzt Stadtflucht auch unter den Malern ein. Der Wald wird aufgesucht als Hort einer – allerdings kaum noch auffindbaren – Einheit zwischen Mensch und Natur. Gleichzeitig werden erste kritische Ansätze sichtbar. Aus expressionistischer Zeit finden sich Belege einer starken antizivilisatorischen Strömung, während in der Neuen Sachlichkeit – Zeichen von Resignation? – Natur und Wald so gut wie gar nicht dargestellt werden.

Vielleicht sollte man aber beim musealen „Waldspaziergang“ durch die Ausstellungsräume gar nicht chronologisch vorgehen, sondern mit der Gegenwartskunst im oberen Stockwerk beginnen, weil sie den eigenen Erfahrungen am nächsten kommt, um sich erst dann in die Historie „zurückzuarbeiten“. Unter den Heutigen fällt besonders Timm Ulrichs auf, der sich dem Thema mit subtilen Gedankenspielen nähert. Beispiel: Auf einer Wippe befinden sich eine dickleibige Kugel und ein winziges (echtes und regelmäßig begossenes) Bäumchen. Würde es wachsen, käme irgendwann die Wippe in Bewegung und die Kugel würde den Baum überrollen. Wachstum als Selbstzerstörung? Ein weites Feld für die Deutungs-Phantasie.

Ganz anders, doch nicht minder eindrucksvoll verfährt Matthias Koeppel, der in altmeisterlicher Manier Zitate aus der Kunstgeschichte verarbeitet. Erst bei näherem Hinsehen bemerkt man die ans Abstruse grenzenden Verformungen der Bäume.

Kunsthalle Recklinghausen: „Wer hat Dich, Du schöner Wald…“ (Ausstellung der Ruhrfestspiele’84). Bis 24. Juni. Katalog 18 DM.