Zurüstungen für die heimische Kaffeefabrik

In Versuchung geraten, eine nagelneue Kaffeemaschine zu kaufen. Einen von diesen polierten Lifestyle-Apparaten als Schaustück für die Küche, ihr wisst schon. Rasch vom Wunsch kuriert gewesen.

Der fix geschulte Fachverkäufer schüttet Familie B. mit Fachbegriffen zu und weidet sich daran, dass wir so gut wie nichts richtig verstehen. Wir sollen offenbar weichgekocht werden, bis wir dastehen wie Trottel. Doch mit dem erlösenden Kauf tritt man ja garantiert ein in die strotzmodern mittelschichtige, allzeit kreative, rundum verwöhnte, prenzlauerberghafte, politischökologischkorrekte Gesellschaftsschicht, welche die schicken Innenstadtviertel der Metropolen okkupiert. Keine Angst: Das Fass mit den Aufschriften „Gentrifizierung“ und „Bionade-Biedermeier“ machen wir an dieser Stelle nicht weiter auf. Friede den Altbau-Idyllen. Einstweilen.

Zurück zum Schnellkursus in Sachen häuslicher Kaffeefabrik. Mit Imponiergeste zeigt der Ladenschwengel sündhaft teure Boliden vor, mit denen man – wenn’s hoch kommt – gerade mal je zwei Tässchen Espresso, Cappuccino oder Latte auf einmal herstellen kann. Ergo: Wenn etwas mehr Besuch kommt, muss jemand permanent an der Maschine stehen und für stetigen Nachschub sorgen. Wenn einem das keine 1200 Euro oder mehr wert ist, dann gehört man eben nicht dazu!

Dessen ungeachtet, schwafelt der auf smart getrimmte Verkäufer über die konkurrierenden Systeme der Vollautomaten und Siebträger. Nein, nicht Vollidioten und Sargträger. Bitte sachlich bleiben!

Die simple Variante (Foto: Bernd Berke)

Die simple Variante (Foto: Bernd Berke)

Doch weiter, weiter, bloß kein Innehalten, man könnte sonst zur Besinnung kommen: Nun geht’s um Einknopf-Bedienungen und die „absolut erforderlichen“ 15 Bar Druck. Auf den Einwand hin, man könne Espresso – wie viele ältere Italiener dies tun – doch auch mit herkömmlichen Metallkännchen (siehe Foto) machen, empört er sich geradezu. Das sei doch kein Espresso, sondern nur Mokka. Ach, wir müssen wohl hoffnungslos zurückgebliebene Bergbauern sein. Er geißelt alles, was vordem war. Und er geißelt uns mit.

Mal ernsthaft ins große Ganze aufgeblendet: Es ist der Geräteindustrie im Verein mit den Röstern offensichtlich gelungen, auf breiter Front das heimische Kaffeebrühen völlig neu zu definieren. Wahrscheinlich nennen sie es Kaffee 2.0 oder so ähnlich. Das Pulver häufelt man demnach nicht mehr selbst, sondern bekommt es in Dutzenden Sorten als Einheitsmenge fertig dosiert vorgesetzt.

So kommt es, dass die Tasse mit Pad- und Kapselsystemen ungleich mehr kostet und dass man möglichst immer wieder dieselbe Marke kaufen muss. Schon die bloße Vorstellung, dass jemand fragt „Liebling, haben wir noch Pads im Haus?“, lässt den hohen Affigkeits-Quotienten ahnen.

Vom wachsenden Abfallaufkommen mal abgesehen. Auch würde man gern wissen, wie viel Strom all die automatischen Spülsysteme und Warmhalteplatten fressen. Die meisten dieser Geräte haben tatsächlich überhaupt keinen Ausschalter mehr. Vier bis sechs Großkraftwerke laufen vielleicht nur für Kaffee. Aaaargh!

Da hilft nur harsche Konsumverweigerung: Die gute alte Kaffeemaschine für acht bis zehn Tassen tut’s in aller Regel auch; es wäre gut, wenn sie bald unter Denkmalschutz stünde. Meinethalben plus Espressokanne und Milchaufschäumer, wenn’s denn unbedingt mal der unsägliche Latte Macchiato sein muss. Jawohl, laut Duden ist das Gesöff maskulin. Nix mit „Ich sitz‘ hier und trinke meine Latte…“

Wie bitte? Ausdifferenzierung des Geschmacks sei auch ein Stück Kultur? Na, geschenkt. Hauptsache lecker, woll?




Oberhausen zeigt die Plakate von Keith Haring: Schlicht und einfach universell

Die meisten kennen Keith Haring vor allem als legendären Graffiti-Künstler. Doch irgendwann drängten seine Schöpfungen vom buchstäblichen Underground (ab 1979 bildliche „Kurznachrichten“ auf freien Werbeflächen in der U-Bahn von New York) in den oberirdischen öffentlichen Raum, sodann auch in Galerien, Museen und auf Plakatwände, ja sogar in die Produktwerbung. Jetzt ist unter dem Titel „Short Messages“ sein komplettes Poster- und Plakatschaffen (85 Entwürfe) im Schloss Oberhausen zu sehen. Die Leihgaben stammen aus dem Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe.

Keith Haring: "National Coming Out Day" (Offsetlithographie, 1988 / Copyright Keith Haring Foundation, Fotografie Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg)

Keith Haring: "National Coming Out Day" (Offsetlithographie, 1988 / Copyright Keith Haring Foundation, Fotografie Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg)

Haring (1958-1990) ist nur 31 Jahre alt geworden, er starb an Aids. Doch in der kurzen Spanne zwischen 1982 und 1989 ist in eminent starken, bis heute nachwirkenden Ansätzen bereits ein veritables Lebenswerk von ganz eigener Güte entstanden. Man vermag sich kaum vorzustellen, was daraus noch hätte sprießen und blühen können.

Für hehre Anliegen wie etwa atomare Abrüstung oder Leseförderung zog Haring ebenso plakativ zu Felde wie für eigene Ausstellungen oder für Alkohol- und Zigarettenreklame (Absolut Vodka, Lucky Strike). In allen Fällen gab er sich ersichtlich gleichermaßen Mühe, zur optischen Essenz zu gelangen. Eine Neigung zu kommerziellen Darbietungen kam nicht von ungefähr: Von 1976 bis 1978 hatte er in Pittsburgh Werbegraphik studiert.

Keith Haring: "Absolut Vodka" (Schweden, 1988, Offsetlithographie) (Copyright Keith Haring Foundation, Fotografie Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg)

Keith Haring: "Absolut Vodka" (Schweden, 1988, Offsetlithographie) (Copyright Keith Haring Foundation, Fotografie Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg)

Schon früh sind die wesentlichen Zeichen und Chiffren beisammen, die immer und immer wiederkehren, so beispielsweise Hund, Roboter, Engelswesen, vor allem aber das „Strahlen-Baby“ (sozusagen ein zweites Ich des Künstlers) und überhaupt von Strahlkränzen umfasste Figuren, die in ihrem schlichten Sosein und simplen Aktionen aufleuchten, vor allem anfangs so selbstgewiss und optimistisch, dass es europäischen Betrachtern wohl ganz besonders auffallen muss. In der besagten Wodka-Reklame steigert sich denn auch eine Menge unter der Flaschen-Apotheose so selbstverständlich in Verzückung hinein, als könnte es gar nicht anders sein.

Einfachste Handlungsmuster (Fußtritt, Schlag) bezeichnen andererseits auch die Richtung etwaiger Attacken. In „Crack Down“ wird das verhasste Rauschgift schlichtweg zertreten. Weg damit! Es heißt, der kleine Keith hätte unter Anleitung seines Vaters schon mit 3 Jahren Comics kopiert. Man glaubt es ohne weiteres. Es waltet eine höchst prägnante Strichmännchen-Ästhetik, unter der die wenigen Textzeilen nahezu verschwinden. Die universelle Botschaft versteht sich auch und gerade so.

Keith Haring: "Montreux 1983. - 17ème Festival de Jazz" (Siebdruck / Copyright Keith Haring Foundation, Fotografie Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg)

Keith Haring: "Montreux 1983. - 17ème Festival de Jazz" (Siebdruck / Copyright Keith Haring Foundation, Fotografie Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg)

Aber Vorsicht: Wer sich in flotten Deutungsversuchen erginge, käme nicht so schnell an ein Ende. Hin und wieder windet Haring seinen überschaubaren Kosmos ins wuchernd Ornamentale, ja Labyrinthische, so dass man doch mühselig entwirren und entziffern muss. Auch arbeitet er bisweilen „gegen den Strich“, indem er etwa zum Jazzfestival von Montreux (1983) Breakdance-Figuren ihre dynamischen Spiralen vollführen lässt. Wer den gar hübschen Fachbegriff dafür vermissen sollte, erhält ihn hier gratis dazu: „Figura serpentinata“. Schlängelnd verdrehte, verzwirbelte Welt.

Das allererste Plakatmotiv kam zur großen Antiatom-Demo (12. Juni 1982 in New York) heraus, Keith Haring ließ 20000 Exemplare auf eigene Kosten und daher auf preiswertem Papier drucken. Aus gleichem Grund sind manche Exponate heute so empfindlich, dass man auch in Oberhausen nicht umhin kommt, das Licht zu dimmen.

Keith Haring: Poster for Nuclear Disarmament (1982 / Copyright Keith Haring Foundation, Fotografie Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg)

Keith Haring: Poster for Nuclear Disarmament (1982 / Copyright Keith Haring Foundation, Fotografie Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg)

Interessante Querverweise ergeben sich, weil Haring gern mit Künstlern wie Andy Warhol, Jean-Michel Basquiat oder Yoko Ono kooperiert hat. Sogar der Eigenbrötler Roy Lichtenstein (den Oberhausen im letzten Jahr präsentiert hat) ließ sich zu einer solchen Gruppenarbeit herbei. Wiederum fürs Jazzfestival in Montreux (1986) hat Warhol ein Notenbild angelegt, zwischen dessen Linien sich typische Haring-Figuren tummeln. Allerliebst.

Für seine Ausstellung im Stedelijk Museum zu Amsterdam plakatiert Haring 1986 seinen Namen und bezieht ihn bildwitzig auf den Hering. Hier strotzt sein Schaffen noch vor ungebändigter Kraft.

1987 dann die niederschmetternde Diagnose: Keith Haring leidet an Aids. Nun entwirft er vor allem Plakate zum Kampf gegen die Immunschwäche und zum schwulen Selbstbewusstsein – mit aller grellen Dringlichkeit. Den rosa Winkel, den die Nazis zur Brandmarkung der Homosexuellen benutzt hatten, dreht er kurzerhand um, so dass er als Pyramide historische Dignität gewinnt und gleichzeitig zukunftsfroh himmelwärts weist.

Eine Haring-Figur, die denkbar kurzlebige Seifenblasen in die Luft pustet (und auf diese eh schon vergänglich schillernden Gebilde auch noch einsticht), mag als zeitgemäßes Todesbild gelten. Ab 5. Februar wird diese Qualität im ungewohnten Kontext womöglich noch deutlicher. Dann werden an gleicher Stätte auch einige Todesdarstellungen aus der frühen Neuzeit gezeigt.

Keith Haring: „Short Messages“. Poster und Plakate 1982-1990. Vom 22. Januar (Eröffnung 19 Uhr) bis zum 6. Mai 2012. Ludwiggalerie Schloss Oberhausen, Konrad-Adenauer-Allee 46. Geöffnet Di-So 11-18 Uhr, Mo geschlossen. Eintritt 6,50 Euro (ermäßigt 3,50 Euro), Familie 12 Euro. Infos/Buchung Schulführungen 0208/41 249-28. Internet http://www.ludwiggalerie.de




Glaskunst in Leipzig: Fenster des Bottroper Bauhaus-Künstlers Josef Albers rekonstruiert

Leipzig/Bottrop. Er war zweifellos einer der einflussreichsten Bauhaus-Künstler, vor allem, weil er die Ideen dieser Weimarer und später Dessauer Bewegung in den USA verbreitete: Josef Albers, 1888 in Bottrop geboren, unterrichtete nach seiner Emigration 1933 spätere Größen wie John Cage, Robert Rauschenberg, Merce Cunningham oder Richard Serra. In Bottrop erinnert das Josef Albers Museum im Quadrat an den Künstler, der seiner Heimatstadt einen großen Teil seines Nachlasses schenkte. Derzeit ist – nur noch bis 15. Januar – dort die Ausstellung „Gotthard Graubner. Gespräch mit Josef Albers“ zu sehen.

Doch seit Dezember gibt es eines der großen Glaswerke Albers wieder sinnlich zu erleben. Dazu muss man nach Leipzig fahren. 1926 hatte Albers für den damals hochmodernen, expressionistischen Bau des Grassi-Museums Glasfenster entworfen, strenge geometrische Konstruktionen im „Thermometerstil“. Sie waren, so versichert das Grassi-Museum, die größte Flachglasarbeit eines Künstlers der Dessauer Bauhauszeit. Albers war damals bereits ein bekannter Glaskünstler. 1925 als erster Bauhaus-Absolvent zum „Meister“ berufen, hatte er bereits eine Reihe von Fenstern entworfen, daneben auch Möbel und Haushaltsgeräte.

Die Leipziger Fenster fielen dem Krieg zum Opfer und wurden später durch einfaches Fensterglas ersetzt. Doch 1996 entdeckte man im Firmenarchiv der Berliner Glasmalerei-Firma Puhl & Wagner, G. Heinersdorff – erhalten in der Berlinischen Galerie – die 1:1 Kartons und Fotografien der Entwürfe der Fenster wieder. Diese hatte die Entwürfe von Albers 1927 realisiert. Dank des Fundes war es möglich, die Komposition der Scheiben bis ins kleinste Detail nachzuvollziehen.

Die Albers-Fenster bei einbrechender Dunkelheit, vom Mittelhof aus gesehen, 2011
Die Albers-Fenster bei einbrechender Dunkelheit, vom Mittelhof aus gesehen, 2011

Vor allem gelang es auch, die ausgefeilte Technik von Albers präzise zu analysieren. So verwendete er mundgeblasenes Doppelüberfangglas. Es besteht aus einem klaren Trägerglas mit einem opaken weißen Überfang und einem grünlichgelben Farbüberfang. Der doppelte Überfang bewirkt unter anderem, dass bestimmte Partien von innen betrachtet dunkel, von außen gesehen hingegen hell erscheinen. Akzentuiert wird das Glas durch flächig aufgetragenes Schwarzlot und Silbergelb sowie horizontale und lineare Schliffe.

Unter den baugebundenen Projekten von Josef Albers kommt den 18 Fenstern im Haupttreppenhaus des Grassi-Museums eine zentrale Rolle zu, heißt es in der Mitteilung des Hauses. Ermöglicht wurde die Rekonstruktion durch das Engagement der Ostdeutschen Sparkassenstiftung und der Sparkasse Leipzig. Die Ausführung der Fenster lag in der Hand des traditionsreichen Paderborner Glasmalereibetriebes Peters.

Die Mittelgruppe der Fenster in Verbindung mit der Treppenhausarchitektur, 2011, Foto: Uli Kühnle, Halle/Saale
Die Mittelgruppe der Fenster in Verbindung mit der Treppenhausarchitektur, 2011
Fotos: Uli Kühnle, Halle/Saale

Der Besuch im Grassi-Museum lohnt sich jedoch nicht nur wegen der rekonstruierten Albers-Fenster: Das Museum für Angewandte Kunst ist ebenso sehenswert wie die fabelhafte Musikinstrumenten-Sammlung. Und im Museum für Völkerkunde – ebenfalls im Grassi – lässt sich derzeit moderne Malerei aus Haiti bewundern.




Verehrter Apfel

Steve Jobs ist tot – und natürlich ist das traurig, wie es bei beinahe jedem Menschen traurig ist, wenn er stirbt, zumal so jung. Und sicherlich war Steve Jobs ein Visionär, einer, der nur wenige Grenzen im Denken akzeptiert hat, der neue Wege gegangen ist und den Umgang mit Handys, Computern, Musik verändert hat. Der beinahe religiöse Hype aber, der jetzt um seine Person gemacht wird, ist mir fremd. Manchen gilt dieser Mann, der doch auch nur Mensch war, schon beinahe als Erlöser, dem seine Jünger folgen, ohne auch nur die geringste Kritik zuzulassen.

Warum?Ein Apfel ist ein Apfel ist ein...

Weil er dafür gesorgt hat, dass wir auf einem Handy mit Wischbewegungen Fotos, Musik, E-Mails verwalten und allerlei andere Spielereien nutzen können?

Weil er mit dem Ipad ein Gerät auf den Markt gebracht hat, dass möglicherweise den Zeitungsmarkt revolutionieren wird, weil es den Medienkonsum interaktiver und mehrdimensionaler machen kann?

Weil er Musik auch auf dem digitalen Markt zu einem wirtschaftlich erfolgreichen Produkt gemacht hat?

Weil er Ästhetik in den sonst so tristgrauen Bereich von technischen Gerätschaften gebracht hat?

Sicherlich sind all das bemerkenswerte und bequeme Errungenschaften, die ich bewundere für ihre innovative Kraft.

Aber ich unterstelle: Steve Jobs war auch ein gewiefter Geschäftsmann, einer der verkaufen, der Geld machen wollte. Was völlig legitim ist – die Verehrung seiner Person aber erst recht suspekt macht. Was sagt es eigentlich aus über unsere Gesellschaft, dass wir einen auf einen Sockel stellen, der es mit einer unglaublich geschickten Geschäftsstrategie geschafft hat, uns vorzugaukeln, dass ein Massenprodukt individuell ist? Dass wir durch seinen Besitz anders sind? Unser Leben gar einfacher, hipper, begehrenswerter wird – durch ein Kaufprodukt?

Arno Frank schreibt in seinem kritischen Nachruf in der „taz“ gar von einem breitbeinigen Idealismus, der „inzwischen längst das Markenzeichen eines synkretistischen Mischkonzerns mit esoterischem Einschlag und käuflichen Ikonen“ geworden sei.

Mehr zum Weiterlesen gibt es hier.




Die vertraute Markenwelt

Es mag ja betrüblich zu sagen sein, doch ist es wahr: Unter allen Dingen und Verhältnissen, die uns Weltvertrauen einflößen, sind nicht zuletzt die seit Kindheit vertrauten Marken. Ziemlich klar, woran es liegt: Unser Weltausschnitt ist vorwiegend eine Markenwelt.

Einige Beispiele, ohne jeden Schleichwerbe-Effekt, abseits jeder Qualitätsvermutung, streng alphabetisch: Bosch, Hansaplast, Haribo, Langnese, Märklin, Miele, Nivea, Opel, Osram, Persil, Philips, Pril, Rama, Ritter Sport, Tempo, Tesafilm, Volkswagen. Und viele andere, je nach Generation wechselnd. Für manche beginnt die Erinnerung mit Nogger oder Nutella. Kaufartikel halten längst für die Benennung ganzer Altersgruppen her, siehe „Generation Golf“ etc. etc. Ich kaufe das, also bin ich. Ich stilisiere mein Leben mit Waren, also gelte ich.

Schon wenn man erfährt, dass sich hinter den gewohnten Namen neue (meist globale) Besitz- und Produktionsverhältnisse verbergen, fühlt man sich ein wenig verunsichert. Erst recht wird einem mulmig zumute, wenn solche Namen gänzlich getilgt werden. AEG, Borgward, Eduscho, Grundig, Nordmende, Simca, Telefunken, neuerdings Saab. Selbst um die dürftigen Ost-Labels von Trabant bis Rotkäppchen wird seit Jahren nostalgischer Kult getrieben. Oder mal aus Dortmunder Nahsicht betrachtet: Hoesch als „Name für Stahl“ (früherer Slogan) und etliche Biermarken gehören einer immer mehr entgleitenden Vergangenheit an.

Hin und wieder tauchen alte Namen wieder auf, doch meist handelt es sich um billigen Etikettenschwindel. Mit Markenrechten soll altbewährtes Vertrauenskapital umgemünzt werden. Pah! Auch ihr dreht die Zeit nicht um.

Und wie schnell der Schwund, dieser Wandelfraß sich ausbreitet! Man schaue sich nur Filme aus den 1970er oder 1980er Jahren an. Wie anders wirken da Kleidung und Straßen. Ja, die gesamte Farbpalette sieht fremdartig aus; ganz zu schweigen vom Takt der Wahrnehmung, der sich im Filmschnitt zeigt.

Zurück zu den Marken. Bereits im nahen Ausland verschieben sich Koordinaten des Konsums. Trotz regen internationalen Handels ist diese und jene Marke schon in geringer Entfernung nicht mehr vertreten, dafür tauchen andere auf, die einem zunächst oder auf Dauer nicht geheuer sind. Es sei denn, man wäre ein Anbeter des Immer-wieder-Neuen, des Täglich-Anderen. Allmählich scheint es ja zu gelingen, diesen kapitalistisch dringlichst erwünschten Menschentypus zu züchten. Dass dieser Typus wiederum weltweit das Vorhandensein gewisser Leitmarken verlangt, gehört zum Kraftfeld, das keineswegs widerspruchsfrei ist.

Die Beharrenden aber ahnen: Fortwährender Markenschwund ist ein Zeichen der Vergänglichkeit und ragt bis ins Existenzielle, kündigt also Stück für Stück das Sterben an.




Nun hat sie ausgeglüht

Diesen 31. August 2011 hat sie noch, dann muss sie aus unserem Alltag für immer verschwinden, weil es EU-Gewaltige in Brüssel so wollen, weil Umwelt mit ihr immer schon Schaden genommen haben muss, weil von mir natürlich stets gemutmaßte wirtschaftliche Interessen dahinter stecken: Die 60-Watt-Glühbirne ist alsbald nur mehr im Museum zu betrachten – natürlich außer Betrieb, denn der ist von mächtigen EU-Kommissaren strikt untersagt.

In der „Reina Sofia“ konnte mensch sie schon lange als museales Objekt betrachten. Öl auf Leinwand, in exponierter Situation von Pablo Picasso auf der „Guernica“ verewigt. Demnächst vielleicht ein finaler Auftritt im Ruhrmuseum auf Zeche Zollverein in Essen. Oder direkt neben Exponaten aus dem umfänglichen Schaffen eines Joseph Beuys.

Nun preisen alle die, die etwas zu sagen haben (oder auch nichts), neue, hochtechnische Leuchtmittel an wie E 10 fürs Automobil, künden, dass dieser Einschnitt ein Schritt hin zur unmittelbar bevorstehenden Sanierung des Weltklimas sei, aber von möglichen Problemen redet niemand.

Ich selbst könnte ja noch damit leben, dass meine Abendlektüre energiesparend kühl beleuchtet wird, nachdem die Birne anfänglich flackernd angesprungen ist. Wie aber ist es mit Sehgewohnheiten wie etwa auf „Betende Hände“ oder Expressionistisches, beispielsweise aus der Hand von Macke? Wird solches nicht gänzlich anders angeleuchtet und uns somit ganz anders präsentiert? Wie sieht ein Bild, das womöglich bei Kerzenschein oder Glühbirnenfunzellicht entstand, ganz neu beleuchtet aus?

Oder wie wird es zukünftig im Zentrum für internationale Lichtkunst zu Unna gehandhabt, geben die Kunstwerke mit Glühbirnenbeleuchtung nicht zukünftig, ernergiesparend strahlend ein völlig anderes Bild ab?

Fragen über Fragen, und ich bin mir sicher, dass die herstellende Industrie optimale Lösungen finden wird, um auch die letzten Nörgler zufrieden zu stellen. Und dennoch: Ade, du ineffiziente Glühbirne.




Ungereimtheiten auf der Alm

Man macht das ja manchmal so. Reime erzwingen um des Reims willen. Und vielleicht für ein wenig Haha. Bei Geburtstagsfeiern oder auf Grußkarten zum Beispiel. Ich hab es gerade erst wieder getan, in einem der klassischen Orte für solcherlei Wortpressversuche: In einem Gästebuch einer Ferienwohnung, in der wir uns sehr wohlfühlten, habe ich willkommen auf gern wiederkommen gereimt und sogar Drachenfels mit Zahnschmelz gepaart.  Ein bisschen rote Ohren, ein

Das Bild zeigt einen Screenshot der Suche auf Google und des Ergebnisses von Pro7.

Das Bild zeigt einen Screenshot der Suche auf Google und des Ergebnisses von Pro7.

bisschen Schmunzeln – und die nachfolgenden Gäste können sich dran ergötzen.

So etwas aber geschieht in der stillschweigenden Übereinkunft einer Halböffentlichkeit, die nur wenige Zeugen kennt. Weil letztlich doch alle Beteiligten wissen, dass solches Gereime von Dichtkunst so weit entfernt ist, wie eine Baumscheibenbemalerin von Frida Kahlo.

Diese Übereinkunft empfinde ich nun als gebrochen. Heute bin ich an einer Litfaßsäule vorbeigefahren, auf der mit einem kernigen alten Hutzelmännchen für eine Sendung namens „Die Alm“ geworben wurde. Die Unterzeile brannte in meinen Augen. „Promischweiß und Edelweiß“.

Liebe Menschen von Pro7 oder wer auch immer sich diese Zeile ausgedacht hat – das tut doch weh! Ihr habt das schöne Edelweiß mit solch einem ekligen Bild zusammengebracht – und damit ausgerechnet eine Blüte, die als stark gefährdet gilt, in den Dunstkreis von mediengeilen X-Prominenten gebracht, die leider keinesfalls selten sind. Wäre es doch nur andersrum!

Und dann diese Wortschöpfung: „Promischweiß“. Mal abgesehen davon, dass ich allein schon den Ausdruck „Promi“ furchtbar finde, bei Betrachten der „Alm“-Website aber auch niemanden gefunden hätte, der überhaupt prominent wäre. Was offenbart sich denn da für ein Menschenbild? Schwitzen „Promis“ etwa anders, als die sonstigen Erdbewohner? Sollte das sogar ihr hervorstechendstes Merkmal sein (was einiges erklären würde)? Und wie sähe die prominente Schweißflüssigkeit wohl aus? Gülden, der hervorgehobenen Stellung angepasst, und dazu noch lieblich duftend?

Wer weiß. Vielleicht verkauft der Sender am Ende des ganzen Prominentenschaffens ihr Ausgedünstetes im Supermarkt. Ich hätte auch schon einen tollen Slogan: Promischweiß – günstiger Preis!




Der Tod des Margarine-Mädchens

Seit kurzem ist sie nicht mehr da. Sie hat uns wohl für immer verlassen;  eine Gestalt, die das deutsche Alltagsleben durch viele Jahrzehnte recht unscheinbar, doch stetig begleitet hat: das „Rama-Mädchen“.

Auf Schachteln, Bechern und Einwickelfolien war sie (in einer zunehmend stilisierten Tracht) all die Jahre treulich und sittsam zugegen. Ihr Erscheinungsbild hatte sich mit der Zeit gewandelt, aber man hat sie immer gleich wiedererkannt.

Doch die Hersteller der Margarine (Konzern Unilever) haben sich nun mal entschieden, der Marke ein völlig anderes Design beizumessen. Dafür haben sie ihre „Ikone“ geopfert, die – wie man nun gleichsam posthum erfährt – sogar einen Namen hatte, nämlich Jule. So hat das Seufzen der Nostalgiker wenigstens eine benennbare Adressatin: „Ach, Jule, kehr zurück!“ Doch solches Flehen wird wahrscheinlich nicht erhört.

Und jetzt? Jetzt prangen auf den Packungen nur noch vier halbwegs liebliche Blümchen, die den Urhebern zufolge allen Ernstes für die Mitglieder einer „typischen“ (?), sicherlich ebenso konsumfreudigen wie klimagerechten, nachhaltig naturnahen, vierköpfigen Kleinfamilie stehen sollen. Man könnte jetzt weit ausholen, um hier eine herzlich unverbindliche, völlig austauschbare „grüne“ Fühl- und Denkungsart (oder einfach: Attitüde) als Nährboden auszumachen. Wie wir zur Genüge wissen, befinden wir uns damit in der gar nicht mehr so neuen „Mitte“, im durchaus mehrheitsfähigen Bereich, der bis weit ins ehedem bürgerliche Lager reicht. Lassen wir das.

Warum aber hat man sich von einer derart eingeführten, nachgerade legendären Figur getrennt? Wie eine Diskussion auf der Internet-Seite „Designtagebuch“ (dort gibt’s bildliche Vorher-Nachher-Darstellungen) ahnen lässt, kritisieren auch etliche Leute vom Fach diesen Schritt weg von der Tradition. Man gebe ein „Alleinstellungsmerkmal im Kühlregal“ auf, heißt es beispielsweise. Einer vermutet gar, der Abschied sei vielleicht auf „political correctness“ zurückzuführen: Frauen sollten halt nicht mehr in bildlichen Zusammenhang mit Nahrungsmittelzubereitung gebracht werden…

Gerade Zeitschriften mit ländlicher Thematik heben derzeit in ungeahnte Auflagenhöhen ab. Vor diesem Hintergrund gibt man eine weibliche Figur auf, die idealtypisch fürs gesunde Landleben gestanden hat? Unerfindlich. Und das alles für eine dürre, laue, beinahe an die putzigen „Prilblumen“ der 1970er Jahre erinnernde Schöpfung. Es sind, wie einer in der besagten Debatte bebend bemerkt, eigentlich just die Blumen auf dem Grab des Rama-Mädchens. Wer jetzt nicht ein Tränchen verdrückt, muss wohl von sehr roher Wesensart sein.




Guido und das Grubenpferd quälen das Ruhrgebiet

Es wird mal wieder höchste Zeit für eine kleine kulturhauptstädtische Nestbeschmutzung. Diesmal geht’s um die manchmal unscheinbaren, beim ersten Hinhören halbwegs harmlos klingenden, doch im Grunde reichlich bescheuerten Ausgeburten der Sprach- und Lifestyle-Designer.

Gut möglich, dass häufig auswärtige Agenturen oder sonstige „Kreative“ zum Zuge kommen, die unser Leben im Revier noch cooler ausschildern sollen – sicherlich stets im Vollgefühl vermeintlich avancierter Zeitgeistigkeit. Oder wissen sie etwa zynisch genau, dass sie uns nur die Brosamen ihrer Brainstormings hinstreuen?

Nicht nur in dieser Hinsicht ist der idr-Pressedienst des RVR (Regionalverband Ruhr) eine verlässliche Fundgrube. Die getreulichen Essener Chronisten verzeichnen allwochentäglich aktuelle „facts und events“ aus der Möchtegern-Ruhrstadt. Zuweilen sind es bloße Peinlichkeiten, die allerdings nie als solche erscheinen dürfen. Da sei der Regionalstolz vor.

Beispiele gefällig? Bitte sehr, willkürlich herausgegriffen und jederzeit beliebig vermehrbar:

Vor ein paar Wochen wurde stolz die bevorstehende Eröffnung des „Aquapark“-Spaßbades in Oberhausen vermeldet: „Mittelpunkt des neuen Spaßbades ist der 18 Meter hohe Nachbau eines Förderturms mit integrierter Fallrutsche.“ Auch andere „Gestaltungselemente“ – beispielsweise „Bubi, das Grubenpferd“ – erinnerten an die „Bergbaugeschichte der Metropole Ruhr“, heißt es weiter.

Erinnern. An die Bergbaugeschichte. Da kann man nur noch stammeln.

Mit solchen Reminiszenzen verglichen, kommt einem selbst Disneyland noch authentisch vor. Und man fragt sich fassungslos, wer sich solche kumpelhaften Putzigkeiten ausdenkt. Vielleicht hat ja mal wieder der „Mann mit dem Koks“ geholfen.

Just gestern liefen gleich zwei Kopfschüttel-Nachrichten ein.

Die eine besagt, dass an der Dortmunder Uni ein „Kompetenz- und Dienstleistungszentrum“ (was sonst?!) für Ingenieurwissenschaften entstehe. Und wie heißt das gemeinsam mit Bochum und Aachen betriebene Projekt? „TeachING-LearnING.EU“. Geht’s noch grauslicher?

In der Sparte „unfreiwillig lächerlich“ rangiert auch die zweite Mitteilung ganz oben. Ein neuer „Ruhr-Gastro-Guide“ fimiert unter dem – haltet euch fest! – unglaublich witzigen Namen GUiDO. Jawohl, ihr habt richtig gelesen. GUiDO. Hahaha!

Wenn das keine spätrömische Dekadenz ist, dann weiß ich auch nicht.




„Ruhrgold“ und silberne Pommes-Picker

Hurra! Jetzt gibt es kein Halten mehr. Heute (9.9.09) ist der Online-Shop der Kulturhauptstadt Ruhr 2010 ins Netz gegangen.

Jetzt soll es also heißen: Her mit den Logo-verzierten Kulis, Tassen, Lesezeichen, Schirmen, T-Shirts („schikkobello“), Ansteckern, Feuerzeugen etc. etc. Wozu das Zippo dient? Na, klar: „Die Kulturhauptstadt anfachen“ und „entflammen“. Und überhaupt: Mit all diesen Produkten kann man nun laut Werbung zeigen, dass man dabei ist und dazugehört. Kein Geknötter und keine Widerrede jetzt! Auf einer Tasse prangt die Losung zur Revierbürgerpflicht: „Metropole Ruhr. Alles andere ist kalter Kaffee.“ Na, bitte!

Nun gut. Bei den eigentlichen kulturellen Projekten von Ruhr2010 gibt es noch so manche Unwägbarkeit, auch mussten leider schon ein paar Vorhaben aus Finanzgründen abgeblasen werden. Da mutet es ein wenig vorschnell an, wenn die Souvenirs schon so zeitig da sind – längst bevor etwas Erinnernswertes geschehen ist. Aber immerhin: Da ist mal etwas (über)pünktlich zur Stelle – und schon wird wieder gemeckert. Hier nicht! Hier haben weder Queru noch Lanten eine Chance.

Die beiden Design-Linien für Ruhr2010 heißen „Metropole Ruhr“ (im Zuschnitt eher konventionell) und „leet speak“ – was immer dieser Begriff (hergeleitet aus „Elite“) dem nicht gar so hippen Normalbürger auch sagt. Hierbei ersetzen die gern von Computerfreaks verwendeten Sonder- und Zahlzeichen die üblichen Buchstaben, was selbstredend megacool und ungemein zukunftsweisend aussehen soll. Mal so gewagt gesagt (über eine Umhängetasche): Sie wirke „wie ein begehrtes Einzelstück für Insider der Kreativszene.“ Designerdeutsch. Da gerät denn auch der Porzellanbecher zum „Eyecatcher auf dem Frühstückstisch.“

Die von der Ruhr2010 GmbH gemeinsam mit der Dortmunder Werbemittel-Agentur Dicke & Partner vertriebenen Souvenirs werden sicherlich hier und da noch ergänzt. Eine auffällige Leerstelle gab es gestern noch. Unter der Rubrik „Kinder“ fand sich der irgendwie hübsch irritierende Trost: „In Vorbereitung“. Äh, wie? Nein, nein, nicht die Kinder. Angebote für die Kleinen sind gemeint.

Und sonst? Laut Pressestelle sind Grubensalz und „Ruhrgold“ (Senf mit Honig) gleichfalls zu haben, ferner finden sich Brotdosen mit A 40-Motiv, silberne Pommes-Picker, Luftballons mit Ruhr2010-Logo (100 Stück für 28,45 €) und ein ebenso geschmückter Fußball (13,95 €). Immerhin gibt’s k e i n e Ruhrgebietsluft in Dosen.

Jetzt rufen natürlich alle ganz laut und ungeduldig: „Schnüss! Gib endlich Ruhe! Wie komme ich hin, wie heißt der Link?“ Ist ja schon gut:

http://www.ruhr2010-shop.de




Hochzeitskultur im deutsch-türkischen Vergleich – die Dortmunder Ausstellung „Evet – Ja, ich will!“

Dortmund. Alte Erfahrung derer, die im größeren Rahmen geheiratet haben: Als Braut oder Bräutigam bekommt man vor lauter Stress von Einzelheiten des Festes wenig mit. Wie passend also, dass einen nun die Dortmunder Hochzeits-Schau „Evet – Ja, ich will!” glücklich verwirrt.

Im Museum für Kunst und Kulturgeschichte (MKK) geht’s nämlich abwechselnd munter vorwärts und rückwärts in der historischen Zeit, außerdem hin und her zwischen der Türkei und Deutschland, zwischen Stadt und Land. Oft darf man rätseln, von wo und wann einzelne Exponate stammen.

Kleider, Kleider und
nochmals Kleider

Da heißt es eben: ausgiebig die Beschriftungen lesen oder sich mit dem Katalog ausrüsten. Alles ist zweisprachig (deutsch/türkisch) in dieser Ausstellung, die einen Dialog zwischen den Kulturen stiften soll. Und was würde sich dafür besser eignen als jener Tag, den man wohl nie vergisst: die Heirat? Missliche Themen wie Zwangsehe hat man übrigens vorsichtshalber ausgespart bzw. behutsam in den Katalogtext ausgelagert.

Was man zu sehen bekommt? Insgesamt 500 (!) Ausstellungsstücke, je etwa zur Hälfte deutschen und türkischen Ursprungs. Vor allem Kleider, Kleider und nochmals Kleider. Traditionelle Pracht, etwa mit aufwändiger Goldstickerei, aber auch prosaische Gewänder – bis zum schlichten Modell aus VEB-Produktion zu DDR-Zeiten.

Interessant ist es, das „Fremde” nicht nur in der türkischen Hochzeitskultur zu sehen, sondern auch in deutscher Vergangenheit. Auch die ist uns in ihrer regionalen Vielfalt fern gerückt. Eine hessische Tracht des 19. Jahrhunderts wirkt beinahe so exotisch wie eine anatolische. Längst vorbei. Heute haben sich Hochzeitsmoden international angeglichen, wie aktuelle Designer-Entwürfe aus beiden Ländern zeigen.

Mancherlei Accessoires (Schleier, Gürtel, Schmuck, Hochzeitskronen, Kränze, Fächer usw.) ergänzen die Textilienfülle. Übrigens: Eine deutsche Braut, die bereits schwanger war, durfte ehedem nur einen durchbrochenen Kranz ins Haar flechten. So streng waren die Sitten. Mit dem Biedermeier war die betont jungfräuliche Kleiderfarbe Weiß aufgekommen. Bis dahin hatten Bräute oft Schwarz oder Rot getragen.

Nach dem rebellischen Jahr 1968 wurden Eheschließungen oft schmuckloser begangen. Doch seit der fabulösen Heirat von Lady Diana (29. Juli 1981) ging es wieder in die Gegenrichtung. Da darf’s ein wenig mehr Prunk sein. Auch diese Grundströmungen spiegeln sich in der Schau.

Ein Nebenaspekt sind Hochzeitsgaben. Die wurden früher nicht in schnödes Geschenkpapier, sondern mitunter in teures Tuch gehüllt. Beim festlichen türkischen Brautzug wohlhabender Leute gingen einst ganze Trägergruppen mit, um alle Kostbarkeiten vorzuweisen. In der historischen Geschenkabteilung beider Kulturen finden sich Truhen für die Aussteuer – und hölzerne Wiegen, die ein hehres Ziel ehelicher Verbindungen vorgaben. Eine weitere Zielvorstellung steht als Sinnspruch auf einem Geschenkteller: „Wen(n) ich dich hätt / einmal im Bett.” Nun, das Eine ergibt gelegentlich liebevoll das Andere.

Hie und da würde man sich wünschen, dass die Belegstücke weniger kleidungslastig wären. Wenn man etwa die überaus kunstvoll gestalteten Liebesbriefe sieht, die man einst beim Dorfschreiber bestellte, so ahnt man, welche Chancen in größerer Breite der Auswahl gelegen hätten.

Museumsdirektor Wolfgang E. Weick hofft derweil auf rund 20 000 Besucher. Jede Wette, dass dabei Frauen in der Mehrheit sein werden.

„Evet – Ja, ich will! Hochzeitskultur und Mode von 1800 bis heute: eine deutsch-türkische Begegnung”. Museum für Kunst und Kulturgeschichte, Dortmund, Hansastraße 3. Bis 25. Jan. 2009. Di-So 10-18, Do 10-20 Uhr. Eintritt 8 €. Katalog 19,90 €. Begleitprogramm mit Konzerten, Lesungen usw.
Die Schau mit vielen kostbaren Leihgaben aus der Türkei entstand in Kooperation mit den Reiss-Egelhorn-Museen in Mannheim. Dort wird sie ab 1.3.2009 zu sehen sein.




Die Deutschen bleiben auf Sinnsuche – Über Richard David Prechts vergnügliche Philosophie-Geschichte „Wer bin ich und wenn ja, wie viele?“

Von Bernd Berke

Da stellt einer gleich reihenweise die ganz großen Fragen: Gibt es Gott? Was ist Liebe? Hat das Leben einen Sinn? – Spontan möchte man ausrufen: Hat er’s nicht ein paar Nummern kleiner? Doch der Mann ist beileibe kein Spinner, er hat durchaus Bodenhaftung.

Nicht von ungefähr hat Richard David Precht mit seiner lebendig und vergnüglich geschriebenen Philosophie-Geschichte „Wer bin ich und wenn ja, wie viele?“ den „ewigen“ Spitzenreiter bei den Sachbuch-Bestsellern überholt: Hape Kerkelings achtbaren Pilgerbericht „Ich bin dann mal weg“.

Prechts Buch hat sich langsam, dann aber gewaltig nach oben gearbeitet. Bereits im September 2007 erschienen, erhielt es einen ersten Schub durch Elke Heidenreichs Empfehlung in „Lesen!“ (ZDF). Seither muss jede Menge Mundpropaganda hinzu gekommen sein.

Vielleicht kann man aus der Hitlisten-Abfolge gar auf die Gemütslage vieler Deutscher schließen. Denn auch mit der neuen Nummer eins begeben sie sich wieder auf Sinnsuche. Nur mögen sie’s dabei abermals nicht so gern mögen sie’s dabei abermals nicht so gern pathetisch oder tiefgründelnd. Warum auch, wenn es doch diese fröhliche Wissenschaft gibt, die Bildungsgut wie im Fluge verabreicht.

Die sonst üblichen Philosophiegeschichten kommen oft professoral und gravitätisch daher. Epoche für Epoche da abgehandelt, all die großen Geister ziehen im Widerstreit ihrer Thesen vorüber. Trocken genug.

Mit wachem Sinn für die Gegenwart

Precht hingegen durchpflügt die Geistesgeschichte mit wachem Sinn für unsere Gegenwart. Er überprüft die Gedanken der Philosophen stets auf Lebenstauglichkeit. An ihren Alltagsfrüchten soll man sie erkennen.

Der Autor überschreitet zudem leichtfüßig die Grenzen zur Naturwissenschaft und bezieht beispielsweise Charles Darwins Evolutionslehre, Sigmund Freuds Psychoanalyse, physikalische Fakten und vor allem neueste Ergebnisse der Hirnforschung in seine Überlegungen ein.

Drei Hauptkapitel geben die Reiseroute vor, ganz im Sinne des altvorderen Denkers Immanuel Kant heißen sie: Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? Es geht also um die Grundlagen der Erkenntnis, um Moral und Ethik – und um die Metaphysik, die auf ein Jenseits verweist. Alles drin, alles dran. Die Sache ist fundiert, schließlich ist Precht selbst studierter Philosoph.

Die Hauptlinien seiner Untersuchung verzweigen sich in wahrhaft spannende Fragen, die jeden angehen. Darf man in bestimmten Fällen (etwa in der Sterbehilfe) töten? Darf man abtreiben? Darf man Tiere essen? Darf man Menschen klonen?

Dazu werden jeweils die wichtigen Philosophen „einvernommen“. Sie erscheinen als Menschen aus Fleisch und Blut, die halt nur den Kopf etwas mehr angestrengt haben als andere. So kommt Jean-Jacques Rousseau zum Zuge, wenn es um die Frage geht, ob der Mensch „von Natur aus“ eher gut oder schlecht sei. Das Denken an sich ist Fachgebiet von René Descartes, zum Thema Sprache gibt Ludwig Wittgenstein Auskunft, und Arthur Schopenhauer ist die „erste Adresse“, wenn der menschliche Wille zur Debatte steht.

Für anderes gelagerte Fragen sind zum Beispiel Kant, Nietzsche oder Sartre zuständig. Etliche andere stimmen nach und nach mit ein in den Chor oder werden von Precht sogar zu munteren Dialogen angestiftet. Hie und da wird zugespitzt, doch es werden keine Abstriche gemacht.

So gut jedenfalls glaubt man die klugen Herrschaften noch nie verstanden zu haben. Es ist ein Philosophiebuch, wie man es sich schon lange gewünscht hat. Nah an den Denkern, vor allem aber: nah auch an uns allen.

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ZUR PERSON

Doktorarbeit über Robert Musil

  • Richard David Precht wurde am 8. Dezember 1964 in Solingen geboren.
  • Er studierte Philosophie, Germanistik und Kunstgeschichte in Köln, schrieb seine Doktorarbeit über den Schriftsteller Robert Musil („Der Mann ohne Eigenschaften“).
  • Precht ist verheiratet mit der TV-Journalistin Caroline Mart. Sie leben in Köln und Luxemburg.
  • Prechts autobiographisch inspirierter Roman „Lenin kam nur bis Lüdenscheid“(Kindheit mit „68er“-Eltern) wurde verfilmt und startete kürzlich im Kino.
  • Sein Bestseller: „Wer bin ich und wenn ja, wie viele?‘ Goldmann-Verlag, 400 Seiten, 14,95 €.
  • Bedenkenswerter Rat am Schluss dieses Buches: „Und wenn sie mich fragen: (…) füllen Sie Ihre Tage mit Leben und nicht ihr Leben mit Tagen.“



Als die Radios noch Gesichter hatten – Im beschaulichen Bad Laasphe hat Hans Necker Deutschlands größte Gerätesammlung aufgebaut

Von Bernd Berke

Bad Laasphe. „Schreiben Sie nicht so viel über mich, es geht um die Sache“, bittet Hans Necker. Ganz sachlich also: Der 61-Jährige hat praktisch im Alleingang am südlichen Rande Westfalens das größte deutsche Radiomuseum eingerichtet.

Kaum zu glauben: Ungefähr 3500 verschiedene Röhren-Geräte verwahrt Necker heute – überwiegend aus der Vorkriegszeit und aus den 50er Jahren. Die Sammlung wäre jeder Metropole würdig. Für manche ist es pure Nostalgie, andere berauschen sich eher an der Technik.

Neckers Passion begann in seiner Düsseldorfer Kindheit. Wegen einer Sehschwäche verbrachte er fast jede freie Minute vor dem Hörfunkgerät. 1952 bekam er zur Einschulung von einer Tante sein erstes eigenes Radio – einen prachtvollen belgischen Empfänger, Baujahr 1938.

Grundstock aus dem Sperrmüll der 60er Jahre

Ein großer Grundstock seiner jetzigen Sammlung stammt aus dem Sperrmüll der 60er Jahre. Hans Necker: „Damals wollten die Leute alles Alte wegwerfen.“ Hinzu kamen eine umfangreiche Schenkung und etliche Gelegenheiten bei Sammlertreffs der „Radioten“, wie Necker Seinesgleichen nennt.

Schon seit langem hatte der gelernte Bürokaufmann die Südzipfel Westfalens im Urlaub besucht. Vor 17 Jahren zog es ihn dann endgültig ins beschauliche Bad Laasphe im Wittgensteiner Land. Die Radios brachte er mit.

Wohl kaum eine Ehefrau würde eine solche Leidenschaft klaglos dulden. Necker ist denn auch unverheiratet geblieben. Er hat alle Schätze penibel katalogisiert und beschriftet. Ganz so, als hätte er zeitig geahnt, dass solche Gerate wieder „salonfähig“ werden würden. Längst baut die Industrie im Zeichen des Retro-Designs historische Apparate nach – allenfalls ein matter Abglanz der Originale.

Etwa um 1965 hat Necker die Grenzlinie gezogen: „Transistor-Radios – ach nee. Das wäre ein anderes Sammelgebiet.“ Schade, ich hätte gerne noch einmal eine Philips Evette von 1962 betrachtet. Mein erstes, damals zu Weihnachten heiß ersehntes Kofferradio. Doch hier findet sich ja weitaus Wertvolleres. Beim Gang durch schier endlose Regalreihen hält man häufig inne. Es ist wie mit alten Automobilen: Auch Radios hatten „damals“ Charakter, ja gleichsam Gesichter, und sie blickten aus „magischen Augen“ (so hießen leuchtende Empfangsanzeiger).

Kleinode wie die „Pfeifende Johanna“

Manche Geräte erstrahlen geradezu triumphal. Und auch die, die sich formal bescheidener geben, sind vielfach eine Augenweide. Einflüsse aus Kunst- und Kulturgeschichte sind unverkennbar. Einige Radios sind vom Jugendstil inspiriert, andere etwa vom Bauhaus. Notfalls mit „gutem Zureden“ funktionieren die allermeisten Geräte noch. Hans Necker hält alles selbst in Schuss.

Zu jedem Gerät weiß der Mann eine Geschichte zu erzählen, als wären es lauter gute Freunde. Auch in der Historie des Mediums kennt er sich aus. Jahre bevor am 29. Oktober 1923 der öffentliche Rundfunk in Deutschland begann, ging es los: „Um 1918 gab es in Frankreich einen Börsenfunk.“ Damit hat es also begonnen!

Alles scheint vorhanden: Detektoren, die man nur mit,Kopfhörer benutzen konnte; die in der NS-Zeit diktatorisch verordneten „Volksempfänger“ oder Kleinode wie die „Pfeifende Johanna“, ein 1934 von Telefunken gefertigtes, nicht richtig ausgereiftes Modell mit argen Tonproblemen. Man staunt über einen Boudoir-Spiegel, der sich als Radio für die elegante Dame erweist. Man bewundert Apparate mit kathedralenförmigem Gehäuse oder veritabler Breitwand-Senderskala. Ganz großes Hörkino!

DDR-Geräte gefällig? Es gibt dafür eine ganze Abteilung. Kuriosa von jederlei Art? Auch die werden gebührend gewürdigt. Die mitunter abenteuerlichen Entwicklungslinien einzelner Firmen wie etwa Braun („Schneewittchensarg“) oder Körting? Bitte sehr, reichlich dokumentiert. Einzelne Länder Europas? Na, klar. Als Laie denkt man, alles wäre komplett, aber einer wie Hans Necker sieht die Lücken: „Ich habe immer noch eine lange Wunschliste.“ Sein Appell an alle Entrümpler: „Bitte nichts voreilig in den Container werfen!“

Und die Zukunft? Die Stadt Bad Laasphe werde sich etwas einfallen lassen müssen, mahnt Necker. Seine Sorge: „Was wird aus der Sammlung, wenn ich nicht mehr bin?“

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INFOS

Eintrag im „Buch der Rekorde“

  • Radiomuseum Hans Necker. Bad Laasphe, Bahnhofstraße 33. Geöffnet März bis Okt. Di, Do, Sa, So 14.30 bis 17 und nach Vereinbarung (02752/97 98). Eintritt 2 Euro.
  • Untergebracht ist das Museum im ersten Stock eines früheren Gymnasiums, das man sich mit Schützen und einem Jugendtreff teilt. Die Stadt stellt die Räume, Hans Necker betreut seine Sammlung ehrenamtlich.
  • Von 3500 Geräten werden rund 1000 ständig gezeigt, der breite Rest befindet sich im Depot – es reicht für einen Eintrag im „Buch der Rekorde“.
  • Auch Grammophone (Edison-Walzenphonograph von 1897), Tonbandgeräte (mit Spezialitäten wie dem „Tefifon“), TV-Truhen, Lautsprecher, Antennen usw. zählen zur Sammlung.
  • Eine annähernd ebenbürtige Fülle gibt es bundesweit nur in Fürth.

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Nachtrag: Link zur Homepage des Museums, Stand Februar 2019:

http://www.internationales-radiomuseum.de/




Alles ist schön – besonders das Geld / Ein Phänomen des Zeitgeistes: Heute vor 20 Jahren starb der Pop-Künstler Andy Warhol

Von Bernd Berke

Der Kerl war ziemlich unfassbar, und er gibt bis heute Rätsel auf. Eine verstörend maskenhafte Erscheinung war diese bleiche männliche Diva – mit starkem Hang zu Kommerz und Glamour, doch auch zum düsteren Inferno des Lebens. Heute vor 20 Jahren ist der legendäre Pop-Künstler Andy Warhol nach einer Gallen-Operation gestorben – unter letztlich ungeklärten Umständen.

Der vormalige, schon gegen Ende der 50er Jahre gut bezahlte Werbegrafiker hat nach 1960 gar vieles in die Kunst eingeschleust, was vorher nicht drin war. Vor allem: blanke Reklame-Ästhetik, grelle Konsum-Fetische. Und eine „coole“ Haltung, wie man sie vorher kaum gekannt hatte. Nicht nur die Kunst, auch die Gestalt des Künstlers hat sich mit ihm noch einmal schillernd gewandelt. Gelegentlich hat Warhol gar das Menschenbild überschritten und sich zum quasi maschinellen Phänomen stilisiert.

Glorienschein für die banale Welt der Waren

Bevor die Linke sich anschickte, den „Konsum-Terror“ zu geißeln, glorifizierte Warhol die banale Warenwelt mit Serienbildern von Campbell’s-Suppendosen, Cola-Flaschen und Dollarnoten, die unter seiner Hand zu Ikonen der Zeit wurden. Ehe liebreizend harmlose Hippies von befriedeten Blumenwelten träumten, vervielfältigte er 1963 ungeniert schockierende Pressefotos von Unfällen und Selbstmördern ins Riesenhafte. Und wo andere mal vorsichtig Haschisch probierten, kursierten in Warhols kaputten Kreisen ganz selbstverständlich die harten Drogen.

Andy Warhol hat sich und seine Kunst vermarktet wie niemand zuvor. Ja, er hat just Geschäfte als Kunstform gepriesen. Zitat: „Ein gutes Business ist die faszinierendste Kunst überhaupt.“ So könnte auch ein Börsen-Guru reden. Joseph Beuys behauptete, jeder Mensch könne ein Künstler sein. Warhol postulierte: „Alles ist schön.“

Anything goes – auch schon mit Videotechnik

Klingt ja wirklich tolerant, kann aber geradewegs auf Verächtlichkeit und auf fürchterliche Nivellierung hinauslaufen. Alles gilt dann gleichermaßen viel oder wenig. Warhol ist Vorläufer einer so genannten Postmoderne, die sich um ästhetische Wertigkeiten und Hierarchien nicht mehr bekümmert: Anything goes. An der Spitze des Zeitgeistes betrieb er seine Sache so multimedial, wie es seinerzeit nur irgend möglich war. Auch die Videotechnik hat er als einer der ersten Künstler genutzt. Hätte er das Internet schon gekannt, so hätte er es wohl entscheidend mitgeprägt.

In seiner New Yorker „Factory“ (Fabrik) jedenfalls, wo sich Durchgeknallte jeder Sorte unter seinem Leitstern ausleben durften, entstanden nicht nur Siebdruck-Bilder (Porträt-Motive von Monroe bis Mao) wie am Fließband. Hier tobte sich die von Warhol geförderte Rockformation „Velvet Underground“ (Lou Reed, John Cale, Nico & Co.) im Stroboskop-Gewitter aus. Warhol schuf das berühmte Bananen-Cover der finster charismatischen Gruppe.

Monströse Filme aus der „Factory“

Im Umfeld der „Factory“ entstanden monströse Filme wie etwa „Empire“ – ein achtstündiger, starrer Kamerablick auf das Empire State Building. Oder wüste Streifen mit schäbigem Porno-Touch wie „Flesh“, „Trash“, „The Chelsea Girls“ und „Blue Movie“. Es war Warhol keinesfalls wurscht, was diese chaotische Werkstatt ausstieß. Alles musste am Ende seinen Stempel tragen. Trotz allem Laissez-faire ließ er in diesem Punkt nicht mit sich spaßen. Er galt als „Kontrollfreak“.

Wie ein Vampir, der das Leben aussaugt, fotografierte Warhol alles und jeden mit seiner Polaroid-Sofortbildkamera (damals eine avancierte Apparatur), am liebsten freilich Prominenz wie etwa Brigitte Bardot oder Bianca Jagger, die er auch bei den berüchtigten Partys im New Yorker „Studio 54″ um sich scharte. Denn da witterte er stets schon den Duft des Geldes, das diese Bilder einbringen würden. Er verlangte (und bekam) alsbald um die 30 000 Dollar für jedes Porträt.

Apropos: Die Preise für seine Werke haben jüngst noch einmal enorm zugelegt. Ein Mao-Bildnis von 1972 erzielte kürzlich in New York den Rekordpreis von 17,4 Millionen Dollar. Solche Zahlen hätten Warhol sicherlich gefallen.

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ZUR PERSON

Eltern aus der Slowakei

  • Warhol wurde am 6. August 1928 als Andrej Warhola in Pittsburgh (USA) geboren.
  • Seine Eltern waren slowakische Einwanderer.
  • Mit 21 zog er nach New York, wurde Werbegrafiker und zeichnete für Magazine wie „Glamour“, „Vogue“ oder „Harper’s Bazaar“.
  • Seine erste Ausstellung als Künstler hatte er 1962 in einer Galerie in Los Angeles. Er zeigte Bilder von Campbell’s-Suppendosen.
  • 1963 gründete er die „Factory“ in New York.
  • 1968 schoss die radikale Frauenrechtlerin Valerie Solanas auf Warhol. Er wurde lebensgefährlich verletzt.
  • Später vermarktete er jene Bilder, die durch die Schüsse durchlöchert worden waren .. .

 




Als Fernsehgeräte noch Rembrandt und Leonardo hießen – Herne zeigt nostalgische TV-Ausstellung „In die Röhre gucken“

Von Bernd Berke

Herne. Allein das Ambiente lohnt einen Ausflug: Das schmucke Heiner Wasserschloss Strünkede liegt in einem herrlichen Park. Dazu und zu den sonstigen alltagsgeschichtlichen Schätzen gibt’s jetzt im „Glockenraum“ des Renaissance-Baus (16./17. Jahrhundert)eine Extra-Portion Nostalgie. Wer in den Nachkriegs-Jahrzehnten mit dem Fernsehen aufgewachsen ist, wird hier seine Aha-Erlebnisse haben.

„In die Röhre gucken“ heißt die kompakte Ausstellung des Emschertal-Museums. Im Titel schwingt Enttäuschung mit, doch die stellt sich allenfalls ein, weil die Schau nicht umfangreicher geraten ist. Mit mehr Zeit und Geld ließe sich das kulturhistorische Thema üppiger aufbereiten. So hat man eben überwiegend auf Eigenbesitz zurückgegriffen und die Bevölkerung animiert, in ihren Fernseh-Souvenirs zu kramen.

Im Zeitraffer also durcheilt der Besucher die Zeit zwisehen 1952 und heute. Wie sehr sich die Formen der TVGeräte gewandelt haben! Und doch schließt sich irgendwie der Kreis, wenn auch auf ungleich höherem technischen Niveau: In den frühen 50ern waren die Bildschirme noch zwangsläufig winzig, jetzt gibt’s (neben imposanten Riesengehäusen) jene Geräte im Handy-Format, die stolz ihre winzigen Displays vorweisen.

Als die sündhaft teuren Gerate noch „Raffael“, „Rembrandt“ oder „Leonardo“ hießen und manche sich für den Fernsehabend eigens fein machten, prunkten Truhen mit Edelholz. In den späten 60ern wurden sie schockbunt (Plastik, grellrot oder orange), und nun gibt sich die avancierte Technik eher „cool“.

Alte Geräteprospekte (ach, all die verschwundenen Marken wie Nordmende, SchaubLorenz, Graetz oder Saba!), Programmzeitschriften aus längst verflossenen Jahren und Fan-Kollektionen kommen hinzu. Eine ältere Dame klebte Illustriertenbilder ihrer Fernsehlieblinge (Lembke, Carrell, Biolek) fein säuberlich ins Album, andere sammelten z. B. jene Mini-Fernseher aus billigem Kunststoff mit aufgepappten oder per Walze rotierenden Bildchen.

An den Programm-Schwerpunkten hat sich nicht gar zu viel geändert. Ein Auszug vom 10. Januar 1954 verzeichnet zunächst die Fußballübertragung, dann den bunten Abend, der heute als Comedy-Show firmieren könnte. Nur: Damals lief die Kiste nicht rund um die Uhr.

Man sieht nicht nur dokumentarisch Relikte, sondern auch etwas Kunst: Bernd Ikemann (Jahrgang 1956), von dem Aquarelle zu sehen sind, gehört zur Generation, deren erste Fernseherlebnisse „Fury“, „Lassie“ oder „Bonanza“ hießen. Er kommt vom Thema einfach nicht los und malt immer wieder gutbürgerliche Wohnzimmer-lnterieurs mit TV-Geräten. Auf der Suche nach der flimmernden Kindheit streift er durch menschenleere Räume. Mobiliar und Fernsehapparat halten geisterhafte Zwiesprache miteinander.

Chaos fürchtete hingegen der DDR-Künstler Bernhard Heisig („Der Lichtbringer“, 1982). Simultan und kakophon branden die Programm-Partikel auf den Betrachter zu. Vielleicht war’s die Angst, mit Nichtigkeiten (aus dem damaligen Westen?) überschwemmt zu werden.

„In die Röhre gucken“. Emschertal-Museum im Schloss Strünkede. Herne, Karl-Brandt-Weg 5 (Nähe Abfahrt Herne-Baukau). Noch bis zum 21. September. Di-Fr 10-13 und 14-17, Sa 14-17 Uhr.




Ein lachender Lenin galt schon als frech – Schau mit DDR-Plakaten in Essen

Von Bernd Berke

Essen. Unverdrossene „Linksaußen“ dürften an dieser Ausstellung ihre Freude haben. So häufig wie jetzt im Essener Plakatmuseum sieht man die Konterfeis der Herren Marx, Engels, Lenin oder Thälmann in unseren Tagen selten.

Man fühlt sich fast in die rebellischen 60er Jahre versetzt, als solche Bilder auch hiesige Wände zierten. Doch eigentlich geht’s bei der neuen Ausstellung gar nicht um derlei Vergangenheits-Beschau der „Joschka Fischer-Generation“, sondern quasi ums Gegenteil, nämlich den Überdruss an plakativer Indoktrination, die den Alltag der DDR prägte.

Rund 140 Beispiele für „Agit-Prop“ aus dem verblichenen zweiten deutschen Staat sind zu besichtigen. Von „Kunst“ kann selten die Rede sein. Schon der Begriff „Kunstgewerbe“ würde mancher Hervorbringung schmeicheln. Meist hingen die Werke nicht etwa in privaten Haushalten (da träumte man wohl eher vom West-Konsum), sondern in öffentlichen Einrichtungen – pflichtschuldigst angepappt.

Erstaunlich, dass die überwiegende Anzahl der Exponate aus den 80er Jahren stammt. So selbstgewiss trumpfen sie auf, als wäre mit Staat und Partei noch alles in bester Ordnung. Nur mühsam hatte man sich von Stereotypen in Sprache („Vorwärts zu…“ / „Nieder mit..,,“) und Bildformeln gelöst: So erscheint etwa der Kommunistenführer ErnstThälmann mit gereckter Faust, immer und immer wieder. Nur zaghaft wird er auf späteren Plakaten mit farbigen Überblendungen verfremdet.

Friedenstauben und „glückliche“ Kinder

Ähnlich langsame Mutationen gab es in Sachen Marx. In den 80ern darf der Urahn des Kommunismus auch schon mal ein wenig „poppig“ dargestellt werden. Doch man hechelt der ästhetischen Entwicklung meist weit hinterher, und kaum einmal gelingen überzeugende grafische Lösungen. Welch ein Unterschied zur kritischen DDR-Malerei jener Jahre, die derzeit im Schloss Cappenberg gezeigt wird (die WR berichtete).

Der lachende Lenin, ein T-Shirt mit Marx-Motiv tragend (1983), galt schon als relativ „freches“ Motiv. Noch mutiger war man bisweilen in der Kulturszene: Ein Theaterplakat zeigt den nunmehr todernsten Lenin, ringsum garniert mit Einschuß-Löchern.

Sodann die Serien zum NATO-Doppelbeschluss. Wer zählt all die Friedenstauben, die zu Beginn der 80er Jahre der „ruhmreichen Sowjetunion“ zugeordnet wurden, und wer die Totenköpfe, die allemal auf die US-Aggression hinwiesen? Ganz so simpel lagen die Dinge ja wohl nicht…

Es muss nervtötend gewesen sein, ständig solche Plakate vor Augen zu haben: Junge Pioniere mit Fackeln, angeblich „glückliche“ vietnamesische Kinder mit roten Fahnen, muntere FDJ-Mädels mit dcm Spruchband „Die Partei – das werden wir“. Irrtum. Sie wurden’s nimmermehr.

Deutsches Plakatmuseum, Essen, Rathenaustraße 2. Bis 22. März. Di-So 12-20 Uhr




Ist die Haut der Dinge schon die Botschaft? Ahlen präsentiert Italiens Top-Designer Alessandro Mendini als Maler

Von Bernd Berke

Ahlen. Sie ist vielleicht typisch deutsch – die strikte Trennlinie zwischen E- und U-Kultur, zwischen hochheiligem Ernst und Gebrauchswert. Die meisten Aussteller scheiden hierzulande streng die freie von der angewandten Kunst. In Ahlen will man jetzt diese Grenze überspringen, indem man das (bislang meist verborgen gebliebene) malerische Werk des italienischen Top-Designers Alessandro Mendini vorstellt.

Doch was heißt hier eigentlich Malerei? Ausstellungsmacher Peter Weiß hat den Begriff, ganz in Mendinis Sinn, sehr weitherzig ausgelegt. Für den 1931 geborenen Mailänder sind nämlich bereits in kreativer Absicht kolorierte Kannen oder Vasen keine Gebrauchsgegenstände, sondern just „Gemälde“. Auch die Farbe auf einem Haus, so findet er, sei nicht mehr Element der Architektur, sondern Malerei.

Man könnte den Verdacht hegen, daß hier ein Mann, dessen Design-Schöpfungen – trotz gelegentlicher Kühnheit – letztlich dem (Luxus)-Alltag verhaftet bleiben, ein Stückchen näher an die Hochkunst und somit an die „Ewigkeit“ heranrücken will. Wer aber diese Grenze gar nicht gelten läßt, wird besonderes Vergnügen an der Ausstellung haben.

Die Ahlener Retrospektive mit rund 110 Arbeiten setzt 1972 ein und reicht bis in die unmittelbare Gegenwart. Gleich zu Beginn dieser Zeitspanne hat Mendini eine Kommode mit einem Farbmuster nach Art von Wassily Kandinsky überzogen. Das noble Zitat aus der Kunsthistorie wird zur schieren Oberflächenerscheinung, die den Gegenstand freilich veredelt.

Ein Sessel mit zahllosen Farbpunkten

Ist also die Außenhaut der Dinge bereits die Botschaft, verbirgt sich nichts Höheres oder Tieferes dahinter? Ähnlich wie mit der Kommode verhält es sich, wenn Mendini einen „Proust-Sessel“ – zum Gedenken an den französischen Schriftsteller – ganz und gar mit flirrenden Farbpunkten übersät. Das Möbelstück (Kostenpunkt: rund 20 000 DM) mutiert so zum dreidimensionalen pointillistischen Bildzitat. Marcel Proust selbst, so der Hintergedanke, hat sich mit (zweitklassigen) impressionistischen und pointillistischen Bildern umgeben.

In dieser Ausstellung begegnet man allerdings einer solchen Vielfalt von Gestaltungsweisen, daß man den Urheber gar nicht recht fassen und festlegen kann. Ist dies alles wirklich einem einzigen Geiste entsprungen? Wahrscheinlich ja einem Geist der Postmoderne: Alles geht, alles ist möglich – das schwarzgelbe Schachbrettmuster, die mit Sand und Steinchen gefüllten Plexiglas-Stühle, die mit Standardmustern versehene Rauminstallation, der an Vergänglichkeit mahnende Tisch mit Totenkopf-Motiv auf der Platte.

Vielfach scheint der Künstler die Schablone anzulegen: Hat er einmal gefällige oder sonstwie bemerkenswerte Formen gefunden, beispielsweise eine stilisierte Schlangenfigur, ein Auge oder eine Art Schmetterlingswesen, so tauchen diese in etlichen Zusammenhängen immer wieder auf – mal als Teppichmuster, mal als Motiv eines Tafelbildes, mal als Bild-„Tapete“. Schlange hier, Schmetterling da. Und manches Gemälde erscheint mit seinen künstlich-cremig wirkenden Farben wie direkt vom Çomputerbildschirm kopiert. Der menschliche Genius zieht sich eben früh zurück, doch die einmal gefundene Form besteht weiter und führt ein Eigenleben.

An eine solch universelle (Wieder-)Verwendung von Bildelementen könnten sich geradezu philosophische Gedanken über Unendlichkeit knüpfen. Sie liegen dem gewieften Theoretiker Mendini, der auch als Zeitschriftenmacher für seine Ideen und Kreationen stritt und der in Gruppierungen wie „Alchimia“ viele Jünger um sich scharte, tatsächlich nicht fern.

Alessandro Mendini – „Entworfene Malerei. Gemalte Entwürfe“. Bis 1. Februar 1998. Di / Do 15-18, Mi / Fr 15-19, Sa / So 10-18 Uhr. Mo geschlossen. Kunst-Museum Ahlen, Weststraße 98. 02382 / 91 83 20. Eintritt 8 DM, Katalog 38 DM.




Hagen: Design und Anti-Design – Leistungsschau des Nachwuchses

Von Bernd Berke

Hagen. Um Ausstellungs-Ideen ist Michael Fehr, Leiter des Hagener Osthaus-Museums, nie verlegen. Kürzlich holte er die Jux-„Sammlung von der Lippe“ ins Haus (WR berichtete). Jetzt macht Fehr wieder Ernst: Das Museum an der Hagener Hochstraße soll zu einem Mekka für junge Designer werden. Erstmals können hier alle neun Design(hoch) schulen von NRW ihre besten Abschlußarbeiten vorzeigen (bis 4. Dezember).

Künftig soll diese Leistungsschau des Designnachwuchses zur Regel und schon ab 1989 von Hagen aus möglichst bundesweit organisiert werden. Dafür würde man Geld vom Land brauchen. Willkommene Ansprechpartnerin: NRW-Wissenschaftsministerin Anke Brunn, die sich für gestern abend zur Eröffnung angesagt hatte.

Was gibt’s zu sehen? Rund 50 Arbeiten von jungen Designern, ausgewählt von den Dekanen der jeweiligen Schulen; deren unterschiedliche Ausbildungsschwerpunkte schlagen sich auch in dieser Design-Schau nieder. Der Querschnitt reicht vom (nur schwach vertretenen) Industrie-Design über Graphik-, Foto- und Textil-Design bis hin zu Formexperimenten im Grenzbereich zwischen angewandter und freier Kunst.

Gesamteindruck: Nicht nur Produktveredelung ist angesagt, sondern vielfach eine in die Arbeiten einfließende Nachdenklichkeit über das eigene Tun. Das führt mitunter zu einer Art „Anti-Design“: Wenn etwa Hermine Oberück von der Fachhochschule Bielefeld Fotos von Geistesschwachen aus einer Landesklinik (Titel: „Die Unvernünftigen“) behutsam arrangiert, hat das nichts mehr mit dem Gefällig-Machen der Welt zu tun. Krasses Gegenbeispiel – und dem Spruch „Design ist Schein“ viel näher – sind etwa Verpackungs- und Werbeentwürfe für eine fiktive Parfümserie oder auch die aerodynamische „Skibrille der Zukunft“.

Bemerkenswert: Mehrere Designer befassen sich mit Gestaltungen im kirchlichen Bereich: Entwürfe für Prozessionsfahnen, Stylibg für Texte aus dem Evangelium und ein mobiler Klapp-Altar gehören dazu. Auffällig auch ein Hang zur freien Kunst. Zu nennen wären da die Dortmunderin Sybille Hassinger (Fachhochschule Dortmund) mit bemalten Wandobjekten oder die Bochumerin Angelika Pietsch (auch FH Dortmund) mit Holz-Installationen, die sich meilenweit vom gängigen Design-Begriff entfernen. Angelika Pietsch gehört zu den drei von einer Fachjury gekürten Preisträger(inne)n der Schau. Je 3000 DM stiftete dafür die IHK Südwestfalen.




Heldentum und Markenartikel – „100 Jahre politisches Plakat“ in Dortmund

Von Bernd Berke

Dortmund. Führer- und Vaterfiguren schauen streng oder gütig herab. Fahnen, Adler, Heilige und Flammen halten für historische Vorhaben der Großkopfeten her. Politische Plakate, seit der Französischen Revolution verbreitet, haben meist „denen da unten“ etwas abgefordert – seien es Wahlstimmen, Wohlverhalten, soldatische „Tugenden“ oder Geld.

Mit welchen Bildern und Parolen die deutsche Bevölkerung seit 1870/71 zumeist verschaukelt worden ist, vermittelt ab morgen eine Ausstellung im Dortmunder Ostwall-Museum. 503 Exponate umfaßt diese Zusammenstellung „100 Jahre politisches Plakat“. Das Dortmunder Institut für Zeitungsforschung durchkämmte dafür seine reiche Kollektion (5000 Stücke).

Die im Kaiserreich vorherrschende Stilistik wurzelt zum Teil noch in althergebrachter Karikaturen-Tradltion. Da tauchen etwa jene Landkarten auf, in denen Könige und Schlachtenlenker – stellvertretend für ganze Völker – agieren. Nostalgie kommt aber schon in dieser Abteilung nicht auf, haben doch die Plakate des NS-Staats spätestens im Umfeld des 1. Weltkriegs deutliche Vorläufer, was Heroismus und Zynismus anbelangt.

In der Weimarer Republik, den eigentlichen Blütejahren der Plakatgestaltung, schlagen sich endlich auch zeitgenössische Kunstströmungen nieder. Die Dynamik der Umbruchstimmung deutet sich etwa in Versuchen an, expressionistische oder futuristische Komponenten massenpsychologisch wirksam aufzubereiten. Die bewegte Polarisierung der Weimarer Zeit wird nach 1933 auch formal abgelöst von der statischen Bildsprache eines verlogenen Klassizismus‘. Mit den Kriegsjahren brechen dann wieder hektischere Ausdrucksmittel durch. Man vergleiche etwa die fast angstvoll zittrige Schrift von „Der Feind sieht Dein Licht. Verdunkeln!“, das vor den Luftangriffen warnt, mit den bis dahin gebrächlichen, trutzig-„eisern“ wirkenden Schriftblöcken.

Den Zeitumständen entsprechend, werden die Plakate der unmittelbaren Nachkriegszeit karg. Sie sind mitunter nur auf Litfaßmaß gebrachte Flugblätter und Bekanntmachungen. Schließlich Plakate aus jüngster Zeit: Parteien und Personen werden immer deutlicher nach Art der Markenartikel-Werbung „verhökert“. Beispiel für den Verzicht auch auf holzschnitthafte Argumente: ein CSU-Poster, auf dem ein hübsches Mädchen lächelt. Darunter steht nur: „Lichtblick“. Wahrhaftig überzeugend…

Die Ausstellung wird heute abend mit einem Referat von SPD-Bundesgeschäftsführer Dr. Peter Glotz eröffnet, dauert bis zum 23. September und geht dann auf Rundreise durch NRW. Interessiert zeigte sich auch das Goethe-Institut in Amsterdam. Das Katalogbuch erscheint in einem Dortmunder Verlag und kostet 29,80 DM.




„Botschaften zwischen Hals und Nabel“ sind museumsreif – Haus Industrieform zeigt bedruckte T-Shirts

Von Bernd Berke

Essen. 86,9 Millionen Stück wurden 1983 in der Bundesrepublik verkauft. Jetzt werden die massenhaft verbreiteten „Botschaften zwischen Hals und Nabel“ – bedruckte T-Shirts also – ausstellungswürdig.

Essens „Haus Industrieform“, just gestern 30 Jahre alt geworden und seit jeher mit Zeugnissen der Alltagskultur liebäugelnd, zeigt nun 260 der längst „salonfähig gewordenen Unterhemden“ aus 20 Ländern aller Erdteile – ein Stück Zeitgeist auf Baumwolle. Die Schau (bis 1. September, di-sa 10-18 Uhr) setzt eine Traditionslinie des Design-Museums fort. 1980 waren dort originelle Plastiktüten präsentiert worden, 1982 Autoaufkleber.

Seit Marlon Brando 1947 in „Endstation Sehnsucht“ im „T“-förmigen Hemd Furore machte, haben sich die leichten Kleidungsstücke zum Ausdrucksmedium gemausert. Firmen, Vereine, Städte und Touristengebiete werben per Sieb-Aufdruck (der – je nach Qualität – im 30- oder 60-Grad-Waschgang verblaßt) für ihre Vorzüge. Rock-Staes wie Nena oder die Anfangsnoten von Beethovens „Neunter“ werden ebenso auf der Brust spazierengefiihrt wie etwa „Lucy’s Tiger“ – Blickfang eines ganz besonderen Stücks der Essener Ausstellung, das auf einen Massagesalon in Bangkok aufmerksam machen soll.

Den Ideen der Mode-Designer sind kaum Grenzen gesetzt: Auf der Vorderseite eines T-Shirts grinst Mickey-Mouse. Dreht sich der Träger um, so springt dem Betrachter „Mickeys“ blankes Hinterteil ins Auge. Neuester Schrei sind offenbar Hemden mit eingenähten Zellophansäckchen, die einige Milliliter Wasser enthalten. Darin tummeln sich Plastikfische oder Miniaturschwimmer.

Auch politische Strömungen haben sich der „Botschafter auf Brust und Rücken“ bedient. So findet man in Essen etwa ein Hemd, das sich auf mittelamerikanische Guerilla-Kämpfe bezieht und eines, auf dem der „Solidarnosc“-Schriftzug prangt. Schließlich dürfen natürlich auch die locker-flockigen Sprüche nicht fehlen, die vorzugsweise das eigene Erscheinungsbild kommentieren: „Bier formte diesen wunderschönen Körper“, heißt es etwa selbstbewußt auf einem Exemplar.

T-Shirts haben sich, so Ulrich Kern, Leiter des „Haus Industrieform“, zu derart wirksamen Informationsträgern entwickelt, daß auch Künstler sich nicht zu schade sind, Entwürfe zu liefern. Spitzenstücke dieser Gattung kosten den Sammler heute bis zu 10000 DM.

Zum 30jährigen Begehen des Hauses zeigt man im oberen Stock eine zweite Ausstellung mit Gebrauchsgegenständen aus den 50er Jahren. Das am 30. Juli 1954 auf Privatinitiative gegründete, zuerst in der Villa Hügel, dann in der Essener Synagoge und seit 1979 am Kennedyplatz ansässige Design-Zentrum war weltweit das erste seiner Art. Mit insgesamt 110 Sonderausstellungen hat man versucht, Beispiele „guter Form“ für Industrieprodukte zu geben.




Sechs NRW-Museen zeigen „Westdeutschen Impuls“ – Kunst und Design im Rhein- und Ruhrgebiet nach 1900

Von Bernd Berke

Im Westen. Vom „Museum der gescheiterten Hoffnungen“ war die Rede, und Johann Heinrich Müller, Direktor des Hagener Osthaus-Museums, sah bestätigt, daß „Kunst seit jeher in politischen Sackgassen endet.“ Eine Pressekonferenz mit Molltönen: Dabei lautet der Titel des gestern in Essen vorgestellten Ausstellungsprojekts von sechs NRW-Museen selbstbewußt: „Der westdeutsche Impuls.“

Die insgesamt 1,1 Mio. DM teure Gemeinschaftsaktion von Museen in Hagen, Wuppertal, Essen, Düsseldorf, Krefeld und Köln soll künstlerische Anregungen und deren Umsetzungen in Architektur, Industrie und Handwerk darstellen, die zwischen 1900 und 1914 im Land an Rhein und Ruhr besonders ausgesprägt waren. Nur wenige Relikte haben „überlebt“, von der Aufbruchstimmung ganz zu schweigen. Darauf bezogen sich die eingangs zitierten Aussagen.

Der Anstoß kam vom Essener Folkwang-Museum, das heute große Teile der Sammlungen von Karl Ernst Osthaus beherbergt. So rankte sich das ursprüngliche Konzept auch um den Hagener Bankierssohn Osthaus, der um 1900 (umgerechnet) 60 Mio. DM erbte und vor allem in die Kunst „steckte“. Leitidee: dem Leben im industriellen Raum durch Verschönerung der Alltagsgegenstände Weihe zu verleihen. Von Osthaus und „seinem Architekten Henri van de Velde gingen „Impulse“ zu einem „Gesamtkunstwerk“ aus, das sich sogar auf eine umfassende Regionalplanung für das Revier erstrecken sollte – eine Keimzelle für den 1920 gegründeten Ruhrsiedlungsverband und für Ideen, die später vom „Bauhaus“ weitergeführt wurden.

Das Essener Konzept erweiterte sich. Das Ergebnis ist kaum überschaubar. „Von der Teekanne bis zur Schwebebahn; von Picasso bis zur Keksdose“ – so könnte man pointieren. Die einzelnen Schwerpunkte:

  • Hagen (Osthaus-Museum und „Hohenhof): Dokumente zur Sammlertätigkeit von Karl Ernst Osthaus, der Hagen nach 1900 zu einem Stützpunkt der Avantgarde machte; Mobiliar, das sich Osthaus im Jugendstil entwerfen ließ.
  • Wuppertal (Von der Heydt-Museum): Dokumente zur Schwebebahn, dem zukunftsweisenden Verkehrsmittel jener Zeit; Ideen zu einer funktionellen „Architektur ohne Ornament“ und Beispiele für die damals in Elberfeld und Barmen geleistete Vermittlung vorausweisender Kunst (z. B. 1911 weltweit der erste Picasso-Ankauf für ein Museum).
  • Essen (Museum Folkwang): Dokumente zur Siedlung Margarethenhöhe, Paradebeispiel für „Gartenstadt“-Konzepte; Industriedesign, das seinerzeit deutschen Waren auf die Weltmärkte verhelfen sollte, wodurch Bestrebungen, dem Alltag etwas „Kunstschönes“ zu verleihen, oft mit imperialistischen Unterströmungen in Berührung kamen.
  • Düsseldorf (Kunstmuseum): Peter Behrens und seine Entwicklung vom Jugendstilkünstler zum Industrie-Designer; „Sonderbund“ -Ausstellungen 1909-1911.
  • Köln (Kunstverein): Dokumentation zum „Werkbund“ (Gründung von Künstlern und Industriellen).
  • Krefeld (Kaiser Wilhelm-Museum): Erstmals eine geschlossene Präsentation der 1923 aus Hagen erworbenen Teile der Osthaus-Sammlung.
  • Sämtliche Ausstellungen beginnen an diesem Wochenende und dauern – je nach Lokalität – bis Mitte oder Ende Mai bzw. Mitte Juni. Der Katalog (6 Bände) kostet komplett 125 DM, einzeln je 25 DM.



Kuriosa und Tüfteleien: Schreibmaschinen-Historie seit 1855

Von Bernd Berke

Düsseldorf. Der französische Kavallerist Viry erfand 1914 eine Mini-Schreibmaschine für Notizen, die auf schwankendem Pfelrderücken zu Papier gebracht werden mußten. Zu diesem Zweck schnallte sich der Benutzer das Gerät an den Oberschenkel.

Das seltene Maschinen-Exemplar ist eines von vielen interessanten Exponaten der Ausstellung „Schreibmaschinen-Historie von 1855 bis heute“, die jetzt im Düsseldorfer Landesmuseum Volk und Wirtschaft eröffnet wurde. 127 kostbare Stücke sind zu bewundern. Einen Katalog gibt es leider nicht. Hauptleihgeber Uwe H. Breker: „Die Versicherungssumme verschlang den Etat allein“. Dafür habe man aber eine Schau zusammengestellt, wie sie die Welt in dieser Qualität noch nicht gesehen habe.

Das betagteste Modell ist ein Produkt des Musikinstrumentenbauers Charles Wheatstone aus dem Jahr 1855. Das Farbband war noch nicht erfunden, also wurde jede Type einzeln eingefärbt. Ohnehin mußte jeder Buchstabe vor erfolgreichem Tastenanschlag zunächst mit einem Zeigerrad vorgewählt werden.

Weiteres Prunkstück der Ausstellung ist die erste in Serie (150 Stück) gebaute Schreibmaschine. Die Entwicklung des dänischen Pastors Hansen, 1867 für Taubstumme konstruiert, war dermaßen teuer, das sie den damaligen Gegenwert eines kleinen Bauernhofs darstellte.

Werden in Düsseldorf auch mancherlei kurios anmutende Geräte gezeigt (bei der „Grasshopper“-Maschine von 1891 etwa schwirren die Typenhebel tatsächlich insektengleich auf die Walze –, so leuchten doch dank kluger Zusammenstellung die großen Entwicklungslinien ein. Zu nennen wäre ein jahrzehntelang ungelöstes Problem, nämlich daß man beim Tippen nicht sehen konnte, was man gerade schrieb; ein Umstand, der die aberwitzigsten Erfindertüfteleien provozierte.

Immerhin: Das Typenrad, heute als letzter Schrei für Computerausdrucke gefeiert, gab es schon im 19. Jahrhundert. Die Schau macht außerdem deutlich, daß Schreibmaschinen immer eine Art „Friedensware“ darstellten. Eine „Remington“ kam 1876 nur deshalb auf den Markt, weil der Hersteller nach Ende des US-Bürgerkriegs, mangels Nachfrage, vom Waffenschmieden auf zivile Produktion umstellen mußte. Ähnlich erging es deutschen Firmen nach dem Ersten Weltkrieg.

Abgerundet wird die Kollektion durch Postkarten, Spielzeug, Schreibmaschinen und durch Schreibmaschinenbilder des Düsseldorfer Malers Konrad Klapheck. Am 4. Oktober soll im Museum eine Büromaschinen-Tauschbörse stattfinden.

„Schreibmaschinen – Historie von 1855 bis heute“. Landesmuseum Volk und Wirtschaft, Düsseldorf, Ehrenhof 2; Eintritt: 0,50 DM; Bis 18. Oktober. Öffnungszeiten: Werktags (außer Mittwoch) 9-17 Uhr, mittwochs 9-20 Uhr, sonntags 10-18 Uhr, samstags geschlossen.