Ganz Dortmund gab sich dem Vergnügen hin – Üppige Ausstellung zur Freizeit-Geschichte

Von Bernd Berke

Dortmund. Hereinspaziert, hereinspaziert! Ganz Dortmund gibt sich dem Vergnügen hin. Die einen wandern ins Grüne, die anderen schlendern durch elegante Passagen; nachmittags geht’s ins (fast) original Wienerische Caféhaus — und abends ins Theater oder Varieté.

Natürlich war es nicht ganz so. Nicht jeder konnte sich alles leisten. Und außerdem ist es so lange her, daß es jetzt ins Museum kommt: Das Dortmunder Museum für Kunst und Kulturgeschichte hat – für seine bislang größte Präsentation – rund 800 Exponate zusammengetragen. Sie sollen davon zeugen, wie die Dortmunder zwischen 1870 und 1939 ihre oft karge Freizeit verbrachten.

Freizeit gleich Vergnügen? Diese Rechnung geht nicht bruchlos auf. Hinter den knallbunten Kulissen von Zirkus, Jahrmarkt oder Lunapark gab es schon zu Kaisers Zeiten Freizeit-Streß. Und mancher Spaß war reichlich bizarr. Da ließen sich unsere Altvorderen etwa auf der Kirmes freiwillig leichte Stromstöße verpassen – welch‘ fröhliche Wissenschaft… Vor allem aber setzte früh die Kommerzialisierung der Freizeit ein. Verkaufs- und Spielautomaten von anno dazumal beweisen es. An dem Modell „Hopp-Hopp“ konnte man (durchaus stadttypisch) Biermarken gewinnen.

Die üppig bestückte und teilweise drangvoll eng gestellte Schau „umarmt“ ihr Thema gleichsam von allen Seiten: Um das Vorort-Freibad Froschloch geht es ebenso wie um luxuriöse Warenhäuser und Hotels; die Westfalenhalle (Sechstagerennen) spielt ebenso eine Rolle wie die berüchtigte Linienstraße, Dortmunds Zeile der käuflichen Liebe. Auch einige alte Radios werden gezeigt. Man hörte halt in der Freizeit Funk.

Beim Anblick von Fotos und Programmblättern der großen alten Varietés befällt zumindest den eingesessenen Dortmunder Wehmut: Wo ist diese Eleganz geblieben? Zu Schutt und Asche ist sie geworden – im Zweiten Weltkrieg. Jahre zuvor hatten sich die Nationalsozialisten schon der Freizeit bemächtigt. Besonders interessant ist der Fall des Marionettentheaters Kastner. Der Bayer hatte sich mit seiner Puppenbühne in Dortmund niedergelassen und spielte zwar keine Blut-, aber Boden-Stücke. Das kam den Nazis gelegen. Die spannten Kastner für ihre KfF-Belustigungen („Kraft durch Freude“) ein. Freizeit als Ablenkung vom gesellschaftlichen Elend. Nicht minderen Dienst genommen wurde das Dortmunder „Haus der Kunst“.

Freizeit war auch eine Klassenfrage. Während der Proletarier sich aufs Fahrrad schwang, nahm der Bonze beispielsweise in der kapitalen „Horch“-Limousine Platz – eines der auffälligsten Exponate neben dem imposanten „Kaiserpanorama“.

Freizeit war, das Wort sagt es ja, eben auch eine Zeit-Frage. Auf einem Podest voller Uhren wird dem Besucher allerdings kaum klar, daß erst die Einteilung der Zeit, die Abgrenzung von Arbeit und Muße den Begriff „Freizeit“ hervorbrachte.

Rundum gelungen ist die Schau nicht. Obwohl der Bühnenbildner Gerd Herr hie und da für schöne „Inszenierungen“ gesorgt hat, gibt es auch ein paar ärmlich wirkende Ecken. Daß man etwa einige Reihen alter Kinostühle vor ein Großfoto aus einem Harold-Lloyd-Streifen stellt, bleibt weit hinter einer entsprechenden Installation in der thematisch vergleichbaren Essener Ausstellung „Viel Vergnügen“ (Ruhrlandmuseum, bis 12. April ’93) zurück.

Ansonsten haben die Dortmunder eine ungleich größere Fülle zu bieten, in der jeder etwas für sich findet. Und im Ganzen ist die Sache höchst sehenswert. Deshalb, wie gesagt: Hereinspaziert!

„8 Stunden sind kein Tag“. Freizeit und Vergnügen in der Industriestadt Dortmund 1870 bis 1939 – Museum für Kunst und Kulturgeschichte, Dortmund (Eingang Königswall). Ab sofort bis 4. Juli 1993. Di-So. 10-18 Uhr – Umfangreiches Begleitprogramm mit Aufführungen, Diskussionen usw. (Info: [02 31] 5 02 55 22). Eintritt 6 DM, ermäßigt 3 DM. Katalog mit 360 Seiten 49 DM.




Vom heiligen Recht auf Asyl bis zur großen Fremdenangst – Hans Magnus Enzensbergers Buch „Die große Wanderung“

Von Bernd Berke

Hat man von Hans Magnus Enzensberger schon einmal eine langweilige Seite gelesen? Wohl kaum. Er läßt von jeher seine Gedanken auch stilistisch funkeln. Doch paßt diese Leichtfüßigkeit auch zu jedem Thema? Paßt sie beispielsweise zur Asylpolitik?

Enzensbergers neuer Text „Die große Wanderung“ durchmißt auf bloß 76 Seiten eine imposante Gedankenstrecke. Geschrieben nach Hoyerswerda, aber vor Rostock und den Folgen, handelt das Buch in 33 kurzen Kapiteln von der weltweiten, nach des Autors Ansicht bei uns erst in Rinnsalen spürbaren großen Völkerwanderung, die den anonymen, aber unentrinnbar mächtigen Kapitalströmen rund um den Erdball folge.

Die Deutschen dürften sich, so stellt Enzensberger gleich klar, keinen Illusionen hingeben: Sie seien, bedingt durch geographische Mittellage und geschichtliche Verwerfungen, eh schon immer ein äußerst bunt gemixtes Völkchen gewesen. Von „Deutschtum“ keine Spur.

Negativer Beigeschmack seit der viktorianischen Ära

Enzensberger stellt ganz sachliche Erwägungen zur Asylpolitik im Hinblick auf Staatsfinanzen, Arbeitsmarkt und Bevölkerungsentwicklung an. Er unternimmt einen knappen Streifzug durch die Geschichte des Asyls seit der griechischen Antike (als die Gewährung von Zuflucht ein sakraler Brauch war) und meint, daß eine Unterscheidung zwischen politisch Verfolgten und Elendsflüchtlingen dem uralten Grundgedanken des Asyls widerspreche. Außerdem sei drückendes wirtschaftliches Elend ein ebenso massiver Grund zur Flucht wie Verfolgung. Negativen Beigeschmack habe das Wort Asyl überhaupt erst in der bigotten viktorianischen Ära bekommen, als man sich über Trinker- und Obdachlosen-Asyle empört habe.

Doch dann folgt, was „Linken“ nicht schmecken dürfte: Enzensberger äußert ein gewisses Verständnis für jene, die sich vom Zustrom der Asylbewerber bedroht fühlen. Fremde zunächst einmal instinktiv abzulehnen, sei menschliches Allgemeingut, befindet der Autor – und schildert als Beispiel jene wohlbekannte Szene aus dem Eisenbahnabteil, wo jeder neu Zugestiegene erst einmal unwillkürlich mit Mißtrauen behandelt werde – bis dann der nächste Neuankömmling die unbewußte Abwehr der „Eingesessenen“ auf sich zieht… Nur: Praktisch jeder ist halt irgendwann einmal Neuankömmling (gewesen).

Kritik an einer „Diskriminierung der Mehrheit“

Enzensberger geißelt auch jenen hilflosen Anti-Rassismus, der nur das seitenverkehrte Abziehbild des Rassismus sei, den er zu bekämpfen vorgebe. Hier drohe die Gefahr einer Verniedlichung (die jeden Ausländer zum edlen Gast stilisiere) und einer „Diskriminierung der Mehrheit“. Und: Multikulturelle Projekte seien zu oft gescheitert, um noch als Utopie durchgehen zu können.

Man mag Enzensberger vorwerfen, daß er mit scheinbar unbeteiligter Geläufigkeit über ein (tod-)ernstes Thema parliere. Daß er es an leidenschaftlicher, entschiedener Parteinahme fehlen lasse. Am Schluß holt er das übrigens nach, mit einem nun doch flammenden Appell an die Politiker, die endlich das staatliche Gewaltmonopol gegen rechtsradikale Umtriebe ergreifen müßten.

Doch fertige Lösungen bietet Enzensberger nicht an. Es geht ihm wohl vor allem darum, überhaupt erst einmal Denkblockaden aufzubrechen, manches besinnungslose Geschwätz der Tagespolitik zu relativieren. Er tut es mit unverwechselbarer Stimme.

Hans Magnus Enzensberger: „Die große Wanderung – 33 Markierungen“. Suhrkamp. 76 Seiten. 19,80 DM.




Zum Tod von Arno Breker: Immer auf der Seite der Mächtigen

Von Bernd Berke

Der Bildhauer Arno Breker ist am Mittwoch mit 90 Jahren in Düsseldorf an den Folgen einer Grippe gestorben. Das teilten gestern Freunde des Künstlers mit. Bis kurz vor seiner Erkrankung, so hieß es weiter, habe Breker täglich noch mehrere Stunden im Atelier verbracht. Als letzte Werke habe er ein Porträt Ludwig van Beethovens sowie eine überlebensgroße Büste von Salvador Dali vollendet.

Breker gehörte zu den umstrittensten deutschen Künstlern dieses Jahrhunderts. Am Rande eines einschlägigen Gerichtsverfahrens fiel einmal der Satz, die Filmemacherin Leni Riefenstahl habe während der NS-Zeit stets oben schwimmen können – „wie ein Fettauge auf der Suppe“. Der Vergleich trifft wohl auch auf Breker zu. Sein Hang zu aufgeblähtem Pathos, zur hohlen Monumentalität, zu einer Scheinwelt idealisierter Körper, paßte wie angegossen zum Geschmack der Nazi-Ideologen.

Die NS-Führungsclique machte ihn zum engen Vertrauten. Er meißelte Büsten von Hitler und anderen Nazi-Größen. Von 1937 bis 1945, als zahllose wichtige Kollegen längst als „entartet“ aus dem Kunstbetrieb verdrängt worden waren, war Breker Professor an der Kunsthochschule Berlin. Er verschrieb er sich der Produktion für die Partei, leitete einen regelrechten Skulpturen-Großbetrieb mit 46 Mitarbeitern (darunter französische Kriegsgefangene). So verschleuderte er sein durchaus vorhandenes Talent. Nur ein mißbrauchter „Idealist“? Oder ein bewußter Mittäter, der meterhohe Muskelmänner-Figuren wie „Vernichtung“, „Vergeltung“, „Rächer“ und „Kämpfer“ schuf?

Prominenz in seinem Atelier willkommen

Vor dem „Dritten Reich“ hatte Breker auch schon Staatsaufträge in der Weimarer Republik bekommen, u. a. für eine Porträtbüste von Friedrich Ebert. Während der NS-Zeit soll er auch verfolgten Künstlern geholfen haben, Picasso zum Beispiel. In der Stalin-Ära bemühten sich angeblich auch die Herren des Kreml um die Dienste des Deutschen. Breker lehnte ab.

Breker, am 19. Juli 1900 in Elberfeld (heute Wuppertal) geboren, spielte auch eine Rolle in jenem Lehrstück über den gleitenden Übergang in die Adenauer-Ara. 1948 für ein Bußgeld von 100 DM als „Mitläufer“ entnazifiziert, war er schon bald wieder gefragter Porträtist der Begüterten, ja einer der meistbeschäftigten Künstler der Republik. Der Bankier Hermann Josef Abs saß ihm ebenso Modell wie Versandhaus-König Helmut Schickedanz, Mitglieder der Quandt-Dynastie, der politisch stets unzurechnungsfähige Salvador Dali, die schrille Gloria von Thurn und Taxis oder der allzu rundum aufgeschlossene Kunstmäzen Peter Ludwig. Auch Modellathleten wie Zehnkämpfer Jürgen Hingsen oder Hochspringerin Ulrike Meyfarth waren in Brokers Atelier in Düsseldorf-Lohausen willkommen.

Im Dunstkreis mancher Surrealisten

Nicht wenige Surrealisten reklamierten Breker als einen der Ihren. Daran dürfte wahr sein, daß Breker Reflexion und Verantwortung in einem quasi-surrealistischen Sinne ausblendete, so daß seine Figuren sich zu einem (Alp)-Traumreich verlogener Schönheit addieren, das durch die Akademie-Tradition des 19. Jahrhunderts vermittelt wird. Die Texter eines Bildbandes jedenfalls, die Breker im Untertitel als „Michelangelo des 20. Jahrhunderts“ feierten, griffen nicht nur viel zu hoch, sondern gänzlich fehl. Inwiefern, das hat u. a. der verstorbene Bochumer Kunsthistoriker Max Imdahl detailliert belegt.

Wiederholt bewies Breker seine notorische „Unfähigkeit zu trauern“. Eine kritische Anfrage war ihm vor einigen Jahren höchst lästig. Denkbar blauäugig antwortete er: „Wie kann denn Liebe blühen, wenn immer wieder Neid und Haß gesät werden?“ Und er sagte: „Ich brauche meinen Frieden, um zu arbeiten.“ Solchen Frieden hätten andere auch gebraucht – damals, als Breker treu zu den Aggressoren stand.

Soll man nun, angesichts seines Todes, trauern? Ja, sicher: Um einen, der keine Gelegenheit mehr hat, doch noch Einsicht zu zeigen.




Dachau und die schönen Künste

Von Bernd Berke

Es gibt Orte, die tragen untilgbar tiefe Spuren der Geschichte. Es gibt Leute, die neudeutsch „Image-Pfleger“ heißen und kein Einsehen haben. Zu ihnen gehört wohl auch Dr. Lorenz Reitmeier, Oberbürgermeister der bayerischen Stadt Dachau.

Von Haus aus Jurist, hat sich Reitmeier aufs Feld der Kunst begeben und nun mit Schreiben „an d i e Kulturjournalisten und Kunstkritiker in Deutschland“ – eine Adresse, die nach Kampagne klingt – ein Buch geschickt. Es enthält für 198 DM satte 1700 Farbabbildungen auf teurem Hochglanzpapjer und heißt „Dachau, der berühmte Malerort“. Uns liegt eine „Sonderaufläge für die Stadt Dachau“ vor (die bestimmt ganz ohne jeden Steuergroschen entstanden ist, oder?). Der Süddeutsche Verlag erklärt sich verschämt nur für die „technische Gesamtherstellung“ zuständig,

Angeblich eigenständig hat Reitmeier alle Recherchen getätigt, um jedes, aber auch wirklich jedes Kunstwerks habhaft zu werden, das nur irgend mit dem Namen Dachau zu tun hat. Zwar haben dort auch Koryphäen wie Lovis Corinth und Christian Morgenstern gearbeitet (während man sich mit Ludwig Thoma – bei Licht betrachtet – schon weniger brüsten kann, war der doch auf seine alten Tage ein übler Nationalist). Aber bei der Unzahl von Bildern handelt es sich in erster Linie um gemalte Heimattümelei. Die schiere Fülle soll die Sinne des Betrachters überwältigen und den Schluß nahelegen: „Aha, in Dachau ist die Kunst daheim“.

Natürlich weiß auch Reitmeier, gegen welche Vergangenheit er diese Bilderflut stellt. Das ist es ja gerade. Er tut es ganz gezielt, obgleich, wie er pikiert feststellt, das KZ, das unter dem Namen Dachau weltweit berüchtigt war, doch „in einer Nachbargemeinde“ angesiedelt war. Zitat aus dem Klappentext: „Der Glanz des Namens Dachau wurde seit 1933 überschattet von den Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die unter dem Namen Dachau begangen wurden. Glücklicherweise aber blühte die Kunsttradition Dachaus nach dem Zweiten Weltkrieg wieder auf…“ — Glücklicherweise.

So leicht ist die Geschichte entsorgt, gleichsam durch die Gnade der vielen Bilder. In Dachau hat man sich schon öfter schwergetan, wenn es darum ging, der NS-Zeit wirklich zu gedenken. Das unwürdige Gerangel um eine Begegnungs- und Erinnerungsstätte, die man am Ort nicht haben mochte, ging lange durch die Medien.

In Dachau wurde bereits im März 1933 eines der ersten KZs in Deutschland errichtet, das später 125 Außenstellen „betreute“. Etwa 200 000 Häftlinge waren in Dachau interniert, 34 000 starben.

Selbst wenn Picasso dort gearbeitet hätte: Ein Ort mit dieser düsteren Geschichte kann nicht ohne weiteres zum „Ort der Kunst“ erklärt werden.




Nationalgefühl kann im „Kühlschrank der Geschichte“ auftauen: „Extreme Mittellage“ – Peter Schneider zur deutschen Vereinigung

Von Bernd Berke

Die deutsche Vereinigung hat die politische „Linke“ hierzulande höchlich verwirrt, ja vielfach sprachlos gemacht. Einer der ersten, die versucht haben, die Sprache wiederzufinden, ist Peter Schneider, der schon anno 1973 mit seiner Erzählung „Lenz“ linke Selbstgewißheiten empfindlich ankratzte.

Jetzt, bei seiner „Reise durch das deutsche Nationalgefühl“, befindet sich Schneider, nimmt man den Buchtitel beim Wort, in „extremer Mittellage“, was man auch mit Ratlosigkeit übersetzen könnte. Den Tag der Maueröffnung, den 9. November 1989, erlebte der Berliner nur am TV-Bildschirm – aus 10 000 Kilometern Entfernung, in New Hampshire/USA. Auch dieses flaue Gefühl, eine historische Stunde verpaßt zu haben, hat ihn offenbar an den Schreibtisch getrieben.

Seine Hauptthesen: Die westdeutsche Linke habe sich sozusagen gehörig an die Brust zu klopfen und schuldbewußt die Häupter zu senken, denn sie habe das Thema „Deutschland“ ganz und gar verschlafen. Ein Ronald Reagan habe mit seinem simplen Appell an Gorbatschow, die Mauer abzureißen, mehr historischen Sinn bewiesen als alle vermeintlich kritischen Köpfe. Dann setzt Schneider noch eins drauf: Nicht nur die stalinistische SED-Variante sei nun erledigt, nein, sämtliche sozialistischen Utopien müsse man jetzt wohl beerdigen.

Schneiders gewagteste Überlegung geht dahin, daß es vielleicht doch richtig gewesen sein könne, die Bundesrepublik in der Adenauer-Ära mit NS-Vorbelasteten Fachleuten – ausgenommen Kapitalverbrecher – aufzubauen, weil es anders halt nicht gegangen wäre. Auch in der ehemaligen DDR komme man ja jetzt nicht umhin, vormalige SED-Experten einzusetzen…

Doch Schneider betätigt sich nicht nur als „Wendehals“, er sieht immerhin auch die andere Seite der Medaille, befürchtet er doch einen neu aufkeimenden Nationalismus, den er etwa am Beispiel der Behandlung von Vietnamesen durch Ex-DDR-Bürger dingfest macht. Auch könne ein staatliches Zusammenwachsen im Sinne eines überwunden geglaubten, uralt-deutschen Spießertums drohen. Der Autor erwägt die „Kühlschranktheorie“ (vorkriegsdeutsche Verhaltensweisen wurden in der DDR konserviert und tauen jetzt wieder auf), und prüft die Behauptung, die bisherige DDR-Identität werde sich nun ganz rapide verflüchtigen. Schneider versucht gar, die neueste Zwillingsforschung analog auf die Staatenteile anzuwenden, etwa so: Als Zwillinge geboren, dann lange voneinander getrennt, haben sie sich dennoch verblüffend parallel entwickelt.

Viele Hypothesen des Buchs sind mit „heißer Nadel“ und recht grob gestrickt. Schneiders oftmals gestanzt wirkende Sprache läßt, ebenso wie mancher Gedanke, Voreiligkeit vermuten. Als Anstoß zu weiteren Debatten darf das Buch aber alle Aufmerksamkeit beanspruchen.

Peter Schneider: „Extreme Mittellage. Eine Reise durch das deutsche Nationalgefühl“. Rowohlt-Verlag, 192 Seiten. 28 DM.




Der Kaiser und seine Leibgarde fürs Jenseits – Dortmunder Ostwall-Museum zeigt Abglanz der Ausgrabungs-Sensation aus China

Von Bernd Berke

Dortmund. „Unsere Wagen sind perfekt gebaut / Unsere Pferde sind in bester Form / Unsere Wagen sind völlig in Ordnung / Unsere Pferde sind ganz robust“. So beschwörend machte man sich im alten China Mut. Es handelt sich um die Anfangszeilen eines chinesischen Jagdgedichts aus dem 5. Jahrhundert v. Chr. Sie stehen auf einer Steintrommel, die eines von insgesamt nur 92 Exponaten der „Terrakotta-Schau“ im eigens renovierten und teilweise eilends umgebauten Dortmunder Ostwall-Museum ist.

Die robusten Pferde kann man in Dortmund lebensgroß besichtigen. Flankiert von den berühmten Tenakotta-Kriegern (noch nie waren so viele außerhalb Chinas zu sehen), bildet das Ensemble im Lichthof einen derart imposanten Auftakt zum Rundgang, daß alles weitere eigentlich nur noch Beigabe ist; dies auch im Wortsinne, handelt es sich 5 doch bei vielen Stücken um Grabbeigaben.

Im Zentrum der archäologischen Schau, die freilich auch ältere Exponate bietet, steht der „Erste Kaiser“ Qin Shi Huang Di, der von 221 bis 206 v. Chr. herrschte. Dem Despoten gelang es von der alten Kaiserstadt Xi’an aus, mit eiserner Hand die Basis für ein einheitliches chinesisches Reich zu schaffen, das in seinen Grundzügen bis ins Jahr 1911 Bestand hatte. Shi Huang war es auch, der den Bau der „Großen Mauer“ beginnen ließ.

In Xi’an sind seit 1974 Tausende von Kriegern, Rossen und weiteren Grabbeigaben entdeckt bzw. ausgegraben worden. Einen fernen Abglanz dieser archäologischen Weltsensation kann Dortmund nun mit Unterstützung des „Initiativkreises Ruhrgebiet“ exklusiv zeigen. Das umfangreiche Begleitprogramm, u. a. mit Vorträgen und Theatergastspielen aus China, unterstreicht den Rang der Ausstellung. Ein extra engagierter Wachdienst läßt auf hohe Kosten (man munkelt von über vier Millionen Mark) und Besorgnis um die Unversehrtheit der Figuren schließen.

Für die Herrichtung der gigantischen unterirdischen Begräbnisstätte des „Ersten Kaisers“ sollen seinerzeit rund 700 000 Zwangsarbeiter eingesetzt worden sein. Die Terrakotta-Krieger samt Pferden waren dabei als eine Art Leibgarde fürs Jenseits gedacht. In Dortmund werden sie und die anderen Exponate aber nicht als dichte Ansammlung archäologischer Fundstücke, sondern vielmehr als ästhetische Objekte zum optischen Genuß freigegeben. Um zahlreiche Exponate hat man enorm viel leeren Raum belassen – fast wie in einer Ausstellung moderner Skulpturen. Der „luftige“ Effekt wird freilich durch den zu erwartenden Massenandrang von Besuchern wieder aufgehoben werden.

Spartanische Hartfaserplatten als Podeste tun das ihre, den Blick ausschließlich auf die Exponate zu lenken. Neben den dominierenden Terrakotta-Figuren sind u.a. Bronzen, Keramiken, Architekturteile und Eisengeräte aus den Epochen vor und nach der Qin-Dynastie zu sehen. Ihre Bedeutung erschließt sich aber erst bei Lektüre des Katalogs. Zwei „Nebenausstellungen“ in Seitennischen sind der chinesischen Schrift bzw. Fotos der chinesischen Mauer gewidmet.

Übrigens: Von der politischen Situation im heutigen China, das ja nicht eben ein Hort der Freiheit ist, war gestern mit keinem offiziellen Wort die Rede.

„Jenseits der großen Mauer – Der Erste Kaiser von China und seine Terrakotta-Armee“. Dortmund, Ostwall-Museum. 12.8. bis 11.11., tägl. 10-20 Uhr. Katalog 38 DM. Eintritt 10 DM. Karten erstmals auch im Vorverkauf: Bestellungen nur schriftlich unter Angabe des gewünschten Besuchstages an: China-Projekt der Rheinisch-Westfälischen Auslandsgesellschaft, Geschwister-Scholl-Str. 22, 46 Dortmund 1.




Talent an den NS-Staat verschleudert – Bildhauer Arno Breker wird 90

Am Rande eines einschlägigen Gerichtsverfahrens fiel einmal der Satz, die Filmerin Leni Riefenstahl habe während der NS-Zeit stets oben schwimmen können – „wie ein Fettauge auf der Suppe“. Der Vergleich trifft wohl auch auf den Bildhauer Arno Breker zu, der heute in Düsseldorf 90 Jahre alt wird.

Brekers Hang zu aufgeblähtem Pathos, zur hohlen Monumentalität, zu einer Scheinwelt idealisierter Körper, paßte wie angegossen zum Geschmack der Nazi-Ideologen. Die NS-Führungsclique machte ihn zum engen Vertrauten. Er meißelte Büsten von Hitler und anderen Nazi-Größen, verschrieb sich der Produktion für die Partei. So verschleuderte er sein zuvor durchaus bewiesenes Talent. Nur ein mißbrauchter „Idealist“? Oder nicht doch ein bewußter Mithelfer, indem er Skulpturen wie „Vernichtung“, „Vergeltung“, „Rächer“ und „Kämpfer“ schuf? Breker soll, so heißt es, zwisehen 1938 und 1943 auch verfolgten Künstlern geholfen haben. Picasso zum Beispiel. In der Stalin-Ära bemühten sich angeblich auch die Herren des Kreml um die Dienste des Deutschen. Breker lehnte ab.

Breker, am 19. Juli 1900 inElberfeld (heute Wuppertal) geboren, spielte auch eine Rolle in jenem Lehrstück über den oft bruchlosen Übergang in die Adenauer-Ära. Im Jahr 1948 für ein Bußgeld von 100 DM als „Mitläufer“ entnazifiziert, war er schon bald nach dem Krieg wieder gefragter Porträtist der Begüterten. Der Bankier Hermann Josef Abs saß ihm ebenso Modell wie Versandhaus-König Helmut Schickedanz, Mitglieder der Quandt-Dynastie, Kaiser Halle Selassie, der politisch stets unzurechnungsfähige Salvador Dali, die nichts als schrille Gloria von Thurn und Taxis oder der allzu rundum aufgeschlossene Kunstmäzen Peter Ludwig. Auch Modellathleten wie der Zehnkämpfer Jürgen Hingsen oder die Hochspringerin Ulrike Meyfarth waren in Brokers Atelier in Düsseldorf-Lohausen willkommen.

Nicht wenige Surrealisten reklamierten Broker als einen der Ihren. Daran dürfte wahr sein, daß Breker Reflexion und Verantwortung in einem quasi-surrealistischen Sinne ausblendete, so daß seine Figuren sich zu einem (Alp)-Traumreich verlogener Schönheit zusammenfügen, das durch die Akademie-Tradition des 19. Jahrhunderts vermittelt wird. Die Texter eines Bildbandes jedenfalls, die Breker im Untertitel als „Michelangelo des 20. Jahrhunderts“ feierten, griffen nicht nur bei weitem zu hoch, sondern gänzlich fehl. Inwiefern, das hat u. a. der verstorbene Bochumer Kunsthistoriker Max Imdahl detailliert belegt.

Wiederholt bewies Breker seine notorische „Unfähigkeit zu trauern“. Eine kritische Anfrage war ihm vor einigen Jahren höchst lästig. Denkbar blauäugig antwortete er: „Wie kann denn Liebe blühen, wenn immer wieder Neid und Haß gesät werden?“ Noch kürzlich sagte er, daß er von „damals“ nichts mehr hören will: „Ich brauche meinen Frieden, um zu arbeiten“. – Ja, den Frieden. Den hätten andere auch gebraucht. Damals, als Breker zu den Aggressoren hielt.

                                                                                                                       Bernd Berke




Schrecken und Hoffnung Europas – „Notizen zum Stand der Dinge“ von Andrzej Szczypiorski

Nichts verstellt dem Schriftsteller Andrzej Szczypiorski den Blick für Gerechtigkeit. In seinem bis 1988 fortgeschriebenen Band „Notizen zum Stand der Dinge“, dessen Kernstück Aufzeichnungen zum Ende 1981 über Polen verhängten Kriegszustand bilden, findet sich auch der Versuch einer Ehrenrettung des Sozialismus.

Szczypiorski kritisiert jene Leute, die nach dem Scheitern des osteuropäischen Kommunismus gleich alles geistig „über Bord werfen“ wollen, was nur entfernt an diese Ideologie erinnert. Für einen, Menschen, der wegen seiner oppositionellen Ansichten unter Kriegsrecht interniert und drangsaliert worden ist (was er eindringlich beschreibt), eine ganz und gar bemerkenswerte Geste.

Ähnlich wie in seinem Bestseller-Roman .„Die schöne Frau Seidenman“, spricht der Nelly-Sachs-Preisträger wiederum die Deutschen, unter denen er in der NS-Zeit physisch noch weitaus mehr gelitten hat als später unter dem Kommunismus, von Kollektivschuld frei. Nicht alle Angehörigen dieses Volkes seien Unmenschen gewesen. Deutsehe und Polen hätten gar etwas „gemeinsam“, was z. B. Polen und Schweizer nicht hätten: „Denn wenn ich mit Deutschen rede, steckt darin eine gewisse Gemeinsamkeit. Wir haben aus derselben Schüssel der Verworfenheit gegessen. Ich auf der einen Seite der Schüssel – ihre Väter auf der anderen. Sie wie ich, wir sind eingebunden in unser schreckliches, gemeinsames Europa“.

Das Buch gibt aufschlußreiehe Innenansichten polnischen (Uber-)Lebens unter dem gewesenen Regime. Der Autor bricht Tabus, macht beispielsweise den lange verleugneten und verdrängten Antisemitismus vieler Polen namhaft. Nach Szczypiorskis Bericht über die ungeheure Wirkung des Papst-Besuches in Polen, der sich selbst der damalige „Betonkopf“ Jaruzelski nicht ganz entziehen konnte, ahnt man etwas von der Bedeutung des Katholizismus in Polen, die noch gesteigert wird durch die Tatsache, daß das Oberhaupt der Katholischen Kirche aus diesem Land stammt. Ein längeres Kapitel macht denn auch die Ermordung des Priesters Jerzy Popielusko als eigentlichen Umschlagpunkt der Stimmung im polnischen Volk aus, das sich seither überhaupt nicht mehr mit dem Regime hat abfinden können.

Ein weiterer Schwerpunkt der Notate ist hochaktuell und zukunftsweisend: der kulturelie Brückenschlag zwischen Ost- und Westeuropa – wahrlich eine Denk-Notwendigkeit, um den diversen Kapital-Bewegungen nicht gänzlich das kontinentale Feld zu überlassen. Szczypiorski sieht hier auch eine Schlüsselrolle seines Landes, weil es westeuropäisch-„lateinische“ Traditionen mit intensiven (wenngleich historisch oft schmerzlich-unfreiwilligen) Kontakten zum ganz anders geprägten Russland verbinde.

Das „Rohmaterial“ nüchterner Notizen wechselt mit ausgearbeiteten literarischen Passagen. Der Stil ist niemals „brillant“, nie eitler Selbstzweck, sondern dient immer der möglichst präzisen Mitteilung, steht im Dienste von Differenzierung, Nuance und Wahrhaftigkeit.

Andrzej Szczypiorski: ..Notizen zum Stand der Dinge“. Diogenes-Verlag, 262 Seiten.. 29,80 DM.




Die Industrie drängt sich ins Bild – Münster zeigt sozialgeschichtlich bedeutsame Privatsammlung

Von Bernd Berke

Münster. Wer kennt schon Leonhard Sandrock, Johan Coenders oder Gottlob Gottfried Klemm? Hauptsächlich Werke wenig bekannter Künstler (rare Ausnahme: Conrad Felixmüller) gehören zu einer dennoch interessanten Sammlung, die lange im Verborgen wuchs und jetzt erstmals öffentlich wird. Es geht um Industrie-Bilder von 1850 bis 1950.

Manche Künstler waren einfach vom Thema fasziniert und haben auf eigene Faust gemalt, andere – formal meist weniger ehrgeizig – illustrierten im Unternehmer-Auftrag. Dabei kam es mitunter zu einer fast „fabrikmäßigen“ Bilderproduktion.

Im Westfälischen Landesmuseum zu Münster wurde jetzt, erst kurz vor Ausstellungs-Eröffnung, das „Geheimnis“ um den Namen des Sammlers gelüftet. Es ist Dr. Ernst Schmacke, heute in Hamburg, früher im Ruhrgebiet (u. a. als Pressesprecher der Firma Demag) tätig. Seit rund 20 Jahren trägt er speziell Industrie-Bilder zusammen.

Sozialkritik allenfalls in harmloser Dosierung

Dieses Genre kommt selten auf Auktionen. Kaufchancen ergeben sich eher durch Beziehungen und Mundpropaganda. Den Beständen sieht man jedenfalls an, daß der Sammler die Unternehmersicht doch einigermaßen verinneriicht hat. Sozialkritik kommt auf den Bildern ganz selten und höchstens in harmlosen Zwischentönen vor. Zudem gibt es hier kaum Spitzenwerke, das allermeiste ist künstlerischer Durchschnitt.

Trotzdem befinden sich unter den 65 Exponaten, die noch um zwölf thematisch verwandte Bilder aus Münsteraner Museumsbesitz ergänzt werden, sozialgeschichtliche Fundstücke erster Güte. Beispiel dafür sind Arbeiten des Niederländers Herman Heijenbrock, von dem die meisten Bilder der Schau stammen (und der zur Zeit auch im Dortmunder Hoesch-Museum vorgestellt wird). Der Mann, der auf der Suche nach Industrie-Motiven durch halb Europa reiste, malte um 1908 den „Zug der Kohlenhauer“, der als Reproduktion aus vielen Geschichtsbüchern bekannt ist. Das jetzt gezeigte Originalbild galt indes als verschollen, bis Schmacke seine Kollektion zugänglich machte.

Direktorenvilla, mit Palmzweigen bekränzt

Bemerkenswert auch, wie die Industrie in den frühen Bildern zunächst an den Rändem der noch weitgehend unversehrten Landschaft auftaucht und erst später zunehmend ins Bildzentrum drängt. Auch erkennt man, wie die Unternehmer der Jahrhundertwende versuchen, das Image ihres Gewerbes durch Kunst veredeln zu lassen, etwa indem die religiös vorgeprägte, dreiteilige Altarform des Triptychons bemüht wird, um ein profanes Hamburger Fischtran-Lager darzustellen oder indem eine Direktorenvilla unter einer Art Bethlehem-Stern steht und mit Palmzweigen sowie Blümchen bekränzt wird. Gleich nebenan machen Bilder mit wüst rauchenden Schloten klar, daß es an der Quelle des Reichtums weniger blitzblank und schon gar nicht sakral zuging.

Nicht nur Zechen und Stahlwerke wurden gemalt, sondern u. a. auch Glasbläsereien, Steinbrüche, Eisenbahnen und Bahnhöfe, letztere als besonders dynamische Zeichen der Industrialisierung. Wenn man gezielt Bilder des Ruhrgebiets sucht, kommt man ebenfalls auf seine Kosten. Eugen Brachts Blick auf die „Hochofenanlage des Stahlwerks Hoesch in Dortmund“ (1905), eine Ansicht der Hattinger Henrichshütte oder Heinrich Arnold Tillmanns fabrikdurchsetzte Flußlandandschaft von Hohenlimburg (1887) vermitteln ein Stück Regionalgeschichte. Eine ungefähre Ahnung vom oft düsteren und beengten Alltag der Arbeiter im Revier zeigen derweil Bilder wie Fritz Uphoffs „Trunkene Kumpels“ von 1925.

„Industrie im Bild“. Westfälisches Landesmuseum Münster, Domplatz. 10. Juni bis 19. August, di-so 10-18 Uhr. Katalog 20 DM.




Grausame Komödie des gescheiterten Widerstands – Joshua Sobols Ghetto-Stück „Adam“ in Wuppertal

Von Bernd Berke

Wuppertal. Ein deutscher Kulturmensch: feingliedrig, fahrig-nervös und etwas gedankenblaß. Später wird er Goethe und Shakespeare geläufig zitieren. Zunächst aber nimmt er, bestens herausgeputzt, in einem Theatersessel Platz. Er will eine Komödie genießen, eine grausame „Komödie der Irrungen“.

Kittel (Daniel Hajdu), so heißt dieser ach so kunstsinnige Mann in Joshua Sobols Stück „Adam“, ist als SS-Kommandant im Ghetto von Wilna (Litauen) Herr über Tod und Leben – in einer innigen Zwangsgemeinschaft von Tätern und Opfern. Das Drama im Drama, über das sich Kittel so köstlich amüsiert, ist der scheiterende Widerstand der Juden und ihrer historisch verbürgten Untergrundorganisation F. P.O.

Der israelische Autor arbeitet seit jeher mit Schocks: In seiner gleichfalls in Wilna spielenden Todesrevue „Ghetto“, zu der „Adam“ gleichsam ein ergänzendes Seitenstück ist, ließ er Musical-Elemente mit dem Leid der Juden kollidieren.  Auch bei „Adam“, jetzt in Wuppertal, ist das Varieté nicht weit: Der grantelnde Sep (Horst Fassel) führt immer mal wieder Zauberkunststückchen vor. Rahmenhandlungen und ein beständiges Gleiten durch die Zeit, Spiel mit Distanz und Nähe: Sep agiert auf der Vorderbühne, die eine Szene im heutigen Israel vorstellt, wo sich Seps Gefährtin Nadya (Stella Avni vom Düsseldorfer Schauspielhaus) ihrer Erlebnisse von „damals“ in Wilna erinnert.

Dahinter tut sich ein „Erinnerungs-Raum“ (Bühne: Jürgen Lancier) auf, eine schräggestellte Arena, in der die Szenen von 1943 spielen. Die alte Nadya, für die die Vergangenheit nicht vorbei ist, tritt mehrfach in diesen Raum ein, richtet das Wort an sich selbst als junge Frau (Friederike Tiefenbacher) oder an ihren damaligen, in Wilna umgekommenen Geliebten Adam (Bernd Kuschmann). Adam wurde seinerzeit von einem Gefolterten an den SS-Kommandanten als Untergrund-Kämpfer verraten. Der SS-Mann stellt dem (jüdischen) Ghetto-Vorsteher Gens, der ständig zwischen den Fronten laviert, ein Ultimatum auf sofortige Auslieferung Adams; sonst werde das gesamte Ghetto „liquidiert“. Soll man einen Mann opfern, um – eventuell – 20 000 Mensehen zu retten? Oder soll man den Aufstand wagen, den kollektiven Selbstmord?

Das Stück in Deutschland aufzuführen, ist höchst schwierig und prekär. Diesen Mut hatte bisher nur das Bonner Theater. Die (Selbst-)Kritik am jüdischen Widerstnd ist sicher wichtig für ein israelisches Publikum; hierzulande könnte sie mißverstanden werden. Auch hat das Stück selbst Schwächen: Vor Augen gestellt, gewinnen die langen Debatten der F. P. O.-Widerstandskämpfer nichts Wesentliches hinzu, was nicht auch in einem Hörspiel vorkommen könnte. Über weite Strecken gerät das in Wuppertal zum steifen Thesen-Austausch. Die Aufführung wirkt da einerseits ungeschmeidig, zeigt aber auch keine wirklichen Ecken und Kanten. Verständliche Scheu: Die Regie wagt kaum, Elemente des Dokumentartheaters und des Varietés schockhafter aufeinander prallen lassen.

Regisseur Johannes Klaus und das Ensemble sind gleichwohl ehrenvoll gescheitert: Spürbar ist eine große Ernsthaftigkeit, mit der man sich des Stoffs angenommen hat. Aber: Wuppertals Ensemble hat zwar Fortschritte gemacht, ist jedoch für eine solch heikle Aufführung noch zu ungleichwertig besetzt.

Normaler Beifall, den auch der anwesende Autor bescheiden entgegennahm.




Wie das Ruhrgebiet die Kriegsjahre erlebte – Ausstellung zu Alltags-Erfahrungen im Essener Ruhrlandmuseum

Von Bernd Berke

Essen. Man kann hier in einem typischen Wohnzimmer der 40er Jahre Platz nehmen. An der Wand prangt ein Propaganda-Teller aus Meißner Porzellan; die Inschrift feiert die „Winterschlacht 1941/42″. 8-mm-Stummfilme, die man „damals“ kaufen konnte, schnurren ab: gespenstische Zusammenschnitte aus den Wochenschauen, ohne das markige Wortgetöse. Ein paar Schritte weiter lessen sich per Volksempfänger „Feindsender“ empfangen. Für alle, die es nur hören wollten, berichtete die Londoner BBC bereits 1942 ausführlich über den Massenmord an Juden.

Mit seiner Ausstellung „Über-Leben im Krieg“ versucht das Essener Ruhrlandmuseum Kriegserfahrungen im Revier anschaulich zu machen. Es gibt da natürlich Themenbereiche, die sich jeder noch so überlegten musealen Darstellung entziehen. So mutet es verzweifelt hilflos an, die Deportationen anhand eines nagelneuen, aber auf „Reichsbahn“ getrimmten Güterwaggons zu verbildlichen, in dessen Innerem die Stimme von Ida Ehre Paul Celans Gedicht „Todesfuge“ spricht.

Dennoch hat die Ausstellungsmacherin, Dr. Mathilde Jamin, mit ihrem Team generell einen richtigen Weg eingeschlagen. Ganz bewußt hat sie auf tausendfach abgenutzte Bilder und Dokumente sowie auf Embleme der Nazi-Diktatur verzichtet. Versatzstücke wie Fahnen und Hitlerbilder gibt es nicht. Auch Kriegswaffen werden nur als verrosteter Schrott gezeigt. Nicht Ereignis-Historie steht hier im Vordergrund, sondern Zeugnisse einer bis heute nur bruchstückhaft aufgearbeiteten Alltags-Geschichte des Krieges.

Hakenkreuz-Brettspiele und Wehrmachtskondome

Die Dokumente – vielfach von Privatleuten aus dem Revier zur Verfügung gestellt – reichen von Feldpostkarten über ein Regal voller quasi-touristischer Mitbringsel aus den ersten Kriegsjahren (Mode aus Paris usw.) bis hin zu Hakenkreuz-Brettspielen und trivialen Heftromanen, mit denen Soldaten ihre Freizeit verbrachten. Sogar eine Packung mit Wehrmachtskondomen liegt in einer Vitrine. Das mag sich verharmlosend anhören, ist es aber keineswegs. Immer wieder wird solchen Alltagsdingen die andere Seite des Krieges gegenübergestellt. Beide Wirklichkeiten zusammen ergeben erst den wahren Schrecken.

Nicht nur Zellentüren mit Inschriften der Zwangsarbeiter (von denen es allein in Essen 70000 gab) erinnern an Schicksale, die vielleicht noch furchtbarer waren als die Bombennächte für die deutsche Bevölkerung. Immer wieder wird diese Perspektive der Opfer aufgegriffen.

Die Frage, ob es im Revier ganz spezifische Kriegserfahrungen gegeben hat, können auch die Essener Museumsleute nur schwer beantworten. Im Grunde stehe das Revier hier exemplarisch für andere Großstädte und Industriezonen (was die Ubernahme durch andere Museen erleichtern könnte). Möglich, aber noch nicht vollends beweisbar sei, daß aus dem Ruhrgebiet weniger Männer an die Front kamen als aus anderen Regionen. Dafür mußten sie hier „Schlachten“ in der (Rüstungs)-Produktion schlagen.

„Über-Leben im Krieg“, Ruhrlandmuseum Essen, Goethestraße. Bis 4. März 1990 (di-so 10-18, do 10-21 Uhr). Begleitbuch im Rowohlt-Verlag 19,80 DM.




Dortmund: Kochen wird museumsreif

Von Bernd Berke

Mit dem „Deutschen Kochbuchmuseum“, das im Frühjahr 1988 im Westfalenpark eröffnet werden soll, will Dortmund einen bundesweit einzigartigen Leckerbissen bieten.

Auf einer vorerst bescheidenen Fläche von 8 mal 40 Metern entsteht, nach einem 3-Millionen-Umbau, im Obergeschoß des ehemaligen Ausflugsrestaurants „Buschmühle“ das neue Museum. Für die Einrichtung stehen 250.000 DM bereit, der Ankaufsetat soll – je nach Marktlage – „flexibel“ gehandhabt werden.

Das Konzept wird von Mitarbeitern des Dortmunder Museums für Kunst und Kulturgeschichte entwickelt und stellt das 19. Jahrhundert sowie die kulturgeschichtlichen statt der kulinarischen Aspekte in den Vordergrund. In den Umkreis gehört z. B. auch das Themen Tischsitten. Und es lassen sich an Koch- und Eßgewohnheiten auch ganz generell „Klassenverhältnisse“ ablesen.

Im Mittelpunkt der ersten Ausstellung wird mit schöner Selbstverständlichkeit Henriette Davidis (1801-1876) stehen, die Dortmunder Koch-„Päpstin“. Ihre Rezeptsammlungen wirkten normbildend auf weite Teile des Bürgerturns, und zwar auch in – wie man damals wohl sagte „volkserzieherischer“ Hinsieht. Um welch eiserne Rollen Verteilung es damals ging, läßt etwa der Davidis-Buchtitel „Der Beruf der Jungfrau“ ahnen. Kürzlich stieß man in Dortmund sogar auf eine US-Ausgabe der Davidis, die eigens für Deutsche in Amerika umgeschrieben worden war. In dieser Version lernte man u. a. Feinheiten bei der Zubereitung von Bärenfleisch.

Einen ersten Vorgeschmack aufs künftige Museum im Park bietet derzeit eine kleine Ausstellung im Studio des Museums für Kunst und Kulturgeschichte (Hansastraße). Schon hier zeigt sich, daß keine bloße Aneinanderreihung von Koch-Buchrücken (über 600 Verschiedene Bände sind schon vorhanden) beabsichtigt ist. Alle erdenklichen Gegenstände, die mit Kochen. Essen und Trinken zu tun haben, kommen in Betracht – von der Tischdecke bis zum Herd, von der Puppenküche bis zum Besteck. Wer solche historischen Stücke besitzt, kann sie unter 0231 / 542-25525 dem Museum anbieten.




Vor 50 Jahren: Nazis stellten die Moderne an den Pranger / Zur Ausstellung „Entartete Kunst“ von 1937

Von Bernd Berke

Wieder einer jener schandbaren Gedenktage, von denen wir Deutschen aus eigener Schuld so viele haben: Am 19. Juli 937, vor genau 50 Jahren, wurde in den Münchner Hofgartenarkaden die Hetz-Ausstellung gegen die damals so genannte „Entartete Kunst“ eroffnet. Mit dieser Veranstaltung, die 730 Werke von 112 Kunstlern umfaßte, denunzierten die Nazis die gesamte Moderne der Kunst. Die Namen der damals an den Pranger gestellten Künstler lesen sich heute als ,,Ehrenliste“: Barlach, Beckmann, Chagall, Corinth, Dix, Ernst, Feininger, Grosz, Kandinsky, Kirchner, Kokoschka, Lehmbruck, Macke, Marc, Nolde, Picasso seien nur stellvertretend genannt.

Die Auswahl (sprich: entschädigungslose Beschlagnahme in Museen und bei Privatsammlern) besorge – im Auftrag des früh gescheiterten Möchtegern-Malers Hitler – der damalige Präsident der .„Reichskammer der Bildenden Künste“, Adolf (,,Meister des Schamhaars“) Ziegler, der sich vor allem mit erbarmungslos kitschigen Aktbildern hervorgetan hatte. Von solcher Art waren denn auch die Bilder, die – zeitlich parallel – im Münchner ,,Haus der deutschen Kunst“ den mißliebigen ,,Modernen“ als Beispiel vorgehalten wurden.

Rund zwei Millionen sahen die Wanderausstellung in München, Berlin, Leipzig, Düsseldorf und Frankfurt. Die NS-Machthaber karrten selbstverstandlich ganze Schulklassen oder BDM-Gruppen an die Ausstellungsorte. Allerdings: Nicht alle Besucher verspürten jenen propagandistisch geschickt aufgestachelten Haß auf jegliches Unbekannte und Verstörende, der sich manchmal auch darin entlud, daß Bilder in der Ausstellung bespuckt wurden. Gar mancher kam jedoch aus (heimlicher) Liebe zu diesen Kunstwerken und nutzte damit die fiür lange Zeitletzte Gelegenheit, sie in Deutschland öffentlich zu sehen.

Zunachst hatte es noch Tendenzen gegeben, den Expressionismus als ,,nordische Kunst“ für NS-Zwecke zu vereinnahmen. Propagandaminister Joseph Goebbels besaß privat einige Bilder yon Emil Nolde, den auch seine Parteimitgliedschaft hernach nicht vor Aussonderung bewahrte. Es setzte sich die breitere Strömung durch: die Kampfansage an alle Kunstrichtungen, die nicht einem verlogenen Klassizismus huldigten, mithin an die gesamte Moderne, besonders nachdrücklich aber an offen sozialkritische Kunst wie die eines Otto Dix und eines George Grosz.

Seele des Kleinbürgers zum Kochen gebracht

Nach der infamen Wanderschau, die die Kunstwerke bewußt lieblos und möglichst nachteilhaft prasentierte, sie aber sicherheitshalber noch mit höhnischen Kommentaren versah, wurden zahllose Werke verfemter Kunstler am 30. Juni 1939 bei einer Auktion im schweizerischen Luzern zu Spottpreisen verschleudert; ein Großteil davon ist deshalb heute in Großbritannien oder den USA zu finden. Bereits im Marz 1939 hatte man auf dem Hof der Berliner Hauptfeuerwache noch kürzeren ProzeB gemacht: Tausende von nicht genehmen Kunstwerken wurden dort verbrannt.

Verfolgung und Vernichtung aller ernstzunehmenden Kunst, mit Ausstellungs- oder gar Malverbot einsetzende Drangsalierung von Künstlern bis hin zur Ermordung, kamen natürlich nicht aus heiterem Himmel. Das Regime nutzte die Entfremdung breiter Schichten von der modernen Kunst, es nutzte tiefsitzende Vorurteile, die schon in der wilhelminischen Kaiserzeit gepflanzt warden waren. Die Seele manches zu kurz gekommenen Kleinbürgers mußte nur noch zum Kochen gebracht werden – und darauf verstand man sich im .„Dritten Reich“. NS-Maßnahmen gegen Künstler begannen auch nicht etwa erst 1937, sondern schon 1933 – in Reden Hitlers, die bereits sehr deutliche Drohungen enthielten, aber auch ganz konkret, z. B. mit der Schließung des ,,Bauhauses“ schon im Jahr der „Machtergreifung“.

Wozu diese Erinnerungen? Wir sind doch weit weg von jenen Zeiten, haben zahllose neue Museen gebaut, die damals verfemten Bilder erzielen Höchstpreise und die großen Ausstellungen sind überlaufen… Jedoch: Hat es in unserer Republik etwa keine Ausfälle und Ausschreitungen gegen Kunst gegeben (Beuys, Serra, Vostell usw.)? Und: Wer versichert uns, daß die jüngst erhobene Forderung, .„endlich wieder“ Nazi-Kunst in unseren Museen zu zeigen, nicht eines Tages aggressiver, mit gefährlicheren Argumenten und emflußreicheren Fürsprechern vorgebracht wird?




Westfälische Ortsansichten sogar in New York gefunden – Alte Stadtsilhouetten erscheinen in zehn Bänden

Von Bernd Berke

Im Westen. Im Museum von Växjo (Mittelschweden) gibt es ein Bild, das einen „Bärentanz“ zeigt. Im Hintergrund, kaum zu glauben, machten Kundige das Rathaus von Minden/Westfalen aus. Auf solch entlegene Fundstücke kann man stoßen, wenn man seit 1976 landauf, landab nach alten westfälischen Stadtansichten gefahndet hat, wie im Auftrag des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) geschehen und nun mit einem ersten Band (Olpe/Hochsauerlandkreis) zur Veröffentlichungsreife gebracht.

Allein in Westfalens Gefilden mußte das kleine Team unter Leitung von Dr. Jochen Luckhardt 70 000 km an Dienstreisen absolvieren, um den Bildern „detektivisch“ auf die Spur zu kommen. 340 einschlägig bestückte Sammlungen wurden für „Westfalia Picta“ (Projektname) aufgetan, darunter viele (bis dato gar nicht erschlossene) Privat-Kollektionen. Nicht nur innerhalb der Landesgrenzen wurde man fündig, sondern z. B. auch in New York und Lissabon.

Rund 7500 westfälische Stadtansichten aus der Zeit zwischen dem 15. Jahrhundert und dem Jahr 1900 sind zusammengekommen. Sie werden 10 üppige Bände füllen, die nach und nach im Bielefelder Westfalen-Verlag erscheinen (je Band 98 DM). Nur Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein können bislang ähnliche Fleißarbeiten aufweisen.

Strikte Regel bei der Forschungsarbeit war es, möglichst immer an die Originale heranzukommen, um besser die Spreu von Weizen trennen zu können (und beispielsweise verfälschende Nachzeichnungen auszusondern).

Dortmund gehört zu den Städten, die am frühesten (um 1470) im Ansichtsbild festgehalten wurden – kein Wunder bei einer traditionsreichen ehemaligen Freien Reichsstadt. Von anderen Revierstädten wie etwa Gelsenkirchen gibt es hingegen erst nach 1800 Darstellungen. Vorher war Gelsenkirchen nur ein Dorf und seine Silhouette galt als nicht „bildwürdig“. Südwestfälische Ortschaften reizten die Künstler vergleichsweise früh zur Darstellung.

Neben zahllosen Gemälden, Stichen, Aquarellen und Graphiken gab es auch kuriose Ortsansichten, so etwa einen dreidimensionalen, im Vordergrund mit echten Baumblättern gefüllten Guckkasten mit dem Stadtbild von Hamm oder – typische, nirgendwo sonst vorgefundene Eigenart – Drahtgeflechte (Raumteiler) aus Hohenlimburg, in die auf kunstvolle Weise Ansichten der Stadt eingearbeitet wurden. Pfeifenköpfe, Porzellan, Gläser, Vasen – kaum ein Gegenstand, auf dem westfälische Städte nicht verewigt wurden.

Und so geht’s – nach der gestrigen Buchpremiere über Olpe und das Hochsauerland – weiter: 1987 erscheinen die Bände über den Ennepe-RuhrKreis, den Märkischen Kreis und Hagen (Band 2), über den Kreis Siegen-Wittgenstein (Band 3), über Unna und Hamm (Band 4). Es folgen Ostwestfalen und das Münsterland. Ganz zum Schluß, anno 1991, sind mit Band 10 die Revierstädte an der Reihe. Die Reihenfolge hat ihren Grund: Projektleiter Luckhardt stammt aus Gevelsberg und wollte mit Südwestfalen beginnen, weil er sich dort am besten auskennt.




Archäologen ständig auf der Flucht vor Baggern – Erfolgserlebnisse bei Ausgrabungen in Westfalen selten

Von Bernd Berke

Münster. Die Archäologen des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) sitzen gehörig in der Klemme, und zwar so: Rechts will ein Bauer endlich seinen Mais anbauen, links durchwühlen Bagger – zum Wohle der Konjunktur – das Erdreich nach verwertbarem Bausand; mittenmang, auf einem schmalen Feld, graben die Wissenschaftler fieberhaft nach Zeugnissen alter Kulturen. Sie sind „auf der Flucht vor dem Bagger“ in arge Zeitbedrängnis geraten.

Dies ungute „Spielchen“ müssen Forscher derzeit wieder einmal mitmachen, und zwar im Münsteraner Stadtteil Gittrup, wo zwar mögliche Funde aus einem halben Dutzend Geschichtsperioden (von der Zeit des Neandertalers bis ins frühe Mittelalter) geortet wurden, der Hektik wegen aber nur zu Bruchteilen ans Licht befördert werden können.

Motorräder rasen über die Fundstelle

Zu allem Überfluß sitzen den Ausgräbern hier nicht nur wirtschaftliche Interessen „im Nacken“; das winzige Areal, auf dem sich die Archäologen vermutlich nur noch kurz werden betätigen dürfen, wurde auch noch von Motorradfreaks als Sandbahn mißbraucht. Kurios: Das sie für Grabungen keine Zeit mehr haben, erfahren die Fachleute meist erst durch die Schaufelarbeit der Bagger von Fundstellen. Dann ist Eile geboten.

Beklagenswerte Probleme gewiß, die der Landschaftsverband Westfalen-Lippe da gestern einer Schar von Pressevertretem vor Ort erläutern wollte. Man stimmte jedoch nicht nur Klagelieder an, sondern wollte auch eins der mittlerweile raren Erfolgserlebnisse vermitteln, und zwar „live“. Das ging freilich schief. Eigens um auf die Medien zu warten, hatten die Ausgräber eine Stelle noch nicht angerührt, neben der kürzlich eine bronzezeitliche Gürteldose gefunden worden war. Die Gelehrten vermuteten an dieser Stelle weitere Schätze, die aber gestern nicht zum Vorschein kamen.

Bergung „live“ ging schief 

Wer immer zuvor geargwöhnt haben mag, die Archäologen würden halt fix noch etwas verbuddeln, um es dann triumphierend zu bergen, mußte Abbitte leisten. Rund um Gittrup, wie vielerorts in Westfalen, liegen zahlreiche Stätten, die für die archäologische Auswertung bereits unwiederbringlich verloren sind. Man weiß, daß hier z. B. riesige Urnenfelder existieren müssen, doch man kommt nicht mehr an sie heran. Entweder stehen auf den rekultivierten Sandflächen schon wieder Gebäude oder es wachsen dort Pflanzen. Wollte man hier graben, bekäme man es mit den Naturschützern zu tun. Wenn’s allerdings hart auf hart kommt, wenn etwa aufschiebbare Baggerarbeiten zum Schaden einer laufenden Archäologie-Grabung vorangepeitscht werden – dann riskiert man mit guten Aussichten auch schon mal einen juristischen Streit samt verwaltungsgerichtlichem Ortstermin an der Grabungsstelle.

Wühlmäuse vor Jahrtausenden

Angesichts all dieser Probleme ist um so erstaunlicher, was die Experten aus den dürftigen Spuren herauslesen, die sie bei ihren Notgrabungen gerade noch sichern können. Walter Finke, leitender Archäologe des Regierungsbezirks Münster, weiß zum Beispiel einige (für Laien kaum wahrnehmbare) Bodenverfârbungen als Spuren eines Pfluges zu deuten, der hier im Mittelalter durch den Acker gezogen wurde. Andere, etwa fünfmarkstückgroße dunkle Flecken, geben Finke Aufschluß über Wühlmäuse oder Maulwürfe, die hier vor Jahrhunderten oder Jahrtausenden durch den Boden gewuselt sind. Im Vordergrund stehen freilich Grabstätten und -Beigaben, wie die – je nach Epoche – höchst unterschiedlich geformten Urnen. Solche Funde lassen auch Rückschlüsse auf vorzeitliche Besiedlungsstrukturen zu.

Doch so sehr man sich auch müht und modernste Analysemethoden anwendet – letztlich führt man mit Spachtel, Schippe und Pinsel einen wenig aussichtsreichen Kampf gegen die „gefräßigen“ Bagger. Walter Finke ist denn auch bescheiden geworden: „Manchmal freuen wir uns schon, wenn wir vage ahnen, was uns eigentlich verlorengeht.“




Prächtiges Ägyptergrab im Schatten des Kölner Doms – Neue Technik ermöglicht millimetergenaue dreidimensionale Nachbildung der historischen Stätte

Von Bernd Berke

Köln. Die schönste Grabkammer des Alten Ägypten befindet sich jetzt gleich neben dem Kölner Dom – scheinbar jedenfalls.

Neueste Technik macht’s möglich, daß nun im Römisch-Germanischen Museum der Domstadt eine millimetergenaue, dreidimensionale und zum Verwechseln ähnliche Nachbildung des Originals vom Nil aufgestellt werden konnte, in die man hineingehen kann wie in das echte „Haus der Ewigkeit“ zu Theben. Daselbst ließ sich Sen-nefer, Bürgermeister der damaligen Metropole, um 1400 v. Chr. von den besten Künstlern seiner Zeit eine rundum phantastisch ausgemalte Grabkammer errichten.

Darstellungen altägyptischer Begräbnisritule münden da schließlich in Szenen der Wiedergeburt im Jenseits, wie sie der Osiris-Mythos geprägt hat. Auch die Decke ist ganz ausgemalt, und wie! Die Künstler haben sich – wohl ganz bewußt, auf jeden Fall meisterhaft – die zahlreichen Unebenheiten des Kalksteins zunutze gemacht und Relief-Effekte erzielt. So viele Weinranken sind da zu finden, daß man das Grab auch schon scherzhaft als „Weinlaube“ bezeichnet hat.

Zwischen all dem sieht man insgesamt 16 Mal den Bürgermeister Sen-nefer (übersetzt etwa: „Guter Bruder“), den Freund des Pharaos Amenophis II. zur Hochblütezeit Ägyptens, jeweils in Zweisamkeit mit seiner Frau Merit, die ihn auf den leuchtend farbenfrohen Abbildungen jedoch eher als eine Art göttliche Gehilfin ins Jenseits geleitet. Auch die Weinreben haben hier überhöht-symbolische Bedeutung; sie beziehen sich auf Tage „göttlicher Trunkenheit“, auf glückhafte Zustände: „Ich sitze in der Halle des Vergnügens, um mir einen guten Tag zu machen,“ lautet denn auch die Übertragung einer genußfrohen, auf Sen-nefer bezogene Hieroglyphen-Inschrift der Grabkammer.

Daß man dies alles jetzt in Köln originalgetreu bewundem kann, liegt an der Erfindung eines Fotokonzerns. Knappe Erklärung: Das Grab-Original wurde millimetergenau vermessen, dann rundum im Detail fotografiert. Durch ein spezielles Lösungsmittel konnte eine hauchdünne elastische „Bild-Haut“ gewonnen und sodann auf die Nachbildüng des Original-Gesteins übertragen werden. Selbst allerkleinste Schadstellen und Unebenheiten blieben so erhalten.

Das Verfahren gewinnt zunehmend an Bedeutung. Tausende von Touristen, die die Altertums-Denkmäler besichtigen, bedeuten – schon durch bloße Körperwärme und Atemfeuchtigkeit – eine Gefahr für die Substanz der historischen Zeugnisse. So wurde z. B. die Vorzeithöhle in Lascaux (Frankreich) fürs Publikum geschlessen und durch eine ..Reproduktion“ nach dem gleichen Verfahren „ersetzt“. So dringlich es sein mag, Kulturzeugnisse auf diese Weise zu retten, so betrüblich ist die Aussicht auf eine künftige Welt voller Duplikate und Simulationen, denen – wenn nicht mehr – so zumindest der Geist des Ursprungsorts abgeht.

Die Ausstellung, die auch einen Bogen zu Ägypten-Fotos aus der Mitte des 19. Jahrhunderts schlägt, dauert bis zum 12. Oktober und ist täglich außer montags von 10 bis 17 Uhr (mittwochs/donnerstags bis 20 Uhr) geöffnet.




Der 1. Mai als weltweiter Vorbote einer besseren Zukunft – Ausstellung zur internationalen Geschichte des „Kampftags“

Von Bernd Berke

Recklinghausen. Daß die historische Formel von den „Arbeitern aller Länder“, die sich vereinigen sollen, nicht auf bloßem Wunschdenken beruhen könnte, schwant den Mächtigen zumindest noch an einem Tag des Jahres: Am l. Mai. Diesen Schluß soll zumindest eine Ausstellung im Foyer des Ruhrfestspielhauses nahelegen, die erstmals in dieser Breite und Fülle die internationale Geschichte und Gegenwart des „Kampftags der Arbeiter“ dokumentiert.

1979 waren, an gleicher Stätte, Plakate und Dokumente zu nationalen Aspekten des l. Mai gezeigt worden, nun hat die Berliner Neue Gesellschaft für bildende Kunst (NBK) ihr reichhaltiges Archiv (3500 Sammelstücke) zur weltumspannenden Geschichte dieses Datums geöffnet und Recklinghausen rund 200 Exponate zur Verfügung gestellt. Für die Ausstellung interessieren sich schon jetzt zahlreiche Institute im Ausland.

Ganz leicht hat es die NBK dem Deutschen Gewerkschaftsbund (neben der Stadt Recklinghausen Träger der Ruhrfestspiele) nicht gemacht: Unter den Plakaten, Fotos und Zeitungsausschnitten aus 100 Jahren (1886 proklamierte man in den USA den l. Mai als Kampftag, der dann aber vor allem für Europa Bedeutung gewann) befinden sich beispielsweise auch Dokumente aus Syrien (Maikundgebung für das palästinensische Volk) und Fotografien der Maidemonstrationen auf Kuba.

Man sieht übrigens nicht nur Bilder proletarischer Siegesgewißheit, sondern auch Belege für staatliche Repression und Dokumente der Rückschläge, die die Arbeiterbewegung hinnehmen mußte.

Interessant ist neben den politischen und gewerkschaftlichen Aspekten auch die Verzweigung der künstlerischen Traditionsstränge. Griffen die Plakatmacher zunächst noch auf bildliche Traditionen zurück, die sich in der Französischen Revolution herausgebildet hatten (barbusig in eine bessere Zukunft voranstürmende Heldinnen und dergleichen), so wurden später auch rein graphisch wirksame Lösungen gesucht und gefunden, so etwa für ein polnisches Plakat, das die aufragende Gestalt der Zahl 1 zum Blickfang macht.

Die Ausstellung wird am heutigen Volksfesttag im Rangfoyer des Festspielhauses gezeigt (ab morgen dann im Hauptfoyer) und dauert bis 27. Juni. Das Katalogbuch (ASSO-Verlag, rund 600 Abbildungen) soll in etwa zwei Wochen erscheinen.




Inszenierung der Familie auf Papier und Leinwand

Von Bernd Berke

Münster. „Familie“ – das Thema beschäftigt alle: vom häuslichen Krach und Frieden bis hin zu den zahllosen Clans, die sich im Fernsehen das Leben sauer machen. Breites Interesse dürfte also der Ausstellung im Westfälischen Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte sicher sein, die rund 60 „Deutsche Familienbilder des 19. Jahrhunderts“ in Münster versammelt.

„Geborgen und gefangen“, so das Ausstellungsmotto, seien die Menschen im Schoß der Familie, behauptet Angelika Lorenz. Auf der Basis ihrer Doktorarbeit ist die Ausstellung entstanden. Jedoch: Auf den hier gezeigten Gemälden und Graphiken ist von dieser Doppeldeutigkeit der „Familienbande“, ist von Ironie noch wenig zu spüren. Damals galt das innige Zusammenleben der Blutsverwandten eben als naturgemäß und wurde gegen erkünstelte Imponier-Posen des Adels ins Spiel der Geschichte gebracht.

Nein, „gefangen“ wirken sie noch nicht, jene Figuren auf den Kupferstichen Daniel Chodowieckis, die in enger Verschlingung sich dem Privatglück hingeben, während daneben der Junggeselle im trostlos-kahlen Zimmer vor sich hinstiert. Das war damals kaum als Satire gemeint.

Schon im Klassizismus und in der Romantik ist „Natur“ aber nicht mehr selbstverständliches Attribut der Familie, sie muß in immer aufwendigeren Kunst-Kompositionen herbeizitiert werden. Man sieht idealische, wirklichkeitsferne Landschaften, konstruierte Staffagen und darin Menschen, z. B. „Gräfin Fries mit ihren Kindern“ (Josef Abel, 1811), die in ihren familiären Rollenzuweisungen (hier: Mütterlichkeit) heroisiert werden und wie antike Helden wirken.

Im Biedermeier, der „Hoch-Zeit“ der Familienbilder, nähern sich Landschaft und Requisiten zwar wieder der Wirklichkeit, gezeigt wird aber nur noch der enge Bereich um den heimischen Herd. Mit der Bildauswahl lassen sich Entwicklungsthesen belegen: Zum Beispiel die allmähliche Ausgliederung der Arbeitssphäre aus dem Familienbezirk sowie der gesellschaftliche Prozeß, der von der Groß- zur ideologisch hoffnungslos überfrachteten Kleinfamilie führt.

Die Zusammenstellung hat auch ihre „kulinarischen“ Seiten, so etwa Bilder von Ferdinand Georg Waldmüller, die zwar – aus heutiger Sicht – vor falscher Idylle nur so strotzen, aber schlicht und ergreifend perfekt gemalt sind.

Schließlich löst sich die Gattung der Familienbilder auf. Die Triebkräfte sind dabei wohl nicht nur innerkünstlerischer Art, die Bilder spiegeln auch reale Auflösungstendenzen der Institution Familie. Den Schlußpunkt setzt Lovis Corinths „Weihnachtsbaum“ (1913), nur noch eine – die Ungegenständlichkeit streifende – Rückenansicht zweier vereinzelter Kinder inmitten der festlichen Gaben. Hier ist die starre Inszenierung der bürgerlichen Familie mit ihren Symbolen von Natur, Besitz jung Bildung durchbrochen.

Die Ausstellung dauert vom 27. April bis 29. Juni, das Katalogbuch (Dissertation von Angelika Lorenz) kostet 29 DM.




„Rosa Luxemburg“: Blumen für die Utopie

Von Bernd Berke

Bochum. Eigentlich liebt sie die Natur mehr als alle Parteigenossen. Eigentlich will sie ja nur unbeschwert leben. Aber die Verhältnisse, sie sind nicht so. Sie drängen Rosa Luxemburg zur Agitation, zum revolutionären Kampf mit flammendem Wort.

Jedenfalls ist dies in Margarethe von Trottas Film „Rosa Luxembürg“ der Fall, der das bewegte Leben der Sozialistin (Titelrolle: Barbara Sukowa, Kinostart morgen) von 1899 bis zu ihrer Ermordung 1919 nachzuzeichnen versucht.

Rosa, die die politischen Geschäfte nur notgedrungen und widerstrebend, dann aber um so beherzter in die Hand nimmt, friedet sogar noch in der Haft eine „Gartenlaube“ ein: Ein buntes Beet, das sie gleich neben der hohen Gefängnismauer anlegt, erinnert sie an den utopischen Zustand der Freiheit, des unbehinderten Blühens. Auch in ihrer Zelle hat sie ein schützendes „Gatter“ aus Pflanzen und Büehern errichtet.

Überhaupt steht Rosa Luxemburg bei Frau von Trotta im Zeichen der Natur, vor allem der Blumen. Rückblende in Rosas Kindheit: Sie will unbedingt die Nacht durchwachen, um zu erleben, wie die Rose auf dem Tisch erblüht. Es ist dies, so suggeriert die Szene eindringlich, bereits das unerschütterlich-aufrechte, gleichermaßen geduldige wie dringliche Zu-Warten, das sie später auf politischem Felde auszeichnen wird.

Es geht hier kaum um den historischen Widerstreit von Theorien des Sozialismus, kaum um Richtungskämpfe der damaligen Arbeiterbewegung. Andernfalls stünde der Film in diesen Tagen auch wahrhaftig sperrig in der Kino-„Landschaft“. Es rücken indes ganz andere Dinge in den Mittelpunkt, und die muten „heutig“ an: DerBlick richtet sich nämlich vornehmlich auf Rosa L. als Frau, die gemeinsam mit Clara Zetkin (Doris Schade) nicht nur gegen den Klassenfeind, sondern letztlich auch gegen die zumeist zaudernden Männer in den eigenen Reihen (August Bebel, Karl Kautsky) antreten muß.

Nur Karl Liebknecht (Otto Sander) ist kampfentschlossen, wirkt aber dann doch wie ein leichtfertiger Filou, den es mächtig, aber eher zufällig umtreibt. Zentral auch die Friedensfrage: Rosa Luxemburg im aussichtslosen Kampf gegen die vom Reichstag bewilligten Kriegskredite am Vorabend des Ersten Weltkriegs. Und schließlich: Rosa Luxemburg als Liebende, die auch von so „bürgerlichen“ Gefühlen wie Eifersucht bedrängt wird.

Seine besten Szenen hat der Film aber doch in den eher politischen Passagen. Dann nämlich, wenn Barbara Sukowa vom Rednerpodium herab mit wahrhaftiger Ausstrahlung Ideen wachruft, die längst vergessen schienen.




Schon in den Trümmern begann die Verdrängung – Bonn: Große Ausstellung über Kunst und Kultur der Nachkriegszeit im Westen

Von Bernd Berke

Bonn. Nein, wirklich „lebendig“ kann die Nachkriegszeit natürlich nicht wieder werden – auch nicht durch eine Ausstellung großen Kalibers. Auch nicht, wenn deren Macher unter erdenklichen Mühen über 800 Exponate aus den Jahren 1945 bis 1952 aufgetrieben haben. Die Schau „Aus den Trümmern – Kunst und Kultur in Rheinland und Westfalen“ startet heute im Rheinischen Landesmuseum Bonn (bis 8. Dezember).

Ein Ford Taunus G 73 A Spezial („der mit dem Buckel“) fällt im Foyer zuerst auf. Das Gefährt steht zugleich für die Probleme des Ausstellungsteams, das unter Leitung von Professor Klaus Honnef wahre „Archäologenarbeit“ zu leisten hatte. Nicht einmal die Ford-Werke nämlich konnten mit einem solchen Fahrzeug dienen. Ein Privatmann sorgte für Abhilfe. Der Oldtimer aus einer Zeit, die noch so nah zu sein scheint, allen Moden zum trotz jedoch durch notorische „Erinnerungsfaulheit“ (Klaus Honnef) Lichtjahre entfernt liegt, steht auch für den halbherzigen Versuch, die vielen künstlerisch durchgestalteten Exponate um einige Alltagstupfer zu ergänzen.

Deutlich wird die Durchdringung immerhin im Bereich der Architektur-Dokumentation. Kein Wunder, verschränken sich auf diesem Gebiet doch ohnehin Politik, Kunst und Alltag am innigsten. Jedenfalls zeigt diese Abteilung mit Fotos, Plänen und Modellen etwas sehr Beklemmendes, nämlich, daß viele deutsehe Architekten ihre (während der Bombennächte verfertigten) Pläne nach 1945 nur aus der Schublade holen mußten, um – teils unverdrossen, teils modifiziert – ungute Traditionen des Monumentalismus fortzuführen. Es werden aber auch die Sünden der Gegenströmung des rein funktionalen Bauens deutlich.

Das Ruhrgebiet kommt leider etwas knapp weg. Immerhin sieht man u. a. auch das Originalmodell der (1952 in neuer Form wiedererrichteten) Dortmunder Westfalenhalle. Auch wird (doch da tat man dem Revier zu viel „Ehre“ an) ein von verlogener Heimeligkeit triefendes Wohnambiente der 50er Jahre als Ausfluß des „Gelsenkirchener Barock“ vorgeführt – als ob es diesen Wohnstil nur in hiesigen Breiten gegeben hätte.

Beschämend kurz kommt im zweiten Stock die Mode jener Jahre. Es folgt allerdings eine hervorragend bestückte Fotografie-Abteilung. Kinder beim Ringelreihen auf dem Trümmergrundstück; Volksfest mit Riesenrad zwischen Ruinen; Kölner Karneval gleich nach der Kriegskatastrophe. Bodenloser Frohsinn mitten im Jammer? Legitimes Ausbrechen von Lebensfreude? Beginn der Verdrängung, die bis heute nachwirkt?

Die Leitfiguren der Nachkriegskunst, hier jeweils mit wenigen Bildern vertreten, sind schnell benannt: E. W. Nay, Fritz Winter, Emil Schumacher, K. O. Götz, Ewald Mataré, Gerhard Marcks. Symptomatischer aber scheinen mir drei andere Arbeiten: Erstens Wilhelm Schmurrs „Frühlingsstilleben“ (1944) – eine karge „Inventur“ wie in Günter Eichs gleichnamigem Gedicht; viel ist den Menschen nicht geblieben. Zweitens Walter Icks‘ Selbstbildnis vor einer Trümmerlandschaft (1946): Melancholischer Versuch einer Selbstvergewisserung nach dem großen Desaster. Drittens: Leo Breuers „Bahnhof Paris-Ost“ (1951), ein kaum verhüllter Anklang an Piet Mondrian, Wiederanknüpfung an die internationale Moderne.

Die Ausstellung wandert: 26.1.-23. 3.1986 Kunstmuseum Düsseldorf, 12.4.-31.5.1986 Museum Bochum. Der Katalog (fertig erst Ende November) kostet 52 DM.




Evangeliar Heinrichs des Löwen in Braunschweig – teuerstes Kunstwerk der Welt erstmals ausgestellt

Von Bernd Berke

Braunschweig. Heinrich der Löwe (1129 bis 1195) bekommt jetzt in Braunschweig „Personenschutz“. Zwei Polizeibeamte flankierten schon gestern die Vitrine mit dem teuersten Kunstwerk der Welt – dem am 6. Dezember 1983 in London für rund 32 Millionen DM ersteigerten „Evangeliar Heinrichs des Löwen“. Jetzt, genauer ab Samstag, wird das kostbare Stück, um dessen Finanzierung es seinerzeit so viele Querelen gab, erstmals der breiten Öffentlichkeit gezeigt.

Grandioser Rahmen ist die niedersächsische Landesausstellung „Stadt im Wandel“ im Braunschweigischen Landesmuseum (Vieweghaus) und in der Burg Dankwarderode (dort befindet sich das Evangeliar). Sie zeigt mit weit über 1100 Exponaten einen überwältigenden Querschnitt durch Alltag, Kunst und Kultur zwischen 1150 und 1650 im norddeutsehen Raum.

Das um 1175 herum entstandene „Löwen“-Evangeliar, dessen Präsentation nicht die einzige, wohl aber die hervorstechende Sensation dieser Schau ist, wird hier in breiter Darstellung des Zeithintergrunds, als Dokument einer – das Wort sei gestattet – „Wende“ der deutschen Geschichte vorgeführt.

Da das Evangeliar ein (seinerzeit dem braunschweigischen Dom gestiftetes) Buch ist, können nur zwei der 31 Farbbilder aufgeschlagen gezeigt werden. Das wohl wichtigste zeigt die Krönung Heinrichs des Löwen unmittelbar durch Gottes Hand – wobei die beauftragte Werkstatt des Benediktinermönchs Heriman kurzerhand überging, daß Heinrichs Vetter, Friedrich I. (Barbarossa), dazumal Kaiser war.

Die seit 1979 vorbereitete, 10 Millionen DM teure Ausstellung als Ganzes ist natürlich auch aller Rede wert. Noch nie wurden beispielsweise so viele religiöse Kunstwerke aus Norddeutschland zusammengetragen wie hier. Leihgaben aus aller Welt, darunter auch ein Bronzekruzifix (1120) aus dem Dortmunder Museum für Kunst und Kulturgeschichte, machen es möglich.

Vom Spitzenkunstwerk bis zur scheinbaren Banalität (Dokumentation der Wasserversorgung einer mittelalterlichen Stadt) wird hier ein denkbar breites Panorama der Entwicklung von den frühen Stadtgründungen bis zur Zeit des Westfälischen Friedens ausgebreitet.

Hier ein grober Überblick: Sechs Abteilungen gliedern die riesige Fülle der Exponate. Am Beginn steht die Entwicklung der Städte, die wiederum in sieben Stadttypen untergliedert ist. Für diesen Teil wurden eigens einige Stadtmodelle neu gebaut. Alte Ansichten und Stiche veranschaulichen die zeitgenössische Sicht. Auch gemalte Szenen der christlichen Heilsgeschichte verraten manches über die Struktur mittelalterlicher Städte, da die Künstler das biblische Geschehen oftmals in ihre eigenen Umgebung verlegten.

Die zweite Abteilung gewährt einen Einblick in „Haus und Familie“. Ganze Ensembles, so die Wohnung eines Zinngießers aus Göttingen, vermitteln hier greifbares Ambiente. Hausrat, Kleidung und Schmuck sind weitere Stichworte dieser Abteilung. Aber auch Phänomene wie der Pesttod und Armut der Bevölkerung werden nicht ausgespart.

„Frömmigkeit und Bildung“: Vom Wallfahrts- und Pilgerwesen bis hin zum Tintenfaß wird das ganze Feld der zunächst kirchlich geprägten, dann zunehmend weltlichen Bildung abgeschritten. Für Revierbewohner interessant: Der Bergbau im Harz ist einer der Schwerpunkte der Abteilung „Handwerk und Handel“. Werkzeuge, Planzeichnungen und Produkte runden das Bild aus diesem Lebensbereich ab.

Die Abteilung „Rathaus und Politik“ widmet sich Bereichen wie Archivführung und Justiz, zeigt aber auch prachtvolles Ratssilber. Endpunkt und wohl auch Höhepunkt ist schließlich die „kirchliche Kunst des Mittelalters“. Reliquienbehälter, spätgotische Skulpturen, Ausstattungen von Altären und Buchmalereien des 12. und 13. Jahrhunderts sind hier zu finden.

Die Ausstellung dauert bis zum 29. November (täglich 10 bis 19 Uhr, freitags 10 bis 22 Uhr). Zwei Katalogbände 75 DM / zwei Aufsatzbände 61 DM / Kurzführer 10 DM.




Aus den Schatzkammern der Sultane – Pracht-Schau in der Villa Hügel mit vielen Leihgaben aus der Türkei

Von Bernd Berke

Essen. Für außerordentliche Prachtentfaltung waren die Ausstellungen in der Villa Hügel seit jeher gut. Üppige Querschnitte durch fremde Kulturen sind die „Spezialität des Hauses“. In diese Tradition reiht sich nun, als insgesamt 39. Schau seit 1953, der Überblick „Türkische Kunst und Kultur aus osmanischer Zeit“ ein (bis 27. Oktober, zweibändiger Katalog 38 DM).

Mehr als 500 Leihgaben aus aller Welt sind zu sehen. Zum ersten Mal überhaupt wurden auch (bisher fürs Ausland gesperrte) Kostbarkeiten aus der Türkei freigegeben. Insgesamt 40 Prunkstücke sind Leihgaben des Museums für Islamische Kunst und des kaiserlichen Topkapi-Palastes in Istanbul.

Das Zeitspektrum reicht vom 14. Jahrhundert, als Osman I. den Grundstein für das nach ihm benannte, lange im Kampf mit christlichen Staaten befindliche Weltreich legte, bis 1922, als der letzte osmanische Sultan abgesetzt wurde. Nicht in chronologischer Folge werden die Exponate gezeigt, sondern in fünf thematischen Untergruppen:

Es beginnt ganz oben in der Gesellschaftspyramide: Die Abteilung „Der Großherr und sein Hof“ vermittelt mit Kronjuwelen, prachtvollen Gewändern, einem Sultans-Thron und Palast-Modellen einen Eindruck von Ausgestaltung und Dekoration höchster Machtentfaltung.

„Die Moschee und das religiöse Leben“ werden, so gut dies anhand von stummen Zeugen geht, in der nächsten Abteilung lebendig. Keramiken belegen einen weiträumigen Kulturaustausch bis hin nach China, Fliesen und Bronzegeräte lassen persische und ägyptische Einflüsse erkennen.

„Das Heerwesen“ wird besonders durch sogenannte „Türkenbeuten“ dokumentiert – Gegenstände, die sich abendländische Herrscher vor allem 1683 (nach der erfolglosen Türkenbelagerung vor Wien) aneigneten. Waffen wie Bogen und Speere sowie ein Wesirzelt gehören zu diesem Teil der Ausstellung. Der nächste Teil ist dem „täglichen Leben“ gewidmet. Hier sind Gegenstände versammelt, die vornehmlich bei der Mittel- und Oberschicht in Gebrauch waren – von Kosmetik-Utensilien über Musikinstrumente, Teppiche und Badetücher bis hin zu kostbarem Kaffeegeschirr und zum Brautgewand reicht die Palette.

Den Abschluß bildet ein Überblick zur Buch- und Schriftkunst, der allein einen Besuch lohnt. Ganz nebenbei werden auch noch sämtliche Münzen gezeigt, die in sieben Jahrhunderten osmanische Zahlungsmittel waren.

Figürliche Darstellungen sind, weil im Islam lange Zeit strengstes Abbildungsverbot herrschte, generell höchst selten. Umso reicher entwickelt sind pflanzenartige Ornamentformen. Faszinierend ist dabei die stilistische Einheitlichkeit, die sich, aller Vielfalt der Erfindungskraft zum Trotz, über Jahrhunderte gehalten hat. Ein Randaspekt der Schau, Einflüsse türkischer Ornamentalkunst auf Mitteleuropa, würde eine eigene Ausstellung verdienen.

Mit der Ausstellung, die seither nur geringfügig verändert wurde, war kürzlich das viel gerühmte neue Museum für Kunsthandwerk in Frankfurt eröffnet worden. Dort stahl der Rahmen, jener erstaunliche Bau des Architekten Richard Meier, den türkischen Schätzen die Hälfte der Schau. In Essen sind sie sozusagen erstmals die alleinige Hauptsache. Im Gegensatz zum lichten Frankfurter Bauwerk belassen die abgedunkelten Räume in Essen den Gegenständen eine eindrucksvolle Aura von Geheimnis.

Der „Verein Villa Hügel e. V.“, der nach dieser Großschau in die „Kulturstiftung Rühr“ eingeht, zeigt die osmanische Pracht nicht ohne Hintergedanken: Womöglich, so die stille Hoffnung und der Tenor des Grußworts von Bundesaußenminister Genscher, werde mit dieser Ausstellung die Toleranz der Deutschen gegenüber den hier lebenden Türken befördert.




Zeugnisse aus grauer Vorzeit: Auch Höhlen im Sauerland sind ergiebige Fundorte

Von Bernd Berke

Münster. Das seit 1980 gültige Denkmalschutzgesetz hat enorme Erleichterungen für die Wissenschaftler mit sich gebracht: Nicht nur historische Bauten, sondern auch zahlreiche Zeugnisse pflanzlichen und tierischen Lebens aus der Vorzeit konnten seither besser erhalten und ausgewertet werden. Diese Bilanz zog gestern in Münster der für ganz Westfalen zuständige Paläontologe des Westfälischen Museums für Archäologie, Dr. Jörg Niemeyer.

Seit 1980 gelten wichtige erdgeschichtliche Funde nämlich als „Bodendenkmäler“. So wird beispielsweise Fossilien-Findern eine Anmeldepflicht auferlegt. Wird sie eingehalten, so können sich Dr. Niemeyer und seine Mitarbeiter sofort auf den Weg „vor Ort“ machen. Sie könnten dort in dringenden Fällen sogar die Unterbrechung von Bauarbeiten veranlassen – gegen entsprechende Entschädigung. Zu diesem drastischen Mittel wurde bisher allerdings noch nie gegriffen, denn, so Niemeyer: „Damit würden wir mögliche Informanten abschrecken“.

Vor allem die zahlreichen Sand- und Kiesgruben in Westfalen gaben seit Bestehen des Gesetzes mehr her als je zuvor. Gerade Kiesgruben „konservieren“ aufgrund ihrer geologisehen Beschaffenheit prähistorisches Material außerordentlich gut. Schon mancher Grubenarbeiter lieferte wissenschaftlich interessante „Nebenprodukte“ vom Fließband weg an die Experten.

Dr. Niemeyer konnte gestern einige eindrucksvolle Kiesgruben-Funde präsentieren, darunter kapitale Mammutknochen, die Zahnreihe eines prähistorischen Riesenhirschen, das Skelettstück eines Bibers, der sich in grauer Vorzeit im damals noch feucht-sumpfigen Westfalen offenbar sehr wohl gefühlt hat. Auch Überbleibsel eines Fellnashorns kamen ans Tageslicht.

Das Alter dieser Funde schwankt zwischen 20 000 und 100 000 Jahren. Zur groben Orientierung: Vor 10 000 Jahren ging für Mitteleuropa die letzte Eiszeit zu Ende. Weitaus jüngeren Datums, vielleicht sogar erst mittelalterlich, sind jene menschlichen Schädel, die aus zwei benachbarten Kiesgruben bei Minden stammen. Einer weist einen Spalt auf, der vielleicht von einem derben Schwerthieb herrührt. All diese Funde werden demnächst ins Naturkundemuseum zu Münster wandern.

Nicht nur die (meist im Raum Minden gelegenen) Kiesgruben, sondern auch die sauerländischen Höhlen tauchen nicht selten als Fundorte in den Chroniken der Münsteraner Wissenschaftler auf. Kürzlich sind die sauerländischen Höhlen komplett aufgelistet worden. Man kam auf rund 600. Kein Wunder also, daß hier vor allem Reste von Höhlenbären gefunden wurden. Aber auch Menschenknochen, Werkzeuge und Mammut-Skelette wurden gesichert. Großes Problem Im Sauerland: Selbsternannte Höhlenforscher“, die sogar Stahltüren an den Höhleneingängen aufschweißen, um an vorzeitliche Relikte heranzukommen.




Cappenberger „Spontan“-Schau: Archäologische Funde aus Armenien und dem Kaukasus bergen mehr Rätsel als Erkenntnisse

Von Bernd Berke

Cappenberg. Schloß Cappenberg war eigentlich drauf und dran, sich zum achtbaren Ausstellungszentrum des Kreises Unna zu mausern: Mit den Landkarten seit Ptolemäus hat man zum Beispiel über 15 000 Besucher anlocken können. Ob solche Zahlen auch mit der (ab heute präsentierten) Schau über „Frühe Bergvölker in Armenien und im Kaukasus“ erreicht werden können, scheint mehr als fraglich. Das abgelegene Thema müßte weitaus besser für Laien aufbereitet werden, als dies jetzt geschehen ist.

Zu sehen sind archäologische Funde aus der späten Bronze- und der frühen Eisenzeit: Tierfiguren, Schmuck, Helme, Kessel, martialisch wirkende Gürtelbleche, auch ein Trinkrohr (für den Biergenuß) und ein rekonstruierter Tisch mit den Original-Bronzebeschlägen. Staunenswert ist das gewiß – wie so vieles, was aus jener Frühzeit auf uns übergekommen ist. Doch in Cappenberg muß es wohl meistenteils beim Begriffslosen Staunen bleiben. Die Funde, vorwiegend Grabbeigaben aus den gebirgigen Landstrichen zwischen Schwarzem und Kaspischem Meer, sind vom Berliner Museum für Vor- und Frühgeschichte binnen vier Monaten „spontan“ zusammengestellt und auf Blitztournee geschickt worden, wie die Berliner Archäologin Geraldine Saherwela freimütig eingesteht.

Bezugspunkte hat man in der Eile bei Waldemar Belck, Rudolf Virchow und Hans Hermann Graf von Schweinitz gesucht – bei Deutschen also, die sich gegen Ende des letzten Jahrhunderts in Kaukasien und Armenien als Ausgräber betätigten, und zwar wenig systematisch, dafür um so mehr mit „romantischem“ Jagdinstinkt und brennender Leidenschaft. Virchow beispielsweise grub lediglich drei Tage lang nach Altertümern.

Der von solch fiebriger Sammlerleidenschaft Besessene mag von seinen Zufalls-Fundstücken kurzzeitig befriedigt werden. Der Erkenntniswert für den heutigen Ausstellungsbesucher bleibt hingegen denkbar gering. Die rund 400 Objekte aus der Zeit von ca. 1500 bis ca. 700 v. Chr. (über die Datierung streiten Experten bis heute) ist wahrlich mehr eine auf flüchtigen Augengenuß angelegte „Schau“ denn eine vermittelnde Ausstellung. Viel mehr, als daß die isoliert lebenden Bergvölker, die etwa schon sehr früh Pferde domestizierten, relativ hoch entwickelte handwerkliche Fähigkeiten besaßen, bekommt man anhand der dürftigen Winke nicht mit. Schade, wo doch das Berliner Museum nach dem russischen Eriwan eine der bedeutendsten Sammlungen armenischer und kaukasischer Zeugnisse besitzt.

Das Katalogheft (84 Seiten) kostet 9 DM, die Ausstellung dauert bis zum 4. September (täglich 10 bis 17 Uhr, Mo geschlossen). Der Eintritt ist frei.




Buchheim hält Gerichtstag ab – „Boot“-Autor drehte eigenen Dokumentarfilm über den U-Boot-Krieg

Von Bernd Berke

„Den einzelnen Kriegsteilnehmer glorifizieren, die Verführer aber dekuvrieren“ (aufdecken, entlarven) – dieses fürwahr zwiespältige Ziel hat sich Lothar-Günther Buchheim, derzeit wegen des „Boot“-Dreiteilers in aller Munde, gesetzt – für seine Dokumentation „Zu Tode gesiegt“ (WDF, 22.15 Uhr).

Buchheim gibt hier vor allem einer (Un-)Person die Schuld am Untergang der deutschen U-Boot Flotte und am Tod vieler tausend Soldaten im 2. Weltkrieg: Großadmiral Dönitz, dem Befehlshaber des Seekriegs. Sobald Buchheim, der zwischen den dokumentarischen Teilen immer wieder mal in Strickjacke an seinem Schreibtisch gezeigt wird, auf „den Totmacher“ Dönitz zu sprechen kommt, entlädt sich sein ganzer bebender Zorn. Vorbei ist es dann mit der scheinbaren Gemütlichkeit am Schreibtisch. Buchheim, im Innersten verwundet, hält Gerichtstag.

Die Dokumentation war fester Bestandteil des Vertrags zwischen Buchheim und der ARD. Wird das „Boot“ ausgestrahlt, so der Autor, dann darf eine ergänzende Recherche im historischen Umfeld nicht fehlen. An diesem Anspruch, um dessen Erfüllung sich Buchheim freilich nur zu später Stunde in den dritten Programmen bemühen kann, muß „Zu Tode gesiegt“ gemessen werden. Und da stellen sich bei mir Bedenken ein.

Immer wieder muß Buchheim während des Films Abbitte dafür leisten, daß die Bilder niemals den vollen Schrecken des Krieges wiedergeben können. In der Tat: Oft ist das schiere Gegenteil der Fall. Da dokumentarische Aufnahmen vom U-Boot-Krieg mangels Alternative meist aus propagandistisch vorgefiltertem Materiai stammen, gehorchen sie einer „Ästhetik“, die sich am blanken Stahl und dessen Zurichtung zu technischer Perfektion berauscht.

Man muß Buchheim zugute halten, daß er diese Schwächen selbst benennt und auch nicht mit dem Eingeständnis hinter dem Berg hält, heute noch seltsam fasziniert zu sein, wenn er Bilder vom U-Boot-Krieg sieht. Er hätte es allerdings kaum aussprechen müssen. Beredt nämlich ist, was er da ins Unreine spricht. Ungebrochen verwendet er den Begriff des „Helden“, der so manche Geleitzugschlacht geschlagen habe. Wie von einer Obsession geleitet, spricht er von „Prankenschlägen“, die die See austeile, spricht er gar von der „Natur“ eines Waffensystems und nennt einen altgedienten U-Boot-Kommandanten „einen alten Barsch“. Der Krieg ein Naturereignis, gesteigertes Lebensgefühl in der Hölle?

Buchheim, so zeigt sich, ist immer noch zutiefst betroffen und ‚besessen von „seinem“ Thema. Daher ist „Zu Tode gesiegt“ nicht so sehr Dokumentation als bewegendes, grundehrliches Bekenntnis. Ungeglättet wie die rauhe See, läßt der Film aber wenig Raum für gedankliche Distanz und Klärung.




Buchheim schimpft über ARD: Petersens „Boot“-Mehrteiler ist wie „Krieg zum Knabbergebäck“

Von Bernd Berke

Köln. Lothar-Günther Buchheim, Hansdampf in allen Gassen des Medien- und Kulturbetriebs und bekanntermaßen streitbarer Geist, macht wieder einmal lautstark von sich reden. Bei Gelegenheit der gestrigen Pressevorführung seiner Dokumentation über die U-Boot-Schlachten im Zweiten Weltkrieg (Titel: „Zu Tode gesiegt“), polterte Buchheim los: „Man hat es wieder einmal fertiggebracht, eine wichtige Sendungin die Spätschiene der Dritten Programme zu verbannen. Zu diesen Sendezeiten gucken doch nur noch ein paar verrückte Intellektuelle zu.“

Buchheim hat seine 90minütige Dokumentation als „Gegengewicht“ zur Ausstrahlung des Dreiteilers „Das Boot“ (ARD, ab 24. Februar; von Wolfgang Petersen nach dem gleichnamigen Buchheim-Roman gedreht) gedacht. Nun fürchtet er, daß der Spielfilm einem Millionenpublikum „den Krieg frei Haus liefert, zum Knabbergebäck“, während die historischen Hintergründe nur einer verschwindenden Minderheit nahegebracht würden.

Mutmaßte Buchheim: Es gebe bestimmt massive Interessen, das Programm so zu gestalten, denn schließlich werde auch heute mit dem U-BootBau Geld verdient. Einer solchen „Verschwörungstheorie“ widersprach unter anderem Günther Witte, Leiter der WDR-Fernsehspielredaktion, entschieden: Die Dokumentation laufe auf dem üblichen Fernsehspiel-Termin des 3. Programms.

Buchheim hat nie ein Geheimnis daraus gemacht, daß er die Petersen-Verfilmung für wenig gelungen ansieht. Insgesamt halte er die Femsehfassung aber für besser als den Kinofilm, gestand er zu. Buchheims Dokumentation „Zu Tode gesiegt“ (am 4. März um 22.15 Uhr im WDF) ist eine sehr beeindruckende, persönlich geratene Abrechnung mit den grausamen Praktiken des U-Boot-Kriegs und besonders mit dessen Befehlshaber, Admiral Dönitz.




Städtebauminister Zöpel: Kosten für Denkmalpflege werden „dramatisch“ steigen

Von Bernd Berke

Im Westen. Die Kosten für Erhaltung und Pflege der Baudenkmäler in Landesbesitz werden in den nächsten Jahren „dramatisch“ steigen. Dies prophezeite NRW-Städtebauminister Christoph Zöpel gestern bei der Eröffnung einer Denkmalschutz-Ausstellung in Düsseldorf.

Die Folgen des „Steinsterbens“ seien, weil irreparabel, womöglich noch schlimmer als die Konsequenzen des Waldsterbens, befürchtet Zöpel. Der Minister: Abgestorbene Bäume könnten zur Not durch Neuanpflanzung ersetzt werden, zerstörte Denkmäler seien ein für allemal verloren.

Grund genug, die landeseigenen Baudenkmäler Zwecks intensiver Betreuung aufzulisten. Diese Liste ist jetzt komplett. Sie umfaßt genau 385 erhaltenswerte Denkmäler seit der Karolingischen Zeit bis ins 20. Jahrhundert. Es handelt sich dabei um wichtigsten von insgesamt 8000 Denkmälern in Landesbesitz – vor allem das bauliche Erbteil der Preußischen Obrigkeit wie Land- und Amtsgerichte, Gefängnisbauten und Polizeipräsidien, aber auch Schlösser und Kirchen. Unter anderem gehören dazu: Gerichtsgebäude in Dortmund, Lünen, Hagen, Wetter, Lüdenscheid, Meschede und Olpe, das Oberbergamt Dortmund, das Untere Schloß in Siegen, das frühere Augustinerkloster in Attendorn und das Arnsberger Forstamt.

In diesen Tagen geht die vom Zöpel-Ministerium erstellte Liste den betroffenen Gemeinden zu. Diese sind rechtlich verpflichtet, die Denkmäler in die örtlichen Schutzlisten aufzunehmen. Das wiederum bedeutet, daß keines dieser 385 Denkmäler in seiner historischen Gestalt ohne Genehmigungsverfahren verändert werden darf.

1985 werden rund 20 Mio. DM für die Erhaltung der landeseigenen Denkmäler ausgegeben, während es zwischen 1980 und 1984 insgesamt 60 Mio. DM, also „nur“ 12 Millionen pro Jahr gewesen sind. Der erhöhte Aufwand hat, so Minister Zöpel, auch arbeitsmarktpolitische Effekte. Vor allem der handwerklich orientierten Bauwirtschaft werde dies „nicht schlecht bekommen“.

Da mittlerweile in NRW mehrere Ausbildungsgänge für Restaurationswesen bestehen, wird man für die einschlägigen Arbeiten wohl auch immer seltener polnische Experten heranziehen müssen. Gleichsam als flankierende Maßnahme ist in Aachen eine „Informationsstelle für Bauschadenforschung“ emgerichtet worden, die sich sowwohl um rissige Brücken als auch um verwitterte Denkmäler kümmert.




Vom Trauma des Lebens in der Fremde – Helmut Ruges „Wer bezahlt die Zeche?“ uraufgeführt

Von Bernd Berke

Recklinghausen. Waren im 19. Jahrhundert polnische Zuwanderer die „Türken des Reviers“? Um diese Frage kreist die neuen Szenencollage des Satirikers Helmut Ruge (Allerweltstitel: „Wer bezahlt die Zeehe?“), die am Samstag im Recklinghäuser „Depot“ als Produktion der Ruhrfestspiele uraufgeführt wurde.

Berge von Koffern sind die Hauptrequisiten, Zeichen für „Heimat“-Losigkeit – und das nicht nur im Hunsrück. Im kohlenschwarzen Bühnenboden klafft ein glühender Riß, als habe sich die Erde aufgetan. Ursache: „soziale Beben“.

Der Türke Erdal führt in fliegendem Rollenwechsel das epochenübergreifende Trauma des Lebens in der Fremde vor. Mal bleibt er der Erdal der „Wende“-Zeit in den 1980ern, mal wird er zum Polen Josef, der hundert Jahre zuvor ins Ruhrgebiet gekommen ist und bei den großen Bergarbeiterstreiks noch mehr Solidarität erfährt, als sie sich heute über Nationalitätsschranken hinwegzusetzen wagt. Zwei Zeitprofile werden ausschnittweise kontrastiert und treten wechselseitig deutlicher hervor: zuweilen verlaufen sie nahezu parallel: Was für den Sozialdemokraten von dazumal der kaiserliche Büttel, ist für den Türken heute der vom heimischen Militärregime beauftragte Spitzel.

Regisseur Bernd Köhler läßt die Szenen vielfach durch harte Ausblendung des Lichts abreißen. Die Einzelteile stehen für sich. Ständiger Neu-Ansatz also, denn Ruges Text zielt in gar viele Richtungen. Manchmal scheint es, als ginge es darob resignativ zu, wie bei einem aussichtslosen Kampf gegen Windmühlenflügel. Doch geht immer wieder gleichsam ein Ruck durch das Stück, und es folgen unvermittelt lustvolle Folklore-Einschübe oder (auch türkischsprachige) Bänkelgesänge. Fluchtreaktion oder Sinnenfreude, die sich nicht unterkriegen läßt?

Uneinheitlich wie der Aufbau ist auch der Inhalt: Es steht Vielsagendes neben vielfach Gesagtem. Daß die Szenenfolge nicht heillos in Resignation hie und Klamauk dort zerföllt. dafür sorgt Hauptdarsteller Erdal Merdan, der den Erdal bzw. Josef mit einer gehörigen und notwendigen Portion aggressiven Beharrungsvermögens spielt und so das Stück zusammenhält. Auch die weiteren Beteiligten aus dem Festspiel-Ensemble (u.a. Jürgen Mikol, Vesna Bujevic, Lydia Billiet) erhielten reichlichen Beifall.




Westfalens Gesellschaft zur Goethezeit – auf Bildern von Johann Christoph Rincklake

Von Bernd Berke

Münster. Westfalens Adel ging um das Jahr 1800 mit der Zeit. Man hatte schließlich „seinen“ Rousseau gelesen und kehrte auch dann „zurück zur Natur“, wenn man sich porträtieren ließ: Nun getrauten sich auch Damen von Stand, inmitten ihrer Kinderschar oder gar im „Zustand der Hoffnung“ vor den Maler zu treten.

Es war aber zugleich die Ära, in der das Selbstbewußtsein des westfälischen Bürgertums wuchs. Nur: Statt der Wappen, die die adeligen Herrschaften vorweisen konnten, staffierten sich Bürgersleute fürs Konterfei mit Signalen für erbrachte „Leistung“ aus. Ein wissenschaftliches Buch für den Herrn, ein Strickstrumpf für die Dame – und schon war die Heraldik wirksam ersetzt.

Westfalens wohl bester Porträtmaler zur „Goethezeit“ hieß Johann Christoph Rincklake (1764-1813). Sein Werk wird jetzt in einer Ausstellung des Westfälischen Landesmuseums fur Kunst und Kulturgeschichte dokumentiert (23.9. bis 4.11.). 150 Bilder sind zu sehen, darunter 100 bisher unbekannte Werke, die sich zu 90 Prozent noch in Privatbesitz (meist Nachfahren der Porträtierten) befinden. Die Bilder ergeben ein Panorama der westfälischen Gesellschaft – von Ansichten derer zu Romberg, Westerholt oder Heeremann bis hin zur Wirtstochter und zur Dortmunder Kaufmannsfrau.

Obwohl Rincklake eine Akademieausbildung (Lehr- und Wanderjahre in Dresden, Düsseldorf, Wien) vorweisen konnte, sind die Exponate weniger unter künstlerischen als unter regionalgeschichtlichen Aspekten aufschlußreich. Gesellschaftliche Umbrüche nach der Französisehen Revolution, neue Rituale der Trauer um Verstorbene oder auch das Geschlechterverhältnis jener Zeit können oft anhand unscheinbarer Details nachvollzogen werden. Beispiel: Selbst Schriftstellerinnen wurden damals nicht etwa mit Symbolen intellektueller Betätigung wie Feder und Tintenfaß abgebildet, sondern bestenfalls mit einer Leier.

Pünktlich zur Ausstellung ist ein Buch über Rincklake erschienen (Verfasserin: Hildegard Westhoff-Krummacher; Preis des Bands 98 DM, ab 1985 etwa 120 DM). Der Ausstellungskatalog in Münster kostet 15 DM.




Von Raubrittern und Kobolden im Revier – Kinder gruben uralte Sagen des Ruhrgebiets aus

Von Bernd Berke

Im Westen. Da behaupte noch einer, das Ruhrgebiet sei keine geschichtsträchtige Region! Bis zu 1000 Jahre haben Sagen und Märchen aus dem Umkreis des Reviers auf dem sprichwörtlichen Buckel, die im Rahmen eines Wettbewerbs von Kindern zwischen Duisburg und Dortmund ausgegraben worden sind.

8- bis 16jährige, vom Kommunalverband Ruhrgebiet (KVR) zu dieser Suche aufgerufen, haben pfiffig und vielfach nach allen Regeln der Kunst recherchiert. um „Raubrittern und Ko(hle)bolden“ auf die sagenhafte Spur zu kommen. Für die über 100 Einsendungen (auch ganze Schulklassen machten mit) waren natürlich in erster Linie die Großmütter, aber auch Gemeindepfarrer und Archive wertvolle Quellen.

Manchmal war schon ein Straßenname in der Heimatgemeinde Anlaß genug, dem historischen Kern einer Sage nachzuspüren. Die 39 besten – und bislang unveröffentlichten – Geschichten liegen jetzt in Buchform vor (im Handel zum subventionierten) Preis von 9,80 DM. Titel: „Von Raubrittern und Kobolden“.

Den ersten Preis des Wettbewerbs trug die zehajährige Cornelia Möhrig aus Bochum davon. Sie stöberte eine Version der Geschichte von der „ersten Zeche“ auf und erzählte sie mit eigenen Worten neu. Inhalt: Der kleine Michael stürzt in ein Loch, muß drunten einer zahnlosen alten Frau dienen und bekommt zum Lohn einen „schmutzigen Stein“, von dem sich allerdings nachher herausstellt, daß er wohltätige Wärme bringen kann. Michael hat „die Kohle entdeckt“ und für sein Leben ausgesorgt.

Überhaupt ranken sich die meisten Revier-Sagen, wie kaum anders zu erwarten, um das „schwarze Gold“. Der dritte Preis zum Beispiel, vergeben an den 16jährigen Jonas Rusky aus Hattingen, honoriert eine „Geschichte von der Zeche Dahlbusch in Gelsenkirchen“. Die Fakten, die er noch ausschmückte, erfuhr der Junge von seiner Großmutter, die wiederum aus Erfahrungen des Urgroßvaters schöpfte, welcher an der Entwicklung der berühmten Dahlbuschbombe mitgewirkt hatte. Kern der über drei Generationen tradierten Sage: Landwirte im Revier durften eines Tages keine SEnsen mehr verwenden, denn man vermutete, daß sonst auch unter Tage der todbringende Sensenmann umgehe. Fortan sorgten Schafe für kürzere Halme.

Allein schon die Titel der weiteren Geschichten machen Lust auf Lektüre. Da geht es etwa um den „hartherzigen Bäcker von Dortmund“ (der die Arman darben ließ und zur Strafe zwischen seinen Geldsäcken verhungern mußte), um „Mirsa, das Grubenpferd“, um die Mär vom Bochumer „Räuberhauptmann Korte“ oder um das im Siegerland beheimatete „Heinzelmännchen auf der Grube Hoffnung“.




Heldentum und Markenartikel – „100 Jahre politisches Plakat“ in Dortmund

Von Bernd Berke

Dortmund. Führer- und Vaterfiguren schauen streng oder gütig herab. Fahnen, Adler, Heilige und Flammen halten für historische Vorhaben der Großkopfeten her. Politische Plakate, seit der Französischen Revolution verbreitet, haben meist „denen da unten“ etwas abgefordert – seien es Wahlstimmen, Wohlverhalten, soldatische „Tugenden“ oder Geld.

Mit welchen Bildern und Parolen die deutsche Bevölkerung seit 1870/71 zumeist verschaukelt worden ist, vermittelt ab morgen eine Ausstellung im Dortmunder Ostwall-Museum. 503 Exponate umfaßt diese Zusammenstellung „100 Jahre politisches Plakat“. Das Dortmunder Institut für Zeitungsforschung durchkämmte dafür seine reiche Kollektion (5000 Stücke).

Die im Kaiserreich vorherrschende Stilistik wurzelt zum Teil noch in althergebrachter Karikaturen-Tradltion. Da tauchen etwa jene Landkarten auf, in denen Könige und Schlachtenlenker – stellvertretend für ganze Völker – agieren. Nostalgie kommt aber schon in dieser Abteilung nicht auf, haben doch die Plakate des NS-Staats spätestens im Umfeld des 1. Weltkriegs deutliche Vorläufer, was Heroismus und Zynismus anbelangt.

In der Weimarer Republik, den eigentlichen Blütejahren der Plakatgestaltung, schlagen sich endlich auch zeitgenössische Kunstströmungen nieder. Die Dynamik der Umbruchstimmung deutet sich etwa in Versuchen an, expressionistische oder futuristische Komponenten massenpsychologisch wirksam aufzubereiten. Die bewegte Polarisierung der Weimarer Zeit wird nach 1933 auch formal abgelöst von der statischen Bildsprache eines verlogenen Klassizismus‘. Mit den Kriegsjahren brechen dann wieder hektischere Ausdrucksmittel durch. Man vergleiche etwa die fast angstvoll zittrige Schrift von „Der Feind sieht Dein Licht. Verdunkeln!“, das vor den Luftangriffen warnt, mit den bis dahin gebrächlichen, trutzig-„eisern“ wirkenden Schriftblöcken.

Den Zeitumständen entsprechend, werden die Plakate der unmittelbaren Nachkriegszeit karg. Sie sind mitunter nur auf Litfaßmaß gebrachte Flugblätter und Bekanntmachungen. Schließlich Plakate aus jüngster Zeit: Parteien und Personen werden immer deutlicher nach Art der Markenartikel-Werbung „verhökert“. Beispiel für den Verzicht auch auf holzschnitthafte Argumente: ein CSU-Poster, auf dem ein hübsches Mädchen lächelt. Darunter steht nur: „Lichtblick“. Wahrhaftig überzeugend…

Die Ausstellung wird heute abend mit einem Referat von SPD-Bundesgeschäftsführer Dr. Peter Glotz eröffnet, dauert bis zum 23. September und geht dann auf Rundreise durch NRW. Interessiert zeigte sich auch das Goethe-Institut in Amsterdam. Das Katalogbuch erscheint in einem Dortmunder Verlag und kostet 29,80 DM.




Kriegspropaganda auf Postkarten – Ausstellung in Witten

Von Bernd Berke

Witten. Andächtig steht das kleine Mädchen vor dem Wandbild: „O du mein Hindenburg!“ lautet die schmachtende Unterzeile. Was aus heutiger Sicht wie Satire wirkt, muß vor dem (tod)ernsten Hintergrund der Entstehungszeit gesehen werden.

Die kitschbunte Postkarte gehört zu einer Ausstellung, die ab Montag im Wittener Märkischen Museum zusehen ist und sich unter dem Titel „Schwarz-weiß-rot Heldentod“ dem Ersten Weltkrieg und seiner Propagierung auf Postkarten widmet.

Rund 1500 dieser Trivial-Dokumente für den sprichwörtlichen „kleinen Mann“ hat man in Witten zusammengetragen (das Museum kooperierte dabei mit der VHS Witten-Wetter-Herdecke). Hinzu kommen 500 weitere Belege – vom Mobilmachungsbefehl bis zum „Entlausungs-Paß“.

Vorteil: Die Postkarten lassen, anders als hochoffizielle Dokumente und aller Deutschtümeiei zum Trotz, manches vom Alltag der Soldaten und der Zivilbevölkerung ahnen. Nachteil: Kritische „Reflexion“ kommt fast überhaupt nicht vor. Hilfestellung gibt diese Ausstellung nur in Ansätzen. Ein aufschlüsselnder Katalog ist unbezahlbar. Lediglich einige Arbeiten von Otto Dix beziehen sich unmittelbar auf die Schrecken des Krieges. Alles andere muß „gegen den Strich“ betrachtet werden.

Sämtliche Exponate stammen aus dem Eigenbesitz des Wittener Museums. Einiges befindet sich schon seit 1918 in seinen Mauern. Zahlreiche Stücke sind während der dreieinhalbjährigen Vorbereitungszeit hinzugekommen. Museumsleiter Dr. Wolfgang Zemter tat sich auf Auktionen um, wenn irgendwo alte Postkarten offeriert wurden. Viele Bürger schauten in ihren „Privatarchiven“ nach und steuerten manche Raritäten bei, die der Ausstellung einen starken Lokalbezug verleihen. So fand sich zum Beispiel ein Foto, auf dem tausende von Pickelhauben „made in Witten“ säuberlich aufgeschichtet ihrer Bestimmung harren. Makaber auch, daß nicht einmal Geburtstagskarten der kriegerischen Motive entraten konnten: „Herzlichen Glückwunsch“ mit U-Boot.

Eine Erkenntnis, die man dieser Ausstellung abgewinnen kann, ist die, daß manch eine Propaganda-Form des deutschen Faschismus schon zwischen 1914 und 1918 bis zur Verwechselbarkeit vorgeprägt war. So sandten die (natürlich strenger Postzensur unterliegenden) Frontsoldaten aus Osteuropa Karten, die „Russische Typen“ (Originalzeile) zeigten – Vorform der widerlichen „Untermenschen“-Hetze der Nazis. Die Kaiserreich-Farben Schwarz, weiß und rot tauchten eben nicht zufällig in den Fahnen wieder auf, die den Nazis voranflatterten.




Experte: „Löwen-Evangeliar“ wird Ausstellungen nicht schadlos überstehen – Vorschlag: „Lieber eine Kopie zeigen“

Von Bernd Berke

Bremen. Gerhard Knoll schlägt Alarm: „Das Evangeliar Heinrichs des Löwen wies bereits beim Kauf deutliche Schäden auf. Um das zu merken, muß ich nur flüchtig die Abbildung im Auktionskatalog ansehen.“ Schlimmer noch: Wenn das „teuerste Buch der Welt“ demnächst – wie beabsichtigt – an mehreren Ausstellungsorten gezeigt werden sollte, werde es „wohl noch weit schwereren Schaden nehmen“.

Gerhard Knoll ist Leiter der Handschriftenabteilung und der Restaurierungswerkstatt der Bremer Uni-Bibliothek. Der Experte ist über Zustand und Erhaltung der im Dezember 1983 für 32 Millionen Mark bei „Sotheby’s“ in London ersteigerten mittelalterlichen Handschrift besorgt.

Knoll, der ausdrücklich „nur als Privatperson zitiert werden“ mag, gestern zur WR: „Falls das Original gezeigt wird, gibt es einen spektakulären Zuschauerandrang. Keine Klimaanlage verkraftet das.“ Stücke wie das Evangeliar seien aber höchst klimaempfindlich; das Pergamentpapier vertrage kaum Temperatur-Schwankungen. Die großen Wittelsbacher- und Staufer-Ausstellungen hätten zum Beispiel eindeutig Schadspuren an den Exponaten hinterlassen.

Allein die Beleuchtung setze den im Mittelalter aufgetragenen Farben mächtig zu. Gerhard Knoll: „Ganz übel wird es, wenn ein Stück auf Tournee geht. An jedem Ort herrschen andere Bedingungen.“ Das teure Evangeliar werde dann einem klimatischen „Wechselbad“ ausgesetzt. Vermutliche Folge: „Die Handschrift wäre ein für allemal dahin, denn es gibt für solche Stücke noch immer keine erfolgversprechenden Restaurierungs-Methoden.“

Knoll fürchtet, daß Politiker, die die Ersteigerung des Evangeliars veranlaßt haben, solche Warnungen in den Wind schlagen werden: „Die Herren werden ihre kulturelle Großtat gebührend feiern und die Handschrift möglichst oft herzeigen wollen“, schwant es dem Fachmann. Knolls Vorschlag: Schnellstens ein Faksimile (getreue Nachbildung) erstellen, damit Wissenschaftler sich an die Auswertung begeben könneu. Und weiter: „Mit einem Faksimile könnte man auch schöne Ausstellungen machen.“ Zu behaupten, der Steuerzahler habe ein Recht, das Original zu besichtigen, sei unsinnig. Knoll: „Der Steuerzahler finanziert so manches – und bekommt es dann nie zu sehen.“

Den Einwand, daß etwa das Land Bayern seinen Anteil am Kaufpreis sperren könnte, sollte das Original nicht auf seinem Boden zu sehen sein, läßt Knoll nicht gelten: „Da wird sich eben zeigen, ob ein kulturpolitischer Propaganda-Effekt höher bewertet wird als die Erhaltung eines historischen Dokuments.“

Knoll, der sich wegen seiner kritischen Anmerkungen an seinem Wohnort Bremen schon mit einer Gegendarstellung in der örtlichen Presse hat auseinandersetzen müssen, schätzt den Wert des Heinrichs-Evangeliars auch in dessen gegenwärtigem Zustand eher zurückhaltend ein: „Es gibt qualitätvollere Evangeliare.“ Der für das „Löwen“-Evangeliar gezahlte hohe Auktionspreis bringe jedenfalls „den ganzen Markt durcheinander“. Daraus schöpft Knoll allerdings auch eine schwache Hoffnung: „Vielleicht muß die Versicherungssumme so hoch angesetzt werden, daß man doch auf mehrere Ausstellungen verzichtet.“




Aus den Schatzkammern Perus – Villa Hügel zeigt: „Kunst und Kultur im Lande der Inka“

Von Bernd Berke

Essen. Museen in aller Welt wollten diese unermeßlichen Schätze zeigen. Doch Washington, London, Brüssel und andere Metropolen müssen auf dieses Ausstellungsereignis verzichten: „Peru durch die Jahrtausende“, ein überwältigender Querschnitt durch „Kunst und Kultur im Lande der Inka“ und die bei weitem größte, außerhalb des Ursprungslands gezeigte Ausstellung über den Andenstaat, ist (nach Station in Oberösterreich) ab heute in der Essener „Villa Hügel“ zu bewundern.

Mit dieser Schau wollen die Peruaner für Forschungshilfe aus den deutschsprachigen Staaten danken. Kaum zu erwarten, daß in unseren Breiten jemals wieder ein so umfassender, repräsentativer Überblick zu diesem Thema gezeigt werden kann.

Die Ausstellung umfaßt weit über 3000 Jahre peruanische Kulturgeschichte – von den ersten Anfängen der Zivilisation (etwa 2300 v. Chr.) über die großen Kulturen der Vor-Inka-Zeit (Chavin, Frias, Nazca usw.) und Zeugnisse des legendenumwobenen, doch relativ kurzlebigen Inka-Reichs seilst (ab etwa 1200 n. Chr.), bis hin zur Zeit der Eroberung Perus durch die spanischen Konquistadoren, die übrigens die meisten Goldschätze einschmolzen (16. Jhdt. n. Chr.). Ein Ausblick auf heutige Probleme Perus rundet die Ausstellung ab.

Allein 540 Kostbarkeiten stammen aus peruanischen Sammlungen. Sie werden ergänzt durch Exponate aus den wichtigsten deutschen Völkerkundemuseen. Insgesamt sind über 800 Stücke ausgestellt. Nicht nur Laien, auch Fachleute werden jetzt laut Ausstellungsorganisator Dr. Ferdinand Anders (Klosterneuburg, Österreich) von Lehrmeinungen oder Legenden Abschied nehmen müssen (apropos: auch Erich von Däniken, der immer noch behauptet, in der Vorzeit seien „Außerirdische“ in Südamerika gewesen, fand sich gestern zur Vorbesichtigung ein). Neueste Grabungskampagnen in Peru, so Dr. Anders, ließen in Kürze sensationelle Aufschlüsse erwarten.

Die wichtigsten Ausstellungsstücke können hier nicht annähernd aufgezählt werden. Am überraschendsten: ein silbernes Kleinod, das immer noch als Taufschale verwendet wird, und zwar in der Nicolaikirche in Siegen! Das am höchsten versicherte Stück ist indes die „Venus von Frias“, das wertvollste peruanische Einzelstück aus Gold (22 Karat) überhaupt.

Es beginnt mit Streiflichtern zur Landeskunde, gefolgt von Figurinen mit historischen Trachten. Derart eingestimmt, kann man chronologisch Kunst- und Handwerksgegenstände (oder auch: durch Bandagierung spitz gemachte Schädel usw.) der verschiedensten Epochen Revue passieren lassen.

Drastische Sexualdarstellungen stehen neben bizarren Statuetten verkrüppelter Menschen oder Szenen, die Priester beim Menschenopfer zeigen. Stelen und Obelisken sind als Kopien zu sehen. Mit einfachen Mitteln wird größtmögliche Ausdruckswirkung erzielt: Dies belegen zahlreiche Keramik-Arbeiten in unglaublich fein abgestuften Pastelltönen, von großen Fertigkeiten zeugende Metallarbeiten oder auch ein Poncho aus bunten Vogelfedern.

„Peru durch die Jahrtausende“. Villa Hügel, Essen. 29. Februar bis 30. Juni, Katalog 32 DM. Tägl- außer Mo. 10-18 Uhr, ab 16. April 10-19 Uhr (auch montags).




„Die Gleichschaltung der Bilder“ – Pressefotos in der NS-Zeit

Von Bernd Berke

Essen. Mal wurde dem Göring der Schmerbauch wegretuschiert, mal ein Foto, das Hitler mit Brille zeigte, nicht freigegeben. Doch meist bedurfte es solch eindeutiger Manipulationen gar nicht: „Die Gleichschaltung der Bilder“ – so der Titel einer jetzt in Essen eröffneten Ausstellung mit Pressefotos – erfolgte ab 1933 vielfach ohne große Reibungsverluste.

Die Originale und Reproduktionen aus Illustrierten sollen ausschnittweise die Art der journalistischen Bildberichterstattung zwischen 1930 und 1936 dokumentieren. Die Exponate, zusammengestellt vom „Berliner Forschungsprojekt zur Geschichte der Pressefotografie“, waren bisher nur an der Spree zu sehen.

Die begrenzte Auswahl kann nur Schlaglichter auf die Problematik werfen. Zuweilen vermißt man ausführlichere, erläuternde Texte. Dennoch ahnt man, daß die faschistischen Machthaber zwar im Oktober 1933 mit dem „Schriftleitergesetz“ die wenigen noch widersetzlichen Presseorgane ins Joch zwangen, sich im Großen und Ganzen aber auf die Selbstzensur der Journalisten verlassen konnten. Zudem wachte ein 23-jähriger SS-Mann als dilettierender Foto-Amateur gleich zum Leiter der Bildpressestelle im Propagandaministerium befördert, mit zwölf Hilfswilligen in der Pressemetropole Berlin über die Einhaltung der Zensur.

Illustriertenfotos, vor der Glanzzeit des Tonfilms wohl das schlagkräftigste Medium, erlebten in den letzten Jahren der Weimarer Republik ihre eigentliche Blütezeit. Doch von wenigen Ausnahmen abgesehen, kaprizierte man sich schon vor 1933 auf Harmlosigkeiten oder auf vermeintlich unpolitische Sensations-Bebilderung, so daß der Übergang zu den „Kraft-durchFreude“-Illustrationen der NS-Jahre fast nahtlos erfolgen konnte. Außerdem: Durch neue Textzeilen konnte ein und dasselbe Bild einen genehmen Sinn erhalten.

Prof. Diethard Kerbs, Leiter des Projekts Pressefotografie, sucht nach weiterem Belegmaterial (Kontaktadresse: Schillerstraße 10, 1000 Berlin 12). Dies sei umso notwendiger, als die größten Bilddienste sehr einseitig archiviert hätten. Kerbs: „Vom Vorzeige-Militär Mackensen gibt es noch Hunderte von Fotos, von Carl von Ossietzky nur einige wenige.“

„Die Gleichschaltung der Bilder“. Pressefotografie 1930-36. Alte Synagoge, Essen, Alfredistraße, bis 11. März.




Aus dem Kriegsgebiet ins Bonner Landesmuseum: „Frühe Phöniker im Libanon“

Von Bernd Berke

Bonn. Im 14. Jahrhundert vor Christus bebte im heutigen Libanon die Erde. In einem Haus sackte der Fußboden ab, drei Bewohner stürzten in den Keller. Ein Teil ihrer Habe, damals ebenfalls unter Schutt begraben, ist (neben anderen, unschätzbar wertvollen Stücken), seit gestern in Bonn zu besichtigen.

Die Ausstellung „Frühe Phöniker im Libanon“ darf trotz ihrer Überschaubarkeit (etwa 130 Exponate) als Großereignis gelten: Seit 1963 gruben bis zu 18 Mitarbeiter im Namen des Instituts für Vor- und Frühgeschichte der Uni Saarbrücken auf dem Tell Kamid el-Loz (südlich der Straße von Beirut nach Damaskus). Sie stießen auf einem Palast, einen Tempel und sogar auf eine Art „Stadtarchiv“. Die Funde aus diesen Gebäuden werden jetzt erstmals öffentlich gezeigt.

Gäbe es den Libanonkrieg nicht, wäre eine solche Ausstellung in der Bundesrepublik undenkbar. Weil aber die Stücke in den Wirren Beiruts nicht sicher geborgen geschweige denn gezeigt werden können, übergaben die libanesischen Behörden das wertvolle Gut dem Saarbrücker Expeditionsleiter Prof. Rolf Hachmann, der es bis zu einem erhofften Friedensschluß im Nahen Osten treuhänderisch verwaltet und dann zurückgeben wird.

Was gibt es zu sehen? Funde aus der älteren Eisenzeit (etwa 1200-800 v.Chr.) und aus der Spätbronzezeit (etwa 1550-1200 v. Chr.): Schmuckgegenstände aus Elfenbein (zur Entstehungszeit gab es noch Elefanten im Grabungsgebiet); Statuetten, deren Züge weitaus lebendiger wirken als die der stilisierten ägyptischen Gegenstücke. Außerdem Gefäße aus Glas, Krüge und Öllampen aus Ton, einige elfenbeinerne Spielbretter (bevorzugtes Spiel der Phöniker unbekannt), Dosen in Entenform, Teile eines Schuppenpanzers und, und, und…

Rolf Hachmann, der in Bonn nur einen Bruchteil seines „Lebenswerks“ (17 Grabungskampagnen in 20 Jahren) zeigen kann, nimmt die Phöniker – lateinisch inspirierte Lesart: Phönizier – „in Schutz“: „Dieses Volk hat eigenständigere Formensprache entwickelt, als dies bisher geglaubt wurde. Die Phöniker haben Anregungen aus Ägypten und Mesopotanien zwar aufgenommen, aber auch weiterentwickelt.“ Die als Handelsgenies („Großversand des Mittelmeerraums“) und Erfinder der Lautschrift bekannt gewordenen Phöniker „haben auch nicht, wie man früher annahm, nur entlang der Küste gesiedelt, sondern auch im Landesinneren.“ Vermutliche Staatsform: lokale, auf kleine Siedlungen beschränkte Königtümer.

Professor Hachmann ist auch nach 20 Jahren nicht immer ungefährlicher Grabungs-Kampagnen unverdrossen: „Im März machen wir weiter, falls es die politische Lage zuläßt.“

„Frühe Phöniker im Libanon“, Rheinisches Landesmuseum Bonn, Colmantstraße, bis 22. Januar 1984 (danach u. a. in Berlin und München), Katalog 20 DM.




Neu in Wuppertal: Museum für Frühindustrialisierung

Von Bernd Berke

Wuppertal. Der Weg führt durch eine Gasse zwischen Stellwänden. Plötzlich weitet sich der Raum, und man steht vor dem Modell eines Bürgerhauses. So sinnfällig stellt das neue und bundesweit einzige „Museum für Frühindustrialisierung“, das am Sonntag in Wuppertal seine Pforten öffnet, nicht nur den Gegensatz zwischen Enge und Großzügigkeit von Arbeiter- und der Bürgerviertel dar.

„Anfassen erwünscht!“, lautet das Motto in dem alten Fabrikgebäude, das nun mit dem direkt benachbarten Engels-Haus Wuppertals „Historisches Zentrum“ bildet. Im Blickpunkt steht die Zeit zwischen 1780 und 1850, als speziell der Wuppertaler Raum ein Zentrum der Frühindustrialisierung war, bevor die Region in Sachen Industrialisierungsgrad vom Ruhrgebiet überholt wurde.

Was man hier auf gut 500 Quadratmetern in vorerst drei Etagen an eindrucksvollen Zeugnissen des Übergangs von handwerklicher zu industrieller Fertigungsweise zusammengetragen hat, nennt Museumsleiter Michael Knieriem – in Anlehnung an den Begriff Industrie-„Archälogie“ – „Leitfossilien der Industrie-Entwicklung“.

Im Eingangsbereich hängt eine alte Stechuhr, Symbol für Zwangsverhältnisse in der Arbeitswelt, deren Relikten die nächsten Räume gewidmet sind. Es beginnt mit dem Nachbau eines Textilkontors von 1840, mit historischen Spinnmaschinen und Webstühlen, vom handbetriebenen 1840er Exemplar bis zu automatisierten Modellen.

Sodann wird die Entwicklung vom nüchternen Zweckbau zum protzigen Fabrik-„Schloß“ nachvollzogen. Auch Alltagsgeschichte, so etwa Wohnverhältnisse und Eßgewohnheiten der Mensehen, wird anschaulich dargestellt. Überhaupt zeichnet sich dieses Museum dadurch aus, daß nicht bezuglos hingestellte Maschinen seinen Kern ausmachen, sondern Interesse für die Veränderungen, die das Leben der Menschen durch die Maschine erfuhr. Klar, daß in diesem Zusammenhang auch Wuppertals berühmtester Sohn, Friedrich Engels, nicht Übergängen wird.

Der Besucher soll in die Lage versetzt werden, sich die Ausstellungsstücke „selbst anzueignen“ – durch Lektüre der Begleittexte, mit Hilfe einer Diaschau, durch Beobachtung der Maschinenbewegungen, durch Beschäftigung mit Originalschriftstücken und graphisch hervorragend gestalteten Schautafeln. Auch die Spielfreude kommt nicht zu kurz: Bildern aus der Wuppertaler Vergangenheit sollen Fotos von heute zugeordnet werden. Erster Preis: Die Erkenntnis, daß historische Bauten fast restlos verschwunden sind.

Erstaunlich die niedrigen Kosten für die 1979 im Rat beschlossene Einrichtung: alles in allem 1,6 Mio. DM, davon rund eine Million vom Landschaftsverband Rheinland.




„Ereignis-Karikaturen“: Geschichte in spöttischen Bildern

Von Bernd Berke

Münster. Eine Wildsau mit preußischer Pickelhaube steckt in der Falle, auf der „Verdun“ steht. Bismarck geht von Bord eines Schiffs, spielt Schach gegen den Papst. Napoleon trifft am Rande des Schlachtfelds ein Skelett.

360 sinnfällige Beispiele dafür, wie Zeichner zwischen 1600 und 1930 komplizierte politische und gesellschaftliche Vorfälle mit variiert wiederkehrenden Ausdrucksmitteln karikieren, sind ab Sonntag im Münsteraner Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte zu sehen. „Ereignis-Karikatur“ heißt die Ausstellung.

Die bissig-oppositionellen, in nationalen Hurrah-Zeiten oft aber auch offiziös-propagandistischen Drucke stammen zu zwei Dritteln aus dem Fundus des Landesmuseums. Leihgaben kamen unter anderem vom Dortmunder Institut für Zeitungsforschung. Besonders interessant für Revierbewohner: Spottbilder aus der Zeit des „Ruhrkampfs“.

Die Vorbereitung dauerte zwei Jahre. Damit die große Zeitspanne einigermaßen repräsentativ erfaßt werden konnte, mußten tausende von Karikaturen gesichtet werden. Da die Akzente überdies auf Regional-, National- und Kontinental-Historie liegen, hatte man ein weites Feld zu beackern.

Dennoch mutet die getroffene Auswahl nicht zufällig an. Grundforme(l)n dessen, was immer wieder aus spitzen Federn floß, werden erkennbar. Etwa die „Axt am Baum der Freiheit“: Nicht nur Innenminister Zimmermann setzt sie in neuesten Karikaturen an. Dieses Motiv war schon im 17. Jahrhundert geläufig. Epochenübergreifendes Bildmuster auch: Einzelpersonen werden stellvertretend für im Krieg unterlegene Heere verhauen oder bekommen Kanonen zum Frühstück serviert. Übrigens: Spruchblasen – Urelement der späteren Comics – tauchten seit dem 17. Jahrhundert vermehrt auf.

Der Besucher muß viel Zeit mitbringen. Die Beleuchtung (vorschriftshalber matte 50 Lux) ist schwach, die Zeichnungen erfordern indessen genaues Hinsehen. Das Landesmuseum leistet jedoch dreifache Hilfestellung zum besseren Verständnis: Im Katalog (35 DM) wird der historische Hintergrund jedes einzelnen Exponats dargestellt. Eine Diaschau in den Ausstellungsräumen vertieft das Gesehene (man sollte sie erst zum Schluß anschauen, sonst verblaßt die Wirkung der teilweise sehr kleinen Original-Drucke). Schließlich findet sich unter jedem Bild eine Kurz-Erläuterung.

Westfälisches Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte (Münster, Domplatz 2): „Ereignis-Karikatur“. Geschichte in Spottbildern 1600-1930. Bis 13. November.




Geschichte der türkisch-westfälischen Beziehungen – Ausstellung in Münster

Von Bernd Berke

Münster. Westfalen und Türken haben es nicht erst miteinander zu tun, seitdem die „Gastarbeiter“ gerufen wurden. Daß es vielmehr eine lange (und schlachtenreiche) Tradition solcher Wechselbeziehungen gibt, belegt die gestern eröffnete Ausstellung „Münster, Wien und die Türken“.

Vor 300 Jahren standen Heerscharen des „Osmanischen Reichs“ (heutige Türkei) als „Bedrohung der Christenheit“ vor den Toren Wiens. So sahen es wenigstens die mitteleuropäischen Herrscher, die im Geist der Kreuzzüge zur Verteidigungsschlacht und dann zum Eroberungskrieg bliesen. Die Ausstellung in Münster erinnert – als einzige in Deutschland – an das Jahr 1683, in dem auch münstersche Bäckerjungen an der Verteidigung Wiens mitgewirkt haben sollen.

In späteren Kriegen fochten Münstersche Söldner fürs „Abendland“. Das Jahr 1916 markiert einen weiteren Einschnitt: Damals wurde in Münster eine deutsch-türkische Gesellschaft ins Leben gerufen, zur Zeit der „Waffenbruderschaft“ im 1. Weltkrieg.

Die etwa 200 Exponate stammen nur aus deutschen Privatsammlungen. Türkischen Museen ist es verboten, Leihstücke außer Landes zu geben. Doch auch so hatte Hans Galen, Leiter des Stadtmuseums, die Qual der Wahl: „Wir können nur einen Bruchteil zeigen“.

Eins der wertvollsten Stücke ist das „Große Heeresbanner“ von 1810, aus einer sogenannten „Türkenbeute“. Ein Raum ist der streng hierarchisch bestimmten osmanischen Trachtenordnung gewidmet, im Münzkabinett kann man die Historie im Spiegel der Prägekunst Revue passieren lassen. Beutestücke, Original-Porträts der handelnden Personen sowie Schrift-Dokumente runden die Schau ab.

Zu kurz kommt der Ausblick auf das heutige Verhältnis von Türken und Deutschen. Lediglich ein paar Fotos zeigen Arbeits- und Wohnsituationen. Schier unmöglich ist es daher, die Verbindungslinie zu den anderen Exponaten zu ziehen, die übrigens ohne den (sehr preiswerten) Katalog auch nicht immer „für sich sprechen“. Im Katalog finden sich übrigens keine türkischsprachigen Erläuterungen…

Stadtmuseum Münster: „Münster, Wien und die Türken 1683-1983″, bis 21. August, täglich 10 bis 13 und 15 bis 18 Uhr, mittwochs bis 20 Uhr, montags geschlossen; Katalog 14DM.




Makulatur für die Nazi-Flammen – In Dortmund verlief die Bücherverbrennung 1933 nicht reibungslos

Von Bernd Berke

Dortmund. In den Universitätsstädten hatte man die Sache am 10. Mai 1933 „erledigt“. Pg. (Parteigenosse) Woelbing sollte die Dinge in Dortmund vorantreiben. Seit März war Woelbing Leiter der örtlichen „Bibliotheks-Prüfungskommission“.

Mit Briefkopf der NSDAP-Gauleitung Bochum lud der Studienrat den Dortmunder Magistrat zu einem besonderen Schauspiel ein. Das Spektakel, so versicherte der Schreiber am 29. Mai 1933 ordnungshalber, werde „pünktlich um 21 Uhr“ beginnen. Am gleichen Tag erging in der Dortmunder „Tremonia“ eine an Lehrer und Erzieher gerichtete „dringende Aufforderung, dieser symbolischen Handlung beizuwohnen“.

Am Abend des 30. Mai war es soweit: Über 5000 Bücher, die überwiegend aus dem sozialdemokratischen Volkshaus in der Kampstraße stammten, wurden auf dem Dortmunder Hansaplatz verbrannt. Beteiligt: SA, SS, Hitlerjugend, BDM und NS-Lehrerbund sowie angeblich Tausende von Zuschauern. Die „Westfälische Landeszeitung/Rote Erde“ (Titel des gleichgeschalteten Ex-„Generalanzeigers“) jubelte am 31. Mai weisungsgemäß: „Undeutscher Geist ging in Flammen auf“, zitierte aus den Festreden und druckte einen von den Schülern des Bismarck-Realgymnasiums im Flammenschein vorgetragenen Sprechchor aus der Feder des Studienreferendars Kaiser ab, der an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig ließ: „Wir aber wollen sie töten“, raimte Kaiser auf „falsche Propheten“.

„Undeutscher Geist“, „falsche Propheten“ – das waren für die Nazis u.a. Bertolt Brecht, Alfred Döblin, Sigmund Freud, Erich Kästner, Heinrich Mann, Kurt Tucholsky und zahllose weitere Autoren. Sämtliche Namen, die in der Literatur Rang hatten, tauchten auf den „Säuberungslisten“ auf.

Obgleich sie so genau zu wissen glaubten, was „undeutsche“, „marxistische“, „zersetzende“oder „Asphaltliteratur“ sei, verfingen sich die Faschisten anfangs in heillosem Chaos: Nicht weniger als 40 Staats- und Parteistellen sprachen bis 1934 über 4100 Buchverbote aus. Was die eine Stelle noch durchgehen ließ, setzte die andere schon auf den Index.

Dennoch waren die als „Bücherverbrennung“ bekanntgewordenen Barbareien straff organisiert. Nichts blieb hier dem Zufall überlassen. Der Zeitplan der deutschen Studentenschaften, die nach Winken aus dem Berliner Propaganda-Ministerium in allen Universitätsstädten für die „Durchfiihrung“ sorgten, war penibel: am 12. April hatte die Veröffentlichungskampagne zu beginnen, ab 26. April waren die für das Feuer bestimmten Bücher „einzusammeln“ (was unter Mithilfe oder Duldung der Polizeikräfte geschah), am 10. Mai sollte das Feuer lodern, und zwar nach reichseinheitlich vorgeschriebenem Ritual – mit Hetzreden, Absingen des Horst Wessel-Liedes und dem pathetisch formelhaften Spruch: „Ich übergebe der Flamme die Schriften von … “

In Dortmund hatten es die braunen Machthaber nicht ganz so einfach. Neben einer starken sozialdemokratischen Tradition gab es einen weiteren hemmenden Faktor: Dortmund hatte keine Hochschule mit rechtsgewirktem Studentenbund, sondern lediglich die Pädagogische Akademie – und die galt als links.

Auch die „Säuberung“ der Dortmunder Stadt- und Landesbibliothek erfolgte nicht reibungslos im Sinne der Nazis. Heinrich Schulz, damals Leiter der Volksbüchereien, legte zwar am 19. Mai 1933 „ergebenst in neun Durchschlägen“ eine schwarze Liste vor und bat um parteiamtliche Bestätigung, holte dann aber hauptsächlich Makulatur aus den Regalen, die ohnehin ausgelagert werden sollte. Die Brandstifter vom 30. Mai merkten nichts.

Die NS-Bücherverbrennung war kein isoliertes Ereignis. Sie reiht sich – als besonders inhumane Tat – in die lange Geschichte der Zensurakte ein. Heinrich Heine (auch seine Bücher wurden 1933 verbrannt) schrieb schon im 19. Jahrhundert prophetisch: „Das war ein Vorspiel nur; dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende auch Menschen.“