Viele Gründe zum Entsetzen: Dortmunder Ausstellung „Der Alt-Right Komplex – Über Rechtspopulismus im Netz“

Bibliothek des Hasses: Nick Thurston „Hate Library“, 2017 © the artist.

Eine Bibliothek des Hasses: Nick Thurston „Hate Library“, 2017 © the artist

Ungeheure Naturgewalten brechen über die Menschheit herein. Wilde Raubtiere zerreißen ihre Beute. Innere und äußere Feinde zersetzen die ganze Gesellschaft. Immer und immer wieder stürzen solche Szenen einer allseits bedrohten Welt auf die Betrachter ein. Woher stammen sie, was soll das alles? Wer will uns da fürchterlich Angst machen?

Nun, wir sehen auf etlichen Bildschirmen, wie sich ein gewisser Steve Bannon (weltberüchtigter Rechtsaußen und zeitweise höchster Berater von Donald Trump) die Apokalypse vorstellt oder besser: Dieser Mann will durch filmischen Dauerbeschuss erreichen, dass sich möglichst viele Leute das nahende Ende so vorstellen und nach brutal starken Ordnungsmächten rufen. Der niederländische Künstler Jonas Staal hat derlei Untergangs-Phantasien auf ihre optischen Begriffe gebracht, indem er die wiederkehrenden „rhetorischen“ Muster kenntlich macht, mit denen Bannon seine Propaganda betreibt. Ein Lehrstück, fürwahr. Und es bleibt nicht das einzige.

Inke Arns, Leiterin des Dortmunder Hartware MedienKunstVereins (HMKV), hat die neue Ausstellung kuratiert, welche sich anhand von 12 internationalen Kunstprojekten ebenso intensiv wie abwechslungsreich mit dem „Alt-Right Komplex“ befasst.

Ausstellungsplakat zu „Der Alt-Right-Komplex – Über Rechtspopulismus im Netz“ (Design: e o t . essays on typography)

Dröhnende Stimmen: Ausstellungsplakat zu „Der Alt-Right Komplex – Über Rechtspopulismus im Netz“ (Design: e o t . essays on typography)

Eine „Bibliothek“ voller Hasstiraden

So oder so ist gar manches erklärungsbedürftig, sofern man bislang noch nicht tiefer durch jenen globalen Ideologie-Sumpf gewatet ist. „Alt-Right“ steht für die vielfältigen Formen und Auswüchse einer „alternativen Rechten“, insbesondere in den USA. Mehr als nur ein paar Ausläufer reichen freilich auch nach Europa, wo rechte Netzwerke sich in einer Art Kulturkampf anschicken, Demokratie und europäische Einigung zu unterminieren. Auch das virulente Gezerre um den Brexit gehört letztlich in diesen Zusammenhang. Was sich da, vorwiegend im Internet, überaus giftig zusammengebraut hat, lässt den Untertitel der Ausstellung („Über Rechtspopulismus im Netz“) beinahe schon untertrieben erscheinen.

Man blättere nur in den ringsum auf Notenständern verteilten, dickleibigen Büchern der „Hate Library“ (Hass-Bibliothek), die Nick Thurston (England) aus europäischen Netzfunden zusammengestellt hat. Das Elend setzt sich auf Wandtafeln fort. Hier zeigen sich vieltausendfach die Abgründe der so genannten „freien Rede“ im Internet. Selbstredend anonym werden da die niedersten Instinkte ausgekotzt, seien sie rassistisch, sexistisch, antisemitisch, nazistisch oder sonstwie gewaltsam. Der Kontrast dieser Inhalte zu einer kultivierten Gesangs-Partitur ist natürlich schreiend; wenn auch nicht schreiend komisch.

Man fragt sich, warum solche Hetz-Portale und Seiten über Jahre hinweg weitgehend ungehindert bestehen dürfen. Und man könnte schon ob der schieren Menge solcher Entäußerungen depressiv werden – hier sehen wir zwar viele Beispiele, aber doch nur einen kleinen Ausschnitt der wahren Ausmaße. In solchen Foren haben sich auch die Massenmörder von Norwegen und Neuseeland (deren Namen bewusst weggelassen seien) umgetan. Dort haben sie sich mehr und mehr radikalisiert.

Schiere Überwältigung durchs Video-Gewitter

Einen anderen, geradezu entgegengesetzten Weg der Beschäftigung mit rechtsextremen Netz-Phänomenen hat das schweizerisch-österreichische Künstlerduo namens „Ubermorgen“ (sic! – mit „U“) gewählt. Sie setzen auf blanke Überwältigung mit einem rasenden Video-Gewitter aus rechtsradikalen Netz-Quellen. Das ist schwer auszuhalten – und auch die Möglichkeit, das Ganze per Mausklick zu verzerren und zu verlangsamen, schafft keine sonderliche Abhilfe. Die beiden Künstler nennen die Gruppe „Rammstein“ (in diesen Tagen wegen eines Musikvideos mit KZ-Anspielungen viral im Marketing) als einen Haupteinfluss. Diese Gruppe mit ihrem ständigen Reichsparteitags-Gehabe steht ebenfalls für ein Überwältigungs-Konzept. Kann es sein, dass die Gefahr, vom gesammelten Rechtsaußen-Stoff selbst fasziniert zu werden, auch bei „Ubermorgen“ nicht allzu fern liegt? Und zwar nicht erst (über)morgen, sondern schon heute.

Für den Rundgang sollte man sich Zeit nehmen. Hie und da gilt es, Videos möglichst ausgiebig anzuschauen. Selbst ohne Wartezeit in einer etwaigen Schlange dauert das ziemlich. Dieser Hinweis betrifft auch die Arbeit des Schweizer Theaterregisseurs Milo Rau, der die schrecklich ausführliche Gerichtsprozess-Erklärung des erwähnten norwegischen Attentäters ungerührt und geradezu „cool“ (Kaugummi kauend) von einer türkischstämmigen Schauspielerin lesen lässt – 78 quälende Minuten lang. Es erhebt sich die Frage, ob es hier wirklich um einen Wahnsinningen geht – oder nicht vielmehr um einen Überzeugungstäter. Einer von vielen Gründen zum Entsetzen: Hier kehren etliche Vorstellungen wieder, die auf breiter Front im Netz kursieren. Und man kann, ja muss sich ganz auf den Wortlaut konzentrieren. Eine heftige Herausforderung.

Wie nationalistische Aggression konstruiert wird

Paula Bulling und Anne König haben – mit den Mitteln eines Comics oder einer Graphic Novel – die Rolle dreier Frauen im Umkreis des NSU-Prozesses thematisiert. Dazu haben sie auch mit Gamse Kubaşık gesprochen, der Tochter des Dortmunder NSU-Mordopfers Mehmet Kubaşık. Die Arbeit, die bildlichen Spuren des eigentlich Unbegreiflichen folgt, ist eigens für die Dortmunder Ausstellung erweitert worden.

Auf den Spuren eines sonderbaren Flaggenkults: Die serbische Künstlerin Vanja Smiljanic hat sich zu Demonstrations-Zwecken eine Fahnenschwenk-Apparatur umgeschnallt. (Foto: Bernd Berke)

Auf den Spuren eines sonderbaren Flaggenkults: Die serbische Künstlerin Vanja Smiljanic hat sich zu Demonstrations-Zwecken ihre Fahnenschwenk-Apparatur umgeschnallt. (Foto: Bernd Berke)

Auch osteuropäische Positionen sind vertreten: Szabolcs KissPál (Ungarn) untersucht mit Fotografie, Video und Vitrinen-Objekten die Konstruktion eines aggressiven ungarischen Nationalismus‘, dessen Vertreter anno 1919 verlorene Gebiete wie Transsilvanien zurückerobern wollen. Erraten: Viktor Orbán und seine Fidesz-Partei zählen zu den Protagonisten dieser Richtung.

Die Serbin Vanja Smiljanic tritt derweil als „Ministerin“ der Cosmic People (religiös sich gebende UFO-Bewegung) für Ex-Jugoslawien, Portugal und dessen frühere Kolonien auf. Auch spürt sie der Flaggenverehrung in der christlich inspirierten „Flag Nation Society“ nach. Klingt etwas abgedreht? Tja. Was soll man da sagen? Seht selbst.

Die sich aufs Schlimmste gefasst machen

Der neuseeländische Künstler Simon Denny hat sich unterdessen Brettspiele auf den Spuren rechter Welteroberungs-Wünsche ausgedacht. Apropos: In der internationalen „Prepper“-Szene (von to prepare = sich vorbereiten / Leute, die sich aufs Schlimmste gefasst machen, so auch mit Waffenübungen) galt Neuseeland bislang als eine letzte Zuflucht, wenn alles zusammenbricht. Diese eh schon irrwitzige Hoffnung ist nach Christchurch auch gestorben. Die wutschnaubenden „Prepper“-Zurüstungen sind auch Thema im Video „RIP in Pieces America“ des Kanadiers Dominic Gagnon – ebenfalls eine im Grunde unfassbare Ansammlung aus Filmschnipseln, die inzwischen im Netz zumeist gelöscht sind. Aber es kommen ja immer wieder neue Ungeheuerlichkeiten nach.

Das alles verlangt nach übersichtlicher Einordnung. Einen solchen Versuch hat – allerdings wohl nicht im vollen Ernst – das Duo disnovation.org unternommen: Auf einer Art Landkarte haben Maria Roszkowska und Nicolas Maigret (Frankreich/Polen) ideologische (und quasi auch psychologische) Positionen auf den Achsen rechts-links und autoritär-libertär bildlich eingetragen, also verortet. Das reiche Spektrum umfasst auch Memes wie etwa Pepe, den Frosch, das Symboltier der Trump-Anhänger. Dumm nur, dass die wirkliche Welt nicht so ordentlich eingeteilt und somit berechenbar ist. Übrigens darf man einen Plakatdruck der „Landkarte“ kostenlos mit nach Hause nehmen.

Weiterer Erklärungs-Ansatz ist ein hochinteressantes Glossar, das eingangs der Ausstellung einige Begriffe, Plattformen, Symbole, Phantasien, Praktiken und Personen aus dem Alt-Right-Kontext erläutert. Auch da erfährt man Dinge, die man am liebsten gar nicht wissen möchte – wohl aber wissen sollte…

„Der Alt-Right Komplex – Über Rechtspopulismus im Netz“. Vom 30. März bis zum 22. September 2019 (Eröffnung: Freitag, 29. März, 19 bis 22 Uhr). Hartware MedienKunstVerein (HMKV), 3. Etage im „Dortmunder U“, Leonie-Reygers-Terrasse. Geöffnet Di-So 11-18 Uhr, Do/Fr 11-20 Uhr, Mo geschlossen. Eintritt frei. Internet: www.hmkv.de

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Bestandteil der Ausstellungs-Eröffnung: die Verleihung des angesehenen Justus Bier Preises für herausragende kuratorische Leistungen. Ausgezeichnet werden Inke Arns, Igor Chubarow und Sylvia Sasse – für die HMKV-Ausstellung „Sturm auf den Winterpalast – Forensik eines Bildes“.

 

 

 

 




Antlitz aus Fleischwurst, Schulter aus Birne: „Das Mädchen mit dem Perlenohrring“ und viele andere Kunstwerke als Brotbelag

Es war wirklich eine originelle Idee: berühmte Werke der Kunstgeschichte als Brotbelag nachzugestalten. Kaum unter einem #Hashtag lanciert, erwies sich der harmlose Spaß als „viraler Twitter-Trend“, wie man so palavert. Und wie das im Netz manchmal so geht, beteiligten sich alsbald Hunderte mit ihren Kreationen daran. Jetzt ist ein Buch daraus geworden; noch dazu im seit jeher kunstsinnigen Dumont-Verlag.

Den ersten Einfall hatte Marie Sophie Hingst, die nun als Herausgeberin des Bändchens fungiert. Ihr Debüt gab sie mit der vergleichsweise einfachen Übung, ein Bild von Piet Mondrian auf Brot nachzuahmen. Da mussten Käse- und Tomatenstücke halt nur rechteckig geschnitten werden, darunter lugte (gleichfalls als Rechteck) weißer Frischkäse hervor – und fertig war die essbare Chose. Der Impuls dürfte ähnlich lustvoll gewesen sein wie der eines Kindes, das beim Frühstück z. B. Tier-Umrisse aus Käse legt.

Nach und nach arbeitete und aß sich Hingst mit ihren zahlreichen Followern kulinarisch durch die Kunstgeschichte hindurch – von den Höhlenzeichnungen in Lascaux (man nehme dazu: Nuss-Nougat-Creme, Marmelade und Frischkäse auf Vollkorntoast) bis hin zu Verhüllungen à la Christo & Jeanne-Claude (Roggenmischbrot in der knittrigen Tüte).

Nicht alle Schöpfungen sind von gleicher Güte. Manche Belag-Kompositionen (etwa die „Mona Lisa“ aus Champignons, Brokkoli und Zucchini auf Graubrot) sind denn doch kläglich weit vom Vorbild entfernt. Es war aber auch eine schier übermenschliche Herausforderung.

Mitunter reicht ein Messerschnitt

Gar leichtes Spiel hatten hingegen die Adepten eines Lucio Fontana (einfach der unbelegten Toastscheibe einen Messerschnitt zufügen) oder Günther Uecker (Nägel ins Graubrot stecken – fertig!). Desgleichen simpel mutet Beuys‘ Fettecke an (richtig geraten: kantige Butterecke aufs Brot, sonst nix). Für Yves Kleins blaues Quadrat hätte man unterdessen lieber eine anders nuancierte Lebensmittelfarbe nehmen sollen…

Dürers „Betende Hände“ notdürftig in die Margarine zu ritzen, ist ebenfalls nicht gerade die Hohe Schule. Für Leonardo da Vincis „Das letzte Abendmahl“ Jesus und die Apostel mit (lediglich elf) bunten Gummibärchen auf Knäcke zu paraphrasieren, erscheint nahezu lästerlich. Viele Einfälle leben also quasi von der Chuzpe, mit der sie kurzerhand umgesetzt wurden.

Okay, man kann ja versuchen, das alles selbst besser zu machen. Öhm… tja. Ach, dazu fehlt einem einfach die Zeit.

Meerjungfrau mit Kieler Sprotte

Beginnen wir also zu loben: Liebevoll nachgebildet finden sich beispielsweise Dalís erschlafft hängende Uhren (hauchdünne Gurkenscheiben), Monets „Seerosenteich“ (Gurke, Frühlingszwiebeln, Spinat etc.) oder jene Meerjungfrau von John William Waterhouse, deren Fischschwanz just aus einer nonchalant hingelegten Kieler Sprotte besteht. Picasso geht in bestimmten Phasen immer: Man wirft die Zutaten einfach beherzt aufs Brot. Nein, nein, Scherz beiseite, auch das will gekonnt sein.

Meine beiden Lieblingsbilder sind jedenfalls: Erstens C. D. Friedrichs „Das Eismeer“, dessen Nachbildung freilich aufgrund ziemlich großer Salzmengen kaum genießbar sein dürfte. Und zweitens das Werk auf der Titelseite, Vermeers auch schon im Kinofilm ausgiebig gewürdigtes „Mädchen mit dem Perlenohrring“. Farblich kommt das Antlitz aus Fleischwurst zwar nicht so recht hin, aber allein das – Achtung, Schleichwerbung! – „Tic Tac“ als kostbare Perle hat schon ‚was.

Eins steht jedenfalls von vornherein fest: Brotlose Kunst ist das nicht.

Marie Sophie Hingst (Hrsg.): „Kunstgeschichte als Brotbelag“. Dumont Verlag. 112 Seiten, 100 farbige Abbildungen. 15 €.

 

 

 




Maschinen von gestern, verödet in der Zeit: Fotos von Ricarda Roggan in Düsseldorf

Ricarda Roggan: Garage 12, 2008. Courtesy Galerie EIGEN + ART Leipzig/Berlin and VG-Bildkunst, Bonn 2018

Ricarda Roggan:
Garage 12, 2008.
Courtesy Galerie EIGEN + ART Leipzig/Berlin
and VG-Bildkunst, Bonn 2018

Einst waren sie beweglich, voll Energie, wirkten dynamisch und lebendig. Jetzt sind sie starr, verödet, von der Zeit gezeichnet. Die Fotografin Ricarda Roggan hält sie in einem Moment ihrer verfallenden Existenz fest: Maschinen oder Automaten, ausgedient und abgestellt, längst überholte Hinterlassenschaften einer vergangenen Ära. In der Sammlung Philara in Düsseldorf sind die Fotos nun bis 17. März zu betrachten.

„Ex Machina“ heißt die Schau, und die vergessene Dingwelt der Bilder – Autowracks etwa, oder staubbedeckte Videospiel-Automaten aus der Anfangszeit der Digitalisierung – besteht aus technischen Artefakten, die „ex“ sind, ausgemustert. Aber der Titel will auch auf den antiken Theatereffekt des Gottes „aus der Maschine“ verweisen. Was damals zur Überraschung der Zuschauer als Wunder inszeniert wurde, soll in den Bildern wiederkehren: Überraschende Wendungen, Momente der Katharsis.

Ricarda Roggan: Reset 3, 2011. Courtesy Galerie EIGEN + ART Leipzig/Berlin and VG-Bildkunst, Bonn 2018

Ricarda Roggan:
Reset 3, 2011.
Courtesy Galerie EIGEN + ART Leipzig/Berlin
and VG-Bildkunst, Bonn 2018

Die 1972 in Dresden geborene Fotografin Ricarda Roggan studierte an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig. Darauf folgten zwei Jahre am Royal College of Art London im Photography Department. Ihre Arbeiten finden sich im Bestand öffentlicher Sammlungen wie in der Bundessammlung zeitgenössischer Kunst in Bonn oder der Fotografischen Sammlung des Museums Folkwang in Essen. Seit 2013 hat Ricarda Roggan eine Professur für Fotografie an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart inne.

Die Ausstellung „Ex Machina“ in der Sammlung Philara in Düsseldorf wird bis 17. März gezeigt. Sie ist im Rahmen einer 75minütigen Führung zu besichtigen: an Freitagen um 14 Uhr (deutsch) und 16 Uhr (englisch), an Samstagen um 14 und 16 Uhr (deutsch) und an Sonntagen um 12 Uhr (deutsch) und 15 Uhr (englisch). An Donnerstagen ist die Schau von 16 bis 20 Uhr ohne Führung zugänglich. Der Eintritt kostet zehn, ermäßigt fünf Euro.

Während des Düsseldorf Photo Weekends sind Ricarda Roggans Fotos zu folgenden Zeiten zu sehen: am Freitag, 8. März, 18 bis 21 Uhr; am Samstag, 9. März, 12 bis 20 Uhr; am Sonntag 10. März, 12 bis 18 Uhr.

Info:
www.duesseldorfphotoweekend.de
www.philara.de/de/aktuell

 




Bilanz mit Mut zur Lücke: Viel Eigenlob für „Pink Floyd“-Ausstellung – doch die Besucherzahl bleibt ein Geheimnis…

Das „Dortmunder U" am 14. September 2018, dem Eröffnungstag der „Pink Floyd"-Schau. (Foto: Bernd Berke)

Das „Dortmunder U“ am 14. September 2018, dem Eröffnungstag der jetzt beendeten „Pink Floyd“-Schau. (Foto: Bernd Berke)

Mit der „Pink Floyd“-Ausstellung (Untertitel „Their Mortal Remains“) wollte man im „Dortmunder U“ das ganz große Rad drehen. Am letzten Sonntag, 10. Februar, ist die mächtig beredete und beworbene Schau nach fünf Monaten zu Ende gegangen. Also war man gespannt, welche Besucherzahl am Schluss vermeldet werden würde. War die (sicherlich mindestens angepeilte) magische Marke von 100.000 erreicht oder übertroffen worden? Hatte man gar die insgeheim erträumten 130.000 bis 150.000 geschafft?

Und tatsächlich: Gleich montags wurde für heute zur bilanzierenden Nachbereitungs-Pressekonferenz eingeladen – mit dieser ausdrücklichen Zusicherung: „Wir möchten Ihnen die Besucherzahlen (…) gerne vorstellen…“ Prima. Als wenn ich etwas geahnt hätte: Den Termin habe ich nicht selbst wahrgenommen, sondern mich auf die städtische Pressemitteilung verlassen.

Und? Sag schon! Wie viele Besucher waren es denn nun? Keine Ahnung. Zwar hat die besagte Pressekonferenz heute stattgefunden, doch eine konkrete Besucherzahl wurde eben nicht verraten. Die Schau habe „Zehntausende Menschen“ angelockt. Das könnten 20.000 oder 60.000 sein. Beispielsweise. Wirklich seltsam, diese auffällige Zurückhaltung. Ist die Wahrheit etwa unangenehm? Ansonsten hieß es, es sei nach verhaltenem Beginn immer besser gelaufen. Gegen Schluss habe es lange Warteschlangen gegeben.

Aber wer braucht denn auch schnöde Besucherzahlen? Höchstens so ein paar neugierige Journalisten. Die Ausstellung und ihre Effekte konnten ja auch so über den grünen Klee gelobt werden. Stadtdirektor Jörg Stüdemann (in Personalunion Kulturdezernent und Stadtkämmerer) und Edwin Jacobs, Direktor des „Dortmunder U“, führten einige Punkte auf, die wohl nicht von der Hand zu weisen sind. Stichwortartig zusammengefasst:

  • Das „Dortmunder U“ sei landes- und bundesweit als Ausstellungsort ins Bewusstsein gerückt, und zwar sozusagen „mit einem Knall“ (Jacobs).
  • Erhoffte, vielleicht auch wahrscheinliche Folgewirkung: Man werde bei Verhandlungen im Vorfeld künftiger Ausstellungen in einer deutlich besseren Position sein.
  • Laut Besucherbefragung waren satte 97 Prozent mit der Schau zufrieden oder sehr zufrieden. Das wäre als Wahl- oder Abstimmungsergebnis schon beinahe unheimlich. Je etwa ein Drittel der Leute kam a) aus Dortmund/dem Ruhrgebiet, b) dem Rest des Landes NRW und c) aus anderen Bundesländern.
  • Organisation und Logistik hätten den Härtetest bestanden, es seien dabei viele neue Erkenntnisse gewonnen worden.

Alles gut und schön. Aber eine klitzekleine Frage hätten wir dann doch noch – auch, wenn es nervt: Wie viele Besucherinnen und Besucher hat die Ausstellung eigentlich gehabt?

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Nachtrag am 15. Februar 2019:

Selbstverständlich geht es nicht nur um die bloße Besucher(innen)zahl, sondern im Gefolge um handfeste Finanzfragen. Das ohnehin – Achtung, Modewort – „eingepreiste“ und dem Rat genannte städtische Finanzrisiko von 1 Million Euro dürfte spürbar überschritten werden. Das berichten u. a. dpa und die Ruhrnachrichten.

Vielleicht haben ja doch die recht hohen Eintrittspreise manche Leute vom Besuch der Ausstellung abgehalten? Der „krumme“ Normalpreis via Eventim betrug immerhin 29,76 Euro. Eine darauf abzielende Frage hatte „U“-Chef Edwin Jacobs bei der Eröffnungs-Pressekonferenz u. a. mit dem Hinweis auf die ungleich höheren Preise für Konzert-Eintrittskarten gekontert.

Ohne es den jetzigen Akteuren anlasten oder einen direkten Bezug herstellen zu wollen: Die Besucherzählung der Dortmunder Kulturbetriebe fürs „Dortmunder U“ war jedenfalls schon vor Jahren durch eine gewisse Eigenwilligkeit aufgefallen – dazu hier ein Bericht von 2016.




Was der Dortmunder Bildhauer Benno Elkan mit Tottenham Hotspur und dem FC Bayern München zu tun hat

Der Dortmunder Künstler Benno Elkan in seinem Londoner Exil-Atelier, im HIntergrund die Menora (monumentaler Siebenarmiger Leuchter), an der er damals arbeitete. (Foto: Tamar Hayardeni / Wikimedia Commons)

Der Dortmunder Künstler Benno Elkan (1877-1960) in seinem Londoner Exil-Atelier, hinten die Menora (monumentaler Siebenarmiger Leuchter), an der er damals arbeitete. Foto: Tamar Hayardeni / Wikimedia Commons / Link zur Lizenz: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Benno_Elkan.jpg

Querbezüge gibt’s, die gibt’s eigentlich gar nicht! So vermeldet jetzt die Dortmunder Auslandsgesellschaft  e. V. erstaunliche Dinge, die von hier aus nach München und London führen. Wir bedienen uns freihändig aus einigen Fakten der Pressemitteilung und erlauben uns diese oder jene Ergänzung bzw. Ausschmückung.

Der Reihe nach. Es geht um den Dortmunder Bildhauer Benno Elkan, dessen frühe Werke („Die Wandelnde“, „Persephone“) u. a. auf dem hiesigen Ostfriedhof zu sehen sind. Elkan war freilich nicht nur Künstler, sondern auch eine Pioniergestalt des Fußballsports. Und jetzt haltet Euch fest: Er hat eine viel beachtete Version des Kampfhahns entworfen, welcher schon seit 1901 das Wappentier des Londoner Vereins Tottenham Hotspur ist. Ob Zufall oder Fügung: Just bei den „Heißspornen“ muss morgen (Mittwoch, 13. Februar, 21 Uhr) der BVB in der Champions League antreten.

Ein silberner Kampfhahn im Auftrag der Rivalen

Der „Fighting Cockerel“ wurde, wie die Auslandsgesellschaft weiter wissen lässt, 1949/50 von Elkan im Londoner Exil geschaffen. Leider ist das aus Silber geformte Original verschollen. Weitaus mehr als eine Kuriosität: Elkan hat den Hahn im Auftrag von Arsenal London entworfen, doch dieser Verein verschenkte ihn 1950 an die „Spurs“ – als Zeichen des Dankes, weil Arsenal im Krieg (ab 1941) zeitweise Trainingsgelände und Stadion von Tottenham nutzen durfte. Die Anlagen von Arsenal hatte die deutsche Luftwaffe zerstört. Die beiden ansonsten heftig rivalisierenden Clubs aus dem Londoner Norden hielten in dieser Situation zusammen. Wenn man so will: Der Kampfhahn ist somit nicht nur aggressiv, sondern reicht, wenn es sein muss, auch die Krallen zur Versöhnung.

Knapper Rückblick: Die Familie Elkan war jüdischen Glaubens und zog in den 1870er Jahren nach Dortmund, genauer: in die Brückstraße; noch genauer: dorthin, wo heute das Orchesterzentrum NRW seinen Sitz hat. Der 1877 geborene Benno Elkan wurde in der NS-Zeit mit Berufsverbot belegt und ging 1934 ins Exil nach London. Dort schuf er in den 1950er Jahren auch jenen fast fünf Meter hohen, siebenarmigen Leuchter (Menora), der seit 1958 vor dem israelischen Parlament, der Knesset, in Jerusalem steht.

Präsentieren eine freie Nachschöpfung des Tottenham-Kampfhahns (v. li.): Gerd Kolbe (Historischer Verein, einer der besten Fußballexperten Dortmunds), KlausWegener (Präsident der Auslandsgesellschaft), Elke Strauch (Künstlerin aus Holzwickede), Jonas Becker (Verwaltungsdirektor des Orchesterzentrums NRW). (Foto:Milica Kostić / Auslandsgesellschaft)

Präsentieren die freie Nachschöpfung des Tottenham-Kampfhahns (v. li.): Gerd Kolbe (Historischer Verein, Fußballexperte), Klaus Wegener (Präsident der Auslandsgesellschaft), Elke Strauch (Künstlerin aus Holzwickede). Im Hintergrund Jonas Becker (Verwaltungsdirektor des Orchesterzentrums NRW). (Foto:Milica Kostić / Auslandsgesellschaft)

Anstöße am Genfer See

In einem Internat am Genfer See hatte Benno Elkan von englischen Mitschülern 1893/94 das Fußballspiel gelernt. Erste Folge: 1895 gründete er mit Freunden den ersten Dortmunder Fußballverein, den DFC 1895 (heute TSC Eintracht). Zweite, noch wesentlich bedeutsamere Folge: Als er an der Münchner Kunstakademie studierte, gehörte er am 27. Februar 1900 zu den Gründern des – FC Bayern München. Staunenswert, nicht wahr?

Und so zählt eine von der Künstlerin Elke Strauch (Holzwickede) angefertigte, freie Nachbildung des besagten Kampfhahns auch zu den Exponaten einer Ausstellung in der Münchner Allianz-Arena (27. Februar 2019 bis 31. Januar 2020): „Zwischen Atelier und Fußballplatz – Die Gründer des FC Bayern“ heißt die Zusammenstellung.

Mal wieder ein Zeichen dafür, dass Kicken und Künste durchaus ihre Berührungspunkte haben. Immer mal wieder. Und für diese Erkenntnis sehen wir zwischendurch auch mal ein bisschen von der Rivalität mit den Bayern ab. Sie sind ja quasi (*räusper, räusper*) auch ein Dortmunder Gewächs.




Geld, Produktionen und Zeit – von allem etwas weniger: Intendant Olaf Kröck stellt Programm der Ruhrfestspiele vor

Am 4. Mai wird in Recklinghausen ein Laufsteg für die Bürger aufgebaut. „What is the City but the People?“ heißt die Aktion. Vorbild ist der Laufsteg, den Regisseur Richard Gregory am 29. Juni 2017 für das MIF Manchester International Festival schuf. Dort entstand auch das Foto. (Bild: John Super/Ruhrfestspiele)

Jetzt wissen wir, was gespielt wird – bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen unter neuer Intendanz. Olaf Kröck, so heißt der Neue, hat sein Programm vorgestellt, es steht auch schon im Internet. Erster Eindruck: Halbwegs solide, aber auch etwas dünn.

Kröck muß mit deutlich weniger Geld auskommen als Amtsvorgänger Frank Hoffmann. Die Grundstruktur hat er nicht verändert, der Schwerpunkt liegt eindeutig im Bereich Schauspiel. Und das soll auch so sein, unterstreicht der neue Intendant. Die Ruhrfestspiele seien eben ein Theaterfestival, in deutlicher Unterscheidung zu anderen Festivals im Land.

Virginia Woolf

Die attraktivste Produktion auf dem Spielplan dürfte wohl „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ sein, inszeniert von Karin Beier am Deutschen Schauspielhaus Hamburg mit Maria Schrader und Devid Striesow und von der überregionalen Kritik heftig, wenn auch nicht gefeiert, so doch wahrgenommen.

Weitere Glanzpunkte sind „Hochdeutschland“ nach dem Roman von Alexander Schimmelbusch, von Regisseur Christopher Rüpling auf die Bühne der Münchner Kammerspiele gestellt und bei den Ruhrfestspielen nun als „Gastspiel der Uraufführung“ angekündigt. Es geht im Stück um Victor, einen frustrierten Investmentbanker, der (stark verkürzt) kaum vierzigjährig und millionenschwer in deutschem Populismus macht. Bei diesem Stück ahnt man ein Streben nach Aktualität, was sich bei „Virginia Woolf“ kaum erkennen läßt.

Max und Moritz

Ebenfalls aus der ersten Liga der deutschen Schauspielhäuser kommen Max und Moritz nach Recklinghausen. „Eine Bösebubengeschichte für Erwachsene“ wird als Koproduktion mit dem Berliner Ensemble angekündigt, ist eine Regiearbeit des Spaniers Antú Romero Nunes. Lustig wird es werden und irgendwie auch gesellschaftskritisch, weil die Inszenierung auf die braven Bürger im Lausbubenumfeld fokussiert.

Szene aus der Tanztheaterproduktion „Grand Finale“ (Bild: Rahi Rezvani/Ruhrfestspiele)

Alte Bekannte

Vieles aber, was auf dem Programmzettel steht, weiß keineswegs in gleicher Weise zu begeistern. Da gelangt unter dem Titel „Istanbul“ eine Produktion zur Aufführung, die wesentlich von Liedern der türkischen Sängerin Sezen Aksu getragen wird und die das Licht der Bühnenwelt vor nicht all zu langer Zeit im Bochumer Schauspielhaus erblickte, als der dortige Interims-Intendant Olaf Kröck hieß.

Roberto Ciulli, seit ewigen Zeiten Mülheimer Theaterdirektor mit unbestreitbaren Verdiensten, ehrt man in einer „Werkschau“ mit der Aufführung von gleich drei Regiearbeiten: „Immer noch Sturm“, „Clowns 2 ½“, „Othello“. Das alles konnte und könnte man auch in Mülheim sehen, vielleicht auch auf dem NRW-Theatertreffen. Aber für die Ruhrfestspiele, die (jedenfalls früher) so viel Wert auf ihre Internationalität legen, ist dieser Programmschwerpunkt doch arg regional.

Szene aus „Ein wenig Leben“ (Bild: Jan Versweyveld/Ruhrfestspiele)

Müller und Wuttke

Vom Berliner Ensemble kommt als „Heiner Müllers letzte Regiearbeit“ Brechts „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“. Premiere war 1995, aber immerhin spielt Martin Wuttke die Titelrolle.

Zwei Einpersonenstücke hat man ins Schauspielprogramm gehoben: Zum einen Patrick Süskinds „Der Kontrabaß“ mit dem Schauspieler Roland Riebeling, den man als bürokratischen Sidekick Jütte aus dem Kölner „Tatort“ kennt, zum anderen eine Hofmannsthal-Adaption mit dem Titel „Jedermann Reloaded“, die Philipp Hochmair ganz alleine spielt, unterstützt allerdings von einer Kapelle mit dem Namen „Die Elektrohand Gottes“.

Szene aus „The Prisoner“ (Bild: Simon Annand/Ruhrfestspiele)

Peter Brook, unverwüstlich

Als „Koproduktion mit dem International Theater Amsterdam“ ist „Ein wenig Leben“ nach dem Roman von Hanya Yanagihara zu sehen. Ivo van Hove inszenierte die Viermännerromanze in Niederländisch, was die Befürchtung nährt, daß dieser „Deutschlandpremiere“ nicht sehr viele Aufführungen hierzulande folgen werden.

Peter Brook schließlich, 94jährige und immer noch sehr lebendige internationale Theaterikone, bringt ein Stück mit dem Titel „The Prisoner“ zur Aufführung, das er selbst auch, zusammen mit Marie-Hélène Estienne, geschrieben hat. Es geht um einen Gefangenen, der nicht ins Gefängnis darf und nun vor dessen Toren leidet, es spielt das Théâtre des Bouffes du Nord Paris, in Englisch. Ahnt man hier Migrantisches, so ist es in Jean Raspails „Das Heerlager der Heiligen“ handfest vorhanden. Schon in seinem 1973 veröffentlichten Roman ging Raspail der Frage nach, was es mit einer Gesellschaft macht, wenn plötzlich viele tausend Elendsflüchtlinge mit ihren Booten anlanden. Hermann Schmidt-Rahmer, den man als Gastregisseur von etlichen NRW-Bühnen gut kennt, hat den Stoff am Schauspiel Frankfurt dramatisiert. In Recklinghausen ist jetzt Uraufführung.

Ein Laufsteg für Recklinghäuser Bürger

Nicht zu vergessen: Auch das Eröffnungsspektakel am 4. Mai ist unter Schauspiel einsortiert. An diesem Tag sollen 100 handverlesene Recklinghäuser über einen Laufsteg in der Stadtmitte schreiten, quasi ein Querschnitt der Stadtgesellschaft. „What is the City but the People?“ heißt die Aktion, mit „Wer ist die Stadt, wenn es nicht die Menschen sind?“ könnte man das Motto übersetzen. Regisseur Richard Gregory hatte seinen Laufsteg erstmalig auf dem Manchester International Festival aufgebaut, und es soll eine sehr vergnügliche Angelegenheit gewesen sein. Also sind wir gespannt.

Tanztheater, wie von Rembrandt gemalt. Szene aus „The Great Tamer“ (Bild: Julian Mommert/Ruhrfestspiele)

Kulturgeschichte

Fünf Tanzproduktionen sind angekündigt, von denen zwei besonders ins Auge stechen. Zum einen „Grand Finale“ der Hofesh Shechter Company aus London, ein Stück, das die endzeitliche Menschengemeinschaft in der Krise thematisiert, zum anderen „The Great Tamer“ von Dimitris Papaiannou, wo nichts weniger als 2000 Jahre Kulturgeschichte zur Aufführung gelangen. Ein bildmächtiges, manchmal akrobatisches, manchmal komisches Programm wird angekündigt, und das Foto im Programmheft, das die Compagnie wie in einem Rembrandt-Bild mit großen Dunkelzonen zeigt, läßt Unterhaltsames erhoffen. Choreograph Papaiannou war in jüngster Zeit auch im Wuppertaler Tanztheater Pina Bausch aktiv, wo er seine überwiegend nicht gelobte Tanztheater-Produktion „Seit Sie“ inszenierte. Um die 13 Festivals (die nicht konstante Interpunktion macht das genaue Zählen schwierig) und Institutionen listet das Programmheft als Produzenten auf, erster in der Liste ist das Onassis Cultural Centre, Athen. Wörtlich übersetzt heißt die Produktion übrigens „Der große Zähmer“, was sich zumindest nicht spontan erschließt.

Die Zukunft der Arbeit

Musik, Kabarett, Literatur, Diskussionen, Kindertheater und Bildende Kunst gibt es nach wie vor im Programm, auch „Fringe“ hat – abgespeckt – überlebt und heißt jetzt „Neuer Zirkus“. Aber alles ist etwas weniger geworden, eine Woche weniger, ein Zelt weniger, und vom Programm war ja schon die Rede. Hinzugekommen jedoch ist unter dem fetzigen Titel „#jungeszene“ ein Projekt in Recklinghausen und Windhoek, Namibia, in dem unter künstlerischer Leitung von „Kaleni Kollectiv“ die „Zukunft unserer Arbeit“ untersucht werden soll. Was genau dabei herauskommt weiß man natürlich noch nicht, zur Vorführung jedoch gelangt es Mitte Mai in Recklinghausen und Anfang Juni in Windhoek. Den Deutschen Gewerkschaftsbund als Gesellschafter der Ruhrfestspiele wird es freuen.

 




Es könnte ruhig ein wenig mehr sein – Museum Folkwang zeigt Werke Lyonel Feiningers aus eigenem Bestand

Lyonel Feininger: „Leuchtbake I“, um 1913 (Bild: Museum Folkwang, Essen © VG Bild-Kunst, Bonn 2018)

Einer Ritterburg gleich trutzt der Leuchtturm über feindseligen Felsenmassen, eine von Menschen gefügte Stahlkonstruktion übertrumpft die unwirtliche Natur. Ihr Licht erhellt diffus das aufgewühlte und vom Stein durch die Farbe kaum zu unterscheidende blaue Meer, die Strahlen wirken prismatisch zerlegt, verweigern sich bei ihrer Ausbreitung physikalischen Prinzipien.

Hier trifft Kraft auf Kraft, Meer und Fels und Turm und Himmel, fast wähnt man sich in einem Kampfgeschehen, und unklar ist wer siegt. Auch mag man sich fragen, ob der Kampf der Elemente die Landschaft dergestalt zerklüftet hat, wie Lyonel Feininger sie 1913 malte. Oder ob er gleich einem Muskelspiel lediglich die Kräfte zeigen und gleichsam überhöhen wollte, die der rauhen Natur unter glatter Oberfläche innewohnen. Der Konstruktivist – und Lyonel Feiniger gilt als einer ihrer herausragenden Vertreter – ist zwangsläufig eben immer auch ein Dekonstruktivist, besonders dann, wenn Machart und Thema so wunderbar zusammenpassen wie in diesem Bild, das übrigens sehr nüchtern „Leuchtbake I“ heißt und sein Vorbild einst in Swinemünde fand.

Lyonel Feininger: „Gelmeroda IX“, 1926 (Bild: Museum Folkwang, Essen © VG Bild-Kunst, Bonn 2018)

Bezug zur Romantik

Fast einen Quadratmeter groß und mit düsteren Ölfarben gemalt zeigt die „Leuchtbake“ viel Nähe zum Expressionismus; in Holz geschnitten und gedruckt ist beim selben Motiv der Grad der Abstraktion größer, und Bezüge zur magischen Romantikwelt eines Caspar David sind beiden Bildern eigen. Jetzt hängen sie beide im Essener Folkwang-Museum nahe beieinander und ermöglichen Vergleiche.

„Bauhaus am Folkwang“ heißt die kleine Ausstellungsreihe anläßlich des 100. Geburtstags des Bauhauses, die mit Lyonel Feininger ihren Anfang macht, um im weiteren Jahresverlauf „Bühnenwelten“ und den Fotografen Lázló Moholy Nagy zu präsentieren.

Feininger wurde 1919 von Walter Gropius als erster Meister an das Weimarer Bauhaus berufen – im selben Jahr übrigens, als das Museum Folkwang, damals noch in Hagen, dem Achtundvierzigjährigen eine erste große Ausstellung ausrichtete.

Überragender Handwerker

Alle drei Folkwang-Ausstellungen speisen sich ausschließlich aus eigenem Bestand, was die Sache leider recht übersichtlich macht. 34 Feininger-Arbeiten sind jetzt ausgestellt, darunter ganze vier Gemälde. Druckgraphik – vor allem Holzschnitt – überwiegt. Angesichts der ungewöhnlich hell gehaltenen Holzschnitte immerhin wird sofort deutlich, daß Feininger auch ein überragender Handwerker war.

Wee Willie Winkie’s World

Nun ist es durchaus beachtlich, wenn ein Museum vier Gemälde Lyonel Feiningers besitzt, aber für eine Ausstellung ist es eher wenig. Nicht viele Kunstinteressierte werden eigens für diese „Kabinettausstellung“ nach Essen reisen. Einmal mehr wäre Kooperation zwischen Museen einzufordern, die Bilder dieses Künstlers besitzen, um eine größere, angemessenere und attraktivere Werkschau auf die Beine zu stellen. Dann könnte man vielleicht auch mal etwas mehr erfahren über den Comic-Zeichner Lyonel Feininger, der ab 1906 für die Chicago Sunday Tribune „Wee Willie Winkie’s World“ und „The Kin-der Kids“ (wirklich mit Bindestrich) zeichnete. In Essen ist nichts davon.

Doch immerhin können sie hier „Gelmeroda IX“ (1926) zeigen, eine Kirche aus Konturen, Helligkeitswerten und prismatisch aufgebrochenen Farben in wechselseitiger Durchdringung, imposantes Ölbild in der meisterlichen Vervollkommnung des Spätwerks. 1948 war das Aquarell „Gelmeroda“ (nicht verwechseln) übrigens der erste Feininger-Ankauf des Folkwang-Museums nach dem Krieg, nachdem die Nazis den alten Feininger-Bestand 1937 als „entartet“ ausgeräumt hatten. Weitere Gemälde sind „Dorf Alt-Salenthin“ (um 1912) und der Kirchturm von Mellingen (1912).

Lyonel Feininger: „Die Eisenbahn-Brücke“, 1919 (Bild: Museum Folkwang, Essen © VG Bild-Kunst, Bonn 2018)

Gut konzipiert

Die Ausstellung selbst ist ganz untadelig von Kuratorin Nadine Engel konzipiert worden. Absolut lesenswert sind die Wandtexte in den beiden Ausstellungsräumen, die Lyonel Feininger kompetent in die Kunst- und Künstlerwelt seiner Zeit einsortieren. Große Namen reihen sich, Osthaus, Matisse, Delaunay, Gropius und nicht zuletzt der des Galeristen Herwarth Walden, dessen Berliner Galerie „Der Sturm“ vor dem ersten Weltkrieg ein Kulminationspunkt der modernen Kunst war.

Ein konstruktivistisches „Who is who“, wenn man so sagen darf, war 1924 dann sicherlich die von der Malerin Galka Scheyer vorangetriebene Gründung der Gruppe „Die Blaue Vier“: Paul Klee, Wassily Kandinsky, Alexej von Jawlensky und Lyonel Feininger. Respektlos gesprochen war dies allerdings ein Zusammenschluß von Frührentnern, Klee war mit 45 Jahren der mit Abstand jüngste, Jawlensky mit 59 der älteste, gefolgt von Kandinsky (58) und Feininger (53). Der Name war – auch – eine sprachliche Verbeugung vor der Gruppe „Der blaue Reiter“, und es ging den Herren wohl nicht mehr so sehr um künstlerische Selbstfindung. Sie sahen sich, damals in Weimar, eher als Ausstellungsgemeinschaft. Wie hätten sie wohl das Folkwang-Museum bespielt? Zugegeben, eine rein rhetorische Frage.

Der Spaßvogel

Schließen wir beschaulich mit Feininger, dem Spaßvogel, der neben Bergen, Meeren und Kirchen gerne auch Tore in Holz schnitt. Einem solchen Bild hat er unten links eine stadtbekannte Prostituierte hinzugefügt und es mit „Lein-öl-Ein-Finger“ signiert. Einen direkten Zusammenhang zwischen diesen beiden Feststellungen soll es aber nicht geben.

  • „Bauhaus am Folkwang – Lyonel Feininger“
  • Museum Folkwang, Essen, Museumsplatz 1
  • Bis 14. April 2019.
  • Geöffnet Di, Mi, Sa, So und Feiertage 10 – 18 Uhr, Do, Fr 10 – 20 Uhr
  • Der Eintritt ist frei
  • In der Bauhaus-Reihe folgen die Ausstellungen
  • „Bühnenwelten“ (28.4. – 8.9.2019)
  • László Moholy-Nagy (20.9. – Dezember 2019)

 




2019 beginnt für Dortmund wenig verheißungsvoll: Torhaus ohne Kunst und Musik, Naturkundemuseum bleibt geschlossen

Ansicht des Torhauses im Rombergpark. (Foto: Bernd Berke)

Ansicht des Torhauses im Rombergpark. (Foto: Bernd Berke)

Das schmucke Dortmunder Torhaus Rombergpark, 1681 erbautes Relikt des einst stolzen Schlosses Brünninghausen und immerhin schon seit 1968 Schauplatz kleinerer Kunstausstellungen, kann nicht mehr kulturell genutzt werden. Auch die langjährige Reihe der Gitarrenkonzerte entfällt an diesem Ort. Zudem wird es dort keine Ambiente-Hochzeiten mehr geben.

Dies alles hat offenbar mit Erfordernissen des Brandschutzes zu tun. Im Fall eines Falles wäre die schmale Wendeltreppe, die hinauf zum Ausstellungsraum bzw. hinunter führt, wohl wirklich kein tauglicher Fluchtweg. Man stutzt freilich beim Gedanken, warum der Pressetermin, bei dem das „Aus“ für die genannten Veranstaltungen offiziell verkündet wurde, ausgerechnet im besagten Torhaus stattfinden musste. War’s ein vorerst letztes Mal der „Geist des Ortes“, der da rief?

Jedenfalls hat man zweierlei Ersatz gefunden, jeweils in der Innenstadt. Die Ausstellungen regionaler Künstler ziehen (nach Ende der „Pink Floyd“-Schau) in den neuen Pavillon am „Dortmunder U“, die Gitarristen werden künftig in der Rotunde des Museums für Kunst und Kulturgeschichte auftreten. Ob das denkmalgeschützte Torhaus selbst eines Tages wieder zur Verfügung stehen wird, ist noch ungewiss.

Tags zuvor wurde bekannt, dass die Wiedereröffnung einer weiteren Kultur-Einrichtung sich abermals schmerzlich verzögert. Das 2014 zwecks gründlichen Umbaus geschlossene Naturkundemuseum, vordem eine der bestbesuchten Kulturstätten der Kommune, wird vermutlich erst im Frühjahr 2020 wieder zugänglich sein. Etliche Misshelligkeiten im Verlauf der Bauarbeiten haben das Projekt immer wieder verzögert. Und jetzt bitte keine billigen Vergleichsscherze mit dem schier ewig unfertigen Berliner Flughafen BER.

Bliebe allerdings zu hoffen, dass das noch junge Jahr 2019 der Stadt keine weiteren Kulturnachrichten dieser weniger erfreulichen Sorte beschert.

 




Vorfälle im Revier, die uns hoffentlich zu denken geben (523. Folge): Angesagte Ausstellungstitel, blickdichte Rollos

Hey, Hi und Hallo da draußen, hier ist wieder Euer quirliger Trendscout, zum Jahresbeginn besonders kregel zugange.

Bevor das Rollo runter saust, guckt Kater Freddy schnell nochmal aus dem Fenster. (Symbolfoto: BB)

Bevor das R o l l o runter saust, guckt Kater Freddy schnell noch einmal aus dem Fenster. (Symbolfoto: BB)

Eine heiße Mode bei Ausstellungstiteln ist zu vermelden, die (mangels vieler weiterer Möglichkeiten) freilich auch ganz schnell wieder vorüber sein kann. Zwei Titel nach demselben Strickmuster sind gerade im Ruhrgebiet plakatiert:

„Krieg. Macht. Sinn.“
(Essener RuhrMuseum)

und

„BILD MACHT RELIGION“
(Museum Bochum).

Ganz klar, man kann die jeweils drei Worte zusammenhängend lesen, sollte sie aber sogleich auflösen und einzeln wahrnehmen, um ein wenig ins Thema hineinzuschmecken. Im Grunde aber sind es bloße Signale, die von den Inhalten nicht allzu viel preisgeben, sondern nur Anspielungscharakter haben.

Nun gut, ein paar Varianten zu dieser Machart würden einem notfalls noch einfallen. Aber die Anzahl dürfte endlich und somit recht bald erschöpft sein. Schade ums schöne Narrativ. (Ha, das Wort hätten wir damit auch untergebracht!)

Ein neues Fass, ein anderes Fass

Machen wir also – nach dem unvergänglichen Monty-Python Motto „And now to something completely different“ – gleich das nächste Fass auf. Ein bodenloses Fass. Eines, dem die Krone ins Gesicht geschlagen wurde. Oder muss es Gischt heißen?

Kommt mal näher, ich will lieber flüstern. Pssssst!

Also, ich habe Folgendes hinter vorgehaltener Hand gehört: Rings um eine große Bildungs-Institution im Ruhrgebiet ging ein Spanner auf seine Streifzüge. Er war auf Anblicke junger Frauen aus, die er gelegentlich auf Video festgehalten haben soll. Wirklich nicht fein. Ganz und gar nicht fein.

Der penetrant wiederholte Vorfall hat nunmehr eine ziemlich kostspielige Nachrüstung zur Folge. Über 200 Fenster sollen nunmehr von einer örtlichen Firma mit blickdichten Rollos ausgestattet werden. Frage niemand nach dem Gesamtpreis. Und frage bitte auch niemand: Cui bono?“

 




Das große Vorbild Afrika – Bundeskunsthalle präsentiert Ernst Ludwig Kirchner in einer opulenten Werkschau

Ernst Ludwig Kirchner: Akt vor dem Spiegel 1915/1920 Öl auf Leinwand (Bild: Bundeskunsthalle/Courtesy Galerie Henze & Ketterer, Wichtrach/Bern)

Sie waren, scheint es, unersättlich. Wieder und wieder warfen sie nackte Frauen auf ihre Malgründe, zeigten sie entspannt in der Natur, im Atelier in manchmal unschicklichen Posen. Offenbar hatten sie nichts anderes im Kopf (oder vor der Staffelei).

Der Körper als Spiegel der Seele

Junge Maler wie Ernst Ludwig Kirchner, dem die Bonner Bundeskunsthalle bis März eine große Retrospektive ausrichtet, hätten natürlich vehement bestritten, hier in wenig sublimer Form ihre erotischen Präferenzen abzuarbeiten. Nein, Vorbild war ihnen die Kunst Afrikas, die Männer und Frauen gerne nackt präsentiert, nicht jedoch naturalistisch. Afrikanische Kunst macht Skulpturen oft gleichsam zum körperlichen Ausdruck intensiver Seinserfahrung, spiritueller Weitung oder manchmal auch, vergleichsweise banal, typisch menschlicher Verhaltensweisen. Das war alles neu für die europäisch-akademisch gebildeten Maler und Bildhauer zu Beginn des 20. Jahrhunderts, und begeistert sogen sie die Impulse auf, die ihrer Kunst bald schon den Titel „Expressionismus“ einbringen sollte.

Kolonialismus

Es gehört zu den dunkel-ironischen Fußnoten der Geschichte, daß in der Zeit des brachialsten Kolonialismus, als Europa und die USA die restliche Welt unter sich aufteilten, auch die modernen Künstler nicht abseits standen – mit dem Unterschied, daß das Afrikanische in der Kunst nicht ausgesogen und weggeworfen wurde, sondern in der Auseinandersetzung mit europäischen Traditionen eine bahnbrechende neue Qualität entstehen ließ. „Fusion“ wäre ein Begriff, der heutzutage für diesen Prozeß vielleicht in Anwendung kommen könnte, und ob das alles gerecht zuging (natürlich nicht) und heutzutage richtig erzählt wird (vermutlich auch nicht), soll an dieser Stelle jetzt nicht diskutiert werden. Auch die Arbeitsteilung in malende (schöpferische, bestimmende) Männer und nackte (sonst nicht viel) junge Frauen entspricht eher nicht afrikanischen Vorbildern; wir registrieren es mit einem gewissen Unverständnis als zeittypisch und kehren zu Kirchner zurück.

Ernst Ludwig Kirchner: „Mandolinistin“, 1921. Öl auf Leinwand (Bild: Bundeskunsthalle / © Kirchner Museum Davos, Foto: Kirchner Museum Davos, Jakob Jägli)

Kirchner blieb lieber zu Hause

Im Gegensatz zu vielen Malerkollegen drängte es ihn offenbar nicht zu großen Reisen. Er blieb daheim, in Dresden, auf Fehmarn oder in der Schweiz, und träumte sich die exotische Welt im trauten Heim zusammen, das er allerdings, viele Fotos in der Ausstellung zeigen es, hingebungsvoll zu afrikanisch inspirierten Wohnlandschaften umdekorierte. Da sieht man sie nackt herumhüpfen, vor allem natürlich die Damen, aber doch nicht nur; manchmal lud sich der Maler auch Afrikaner ins Haus, wenn sie – als Artisten eines Varietés möglicherweise – in der Stadt waren.

Drogensucht und Freitod

Hoch ging’s her. Kirchner war kaum 30 Jahre alt, als er Gesundheit und Verstand für zeitgenössische Bewußtseinserweiterungen fast unheilbar hingeopfert hatte. Alkohol, Morphium und Veronal, dazu für den Kick selbstverordneter Schlafentzug führten zwischen 1915 und 1918 zu mehreren Sanatoriumsaufenthalten. Ihnen verdankt er wohl auch, daß der Erste Weltkrieg fast spurlos an ihm vorüberging. Kirchner ist keiner von den vielen begabten jungen Männern, die, wie etwa August Macke, nicht einmal dreißigjährig ihr Leben im Schützengraben verloren.

Ernst Ludwig Kirchner: „Junkerboden bei Frauenkirch/Davos, mit Blick auf Rhätische Bahn“, 1919. Öl auf Leinwand (Bild: © Bundeskunsthalle/Privatsammlung)

Und so könnte man weitererzählen von den verschiedenen Schaffens-perioden des Malers, denn er wurde ja relativ alt; Kirchner war 57, als er sich – aus Angst vor einem Einmarsch der deutschen National-sozialisten in die Schweiz, wie es heißt – in Davos erschoß.

Gepriesenes Frühwerk

Hoch gepriesen in der Kunstgeschichte ist der junge Kirchner, der unter anderem die Schaufensterbilder schuf, von denen das Dortmunder Ostwall-Museum eins besitzt und von denen keine in der Ausstellung gezeigt werden. Das war, da soll man sich nichts vormachen, der Berserker, der Drogensüchtige, der Sanatoriumspatient. Seine rastlose Suche nach Exzeß hat offenbar die besten Werke hervorgebracht, und wie oft in der Kunst profitiert das entspannte Publikum nun vom selbstzerstörerischen Drang des Künstlers.

Ernst Ludwig Kirchner – Selbstportrait im Atelier 1913–1915. Kontaktabzug ab Glasnegativ auf Baryt Papier (Bild: Bundeskunsthalle/© Kirchner Museum Davos)

Ruhiger, ordentlicher

Der Kirchner aus den 20er Jahren, der Stabilisierte nach Sanatoriumsaufenthalten, malte dann schon entschieden ruhiger, ordentlicher. Viel Landschaft, Berge Bäume, Bauern. Manches könnte als Neue Sachlichkeit durchgehen.

In den 30er Jahren wird das Vorbild des verehrten Meisters Pablo Picasso unübersehbar. Konturen werden zu übergangslos in den Raum gestellten Farbflächen, Kirchner wagt zögernde Schritte in die Abstraktion. Doch den Kubismus des katalanischen Meisters scheut er; seine „Tanzenden Mädchen“ von 1937 beispielsweise sind genau noch eben diese, keine Montagen anatomischer Elemente, wie Picasso es 1925 in „Les trois danseuses“ gemacht hat. Der Katalog vergleicht die Bilder sehr schön und sinnfällig.

Ernst Ludwig Kirchner: „Badende an der Steilküste von Fehmarn“, um 1912. Stift und Wasserfarbe auf Papier (Bild: Bundeskunsthalle/© Kirchner Museum Davos)

Vorbild Picasso

Der späte Kirchner fand in der Kunstwelt nie die Anerkennung wie der frühe, die späten Bilder werden bei weitem nicht so hoch gehandelt. Zu Recht? Zu den zahlreichen Verdiensten der großen Bonner Kirchner-Schau gehört es, dieser Frage angemessen Raum zu geben.

Am Ende des Rundgangs durch die erste Etage der Bundeskunsthalle – Hängung, wie bei fast jeder Kunstausstellung hier, chronologisch – ermöglichen die letzten Räume eine Auseinandersetzung mit dem Spätwerk. Und wie so oft ertappt sich der Besucher bei dem Gedanken, was wohl gewesen wäre, hätte der Künstler länger gelebt. Epigonales Scheitern des früheren Malerfürsten oder souveränes Spätwerk nach Art Emil Schumachers? Nicht zu beantworten.

Hervorragender Zeichner

Ein kurzer Hinweis noch auf die in allen Schaffensphasen exzellenten Zeichnungen des Künstlers, und damit soll es sein Bewenden haben. Wem das Bonner Angebot tatsächlich nicht reichen sollte, der kann nach Berlin fahren. Dort widmet sich das „Brücke“-Museum in einer Sonderschau dem Zerfall der gleichnamigen Künstlergruppe im Jahr 1913, zu deren Mitgliedern bekanntlich auch Ernst Ludwig Kirchner zählte.

  • „Ernst Ludwig Kirchner – Erträumte Reisen“
  • Bundeskunsthalle, Bonn, Friedrich-Ebert-Allee 4
  • Bis 3. März 2019
  • Geöffnet Di u. Mi 10-21 Uhr, Do bis So 10-19 Uhr, feiertags 10-19 Uhr
  • Eintritt: 19 EUR, Familienkarte 16 EUR, Eintritt frei bis 18 Jahre
  • Katalog 35 EUR
  • Weitere Infos:
  • https://www.bundeskunsthalle.de/ausstellungen/ernst-ludwig-kirchner.html



„Rausch der Schönheit“: Dortmunder Museum zeigt seine ungeahnten Jugendstil-Schätze

Kostbare Einrichtungsgegenstände in Dortmunder Museumsbesitz: Damensalon der Fabrikantentochter Aenne Glückert. (Foto: Bernd Berke)

Kostbare Einrichtungsgegenstände in Dortmunder Museumsbesitz: Damensalon der Fabrikantentochter Aenne Klönne geb. Glückert. (Foto: Bernd Berke)

Dortmund und Jugendstil, was soll denn das miteinander zu tun haben? Eine ganze Menge! Und sogar deutlich mehr, als sich die Experten im Museum für Kunst und Kulturgeschichte bislang haben träumen lassen. Und so haben sie denn auch einen schwelgerischen, ja euphorischen Titel für ihre Jugendstil-Ausstellung mit rund 900 Objekten ersonnen: „Rausch der Schönheit“. Nun ja. Klappern gehört zum Handwerk, wie man so sagt.

Warum erst jetzt eine solche Schau? Sie verfügen doch im Haus an der Hansastraße über eine recht bedeutsame Jugendstil-Sammlung. Wohl wahr. Doch deren Schätze mussten erst richtig gehoben werden. Als man einmal auf die Fährte geraten war, förderte die Suche in den Depots freilich immer mehr einschlägige Dinge zutage.

Deshalb kann das Museumsteam (allen voran Projektleiterin Gisela Framke und Kuratorin Gabriele Koller) nun eine Ausstellung zeigen, die weit überwiegend aus Eigenbesitz besteht und – nicht zuletzt im reichhaltigen Katalog – den Blick über die gezeigten Stücke hinaus schweifen lässt, jedoch auch den Bogen zurück in die Stadt Dortmund schlägt. Und: Während dieses Haus sonst ein wenig in sich gekehrt wirkt, hat man diesmal ein paar einladende Blickachsen zwischen drinnen und draußen geschaffen. Gut so. Aber aus konservatorischen Gründen (wegen des erhöhten Lichteinfalls) nicht immer möglich.

Klapptisch von Frank Lloyd Wright im Depot entdeckt

Eine besonders frappierende Depot-Entdeckung: Im Verborgenen fand sich ein eigens zur Betrachtung traditioneller japanischer Holzschnitte (sie zählten zu den Hauptimpulsen des Jugendstils) entworfener Arbeitstisch des berühmten Architekten und Möbelschöpfers Frank Lloyd Wright. Dieser Klapptisch lässt sich auf ein derart schmales Format zusammenfalten, dass er in einem Regal über Jahrzehnte hinweg gar nicht mehr aufgefallen war.

Hier zu voller Größe entfaltet: der Klapptisch von Frank Lloyd Wright. (Foto: Bernd Berke)

Hier zu voller Größe entfaltet: der Klapptisch von Frank Lloyd Wright. (Foto: Bernd Berke)

Die Jugendstil-Sammlungsgeschichte des 1883 eröffneten und seinerzeit vom Gründungsdirektor Albert Baum geleiteten Dortmunder Instituts begann mit dem Jahr 1900 und der damaligen Weltausstellung in Paris. Baum reiste dorthin und erwarb einige kostbare Stücke der zur Jahrhundertwende buchstäblich aufblühenden Kunst- und Kunstgewerbe-Richtung, die sich anfangs vor allem in floralen Ornamenten erging und Linien in schwungvoll ziselierte Bewegungen brachte. Das Entree der Ausstellung versetzt einen nun ein wenig ins Paris jener Zeit. Man soll gleichsam auf den Spuren Baums wandeln und in die Anfänge des 20. Jahrhunderts eintauchen.

Es begann mit Kostbarkeiten von der Pariser Weltausstellung 1900

Albert Baum holte aus Paris ein vollständiges Zimmer im neuen Geist der Zeit nach Westfalen. Es war zugleich die Zeit, in der Dortmund sehr rasch zur Großstadt anwuchs. Auch hier entstanden alsbald Werkstätten, die den Jugendstil aufgriffen, welcher sein eigenes regionales Gepräge erhielt. Davon zeugen etwa die großartigen Plakate für das „Café Industrie“ von 1908 oder für den legendären Dortmunder Amüsierbetrieb „Jungmühle“. 1909 gab es in Dortmund eine folgenreiche Wohnungskunstausstellung, die Ideen und Stilelemente weiter verbreitete.

Wie ein Damenzimmer von Darmstadt nach Dortmund gelangte

Immerhin sind in der Stadt auch noch ein paar markante Gebäude(teile) erhalten, zumal das auch schon auf Briefmarken verewigte Jugendstil-Portal der Zeche Zollern und einige Jugendstil-Fassaden, zumal im beliebten Kreuzviertel. Zum umfangreichen Begleitprogramm der Schau zählen Exkursionen an solche Orte.

Jugendstil-Plakate fürs Dortmunder „Café Industrie" und für die „Jungmühle". (Foto: Bernd Berke)

Jugendstil-Plakate fürs Dortmunder „Café Industrie“ und für die „Jungmühle“. (Foto: Bernd Berke)

Welch günstiger Umstand, dass Aenne Glückert, Tochter eines Darmstädter Möbelfabrikanten, in die Dortmunder Industriellen-Dynastie Klönne einheiratete! Sie brachte nämlich u. a. die kostbare Einrichtung ihres Jugendstil-Damensalons mit, den Joseph Maria Olbrich entworfen hatte. Die Firma Glückert arbeitete eng mit der Künstlerkolonie der Darmstädter Mathildenhöhe zusammen, welche wiederum ein Kristallisationspunkt des Jugendstils war. Noch heute kann man dort das fulminante bauliche Ensemble besichtigen.

Der Jugendstil erstrebte die Einheit von Kunst und Leben sowie – speziell in Deutschland – eine Reform aller Bereiche bis hin zur Gesundheit und zur Ernährung, was mit etlichen Büchern in Vitrinen dokumentiert wird. Auch das Dortmunder Kochbuchmuseum hat seinen Teil dazu beigesteuert. In einem anderen Raum erfährt man anhand eines handkolorierten Tanzfilms und von Tänzerdarstellungen, wie der Jugendstil auch diese Sparte der Bühnenkunst erfasste.

Albert Dominique Rosé: Tänzerin, 1911 (Ausführung Goldscheider, Wien) (© Museum für Kunst und Kulturgeschichte / Foto: Bernd Berke)

Vorbild fürs Plakatmotiv der Ausstellung: Albert Dominique Rosé, Tänzerin, 1911 (Ausführung Goldscheider, Wien) (© Museum für Kunst und Kulturgeschichte / Foto: Bernd Berke)

Die Ausstellung rankt sich jedoch vor allem um bewundernswertes Kunsthandwerk. Man sieht zahlreiche Gegenstände des täglichen Gebrauchs wie etwa Möbel, Zinnwaren oder auch 150 liebevoll gestaltete und ebenso beleuchtete Trinkgläser (Leihgabe einer Hamburger Privatsammlung), die sich zu einer gläsernen „Pflanzenwelt“ sondergleichen steigern. Es mag durchaus sein, dass manche Vorfahren sich mit solchen Gefäßen einen stilechten „Rausch (der Schönheit)“ angesüffelt haben.

Klassenfrage und technische Neuerungen

Die Gestalterinnen (Antje und Sybille Hassinger sowie Jürgen Spiler) haben es erklärtermaßen auf eine gewisse Opulenz angelegt. So werden die Zimmereinrichtungen nicht durchweg im ursprünglichen Zusammenhang gezeigt, sondern hie und da als Abfolge von Einzelstücken hervorgehoben. Stolz ist man auch auf ein von Richard Riemerschmid entworfenes und in Dresden gefertigtes Zimmer, das sehr aufwendig restauriert und originalgetreu neu gepolstert wurde. Vorher war es nicht mehr präsentabel gewesen.

Skizzenhaft zeichnet die Dortmunder Schau zudem Weiterentwicklungen des Jugendstils nach, der sich in teure handwerkliche Ausführungen und preisgünstigere Industrie-Fertigung aufspaltete. Es gab wahrhaftig auch schon zerlegt angelieferte Zusammenbau-Möbel, fast nach Art von Ikea.

Dass die anfangs hochfliegenden Ansprüche der Jugendstil-Kunst, mehr oder weniger das ganze Leben umzuwenden, keinesfalls die Klassenfrage erübrigten, kann man ebenfalls ahnen. Beileibe nicht alle Menschen wurden mitgenommen auf den Weg der Schönheit. Ein mehr als abendfüllendes Thema.

Höchst inspirierte Arbeiten von Architekten und Designern wie Henry van de Velde oder Peter Behrens führen sodann vom verspielten Jugendstil in die eher nüchterne Moderne; wobei der Jugendstil ohnehin nicht nur reine Träumerei war, sondern mit technischen Neuerungen wie der Elektrizität einher ging.

Impression mit einigen der kunstvollen Jugendstil-Trinkgläser. (Foto: Bernd Berke)

Impression mit einigen der kunstvollen Jugendstil-Trinkgläser. (Foto: Bernd Berke)

Das Zeitgenössische als bester Sammelschwerpunkt

In den 118 Jahren seit der Pariser Weltausstellung sind nach und nach manche Jugendstil-Schätze nach Dortmund gekommen, oftmals erworben mit mäzenatischen Mitteln. Und so kann man die jetzige, gleichfalls großzügig geförderte Ausstellung zu rund 80 Prozent aus Eigenbesitz bestreiten. Es ist, verwunderlich genug, die allererste Dortmunder Jugendstil-Präsentation in diesem Umfang. Wäre man sich des eigenen Schwerpunkts früher und deutlicher bewusst geworden, wäre womöglich noch mehr zusammengekommen. Da kann man trefflich spekulieren oder es bleiben lassen.

Wird man an der Hansastraße fortan noch gezielter Jugendstil-Objekte sammeln? Museumsleiter Jens Stöcker sieht das aus einem anderen Blickwinkel. Man verdanke ja die jetzigen Schätze den Impulsen der Gründergeneration. Also müsse man auch heute das Zeitgenössische sammeln, damit spätere Zeiten davon profitieren können. Wer weiß: Vielleicht wird in 15 oder 20 Jahren von einer Ausstellung über „Das Smartphone im Wandel der Zeiten“ zu berichten sein. Ein rauschhafter Titel müsste dann halt noch gefunden werden.

„Rausch der Schönheit. Die Kunst des Jugendstils“. Museum für Kunst und Kulturgeschichte, Dortmund, Hansastraße 3. Vom 9. Dezember 2018 bis 23. Juni 2019. Geöffnet Di, Mi, Fr, So 10-17, Do 10-20, Sa 12-17 Uhr. Eintritt 6 €, ermäßigt 4 €. Katalog im Museum 39 €, im Buchhandel 49 €. Weitere Infos, auch zum Begleitprogramm und zu einschlägigen Exkursionen im Stadtgebiet: www.mkk.dortmund.de

 




Was von den Orgien übrig blieb: Der Wiener Aktionist Hermann Nitsch im Hagener Osthaus Museum

Quasi-sakraler Raum in Hagen: vorwiegend blutrote und pechschwarze Großformate mit rituellem Tragegestell als „Altar" in der Mitte. (Foto: Bernd Berke)

Quasi-sakraler Raum in Hagen: vorwiegend blutrote und pechschwarze Großformate mit rituellem Tragegestell als „Altar“ in der Mitte. (Foto: Bernd Berke)

Der Mann hat längst seinen Ruf weg. Den weniger aufgeschlossenen Zeitgenossen galt und gilt er als blutrünstiger Berserker der Kunst, seit er 1962 seine erste Aktion vollzog.

Der Österreicher Hermann Nitsch wurde berühmt-berüchtigt mit den Riten seines oft tagelang ausufernden „Orgien-Mysterien-Theaters“, bei dem vorzugsweise Unmengen von Tierblut über nackte Menschenkörper flossen, etliche Helfer*innen in animalischen Innereien wühlten, intensiv sudelten oder Kreuzigungen simulierten. Im Hagener Osthaus Museum kann man nun einige Relikte dieses Tuns betrachten und Nitschs selbst komponierte Musik dazu hören. Auch Gerüche fehlen nicht beim angestrebten Gesamtkunstwerk.

Sprengwirkung im reaktionären Österreich

Ein äußerer Anlass ist der heuer (natürlich mit einer Aktion) begangene 80. Geburtstag des Zeremonienmeisters, der stets zahlreiche Jüngerinnen und Jünger um sich versammelte, die zu manchem Treiben staunenswert bereit waren. Drei Filme in der Hagener Ausstellung zeugen ausgiebig davon. Man mag da an einen Guru mitsamt seiner Sekte denken und wird wohl nicht vollkommen falsch liegen. Überdies könnte man sich fragen, ob Besucher nicht wenigstens ein gewisses Alter erreicht haben sollten, um derlei Filme zu sehen. Man nenne mich konservativ, aber: So richtig kinderfrei scheint mir diese Ausstellung nicht in all ihren Teilen zu sein.

Der zuweilen überaus tolerante Kunstbetrieb freilich findet dergleichen heute – nicht zuletzt angesichts realer Brutalität – nahezu harmlos und feiert den Klassiker des „Wiener Aktionismus“ als einen Bahnbrecher, der seinerzeit im vielfach reaktionären Österreich befreiende Sprengkraft entfaltet habe.

Fotowände dokumentieren Momente aus Nitsch-Aktionen. (© Originalbilder: Atelier Hermann Nitsch, Fotos von Archiv Cibulka-Frey, Fondazione Morra/Ernesto Mastrascusa, Martin Kitzler - Foto der Bilderwand: Bernd Berke)

Fotowände dokumentieren Momente aus Nitsch-Aktionen. (© Originalbilder: Atelier Hermann Nitsch, Fotos von Archiv Cibulka-Frey, Fondazione Morra/Ernesto Mastrascusa, Martin Kitzler – Foto der Bilderwand: Bernd Berke)

Sein Nachname ist jedenfalls zum Markenzeichen geronnen. Es genügt, einfach nur „Nitsch“ zu sagen. So lakonisch prangt es ja auch auf den ebenfalls präsentierten Weinetiketten aus den Gütern seines eigenen Schloss-Anwesens zu Prinzendorf in Niederösterreich. Befragt, ob er nebst Blut auch Rotwein für seine Bilder verwende, deutet er auf seinen Mund: „Nein, der kommt eher hier hinein.“ Wein ergebe ja auch keine kraftvolle Färbung auf Leinwänden. Er muss es wissen.

Fußspuren auf blutroten Leinwänden

Was aber bleibt? Was ist zu sehen? Ein imposanter Raum in Hagen versammelt, dicht an dicht gehängt und schier auf Überwältigung angelegt, vorwiegend blutrote Großformate noch und noch. Nicht alles ist veritables getrocknetes Blut, dies und das aber eben doch – ganz ohne Koketterie, wie es denn ohnehin reichlich ernst und feierlich zugeht. Prosaischer mutet dies an: Auf einigen Leinwänden finden sich noch Fußspuren, die im Laufe von Aktionen entstanden sind.

Hermann NItsch und Ko-Kuratorin Julia Möbus in der Hagener Ausstellung. (Foto: Bernd Berke)

Hermann Nitsch und Ko-Kuratorin Julia Möbus in der Hagener Ausstellung. (Foto: Bernd Berke)

Inmitten dieser drangvoll gewaltigen Bilder-Ansammlung erhebt sich ein Gestell, das sich als Trage für rituelle Zeremonien erweist. Man denkt allerdings unwillkürlich an eine Richtstätte, auf der Ungeheuerliches geschehen könnte. Eine Art Messgewand (häufiges Motiv in Nitschs Oeuvre) verweist auf mögliche Opfergaben, ferner auf die Passionsgeschichte, auf die mysteriöse Wandlung von Brot und Wein in der christlichen Liturgie, die denn überhaupt eine kaum je versiegende Hauptquelle der Inspiration ist, sich jedoch auch ins „Heidnische“ oder gar zu Schwarzen Messen hinwenden kann.

Erste Konzepte zu dermaßen entgrenzter Performance und Body Art hat Nitsch bereits um 1957/58 ersonnen, als er 19 Jahre alt war und noch im Bann des Informel gestanden hat. Es scheint so, als habe sich sein Werk hernach nicht allmählich entwickelt, sondern als sei es zu Eruptionen gekommen. Mit den Formen von Fluxus und Happening wurde die Zeit zunehmend reif für seine Aktionen, die auf Basis von ausgeklügelten „Partituren“ ins Werk gesetzt wurden.

Das einzelne Bild zählt nur als Teil des Ganzen

Kein Bild in dieser Schau trägt einen Titel. Nitsch hält dafür, dass man seine Bilder nicht einzeln würdigen solle, sondern gleichsam als Gesamtereignis. Es steht zu vermuten, dass ein solch genereller Zugang sie eventuell auch der „kleinlichen“ Kritik entheben kann. Tatsächlich finden sich bemerkenswerte ästhetische Valeurs in so manchen Bildern. Sind sie quasi nebenher „unterlaufen“ oder sind es gesetzte Zeichen? Kann man, um weiterhin ketzerisch zu fragen, die gleich nebenan (just im benachbarten Emil Schumacher Museum) befindlichen Schöpfungen des Informel-Meisters auch nur irgend mit Nitschs Hevorbringungen vergleichen? Oder waltet da eine ganz andere Kraft?

Detail aus einem „Blut-Bild" von Hermann Nitsch. (Foto: Bernd Berke)

Detail aus einem „Blut-Bild“ von Hermann Nitsch. (Foto: Bernd Berke)

Vitrinen mit alten Zeitungsausschnitten belegen, wie sehr Nitsch (ebenso wie artverwandte Aktionisten, etwa Otto Mühl oder Rudolf Schwarzkogler) ehedem für seine Kunstorgien angefeindet worden ist – beispielsweise auch vom Musiker Yehudi Menuhin (Vorwurf gegen Nitsch: „Gewalt um der Gewalt willen“) oder von der notorischen Tierschützerin Brigitte Bardot, zuvörderst aber von der populistischen österreichischen Presse à la „Kronenzeitung“.

Fast nur tote Tiere verwendet

In Hagen beteuert Nitsch abermals, „99 Prozent“ der in seinen Aktionen verwendeten Tiere seien vorher schon tot gewesen. Nur ganz selten habe man auf der Bühne Tiere geschlachtet, die jedoch ohnehin dafür vorgesehen gewesen seien. Er selbst, so Nitsch weiter, sei ein ausgesprochener Tierfreund, er halte u. a. einige Pfauen, eine Ziege, ein Maultier und fünf Katzen.

Auch solche frühen Fingerübungen von Hermann Nitsch werden gezeigt. (Foto: Bernd Berke)

Auch frühe Fingerübungen von Hermann Nitsch werden gezeigt. (Foto: Bernd Berke)

Die Ausstellung besteht nicht nur aus gigantischen „Blut“-Bildern (oder auch ungemein pastosen Variationen in Schwarz, Gelb oder Blau) und Videos bzw. Fotos der Aktionen sowie einer Art „Apotheke“ mit verwendeten Flüssigkeiten, sondern auch aus ebenso windungsreichen wie peniblen Skizzen und Planzeichnungen.

Dabei entwirft die Phantasie (unterirdische) Labyrinthe und vielleicht gar Verliese als Theateranlagen, sie fabuliert zudem von der Zu- und Abrichtung, der Umwandlung, Auflösung und womöglich Erlösung des menschlichen Leibes und somit der Seele. Manche Arbeit mutet an wie eine geradezu ingenieurhafte Vorschau auf kommende Aktionen. Auch Orgien wollen ordentlich organisiert sein, jedenfalls in deutschsprachigen Landen. Doch nicht nur dort. Man weiß ja, wie einst der Marquis de Sade alle noch so wüsten Körperverrenkungen der sexuellen Qualen geradezu systematisch durchkonjugiert hat.

„Ja, ja und ja“ sagen zur Schöpfung

Nitsch bekennt sich derweil als Freund und Verehrer der Schöpfung, er wolle „Ja, ja und ja sagen“ zum Sein. Er sieht sich in der Tradition von Friedrich Nietzsche und der von ihm postulierten „Ewigen Wiederkunft des Gleichen“. Gerade deshalb habe er immer wieder in Abgründe blicken und selbige darstellen müssen, Leid und Tod gehörten eben zum Leben. Er habe ein metaphysisches Anliegen, seine Kunst sei eine immerwährende „Auferstehungsfeier“. In kleinerer Münze zahlt Nitsch eben nicht.

Und wie kommt gerade Hagen zu dieser Retrospektive? Osthaus-Chef Tayfun Belgin war von 2003 bis 2007 Leiter der Kunsthalle Krems in Niederösterreich, da hat sich der Kontakt zu Nitsch fast wie von selbst ergeben. Die damals schon vorhandenen Pläne zu einer Ausstellung konnten seither noch reifen. Ko-Koratorin ist nun die junge Julia Möbus, die über Nitsch promoviert und auch schon als Akteurin für ihn tätig war, so dass man in ihrem Falle beileibe nicht von grauer Theorie reden kann.

Hermann Nitsch. Eine Werkschau in Hagen. Osthaus Museum, Hagen, Museumsplatz 1 (Navigation: Hochstraße 73). Eröffnung am Samstag, 1. Dezember (16 Uhr), Dauer vom 2. Dezember 2018 bis zum 3. Februar 2019. Geöffnet Di-So und Feiertage 12-18 Uhr. 24.12., 25.12 und 31.12. geschlossen. Kein Katalog. Eintritt 7 Euro (Kinder bis 6 kostenlos, ab 6 Jahre 3,50 Euro).  Tel. 02331 / 204-2740. Weitere Infos: www.osthausmuseum.de




In diesen Hallen wirken sie fast zierlich – Museum Küppersmühle zeigt Großformate von Emil Schumacher

„Atlanta I“ von 1987 aus der Sammlung Ströher. „Atlanta“ aus dem Bestand des Hagener Schumacher-Museums sieht fast genauso aus. (Bild: MKM, Sammlung Ströher/VG Bild-Kunst, Bonn, 2018)

Jetzt hängen sie traulich nebeneinander, als ob es anders gar nicht sein könnte: „Atlanta“ und „Atlanta I“, zwei von dunkel aufglühendem Blau dominierte Hochformate aus dem Jahr 1987, je 170 x 125 Zentimeter groß. „Atlanta“ aber ist eine Leihgabe aus dem Hagener Schumacher-Museum, „Atlanta I“ Eigenbesitz des Museums Küppersmühle aus der Sammlung Ströher. Ein Diptychon mit Verfallsdatum, wenn man so will, doch liegt es noch in weiter Ferne: Am 10. März 2019 endet die Ausstellung „Emil Schumacher – Inspiration und Widerstand“ im Duisburger Museum Küppersmühle, die heute (Donnerstag, 15.11.2018) eröffnet wird.

Das verschlimmbesserte Documenta-Bild

Über Emil Schumacher, er hat ihn noch persönlich in seinem Atelier erlebt, weiß Museumsdirektor Walter Smerling Geschichten zu erzählen. Wie jene der Bilder für die Documenta III, 1964 in Kassel. Drei Großformate hatte Schumacher für die Kunstschau gemalt, jedes um die sieben Quadratmeter groß, ein blaues, ein rotes und ein weißes. Mit dem roten war er aber nicht ganz zufrieden, und als er es nach der Documenta wieder im Atelier hatte, besserte er nach. Jedenfalls versuchte er es. Es wurde jedoch, in des Künstlers eigenen Worten, ein Verschlimmbessern, irreparabel schließlich. Schumacher vernichtete das Bild, hob aber den Keilrahmen auf. 1991 schuf er auf dem alten Keilrahmen ein neues Werk, „Palmarum“, Öl und kleine Pflanzenteile, nunmehr dominiert von leuchtendem Gelb. Es hängt jetzt als Leihgabe aus Hagen in der Duisburger Küppersmühle.

Eine späte Arbeit: „Gorim II“ von 1996. (Bild: Emil Schumacher Museum, Hagen, VG Bild-Kunst, Bonn 2018/Ralf Cohen, Karlsruhe)

Dezentral gesammelt

Das blaue Documenta-Bild, die Geschichte ist noch nicht zuendeerzählt, hängt auch hier, das weiße hingegen blieb im Westfälischen Landesmuseum in Münster, da nicht transportfähig. Der Katalog jedoch bildet es ab.

Alles in allem ist die Geschichte dieses Triptychons, das nicht mehr zusammenkommen konnte, auch typisch für die an sich reiche Kunstmuseenlandschaft des Ruhrgebiets (inklusive Münster in diesem Fall), wo in besseren Zeiten recht dezentral gesammelt wurde.

Mehr als die Hälfte kommt aus Hagen

Nun also Schumacher in Duisburg, 80 Arbeiten, Gemälde überwiegend, davon 44 aus Hagen und 16 aus der Sammlung Ströher, der Rest aus weiteren Museen und aus Privatbesitz. Da könnte man sich natürlich fragen, warum so viel Aufwand betrieben wurde. Das moderne Hagener Museum vermag die Bilder ebenso gut zu präsentieren wie die Küppersmühle, ist groß und regelmäßig geöffnet, so daß eine punktuell veranstaltete Werkschau wirklich nicht zwingend nötig wäre. Doch natürlich fragen wir das nicht, sondern freuen uns, daß die Hagener Werke noch etwas Gesellschaft bekommen. Und daß die Küppersmühle Besucher anlocken wird, die nicht nach Hagen reisen würden.

Penibel strukturiert

Die Schau ist sehr penibel nach Werkgruppen und Arbeitsschwerpunkten aufgebaut, beginnt mit dem jungen Schumacher der frühen 50er Jahre, zeigt dessen Weg in die Abstraktion, den er in wenigen Jahren hinter sich brachte. Seine Bilder wurden größer, Schumacher experimentierte mit Materialien wie Stein und verklebten Stoffresten, tauschte die Leinwand gegen Holz und später gegen Zimmertüren.

Als Malgrund dient eine Zimmertür. „Petros“ von 1976, Steincollage und Acryl auf Holz (Bild: Privatsammlung Münster/VG Bild-Kunst, Bonn, 2018/Ralf Cohen, Karlsruhe)

Auf Zimmertüren gemalt

Walter Smerling erzählt, wie das kam: In den 60er Jahren hatte Emil Schumacher zunehmend auf Holzplatten gemalt. Als seine Bilder für eine Ausstellung in die USA verschifft werden sollten, waren sie deshalb viel zu schwer. Auf der Suche nach leichten, steifen Maluntergründen entdeckte Schumacher die Zimmertür, schlichtes Baumarktmodell, die ihre Unverformbarkeit einer Wabenstruktur aus Pappe im Türblattinneren verdankt. Einige dieser Türen, hoch und quer, hängen als Maluntergründe in der Ausstellung (die Petros-Bilder, mit Stein und Acryl), konservatorisch offenbar unproblematisch.

Widerstand des Materials

In späteren Jahren, als er einmal mit seiner Arbeit unzufrieden war, hat Schumacher eine solche Malgrundtür übrigens mit dem Hammer traktiert. Die Verletzungen ließen die Wabenstruktur sichtbar werden, was wiederum seinen Reiz hatte. Und selbst diese Aktion ist in gewisser Weise typisch für Schumachers Radikalität beim Umgang mit dem Stofflichen. Das Wort Widerstand im Ausstellungstitel, sei auch in diesem Sinne gemeint, sagt Walter Smerling: Widerstand gegen die Beschränkung des künstlerischen Strebens ebenso wie Widerstand des Materials gegen die Intention des Künstlers.

Auch Hagen lohnt den Besuch

Auch Schumachers größte Bilder wirken in dieser Ausstellung zierlich. Diese Räume sind für Größeres gebaut worden, wie etwa für Anselm Kiefers wandfüllende Historienbilder im Obergeschoß. Lediglich ein (kleinerer) Raum zeigt eingerahmte Papierarbeiten, Mappenwerke wie die „Genesis“ fehlen ganz. Wer so etwas sehen möchte, muß weiterhin nach Hagen reisen.

Die große Freiheit

So, das soll es mal gewesen sein. Leben und Werk Emil Schumachers von Grund auf zu erzählen, scheint mir an dieser Stelle nicht nötig zu sein, so bekannt wie der Mann bei uns ist. Man wird in Duisburg nicht unbedingt Neues entdecken; doch die Einladung, einmal mehr sich hineinzubegeben in die große Freiheit dieser Werke, die nichts weniger als Leere ist, lohnt allemal den Besuch der Ausstellung.

  • „Emil Schumacher – Inspiration und Widerstand“
  • 15.11.2018 bis 10.3.2019
  • Geöffnet Mi 14-18 Uhr, Do-So 11-18 Uhr, Feiertage 11-18 Uhr
  • MKM Museum Küppersmühle für moderne Kunst, Duisburg, Philosophenweg 55
  • Eintritt: Wechselausstellungen 6 €, Gesamtes Haus 9 €
  • www.museum-kueppersmuehle.de

 




Mal woanders hingucken: Das Fremde und das Eigene als „museum global“ im Düsseldorfer K20

Der alte Chef interessierte sich nicht für die politische Korrektheit von Kunstgeschichte. Werner Schmalenbach (1920-2010), bis 1990 amtierender Gründungsdirektor der Kunstsammlung NRW, hatte nur einen Antrieb: „Die Lust auf das Bild“. So nannte er ein Buch über sein leidenschaftliches Leben mit der Kunst.

Lasar Segall: „Encontro", um 1924, Öl auf Leinwand (Acervo Museu Segall - IBRAM/MinC - Foto: © Kunstsammlung NRW)

Plakatmotiv, das die Welten verbindet: Lasar Segall „Encontro“, um 1924, Öl auf Leinwand (Acervo Museu Segall – IBRAM/MinC – Foto: © Kunstsammlung NRW)

Und so, mit den Augen und dem Herzen eines Liebhabers, trug er eine der schönsten Sammlungen der klassischen Moderne zusammen: Picasso, Matisse, Miró, Max Ernst und die anderen Großen. Alles nur westliche Ansichten, findet Schmalenbachs heutige Nachfolgerin Susanne Gaensheimer. Sie hat das Haus umräumen lassen und präsentiert nun mit einem Team von Kuratorinnen im Düsseldorfer K20 ihr „museum global – Mikrogeschichten einer ex-zentrischen Moderne“.

„Postkolonialer Diskurs“

Ex-zentrisch (mit Bindestrich) ist in diesem Fall wörtlich gemeint – weg vom zentralen Gedanken. Viele internationale Institute würden derzeit, erklärt Gaensheimer, ihre „Haltung hinterfragen“. Sie wollten wissen: „Was gab es noch?“ Praktischerweise hat die Professorin schon am Frankfurter Museum für Moderne Kunst, ehe sie ins K20 wechselte, mit Geld und Segen der Kulturstiftung des Bundes eine erste Station des Programms „Museum Global“ vorbereitet. Nach Berlin („Hello World“) ist nun Düsseldorf an der Reihe und beteiligt sich an dem, was Julia Hagenberg, die Leiterin der Abteilung Bildung, den „postkolonialen Diskurs“ nennt.

1965 bis 1985: Bilder von Paul Klee auf Weltreise

Da geht es nicht um die traditionelle Volkskunst Afrikas, die im 20. Jahrhundert von Meistern der Moderne geschätzt, von westlichen Galeristen vermarktet und von Bildungsbürgern gesammelt wurde. Zu heikel. Es geht vielmehr um neue Kunstformen, nach denen auswärtige Maler strebten – zeitgleich mit der europäischen Avantgarde. Die „Mikrogeschichten“ zeigen beispielhaft zwischen 1910 und 1960 entstandene Werke aus Japan, Russland, Brasilien, Mexiko, Indien, dem Libanon und Nigeria. Das Ergebnis sei, findet Gaensheimer, „absolut umwerfend“. Nun ja.

Paul Klee: „Omphalo-centrischer Vortrag", 1939, Kreide und Kleisterfarbe auf Seide und Jute (© Kunstsammlung NRW)

Paul Klee: „Omphalo-centrischer Vortrag“, 1939, Kreide und Kleisterfarbe auf Seide und Jute (© Kunstsammlung NRW)

Der innerste Schatz der Kunstsammlung NRW, ein 1960 von der Landesregierung erworbenes Konvolut von 88 Werken Paul Klees, wird zum „Prolog“ des Unternehmens. Schmalenbach liebte die kleinformatigen Kostbarkeiten wie das „Kamel in rhythmischer Baumlandschaft“ (1920/42) oder den „Schwarzen Fürsten“ (1927). Man kann die poetische Melancholie und Heiterkeit des frühen Bauhausmeisters Klee (1879-1940), der 1933 von den Nazis aus seinem Amt an der Düsseldorfer Kunstakademie vertrieben wurde, durchaus aufspüren. Doch die Werke werden im grau gestrichenen Erdgeschoss recht lieblos präsentiert. Dominant sind Texte, Kataloge, Fotografien, Audiodateien zu Ausstellungen zwischen Jerusalem und Rio de Janeiro, bei denen die Düsseldorfer Klee-Bilder zwischen 1965 und 1985 zu sehen waren: „Eine Sammlung auf Reisen“ mit Weltkarte. Erster Teil der Fleißarbeit.

Expressionismus made in Japan

Im zweiten Stock des Hauses sind zum Glück nicht alle grandiosen Bilder durch Unbekanntes ersetzt worden. Vertraute Prachtstücke werden vielmehr den zum Teil recht beliebigen Leihgaben gegenübergestellt. Kandinskys abstrakte „Komposition IV“ von 1911 zum Beispiel bildet einen sonderbaren Kontrast zu einer naiven Festszene des georgischen Autodidakten Niko Pirosmani (1862-1918).

Yorozu Tetsugoro: „Nude Beauty", 1912, Öl auf Leinwand (Important Cultural Property, The National Museum of Modern Art, Tokyo - Foto: © Kunstsammlung NRW)

Yorozu Tetsugoro: „Nude Beauty (Nackte Schönheit)“, 1912, Öl auf Leinwand (Important Cultural Property, The National Museum of Modern Art, Tokyo – Foto: © Kunstsammlung NRW)

Andere Kombinationen zeigen kuriose Verwandtschaften. Die Ähnlichkeit der 1912 gemalten „Nackten Schönheit“ des an Westkunst stark interessierten Japaners Yorozu Tetsugoro mit Bildern deutscher Expressionisten kann kein Zufall sein. Sein in Japan hochgeschätztes Selbstbildnis übt sich im Stil französischer Impressionisten. Da wirkt Ernst Ludwig Kirchners „Mädchen unterm Japanschirm“ (1909) wie ein stummer ironischer Kommentar.

Westliche Impulse zur Befreiung von Folklore

Wer sich von der eigenen Folklore frei machen wollte, ließ sich vom Westen beeinflussen, das zeigt die Ausstellung deutlich – ob sie es will oder nicht. Nicht nur die Libanesin Saloua Raouda Choucair (1916-2017), die nach dem Zweiten Weltkrieg in der Pariser Akademie-Klasse von Fernand Léger studiert hatte, reagierte direkt auf die Vorbilder. Ihre kleinen stilisierten Figuren korrespondieren fast rührend mit Légers dominantem Paar „Adam und Eva“. Später wandte sie sich der Abstraktion zu. Die in Ungarn geborene Inderin Amrita Sher-Gil (1913-1941) malte sich selbst 1934 mit nacktem Busen „als Tahitianerin“ – in Anlehnung an Paul Gauguins exotische Schönheiten.

Anlehnung an Gauguin: Amrita Sher-Gil „Self-Portrait as a Tahitian", 1934, Öl auf Leinwand (Collection of Navina and Vivan Sundaram - Foto: © Kunstsammlung NRW)

Anlehnung an Gauguin: Amrita Sher-Gil „Self-Portrait as a Tahitian“, 1934, Öl auf Leinwand (Collection of Navina and Vivan Sundaram – Foto: © Kunstsammlung NRW)

Der Mexikaner Diego Rivera hingegen behielt, wie seine berühmte Gefährtin Frida Kahlo, seinen eigenen, volkstümlichen Stil. Ein Wallpaper mit der Reproduktion eines seiner bäuerlichen Fresken weist darauf hin. Das dunkle, verschmitzte Porträt, das der Italiener Amedeo Modigliani 1914 in Paris von Rivera malte, hat ein anderes, subtileres Niveau.

Verbunden werden die Welten durch das Plakatmotiv: ein kleines neu-sachliches Bild des jüdischen Malers Lasar Segall (1891-1957), der in Berlin und Dresden studiert hatte und 1919 einer der Gründer der avantgardistischen Dresdner Sezession war. „Encontro“ heißt es, Treffen, und zeigt ihn selbst mit dunklem Teint neben seiner sehr weißen Frau Margarete. Sie blicken starr aneinander vorbei. Im Jahr der Entstehung, 1924, trennten sie sich, und Segall emigrierte nach Brasilien, wo er zu großen Ehren kam. Sein monumentales, etwas pathetisches Bild „Emigrantenschiff“ erzählt von den Nöten seiner Zeit und erreicht uns mitten in der neuen Flüchtlingskrise.

Didaktik im offenen Raum

In der Abteilung Nigeria geht es hauptsächlich um die innere Loslösung von der britischen Kolonialherrschaft nach der Unabhängigkeit 1960. Ein Künstlerclub wurde gegründet, Schwarzweiß-Filme schildern ausbeuterische Verhältnisse, ein rotes Ölbild von Ueche Okeke mit abstrahierten Figuren trägt den Titel „Land der Toten“. Bilanz: Große künstlerische Entdeckungen sind im Museum Global nicht zu machen. Es ist eher ein historisch-politisches Interesse, das der Besucher braucht, um das mit wissenschaftlichem Eifer erarbeitete, mit viel Information befrachtete, aber nicht gerade betörende Projekt zu goutieren.

Saloua Raouda Choucair „Paris - Beirut", 1948, Gouache (ç Saloua Raouda Choucair Foundation - Foto: © Kunstsammlung NRW)

Von Fernand Léger beeinflusst: Saloua Raouda Choucair „Paris – Beirut“, 1948, Gouache (© Saloua Raouda Choucair Foundation – Foto: © Kunstsammlung NRW)

Das braucht didaktisches Bemühen. Ein zum Grabbe-Platz hin offener „Open Space“ soll auch museumsferne Gäste ins Haus locken. Es gibt da eine aus ökologisch einwandfreien Hölzern erbaute Arena, Tische, Stühle, Monitore, eine kleine Bibliothek mit Büchern und Spielen, freies WLAN und einen Kiosk für den schnellen Cappuccino. Auf diesem von der Kulturstiftung der Commerzbank finanzierten Spielplatz sollen sich Geist und Körper entfalten, bei afrikanischem Tanz und indischer Philosophie. So entsteht, hofft Stiftungsvorstand Astrid Kießling-Taskin, ein „Dialog mit der Stadtgesellschaft“. Hoffen wir mal.

„museum global: Mikrogeschichten einer ex-zentrischen Moderne“: Bis 10. März 2019 im K20, Düsseldorf, Grabbeplatz. Di.-Fr. 10 bis 18 Uhr, Mi. bis 19 Uhr, Sa./So. 11 bis 18 Uhr. Eintritt: 12 Euro. Zwei deutsch-englische Kataloge sind in Vorbereitung. Ein „Open Space“ mit Café und Rahmenprogramm ist von außen frei zugänglich. www.kunstsammlung.de




Plastikpuppen, Suchmaschinen – Dortmunder Hartware Medienkunstverein zeigt Arbeiten von „Computer Grrrls“

Bild aus Caroline Martels Film „The Phantom of the Operator“ von 2004 (Bild: public domain/artifact productions. Im Rahmen der Ausstellung „Computer Grrrls“, HMKV im Dortmunder U)

Zwei aufblasbare überlebensgroße Plastikpuppen sind der Blickfang im Raum – plumpe Gebilde, denen Ventilatoren in regelmäßigen Abständen Kontur und Fülle verleihen, bevor sie, mangels Luftdruck, wieder in sich zusammensacken. Der grob-schlächtigen Bemalung nach sind sie nackt, eine erotische Anmutung jedoch geht von ihnen eher nicht aus.

Luftnummer

Was die Figuren eint, ist ihre Geschichte: Beide sind sie Auftragsarbeiten, entstanden in spezialisierten Werkstätten in China und den Niederlanden, denen als Vorbild identische zweidimensionale Pläne dienten, die die Künstlerin Simone C. Niquille anfertigte. Der Unterschied zwischen den Puppen ist mithin der „kulturellen Differenz“ der Produzenten geschuldet. Da sich die Figuren jedoch recht ähnlich sind, kann es (bei dieser Art von Beweisführung) mit der kulturellen Differenz nicht weit her sein.

Ach ja: Angebliches Vorbild der Puppenplanung ist eine Doppelgängerin von Hillary Clinton (auf einem Videomonitor zu sehen), deren Gesicht folgerichtig den runden Kopfballon einer der Figuren ziert. Bei der anderen wurde auf ein vorlagengetreues Gesicht eher weniger Wert gelegt. „The Fragility of Life“ heißt das ganze bedeutungsschwer. Haben wir jetzt alles?

Computer und Zubehör aus der Vergangenheit sind das Thema von Jenny Odell. „Neo-Surreal“, 2017 (Bild: Jenny Odell. Im Rahmen der Ausstellung „Computer Grrrls“, HMKV im Dortmunder U)

Computer und Zubehör aus der Vergangenheit sind das Thema von Jenny Odell. „Neo-Surreal“, 2017 (Bild: Jenny Odell. Im Rahmen der Ausstellung „Computer Grrrls“, HMKV im Dortmunder U)

Video-Schwerpunkt

Mit dem Kunstbegriff ist es bei solchen Arbeiten nicht immer einfach. Finale Wertungen sollen hier unterbleiben, ein jeder Besucher – und eine jede Besucherin, aber klar doch! – urteile selbst.

„Computer Grrrls“ ist der Titel der Ausstellung, zu sehen ist sie im Hartware Medienkunstverein (HMKV) im Dortmunder „U“. Mit einer marginalen Ausnahme wird hier nur Kunst von Künstlerinnen (ohne Sternchen) gezeigt, Arbeiten eher jüngerer Frauen, die mehr oder weniger eng um Computer, Informationsverarbeitung, Internet, KI und so fort kreisen.

Etwa 13 der 23 Exponate (bei manchen ist eine eindeutige Zuordnung nicht sinnvoll) arbeiten mit Video, mal auf kleinem Schirm, mal im abgedunkelten Séparée, was in der Ausstellung eines „Medienkunstvereins“ ja auch naheliegend ist. Eher schon könnte man hier die Zeichnungen und Aquarelle Suzanne Treisters als Ausreißer betrachten. In ihnen ist sogar Humor zu registrieren, wenn sie etwa auf einer wandgroßen Weltkarte die „Post Singularity Epoch of Artificial Super Intelligence Inhabitation of Earth“ darstellen. Bemerkenswert sind auch die Mandalas ähnlichen ornamentalen Bilder, die die Entwicklung von IT beschreiben.

Ganz so zornig sind sie nicht

„Computer Grrrls“ denn also. Der Titel läßt an „Riot Girls“ denken, an zornigen weiblichen Punk der 90er Jahre, der nun beim Medienthema irgendeine Entsprechung zu finden sich anschickt. Doch ist in der Ausstellung eher keine aggressive Kunst zu finden, und es wäre unredlich, die oftmals klugen und nachdenklichen Positionen sämtlich unter das Zornesbanner zu drängen. Auch muß nachdenklich stimmen, daß das Signalbild der Ausstellung, eine vielgliedrige, wohl weibliche Gestalt, die die Zunge provozierend herausstreckt, keineswegs ein Exponat ist, sondern offenbar eine Auftragsgraphik des Vereins mit dem bescheidenen Copyrightvermerk „Gestaltung: Stefanie Ackermann, Manuel Bürger“. Hatten sie wirklich kein Kunstwerk, das zum Titel paßte?

Nadja Buttendorf erzählt im Video die Geschichte ihrer Eltern beim DDR-Elektronikkombinat Robotron. (Bild: Nadja Buttendorf. Im Rahmen der Ausstellung „Computer Grrrls“, HMKV im Dortmunder U)

Telefonistinnen

Wie auch immer. Auffällig bei vielen Arbeiten ist eine Interesse an Forschung, zumal an historischer. So befaßt sich Caroline Martels mit feiner Ironie betitelter 65-Minuten-Film „Le Fantôme de l’Opératrice“ (Das Phantom der Telefonistin) unter Verwendung alter Originalaufnahmen profund mit Frauen und elektrischer/elektronischer Technik. Darsha Hewitt hat zwei „analoge“ Rhythmusgeräte vom Typ Wurlitzer Sidemann 5000 in Glasvitrinen gestellt, hat sie gründlich erforscht und erläutert sie in 10 Fünfminutenvideos. Nadja Buttendorf wiederum erzählt im Stil einer YouTube-Serie in heiter anmutenden Dreiminutenfolgen die Geschichte ihrer Eltern, die sich im seinerzeit bedeutenden DDR-Elektronikkombinat Robotron kennenlernten, heirateten, arbeiteten und sich nach dem Niedergang der Firma trennten.

Üble Späße mit dem Chatbot

Andere Künstlerinnen registrieren – auch hier könnte man oft sagen: augenzwinkernd – die Wechselbeziehungen von Mensch und Netz. So hat Erica Scourti in „Body Scan“ ihre Körpermaße als Text in eine Suchmaschine gegeben und präsentiert in einem Video nun – emotionslos, wie es scheint -, was ihr angeboten wird. „I’m here to learn so :))))))“ von Zach Blas & Jemima Wyman erzählt die angeblich wahre Geschichte des Chatbots Tay, der im Netz die feine Konversation erlernen sollte. Böse Trolls jedoch brachten ihm so viel verbalen Schweinkram bei, daß Microsoft Tay nach 16 Stunden wieder aus dem Verkehr ziehen mußte: Eine eindrucksvolle 4-Kanal-Videoinstallation mit einem eingedötschten, munter erläuternden Chatbot-Kopf, 27:33 Minuten lang.

Schönes aus dem 3D-Drucker

Erwähnt sei schließlich noch eine besonders „schöne“ Arbeit der Iranerin Moreshin Allahyari. In der Konzentration eines abgetrennten Betrachtungsraums erzählen Videos von monströsen weiblichen Dschinn-Figuren, von Ya’jooj und Ma’jooj, von Aisha Qandisha, und in zwei Vitrinen stehen diese Figuren, leuchten golden, Geschöpfe aus dem 3D-Drucker. Dieses Projekt sei, belehrt uns das Programmheft, Teil einer Serie zu „digitalem Kolonialismus und Re-figuration als feministische und aktivistische Praxis“. Nun gut; auf jeden Fall hinterlassen die einzigen figurativen Arbeiten mit gleichsam klassisch-skulpturaler Anmutung in dieser Ausstellung einen bleibenden Eindruck.

Skulpturales aus dem 3D-Drucker: Morehshin Allahyari, „Ya’jooj Ma’jooj“, 2018 (Bild:  Morehshin Allahyari. Im Rahmen der Ausstellung „Computer Grrrls“, HMKV im Dortmunder U)

Plötzlich waren die Frauen weg

Zurück noch einmal zum titelgebenden Zorn, der in den Arbeiten kaum Widerhall findet. Wenn er sich aber aus der Kunst nicht speist, wie dann? Es hat, eine Zeitschiene an der Wand verdeutlicht es, mit der Präsenz oder, ehrlicher ausgedrückt, Nicht-Präsenz von Frauen im großen IT-Themenfeld zu tun.

Gewiß, in der Frühzeit des komplexen Rechnens gab es sie noch, als „Rechnerinnen“ bei Finanzämtern oder Versicherungen. Auch als Bedienerinnen riesiger Maschinen, die mechanisch oder mit Röhrenbestückung Resultate suchten, waren sie unverzichtbar, und in Bletchley Park zum Beispiel, wo der geniale Mathematiker Alan Turing im 2. Weltkrieg den Code der Nazi-Verschlüsselungsmaschine „Enigma“ knackte, war die Zahl der weiblichen Mitarbeiter erheblich.

Doch spätestens mit dem Aufkommen der Personal Computers (PC) in den 80er Jahren, erläutert Inke Arns vom Hartware Medienkunstverein, war Schluß mit weiblicher Beteiligung. Computer waren nun Männersache, und sie sind es bis heute geblieben. Wenn Frauen in der IT-Industrie doch einmal in Spitzenpositionen gelangen, CEO werden, dann wahrscheinlich auf der juristischen oder wirtschaftswissenschaftlichen Schiene, eher nicht auf der technischen. Die berühmten Firmengründer und bald danach schon Multimilliardäre – Bill Gates, Steve Jobs, Mark Zuckerberg und so fort – waren sämtlich Männer, eine Videoarbeit in der Ausstellung thematisiert die männliche Dominanz ironisch, indem sie einfach Biographien aneinanderreiht: „A Total Jizzfest“ von Jennifer Chan.

Viele künstlerische Positionen

Wenngleich feministische Klage und präsentierte Kunst in dieser Ausstellung ein wenig auseinanderfallen, schmälert dies nicht ihre Attraktivität, weil so viele junge Positionen zu sehen sind wie selten. Der Vollständigkeit halber sei noch vermerkt, daß das Pariser Kulturzentrum La Gaîté Lyrique Kooperationspartner der Schau ist. Dort, in Paris, wird die Ausstellung im kommenden Frühsommer zu sehen sein, bevor sie dann im August zum MU Einhoven nach Holland weiterzieht.

  • „Computer Grrrls“, HMKV im Dortmunder U, Leonie-Reygers-Terrasse, 44137 Dortmund
  • Bis 24. Februar 2019.
  • Geöffnet tgl. außer Mo 11-18 Uhr, Do+Fr 11-20 Uhr.
  • Eintritt frei
  • www.hmkv.de



Perfekt, freudlos – das Folkwang-Museum zeigt italienische Malerei der 20er Jahre unter dem Titel „Unheimlich real“

Antonio Donghi: „Donna al caffè – Frau im Café“ von 1931 (Foto: Museum Folkwang / Archivio Fotografico – Fondazione Musei Civici di Venezia / Franzini C.)

Sie lachen nicht. Sie zeigen kaum eine Gefühlsregung. Und wenn doch einmal Leben in den Gesichtern ist, so sind es grimassierende Gaukler wie im Bild „Maschere – Masken“ von Cesare Sofianopulo. Die Ausstellung, die nun bis 13. Januar im Essener Folkwang-Museum zu sehen ist, heißt „Unheimlich real“, und natürlich ist der Titel eine Spiel mit dem umgangssprachlichen Doppelsinn des Wortes.

In der Tat kann einem unheimlich werden zwischen diesen unbeteiligten, teilnahmslosen, jedoch mit großer Meisterschaft und Detailverliebtheit in realistischer Manier auf die Leinwand geworfenen Gestalten. Fehlende Zugewandtheit eint sie, sie ist fast das stärkste Band zwischen ihnen. Atmosphärisch betrachtet reihen sich sogar die Bilder ein, auf denen gar keine Menschen zu sehen sind. Freudlose Zeiten?

Giorgio de Chirico: „Piazza d’Italia (Souvenir d’Italie) – Italienischer Platz (Souvenir aus Italien)“ von 1924-25 (Bild: Museum Folkwang / MART – Archivio Fotografico e Mediateca)

Kunst im Faschismus

In gewisser Weise: ja. 1922 hatte der Faschist Mussolini in Italien die Macht übernommen, die Moderne mit ihrem Hang zur Abstraktion, die es in Italien nie leicht gehabt hatte, schwächelte, Künstler suchten das Konkrete, Gegenständliche, eben das Reale. Es mag durchaus auch sein, daß man bei den Machthabern nicht anecken wollte, wenngleich der „Kunstsinn“ eines Adolf Hitler bei Mussolini, so weit bekannt, keine Entsprechung fand.

Was aber wollte diese Kunst recht eigentlich erzählen? Ich will gerne an dieser Stelle schon, abweichend von den dramaturgischen Usancen des Artikelbaus, bekennen, daß ich eine letztendliche Antwort nicht weiß. Sicherlich wäre es zu kurz gegriffen, in der durchgängigen Freudlosigkeit der Bilder so etwas wie Kritik an den politischen Verhältnissen erkennen zu wollen.

Richtig ist andererseits, daß diese Kunst eine starke formale Rückwärtsgewandtheit prägt, ebenso aber auch, daß surreale Überhöhungen des „Realismo magico“ diesen konservativen Duktus häufig ad absurdum führen. Zu den wenigen auch bei uns bekannten Künstlern dieser Ausstellung gehört Giorgio de Chirico, dessen „Piazza d’Italia (Souvenir d’Italie)“ von 1924/25 mit seinen oft bemühten kompositorischen Elementen wie Säulenfassaden und zentralgestellten Skulpturen vergleichsweise vertraut wirkt.

Cesare Sofianopulo: „Maschere – Masken) von 1930 (Bild: Museum Folkwang / Nicola Eccher)

Fast allegorisch

Häufig setzen kraftvolle Details gleichsam allegorische Akzente, wie im Titelbild der Ausstellung „“Ritratto della moglie sullo sfondo di Venezia – Die Frau des Künstlers vor venezianischer Kulisse“ (1921) von Ubaldo Oppi: Gondeln, Segelschiff und Stadtkulisse sowie ein merkwürdig streng drapierter Vorhang, der auf dem Balkon fast etwas fehl am Platze wirkt. Doch das könnte alles eben auch noch ganz „real“ sein, unzweifelhafte Allegorien wie Cagnaccio di San Pietros „L’alzana – zwei Treidler“ von 1926 bilden eher die Ausnahme. Zwei kräftige Männer ziehen hier ein Schiff, dessen Bug das Bild einer Pietà ziert – kraftvoll mit geballten Fäusten vorwärts strebend der eine, schlaf und einem Gefesselten gleich der andere. Doch arbeitete Cagnaccio di San Pietro auch in anderen Genres, man begegnet ihm mehrfach in dieser Ausstellung, er ist keineswegs so etwas wie ein „konsequenter Allegoriker“.

Ubaldo Oppi: „Ritratto della moglie sullo sfondo di Venezia – Die Frau des Künstlers vor venezianischer Kulisse“ von 1921 (Bild: Museum Folkwang / Carlo Baroni, Rovereto)

Futurismo und Neue Sachlichkeit

Zeitgleich mit der hier ausgestellten italienischen Malerei feierte im Deutschland der 20er Jahre die „Neue Sachlichkeit“ Erfolge, die sich jedoch, schaut man auf die Bilder ihres heutzutage wieder stark nachgefragten Protagonisten Karl Hofer, von der schnöden Wirklichkeit fern hielt und ihr Heil in schmucken, nur sehr ungefähr verorteten Personenarrangements suchte. Eine zeitlich-thematische Abgrenzung zu Marinettis „Futurismus“ findet sich leider nur in den erläuternden Texten am Eingang der Ausstellung.

Es wäre schön gewesen, diese naiv fortschrittsgläubige, dem Faschismus manchmal bedenklich nahe Kunstrichtung, mit der es 1920 ja keineswegs ein Ende hatte, im ästhetischen Vergleich zur ausgestellten „unheimlich realen“ Material zu sehen. Unvergeßlich bleibt in diesem Zusammenhang die große Futurismus-Ausstellung, die der 2007 viel zu früh verstorbene Leiter des Dortmunder Ostwall-Museums Ingo Bartsch 2002 unter dem Titel „Auch wir Maschinen, auch wir mechanisiert“ ausrichtete. Bartsch bemaß die Zeit des italienischen Futurismus von 1915 bis 1945.

Carlo Carrà: „Vasi sul davanzale / Blumentöpfe auf dem Fensterbrett“ von 1923 (Bild: Museum Folkwang / Courtesy Galleria dello Scudo, Verona)

Die Wärter

Viele Portraits, von Frauen zumal, Landschaften, Stilleben – diese in neun Themengruppen sehr ordentlich sortierte Ausstellung ist unbedingt sehenswert und ein Spitzlichtlein im diesjährigen Museumsbetrieb des Reviers, zu dem wir ausnahmsweise auch mal Düsseldorf und Köln zählen wollen.

Wenn nur die Wärter nicht wären, also: diese Museumswärter. Persönliche Umstände brachten es mit sich, daß ich die Ausstellung nicht in der relativ unbeschwerten Atmosphäre eines Presserundgangs erkunden durfte, sondern ganz normal als zahlende Kundschaft. Und als solche mußte ich miterleben, wie ein älterer Herr, der sich ein Bonbon oder ähnliches in den Mund steckte, derb (anders kann man nicht sagen) darauf hingewiesen wurde, daß „das Essen“ in der Ausstellung verboten sei. Kein Essen in Essen also (Brüllwitz). Dunkel meine ich mich zu erinnern, daß das Publikum in früheren Zeiten von der Essener Bewachungsfirma Kötter bewacht wurde, die das sehr viel relaxter machte.

  • Unheimlich real – Italienische Malerei der 1920er Jahre“.
  • Bis 13. Januar 2019. Eintritt 8 €, Katalog im Museum 32 €, im Buchhandel 39,90 €
  • www.museum-folkwang.de



Panorama europäischer Baukultur: Diözesanmuseum Paderborn zeigt herausragende Gotik-Ausstellung

Das Diözesanmuseum Paderborn zeigt eine große Gotik-Ausstellung. Eingangsbereich der Ausstellung. Foto: Werner Häußner

Das Diözesanmuseum Paderborn zeigt eine große Gotik-Ausstellung. Hier der Eingangsbereich der Schau. (Foto: Werner Häußner)

Von Licht und Farbe durchflutete Räume, himmelwärts gelenkter Blick, filigrane, schwerelose Architektur: Die gotische Kathedrale fasziniert bis heute Betrachter und Besucher; die Interpretation dieses so revolutionär scheinenden Baustils füllt Bände. Die gotische Kathedrale, deren Entwicklung Ende des 12. Jahrhunderts beginnt, ist zum Inbegriff „mittelalterlicher“ Architektur geworden und hat in der Kulturgeschichte vielfältige Deutungen erfahren. Eine große Ausstellung widmet sich nun in Paderborn einem markanten Beispiel für diese Epoche.

Das Erzbischöfliche Diözesanmuseum stellt bis 13. Januar 2019 den Paderborner Dom in den Zusammenhang der Baukultur des 13. Jahrhunderts in Europa. 170 Leihgaben aus 80 renommierten europäischen Museen stellen Verbindungen her – zwischen der gotischen Baukunst Frankreichs und Westfalens ebenso wie zwischen dem Paderborner Bau und den geistig-theologischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Aufbrüchen im „Jahrhundert der Kathedralen“.

Anlass für die Ausstellung ist das Jubiläum der Weihe des hochromanischen Doms, den Bischof Imad vor 950 Jahren errichten ließ. Dessen Nachfolgerbau, der heute zu sehen ist, bezieht sich in seinen Dimensionen auf den Imad-Dom und betont damit die Kontinuität, obwohl der gotische Bau, so das Vorwort des voluminösen Ausstellungskatalogs, der erste Dom war, der nicht „aus Anlass der Zerstörung des Vorgängers erfolgte, sondern aus einem bewusst gefassten Entschluss, eine größere und modernere, d.h. gotische Kathedrale zu errichten“.

Zentrales „Ausstellungsstück“ ist der heutige Dom selbst. An ihm lassen sich die innovative Architektur- und Formensprache ablesen, die um 1215 unter direktem französischem Einfluss in Paderborn zu einem modernen Bau führte, der regionale spätromanische Traditionen selbstbewusst mit der neuen Formensprache verbunden hat. Dies sei, wie Museumsdirektor Christoph Stiegemann betonte, kein Zeichen von Provinzialität. Heute sehe die Forschung das Eigenständige der westfälischen Gotik nicht als Mangel, sondern als bewusste Entscheidung, gotische Formen in spätromanische Architekturkonzepte umzuschmelzen.

Älteste erhaltene Architekturzeichnungen

Wie war es möglich, Formen der französischen Gotik aufzugreifen und der heimischen Bautradition anzupassen? Darauf antwortet eines der herausragenden Stücke der Ausstellung: Die Reimser Palimpseste stehen als älteste erhaltene Architekturzeichnungen für ein Medium, das in wenigen Jahrzehnten sämtliche Bau- und Planungsverfahren revolutionierte. Nun konnten die Bauleute komplexe geometrische Architekturformen konzipieren und weiträumig kommunizieren. Die Zeichnungen machten die Formen skalierbar: Es entstand Architektur en miniature; gotische Formelemente ließen sich auf kunstvolle Goldschmiedearbeiten, Elfenbeinschnitzereien oder Reliquiare anwenden. In der Ausstellung steht für solche gestalterische Möglichkeiten das einzigartige Heiliggrabreliquiar aus dem Schatz der Kathedrale von Pamplona, das bisher noch nie in Deutschland gezeigt wurde; ebenso die originalen Fragmente des im Zweiten Weltkrieg zerstörten Schreins der heiligen Gertrud von Nivelles.

Die Momumentalskulpturen am Hauptportal des Paderborner Domes. Foto: Werner Häußner

Die Momumentalskulpturen am Hauptportal des Paderborner Domes. (Foto: Werner Häußner)

Die Ausstellung verdeutlicht auch, dass die Gotik „mit einer völlig neuen Wirklichkeitserfahrung“ (Stiegemann) einhergeht. Sehen und Schauen als wesentliche Träger von Erfahrung spielen dabei ebenso eine Rolle wie die beginnende Individualisierung des Menschen, die sich in der Konzeption etwa von Heiligenfiguren ablesen lässt. Der berühmte „Kopf mit der Binde“ des Naumburger Meisters, eine der 15 herausragenden Leihgaben aus dem Bischöflichen Dom- und Diözesanmuseum Mainz, zeigt lebensnahe Mimik: Das um 1240 entstandene steinerne Antlitz lässt sich als verhaltenes Lächeln, aber auch als wehmütiger Blick deuten und gibt der Bedeutungsforschung bis heute Rätsel auf.

Anders der Ausdruck des Engels aus dem Pariser Louvre: Sein entspanntes Lächeln vermittelt einen Eindruck von ruhevoller Heiterkeit, ohne einen Zug ins jenseitig Verklärte anzunehmen. Auch die monumentalen Apostel am Hauptportal des Paderborner Doms nehmen die Züge der neuen Individualität und einen emotionalen Ausdruck an. Sie treten dem Betrachter überlebensgroß als Person, nicht mehr nur als Repräsentanten einer Idee entgegen, wurzeln aber in ihrer Gestaltung aus der Fläche noch in älteren Traditionen: auch sie ein Beispiel selbstbewusster Eigenständigkeit.

Stein und Holz werden nebeneinander verwendet, da die Farbfassung das Material der Skulpturen verborgen hat. Eine jüngst durchgeführte dendrochronologische Untersuchung hat ergeben, dass die Eiche, aus der die beiden Figuren der Bistumspatrone Kilian und Liborius über den Portaltüren geschnitzt wurden, zwischen 1212 und 1224 gefällt wurde – ein wichtiges Datum für die ansonsten quellenmäßig nur dürftig abgedeckte Baugeschichte des gotischen Doms.

Projektleiterin Petra Koch-Lütke Westhues hat die Schau in sechs Stationen aufgeteilt. Sie beginnt mit dem Vorgängerbau, dem 1068 fertiggestellten romanischen Dom von Bischof Imad. Die Wandlungen von der ältesten Paderborner Bistumskirche aus der Zeit Karls des Großen bis hin zum heutigen Dombau veranschaulichen dreidimensionale Animationen. In den Blick rücken die baufreudigen Oberhirten aus der einflussreichen Familie Bernhards II. zur Lippe. Veranschaulicht werden die technischen Innovationen, die den Bau der Kathedralen erst ermöglichten, und die rationalisierten Abläufe an der Großbaustelle mit der Organisation der verschiedenen Gewerke.

Für die Liturgie der Zeit und die Funktion der Kathedrale als Haus Gottes, für das Wechselspiel zwischen öffentlich-repräsentativer Feier der Eucharistie und privater Frömmigkeit stehen exemplarische Leihgaben, aber auch die digitale Rekonstruktion des im 17. Jahrhundert abgebrochenen gotischen Lettners des Paderborner Doms. Eines der Kunstwerke ist ein um 1250 entstandenes Elfenbeindiptychon aus dem Museum für byzantinische Kunst in Berlin mit Szenen aus Passion und Auferstehung Jesu Christi; ein anderes ist die erlesene Goldschmiedearbeit aus der Domschatzkammer Essen, das Armreliquiar des heiligen Cosmas. Dieses Stück in Form eines silbernen Arms trägt auf den Spitzen der Finger einer eleganten Hand ein Türmchen mit gotischen Zierformen. Die um 1300 entstandene Kostbarkeit belegt, wie gotische Architekturelemente als Dekor in zum Teil winzigen Maßstäben in die Kunst übertragen wurden.

Doch die gotische Kathedrale war nicht nur steingewordenes Zeugnis des Glaubens und Abbild des himmlischen Jerusalem. Ein pointierter Katalogbeitrag von Bruno Klein verdeutlicht, in welch komplexe Deutungszusammenhänge die gotische Kathedrale im Lauf der Jahrhunderte eingebunden war. Er geht auch auf ihre Funktion im Rahmen der erblühenden städtischen Gesellschaften ein, in der sie eine dynamische Rolle als „Projektionsfläche besonders vieler und keineswegs einheitlicher Erwartungen“ fungierte. Darin sieht Klein den eigentlichen Grund für die Entwicklung dieses markanten Bautyps.

Die Dombauten als große Gemeinschaftsleistungen erfüllten eine aktive Funktion in religiösen, sozialen, politischen und künstlerischen Aushandlungsprozessen – und ihre Zeit ging, so die These, zu Ende, als sich die Gesellschaften zu weit ausdifferenzierten und „ein einzelnes Bauwerk nicht mehr die Interessen aller zum Ausdruck zu bringen vermochte“. Ein Aspekt, den eine Ausstellung nur sehr abstrakt darstellen kann, der aber in der Betrachtung der gezeigten Kunstwerke nicht aus dem Blick geraten sollte.

„Gotik. Der Paderborner Dom und die Baukultur des 13. Jahrhunderts in Europa“. Bis 13. Januar 2019 im Erzbischöflichen Diözesanmuseum Paderborn. Geöffnet Dienstag bis Sonntag von 10 bis 18 Uhr. Der Eintritt kostet neun, ermäßigt sechs Euro. Der Katalog mit 800 Seiten und 740 Abbildungen kostet in der Ausstellung 39,95 Euro. Info: www.dioezesanmuseum-paderborn.de/gotik

 




Wie entsteht eigentlich eine Ausstellung? Wuppertaler Museum gibt hochinteressante Einblicke

Man wird ihn vermissen: Wuppertals scheidender Museumsdirektor Dr. Gerhard Finckh hinter seinem (arrangierten) Schreibtisch, der diesmal zum Ausstellungsstück geworden ist. (Foto: Bernd Berke)

Man wird ihn vermissen: Wuppertals scheidender Museumsdirektor Gerhard Finckh hinter seinem (arrangierten) Schreibtisch, der diesmal zum Ausstellungsstück geworden ist. Im Hintergrund: Zeugnisse der Bürokratie und Fotoschnipsel der Exponate. (Foto: Bernd Berke)

Seltsame Ausstellung! Da findet man etliche unausgepackte Bilderkisten, hie und da liegen Sägespäne auf dem ansonsten sorgsam gereinigten Museumsboden. Als Besucher kommt man zudem an einem unaufgeräumten Schreibtisch (Stichwort „kreatives Chaos“) vorbei – und in einem Raum lehnen leere Bilderrahmen an den Wänden. Nanu? Sind die Museumsleute nicht fertig geworden?

Nun, es ist nur die eine Seite dieser Schau, mit der es eine spezielle, hochinteressante Bewandtnis hat. Die andere ist durchaus von gewohnter Opulenz und zeigt vielfach famose Kunst aus den reichen Beständen des Wuppertaler Von der Heydt-Museums. Anhand von herausragenden Beispielen aus der eigenen Sammlung, aber eben auch mit zwangsläufig eher schmucklosen Blicken hinter die Kulissen des Hauses führt das Museum vor, wie eigentlich eine Ausstellung entsteht.

Pablo Picasso: „Liegender Frauenakt mit Katze", 1964 (Succession Picasso / Von der Heydt-Museum, Wuppertal / © VG Bild-Kunst, Bonn 2018)

Pablo Picasso: „Liegender Frauenakt mit Katze“, 1964 (Succession Picasso / Von der Heydt-Museum, Wuppertal / © VG Bild-Kunst, Bonn 2018)

Da schau her! Ich kann mich nicht entsinnen, schon etwas Vergleichbares zum Hintergrund des Metiers gesehen zu haben wie in „Blockbuster – Museum“. Dieser nicht allzu glücklich gewählte Titel ist gewiss eine ironische Anspielung auf Erwartungen, die etwa von Städten an Museen gerichtet werden. Die Häuser sollen gefälligst immerzu Events produzieren und damit Hunderttausende anlocken. Oft genug gelingt es ja auch.

Abschied von Gerhard Finckh

Gerhard Finckh scheidet mit dieser originellen Unternehmung als Direktor des Von der Heydt-Museums, das er seit 2006 geleitet hat. Zum Abschied lässt er sich (und anderen Leuten vom Fach) ein wenig in die Karten schauen. Ein Plakat über dem Entree der Schau zeigt ihn selbst als Eineinhalbjährigen, der mit Klötzchen quasi seine eigene Welt baut. So früh hat es also angefangen? Finckh hält dafür, dass es auch für Ausstellungsmacher darum gehe, vorhandene Dinge zu sortieren und zu ordnen.

Claude Monet: „Blick auf das Meer", 1888 (Von der Heydt-Museum, Wuppertal)

Claude Monet: „Blick auf das Meer“, 1888 (Von der Heydt-Museum, Wuppertal)

Diese doppelgesichtige Ausstellung ergeht sich nicht nur in Kulissenschieberei, sondern hat – wie gesagt – ihre sinnlichen Schauwerte, die sich in 130 Arbeiten aus Eigenbesitz verwirklichen. Da sieht man etwa einen großartigen Raum mit Bildern von Max Beckmann. Man begegnet grandiosen Werken von Claude Monet, Otto Dix, Pablo Picasso, Francis Bacon oder Gerhard Richter; um nur einige zu nennen. Das Wuppertaler Haus kann aus einem Fundus von allein rund 3000 Gemälden schöpfen, hier sieht man einige der wohl allerbesten. Und sie dienen nicht bloß zur Illustration von Thesen, sondern sind in ihrem ästhetischen Eigenwert präsent.

Erste Ideen beim Wein mit Freunden

Nun jedoch zum nicht nur heimlichen Hauptthema, dem Wachsen und Werden eines musealen Projekts. Nüchterne Feststellung: Wo eine Ausstellung hinkommen soll, muss zunächst die vorherige abgehängt, weggestellt, ins Depot gebracht und/oder an Leihgeber zurückgeschickt werden. Welche Unordnung dabei vorübergehend im Museum entsteht, lassen rabiate Abrissspuren einer einzigen Stellwand ahnen. Ein Tisch mit Weinflaschen steht sodann für allererste Ideen zu einem neuen Projekt, die (wie Finckh glaubhaft versichert) unter Kunstexperten nicht selten beim Plaudern in gemütlicher Freundes- und Kollegenrunde aufkommen – oder z. B. auch im Urlaub, wenn sie sinnend aufs Meer blicken und plötzlich eine Eingebung haben…

Die anfangs keimenden Einfälle übertreffen womöglich schon jede spätere Realisierung, welche allzu oft mit realen Hindernissen zu kämpfen hat. Darauf deutet jedenfalls eine Wandaufschrift mit Hölderlins berühmten Worten aus dem „Hyperion“ hin: „O ein Gott ist der Mensch, wenn er träumt, ein Bettler, wenn er nachdenkt…“ Am Schluss des Rundgangs wird man mit einem weiteren, nicht minder berühmten Zitat Hölderlins verabschiedet: „Komm! ins Offene, Freund!“  Da schreitet man doch schließlich ganz anders aus dem Institut heraus.

Raumaufnahme der Ausstellung „Blockbuster – Museum": Die Rahmen sollen verdeutlichen, dass eine Bildwirkung eben auch von der Rahmung abhängt. (Foto: Antje Zeis-Loi/Medienzentrum Wuppertal)

Raumaufnahme der Ausstellung „Blockbuster – Museum“: Die Rahmen auf dem Boden sollen verdeutlichen, dass eine Bildwirkung eben auch von der Rahmung abhängt. (Foto: Antje Zeis-Loi/Medienzentrum Wuppertal)

Doch zunächst geht es auf den Parcours und an die eigentliche Umsetzung einer Ausstellung. Der erwähnte Chaos-Schreibtisch gehört dem verantwortlichen Kurator, in diesem Falle also Gerhard Finckh. Dahinter hängen als kleine, jederzeit verschiebbare Foto-Bilderschnipsel die Werke, die just in dieser Schau zu sehen sind.

Klima- und Sicherheits-Fragen

An einer weiteren Wand finden sich beispielhafte Briefe, mit denen andere Museen oder auch Privatbesitzer um Leihgaben gebeten werden. Natürlich nicht einfach so (da könnte ja jeder kommen!), sondern mit peniblen Angaben zu klimatischen Bedingungen, Wachpersonal, Alarm rund um die Uhr und sonstigen Sicherheits-Aspekten. Bild für Bild ein oft langwieriger bürokratischer Vorgang, von dem Museumsbesucher keine Notiz nehmen. Schon zu Beginn der Bildersuche sind ja Werkverzeichnisse und sonstige Bücher durchforstet worden. Bereits die hauseigene Bibliothek umfasst immerhin etwa 100.000 Bände.

Nicht jedes Kunstwerk ist in gutem Zustand. Manche Bilder oder Skulpturen müssen vor der Präsentation gründlich ausgebessert werden. Auch in eine Restaurierungswerkstatt bekommt man hier Einblick. Man lernt: Vor einer Ausstellung, erst recht vor einem Leihvorgang muss der Zustand aller Exponate exakt protokolliert werden, sozusagen bis zum haarfeinen Kratzerchen. Damit nachher keine Klagen kommen…

Für den Kulturtourismus: Erste Flyer schon zwei Jahre vorher

Und so geht es nach und nach um gar viele Wechselfälle im Museums- und Kunstbetrieb – von den leidigen Finanzen (einschlägige städtische Haushalts-Aufstellungen als Exponate) über die „Pflege“ von Mäzenen und Sponsoren (Finckh: „Viele Abendessen mit reichen Leuten“), um die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, um die ersten Flyer, die schon rund zwei Jahre vor einer Schau herauskommen, damit z. B. bei Busunternehmen kulturtouristische Früh- und Langzeitwirkung erzielt wird. Apropos Finanzen: Ursprünglich wollte Gerhard Finckh eine Kunstausstellung übers 18. Jahrhundert, also die Zeit der Aufklärung in Frankreich gestalten. Die Vorbereitungen waren schon weit gediehen, da musste sie aus Finanzgründen (es fehlten rund 200.000 Euro) abgesagt werden. Allein schon all die bedauernden Absagen an Leihgeber zu schreiben…

Gerhard Richter: „Scheich mit Frau", 1966 (Von der Heydt-Museum, Wuppertal)

Gerhard Richter: „Scheich mit Frau“, 1966 (Von der Heydt-Museum, Wuppertal)

Nur scheinbar banal oder nebensächlich sind auch Fragen der Rahmung, Beleuchtung und Beschriftung. Selbst die Wahl der Wandfarbe, die erst einmal probehalber aufgetragen wird, spielt eine gebührende Rolle. Da stehen ein paar Farbeimer herum und mehrere Bilder sind testhalber von verschiedenen Farben hinterfangen. Passt der Farbton zu den Bildern, nimmt er etwas von der Wirkung oder unterstützt er sie dezent? Da kann man jeweils lange diskutieren. Finckh glaubt übrigens, dass inzwischen nahezu 50 Farbschichten auf den Wänden sein müssten. Wenn die eines Tages abblättern, wird’s problematisch.

Ungeahnter Arbeitsaufwand

Und überhaupt: Wie eigentlich bei jeder Tätigkeit, von der man Näheres erfährt, staunt man über den immensen Arbeitsaufwand, der hinter all dem steckt. Insgesamt hat das Von der Heydt-Museum in allen Abteilungen zwar fast 200 Mitarbeiter(innen), darunter viele Ehrenamtliche, doch das Kuratorenteam besteht gerade mal aus drei Frauen und einem Mann, die stets mehrere Ausstellungen parallel planen. Man ahnt, dass sie mehr als genug zu tun haben.

In einem Raum wird eine besondere Zusatz-Arbeit skizziert, nämlich die manchmal ungemein aufwendige Forschung in Sachen Restitution, die selbstverständlich eine Pflichtaufgabe ist. Dabei geht es vornehmlich um die Rückgabe von Werken, die jüdischen Bürgern zur NS-Zeit unrechtmäßig weggenommen wurden. Die genaue Klärung eines Sachverhalts ist mitunter dermaßen kompliziert, dass die Dokumentation für ein einziges Bild Jahre dauert und viele Aktenordner füllt.

Was darf ein Museum zeigen – und was nicht?

Zwischendurch haben wir durch eigens geöffnete Ausgucke ins Depot und in die Klimaschächte schauen dürfen, da geht es unversehens auch noch um Politik und Ethik. Schwierige Frage: Was darf ein Museum zeigen und was nicht? Beispielsweise eine Porträtskulptur von Adolf Hitler, erstellt vom berüchtigten NS-Bildhauer Arno Breker, einem gebürtigen Wuppertaler?

Von einer Kriegsgranate durchlöchert und bewusst achtlos hingelegt: Hitler-Kopf des NS-Bildhauers Arno Breker. Im Hintergrund ein Gemälde von Karl Hofer. (Foto: Bernd Berke)

Von einer Kriegsgranate durchlöchert und bewusst achtlos hingelegt: Hitler-Kopf des NS-Bildhauers Arno Breker. Im Hintergrund ein Gemälde von Karl Hofer. (Foto: Bernd Berke)

Man zeigt ein solches Machwerk tatsächlich, freilich mit deutlich distanzierendem Gestus, der angemessen ist. Der symbolträchtig von einer Kriegsgranate getroffene und großflächig durchlöcherte Kopf liegt fast wie ein vergessenes Objekt herum. Auch ist er von Kunst aus aufrechtem Geiste umgeben und somit konterkariert. Mag sein, dass man ihn auf solche Weise zeigen darf. Und möglichst nur auf solche Weise.

Doch schon stellt sich die nächste, ganz anders gelagerte Frage: Ist Martin Kippenbergers gekreuzigter Frosch dort oben, gleichsam im „Herrgottswinkel“, nicht eine üble Beleidigung christlicher Empfindungen? Nun ja, diese einst virulente Provokation hat sich mittlerweile wahrscheinlich etwas verbraucht. Herrje, fast hätte ich jetzt „Gott sei Dank“ gesagt.

„Blockbuster – Museum“. Von der Heydt-Museum, Wuppertal, Turmhof 8. Vom 7. Oktober 2018 bis Ende Februar 2019. Geöffnet Di-So 11-18, Do 11-20 Uhr. Mo geschlossen. Eintritt 12 €, ermäßigt 10 €, Familie 24 €. Kein Katalog.

Online-Tickets, jeweils gültig für einen Tag und weitere Infos zum Museum und zur Ausstellung: www.vdh.netgate1.net

Museums-Tel.: 0202 / 563 62 31




Alles wird zur Inszenierung: Leverkusener Museum Schloss Morsbroich zeigt „Das Rokoko in der Gegenwartskunst“

Glenn Brown: The Shallow End, 2011. Öl auf Tafel (oval), 128 x 96 cm, Collection of the artist. Courtesy Galerie Max Hetzler, Berlin/Paris/London. © Glenn Brown

Glenn Brown: The Shallow End, 2011. Öl auf Tafel (oval), 128 x 96 cm, Collection of the artist. Courtesy Galerie Max Hetzler, Berlin/Paris/London. © Glenn Brown

Natur, Theater und Lebenskunst, rationale Aufklärung und verfeinerte Décadence, schäumende Formen und frivoles Spiel: Das Rokoko ist eine kurze, eminent kreative und bis heute so schwärmerisch geliebte wie herzlich verachtete Epoche in der Geschichte der Kunst. Rokoko und Gegenwart lassen sich dabei kaum zusammendenken: Zu unterschiedlich scheinen die künstlerischen Mittel und die denkerischen Ansätze. Oder doch nicht?

Das Leverkusener Museum Schloss Morsbroich jedenfalls will mit der Ausstellung „Der flexible Plan. Das Rokoko in der Gegenwartskunst“ demonstrieren, wie diese Epoche in der Kunst der Gegenwart fortlebt. Dabei geht es um Form- und Ideengeschichte, vor allem aber um den – mehrfach medial und intellektuell – gebrochenen Blick heutiger Künstlerinnen und Künstler auf die höchst differenzierte Kunst- und Geisteslandschaft von vor 250 Jahren.

Schloss Morsbroich, 1775 als „Maison de plaisance“ errichtet, ist für eine solche Schau der richtige Ort. Die Kunstwerke treten dort mit dem historischen Bau in einen spielerischen Dialog, der schon eines der Merkmale der Rokoko-Kultur hervorbringt – nämlich alles zur Inszenierung, zum kunstvollen Spiel werden zu lassen.

Rachel Kneebone, Act III, 2016. Porzellan, 78,9 × 60,3 × 56,6 cm, © Rachel Kneebone Courtesy White Cube. Foto: © White Cube (Ben Westoby)

Rachel Kneebone, Act III, 2016. Porzellan, 78,9 × 60,3 × 56,6 cm, © Rachel Kneebone Courtesy White Cube. Foto: © White Cube (Ben Westoby)

Die Natur, die im Zeitalter des Rokoko eine zentrale Rolle spielt, überführt beispielsweise Alice Channer in ihren Muschel- und Krabbenarbeiten in post-industriell produzierte, hybride Objekte. Lois Renners Fotografien der Stiftsbibliothek Admont wie auch Markus Schinwalds zeitgenössische Fragonard-Adaption, Jeppe Heins Lichtinstallation „Enlightenment“ (2002) und Pia Stadtbäumers opulent-freizügige Rokoko-Figuren bringen die divergierenden Pole des 18. Jahrhunderts zusammen, welche die Spannbreite der Ausstellung bestimmen: Aufklärung trifft sich mit frivoler Unterhaltung, vergnüglicher, inhaltloser Dekor mit einer Explosion des geordneten Wissens, die sich damals im Projekt der Enzyklopädie, heute im Internet ereignet.

Die ausgestellten Werke spielen etwa virtuos mit der Idee des Frivolen, wie die Arbeiten von Alexej Koschkarow, inszenieren auch Räume und laden sie atmosphärisch auf. So steigert etwa Anri Sala das räumliche Erlebnis durch das Akustische. Thierry Boutemy verwischt in seinen floralen Installationen die Grenzen zwischen Außen und Innen. Katharina Grosse erweitert die Malerei in den Raum. Weitere ausgestellte Künstler sind Leonor Antunes, Cornelia Badelita, Karla Black, Glenn Brown, Edith Dekyndt, Anke Eilergerhard, Rachel Kneebone, Markus Schinwald und Anj Smith.

Anke Eilergerhard: Annastasia, 2018; Annalotta, 2018: Annabeth, 2018; alle hochpigmentiertes Silikon, Weimar Porzellan, Nero Marquina Marmor, Edelstahl, Höhe 185 cm x ø 90 cm. Courtesy Anke Eilergerhard.

Anke Eilergerhard: Annastasia, 2018; Annalotta, 2018: Annabeth, 2018; alle hochpigmentiertes Silikon, Weimar Porzellan, Nero Marquina Marmor, Edelstahl, Höhe 185 cm x ø 90 cm. Courtesy Anke Eilergerhard.

Die Ausstellung „Der flexible Plan. Das Rokoko in der Gegenwartskunst“ ist bis 6. Januar 2019 im Museum Schloss Morsbroich in Leverkusen-Alkenrath zu sehen. Begleitend zur Ausstellung erscheint eine Publikation, die Installationsansichten aller Kunstwerke, eine Einführung von Stefanie Kreuzer und einen Essay von Heike van den Valentyn enthalten wird.

Das Museum ist Dienstag bis Sonntag von 11 bis 17 Uhr geöffnet, an Sonntagen findet um 15 Uhr eine öffentliche Führung statt. Der Eintritt kostet acht, ermäßigt vier Euro. Info: http://www.museum-morsbroich.de




Unbewusstes aus der Dunkelkammer – Bilder des deutschen Surrealisten Edgar Ende in Haus Opherdicke

„De Profundis" (1951) ist das Titelbild der Ausstellung (Foto: Michael Ende Erben/VG Bild-Kunst, Bonn 2018)

„De Profundis“ (1951) ist das Titelbild der Ausstellung (Foto: Michael Ende Erben/VG Bild-Kunst, Bonn 2018)

„Der gefesselte Sturm“ ist eins der letzten Bilder Edgar Endes. 1965 entstanden, zeigt es ein rotes, mit Seilen gespanntes Tuch, in dem sich ein Gesicht abdrückt. Und das Gesicht vergießt Tränen. Ist dies vielleicht die Ahnung des nahenden Todes, ist es die Trauer darüber, dass das kranke Herz (Ende starb an einem Herzinfarkt) nicht mehr stürmen kann? Eine Antwort hätte man von dem Künstler, dessen Werke jetzt in Haus Opherdicke zu sehen sind, vermutlich nicht erhalten. Alles sei in den Bildern, pflegte er den nach Deutung fragenden Betrachtern für gewöhnlich zu bescheiden.

Edgar Ende, übrigens der Vater des wesentlich populäreren Kinderbuchautors Michael Ende („Momo“, „Jim Knopf“), gehört zu den wenigen surrealistischen Malern Deutschlands. Schon frühe Arbeiten wie „Die aus der Erde Kommenden“ von 1931 weiten die Szene ins bedrohlich Unwirkliche. Gewiss ist in Vorkriegsarbeiten wie dieser noch expressionistisches Pathos zu entdecken, doch es dominiert nicht.

Schon der junge Ende arbeitete mit tiefstehendem Licht und magisch überdehnter Räumlichkeit, weshalb man frühe Arbeiten bei flüchtigem Hinsehen auch seinem berühmten italienischen Kollegen Giorgio di Chirico zuordnen könnte. Über persönliche Kontakte zur französischen surrealistischen Szene ist jedoch nichts bekannt, ebenso nichts über Kontakte zu dem fast einzigen bedeutenden, aus Deutschland stammenden Surrealisten Max Ernst, der jedoch schon in den 20er Jahren nach Frankreich übersiedelte.

Frühwerk: „Die aus der Erde Kommenden (Auferstehung)“ von 1931 (Foto: Michael Ende Erben/VG Bild-Kunst, Bonn 2018)

1945 ging es weiter

Nach frühen beruflichen Erfolgen und ersten Verkäufen geriet Ende ins Visier der Nazis. 1936 wurde er als „entartet“ abgestempelt, Malen und Materialeinkauf wurden ihm verboten, Bilder von ihm, die bereits im Münchner Lenbachhaus hingen, wurden abgehängt.

Ende hielt sich an das Malverbot, war fünf Jahre lang Soldat – und machte 1945 genau da weiter, wo er in der Nazizeit aufgehört hatte. Sein Oeuvre ist von einer geradezu frappierenden Bruchlosigkeit, allerdings sind die Farben nun etwas kräftiger.

Monströse Wesen

Monströse Wesen wie die „Löwenengel“ bevölkern Endes Bilder, Tauben, deren Flügel menschliche Hände sind, überflattern eine Taucherglocke, ein Mann in roter Jacke schießt mit dem Gewehr auf Apothekerwaagen, die vor düsterer Sturmhimmelskulisse dahinfliegen: Wie entwickelte dieser Surrealist seine Phantasien in einer Zeit, in der zumal im Westen Deutschlands abstrakte Kunst als das Nonplusultra galt und Figuratives schnell als gestrig abgetan wurde? Nun, er ging, ganz bescheiden, in die Dunkelkammer.

Noch ein Frühwerk: „Fragmente“ von 1936 (Foto: Michael Ende Erben/VG Bild-Kunst, Bonn 2018)

Zettelkasten

Hier, in einer dunklen Kammer, in Abwesenheit jeglichen visuellen Reizes, wartete der Künstler auf Ideen. Sie strömten offenbar in reicher Zahl, und unter dem sparsamen Licht einer Taschenlampe skizzierte Ende Ideen, Eingebungen, „Gedankenblitze“ auf bereitliegenden Zetteln.

Ein besonderer Schatz in der Ausstellung, die Kurator Arne Reimann in Haus Opherdicke mit viel Feingefühl für diese singuläre Künstlerpersönlichkeit zusammengestellt hat, ist deshalb Edgar Endes Zettelkasten mit etlichen hundert Dunkelkammerskizzen. Wieder im Hellen zog mal er selbst, mal seine sehr viel jüngere Frau Lotte Schlegel ein Zettelchen, und dann entstand nach der skizzierten Idee vielleicht ein Bild. Ende glaubte, mit seiner Methode im dunklen, gleichsam lichtentleerten Raum Bildideen aus dem „kollektiven Unbewussten“ zu erreichen, die er seinem schöpferischen Tun unterlegte.

Flüchtig notiert 

Etliche Zettel sind in Opherdicke – unter Glas und bei gedämpftem Licht – nun ausgestellt, und es ist nicht eben so, dass sich Mal um Mal sofort das Meisterwerk zeigte. Einen Großteil der Dunkelkammer-Inspiration wird Edgar Ende also wohl im Kopf gespeichert haben, da ist das Papier dann nur ein Trigger. Doch entscheidend ist ja, was hinten rauskommt.

„Johnnys ganze Liebe“ von 1964 (Foto: Michael Ende Erben/VG Bild-Kunst, Bonn 2018)

Bald vergessen

Edgar Ende war zu Lebzeiten recht erfolgreich, unter anderem 1948 und 1954 Teilnehmer der Kunstbiennale Venedig und in seinen letzten Jahren Präsident des Münchner Hauses der Kunst. Doch das Vergessen setzte bald nach seinem Tod schon ein, und auch der Versuch seines Sohnes, mit einer großen Ausstellung in den frühen 80er Jahren den Vater dem Vergessen zu entreißen, war nur von mäßigem Erfolg gekrönt.

Erst in jüngerer Zeit ist wieder ein wachsendes Interesse an Künstlern jener „verlorenen Generation“ wahrnehmbar, die ihre „besten Jahre“ durch die Nazi-Herrschaft verloren und zu denen auch Ende zählt. Vor allem Kunst des gut 20 Jahre älteren Karl Hofer erzielte in den letzten Jahren große Verkaufserfolge. Er war zwar kein Surrealist, aber er verwendete die gleichen Farben wie Ende, weiß der Kunstsammler Frank Brabant, der schon etliche Opherdicker Ausstellungen bestückte und von dem hier jetzt drei Exponate stammen. Immerhin sind diese aus den 30er Jahren, und da gibt es nur ganz wenig, weil Edgar Endes Münchner Atelier mit all der vielen Kunst darin 1944 einem britischen Bombenangriff zum Opfer fiel.

Das ist nicht Emma. „Die Angst der Berge“ (1958) (Foto: Michael Ende Erben/VG Bild-Kunst, Bonn 2018)

Katalog enthält das Werkverzeichnis

Der Katalog zur Ausstellung schließlich, eine Besonderheit, umfasst auch das alphabetische Werkverzeichnis der Gemälde, Gouachen, Grafiken und Zeichnungen. Ende-Experte Axel Hinrich Murken hat es in drei Jahrzehnten erarbeitet.

  • „Edgar Ende – Melancholie und Verheißung“
  • Haus Opherdicke, Dorfstr. 29, Holzwickede
  • Bis 24.2.2019
  • Geöffnet Di – So 10:30 – 17:30 Uhr
  • Eintritt 4 €
  • Katalog 25 € im Museum, 28 € im Buchhandel
  • www.kreis-unna.de



Show der Zweifel: „Die große Weltverschwörung“ im Düsseldorfer NRW-Forum

Zweifel sind angebracht. Schon immer war der Sprache nicht zu trauen. Was in der Menschheitsgeschichte als Tatsache verstanden wurde, konnte genauso gut ein Märchen sein oder eine Metapher, getragen von Glauben, Liebe, Hoffnung, Hass. Heute, im Zeitalter des digitalen Zaubers, lügen auch vermeintlich eindeutige Abbilder.

Ausstellungsansicht mit Tony Ourslers (Foto: B. Babic)

Ausstellungsansicht mit Tony Ourslers Arbeit „N^u 2016″, einem sprechenden Kopf. (Courtesy the Artist & Galerie Hans Mayer – Foto: B. Babic / NRW-Forum Düsseldorf)

Fotografien und Filme lassen sich so perfekt verändern, dass niemand die Schnitte bemerkt. Zugleich können sie sich ungehemmt im Netz verbreiten – genau wie Behauptungen aller Art. Den Verschwörungstheorien sind keine Grenzen mehr gesetzt. Im Düsseldorfer NRW-Forum kann man mal darüber nachdenken, an der Welt verzweifeln und sich doch auch darüber amüsieren: „Im Zweifel für den Zweifel“ heißt eine schön maliziöse Kunstausstellung zum Thema Weltverschwörung.

Atmosphäre ist alles, weiß der Hamburger Kurator Florian Waldvogel, der diesen Coup mit Forumschef Alain Bieber ausgeheckt hat. Und so spukt es ganz gehörig in der Schau. Gleich vorne in der Ecke steht ein riesiger flacher Holzkopf des amerikanischen Video- und Installationsmeisters Tony Oursler und flüstert mit wechselnden Mündern und einem beweglichen Auge rätselhafte Dinge. Was hat der von Projektionen belebte Kopf gesagt? „I’m coming to the store now“, er käme jetzt ins Geschäft?

„Habe ich was verpasst?“

Egal, es ist spooky. Das bärtige Gesicht des Mannes scheint nur eine Maske zu sein, hinter der sich allerlei Wesen verbergen. Und wenn Sie das Gefühl haben, da stimme etwas nicht, mag es auch an den Suchscheinwerfern liegen, die, nach dem Konzept des isländischen Kunstmagiers Olafur Eliasson, die Besucher zu verfolgen scheinen („Highlighter“). Ein ebenso einfaches wie treffendes Zeichen für die allgemeine Verunsicherung, an der auch die wissenschaftliche Welt nichts ändern kann, wie man an der wandfüllenden Foto-Collage „Ideologiekritische Studien“ von Holger Wüst sieht. In einem Hörsaal sitzen nur noch Arme, Handys und Laptops, keine Gesichter mehr. Die Büsten der Denker liegen zerbrochen am Boden, dafür wimmelt es von abgedruckten Mails und Chats. An der Wand entziffert man eine kleine handgeschriebene Notiz: „Ich war die letzten 30 Tage gesperrt. Habe ich was verpasst?“

Natürlich, man verpasst immer was. Fakten und die von der Trump-Regierung erfundenen „alternativen Fakten“ fordern die Wahrnehmung heraus. Vieles bleibt dennoch verborgen. Die Londoner Kunst- und Forschungsgruppe „Forensic Architecture“ versucht seit der letzten Documenta, die Aufmerksamkeit für einen deutschen Skandal zu schärfen. Wie das Team unter Leitung von Professor Eyal Weizman mit forensischer Recherche und einem genauen Tatort-Plan offenbart, hat ein verdeckter Mitarbeiter des Verfassungsschutzes 2006 in einem Kasseler Internetcafé einem der rassistisch motivierten NSU-Morde tatenlos zugesehen. Der Mann behauptet bis heute, nichts bemerkt zu haben.

Kakofonie im finsteren Flur

Die Tabellen und Videos zu dem Thema sind allerdings nur für den äußerst geduldigen und wissbegierigen Besucher zu entziffern. Eine allzu akademische Arbeit, leider. Ähnliches gilt für die Arbeit „Hexen 2.0“, in deren Mittelpunkt das Bild einer Wissenschaftler-Runde bei einer Séance 1953 hängt. Mit Tarot-Karten und Anspielungen auf die interdisziplinären Macy-Konferenzen in den USA nach dem Zweiten Weltkrieg wirft die britische Künstlerin Suzanne Treister komplexe Fragen von Technologie und Glauben, Macht und Fortschritt auf.

Auf der anderen Seite des Erdgeschosses appelliert der Hamburger Musiker und Klangkünstler Felix Kubin zum Glück direkt an unsere Sinne. In einem finsteren Flur werden wir von Geräuschen überrascht: Stimmengewirr, Sprechchöre und Musikfetzen. Tatsächlich hat Kubin diese Kakofonie 2002 bei einer unangemeldeten Demonstration gegen den rechtspopulistischen Innensenator Schill vor dem Hamburger Alsterhaus aufgenommen. In kleinen Gruppen, teilweise mit Weihnachtskappen kostümiert, hatten die Protestler damals die Polizei genarrt, während eine Kaufhauskapelle unverdrossen weiter Adventslieder spielte.

Ein ganz normaler Männerbund

Nach diesem Kopfkino gibt es noch ein paar reizvolle Seh-Aufgaben. Die in Köln lebende Dokumentarfotografin Juliane Herrmann (29) hat sich das Vertrauen der Freimaurer erworben und Einrichtungen sowie Mitglieder der als überaus geheim geltenden Loge in verschiedenen Ländern abgebildet. Ihre geduldig geschaffene Serie „Man among Men“ (Mann unter Männern) ist auch ein Bildband auf dem internationalen Büchermarkt geworden und offenbart nichts Verschwörerisches. Es handele sich, versichert die junge Frau, um einen „ganz normalen Männerbund“ mit humanitärem Hintergrund. Das kann man glauben oder bezweifeln, die Einschätzung steht jedem frei. An Trevor Paglens nüchterner Liste von hoch geheimen amerikanischen Militäraktionen („Top Secret“) hat man auf jeden Fall zu knacken: „Combat Hammer“ oder „Patriot Excalibur“ – das klingt nach nichts Gutem.

Michael Schirner (77), Professor für Kommunikationsdesign, erfolgreicher Werber, Ehrenmitglied des deutschen Art Director Clubs und Erfinder künstlerischer Konzepte, irritiert das Publikum nicht mit Worten, sondern mit großen Fotografien, die einem irgendwie bekannt vorkommen und die man doch nicht identifizieren kann. Kein Wunder: Schirner hat in dieser Serie unter dem subversiven Titel „Bye Bye“ auf bekannten Pressefotos die zentralen Figuren und/oder Gegenstände entfernt. Digital natürlich, also spurlos.

Die Präsenz des Verschwundenen

„WAR70“ zeigt Blumen am Ehrenmal der Helden des Ghettos von Warschau ohne Willy Brandt, der in diesem Moment 1970 hier seinen historischen Kniefall machte. „MUN72“ – das ist der Betonbalkon im Olympischen Dorf von München ohne den vermummten Terroristen, der 1972 dort stand und das Ende der friedlichen Spiele markierte. Und „BEI89“ verweist ganz leise auf das Massaker am Tor des Himmlischen Friedens in Peking. Man sieht nur einen kleinen Mann mit Einkaufstüte im Vordergrund. Die Panzer, denen er gegenüberstand, sind verschwunden. Das Bedrohliche existiert nur in der Erinnerung des Betrachters. Faszinierend und beunruhigend, auch wenn Ästhet Schirner betont: „Es ist einfach ein irrsinnig schönes Bild!“

Auf jeden Fall ist es ein klares, ruhiges Werk – ganz im Gegensatz zu der „Crowded Apocalypse“, die von der jungen internationalen Künstlergruppe IOCOSE mit Hilfe von sozialen Netzwerken und beliebigen Verschwörungstheorien in die Welt gesetzt wird. Über fünf Monitore geistern Namen und Andeutungen von Jack the Ripper über die Titanic bis zu den Illuminati, Prozentzahlen ergeben keinen Sinn, und auch eine Karte voller Köpfe und Begriffe schafft keine Ordnung.

Den eigenen Augen trauen

Und was bleibt uns nun? Den eigenen Augen zu trauen und der Vernunft, dieser vergessenen Gabe des denkenden Menschen. Man könnte auch ein bisschen bei den Philosophen nachlesen – zum Beispiel im ungewöhnlichen Katalog der Ausstellung. Kein Coffeetable-Book ist das, sondern ein schlichter, rot-schwarzer biegsamer Band im handlichen Format, geeignet für die Flucht, die der Verschwörungstheoretiker ja immer auch in Betracht zieht.

Aber Scherz beiseite: In diesem Buch sind wichtige Texte zusammengefasst – wie Michel Foucaults „Mut zur Wahrheit“, „Die Unfähigkeit zu trauern“ von Margarete & Alexander Mitscherlich oder Hannah Arendts hellsichtige Erkenntnisse über den Zusammenhang zwischen propagandistischer Hetze und Erlangung von Macht („Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“). Es mag anstrengend sein, sich mit ernsthaften Analysen auseinanderzusetzen. Aber es ist das einzige Mittel gegen das Gift der betörenden Lüge.

„Im Zweifel für den Zweifel: Die große Weltverschwörung“. Bis 18. November im NRW-Forum Düsseldorf, Ehrenhof 2. Di.-Do. 11 bis 18 Uhr, Fr. 11 bis 21 Uhr, Sa. 10 bis 21 Uhr, Sa./So. 10 bis 18 Uhr. Eintritt: Di.-Do. 6 Euro, Fr.-So. 8 Euro. Katalog im Kettler Verlag, Dortmund: 448 Seiten, 24 Euro. www.nrw-forum.de




Strukturen, Wörter, Schläuche – die informelle Bilderwelt des Malers Gerhard Hoehme im Hagener Emil Schumacher Museum

Gerhard Hoehme, Hymne an Heraklit/Hommage à Heraklit, 1959, Öl und Polyester auf Leinwand, 140 x 160 cm, MKM Museum Küppersmühle für Moderne Kunst, Duisburg, Sammlung Ströher. ©VG Bild-Kunst, Bonn 2018

In den frühen Jahren der Bundesrepublik war er fast so etwas wie ein Star des gänzlich ungegenständlichen „Informel“. Er nahm an der documenta II teil und hatte 24 Jahre lang den Lehrstuhl für frei Malerei an der Düsseldorfer Kunstakademie inne. Doch mit der Pop Art verlor das Informel auch in Westdeutschland rasant an Bedeutung, und die letzte große Werkschau liegt zehn Jahre zurück. Mit einer uneingeschränkt sehenswert zu nennenden Ausstellung widmet sich jetzt das Hagener Emil Schumacher Museum dem Werk Gerhard Hoehmes.

Ein einziges Bild kokettiert noch mit dem Gegenständlichen. „Rote Zeichen“ von 1951 lässt hinten links einen Klavierspieler erkennen. Ohne ihn wäre das Instrument nicht zu identifizieren, wäre nur schwarze Fläche mit den titelgebenden Elementen. Gerhard Hoehme malte das Bild 1951, in dem Jahr, als er die DDR mit ihrer beengenden Kunstauffassung verlies und nach Düsseldorf zog. Seitdem zeigen seine Bilder auf unterschiedlichste Weise Strukturen, wirken Mal um Mal wie ein weiterer Entgrenzungsversuch. Wenn die Formulierung nicht in sich unsinnig wäre, befindet Museumsleiter Rouven Lotz, könne man bei Gerhard Hoehmes Werk von dem unablässigen Versuch sprechen, die Grenzen des Informel zu überwinden.

Gerhard Hoehme, Fensterbild S. Remo Str. 6 / Fenster und Baum III , 1968, Acryl auf Leinwand und Holz, 200 × 160 cm, Privatsammlung Meerbusch. © VG Bild-Kunst Bonn, 2018

In die dritte Dimension

Da das Informel aber keine Grenzen hat, hat Hoehme sich beizeiten daran gemacht, die traditionelle Präsentationsform des Tafelbildes zu überwinden. In seinen „Borkenbildern“ wird die rauhe Oberflächenstruktur durch Aufkleben von getrockneten Farbschnitzeln oder Leinwandstücken verstärkt, schiebt sich das an sich flache Bild gleichsam in die dritte Dimension. Spektakulär ist das Titelbild des Katalogs „Hommage an Heraklit“ von 1959, das, vollständig mit gelben Polyesterschuppen besetzt, tatsächlich eine Aura der Wertigkeit aufweist, wie sie eine Ehrbezeugung auch haben sollte.

Ost und West

Doch Hoehmes Oeuvre weist beiweitem nicht die Linearität auf, die etlichen seiner informellen Weggefährten eigen ist. Auf der einen Seite bearbeitet er sein Material mit rohen Methoden, ist nahe dran an der „art brut“ eines Jean Dubuffet; auf der anderen kann der Informel-Künstler nicht von Buchstaben, Schriften und ganzen Texten in seinen Bildern lassen. Das sieben Quadratmeter große Diptychon „Berliner Brief“ von 1966 ist eine launige Montage von Wörtern aus West (links) und Ost. Im bunten Westen lesen wir „Berliner Kindl“, „Mampe“ oder „BP“, aber wiederholt auch „Bestattungen“; im farblich zurückhaltenden, aber doch hellgründigen Osten beispielsweise „Kampftruppen der Arbeiterklasse“ oder „Internationalismus“, aber auch, verschwimmend, „Haus Vaterland“. Was mag es bedeuten, wenn der Künstler Berlins angesagteste Vergnügungsadresse der Vorkriegszeit in der DDR montiert? Methodisch jedenfalls scheint er da einem Klaus Staeck sehr viel näher zu sein als einem Emil Schumacher.

Gerhard Hoehme, Berliner Brief, 1966, Acryl, Collage, Graphit- und Farbstift auf Leinwand, 200 × 360 cm (zweiteilig), MKM Museum Küppersmühle für Moderne Kunst, Duisburg, Sammlung Ströher. © VG Bild-Kunst Bonn, 2018

Vogelperspektive

Die Wörter dieses „Berliner Briefs“ stehen quasi in Augenhöhe vor dem Betrachter, und damit unterscheidet er sich von fast allen anderen Arbeiten Hoehmes, die, wären sie nach der Natur entstanden, aus der Vogelperspektive auf die Erde blicken. Hoehme war im Krieg Kampfpilot gewesen, und die Globalsicht wurde für ihn stilprägend. „Die Anfänge der informellen Malerei (…) lagen fast alle im letzten Kriege – also in einer Zeit der Kollektivschicksale, der Unterdrückung und Tötung des Individuums…“ beschrieb er es 1974. Da konnte die Kunst nicht so tun, als sei nichts geschehen; da aber auch erweist sich das Informel als unerwartet politisch.

Die Essenz

Mit Nägeln, Fäden, Schnüren, Schnittbögen und Trouvaillen hat Hoehme gearbeitet, hat Kästen wie den „Gewitterkasten“ mit düsterer Andeutung gefüllt, hat seine Motive in Fensterrahmen gestellt („Fensterbilder“) – stand also gewissen „Moden“ im künstlerischen Tagesbetrieb keineswegs ablehnend gegenüber.

Doch wirklich typisch für ihn wurden die Kunststoffschnüre, die in unterschiedlichsten Gestaltungen aus etlichen Bildern herausragen. Suchen sie den Kontakt zum Betrachter, bedrohen sie ihn? Oder sind sie in der Lage, gleichsam die Essenz abzusaugen? „Epiphanie des Informel“ ist der Name der Ausstellung, entlehnt dem Titel eines Bildes: Unten an den Kunststoffschnüren, die aus ihm herausragen, kleben große Kunstharzbrocken, abgeleitete, ausgehärtete Materie, wenn man so will. Wenn Epiphanie als Gotteserscheinung übersetzt werden kann, dann mag da ein Zusammenhang bestehen. Aber wer weiß? Auch wenn der Kaiser kam, sprach das begeisterte Volk in Griechenland von einer solchen.

  • „Gerhard Hoehme – Epiphanie des Informel“. Bis 17. Februar 2019
  • Emil Schumacher Museum Hagen, Museumsplatz 1, 58095 Hagen
  • www.esmh.de
  • Geöffnet Di – So 12 – 18 Uhr
  • Katalog 72 Seiten, 60 Abb., 14 € im Museum, 18 € im Buchhandel.



Wo die legendären Alben lebendig werden: Dortmund lockt mit „The Pink Floyd Exhibition“

Blick in die Dortmunder „Pink Floyd"-Ausstellung: Der schreckliche Lehrer bricht durch die Mauer, die dem ungleich größeren Exemplar aus der Konzertreihe „The Wall" nachempfunden ist. (Foto: Bernd Berke)

Blick in die Dortmunder „Pink Floyd“-Ausstellung: Der schreckliche Lehrer durchbricht die Mauer, die dem ungleich größeren Exemplar aus der Konzertreihe „The Wall“ von 1981 nachempfunden ist. (Foto: Bernd Berke)

Ein berühmter Song von Pink Floyd trifft hier und jetzt besonders zu: „Wish You Were Here“, eh schon eine der eingängigsten Schöpfungen der 1965 gegründeten britischen Kultband. Ja, man wünscht sie sich zurück, am liebsten gleich und genau hierher: die alten Zeiten, die eigene Jugend, all die verheißungsvollen Aufbrüche der damaligen Pop- und Rockmusik.

Tatsächlich wird einem jetzt in Dortmund dabei aufgeholfen: „The Pink Floyd Exhibition“ mit dem britisch-sarkastischen Untertitel „Their Mortal Remains“ (Ihre sterblichen Überreste) erweist sich als durchaus anregendes Unterfangen, das so manche Phase und manchen Moment der über 50-jährigen Band-Historie überraschend lebendig werden lässt. Auch jüngeren Besuchern dürfte sich bei der Zeitreise hoch droben auf der sechsten Ebene des „Dortmunder U“ der eine oder andere Zugang zum Werk der Supergruppe eröffnen.

Dritte Station nach London und Rom

Die Abfolge der Ausstellungsstationen klingt geradezu märchenhaft: erst London (Victoria and Albert Museum), dann Rom, jetzt Dortmund. Schon einmal hat Dortmund ziemlich zentral im „Pink Floyd“-Universum gelegen: 1981 gab es in der Westfalenhalle gleich sieben Aufführungen der gigantischen Show „The Wall“. Ansonsten stemmten damals nur Los Angeles, New York und London die ungemein aufwendige Konzertserie.

Schier endlos gespiegelt: das ohnehin schon vielschichtige Cover des „Pink Floyd"-Albums „Ummagumma". (Foto: Bernd Berke)

Schier endlos und überlebensgroß gespiegelt: das irritierende Cover des „Pink Floyd“-Albums „Ummagumma“. (Foto: Bernd Berke)

Auch an diesen Mythos, an den sich etwas ältere Dortmunder noch heute mit leuchtenden Augen erinnern, konnte „U“-Direktor Edwin Jacobs anknüpfen, als er Aubrey Powell (Gestalter vieler legendärer „Pink Floyd“-Plattencover) von einem lohnenden Gastspiel der Schau in Dortmund überzeugte. Powell fungiert denn auch auch Ko-Kurator der Ausstellung. Und wer, wenn nicht er, könnte den Geist der Cover (und somit auch der Musik) gleichsam wieder einfangen und staunenswert neu aufleben lassen?

Auf einmal erhebt sich die Mauer

Hier und da steht man beim Rundgang ganz plötzlich inmitten altbekannter Szenarien; da wird etwa das ohnehin schon rätselhaft vielschichtige Cover von „Ummagumma“ beiderseits endlos gespiegelt. Am spektakulärsten ist jedoch der Effekt, wenn sich auf einmal ein nachempfundenes Stück der Mauer aus den „Wall“-Konzerten vor einem erhebt – mitsamt dem grässlichen Lehrer und dem erbärmlich leidenden Schüler.

Ganz klar: Da erinnern sich Kenner natürlich sogleich an die – zugegeben – auch etwas wohlfeile Zeile „We don’t need no education“ (Wir brauchen keine Erziehung) und den Schlachtruf „Hey! Teachers! Leave them kids alone“ (Ey, Lehrer, lasst die Kinder in Ruhe). Überhaupt ist die Verschränkung von Sound und Bildern in dieser Ausstellung streckenweise besonders stimmig gelungen. Eins hebt das andere hervor, hebt es auf eine neue Stufe.

Die Musiker als Ingenieure und Tüftler

Wer sich entsprechend Zeit nimmt, kann gut und gerne zwei bis drei Stunden durch diese Ausstellung streifen, die eine labyrinthische, abgedunkelt höhlenartige Anmutung hat – fast wie so ein Underground-Club seligen oder auch erschröcklichen Angedenkens.

Reichlich Exponate: Eine von vielen Vitrinen in der Dortmunder „Pink Floyd"-Schau. (Foto: Bernd Berke)

Reichlich Exponate: Eine von vielen gut gefüllten Vitrinen in der Dortmunder „Pink Floyd“-Schau. (Foto: Bernd Berke)

Ziemlich getreulich chronologisch, sozusagen Album für Album (siehe Anhang), kann man hier voranschreiten – von den psychedelischen Anfängen durch alle (über)ambitionierten Klangexperimente und bombastischen Aufgipfelungen von quasi wagnerianischen Gesamtkunstwerk-Ausmaßen, die freilich bei dieser Band mit den Jahren nicht immer mit überbordendem Erfindungsreichtum einher gingen. Dass und wie „Pink Floyd“ auch Anschluss an die Avantgarde der E-Musik suchte, hat längst nicht alle Kritiker gleichermaßen überzeugen können.

Nicht ohne fliegendes Schwein

Die Mannen von Pink Floyd, so zeigt sich hier abermals, waren nicht zuletzt kreative Ingenieure und ehrgeizige Soundtüftler, die stets das jeweils neueste elektronische Equipment bis an die Grenzen austesteten. Zahlreiche Gerätschaften sieht man hier, die heute liebenswert altmodisch und reichlich verwittert aussehen, die zu ihrer Zeit aber der letzte Schrei und State of the Art waren – vom heute vorsintflutlich wirkenden „Azimuth Co-ordinator“ bis zum frühen Synthesizer.

Ein Markenzeichen der Band: schwebendes Schwein im Rolltreppenhaus des „Dortmunder U". (Foto: Bernd Berke)

Ein Markenzeichen der Band: schwebendes Schwein im Rolltreppenhaus des „Dortmunder U“. (Foto: Bernd Berke)

Ansonsten sieht man einen vielfältigen medialen Mix aus Fotografien, Filmausschnitten, Plakaten, Bühnenskizzen, Briefen und weiteren Objekten. Hie und da sind es eher bloße Devotionalien, doch manch ein Stück gibt auch näheren Aufschluss. Und ja: Das fliegende Schwein hat selbstverständlich auch seine gebührenden Auftritte, und zwar erstmals schon ganz unten überm Foyer.

Der Gentleman Nick Mason gab sich die Ehre 

Offenbar hat man sehr zeitig und vorausschauend begriffen, dass es zur sich immer mehr entfaltenden Band-Geschichte jede Menge aufhebenswerte Gegenstände gibt. So gehören denn auch zahlreiche Gitarren zu den Exponaten, aber auch ein im Stile des japanischen Malers Hokusai verziertes Schlagzeug oder gar hübsch aufgefächerte gebrauchte Drumsticks von Nick Mason und ein halb zerfetztes Schlagfell, das er offenbar etwas wuchtiger traktiert hat.

Hübsch aufgefächert: Drumsticks des Schlagzeugers Nick Mason. (Foto: Bernd Berke)

Hübsch aufgefächert: Drumsticks des Schlagzeugers Nick Mason. (Foto: Bernd Berke)

Dabei hat sich dieser Nick Mason, der mitten aus der aktuellen Tournee heraus als einziges Band-Mitglied zur Ausstellung nach Dortmund kam, in der Gruppe musikalisch zumeist vornehm im Hintergrund gehalten, jedoch dem großen Ganzen ein höchst solides rhythmisches Gerüst und Fundament verliehen. Er macht übrigens den sehr angenehmen Eindruck eines feinsinnigen, mit Ironie gesegneten britischen Gentleman. Indeed!

Wechselvolle Bandgeschichte

Die Alphatiere der Gruppe, Roger Waters und David Gilmour, sind – nach allem, was man so hören und lesen kann – hingegen ganz andere, mächtig auftrumpfende Kaliber. Roger Waters, der seit etlichen Jahren im Sinne der dubiosen Organisation BDS für einen rigiden Boykott gegen Israel eintritt, wehrt sich übrigens in einem just heute veröffentlichten Interview der „Süddeutschen Zeitung“ (SZ-Magazin) nochmals gegen den oft erhobenen Vorwurf des Antisemitismus‘. An dieser Stelle genug davon.

Die wechselvolle, oft sehr turbulente Bandgeschichte, die anfangs Syd Barrett früh in den Drogenwahn trieb und später in mancherlei persönliche und juristische Grabenkämpfe mündete, wollen wir hier auch nicht im Detail nachbeten. Teile kann man sich in der Ausstellung erschließen, anderes wird man füglich nachlesen können. Vom optischen und akustischen Genuss des finalen Konzertfilms sollte man sich jedenfalls nicht abhalten lassen.

Von links: Aubrey Powell (häufig Cover-Gestalter für „Pink Floyd" und Kurator der Dortmunder Schau), Dortmunds OB Ullrich Sierau, „Pink Floyd"-Drummer Nick Mason,, Edwin Jacobs (Chef des Dortmunder „U") und Jörg Stüdemann, Dortmunder Stadtkämmerer und Kulturdezernent. (Foto: Bernd Berke)

Von links: Aubrey Powell (häufig Cover-Gestalter für „Pink Floyd“ und Ko-Kurator der Dortmunder Schau), Dortmunds OB Ullrich Sierau, „Pink Floyd“-Drummer Nick Mason, Edwin Jacobs (Chef des Dortmunder „U“) und Jörg Stüdemann, Dortmunder Stadtkämmerer und Kulturdezernent. (Foto: Bernd Berke)

Ob die Schau doch noch eine oder mehrere weitere Stationen ansteuern wird, steht dahin. Gespräche laufen offenbar. Man könnte den Verdacht haben, dass die USA noch an die Reihe kommen werden.

Dortmund aber hat die Exklusivität in ganz West- und Mitteleuropa für sich. Die Besucherzahl könnte und sollte deshalb weit oberhalb der 100.000er-Marke liegen. Viele Gäste werden wohl vor allem aus den Niederlanden, aus Belgien, der Schweiz und Österreich anreisen – und wer weiß, woher sonst noch. Wie schön, wenn die Stadt mal außerhalb der Fußball-Zusammenhänge dermaßen viele Leute anlockt.

„The PINK FLOYD Exhibition. Their Mortal Remains“. Ausstellung im „Dortmunder U“, 6. Ebene, Leonie-Reygers-Terrasse. Tel. 0231 / 50-247 23. www.dortmunder-u.de

15. September 2018 bis 10. Februar 2019. Geänderte Öffnungszeiten: Mo-Mi 10-18, Do/Fr 10-20 Uhr, Sa/So 10-22 Uhr. Letzter Einlass jeweils eine Stunde vor Schließung.

Tickets gibt es im Vorverkauf über die Firma Eventim, die sonst vor allem Konzertkarten anbietet. Die ungewöhnlichen Preise: Normal 29,76 Euro, ermäßigt 23,16 Euro. www.eventim.de Bestell-Hotline 01806 / 57 00 70.

Durch den Rundgang geleitet wird man übrigens von hochmodernen Audioguides, die jeweils die passenden Sounds zu den gerade besehenen Ausstellungsstücken liefern – ganz gleich, wie und in welcher Richtung man sich bewegt.

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Die wichtigsten Alben von Pink Floyd“

The Piper at the Gates of Dawn (1967)
A Saucerful of Secrets (1968)
Ummagumma (1969)
Atom Heart Mother (1970)
Meddle (1971)
The Dark Side of the Moon (1973)
Wish You Were Here (1975)
Animals (1977)
The Wall (1979)
The Final Cut (1983)
A Momentary Lapse of Reason (1987)
The Division Bell (1994)




Düsseldorfer K21: Parkett saniert, Kunst neu sortiert

Türen neu, Parkett saniert, Technik repariert: Die Handwerker waren fleißig im Düsseldorfer K21, dem zeitgenössischen Teil der Kunstsammlung NRW.

Wiedereröffnung des K21 in Düsseldorf: Installations-Ansicht mit Werken von Jeff Wall und Rosemarie Trockel. (Foto: Achim Kukulies / © Kunstsammlung NRW)

Wiedereröffnung des K21 in Düsseldorf: Installations-Ansicht mit Werken von Jeff Wall und Rosemarie Trockel. (Foto: Achim Kukulies / © Kunstsammlung NRW)

Auch die beliebte Kletterinstallation „in orbit“ von Tomás Saraceno – Abenteuerspielplatz für Schöngeister – musste gewartet werden. Drei Wochen blieb das alte Ständehaus hinterm Schwanenspiegel geschlossen. Direktorin Susanne Gaensheimer nutzte die Zeit, um ein festes Team zu installieren und die Kunst frisch aufzumischen. Die Sammlungsräume sehen mal wieder anders aus, ein Besuch lohnt sich.

Eintritt frei heißt es im ersten Stock. Das ist allerdings nicht so sensationell, denn es gibt wenig zu entdecken außer Sammelkartons und Alt-Videos aus dem Archiv der legendären Düsseldorfer Avantgarde-Galerie Fischer. In einem rot ausgelegten und schräg bestuhlten Veranstaltungsraum mit dem Titel „Salon21“ darf der Besucher sich ausruhen oder lesen. Das machen wir aber lieber später bei einem Kaffee in der neu und praktisch möblierten Museumsbar Pardo’s, wo nur das Blubberblasen-Muster der Tapete noch darauf hinweist, dass das Ganze mal eine Rauminstallation von Jorge Pardo war.

Dicke Hosen mit Holzwolle

Wer mehr erleben will, zahlt zwölf Euro und steigt empor in den zweiten Stock, auch „Bel Étage“ genannt. Hier gibt es bis Januar eine kleine Sonderausstellung jener amerikanischen Konzeptkünstlerin, die sich das männliche Pseudonym Lutz Bacher zugelegt hat und ihre eigene Identität schon seit den 1970er-Jahren erfolgreich verbirgt. Die Szene schweigt sich aus, denn das Geheimnis gehört zur Show, die in diesem Fall nach einem Song von Tina Turner benannt ist: „What’s Love Got to Do With It“.

Was Liebe damit zu tun hat? Keine Ahnung. Wie die junge Kuratorin Beatrice Hilke erklärt, ist Bachers Werk sehr heterogen, also uneinheitlich. Durchgängig sei nur ihr „Interesse an Strategien der Aneignung“. Soll heißen: Lutz Bacher benutzt Vorgefundenes und macht es nicht ohne Witz zu ihrer Kunst: Konsumartikel, Handy-Videos, Notizzettel zum Beispiel. Die vergrößerte und verzerrte Unterschrift von Donald Trump hat sie zu einer Art Wandfries ausdrucken lassen. Drei Säle sind damit bestückt – und mit Holzwolle und Glitzerfolienstreifen ausgestreut. Was an den Schuhen kleben bleibt, kann weg. Stehen bleiben sollen 21 mit „Las Vegas“ bedruckte und mit Holzwolle ausgestopfte Schlafanzughosen („Vegas Pants“). Dicke Hosen ohne Inhalt. Verstehe.

Von draußen dröhnt Orgelgebraus: Bachs Toccata in d-Moll, von Lutz Bacher bei einem Konzert in New York mit dem Smartphone aufgenommen, samt Nebengeräuschen. Beherzt geklaut, wird der Klassiker nun als eigenes Soundwerk im Treppenhaus von K21 präsentiert: „Music in the Castle of Heaven“, Musik im Himmelsschloss. Jedenfalls nicht zu überhören.

Großer Geist im Treppenhaus

So beschallt döst keiner, der weitergeht zu den Sammlungsräumen. Zehn von 13 Mini-Ausstellungen wurden neu gestaltet. Dabei sind skurrile Kombinationen entstanden wie Rosemarie Trockels dunkle Wollbilder „My Phantasy“, ein aus der Wand ragendes Wachsbein mit Socken und Herrenschuh von Robert Gober und Jeff Walls Leuchtfotografie von zwei Mädchen am unheimlichen „Abfluss“ im Wald. Überhaupt gibt es von Wall, dem Meister der irritierenden Bilderzählung, einige interessante Arbeiten im K21. Schön, sie wiederzusehen.

Im Treppenhaus steht jetzt einer von Thomas Schüttes „Großen Geistern“ aus Gussstahl und bewacht den Eingang zum dritten Stock. Schüttes große „Bronze-Frau“ von 2001 liegt still in ihrer zerstückelten Pracht vor drei Regalen mit kleinen „Ceramic Sketches“. In einer anderen Raumfolge weist eine geschunden aussehende Gipsfigur des tabulosen amerikanischen Performers Paul McCarthy den Weg zu einem Video von Marina Abramović, die sich 1975 unter dem Motto „Art is beautiful“ (Kunst ist schön) die Haare bis weit über die Schmerzgrenze mit stählernem Gerät gekämmt und gebürstet hatte. „Einige Werke in diesen Räumen könnten möglicherweise verstörend wirken“, heißt der Warnhinweis an der Tür.

Magisches Schattenspiel

Jugendfrei sind hingegen die liebevollen Installationen von Hans-Peter Feldmann, der mit allerlei sich drehendem Trödelkram ein magisches „Schattenspiel“ geschaffen hat. Vier große Frauenköpfe, die Feldmann nach berühmten Bildnissen hat kopieren lassen, amüsieren den Betrachter mit ihren unerklärlichen Blicken. Weiterhin wurden sachliche Fotografien des Becher-Schülers Thomas Ruff kombiniert mit den für uns rätselhaften Bilderfunden von Akram Zaatari von der Arab Image Foundation, der die Direktorin Gaensheimer im letzten Herbst eine Ausstellung gewidmet hatte. Für den westlichen Blick ebenso fremd, aber faszinierend sind die „Cabaret Crusade“-Trickfilme des ägyptischen Künstlers Wael Shawky. Mit zauberhaften, gläsern wirkenden Marionetten vor surrealen Kulissen erzählt Shawky die Geschichte der Kreuzzüge aus arabischer Sicht.

Das ist originell, aber man weiß nicht, ob das Publikum davon so gebannt sein wird wie das „Audience“ auf Thomas Struths gleichnamiger Serie von Großfotografien, die im Flur hängen. Eine Sonderausstellung der angesagten chinesischen Multimedia-Künstlerin Cao Fei soll im Herbst für Spannung sorgen.

Info: Nach Sanierungs- und Umbauarbeiten ist das K21 in Düsseldorf an der Ständehausstraße 1 jetzt wieder für das Publikum geöffnet: Di.-Fr. 10 bis 18 Uhr, Sa./So. 11 bis 18 Uhr. Neben neu sortierten Sammlungsräumen ist im zweiten Stock eine Ausstellung der US-Konzeptkünstlerin Lutz Bacher zu sehen: „What’s Love Got to Do With It“ (bis 6. Januar). Eintritt: 12 Euro. www.kunstsammlung.de




Junge Frau, ganz auf sich gestellt: Wuppertal würdigt das künstlerische Werk von Paula Modersohn-Becker

Paula Modersohn-Becker: „Kopf eines kleinen Mädchens mit Strohhut" (1904). Öl auf Leinwand (© Kunst- und Museumsverein im Von der Heydt-Museum Wuppertal)

Paula Modersohn-Becker: „Kopf eines kleinen Mädchens mit Strohhut“ (1904). Öl auf Leinwand (© Kunst- und Museumsverein im Von der Heydt-Museum Wuppertal)

Man muss es sich immer wieder vor Augen halten: All die Bilder der Paula Modersohn-Becker (1876-1907) stammen von einer sehr jungen Frau. Schon recht früh zeigt ihr Werk alle Anzeichen von Reife.

Mit ungefähr 20 begann sie vorsichtig tastend ihren künstlerischen Weg. Anfangs malte sie noch sichtlich unbeholfen. Aber dann! In wenigen Jahren hat sie das Ihre gefunden. Schon mit 31 Jahren ist sie gestorben und hat bis dahin nach ihrer eigensinnigen, sanft beharrlichen Art eine gewisse Vollendung erreicht. Ihre besten Bilder erstrahlen vor Innigkeit, sie sind von manchmal geradezu bestürzender Wahrhaftigkeit. Eher unscheinbaren Motiven wie Kinderbildnissen oder einfachen armen Leuten verleiht  sie etwas beispielhaft Monumentales, aber ganz und gar nichts Auftrumpfendes.

Spannungsfeld zwischen Worpswede und Paris

Als sie zwölf Jahre alt war, zog die Familie (der Vater war preußischer Bahn-Baurat) mit sieben Kindern von Dresden nach Bremen. Doch zwei andere, denkbar gegensätzliche Orte sind entscheidend für ihren künstlerischen Werdegang gewesen, den jetzt das Wuppertaler Von der Heydt-Museum in den Blick nimmt: das bei Bremen gelegene Dörfchen Worpswede mit seiner kleinen Künstlerkolonie, den vielen schlanken Birken, dem Teufelsmoor – und das leuchtende Paris! In der Silvesternacht 1899/1900 reist sie erstmals an diese Stätte ihrer Sehnsucht. Sie kehrt mehrmals dorthin zurück, manchmal für einige Monate.

Paula Modersohn-Becker: „Alte Armenhäuslerin", um 1905. Öl auf Leinwand (Von der Heydt-Museum Wuppertal)

Paula Modersohn-Becker: „Alte Armenhäuslerin“, um 1905. Öl auf Leinwand (Von der Heydt-Museum Wuppertal)

Zahllose Ausstellungen der damals avantgardistischen Künstler und Kunstströmungen (u. a. Cézanne, Gauguin, Van Gogh, Nabis, Fauves) sieht sie dort, sie studiert an der Académie Calarossi, lernt später den leidenschaftlich bewunderten Bildhauer Auguste Rodin kennen – durch Vermittlung des Dichters Rainer Maria Rilke, der zu jener Zeit Rodins Privatsekretär ist. Nach vorherigen Lehrjahren in Berlin, wo sie Einflüsse von Arnold Böcklin und Walter Leistikow aufnimmt, entfaltet sie an der Seine nach und nach ihr Talent.

Exemplarischer Lebenslauf

Eigentlich wird Paula die kleine Welt von Worpswede nun zu eng. Und doch kehrt sie immer wieder dorthin zurück. Ein Zwiespalt. Auch sonst sammelt sie Widersprüche: Eigentlich sehnt sie sich nach einem üblichen Familienleben, doch durch ihr Werk und ihr künstlerisches Streben emanzipiert sie sich zunehmend, ohne zur Feministin zu werden.

Sie heiratet den Maler Otto Modersohn, aber nach ein paar unerfüllten Jahren will sie sich von ihm trennen. Es kommt jedoch zu einer Art Versöhnung und sie, die immer Kinder haben wollte, wird endlich schwanger. Unfassbare Tragik: 18 Tage nach der Geburt ihrer Tochter Mathilde stirbt Paula an einer Embolie. Ein als exemplarisch empfundener weiblicher Lebenslauf um 1900, der – mit erfinderischen Zutaten – vor zwei Jahren auch fürs Kino taugte, als Christian Schwochows Film „Paula“ mit Carla Juri in der Titelrolle herauskam.

Übrigens: Es hat sich eingebürgert, sie lediglich Paula zu nennen – ohne den etwas sperrigen Doppelnamen. Bei welchem männlichen Künstler verfahren wir ebenso? Sagen wir nur „Max“ zu Ernst oder Beckmann? Sagen wir bloß Pablo oder Salvador?

Zu Lebzeiten rundweg unterschätzt

Zurück ins Museum. Nach Bremen besitzt Wuppertal das zweitgrößte Konvolut an Werken Paula Modersohn-Beckers, immerhin 22 Gemälde umfassend. Sie bilden den Kern der Schau, die zuerst fürs Rijksmuseum Twenthe in Enschede (Niederlande) zusammengestellt wurde und nun quasi als „Re-Import“ in Wuppertal zu sehen ist, wo Beate Eickhoff als Kuratorin wirkt. Paula Modersohn-Beckers Schaffen wird (mit aufschlussreichen Seitenblicken auf einige Zeitgenossen) anhand von etwa 80 Arbeiten weitgehend chronologisch aufgeblättert, so dass man das zu ihrer Zeit weithin unbeachtete Aufblühen ihrer Fähigkeiten nachvollziehen kann.

Paula Modersohn-Becker: „Sitzender Mädchenakt mit Blumenvasen", um 1907. Öl auf Leinwand (Von der Heydt-Museum, Wuppertal)

Paula Modersohn-Becker: „Sitzender Mädchenakt mit Blumenvasen“, um 1907. Öl auf Leinwand (Von der Heydt-Museum, Wuppertal)

Zu Lebzeiten hat sie nur ganz selten ausgestellt, sie wurde in Abhandlungen über Worpswede kaum je erwähnt, auch hat sie so gut wie keine Bilder verkauft. Wenn überhaupt einmal ein männlicher Kritiker über sie schrieb, ging es gleich recht ruppig und verletzend zu. Folglich glaubte sie zunächst nicht an sich selbst, sie war aber gottlob hartnäckig. Viele ihrer Bilder blieben unsigniert und trugen nur eine Jahreszahl.

„Hände wie Löffel…“

Selbst ihr Mann Otto Modersohn ahnte zwar ihre Begabung, mäkelte aber auch über ihren Malstil, und zwar wortwörtlich derart anmaßend: „Sie haßt das conventionelle und fällt nun in d. Fehler alles lieber eckig, häßlich, bizarr, hölzern zu machen. Die Farbe ist famos, aber die Form? Der Ausdruck! Hände wie Löffel, Nasen wie Kolben, Münder wie Wunden, Ausdruck wie Cretins…“ Außerdem sei sie auch noch – wie man heute sagen würde – beratungsresistent.

Paula Modersohn-Becker: „Sitzende Mutter mit Kind auf dem Schoß", 1906. Öl auf Pappe (Von der Heydt-Museum Wuppertal)

Paula Modersohn-Becker: „Sitzende Mutter mit Kind auf dem Schoß“, 1906. Öl auf Pappe (Von der Heydt-Museum Wuppertal)

Richtig ist, dass sie einem Ideal der Einfachheit frönte: „Es brennt in mir ein Verlangen, in Einfachheit groß zu werden.“  Insbesondere als Porträtistin wollte sie wahre, ungeschönte Menschen zeigen. Eine Frau mit grotesk langer Nase wird zu allem Überfluss im unvorteilhaften Profil dargestellt. Das Gegenteil von gefälliger Auftragskunst. Wenn das nicht authentisch ist…

„Die roten Rosen waren nie so rot…“

Auch der hochmögende Rilke erkannte ihr Wesen wohl erst recht spät, doch umso inbrünstiger. In Gedanken an sie schrieb er ein Gedicht, das so beginnt: „Die roten Rosen waren nie so rot / als an dem Abend, der umregnet war. / Ich dachte lange an dein sanftes Haar… / Die roten Rosen waren nie so rot.“  Manche Kunstfreunde, die es gerne menscheln sehen, spekulieren bis heute, ob Rilke nicht die bessere Wahl für Paula Becker gewesen wäre. Ach, wie müßig ist das!

Während die schöpferischen Herren in Worpswede (Otto Modersohn, Heinrich Vogeler, Fritz Mackensen u. a.) die Akademien verabscheuten und sich möglichst nur noch schwärmerisch in freier Natur ergehen mochten, erstrebte Paula gerade umgekehrt eine akademische Ausbildung, die ihr damals jedoch weitgehend verwehrt blieb. Private Institute standen ihr allenfalls offen, keine staatlichen. Vielleicht hat sie ihre Anlagen gerade deswegen umso eigenständiger entwickeln können. Sie war ganz auf sich gestellt. Schmerzliche Verheißung der Freiheit!

Ungeheuerliche Aktdarstellung mit Kind

Die Heimattümelei der allzeit in Worpswede verbliebenen Männer, die sich geradewegs stur weigerten, Einflüsse aus Frankreich aufzunehmen, machte sie später anfällig für nationalistische oder noch schlimmere Versuchungen. Geradezu revolutionär muten hingegen die „späten“ Bilder von Paula an: Wenn sie sich etwa selbst als Akt mit Kind darstellt (damals eine Ungeheuerlichkeit) oder wenn ihr aparte Mädchendarstellungen im deutlichen Gefolge des exotischen Gauguin gelingen, so wagt man kaum sich vorzustellen, was aus ihr noch hätte werden können.

Paula Modersohn-Becker auf der Veranda ihres Hauses, 1901 (Ausschnitt) (Foto: Atelier Schaub, Hamburg / Paula-Modersohn-Becker-Stiftung, Bremen)

Paula Modersohn-Becker auf der Veranda ihres Hauses, 1901 (Ausschnitt) (Foto: Atelier Schaub, Hamburg / Paula-Modersohn-Becker-Stiftung, Bremen)

Auzfgrund ihrer jeweils allerneuesten Kunst-Erfahrungen in Paris ließ Paula Modersohn-Becker alsbald impressionistische Anwandlungen hinter sich. Courbet sagte ihr mehr als Monet. Sie hat nicht bloß die Natur nachgeahmt, sondern sich draußen ins Gras gelegt, die Augen geschlossen, sozusagen „innere Bilder“ aufgerufen und diese Bilder schließlich flächig konstruiert, in kühnen Perspektiven zugespitzt oder stilisiert. So darf sie bereits als eine Vorläuferin des Expressionismus gelten. Bei etlichen Besuchen im Pariser Louvre wurde sie überdies auf altjapanische Kunst und auf altägyptische Totenbilder von erhabener Einfachheit aufmerksam. Auch solche Spuren, welche die Wuppertaler Ausstellung getreulich nachzeichnet, finden sich in ihrem Oeuvre.

Riesiger Nachlass – nachlässig behandelt

So wenig Anerkennung war der Lebenden insgesamt zuteil geworden, dass man überrascht war, als sich etwa 700 vielfach beachtliche Gemälde und rund 1000 Zeichnungen in ihrem Nachlass fanden, der – das Wortspiel sei erlaubt – leider recht nachlässig behandelt wurde. Zudem ging hernach vieles im Gefolge der schandbaren Nazi-Ausstellungsaktion „Entartete Kunst“ verloren, anderes wurde im Bombenhagel des Zweiten Weltkriegs zerstört.

Und wie kam es, dass gerade in Wuppertal viele Bilder von ihr vorhanden sind? Nun, letztlich ist es dem vielfach in Bremen wirkenden Künstler Bernhard Hoetger (aus Hörde stammend, heute ein Stadtteil von Dortmund) zu verdanken, der den eigentlichen Gründervater des heutigen Museums, den Wuppertaler Bankier August von der Heydt, recht früh auf Paula Modersohn-Beckers Schaffen hinwies. So konnte es auch nicht ausbleiben, dass im nahen Hagen Karl Ernst Osthaus von ihrem Wirken erfuhr. Es waren Zeiten und Kreise, in denen Region keineswegs „Provinz“ bedeuten musste.

„Paula Modersohn-Becker. Zwischen Worpswede und Paris“. 9. September 2018 (Eröffnung ab 11:30 Uhr) bis zum 6. Januar 2019 im Von der Heydt-Museum, Turmhof 8, Wuppertal. Geöffnet Di-So 11-18, Do 11-20 Uhr. Eintritt 12 €, ermäßigt 10€, Katalog 20 €.

Weitere Informationen: http://vdh.netgate1.net/

 

 

 

 




Neuer Mauerbau, Stalins Schatten und der Terror des Digitalen – zum umstrittenen DAU-Kunstprojekt in Berlin

Fotografie aus dem „Institut" (Charkiw). (© Gruber / Berliner Festspiele)

Rätselhafte Fotografie aus dem „Institut“ (Charkiw). (© Gruber / Berliner Festspiele)

Vor 29 Jahren fielen in Berlin die Mauer und der „Eiserne Vorhang“. Das war der Auftakt vom Ende des Realen Sozialismus und einer Diktatur des Proletariats, die immer nur ein ideologischer Popanz war, mit dem sich schamlose Partei-Bonzen der herrschenden Nomenklatura die Macht über das Volk sicherten. Neben einigen unverbesserlichen Nostalgikern, die sich gern die schlechte Vergangenheit schön reden, gibt es jetzt auch einige Künstler, die vom (temporären) Wiederaufbau der Mauer träumen.

Direkt in Berlins Mitte, in einem etwa 300 mal 300 Meter großen, von einer russischen Beton-Mauer abgeriegelten Areal zwischen Staatsoper und Bauakademie, soll direkt an der Straße Unter den Linden vom 12. Oktober bis 9. November ein neo-stalinistisches Menschenexperiment durchgeführt werden, das sich als freiheitliches Kunst-Projekt tarnt und den Besuchern neue und ungeahnte Möglichkeiten der Wahrnehmung und Partizipation verspricht.

Erlebniszone mit „historischen Echoräumen“

Unter dem kryptischen Kürzel „DAU Freiheit“ wird, so lassen die als Mitveranstalter auftretenden Berliner Festspiele verlauten, eine „Zone markiert, die für vier Wochen zu einem besonderen Erlebnisraum wird“, „historische Echoräume öffnet“ und angeblich die Chance bietet, „eine politisch-gesellschaftliche Debatte über Freiheit und Totalitarismus, Überwachung, Zusammenleben und nationale Identität zu eröffnen.“

Wer denkt, das klinge arg nach politischer Überhöhung eines künstlerisch größenwahnsinnigen Projekts, liegt wohl nicht ganz falsch. Doch worum geht es eigentlich beim „DAU“-Projekt, dieser seltsamen Mixtur aus Performance und Reality-Show, die in Berlin unter dem Begriff „Freiheit“ auftritt, bevor sie – entschlackt und ohne Mauer – weiter zieht und in Paris als „Gleichheit“ und in London als „Brüderlichkeit“ für verwirrte Gemüter sorgen wird?

Auf den geheimnisvollen Spuren des Physikers Lev Landau

Mit der Französischen Revolution und ihren hehren Idealen hat „DAU“ jedenfalls nichts zu tun. Eher schon mit der Negation der Digitalmoderne, die hinter der Maske der totalen Transparenz den gläsernen Menschen schafft. Namensgeber des Projekts ist der russische Physiker und Nobelpreisträger Lev Landau (1908-1968), der von seinen Freunden „Dau“ genannt wurde und in Moskau ein streng geheimes „Institut für Physikalische Probleme der Sowjetischen Akademie der Wissenschaften“ betrieb.

Weitere Fotografie aus dem „Institut" (Charkiw). (© Orlova / Berliner Festspiele)

Weitere Fotografie aus dem „Institut“ (Charkiw). (© Orlova / Berliner Festspiele)

Um dem Rätsel des geheimnisumwitterten Physikers auf die Spur zu kommen, ließ der russische Regisseur Ilya Khrzhanovsky im ukrainischen Charkiw, wo Landau eine zeitlang lebte und arbeitete, ein gigantisches, 12.000 Quadratmeter großes Filmset aufbauen: einen eigenen, von Zäunen begrenzten Stadtteil, in dem von 2009 bis 2011 über 400 Menschen lebten und das – mit allen Mitteln des Terrors und der Totalüberwachung – so funktionierte wie Stalins Machtimperium.

…und die Kamera war immer dabei

In Charkiw wurde drei Jahre lang geforscht und geliebt, wurden Experimente durchgeführt und Kinder gezeugt. Und die Kamera von Jürgen Jürges, der früher mit Fassbinder und Wenders drehte, war immer dabei. Kunst-Performerin Marina Abramovic war zu Gast und Regisseur Romeo Castellucci, Pop-Musiker von Massive Attack und Star-Dirigent Theodor Currentzis. Aus dem so entstandenen Film-Material sollen 13 Spielfilme und eine Vielzahl von Mini-Serien geschnitten worden sein. Nichts Genaues weiß man nicht, alles liegt im Dunkeln der künstlich angeheizten Gerüchteküche.

Jetzt sollen die Filme im temporären neuen Berliner Mauer-Staat „DAU Freiheit“ vier Wochen lang präsentiert werden. Dazu soll es Performances und Lesungen, Konzerte und Vorträge, Einzelgespräche und Überraschungen geben. Mit dabei sollen auch wieder Abramovic und Co sein. Doch wer was wann wo vorführt, darüber herrscht (noch) Schweigen. Klar scheint bisher nur, dass im ganzen Kunst-Areal das alte DDR-Flair wieder auflebt, schlechte Beschilderung und dunkle Beleuchtung, muffiger Geruch und beklemmende Atmosphäre wie weiland im Mangel-Staat.

Reanimation des Realsozialismus‘

Wer die neo-sozialistische Reanimation betreten will, muss vorher einen Fragebogen ausfüllen und ein Visum beantragen und dann beim Passieren der Mauer sein Handy abgeben. Dafür bekommt er ein Gerät namens „DAU-Device“, das den Besucher zu den einzelnen Programmpunkten führt: Einlass nur auf Einladung durch das Gerät.

Wer dem Kunst-Terror nicht gewachsen ist, kann ein Notsignal senden und sich befreien lassen. Die Anwohner des Mauer-Parks werden zu „Ehrenstaatsbürgern“ erklärt, haben eigene Zutritts-Möglichkeiten zum Überwachungsstaat und können sich in ihrem angestammten Wohnraum frei bewegen. Ob das ganze Treiben wiederum von Khrzhanovsky und Jürges filmisch begleitet und später in einen neuen Streifen über Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit einfließt, ist noch unklar.

Auch ein russischer Oligarch finanziert das Ganze mit

Klar ist nur, und das macht die bizarre Angelegenheit nicht schmackhafter, dass neben den Berliner Festspielen auch Sponsoren das Projekt finanzieren, die nicht gerade ein guten Leumund haben, wie der russische Oligarch Sergej Adonjew. Auch dass es beim Dreh in der Ukraine sexuelle Übergriffe von Seiten des Regisseurs gegeben haben soll, hinterlässt einen bitteren Beigeschmack.

Die Kunst ist frei und wird auch den Größenwahn dieses Menschenexperiments und den Terror des temporären Mauer-Staates ertragen. Der schlimmste Feind der Kunstfreiheit ist aber die Bürokratie: Der Bau einer Mauer und das Leben in einem von eigenen Gesetzen bestimmten Erlebnisraum brauchen Genehmigungen von Bau- und Gewerbeamt, Polizei, Feuerwehr. Die stehen noch aus. Könnte also sein, dass sich alles noch als Luftnummer erweist und alle Kunst-Träume zerplatzen wie heiße Ballons.

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„DAU Freiheit“, vom 10. Oktober bis 9. November 2018.
Ein genaues Programm existiert (noch) nicht, auf dem 300 mal 300 Meter großes Areal und in den kooperierten Häusern und Akademien am Boulevard Unter den Linden sind Filmvorführungen des 700 stündigen DAU-Filmmaterials, Kunst-Performances, Auftritte von Musikern, wissenschaftliche Vorträge u.a. geplant.
Besucher(innen) registrieren sich auf der „DAU-Webseite“, um ein Visum zu erwerben.
Täglich können bis zu 3000 Visa ausgegeben werden. Ein Zwei-Stunden-Visum kostet 15 Euro, ein Tagesvisum 25 Euro, ein 72-Stunden-Visum 45 Euro. Es soll auch Diplomaten- und Presse-Visa geben, die für die gesamte Laufzeit gelten und Zutritt zu allen Veranstaltungen gewährt.

Infos unter www.berlinerfestspiele.de

https://www.berlinerfestspiele.de/de/aktuell/festivals/dau_freiheit/dau_freiheit_1.php




Trotzige Betonburgen, verspielte Swimmingpools – Architekten schauen respektvoll auf die Baukunst der jungen Republik

Das ehemalige Schuman-Kolleg an der Dortmunder Sckellstraße zeigt nach Jahren des Leerstands Zeichen von Verwahrlosung. Doch immerhin ist es jetzt ein Baudenkmal (Foto: Bund Deutscher Architekten BDA)

Büsche und Bäume stehen in üppiger Pracht. Der Baukörper hingegen, den das Grün geradezu verbirgt und den in unterschiedlichen Stadien der Ausgeblichenheit die Farbe Blau prägt, schwächelt. Man sieht ihm an, dass er seit einigen Jahren ohne Funktion ist, auch wenn die Fensterscheiben noch heil sind.

Kunst im Kolleg

Schiefe Schilder mit Hinweisen auf Lehrer- und Schülerparkplätze rühren an in ihrer Sinnlosigkeit. Das Robert-Schuman-Kolleg gibt es hier nicht mehr, es ist vor Jahren schon umgezogen in einen Neubau neben dem Dortmunder Kulturzentrum „U“. Doch die Agonie des Baukomplexes aus den 60er Jahren, den „Dornröschenschlaf“ zu nennen einem widerstebt, soll bald ihr Ende haben. Denkmalschutz wird dem Kolleg zuteil, zum architektonischen Sahnehäubchen einer neuen Wohnbebauung soll es geadelt werden. Bevor es aber so weit ist, gibt es hier Kunst zu sehen, die selbstverständlich mit Bauen und Bauten zu tun hat. Und die in größeren Zusammenhängen begriffen sein will. Das ehemalige Robert-Schuman-Kolleg gehört nämlich zu den „Big Beautiful Buildings“ (BBB), denen sich der Bund deutscher Architekten (BDA) jetzt mit ganz besonderer Aufmerksamkeit zuwendet – den „großen schönen Gebäuden“.

Von links: die Künstler EVOL und Alekos Hofstetter aus Berlin sowie der Dortmunder Architekt und Schwimmbadbuchautor Richard Schmalöer. Die „Plattenbauten“ sind eigentlich Blechspinde, die täuschend echt bemalt wurden. (Foto: rp)

Schönheit?

Schön? An großen Gebäuden herrscht im Revier kein Mangel. Aber nicht jeder wird, beispielsweise, die Marler Innenstadt („Marler Stern“) schön finden. Oder das Rathaus dort. Oder die Ruhr-Universität in Bochum. Oder vielleicht sogar, wenngleich es weitaus weniger betonhaltig anmutet, das alte Schuman-Kolleg. Kommt die Rede auf Gebäude wie diese, so ist schnell von Bausünden die Rede, von einer Betonwüste, von entmenschlichter Architektur, vom Verlust der Maßstäblichkeit und so fort. Doch Schönheit liegt ja im Auge des Betrachters. Und so gibt es heutzutage ebenfalls etliche Menschen, Fachleute zumal, die die großen, funktionalen Gebäude aus der Zeit des wirtschaftlichen Aufbruchs nach dem Krieg, grob also aus den 1950er bis 1970er Jahren, mögen, die sie erhalten wollen.

Big Beautiful Buildings

Sie preisen, je nachdem, den „Brutalismus“ von Bauten, die trotzig das Material herzeigen aus dem sie gemacht wurden, loben die Helligkeit von Schulräumen, deren Konstruktion unter reicher Verwendung von Einfachglas und Aluminiumprofilen Aspekte der Wärmedämmung noch gänzlich vernachlässigte, verneigen sich gar vor dem brachialen Gestaltungswillen mancher Altvorderer, die sich um Harmonie und Milieubezug wenig scherten. Auf einer umfangreichen Internetseite hat der Bund der Architekten eine Vielzahl solcher „Big Beautiful Buildings“ im Ruhrgebiet aufgelistet. Sie können besichtigt werden, und die meisten kennt man schon. Außerdem findet in den nächsten Wochen eine Reihe von Veranstaltungen statt, Vorträge, Filmvorführungen, Kunstausstellungen.

Ein Porzellanfisch von Peter Lechner ziert die Wand hinter einem privaten Swimmingpool. Auch er kann besichtigt werden – im Keller eines Einfamilienhauses in der Sckellstraße, gegenüber vom Schuman-Kolleg. (Foto: rp)

Kunst und Künstler

Zurück in das Dortmunder Schuman-Kolleg und zur kongenialen Architekturkunst. Aleko Hofstetter, um mit ihm zu beginnen, hat Bilder gemalt, die Details von Dortmunder „großen schönen Bauten“ verarbeiten, beispielsweise Innen- und Außenansichten des „Centrums für Medizin & Gesndheit (DOC)“, das früher einmal Commerzbank und West-LB war, oder des alten Volkswohlbund-Hauses aus den 80er Jahren, das mittlerweile schon wieder gesprengt und abgerissen wurde. In seinen Bildern kombiniert er diese wiedererkennbaren Details mit Texturen und Raumandeutungen, erschafft phantastische Landschaften, irritiert sein Publikum mit formalen Umdeutungen und Verunsicherungen. Das Gros der Arbeiten entstand in diesem Jahr, in einer Mischtechnik, die auch den Filzstift nicht verachtet.

Arbeiterschließfächer

Von EVOL kommen die Plattenbauten. Ebenso wie Hofstetter stammt er aus Berlin, heißt eigentlich Tobe Ringfeld und besorgte sich die rostigen alten Blechspinde aus Italien. Mit einer aufwendigen Schablonen-Drucktechnik hat er ihnen die Optik täuschend echter Plattenbauten verliehen. Weder Sattelitenschüsseln noch Graffiti fehlen. Ganz unübersehbar fungieren Spind wie Platte als „Arbeiterschließfächer“, sehr sinnhaft und eindrucksvoll. Eigentlich, erzählt EVOL, sei er Sprayer, und eine Zeit lang habe er bevorzugt Schaltkästen im öffentlichen Raum mit seinen Bildern versehen. Schaltkästen aber sind meistens aus Stein und für den Transport ins Museum ungeeignet, daher lieber Blechspinde. Der Berliner Stasi-Stadtteil Lichtenberg diente als eine Art städtebaulicher Vorlage. „Doppelplusmodern“ wurde diese kleine,aber gut passende Ausstellung getauft, die der BDA, Gruppe Dortmund Hamm Unna, ausrichtet.

Hallenbäder im Wirtschaftswunder

Und dann sind da noch die Swimmingpools. Immer wieder hat Richard Schmalöer mit ihnen zu tun, wenn er als Architekt alte Häuser renoviert. In der Zeit des Wirtschaftswunders, relativ kurze Zeit nach dem Krieg, bestellten sich viele Bauherren Bäder für ihre Keller, oft aufwendig dekoriert von Künstlerhand, es war ein regelrechter Boom. Schmalöer ließ fotografieren und begab sich ans Schreiben – „Schwimmen im Geld – private Hallenbäder des deutschen Wirtschaftswunders“ lautet der Titel des Buches, das so entstand.

Alles wie neu

Ein Bad kann sogar besichtigt werden. Es befindet sich im Keller unter dem Flachbungalow gegenüber vom Robert-Schuman-Kolleg, wo Schmalöer aufwuchs und wo heute eine Senioren-WG residiert. Die lustigen Fische, die vor einem Wellenrelief geradezu zu schweben scheinen, stammen von dem Künstler Peter Lechner. Vor einigen Jahren hat er die Wand restauriert, denn etliche Porzellanfische, erzählt Schmalöer, waren zu Bruch gegangen, wenn er und sein Bruder sich im Pool heftige Wasserballduelle lieferten. Jetzt ist wieder alles wie neu.

Und dann kam die Ölkrise

Bilder weiterer Bäder hängen an den Wänden, so dass auch von einem Ausstellungsprojekt gesprochen werden kann. Abgesehen davon haben die Bäder mit den „Big Beautiful Buildings“ eigentlich nichts zu tun – außer vielleicht, dass sie in etwa zur gleichen Zeit entstanden.

Man sieht: Privat hatten es die Besserverdiener der ersten Nachkriegsjahrzehnte doch lieber überschaubar, kuschelig, intim. Genehm war zudem die Bar gleich nebenan – manches Mal in einer Ausdehnung, die nach mehrköpfigem Personal verlangte. Die „Ölkrise“ in den 70er Jahren war für die großen Häuser wie für die kleinen Bäder eine Zäsur. Teure Energie machte sie alle unwirtschaftlich.

  • Ausstellungen:
  • „Doppelplusmodern“ im Robert-Schuman-Kolleg, Dortmund, Sckellstraße 5-7
  • Hallenbad, Dortmund, Sckellstraße 12
  • Bis 21. September. Geöffnet freitags, samstags, sonntags 14 – 18 Uhr
  • „Big Beautiful Buildings“ (BBB) im Internet: www.bigbeautifulbuildings.de



„Kunst & Kohle“ in den Ruhrkunstmuseen: Das bequeme Konzept der kleinen Portionen

Die Ausstellungen zum Ende der Steinkohle-Ära („Kunst & Kohle“ sowie „Das Zeitalter der Kohle“) sind in den Revierpassagen Ende April und Anfang Mai ausführlich besprochen worden. Nun meldet Rolf Pfeiffer Kritik am Gesamtkonzept von „Kunst & Kohle“ an:

Da nun gottlob die letzte deutsche Steinkohlezeche ihre Förderung einstellen wird, mußte ein Kunstprojekt her, begleitend sozusagen. Es heißt „Kunst & Kohle“ und wird von zahlreichen Museen der Region veranstaltet, die gemeinsam unter der Bezeichnung „Ruhrkunstmuseen“ firmieren.

Hermann Kätelhön: "Hochofen", undatiert Radierung, 33,3 x 26,2 cm (Bild: Museum Folkwang, Essen)

Hermann Kätelhön: „Hochofen“, undatiert Radierung, 33,3 x 26,2 cm (Bild: Museum Folkwang, Essen)

„Kunst & Kohle“ wird sogar beworben, die Plakate dominieren harte Schwarz- und Weißtöne, was auch sonst. Ein großer Wurf ist dieses Ausstellungsprojekt aber dennoch nicht, eher ärgerlicher Ausdruck institutioneller Bequemlichkeit, der das Publikumsinteresse, das man ja sowieso nicht so genau kennt, egal ist.

Bechers und die Farbe Schwarz

Das Konzept von „Kunst & Kohle“ sieht vor, daß in jedem der 20 beteiligten Häuser zwischen Hamm und Oberhausen eine Sonderschau sich des Themas annimmt. Die Galerie unter Tage der Ruhruni Bochum etwa widmet sich der Farbe (bzw. „Nicht-Farbe“) Schwarz, das Bottroper Quadrat zeigt (einmal mehr) fotografierte Fördertürme, Hochöfen etc. der Bechers, Folkwang in Essen präsentiert den Industriemaler Hermann Kätelhön, und so fort. Das klingt nicht schlecht, heißt aber im Konkreten, daß man mit wenigen Ausnahmen (wie Küppersmühle, DKM und Lehmbruck in Duisburg) ausgesprochen kleine Sonderschauen zu sehen bekommt. Da macht dann ein Museum nicht satt, man muß schon mehrere abklappern, um ein hinreichendes Quantum Kunst zu erhalten. Und das Dilemma wird sichtbar.

Lohnt sich das?

Lohnt es sich, beispielsweise für eine einzelne Installation von Andreas Golinski zum Kunstmuseum Bochum zu reisen? Auch wenn der Künstler genau so heißt wie der amtierende Museumsdirektor, sind die beiden nicht miteinander verwandt, und das ist lustig, aber leider kein Argument. Gewürdigt werden müssen die Faktoren, die immer da sind: Lohnt der Museumsbesuch den Aufwand an Zeit und Fahrtkosten, die nervige Parkplatzsuche, die absehbare nächste Schweißattacke auf dem Fußweg in der prallen Sonne? Bei fast allen kleineren Häusern würde ich spontan sagen: nein, es lohnt sich nicht, nicht für die geringe Menge an ausgestellten Arbeiten (was keine qualitative Wertung ist).

Derzeit in der Küppersmühle zu sehen: Anselm Kiefers „Klingsors Garten“ von 2018 (Detail/Installationsansicht). Die Arbeit stammt aus einer Privatsammlung. (Bild: Anselm Kiefer, Henning Krause, Museum Küppersmühle MKM)

Teures Kombiticket

Ein Zweites kommt hinzu. Die Ruhrkunstmuseen nach Ruhrkunstmuseen-Konzept abzuklappern, ist schon von den Eintrittsgeldern her eine teure Angelegenheit, denn es gelten in jedem Haus die normalen Preise. Das angebotene Kombiticket ist mit 25 Euro unverschämt teuer. Zwar gilt es für die gesamte Laufzeit, aber die Zahl derer, die sich mehrere Male aufmachen, um Kunst in Kleckerportionen zu konsumieren, dürfte übersichtlich sein. Nur mal zum Vergleich: Die Bundeskunsthalle in Bonn nimmt 15 Euro, Museum Kunstpalast in Düsseldorf 14 Euro, Museum Ludwig in Köln gar nur 12 Euro. Und in diesem Häusern gibt es ordentlich was zu sehen.

Nur das Beste an einem Ort

Der Vergleich hinkt? Ja natürlich. Aber er läßt doch ahnen, wie eine publikumsfreundliche Kunstausstellung zum Kohleausstieg aussehen könnte. Man würde sie auf wenige, vielleicht auch nur einen Standort konzentrieren, wo zusammengetragen, präsentiert und inszeniert würde, was die beteiligten Häuser beitragen könnten. Es wäre dies das Beste, Eindrucksvollste, nennen Sie es, wie Sie wollen. Die Realisierung einer solchen Schau, eines über die Grenzen der Region und des Landes weit hinausstrahlenden „Highlights“ könnte man vertrauensvoll bei den Ruhrkunstmuseen belassen, schließlich existiert dort eine gewaltige Menge kuratorischer Manpower. Und falls die es doch nicht auf den Pinn kriegten, könnte man auch einen Star der internationalen Kuratoren-Szene engagieren.

Die Vorteile für das Publikum liegen auf der Hand: ein einziger Ort (randvoll mit Kunst), nur eine Anreise, nur eine einfache Planung. Übrigens wäre der Zentralort auch unter ökologischen Aspekten einer Herumjuckelei im Kohleland vorzuziehen, auch jener mit dem nervigen ÖPNV.

Warum konkurrieren?

Doch das alles hätte viel Arbeit bedeutet, und viele gute Ideen und Entwürfe wären zwangsläufig im Papierkorb gelandet. Auch besteht bei einem solchen Großprojekt ja immer die Gefahr, daß andere den Lorbeer einheimsen, der eigentlich einem selbst zusteht. Warum also konkurrieren? So wie es jetzt ist, bleibt jeder sein eigener kleiner Museumsfürst. Das Volk kommt oder es kommt nicht (bei kleineren Häusern eher: nicht). Doch wenigstens dürfen die Besucher das Rad benutzen, Streckenpläne wurden ausgearbeitet.

Hier geht’s los: Die Standseilbahn im historischen Schrägaufzug der Kokerei Zollverein (Bild: Ruhrmuseum)

Zollverein lohnt sich

Um es nicht zu verschweigen: Eine große Ausstellung gibt es schon, nur dreht die sich eher um die wirtschaftlichen, technischen, sozialen, historischen usw. Aspekte des Kohlebergbaus. Sie heißt „Das Zeitalter der Kohle“ und ist in der Kokerei Zollverein in Essen untergebracht, in jenen imposant-schaurigen Baulichkeiten, wo schon die allererste Ausstellung „Sonne, Mond und Sterne“ das Kohle-Thema streifte, wo Andrea Breth tief verstörendes Theater inszenierte und Industriekultur und „Hochkultur“ (unter anderem in Gestalt der Ruhrtriennale) sich immer wieder auf das Eindrucksvollste begegnen. Mit einer Standseilbahn im Schrägaufzug kommt man hin, und sieht man einmal von der peinlichen Beschallung durch das Steigerlied im Eingangsbereich ab, ist diese Ausstellung durchaus überzeugend geraten. Der Eintritt kostet 10 Euro, und das Kombiticket der Kunstmuseen ist hier selbstverständlich nicht gültig.




Seltene Fresken in der gräflichen Gruft – ein überraschender Fund im Arnsberger Kloster

Nicht leicht zu erkennen: Kreuzigungsszene als mittelalterliches Fresko im Arnsberger Kloster Wedinghausen. (Foto: Bernd Berke)

Nicht ganz leicht zu erkennen: Kreuzigungsszene als mittelalterliches Fresko im Arnsberger Kloster Wedinghausen. (Foto: Bernd Berke)

Mh, was gibt es denn hier zu sehen? Mal ganz ehrlich: Dieser archäologische Fund wirkt beim ersten Hinsehen für Laien ziemlich unscheinbar. Man muss schon von kundigen Fachleuten angeleitet werden. Wenn man die Hintergründe erfährt, erhellt sich die Sache und man ahnt die Bedeutung.

Tatsache ist: Im Kloster Wedinghausen zu Arnsberg haben Archäologen des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) im Zuge von Sanierungsarbeiten Fresken aus der Zeit um 1320 bis 1340 freigelegt. In Westfalen wurde so etwas noch nie gefunden, ja, in ganz Europa gibt es kaum Vergleichbares.

Nicht ohne pflichtgemäßen Heimatstolz spricht Arnsbergs Bürgermeister Ralf Bittner von einer – nun ja – „Sensation“. Barbara Rüschoff-Parzinger, LWL-Kulturdezernentin und selbst ausgebildete Archäologin, kündigt scherzhaft an: Demnächst werde sie wieder einmal in Flandern sein und könne dann mit dieser westfälischen Neuentdeckung punkten. Offenbar haben die dortigen Kolleginnen und Kollegen gelegentlich schon Zweifel am Fundreichtum in Westfalen geäußert. Was es mit Flandern sonst noch auf sich hat, dazu kommen wir gleich noch.

Kreuzigungsszene im gotischen Stil

Jetzt erst mal näher hingeschaut: Das seinerzeit frisch („ al fresco“) und daher eilends auf den noch nassen Putz gemalte Bild zeigt eine Kreuzigungsszene (so genannter „Dreinagel-Typus“) im gotischen Stil, und zwar am Fußende einer Grabkammer, die sich wiederum in der Mitte des ehemaligen Kapitelsaals befindet. Und was ist nun zu sehen? In der Mitte hängt Jesus am Kreuz, links steht sein Lieblingsjünger Johannes, rechts trauert Maria, die Hände vor der Brust gefaltet. Den Raum zwischen den Figuren füllt kunstvoll ausgeführtes Rankenwerk.

Wollt ihr auch noch das typische Lokalteilfoto? Bitte sehr, hier ist es. Es beugen sich über die Fundstelle (von links): Ausgrabungsleiter Wolfram Essling-Wintzer, LWL-Kulturdezernentin Barbara Rüschoff-Parzinger, Prof. Michael Rind (LWL-Direktor für Archäologie), Arnsbergs Bürgermeister Ralf Bittner und Propst Hubertus Böttcher. (Foto: Bernd Berke)

Foto mit hohem Lächelfaktor gefällig? Bitte sehr, hier ist es. Es beugen sich über die Fundstelle (von links): Ausgrabungsleiter Wolfram Essling-Wintzer, LWL-Kulturdezernentin Barbara Rüschoff-Parzinger, Prof. Michael Rind (LWL-Direktor für Archäologie), Arnsbergs Bürgermeister Ralf Bittner und Propst Hubertus Böttcher. (Foto: Bernd Berke)

Das Bild gehört zur Grabkammer der gräflichen Stifterfamilie, der man also das ganze, 1173 gegründete Prämonstratenser-Kloster zu verdanken hatte. Die Kreuzigungsszene verwies natürlich auch auf die Auferstehung und somit aufs erhoffte Seelenheil der Grafen. Dass das Bild in einer Gruft den Blicken entzogen wurde, hat vermutlich keinem der damaligen Zeitgenossen etwas ausgemacht. Es war keine Epoche der Schauwerte. Konservatorisch betrachtet, war das Überdauern in der Dunkelheit jedenfalls ein Segen.

Das empfindliche Bild für die Zukunft bewahren

Ausgrabungsleiter Wolfram Essling-Wintzer war, als die Fresken im Oktober 2017 unverhofft zum Vorschein kamen, nach eigenem Bekunden „verzückt“ von der gut erhaltenen Leuchtkraft, die nun freilich durch besonders sorgsamen Umgang für die Zukunft bewahrt werden muss. Schließlich sind die Fresken ja nicht mehr durch die geschlossene Gruft geschützt. Die Untersuchungen sollten jetzt zügig vonstatten gehen, damit das kostbare Bild sehr bald wieder möglichst wenigen Umwelteinflüssen ausgesetzt ist. Die Zeitfrage ist vor allem auch eine Geldfrage. Deshalb engagiert sich hier die Deutsche Stiftung Denkmalschutz mit finanziellen Mitteln.

Schon hat man den gesamten Fund mit 3D-Fotografien festgehalten und rundum eingescannt, so dass künftig ein virtuelles Museum denkbar wäre, in dem man das abgedunkelte Original allenfalls durch einen schmalen Sehschlitz betrachten dürfte. Vorerst ist der Fund überhaupt nicht zur öffentlichen Besichtigung freigegeben.

Hubertus Böttcher, als Dechant und Propst sozusagen der heutige Hausherr im Kloster, schwärmt von der Aura der Fundstelle und favorisiert eine Lösung, die auch jüngere Leute anspricht, sie in eine andere Zeit eintauchen lässt. Seine nicht nur diesseitige Vision geht weiter: In absehbarer Zeit sollen junge, zölibatär lebende Männer aus Brasilien im restaurierten Klostergeschoss (eine Etage über der Gruft) einziehen und den Ort womöglich zum geistlich-geistigen Zentrum machen – ganz im Sinne ihrer „Katholischen Gemeinschaft Shalom“.

Mächtiger Pfeiler als Zeugnis der Barbarei

Doch zurück zum Bodendenkmal und zur Fundsituation: Bei einer gewaltsamen Grab-Plünderung anno 1804 (nach Aufhebung des Klosters) kamen drei Schädel abhanden, nur Knochenbruchstücke blieben übrig, die man jetzt auswerten kann. Leider findet sich in der Grabstätte noch ein weiteres Zeugnis brachialer Barbarei. Ebenfalls zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde nämlich das Fundament eines mächtigen Pfeilers achtlos mitten hinein gesetzt. Andernfalls wäre die 2,10 Meter lange und 80 Zentimeter breite Grablege heute noch ungleich besser und vollständiger erhalten. Zum Glück hat man auch viele abgeplatzte Wandstückchen gefunden, die sich mit neuesten Computerprogrammen als virtuelles Puzzle wieder zusammensetzen lassen. Dann wird man ungefähr wissen, was an den Fresken fehlt.

Teilansicht des Arnsberger Klosters Wedinghausen, das derzeit gründlich restauriert wird. (Foto: Bernd Berke)

Teilansicht des Arnsberger Klosters Wedinghausen, das derzeit gründlich restauriert wird. (Foto: Bernd Berke)

Knochenreste wurden gleichfalls in der gräflichen Gruft entdeckt. Man hofft, mit den heutigen Methoden (DNA-Analyse) schon bald nachweisen zu können, dass die hier beigesetzten Verstorbenen miteinander verwandt waren. Dann müsste es sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit um die Grafen Heinrich I. und Heinrich II. handeln, die dritte Person dürfte Ermengardis sein, die Gattin Heinrichs II. Mehr noch: Anhand von DNA-Proben könnte man auch Rückschlüsse auf Gesundheitszustand und Ernährungsgewohnheiten dieser höchlich privilegierten mittelalterlichen Menschen ziehen.

Teile eines westeuropäischen Netzwerks

Das alles mag immer noch nach bestenfalls regionaler Bedeutsamkeit klingen. Doch weit gefehlt. Zwar gibt es auch Beispiele in Lübeck und Bonn, doch zumal in Brügge und Umgebung befinden sich die meisten Gräber, die auf diese Art mit Fresken bemalt sind. Heinrich I. hatte, wie man aus schriftlicher Überlieferung weiß, durch seinen Vater Gottfried von Cuyk Kontakt zur flandrischen Region. Jener Gottfried von Cuyk war Burggraf von Utrecht. Da zeichnen sich also – nunmehr auch künstlerisch beglaubigt – Teile eines (west)europäischen Netzwerks ab.

Arnsberg, heute Sitz einer Bezirksregierung, der Teile des Ruhrgebiets unterstehen, war auch damals anscheinend keine reine Provinz. Mit leichter Zuspitzung kann man eventuell sogar behaupten, dass Heinrich I. und sein Sohn in der reichspolitischen, wenn nicht europäischen Liga agierten. Von weit reichender, allerdings unfriedlicher Wirkung zeugt überdies die Beteiligung an den Kreuzzügen. Aber das Kapitel blättern wir jetzt nicht auf.

 




Die Kunst des Schmerzes: Marina Abramović in Bonn

Marina Abramović auf einem Hügel aus blutigen Knochen: "Balkan Baroque" (Performance, 4 Tage, 6 Stunden - 47. Biennale Venedig, Juni 1997 / © Marina Abramović, Courtesy of Marina Abramović Archives / VG Bild-Kunst, Bonn 2018)

Marina Abramović auf einem Hügel aus blutigen Rinderknochen, die sie tagelang abgebürstet hat: „Balkan Baroque“ (Performance, 4 Tage, 6 Stunden – 47. Biennale Venedig, Juni 1997 / © Marina Abramović, Courtesy of Marina Abramović Archives / VG Bild-Kunst, Bonn 2018)

Die Frau ist verrückt. Das steht fest für uns, die wir im Leben nach Wohlbefinden streben. Marina Abramović setzt sich körperlichen Schmerzen und seelischen Qualen aus und nennt das Kunst. Sie zelebriert ihren Masochismus in aller Öffentlichkeit.

Dafür wird sie von Kuratoren und Vernissage-Plauderern in den renommiertesten Galerien der Welt vergöttert. Warum nur? Vielleicht, weil es ihr gelingt, das Dunkle und Wilde, das Gefühl von Wut, Angst und Gefahr vor unseren Augen in ein Gezähmtes zu verwandeln, es gewissermaßen unschädlich zu machen. Das versteht, wer sich auf die Retrospektive in der Bonner Bundeskunsthalle einlässt: „The Cleaner“ (Tatortreiniger) heißt die furiose Schau und ist kein Familienprogramm.

Anders als in der Malerei entfernt sich ein Performance-Künstler nie von seinem Werk. Es existiert ja nur im besessenen Schöpfer. Marina Abramović erscheint ungezählte Male auf Videos und Fotos in dieser aufwändig, mit zahlreichen Requisiten inszenierten Ausstellung. Sie ist eine serbische Schönheit mit pechschwarzem Haar und herben Zügen, die – dank einer verschwiegenen Beauty-Medizin – im Alter von 71 Jahren glatter wirken als je zuvor. Unheimlich glatt. Mit dem Glamour eines Filmstars erscheint diese Marina Abramović ihrem Publikum. Das genügt manchmal schon. „The Artist is Present“, die Künstlerin ist anwesend, hieß es 2010 im New Yorker Museum of Modern Art, wo sie im bodenlangen Gewand insgesamt 736 Stunden unbeweglich an einem kleinen Tisch saß.

Marina Abramović: "The Artist is Present" (Performance, 3 Monate, The Museum of Moderne Art, New York, 2010 / © Marina Abramović / Foto: © Marco Anelli - Courtesy of the Marina Abramović Archives / VG Bild-KUnst, Bonn 2018)

Wer zuerst wegschaut, hat verloren: Marina Abramović „The Artist is Present“ (Performance, 3 Monate, The Museum of Moderne Art, New York, 2010 / © Marina Abramović / Foto: © Marco Anelli – Courtesy of the Marina Abramović Archives / VG Bild-Kunst, Bonn 2018)

Wer wegsieht, hat verloren

Freiwillige mit guten Nerven konnten gegenüber Platz nehmen und der erstarrten Lady in die Augen sehen. Die armen Amateure sollen zum Teil recht emotional reagiert haben, und das erinnert irgendwie an das alte Kinderspiel: Wer zuerst wegguckt oder zuckt, der hat verloren. Marina Abramović gewinnt immer.

Sie macht ihr Spiel mit so mancher alten Qual. Viele Frauen ihrer Generation erinnern sich, dass sie als Mädchen von schroffen Müttern so straff frisiert wurden, dass es wehtat. Marina die Unerbittliche hat das schon in den 1970er-Jahren in einer Performance verwertet, in der sie ihr herrliches Haar so lange mit Metallzinken bürstete und kämmte, bis es beschädigt und die Kopfhaut aufgekratzt war: „Die Kunst muss schön sein, die Künstlerin muss schön sein“, hieß der zynische Titel.

Aber das war eine Kleinigkeit gegen die 1975 zum ersten Mal durchlittene Performance „Lips of Thomas“ – eine Selbstgeißelung der extremen Art, benannt nach dem Kollegen Thomas Lips, mit dem sie eine kurze Affäre hatte. Und die Show geht so: Die nackte Künstlerin trinkt Honig und Wein, zerbricht ihr Glas, dass die Hand blutet, peitscht sich aus, ritzt sich mit einer Rasierklinge ein Pentagramm in den Bauch und legt sich dann mit bloßem Körper auf ein Eiskreuz unter einen Heizstrahler, der das Kreuz langsam schmelzen und die Wunden heftiger bluten lässt. Komplett zerschunden, behält die Künstlerin doch stets die Kontrolle. Sie macht den Plan.

Qual und Erlösung

Kontrolle: Das ist das Stichwort zu den lebenslangen Grenzerfahrungen der Marina Abramović. Man hört ihre Schreie durch den ganzen Saal, doch sie bleibt immer die Königin des Schmerz-Theaters. Anders als in ihrer Kindheit, als sie mit dem Arm in die neue Walzen-Waschmaschine ihrer Mutter geriet, sich den Arm quetschte und dafür noch geohrfeigt wurde. Die Mutter fackelte nicht lange. Sie war Partisanin im Zweiten Weltkrieg gewesen und arbeitete unter Tito als Chefin des Revolutionsmuseums. Der Vater gehörte zur Staatssicherheit. Beide Eltern waren so etwas wie Profi-Jugoslawen, entschlossene Typen. Ihre kleine Marina, 1946 in Belgrad geboren, lebte die ersten Jahre allerdings bei ihrer Großmutter, einer frommen orthodoxen Christin, die ihr ein diffuses Gefühl gibt für Schmerz und Erlösung.

Aus dem Frühwerk: Marina Abramović "Truck Accident (I)", 1963, Öl auf Leinwand (© Marina Abramović, Courtesy of the Marina Abramović Archives / VG Bild-Kunst, Bonn 2018)

Aus dem Frühwerk: Marina Abramović „Truck Accident (I)“, 1963, Öl auf Leinwand (© Marina Abramović, Courtesy of the Marina Abramović Archives / VG Bild-Kunst, Bonn 2018)

Obgleich den Eltern nur die kommunistische Idee heilig war, förderten sie doch Marinas Talent und ermöglichten ihr ein Studium an der Belgrader Akademie. Tatsächlich machte sie ihr Diplom und malte in der ersten Zeit erstaunlich gute Bilder. 1965 entsteht ein expressives Selbstporträt, und aus dem garstigen Thema „Truck Accidents“ (LKW-Unfälle) zaubert die junge Frau fast abstrakte Kompositionen. Eine andere Serie widmet sich auf kühl-konstruktive Art dem Thema „Wolken“.

Bis das Blut spritzt

Sie hätte weiter malen können, aber die Zeiten waren nicht so. Es wurden Experimente gemacht, Studentin Marina ließ sich mit Klebeband auf eine Bank im Kulturzentrum fesseln und begriff: Körperliche Erfahrungen können Kunst sein. Aus der Koje nebenan hört man ein Klopfen und Stöhnen. Das ist der „Rhythm 10“ von Marina Abramovićs erster öffentlicher Performance 1973 in Edinburgh, als sie sich mit wechselnden Messern so schnell zwischen ihre gespreizten Finger hackte, dass sie sich immer wieder schnitt und das Blut spritzte.

Von nun an gehörte sie zum internationalen Performance-Zirkus, alsbald unterstützt von dem deutschen Künstler Frank Uwe Laysiepen alias Ulay, den sie 1975 in Amsterdam kennengelernt hatte und der die Wirkung ihrer Ideen verdoppelte. Gemeinsam zogen sie durch die Welt und ersannen Paar-Dramen, die im Video bis heute erschreckend präsent sind. Um den Bonner Besucher herum küssen sich Ulay und Marina mit verstopften Nasen, bis sie schier ersticken, sie ohrfeigen sich, rempeln sich an und brüllen wie die Tiere – bis einer aufgibt. Aber das sieht man im Film nicht, da wiederholt sich alles ungebrochen, mit hypnotischer Wirkung auf das Publikum. Und Ulay spannt immer wieder den Bogen, richtet den vergifteten Pfeil auf Marinas Herz und hält ihn mühsam zurück: „Rest Energy“, wie es heißt.

Mit Pfeil und Bogen auf die Partnerin zielen: Ulay / Marina Abramović "Rest Energy" (Performance für ein Video, 4 Minuten, ROSC' 80, Dublin 1980 - Detail aus: 16-mm-Film, auf Digitalvideo überspielt, mit Farbe, Ton 4:04 min (© Ulay / Marina Abramović - Courtesy of the Marina Abramović Archives - VG BIld-KUnst, Bonn 2018)

Mit Pfeil und Bogen auf die Partnerin zielen: Ulay / Marina Abramović „Rest Energy“ (Performance für ein Video, 4 Minuten, ROSC‘ 80, Dublin 1980 – Detail aus: 16-mm-Film, auf Digitalvideo überspielt, mit Farbe, Ton 4:04 min (© Ulay / Marina Abramović – Courtesy of the Marina Abramović Archives – VG BIld-KUnst, Bonn 2018)

Der letzte Liebesdienst

Das konnte nicht ewig gut gehen. 1988, nachdem sie 90 Tage lang über die Chinesische Mauer aufeinander zugelaufen waren („The Lovers“), platzte die Schmerzensliebe. Von ihm spricht man nicht mehr so oft. Sie wurde immer berühmter, zog nach Paris, später nach New York. Bewundert, umstritten, auf keinen Fall ignoriert. Nachdem sie 1997 bei der Biennale in Venedig einen preisgekrönten „Balkan Baroque“ inszenierte und unter Gesang tagelang an einem Berg blutiger Rinderknochen herumschrubbte, entwickelte Marina Abramović elegantere Performances, bei denen es eher um das Durchhalten geht. Zwölf Tage verbrachte sie 2002 im Schaufenster einer New Yorker Galerie, in drei kleinen, mit schönen Holzmöbeln eingerichteten Räumen – ohne zu essen, zu sprechen, auszubrechen.

Sich zwischen zwei Nackten hindurchzwängen: Ulay / Marina Abramović "Imponderabilia" (Performance, 90 Minuten, Galleria Communale d'Arte Moderna, Bologna 1977 (© Ulay / Marina Abramović - Foto © Giovanni dal Magro - Courtesy of the Marina Abramović Archives / VG Bild-Kunst, Bonn 2018)

Sich zwischen zwei Nackten hindurchzwängen: Ulay / Marina Abramović „Imponderabilia“ (Performance, 90 Min., Galleria Communale d’Arte Moderna, Bologna 1977 (© Ulay / Marina Abramović – Foto © Giovanni dal Magro – Courtesy of the Marina Abramović Archives / VG Bild-Kunst, Bonn 2018)

Die Leitern, die hinaufführten zum „House with the Ocean View“, hatten Sprossen aus glänzend polierten Tranchiermessern. Nur Wassertrinken hatte sich die Künstlerin erlaubt. Vor aller Augen lebte sie dahin, döste, lief umher, pinkelte gelegentlich und duschte oft. Und heute starrt man fasziniert in der Ausstellung auf die Bühne dieser Performance, die vom 12. bis 24. Juni noch einmal von der unerschütterlichen Diva benutzt werden soll.

Und wer macht mit?

Bis dahin kann man sich täglich ein kleines Abramović-Prickeln holen. Besucher sind eingeladen, barfuß in Schuhe aus unbeweglichen Mineralbrocken zu schlüpfen oder alle Habseligkeiten abzugeben, um, an einem langen Tisch sitzend, Linsen und Reiskörner zu sortieren und sich so in Achtsamkeit zu üben.

Derweil sorgen Statisten für Live-Atmosphäre durch „Re-Performances“. So stehen täglich zwei Nackte in einem engen Eingang, so wie Ulay und Marina es 1977 in Bologna taten. Wer sich traut, zwängt zwischen ihnen durch und riskiert die Berührung. Besonders Frauen lassen sich, wie man an einem ganz normalen Ausstellungstag sieht, auf solche Herausforderungen ein. Verrückt, so sind wir eben.

„Marina Abramović – The Cleaner“. Bis 12. August in der Bundeskunsthalle Bonn, Friedrich-Ebert-Allee 4. Di. und Mi. 10 bis 21 Uhr, Do.-So. 10 bis 19 Uhr. Eintritt: 10 Euro. Täglich Re-Performances mit Statisten. Katalog: 32 Euro.

www.bundeskunsthalle.de




(Fast) alles über „Kunst & Kohle“: 17 Museen in 13 Revier-Städten stemmen Mammutprojekt zum Ende der Zechen-Ära

Schwarz. Schwarz. Schwarz. Es ist, in mancherlei Schattierungen bis hin zu diversen Grauwerten, der beherrschende „Farb“-Ton dieses wahrlich ausgedehnten Ausstellungsreigens.

Weiße Nymphen am Fuße einer Kohlehalde: Blick auf Alicja Kwades Installation "Die Trinkenden" im Museum Ostwall im Dortmunder "U". (Foto: Bernd Berke)

Weiße Nymphen am Fuße einer Kohlehalde: Blick auf Alicja Kwades Installation „Die Trinkenden“ im Museum Ostwall im Dortmunder „U“. (Foto: Bernd Berke)

Hie und da erscheint die Finsternis schon im Titel: Schlichtweg „Schwarz“ lautet er im Bochumer „Museum unter Tage“, „Reichtum: Schwarz ist Gold“ heißt es derweil im Duisburger Lehmbruck-Museum. Anderwärts dominiert das Schwarz jedenfalls die verwendeten Materialien oder wird durch vielfältige Kontraste und sozusagen durch Legierungen anverwandelt. Wirklich kein Wunder, denn es geht ja im gesamten Revier um „Kunst & Kohle“.

Der Ausstellungssommer 2018 hat durchaus fordernden Charakter. Kulturbeflissene müssen sozusagen alles geben (bekommen dafür aber auch etliches geboten): In den letzten Tagen eröffneten eine raumgreifende Schau zur Geschichte des Steinkohle-Bergbaus in Essen und ein fünffach aufgefächertes Friedens-Projekt in Münster. Wir berichteten jeweils. Hier und jetzt aber geht es um eine weitere Unternehmung, die sich aufs Ende des deutschen Bergbaus bezieht und insgesamt alles andere von den Dimensionen her in den Schatten stellt: Gleich 17 Ausstellungshäuser in 13 Städten des Ruhrgebiets vereinen ihre Kräfte just zum revierweiten Ereignis „Kunst & Kohle“, das an den meisten Orten bis zum 16. September dauert.

Hilfreiches Netzwerk der RuhrKunstMuseen

Ohne das gemeinsame Netzwerk jener 20 „RuhrKunstMuseen“, die seit 2008 – damals im Vorfeld des Kulturhauptstadtjahres 2010 – zunehmend kooperieren, wäre der Kraftakt so nicht möglich gewesen. Auf diese Strukturen ließ sich aufbauen, als es darum ging, das weitläufige Themenfeld in aller Vielfalt, Breite und Tiefe darzustellen. Das Ganze soll natürlich auch touristisch beworben werden. Die nicht nur insgeheime Hoffnung: Wer für die Kunst ins Revier kommt, wird hier vielleicht auch ein bisschen „Kohle“ ausgeben.

Gruppenbild vor dem bereits teilweise verhüllten Herner Schloss Strünkede: Einige Museumsdirektor(innn)en des Reviers und Vertreterinnen der Stiftungen. (Foto: Bernd Berke)

Gruppenbild vor dem bereits teilweise verhüllten Herner Schloss Strünkede: Direktor(inn)en diverser Kunstmuseen des Ruhrgebiets und Vertreterinnen der beteiligten Stiftungen. (Foto: Bernd Berke)

Sprachspielchen beiseite. Schon seit 2011 liefen die Vorarbeiten zu „Kunst & Kohle“, bereits seit 2007 sah man ja das epochale Datum der letzten Zechenschließungen in Bottrop und Ibbenbüren unweigerlich kommen. Also kann man jetzt (inklusive museumseigener Mittel) auf einen stolzen Etat von 2,5 Millionen Euro zurückgreifen und Arbeiten von rund 150 Künstler(inne)n auf insgesamt 20000 Quadratmetern Ausstellungsfläche zeigen.

Hauptförderer ist mit 750.000 Euro einmal mehr die RAG-Stiftung, die vor allem gegründet wurde, um die enormen „Ewigkeitskosten“ (Grundwasserschutz etc.) nach dem Ende des Bergbaus zu tragen, welche jährlich rund 220 Millionen Euro ausmachen dürften. Das Stiftungsvermögen liegt allerdings auch, wie es in vornehmer Diskretion hieß, im „niedrigen zweistelligen Milliardenbereich“, so dass auch noch dies und das für Kultur und Bildung übrig bleibt. Außerdem sind bei „Kunst & Kohle“ u. a. die Kunst Stiftung NRW und die Brost Stiftung mit an Bord.

Im Bottroper Josef Albers Museum ausgestellt: Bernd und Hilla Becher "Fördertürme" (Fotografien, 1972-83) (© Estate Bernd & Hilla Becher, vertreten durch Max Becher, courtesy Die Photographische Sammlung/SK Stiftung Kultur - Bernd und Hilla Becher Archiv, Köln, 2018)

Im Bottroper Josef Albers Museum: Bernd und Hilla Becher „Fördertürme“ (Fotografien, 1972-83) (© Estate Bernd & Hilla Becher, vertreten durch Max Becher, Courtesy Die Photographische Sammlung/SK Stiftung Kultur – Bernd und Hilla Becher Archiv, Köln, 2018)

Wie bekommt man das in den Griff?

Das sind fürwahr imponierende Zahlen und Fakten. Doch wie bekommt man das gesamte, nahezu monströse Unterfangen als Besucher (oder Berichterstatter) „in den Griff“? Wie kann man sich welche Schneisen schlagen?

Wie zu hören war, schicken sich mehrere Regional-Zeitungen an, mit all den einzelnen Ausstellungen gleichsam in Serie zu gehen und so auch das von Journalisten gefürchtete „Sommerloch“ Stück für Stück zu füllen. Glückauf dazu! Wir bringen hingegen einen schier endlosen „Riemen“, der dennoch nur Hinweise und Stichworte enthalten kann…

Die einstige Bergbaustadt Hamm ist leider nicht dabei

Im Duisburger Lehmbruck-Museum zu sehen: William Kentridge "Drawing for Mine", Kohlezeichnung (1991) (© William Kentridge)

Im Duisburger Lehmbruck-Museum zu sehen: William Kentridge „Drawing for Mine“, Kohlezeichnung (1991). (© William Kentridge)

Einstweilen muss ich freimütig bekennen, nicht etwa alle 17 Ausstellungen gesehen zu haben. Das kann – außer dem federführenden Koordinator Prof. Ferdinand Ullrich (vormals Leiter der Kunsthalle Recklinghausen) – bisher wohl niemand von sich behaupten. Es ist ja auch schön, die Auswahl unter so vielen Optionen zu haben. Zur Erschließung größerer Bereiche werden (kostenlose!) Bustouren angeboten, die jeweils zu drei Ausstellungen führen. Ich habe fürs Erste eine westfälische Route im östlichen Ruhrgebiet vorgezogen – mit den Stationen Herne, Dortmund und Unna.

Apropos Ost-Revier: Hamm, früher eine ausgesprochene Bergbaustadt mit mehreren großen Zechen (Sachsen, Radbod, Heinrich Robert) ist aus unerfindlichen Gründen nicht am Projekt beteiligt. Freilich war das dortige Gustav-Lübcke-Museum in den letzten Jahren auch nicht mit personeller Kontinuität gesegnet. In Hagen, dessen zwei Kunstmuseen auch nicht mitmachen, hat man’s eh weniger mit der Steinkohle gehabt. Sonst aber sind praktisch alle Ecken und Enden der Region mit von der Partie.

Spektakuläre Verhüllung des Herner Schlosses mit Jutesäcken

Nun geht’s aber auf die Tour:

In Herne ist das größte und spektakulärste Kunst-Signal schon aus einiger Entfernung sichtbar. Dort hat der aus Ghana stammende Ibrahim Mahama, der auch schon die letzte documenta bereicherte, große Teile des Schlosses Strünkede unter dem bezeichnenden Titel „Coal Market“ mit Jutesäcken verhüllt. Anders als Christo, ist es ihm nicht in erster Linie um die ästhetische oder gar ästhetisierende Wirkung zu tun, seine Arbeit ist vor allem mit gesellschaftlicher und politischer Bedeutung aufgeladen.

Die in Asien gefertigten, überwiegend in Afrika verwendeten, nunmehr zerschnittenen und sodann in vielen Arbeitsstunden von freiwilligen Helfern miteinander vernähten Jutesäcke sind sichtlich gebrauchte Exemplare, sie riechen buchstäblich noch nach dem Schmutz und nach der Knochenarbeit auf den Transportwegen durch Afrika und auf interkontinentalen Strecken. In etlichen Säcken wurde tatsächlich Kohle transportiert (etwa von Afrika nach Europa), in anderen beispielsweise Lebensmittel. Wenn ein eher herrschaftliches Gebäude wie das Schloss damit verhüllt wird, ist dies eine nachdrückliche, auch provokante Erinnerung an globale Kapitalströme und weltweiten Warenverkehr, in dem vielen Ländern hauptsächlich die Drecksarbeit bleibt.

Trotzdem freut man sich in Herne über den ungewohnten Anblick. Das Schloss ist nämlich beliebte Kulisse für viele Hochzeiten. Es soll Brautpaare geben, die es kaum noch erwarten können, hier und möglichst bald zu heiraten, denn so besonders wird das alte Gemäuer später wahrscheinlich nie wieder aussehen…

Die Verwandlung von Holz durch Feuer

Weiter zur zweiten Station in Herne: In den Flottmann-Werken wurde einst der Abbauhammer erfunden und produziert, mit dem die Massenproduktion in den Revierzechen recht eigentlich begonnen hat. Heute sind von den vielen Werksgebäuden „nur“ noch die Flottmannhallen übrig. Dort stellt jetzt der englische Bildhauer und Zeichner David Nash seine Arbeiten aus, die gerade in dieser lichten Ausstellungshalle wunderbar zur Geltung kommen. Sie fügen sich derart gut zum Generalthema Kohle, dass man meinen könnte, es seien eigens hierfür ausgeführte Auftragsarbeiten. Doch das ist nicht der Fall.

Blick in die Ausstellung mit Arbeiten von David Nash in den Herner Flottmann-Hallen. (Foto: Bernd Berke)

Blick in die Ausstellung von David Nash in den Herner Flottmann-Hallen. (Foto: Bernd Berke)

Nash ist vorwiegend Holzbildhauer, doch seine in Herne präsentierten Skulpturen haben gleichwohl die Anmutung von Steinkohle-Produkten. Er rückt dem Holz mit Kettensägen,  Bunsenbrennern, zuweilen auch mit Flammenwerfern zuleibe und lässt es allseits gezielt verkohlen. Vorzugsweise sind die Skulpturen nicht zusammengefügt, sondern aus einem großen Stück herausgearbeitet. Aus all dem ergibt sich ein anregendes Wechselspiel zwischen natürlichen Oberflächen (Risse und Sprünge im Holz) sowie geometrischen Figurationen. Hier und in Nashs Zeichnungen wird man gewahr, wie vielfältig die Valeurs zwischen Schwarz, Grau und Weiß sind.

Auf nach Dortmund, durch den üblichen Nachmittagsstau. Hier geht es ins Museum Ostwall im Dortmunder „U“, sechste Etage. Edwin Jacobs, Direktor des Hauses, ist zugleich Sprecher des eingangs erwähnten Verbundes der RuhrKunstMuseen.

Bergmännische Laienkunst im Kontrast zu professionellen Positionen

Bergbau gilt gemeinhin als Männersache, doch hier haben sich drei Kuratorinnen Aspekten des Themas gewidmet: Regina Selter (stellv. Direktorin), Karoline Sieg und Caro Delsing. Sie haben nicht nur ermittelt und in einer Karte visualisiert, dass es in der Hoch(ofen)zeit der 50er/60er Jahre in Dortmund 15 fördernde Zechen gegeben hat. Sie haben zudem die Geschichte des Museums erforscht und herausgefunden, dass Leonie Reygers, die Gründungsdirektorin nach dem Zweiten Weltkrieg, ein Faible für naive Kunst und Laienkunst hatte. Demgemäß richtete sie einen entsprechenden Sammlungsschwerpunkt ein. Naive Kunst aus Paris zeigte sie schon 1952 unter dem heute treuherzig klingenden Titel „Maler des einfältigen Herzens“.

All das war Anlass genug, um im ersten Teil der Ausstellung die Bilder einiger naiver Künstler aus der Ostwall-Sammlung und vor allem Beispiele fürs Schaffen bergmännischer Laienkünstler zu versammeln. Gewiss, manche von ihnen haben zu einem eigenen Stil und eigenen Ausdrucksformen gefunden. Dennoch deutet schon die drangvoll enge „Petersburger Hängung“ darauf hin, dass die künstlerische Wertschätzung für diese Arbeiten insgesamt auch ihre Grenzen hat. Es sind teilweise etwas unbedarfte Idyllen. Doch ein paar Bilder künden auch von Ängsten und Alpträumen der Arbeitswelt.

Wenn Dinge des Bergbaus zu abstrakten Mustern geraten

Es geht ein deutlicher Riss durch diese Dortmunder Ausstellung, der auch gar nicht gekittet werden soll. Getrennt durch einen Kreativbereich, in dem Besucher sich einschlägig betätigen können, folgen als Teil zwei einige gegenwärtige künstlerische Positionen, die denn doch völlig andere, ungleich reflektiertere Zugänge zum Thema Kohle eröffnen – freilich sozusagen „von außen“ her, aus der Perspektive des professionellen Kunstbetriebs und lange nach der eigentlichen Zechenzeit.

Abstrakte Wirkung: Andreas Gursky "Hamm, Bergwerk Ost" (2008), C-Print (© Andreas Gursky / VG Bild-Kunst, Bonn 2017/18 - Courtesy Sprüth Magers)

Abstrakte Wirkung aufgehängter Bergmannskleidung in der Waschkaue: Andreas Gursky „Hamm, Bergwerk Ost“ (2008), C-Print (© Andreas Gursky / VG Bild-Kunst, Bonn 2017/18 – Courtesy Sprüth Magers)

Das Spektrum reicht hier von Andreas Gurskys Fotografie „Hamm, Bergwerk Ost“, der die aufgehängte Bergmannskleidung in der Waschkaue zu einer geradezu abstrakten Komposition verwandelt, beispielsweise bis zum Bochumer Künstler Marcus Kiel, der textile Hinterlassenschaften von Bergmännern zu einer – ebenfalls abstrakt wirkenden – Wandinstallation von gehöriger Größe zusammengefügt hat. Es sind dies originelle Bergbau-„Denkmäler“ besonderen Zuschnitts – und von besonderer Güte. Fron und Schweiß der bergmännischen Maloche haben sie allerdings weit hinter sich gelassen.

Die „Heilige Barbara“ als Modepuppe

Bemerkenswert z. B. auch die Arbeiten zweier Frauen: Die Modedesignerin und Künstlerin Eva Gronbach hat eine gesichtslose Frauenfigur mit leichtem Sommerkleid auf einen Haufen mit grober Bergmannskleidung postiert. Bei näherem Hinsehen merkt man, dass auch die Frauenmode aus recycelter Bergmannskluft gewonnen wurde. Überdies erweist sich die Figur als Anspielung auf die „Heilige Barbara“, die Schutzpatronin der Bergleute. Hier stellt sich recht deutlich die Frage nach einer Zukunft jenseits des Bergbaus, auf die auch die gesamte Ausstellungs-Serie zu gewissen Teilen abhebt. Nicht nur ein mehr oder weniger wehmütiger Abschied von der Kohle soll gefeiert werden, sondern man will erklärtermaßen auch Grüße in die heraufdämmernde Zukunft aussenden. Wohl auch darauf spielt der lokale Dortmunder Ausstellungstitel „Schichtwechsel“ an.

Installation in Dortmund: Eva Gronbachs Arbeit "Was vergeht, was bleibt, was entsteht". (Foto: Bernd Berke)

Installation in Dortmund: Eva Gronbachs Arbeit „Was vergeht, was bleibt, was entsteht“. (Foto: Bernd Berke)

Der zweite Frauenname folgt sogleich: Alicja Kwade fasziniert mit ihrer Installation „Die Trinkenden“, in der höchst konventionelle Porzellan-Nymphen („weißes Gold“) am Fuß einer Kohlehalde („schwarzes Gold“) knien. Daraus erwächst eine durchaus rätselhafte Spannung. Wer mehr von dieser Künstlerin sehen will, hat dazu reichlich Gelegenheit: Das Kunstmuseum in Gelsenkirchen widmet ihr im „Kunst & Kohle“-Kontext eine Einzelausstellung.

Überhaupt finden sich Querbezüge zwischen den Museen. Einen losen Anknüpfungspunkt gibt es etwa nach Oberhausen, wo in der Ludwiggalerie Bergbau- und Kumpel-Figuren im Comic das Spezialgebiet sind. Auch in Dortmund sieht man eine Arbeit in diesem Geiste: Stephanie Brysch, also eine weitere Frau, hat ihre Collage „Unter Tage“ aus Comic-Figuren erstellt, die sich allesamt unter die Erdoberfläche begeben.

In Dortmund drei Kuratorinnen, in Unna drei Künstlerinnen

Nun aber noch etwas weiter ostwärts nach Unna. Dort befindet sich das weit und breit einmalige Zentrum für internationale Lichtkunst mit etlichen „Ikonen“ des Metiers. Und siehe da: Hier sind drei Künstlerinnen mit ihren Licht-Installationen gar unter sich. Bergbau als Männersache? Das gilt längst nicht mehr, wenn es um die ästhetischen Hinterlassenschaften und die weiteren Aussichten geht.

Beitrag im Lichtkunstmuseum Unna: Diana Ramaekers' Neon-Installation "Mein Berg" (2015) (© Foto: Sergé Technau Photograhy, Courtesy by Diana Ramaekers)

Beitrag im Lichtkunstmuseum Unna: Diana Ramaekers‘ Neon-Installation „Mijn Berg“ (Mein Berg,  2015). (© Foto: Sergé Technau Photograhy, Courtesy by Diana Ramaekers)

Das Lichtkunst-Museum ist thematisch von vornherein prädestiniert, geht es doch zum Rundgang durch die ehemalige Linden-Brauerei einige Meter abwärts in den früheren Gärkeller; wenn man so will: unter Tage. Alle drei Installationen der meditativen Ausstellung „Down here – Up there“ (Hier unten, dort oben) spielen mit wechselnden Effekten von Licht und Dunkelheit.

Die Niederländerin Diana Ramaekers hat rot gefärbten Neonröhren montiert, deren Licht langsam entsteht und verlischt, immer und immer wieder – ein geheimnisvoller Energiefluss in der Dunkelheit. Nicola Schrudde hat ihren vielschichtigen Raum unter dem Titel „Schwarzdichte“ mit keramischen Plastiken und Videoloops so gestaltet, dass man nur allmählich und schemenhaft erkennt, was sich da begibt. Offenbar werden Kräfte der Natur beschworen, die in der Zukunft des Ruhrgebiets wieder mehr hervortreten sollen.

Schließlich Dorette Sturms raumfüllende „Breathing Cloud“, eine atmende Wolke also, die stets an- und abschwillt. Sehr sanftmütig kommt einem das vor – wie eine milde Verheißung. Man mag an die einst so schwarzen Wolken denken, die „damals“ über dem Revier hingen. Nun füllen sie sich offenbar mit neuem Leben. Und die Schwärze ist geschwunden.

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„Kunst & Kohle“: je nach Stadt ab 2., 3., 5. oder 6. Mai (Ausnahme: Küppersmühle in Duisburg erst ab 8. Juni). In den meisten Museen bis zum 16. September (Ausnahmen: Dortmunder „U“ nur bis 12. August, Museum Folkwang Essen nur bis 5. August).

Die beteiligten Museen (nach Städte-Alphabet) und ihre Themen:

Kunstmuseum (Bochum): Andreas Golinski „In den Tiefen der Erinnerung“
Museum Unter Tage (Bochum):
„Schwarz“
Josef Albers Museum (Bottrop):
Bernd und Hilla Becher – Bergwerke
Museum Ostwall im „U“ (Dortmund): „
Schichtwechsel“ – von der (bergmännischen) Laienkunst zur Gegenwartskunst
Lehmbruck-Museum (Duisburg): „
Reichtum: Schwarz ist Gold“
Museum DKM (Duisburg): „
Die schwarze Seite“
Museum Küppersmühle (Duisburg):
Hommage an Jannis Kounellis
Museum Folkwang (Essen):
Hermann Kätelhön – Ideallandschaft: Ruhrgebiet
Kunstmuseum (Gelsenkirchen):
Alicja Kwade
Flottmann-Hallen (Herne):
David Nash
Emschertal-Museum / Schloss Strünkede (Herne): „
Coal Market“ – Verhüllung durch Ibrahim Mahama
Skulpturenmuseum Glaskasten (Marl): „
The Battle of Coal“
Kunstmuseum (Mülheim/Ruhr):
Helga Griffiths „Die Essenz der Kohle“
Ludwiggalerie im Schloss (Oberhausen): „
Glück auf! Comics und Cartoons“
Kunsthalle (Recklinghausen):
Gert & Uwe Tobias
Zentrum für Internationale Lichtkunst (Unna): „
Down here – up there“
Märkisches Museum (Witten):
Vom Auf- und Abstieg

25 Euro (ermäßigt 15 Euro) kostet ein Kombi-Ticket, das auch zum mehrmaligen Besuch aller Ausstellungen über den gesamten Zeitraum berechtigt. Erhältlich in allen teilnehmenden Museen und unter der Ticket-Hotline der Ruhr Tourismus GmbH: 01806/18 16 50.

Kostenlose Bustouren, jeweils zu drei beteiligten Museen (ca. fünfeinhalb Stunden lang). Termine im Ausstellungs-Booklet: Anmeldungen unter buchungen@ruhrkunstmuseen.com oder telefonisch: 0203/93 55 54 723

Massiver Katalog in 17 Bänden im Wienand-Verlag, begrenzte Auflage der Gesamt-Publikation im großen Schuber, ansonsten in Einzelexemplaren für die beteiligten Museen erhältlich. Zur ersten Orientierung gibt es zudem ein Gratis-Booklet mit knappen Infos zu allen Ausstellungen.

Alle weiteren Informationen unter:

www.ruhrkunstmuseen.com/kunst-kohle.html




Den Frieden von allen Seiten betrachten – eine fünffache Themenausstellung in Münster

Ein globaleres, ebenso zeitübergreifendes Thema kann man sich schwerlich aussuchen: Gleich fünf Münsteraner Museen und Institutionen zeigen jetzt Ausstellungen über den Frieden. Die Präsentationen dauern samt und sonders bis zum 2. September. Und da man beim Thema Frieden nicht ohne den finsteren Kontrast des Krieges auskommt, weitet sich das Spektrum des umfangreichen Projekts „Frieden. Von der Antike bis heute“ noch einmal wesentlich.

Battista Dossi: "Pax" (1544), Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Gemäldegalerie Alte Meister (© bpk / Staatl. Kunstsammlungen Dresden / Hans-Peter Klut)

Battista Dossi: „Pax“ (1544), Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Gemäldegalerie Alte Meister (© bpk / Staatl. Kunstsammlungen Dresden / Hans-Peter Klut)

Münster ist bekanntlich die Stadt des Westfälischen Friedens, der 1648 geschlossen wurde und jetzt also 370 Jahre zurück liegt. Der Dreißigjährige Krieg, der damit aufhörte, brach vor 400 Jahren aus. Vor 100 Jahren endete der Erste Weltkrieg. Wenn man denn also runde Daten braucht, so gibt es Anlässe genug für eine solche Gemeinschafts-Ausstellung. Die eingehende Beschäftigung mit dem Thema lohnt sich aber auch ohne Ziffern-Jonglage. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ist übrigens Schirmherr der Münsterschen Unternehmung.

Entstehung von Bildtraditionen

Beteiligt sind das LWL-Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte, wo außerdem das Bistum Münster gastiert; das Archäologische Museum der Uni Münster, das Picasso-Museum und das Stadtmuseum. Sie alle zusammen zeigen rund 660 Exponate und gehen dementsprechend auf viele Aspekte des Themenkreises ein. Dabei ergeben sich etliche Kreuz- und Querbezüge zwischen den einzelnen Ausstellungen.

Gemeinsame Ansätze betreffen vor allem die Ikonographie, also quasi die Bildtraditionen des Friedens, die sich im Laufe der Zeiten herausgebildet haben und auf deren Fundus getrost zurückgegriffen werden konnte. Im LWL-Landesmuseum am Domplatz finden sich dafür markante Beispiele. Hier prunkt man u. a. mit allegorischen Kriegs- und Friedensbildern von Peter Paul Rubens (kleinere Ölskizzen), der die Gepflogenheiten bei Friedensverhandlungen in seiner Eigenschaft als Diplomat aus eigener Anschauung kannte.

Friedensgöttin Pax mit Füllhorn

Gleich eingangs der Schau gehen mit der 1544 von Battista Dossi gemalten Friedensgöttin Pax einige Symbole einher, wie sie immer wiederkehren, so etwa Füllhorn, Früchte und Ähren als Wohlstands-Versprechen nach einem Friedensschluss. Zudem hat Pax mit ihrer Fackel eine Rüstung verbrannt. Zu ihren Füßen liegen Wolf und Lamm in schönster Eintracht – auch dies seit Jahrhunderten ein bewährtes Bildmuster für friedliche Zeiten.

Auguste Rodin: "Die Bürger von Calais", Figur Jean d'Aire (um 1895-1899), Kunsthalle Bremen - Der Kunstverein Bremen: Kupferstichkabinett (Foto: LWL/Anne Neier)

Auguste Rodin: „Die Bürger von Calais“, Figur Jean d’Aire (um 1895-1899), Kunsthalle Bremen – Der Kunstverein Bremen: Kupferstichkabinett (Foto: LWL/Anne Neier)

Das LWL-Museum widmet sich überdies den überlieferten Strategien, Gesten und Ritualen des Friedens, wie sie zumal in den Darstellungen historischer Friedensschlüsse zum Ausdruck kommen. Zu nennen wäre Gerard ter Borchs buchstäblich mustergültiges, in den Grundzügen später vielfach nachgeahmtes Bild einer solch feierlichen Zeremonie: „Beschwörung des Spanisch-Niederländischen Friedens am 15. Mai 1648“.

Demutsgesten vor dem Gnadenakt

Auch gehört die (im Idealfalle großmütig angenommene) Unterwerfungs- und Demutsgeste zum geschichtlichen Repertoire. Besonders trefflich und subtil formuliert ist diese Gestik in Auguste Rodins Figurengruppe „Die Bürger von Calais“ (um 1895-99), welche bei den englischen Belagerern der Stadt flehentlich um Gnade baten. In diesem Kontext kann es eigentlich nicht überraschen, wenn zwischen all den Kunstwerken auch eine berühmt gewordene Fotografie auftaucht, die Willy Brandts Kniefall vor dem Ehrenmal des Warschauer Ghettos zeigt und sich in althergebrachte Bildtraditionen einfügt.

Das 20. Jahrhundert brach insofern mit der Überlieferung, als nach den weltweiten Konflikten vornehmlich Siegfrieden herrschte – ohne das Wenn und Aber von ausgehandelten Kompromissen. Eine andere, mildere Form des Friedens schien gar nicht mehr vorstellbar. Und mit Aufkommen der atomaren Bewaffnung ist, wie die Ausstellung ebenfalls zu zeigen sucht, die Frage nach Frieden dringlicher denn je.

Ein etwas kraftloses Finale

Die Schau, die bis dahin doch einige bemerkenswerte Kunstwerke in schlüssiger Anordnung aufbietet (u.a. auch einschlägige Karikaturen von Honoré Daumier und Kriegsbilder von Otto Dix), mündet schließlich in einen Raum, der sich recht plakativ der demonstrativen Ästhetik der Friedensbewegung anbequemt. Es ist, als ob etwas recht Gewaltiges am Ende eher etwas kraftlos auströpfelt.

Otto Pankok: "Christus zerbricht das Gewehr" (1950). Privatsammlung Gerhard Schneider, Olpe und Solingen, Zentrum für verfolgte Künste GmbH im Kunstmuseum Solingen (© Otto Pankok Stiftung)

Otto Pankok: „Christus zerbricht das Gewehr“ (1950). Privatsammlung Gerhard Schneider, Olpe und Solingen, Zentrum für verfolgte Künste GmbH im Kunstmuseum Solingen (© Otto Pankok Stiftung)

Im selben Haus gastiert das Bistum Münster mit einer konzentrierten Auswahl unter dem Leitmotto „Frieden. Wie im Himmel so auf Erden?“ Sie kommt übrigens gerade recht zum Deutschen Katholikentag, der vom 9. bis 13. Mai in Münster stattfindet. Die Friedenssehnsucht, so die eindrücklich belegte Hypothese, zählt zu den zentralen Motiven des Christentums, versinnbildlicht u. a. in der Vorstellung vom „Himmlischen Jerusalem“. Übliche Friedenssymbole sind beispielsweise Tauben und Regenbögen, wie sie in der LWL-Schau etwa bei Otto Piene in moderner Gestalt wiederkehren. Von Tauben wird im Picasso-Museum ebenfalls noch zu reden sein. Die fünf Ausstellungen bestehen zwar je für sich, sie bilden aber eben auch einen hie und da dicht geflochtenen Zusammenhang.

„Mit Gott zum Sieg“

Das Bistum Münster hat keineswegs eine Ausstellung (u.a. gekrönt mit Objekten der Antike sowie Werken von Veit Stoss, Otto Pankok und Christian Schmidt-Rottluf) aus dem Geist der Selbstbeweihräucherung zusammengetragen – im Gegenteil: Man ist so klug und aufrichtig, auch Schattenseiten wie die Missionierung mit dem Schwert gebührend darzustellen. Klerikal abgesegnete Parolen wie „Mit Gott zum Sieg“ dienten weltlichen Kriegstreibern. Und zu den furchtbaren Kreuzzügen sieht man mit Entsetzen die auf 1634 datierte Darstellung eines Christus, der triumphal den abgeschlagenen Kopf eines Muslims in der Hand hält. Gepriesen sei die Aufklärung, die nach und nach das Christentum geläutert hat. Sie möge allen Religionen zuteil werden.

Weiter geht’s ins Archäologische Museum der Universität. Hier schreitet man sogleich auf eine vergoldete Replik der altgriechischen Friedensgöttin Eirene zu. Schon zu dieser Frühzeit findet sich also die anthropomorphe Deutung des Friedens, der Menschengestalt annimmt. Und schon hier steht das Füllhorn sozusagen für die erhoffte Friedens-Dividende, also für wirtschaftliche Blüte. Die Taube hingegen fungierte zunächst nur als bloßes Tieridyll und noch längst nicht als explizites Friedenszeichen.

"Taube mit Olivenzweig fliegt zur Arche Noah" (Buntmetall, Münzstätte Apameia (Phrygien/Türkei) - (Staatliche Museen zu Berlin, Münzkabinett - Foto Bernd Berke)

Noch kein ausdrückliches Friedenssymbol: „Taube mit Olivenzweig fliegt zur Arche Noah“ (Buntmetall, Münzstätte Apameia (Phrygien/Türkei). Geprägt unter Kaiser Philippus Arabs (reg. 244-249 n. Chr.)  – (Staatliche Museen zu Berlin, Münzkabinett – Foto Bernd Berke)

Inszenierung des Kaisers

Die kleine archäologische Ausstellung schlägt beherzt einen Bogen von etwa 700 vor Chr. bis ins 3. Jahrhundert nach Chr. und berührt griechische wie römische Vorstellungen vom Frieden. Während sie in Griechenland noch mythologisch grundiert war, bezog sie sich in der römischen Antike vor allem auf den Kaiser als Friedensbringer, zumal auf den Imperator Augustus. Ein Modell führt die ausgesprochen raumgreifende, architektonische und städtebauliche Inszenierung des Friedens vor Augen, wie sie den Herrschenden im Römischen Weltreich gefiel. Wer einmal sein weitläufiges Gebiet arrondiert hat, kann wohlfeil den Frieden zelebrieren.

Man erfährt überdies, dass (nicht nur) seinerzeit eine gewisse Korpulenz zum Inbild des gütigen Friedensherrschers gehörte. Kühner Vergleich der Ausstellungsmacher: Ein Foto des wohlgenährten „Wirtschaftswunder“-Ministers und nachmaligen Kanzlers Ludwig Erhard soll quasi an die antiken Bildnisse anknüpfen.

Mit dem Botenstab zwischen den Fronten

Außerdem sieht man Tontafel-Fragmente des ältesten erhaltenen Friedensschlusses der Menschheit von 1259 v. Chr. Dieser Vertrag zwischen Hethitern und Ägyptern ist hier bruchstückweise als Kopie in Keilschrift vorhanden.

Auch lernt man, dass der Botenstab zur Grundausstattung antiker Diplomaten zählte. Mit diesem Stab versehen, der Immunität garantierte, wandelten sie zwischen den Fronten, um zu verhandeln; wie denn überhaupt in der Antike oftmals der vernünftige Interessenausgleich zum Friedensschluss führte – und nicht das einseitige Diktat des Siegers. Allerdings ergibt sich im 3. Jhdt. n. Chr. auch das Paradox, dass viele Münzen die Friedensgöttin Pax zeigen, während die Zeiten in Wahrheit ungemein kriegerisch waren.

Nächste Station: das Kunstmuseum Pablo Picasso. Hier wird das Spannungsfeld zwischen Picassos weltberühmter Kriegsanklage „Guernica“ (die natürlich nicht im Original zu sehen ist, sondern als Paraphrase der Künstlerin Tatjana Doll) und des recht eigentlich von ihm kreierten Motivs der Friedenstaube vermessen.

Pablo Picasso: "Die Taube" (1949), Lithographie (Kunstmuseum Pablo Picasso Münster © Succession Picasso, Paris, VG Bild-Kunst, Bonn 2018)

Pablo Picasso: „Die Taube“ (1949), Lithographie (Kunstmuseum Pablo Picasso Münster © Succession Picasso, Paris, VG Bild-Kunst, Bonn 2018)

Himmelschreiendes Nachtstück

Die Entstehungsphasen seines „Guernica“-Bildes sind gleichwohl präsent, und zwar durch Fotografien seiner damaligen Gefährtin Dora Maar, die das allmähliche Werden des Werks – von April bis Juni 1937 – Schritt für Schritt festhalten. Das letztlich unausdeutbare Großformat bezieht sich auf die barbarische Zerstörung der baskischen Stadt Guernica durch Francos faschistische Truppen, die deutsche „Legion Condor“ und italienische Unterstützer. Es ist ein himmelschreiendes Nachtstück, allen Opfern des Überfalls zugeeignet.

Erst in dieser Phase wurde Picasso überhaupt politisch. Die Münsteraner Ausstellung enthält auch seine schrundige, bewusst ungeglättete Skulptur eines Mannes mit Schaf, die sich (in der Tradition von Auguste Rodin) weit abheben sollte von der Sterilität eines Arno Breker, der damals – unter deutscher Besatzung – gerade in Paris ausstellte. Auch bei dieser Picasso-Schöpfung oszillieren die möglichen Bedeutungen. Was beim flüchtigen Hinsehen als Friedensbotschaft gesehen werden könnte, kippt wohl doch ins schiere Gegenteil um: Bringt der Mann das Tier nicht zur Schlachtbank? Es ist jedenfalls eine subversive Arbeit, die auch der Gestapo verdächtig war, die Picasso in Paris drangsalierte.

Friedenstauben für die Kommunisten

Und die Tauben? Wurden Picassos denkbar breitenwirksames und wohl populärstes Motiv überhaupt. Als ursprüngliches Vorbild dienten vermutlich jene Mailänder Tauben, die Picasso als Geschenk von Matisse erhalten hatte. In Münster sieht man nun einige Varianten des Motivs, das Picasso stets wieder aufgriff, seit er 1949 die Urfassung entworfen hatte. Picasso, nunmehr Mitglied der Kommunistischen Partei, stellte damit die Genossen zufrieden. Endlich sei die Kunst des Avantgardisten einmal verständlich, lobten sie. Hernach stellte er sein Tauben-Motiv häufig der Partei für Plakate zur Verfügung. Kurios: Es gibt ein Zitat von Picasso, das sinngemäß besagt, es sei ein Witz, ein dermaßen aggressives Tier wie die Taube zum Friedenssymbol zu ernennen…

Bliebe noch das Stadtmuseum Münster. Dessen Schwerpunkten entsprechend, wird dort die örtliche und regionale Wahrnehmung des Westfälischen Friedens von 1648 behandelt. Unter dem Titel „Ein Grund zum Feiern?“ beleuchtet man die Aktivitäten zu früheren Jubiläen des historischen Datums. Die Rückblicke reichen in die Jahre 1748, 1848, 1898 und 1948. In Münster galt der Westfälische Frieden lange Zeit als eher missliebiger Gedenkanlass, wähnte man doch, der Katholizismus sei schlecht dabei weggekommen. Erst ganz allmählich rang man sich zu einer gelasseneren und neutraleren Sicht der Dinge durch.

Ob man nun alle fünf Ausstellungen absolvieren soll? Nun, das bleibt selbstverständlich jedem und jeder selbst überlassen. Ich kann nur sagen: Beim Pressetermin ging es in einer Tour de Force über den gesamten Parcours. Und das übersteigt im Grunde die mentale Aufnahmebereitschaft. Ratsam wäre es, sich je nach Interessenlage etwas herauszusuchen oder sich die ganze Sache an zwei verschiedenen Tagen zu Gemüte zu führen. Ganz ruhig und friedlich also.

„Frieden. Von der Antike bis heute“. Bis 2. September 2018 an folgenden Orten in Münster:

  • LWL-Museum für Kunst und Kultur, Domplatz 10 (mit zusätzlicher Gastausstellung des Bistums Münster). Tel. 0251/ 5907 201
  • Archäologisches Museum der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, Domplatz 20-22. Tel. 0251 / 832 69 20
  • Kunstmuseum Pablo Picasso Münster, Picassoplatz 1, Tel. 0251/ 41 44 710
  • Stadtmuseum Münster, Salzstraße 28, Tel. 0251/ 492 45 03
  • Gemeinsame Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag 10-18 Uhr (montags geschlossen). Kombi-Ticket für alle Ausstellungen Erwachsene 25 €, ermäßigt 16 €, Kinder, Jugendliche, Schüler 8 €
  • Sonderöffnungszeiten zum Deutschen Katholikentag, 9. bis 12. Mai, jeweils 10 bis 22 Uhr
  • Zur Ausstellung erscheinen fünf Katalogbände im Sandstein-Verlag, die einzeln oder als Gesamtedition im Schuber erhältlich sind. Die Kataloge kosten einzeln: LWL-Museum 38 €, Bistum 38 €, Archäologie 38 €, Picasso-Museum 24 € und Stadtmuseum 18 €. Alle zusammen (1064 Seiten) 98 Euro.
  • Weitere Infos: www.ausstellung-frieden.de

 

 




Ruhrtriennale in „Zwischenzeiten“ – die neue Intendantin Stefanie Carp präsentiert ihr Programm

Zu den Eigentümlichkeiten der Ruhrtriennale gehört der radikale Stabwechsel, also der alle drei Jahre fällige Übergang von einer Intendanz zur nächsten. Da sitzen dann plötzlich vier fünf, neue Gestalten auf dem Podium, die alten sind weg und finden auch keinerlei Erwähnung mehr. Außerdem ändert sich das Graphik-Design alle drei Jahre so grundlegend, daß man glatt glauben könnte, einer Stunde Null beizuwohnen.

Die Intendantin und ihr Künstler: Stefanie Carp und Christoph Marthaler (Foto: Edi Szekely/Ruhrtriennale)

Beigeordneter Künstler Marthaler

Nun also saßen Stefanie Carp und Christoph Marthaler auf der Bank. Stefanie Carp, wir berichteten, ist die neue Intendantin, Christoph Marthaler „Artiste associé“, also sozusagen der beigeordnete Künstler. Im wirklichen Leben war es meistens umgekehrt, war Frau Carp Dramaturgin bei Marthaler, doch nun ist es an ihr, wichtige Worte zu sprechen. Von rasend schnell sich verändernden Lebensumständen raunt sie, von Verteilungskriegen und unvorstellbarer Grausamkeit, welche Gesellschaften und Kulturen zerstöre. Und weil das nicht lange gutgehen kann und die Forderungen der Geknechteten nach Beteiligung, Gleichheit und Freiheit eine Frage des zivilisierten Lebens seien und deshalb nicht mehr lange überhört werden könnten, befänden wir uns, bis es so weit ist, in einer „Zwischenzeit“.

Zwischenzeit? Klingt eindrucksvoll, stimmt irgendwie immer – war der Frau Intendantin dann aber wohl doch zu wuchtig, als daß sie es in Leuchtbuchstaben über ihr Festival geschrieben hätte. Aus der Zwischenzeit wurden lediglich einige Zwischenzeilen im Programmheft, was dem konkreten Angebot wohl auch eher entspricht.

Choreographin Sasha Waltz (Foto: André Rival/Ruhrtriennale)

Unvollständiges Universum

Der erste Eindruck vom neuen Programm ist, sagen wir mal, guter Durchschnitt. Namen, die nicht nur der Fachwelt ein Begriff sind, finden sich kaum. Aber immerhin gibt es zwei Produktionen von Marthaler zu hören und zu sehen, und erstmalig, man glaubt es kaum, ist die in der Tat berühmte Berliner Choreographin Sasha Waltz bei der Ruhrtriennale zu Gast.

Marthaler, um mit ihm zu beginnen, hat aus der unvollendeten „Universe Symphony“ des amerikanischen Komponisten Charles Ives (1875-1954) die auf jeden Fall durch schieren Aufwand beeindruckende Musiktheater-Kreation „Universe, Incomplete“ geschaffen. Ab 17. August wird sie das Publikum in der Bochumer Jahrhunderthalle dazu einladen, „aus einer entfernten Zukunft auf unser jetziges Leben zurückzublicken“ (O-Ton Programmankündigung). Anna Viebrock sorgt für das Bühnenbild, Titus Engel dirigiert die Bochumer Symphoniker, und fraglos wird dies die gewichtigste Veranstaltung der Triennale 2018 sein.

Warum Schauspiel?

Außerdem gibt es von Christoph Marthaler „Bekannte Gefühle, gemischte Gesichter“ zu sehen, sein Abgesang auf die Berliner Volksbühne, wo er lange zur künstlerischen Community Frank Castorfs zählte. „Bekannte Gefühle…“ ist ein wunderschöner, lyrischer, leiser, präziser Marthaler, ein Stück, in dem gesungen wird und Choreographie eine große Rolle spielt und das einen berührt, ohne daß man sagen könnte, worum genau es eigentlich geht. Stichworte wie Abschied, Abschied von der Volksbühne, Abschied von den Idealen der Revolution, Selbstvergewisserung und so fort geben da nur Hinweise.

Kelly Cooper und Pavol Liska vom Nature Theater of Oklahoma (Foto: Ditz Fejer/Ruhrtriennale)

Stadt im Dschungel

Erstaunlicherweise läuft dieser zweite, überaus hybride Marthaler in der Abteilung „Schauspiel“, was nur deshalb geht (systematisch betrachtet), weil es „richtiges“ Schauspiel bei dieser Triennale gar nicht gibt. „Diamante. Die Geschichte einer Free Private City“ des Argentiniers Mariano Pensotti etwa wird als sechsstündiges Theaterereignis angekündigt, für das der Regisseur einen Teil der Privatstadt Diamante nachgebaut hat, welche vor 100 Jahren von einem anthroposophisch orientierten deutschen Industriellen mitten im argentinischen Dschungel errichtet wurde. Die Zuschauer sollen den Ort selbst erkunden und selbst herausfinden, warum diese sozial-kapitalistische Utopie scheiterte.

Off-off-off-Broadway

Ganz tief im Westen, in der Gladbecker Maschinenhalle Zweckel, darf möglicherweise gelacht werden. Hier hat sich nämlich die Off-off-off-Broadwaygruppe „Nature Theater of Oklahoma“ aus New York mit ihrem Stück „No President. A Story Ballet of Enlightment in Two Immoral Acts“ angekündigt. Inhalt: Zwei Sicherheitsfirmen haben arbeitslose Schauspieler bzw. Ballett-Tänzer als Mitarbeiter rekrutiert, die nun zu den Klängen von Tschaikowskis „Nußknacker“ ihrer Arbeit nachgehen. Was das genau werden wird, ist nicht ganz klar; jedenfalls werden derzeit noch Tänzerinnen und Tänzer im Ruhrgebiet gecastet. Und das ganze läuft, wie gesagt, als Theater.

Schorsch Kamerun gentrifiziert die Dortmunder Nordstadt (Foto: Michel-Bo-Michel/Ruhrtriennale)

Nordstadt gentrifiziert

Jetzt kommt Dortmund ins Spiel, der problematische Norden, genauer gesagt, dem der Künstler Schorsch Kamerun die Entwicklung zum Trendquartier andichtet. Resultat seiner Bemühungen ist ein begehbares Filmset mitten in der Nordstadt – „mit Live-Soundtrack, echten Anwohner*innen und gefakten Kulissen“. Jede Aufführung endet mit einem Konzert im hippen „Club Kohleausstieg“. Klingt gut.

Am ehesten noch Schauspiel, doch, doch, wir sind immer noch in dieser Fachabteilung, mag wohl „The Factory“ von und mit den beiden Syrern Mohammad Al Attar und Omar Abussada sein. In dem Stück geht es um die profitable französische Zementfabrik Lafarge in Syrien, die während des Krieges ungehindert weiterarbeitete, weil Schmiergeld an den IS floß.

Wanderungsbewegungen

Größere Produktionen des Musiktheaters, die bisher unerwähnt blieben, sind „The Head and the Load“ von William Kentridge in der Kraftzentrale Duisburg und „Das Floß der Medusa“ von Hans Werner Henze in der Jahrhunderthalle. Erstgenannte Produktion befaßt sich mit der Rolle Afrikas im Ersten Weltkrieg, mit rund zwei Millionen Afrikanern, die in Europa kämpfen mußten. Ganz ähnlich gilt Henzes Oratorium als Metapher für die Unterdrückung der „Dritten Welt“, und als es 1968 (!) uraufgeführt werden sollte, kam es zu Tumulten. Die werden wohl ausbleiben, wenn jetzt Steven Sloane die Bochumer Symphoniker dirigiert und Chorwerk Ruhr, Zürcher Sing-Akademie und Knabenchor der Chorakademie Dortmund die Stimmen erheben.

Szene aus „The Head And The Load“ (Foto: Stella Olivier/Ruhrtriennale)

Zwischenformen

Ein paar Namen noch aus der Musikabteilung: Laurie Anderson wird in der Lichtburg Essen auftreten, das Ensemble Modern der britischen Komponistin Rebecca Saunders mit einem Konzert im Salzlager auf Zollverein huldigen. In der Turbinenhalle Bochum wird der amerikanische Multiinstrumentalist Elliott Sharp unter dem Titel „Filiseti Mekidesi (In Search of Sanctuary)“ „eine raumgreifende Zwischenform aus Oper und Installation, die eine Brücke zum visionären Fragment der ,universalen Symphonie’ von Charles Ives schlägt“ realisieren.

Choreographie ohne Begrenzung

Ach ja, Sasha Waltz. Die Produktion in der Bochumer Jahrhunderthalle heißt „Exodos“. Das Wort, entnehmen wir der Programminformation, bedeutet im Griechischen sowohl Flucht als auch Nacht- und Partyleben, und auf den Theater heißt es Verlassen der Bühne. Mit dieser Bedeutungsvielfalt will die Berliner Choreographin die gewaltigen Bochumer Räumlichkeiten beseelen, von einer „Choreographie ohne Bühnenabgrenzung“ ist zu lesen. Und ein bißchen hat das alles auch mit „Wanderungsbewegungen“ zu tun, wie die meisten anderen Stücke in der Abteilung Choreographie. Weitere, weniger bekannte Tanzkompagnien kommen aus Burkina Faso, Kapstadt und von den Kapverden.

Zum Schluß Mauricio Kagel

Es gibt eine junge Triennale und einige Installationen, von denen das im Bau befindliche Flugzeug vor der Jahrhunderthalle wohl am beeindruckendsten sein wird. Am Schluß dann noch einmal Chorwerk Ruhr. Der Klangkörper will Mauricio Kagels (1931-2008) „Chorbuch“ zu Gehör bringen, was nicht einfach sein soll. Singen mit geschlossenem Mund oder mit „Babystimmen“ so ist zu hören, zählten da noch zu den einfacheren Aufgaben.

Viel zu hören, viel zu sehen- und im Programm steht noch einiges mehr als das, was hier Erwähnung finden konnte. Viel gute Kunst, gar keine Frage; doch will auch das Gefühl nicht weichen, nur mehr vom immer Ähnlichen serviert zu bekommen. Gewiß ist es noch zu früh für finale Wertungen. Halten wir es also mit Franz Beckenbauer und schauen wir mal.




Das Leben – ein Spiel der Vergeblichkeit: Max Beckmanns Welttheater im Potsdamer Museum Barberini

Leicht bekleidete Tänzerinnen verrenken sich lasziv. Grobschlächtige Zuhälter schleppen betrunkene Animierdamen aus dem Saal. Melancholische Nachtschwärmer blicken in den Abgrund der Nacht.

Max Beckmann: "Schauspieler". Triptychon 1941/42. Harvard Art Museums/Fogg Museum, Cambridge, MA, Schenkung Louis Orswell. (© VG Bild-Kunst, Bonn 2018 - Foto: Imaging Department © President and Fellows of Harvard College)

Max Beckmann: „Schauspieler“. Triptychon, 1941/42. Harvard Art Museums/Fogg Museum, Cambridge, MA, Schenkung Louis Orswell. (© VG Bild-Kunst, Bonn 2018 – Foto: Imaging Department © President and Fellows of Harvard College)

Und weiter, immer weiter: Feist grinsende Schausteller, Karnevalskostüme, pittoreske Masken. Königliche Mimen rammen sich ein Messer in die mit Theaterblut verschmierte Brust. Seiltänzer balancieren durch die Zirkuskuppel. Schauspielerinnen schminken sich die grell gepuderten Gesichter, werfen sich in Szene.

Ob Varieté oder Tingeltangel, Bühne oder Zirkus: Die ganze Welt ist ein großes Theater, das Leben ein Spiel, laut und bunt und doch zugleich von tiefer Traurigkeit. Der Künstler, der das alles beobachtet, mit grobem Pinsel auf der Leinwand und mit schnellem Strich im Skizzenbuch festhält und sich immer wieder selbst in die Szenerie hinein malt, schaut mürrisch auf die hektische Vergeblichkeit der Menschen, sich im Rollenspiel neu zu erfinden und das von Krieg und Katastrophen bedrohte Leben zu genießen: Vorhang auf zum „Welttheater“ des Max Beckmann.

Der Künstler als Regisseur und Kulissenschieber 

Der Künstler als Verfasser seines Dramas, als sein eigener Theaterdirektor, Regisseur und Kulissenschieber, der sich in wechselnder Kostümierung unter die Schauspieler mischt: Max Beckmann, geboren 1884 in Leipzig und 1950 am Rande des Central Park in New York an einem Herzinfarkt verstorben, hat unzählige Werke über das Rollenspiel als Modell menschlicher Grunderfahrung geschaffen.

Max Beckmann: Fastnacht (Carnival), 1920. Tate, London, Ankauf mit Unterstützung des Art Fund und der Friends of the Tate Gallery & Mercedes Benz (U. K.) Ltd. 1981 (© VG Bild-Kunst, Bonn 2018, Foto: Tate Images, London)

Max Beckmann: Fastnacht (Carnival), 1920. Tate, London, Ankauf mit Unterstützung des Art Fund und der Friends of the Tate Gallery & Mercedes Benz (U. K.) Ltd. 1981 (© VG Bild-Kunst, Bonn 2018, Foto: Tate Images, London)

Die Ausstellung „Welttheater“ umkreist und untersucht jetzt im Potsdamer Museum Barberini dieses zentrale Thema im Schaffen des Künstlers mit 112 Werken. Es ist eine Schau mit Leihgaben aus aller Welt. Museen aus London und New York, Dresden und Düsseldorf sowie viele ungenannte Privatsammler haben kostbare Werke beigesteuert.

Das „Selbstbildnis“ (von 1930), auf dem Beckmann sich als Saxophon-Spieler stilisiert, ist genauso dabei wie sein mystisch verklärtes Triptychon „Schauspieler“ (von 1941/42) und seine „Argonauten“ (1950), die er nur wenige Tage vor seinem plötzlichen Tod vollendete und auf dem musizierende Pin-up Girls und nackte Jünglinge unter den Augen des malenden Voyeurs zwischen griechischer Sagenwelt und moderner Lustbarkeit pendeln.

Der Mensch als Narr im Chaos

Für Beckmann, der vor den Nazis nach Amsterdam flüchtete und später in Amerika eine neue Heimat fand, war das Leben ein Balanceakt und Seiltanz; der Mensch ein Narr und Clown, der sich vergeblich gegen die Verrücktheit und Sinnlosigkeit der Welt stemmt; die Kunst der irrlichternde Versuch, im bizarren Rollenspiel gegen Schicksalhaftigkeit und Ausgeliefertsein aufzubegehren.

Die nach Themenkreisen geordnete Ausstellung wirft Schlaglichter auf Maskerade und Rollenspiel und auf das Selbstverständnis eines Künstlers, der sich fasziniert unters fahrende Volk mischt, den Schauspielern hinter den Vorhang folgt und das gierig nach Lust und Liebe lechzende Publikum kritisch ins Visier nimmt. Auch wenn die monothematisch arg begrenzte Schau auf Dauer etwas ermüdend und eintönig wirkt und uns keinen wirklich neuen Beckmann präsentiert, zeigt sie doch einen bedeutenden Ausschnitt und liefert wichtige Interpretationsansätze für sein Gesamtwerk.

Max Beckmann: "Apachentanz", 1938. Kunsthalle Bremen - Der Kunstverein in Bremen (Foto: Lars Lohrisch / © VG Bild-Kunst, Bonn 2018)

Max Beckmann: „Apachentanz“, 1938. Kunsthalle Bremen – Der Kunstverein in Bremen (Foto: Lars Lohrisch / © VG Bild-Kunst, Bonn 2018)

Eventkultur durch SAP-Millionen

Seit das von SAP-Software-Multimillionär und Kunstmäzen Hasso Plattner gegründete und finanzierte Museum Barberini vor einem Jahr seine Pforten öffnete, ist auch Potsdam ein Ort der Eventkultur. Ob Plattner im prachtvoll wieder aufgebauten Barock-Palais seine eigene Sammlung der französischen Impressionisten („Die Kunst der Landschaft“) präsentiert, der vernachlässigten DDR-Kunst eine Plattform gibt („Hinter der Maske“) oder mit Hopper und Rothko „Amerikas Weg in die Moderne“ weiträumig abschreitet: Immer erweisen sich die Ausstellungen als Publikumsmagneten, müssen die Besucher manchmal viel Wartezeit mitbringen, um die zwar nicht besonders innovativen oder gewagten, gleichwohl schön arrangierten und auf den künstlerischen Mainstream zielenden Ausstellungen genießen zu können. Das gilt natürlich auch für das „Welttheater“ des Max Beckmann. Der Andrang ist beträchtlich.

Die mythologischen Irrfahrten des Klaus Fußmann

Wer etwas mehr Ruhe beim Betrachten von Bilder mag, dem sei die parallel zu Beckmann im Barberini gezeigte Schau „Menschen und Landschaften“ ans Herz gelegt. Sie gratuliert Klaus Fußmann zum 80. Geburtstag und gibt mit 39 Gemälden einen schönen Einblick in sein zwar umfangreiches, aber eher selten gezeigtes Schaffen. Aus seinem kargen Atelier schaut er in die Ferne und sieht seltsam unförmige Gestalten: ein moderner Ikarus fällt brennend vom Himmel, ein düsterer Bauer gräbt sich durch den fetten Acker. Die oft großflächigen, manchmal auch mit wulstigen, fast schleimigen Farbhügeln versehenen Bilder gleichen märchenhaften Zeitsprüngen und mythologischen Irrfahrten. Außen und Innen verbinden sich zu einem durchlässigen Raum in einer rätselhaften Landschaf. Der Mensch: ganz nah und doch so fern.

„Max Beckmann. Welttheater“. Bis 10. Juni 2018 im Museum Barberini, Humboldtstraße 5-6, 14467 Potsdam. Geöffnet Mo & Mi-So: 10-19 Uhr, Di geschlossen. Eintritt: 14 Euro, ermäßigt 10 Euro, Kinder und Jugendliche unter 18 frei. Online-Zeitfenster-Tickets unter www.museum-barberini.com. Katalog im Prestel Verlag (Museumsshop 30 Euro, Buchhandel 39,90 Euro).

Ebenfalls im Museum Barberini: „Klaus Fußmann: Menschen und Landschaften“. 39 Gemälde, bis 3. Juni. Künstlerbuch zur Ausstellung in der Edition Peerlings, 20 Euro.




Trotz allem optimistisch bleiben – die fabelhaft farbigen Welten des Otmar Alt in Opherdicke

Wenn man seine Bilder und Skulpturen als „bunt“ bezeichnet, ist Otmar Alt nicht allzu begeistert. Buntheit klingt ein wenig nach bloß dekorativer Oberflächlichkeit. Viel lieber verwendet der Künstler das Wort „farbig“. In der Tat: Sein Werk ist weit überwiegend farbenfroh. In einer Retrospektive mit über 100 Arbeiten wird dieser an sich schon offenkundige Befund nun im Haus Opherdicke (Holzwickede) bekräftigt.

Otmar Alt mit seiner Tukan-Skulptur vor dem Haus Opherdicke. (Foto: Bernd Berke)

Otmar Alt mit seiner Tukan-Skulptur vor dem Haus Opherdicke. (Foto: Bernd Berke)

Die Zusammenstellung aus dem Leihgaben-Fundus der Otmar Alt Stiftung trägt den etwas wolkig ins Allgemeine ausgreifenden Titel „Fabelhafte Zauberwelten“. „Zauberhafte Fabelwelten“ wäre auch nicht verkehrt gewesen. Naja, egal. Jedenfalls wird Otmar Alts Entwicklung in wesentlichen Zügen seit den frühen 1960er Jahren nachgezeichnet. Nicht ausgeschlossen, ja füglich anzunehmen, dass einem hie und da die Augen übergehen, wenn sie so viel Farbe zu trinken bekommen.

Frühe Jahre im Geist des Informel

Als junger Mann hat sich der 1940 in Wernigerode (Harz) geborene und in Berlin aufgewachsene Otmar Alt zunächst am Informel orientiert. Es war damals ein Hauptstrang der abstrakten Kunst und entsprach dem waltenden Zeitgeist einer vermeintlichen „Tabula rasa“, also eines grundlegenden Neuaufbruchs nach dem Zweiten Weltkrieg. Aus dieser Phase finden sich einige wenige Bilder, die man rückblickend schwerlich jenem Otmar Alt zurechnen würde, den wir heute zu kennen glauben.

Otmar Alt: "Die Sternenfängerin" (2014), Acryl auf Leinwand. (Otmar Alt / Otmar Alt Stiftung)

Otmar Alt: „Die Sternenfängerin“ (2014), Acryl auf Leinwand. (Otmar Alt / Otmar Alt Stiftung)

Um 1965 fand Otmar Alt allmählich zu seinem eigenen, nach und nach zusehends unverwechselbaren Stil der kraftvollen Farben und klar abgrenzenden Linien. Seine Bilder erscheinen nun wie puzzleartig zusammengesetzt. Dieser Stil verzweigt sich mit den Jahren allerdings vielfach. In dem grundsätzlich fröhlichen und optimistischen Gesamtwerk ist bei näherem Hinsehen dann und wann auch schrundiger Widerstreit, sind verschlungene Wege zu ahnen.

Kunst soll man nicht erklären

Auch dieser Künstler hat, so selbstverständlich fröhlich manche seiner Schöpfungen auch wirken mögen, zuweilen spürbar schmerzlich um die gültige Form gerungen. Auch die Farbe stand und steht ihm nicht einfach so zu Gebote. „Wenn man nicht genau aufpasst, macht die Farbe, was sie will“, sagt er, der auf solides Handwerk stets größten Wert gelegt hat. Ansonsten bleibt er bei seinem Leitsatz: „Kunst, die man erklären muss, ist langweilig.“

Otmar Alt, der nie sonderliche Berührungsängste hatte, was die Zusammenarbeit mit großen Firmen (Rosenthal, einstige RAG usw.) und überhaupt kommerzielle Verwertungen anging, gilt als einer der erfolgreichsten und populärsten Künstler Deutschlands. Auch in den Gefilden des Kreises Unna ist er wahrlich kein Unbekannter. 2013 war ihm eine Ausstellung auf Schloss Cappenberg in Selm gewidmet. Dort konnte man 700 Quadratmeter bespielen, in Holzwickede sind es nun gerade mal rund 300.

Otmar Alt: "Flugversuch" (1992), Acryl auf Leinwand (Otmar Alt / Otmar Alt Stiftung)

Otmar Alt: „Flugversuch“ (1992), Acryl auf Leinwand. (Otmar Alt / Otmar Alt Stiftung)

So kommt es, dass diese – von Sigrid Zielke-Hengstenberg und Arne Reimann kuratierte – Schau sehr dicht und konzentriert wirkt, ohne jedoch überladen zu sein. Man hat die knappe Fläche halt intensiv genutzt. Wo es irgend ging, wurden auch ein paar Großformate untergebracht. Otmar Alt selbst zeigte sich bei einer Vorbesichtigung sehr angetan von der werkdienlichen Auswahl, Platzierung und Hängung sowie vom Katalog aus dem Dortmunder Kettler Verlag.

Nach der Signatur ein Glas Rosé

Es ist Otmar Alt darum zu tun, mit seiner Kunst möglichst direkt in den Alltag hineinzuwirken. Zahlreiche Objekte in diversen Städten und Parks zeugen davon, auch im Garten von Opherdicke sind jetzt einzelne Beispiele zu finden. Nicht weit entfernt, in Norddinker (ländlicher Ortsteil von Hamm), wo sich der Künstler mitsamt seiner Otmar Alt Stiftung auf einem früheren Bauernhof niedergelassen hat, stehen etliche weitere Skulpturen.

Otmar Alt: "Zeichensetzer" (2012), Acryl auf Leinwand. (Otmar Alt / Otmar Alt Stiftung)

Otmar Alt: „Zeichensetzer“ (2012), Acryl auf Leinwand. (Otmar Alt / Otmar Alt Stiftung)

Die Farbigkeit seiner Arbeiten könnte zu dem Fehlschluss verleiten, der Künstler sei ein ungebrochener Optimist. Nichts da! Ganz offen bekennt er, öfter auch mal ausgesprochen schlechte Laune zu haben. Und ja: Man kann ihn sich notfalls auch bärbeißig vorstellen. Im Sternzeichen Krebs geboren, habe er auch etwas von einem „Einsiedlerkrebs“, sagt er selbst. Er male nicht etwa in einem großen Atelier, sondern in einer eher beengten Garage. Sei eine Arbeit vollendet, folge ein dreiteiliges Ritual: „Signatur. Pfeife. Ein Glas Rosé.“

Schwere Schicksalsschläge

Otmar Alt hat schwere familiäre Schicksalsschläge erlitten – den Tod eines kleinen Sohnes, den Tod seiner ersten Frau. Gerade deshalb und wegen der widrigen, um nicht zu sagen widerlichen Zeitläufte will er mit seiner Kunst ganz bewusst Gegenzeichen setzen und – als großes „Dennoch“ – sich gleichsam zu einer optimistischen Haltung durchkämpfen. Das könnte denn doch etwas heimlich Heroisches haben. Umso bemerkenswerter, dass viele dieser Bilder ziemlich zuverlässig ein Lächeln auf die Gesichter der Betrachter zaubern. Muss man eigens betonen, dass diese Kunst auch und gerade Kinder anspricht?

Dass bei Otmar Alt nicht alles bruch- und problemlos vonstatten geht, zeigen etwa Arbeiten wie „Gleichgewicht“, in der insgeheim auch das mögliche Unglück eines Zusammenstürzens enthalten ist, oder schon Titel wie „Schöne Gedanken auf Abwegen“ und „Zwiespalt“ – mit einem deutlichen Riss, der sich mitten durchs Bild zieht.

Otmar Alt: Trinkgefäße für die Firma Rosenthal (um 1985), Glas. (Otmar Alt / Otmar Alt Stiftung)

Otmar Alt: Trinkgefäße für die Firma Rosenthal (um 1985), Glas. (Otmar Alt / Otmar Alt Stiftung)

Man kann natürlich nicht alle Arbeiten in der Ausstellung gleichermaßen würdigen. Sicherlich hat man mehr von alledem, wenn man sich beim Rundgang bestimmte Bilder heraussucht und diese umso ausgiebiger betrachtet, indem man ihre inneren Spuren und Spannungsbögen verfolgt und dazu seine Assoziationen spielen lässt. Oder indem man sich einfach unversehens in Bezirke dieser Zauberwelt entführen lässt.

Wer mag, kann sich dabei auch speziellen Themen zuwenden: So ist ein Raum den Katzenbildern des Künstlers vorbehalten, in einem anderen überwiegen clowneske Darstellungen, in einem dritten die Auseinandersetzungen mit anderen Künstlern – von Lucas Cranach bis Andy Warhol.

Gewisse Verbindungslinien – nicht nur zu Miró

Hommage an Lucas Cranach: Otmar Alts Bild "Der Meister Lucas bei der Arbeit" (2014), Acryl auf Leinwand. (Otmar Alt / Otmar Alt Stiftung)

Hommage an Lucas Cranach: Otmar Alts Bild „Der Meister Lucas bei der Arbeit“ (2014), Acryl auf Leinwand. (Otmar Alt / Otmar Alt Stiftung)

Apropos andere Künstler. Obgleich Otmar Alts Schaffen schwerlich verwechselbar ist, lassen sich wohl Verbindungslinien ziehen. So liegt etwa der Gedanke an Joan Miró nicht fern. Mich erinnert manche Figuration bei Otmar Alt aus gewisser Halbdistanz ans Werk der Niki de Saint Phalle, das vor nicht allzu langer Zeit im Dortmunder Museum Ostwall ausschnitthaft präsentiert wurde und das – dem Anschein zum trotz – ebenfalls von inneren Kämpfen kündet. Auch wenn Otmar Alt es zu Recht ablehnt, in die Schublade mit der Aufschrift „Pop-Künstler“ einsortiert zu werden, so lässt sich seine Art der Farbigkeit doch aus jenen Zusammenhängen herleiten. Beispielsweise könnte man an die genialischen Beatles-Illustrationen eines Heinz Edelmann denken.

Ein weites Feld. Wir wollen es hier nicht gründlicher beackern. Schließen wir lieber mit einer einprägsamen Weisheit des Künstlers: „Die Kunst ist ein Versuch. Das Leben auch.“

Otmar Alt: Fabelhafte Zauberwelten. 22. April (Eröffnung um 11.30 Uhr) bis 2. September 2018. Geöffnet Di-So 10.30-17.30 Uhr. Haus Opherdicke, Dorfstraße 29 in 59439 Holzwickede. Tel. 02301 / 918 39 72. Eintritt 4 Euro, ermäßigt 3 €, Familienkarte 8 €. Katalog 20 €. Weitere Infos hier.




Bis das Herz bricht: Jankel Adler in Wuppertal

Er war ein Freund von Otto Dix, ein naher Kollege von Paul Klee, inspiriert von Pablo Picasso, Marc Chagall, Max Ernst. Er kannte sie alle, die vergötterten Meister der Epoche, die man heute „Klassische Moderne“ nennt. Und er gehörte dazu. Der Maler Jankel Adler (1895-1949), geboren in Tuszyn bei Lodz, ging in den Westen und erneuerte die Kunst genau wie die anderen.

Jankel Adler: "Der Künstler" (Artist), 1927 (French & Company, New York / © VG Bild-Kunst Bonn, 2018)

Jankel Adler: „Der Künstler“ (Artist), 1927, Öl auf Leinwand (French & Company, New York / © VG Bild-Kunst Bonn, 2018)

Er wurde zu seiner Zeit anerkannt und geehrt, für die Dichterin Else Lasker-Schüler war er „der hebräische Rembrandt“. Doch heute ist sein Name weitgehend vergessen. Im Wuppertaler Von der Heydt-Museum wird Adler endlich wieder mit der ruhmreichen Avantgarde verbunden.

Um es gleich zu betonen: Anders als die Manet-Ausstellung im vergangenen Winter ist diese ambitionierte Schau keine Mogelpackung mit zu wenigen bedeutenden Originalen. Was der Welt vom Werk Jankel Adlers blieb, kann in Wuppertal weitgehend gewürdigt werden.

110 Bilder und Zeichnungen des Künstlers und noch einmal die gleiche Anzahl an Exponaten seiner Zeitgenossen hat Kuratorin Antje Birthälmer in der gut bestückten Sammlung des Hauses sowie bei 28 Leihgebern zwischen Düsseldorf, London und Tel Aviv zusammengesucht. In zweijähriger Fleißarbeit sorgte sie zudem für einen 416 Seiten starken, bleischweren und beeindruckenden Katalog, der alle relevanten Adler-Forschungen zusammenfasst – wenn er auch, wie viele Publikationen dieser Art, seltsam seelenlos bleibt.

Nichts Leichtes im Leben

Dem Menschen Jankel Adler, den muss man schon selbst aufspüren in den Sälen der Ausstellung. Und man kann ihn finden hinter all den Fakten und nüchternen Texten und auch hinter Fotografien, die einen schönen ernsten Mann im tadellosen Anzug zeigen. Man kommt ihm nahe, weil er in der Kunst all seine Gefühle ausdrückte: Schmerz, Angst, Wut und Sehnsucht. Mit blanker Brust, das Hemd zurückgeschlagen, steht sein „Artist“ von 1927 da, muskulös, aber schutzlos. Adler hat den Mann, der eine Art inneres Selbstporträt sein könnte, mit groben, grau-braunen Strichen gemalt. Man erkennt seine Kraft, aber auch die Anspannung, den bitteren Zug um den Mund und die Schatten um die Augen.

August Sander: Maler (Jankel Adler), 1924 (Silbergelatine-Abzug - Reprint Gunter Sander 1978 / Von der Heydt-Museum, Wuppertal / © VG Bild-Kunst, Bonn 2018)

August Sander: Maler (Jankel Adler), 1924 (Silbergelatine-Abzug – Reprint Gunter Sander 1978 / Von der Heydt-Museum, Wuppertal / © VG Bild-Kunst, Bonn 2018)

Auch wenn Adler durchaus einmal eine Vase mit Dahlien malte und, wie ein Bild von Arthur Kaufmann offenbart („Jankel Adlers Traum“, 1920), die blauen Schwebegestalten des Kollegen Chagall liebte – nichts war ein Leichtes im Leben von Jankel Adler. Seine Farben blieben düster, was womöglich auch den heutigen Mangel an Popularität erklärt. Typisch für ihn ist der Kopf eines gezeichneten Menschen mit verschobenem Profil, der die Hand vor das Gesicht schlägt, um die Zerstörung von Lodz im Ersten Weltkrieg zu beklagen: „Was für eine Welt“, heißt das Bild aus den frühen 1920er-Jahren.

Die Mahnung der Eltern

Zu jener Zeit lebte Jankel Adler längst in Deutschland und malte doch immer wieder die Erinnerung an Polen, wo er gegen Ende des 19. Jahrhunderts als siebtes oder achtes Kind (man weiß es nicht genau) eines frommen jüdischen Kaufmanns geboren wurde. Hochformatig, in düsterer Enge, porträtiert er 1921 „Die Eltern“: Der bärtige Vater doziert aus der Thora, die strenge Mutter erhebt den Zeigefinger, ewige Mahnung.

Vielleicht war Jankel nicht der Artigste. Mit sechs Jahren hatte er heimlich angefangen zu malen. 1909 zog er als Halbwüchsiger zu einer verheirateten Schwester nach Barmen, heute Teil von Wuppertal. Goldschmied und Graveur sollte er werden, wie sein Onkel in Serbien. Er hatte die Lehre absolviert, reiste arbeitend durch den Balkan, kehrte aber 1912 zurück an die Wupper, wo er während des Ersten Weltkriegs zwar als „verdächtiger Ausländer“ galt, aber doch an der Kunstgewerbeschule studieren durfte.

Jankel Adler: "Katzen", 1927 (Öl, Kreide, Sand auf Leinwand - Museum Ludwig, Köln / Foto: Rheinisches Bildarchiv, Köln - © VG Bild-Kunst Bonn, 2018)

Jankel Adler: „Katzen“, 1927 (Öl, Kreide, Sand auf Leinwand – Museum Ludwig, Köln / Foto: Rheinisches Bildarchiv, Köln – © VG Bild-Kunst Bonn, 2018)

Eine endgültige Heimat wird Jankel Adler weder in Deutschland noch sonst wo auf Erden finden. Aber er findet Gleichgesinnte unter den Künstlern, knüpft Kontakte zur Gruppe „Das junge Rheinland“ und zu den „Kölner Progressiven“, lernt im Düsseldorfer Aktivistenbund seine Lebensgefährtin Betty kennen, gehört zwischendurch zu den Mitbegründern der Vereinigung „Jung Jiddisch“ in Lodz, wo er seinen Gott sucht und mit hebräischen Buchstaben ein inbrünstiges Poem zeichnet: „Ich singe majn t’file“, ich singe mein Gebet.

Zwischen Freiheit und Bedrohung

Im Westen lebt Jankel Adler in einer anderen Welt. Er reist nach Paris und Berlin, wo die Freiheit auf den Tischen tanzt, während der rechte Mob schon lauert. Er experimentiert mit dem Kubismus, wie man auf seinem formal zerlegten „Paar“-Bild von 1921 sieht. Er schafft Stillleben, die er aufraut mit Sand und Gips, als könnte er keiner Idylle trauen.

Jankel Adler: "Angelika", 1923 (Von der Heydt-Museum, Wuppertal / © VG Bild-Kunst, Bonn 2018)

Jankel Adler: „Angelika“, 1923, Öl auf Leinwand (Von der Heydt-Museum, Wuppertal / © VG Bild-Kunst, Bonn 2018)

Einige Zeit lebt er in Düsseldorf, wo er sich im Künstlerkreis um die Bäckerswitwe und Instinktgaleristin Mutter Ey mit dem schicken und markanten Otto Dix anfreundet. Und während Dix sich als Dandy in einer surrealen Bar in Szene setzt („An die Schönheit“, 1922), versteckt Adler sein Gesicht auf einem collagierten „Selbstbildnis“ (1924) hinter erdigem Papier und Teilen einer brüchigen Zeichnung. Als wäre er nie ganz da.

Und obgleich die Nationalsozialisten noch nicht an der Macht sind, spricht Verlust aus allen Bildern des ahnungsvollen Jankel Adler. „Der Geiger“ von 1928 hat sein Instrument abgelegt und starrt den Betrachter aus dunklen Augen an, als könne es keine Musik mehr geben. Selbst das aparte, expressionistische Porträt der emanzipierten „Angelika“ mit ihren Katzen ist ein Werk der Trauer. Die junge Künstlerfrau starb an Tuberkulose. Überhaupt Katzen: Adler liebte diese Tiere, malte sie oft, doch ohne jede Niedlichkeit. Geradezu erschreckend ist ein Großformat, auf dem sich ein Kater auf ein Weibchen stürzt, der Trieb wird zum Gewaltakt. Das Bild wurde 1928 bei der Ausstellung Deutsche Kunst in Düsseldorf mit der Goldenen Medaille ausgezeichnet.

Wanderer zwischen den Welten

Bald darauf entscheiden Hitler und seine Schergen, was deutsche Kunst zu sein hat. Jankel Adlers Bilder werden aus öffentliche Sammlungen beseitigt und später in der Schandausstellung „Entartete Kunst“ präsentiert. Adler räumt schon 1933 das Düsseldorfer Akademie-Atelier, das er gleich neben Paul Klee innehatte und flieht – nach Paris, Polen, Russland, erneut Frankreich. Während des Krieges gelangt er als freiwilliges Mitglied der polnischen Armee nach Schottland und lässt sich schließlich, wegen eines Herzleidens aus dem Militärdienst entlassen, in London nieder.

Seine Liebste Betty und die gemeinsame Tochter Nina sieht er nur noch zweimal kurz auf der Durchreise und zieht allein weiter. Man weiß nicht genau, ob das so sein musste. Aber man steht vor Bildern wie der zerfurchten „Mutter“ von 1941, die ein Kind umklammert und nichts anderes ausdrückt als Sorge und Müdigkeit. Selbst ein praller „Liegender Akt“ vor matt rotem Hintergrund wirkt verstörend, der Gesichtsausdruck spricht nicht von Liebe.

Jankel Adler: "Komposition", 1946 (Goldmark Gallery / Aukin Collection - © VG Bild-Kunst Bonn, 2018)

Jankel Adler: „Komposition“, 1946, Öl auf Leinwand (Goldmark Gallery / Aukin Collection – © VG Bild-Kunst Bonn, 2018)

Nach 1945 erfährt Adler, dass alle seine Geschwister ums Leben gekommen sind, es gibt nur noch eine Nichte und einen Neffen. Die Figuren und Gegenstände auf seinen Bildern werden immer abstrakter, sie verwandeln sich in geometrische, leicht verzerrte Elemente, eine letzte „Große Figurengruppe“ ist kaum noch als solche zu erkennen. Das mag dem Zeitgeist geschuldet sein, es passt zur aufkommenden Kunstmode. Aber die hat ja ihren Ursprung in der Ablösung von den unerträglichen Realitäten der Vergangenheit.

Auch Jankel Adler will sich lösen. Er kann sich vorstellen, ein neues Leben anzufangen – mit Frau und Tochter in Israel, wo man ihn und sein Werk zu schätzen weiß. Doch sein Herz macht nicht mehr mit. 1949 stirbt Jankel Adler mit nur 53 Jahren, nirgendwo heimisch geworden.

„Jankel Adler und die Avantgarde: Chagall, Dix, Klee, Picasso“. 17. April bis 12. August im Von der Heydt-Museum Wuppertal, Turmhof 8. Geöffnet Di. bis So. 11 bis 18 Uhr, Do. bis 20 Uhr. Eintritt regulär: 12 Euro. Katalog (416 Seiten) 25 Euro.




Ein Herz für die Sammlung und eine Absage an Blockbuster – Peter Gorschlüter wird neuer Direktor des Folkwang-Museums

Peter Gorschlüter (geb. 1974 in Mainz) wird der neue Direktor des Essener Folkwang-Museums. Bis er kommt, dauert es allerdings noch etwas. Sein Vertrag mit dem Museum für moderne Kunst (MMK) in Frankfurt endet erst Mitte 2018. Gorschlüters anschließender Essener Vertrag soll über acht Jahre laufen, und man darf gespannt sein, ob er es hier so lange aushält.

Peter Gorschlüter wird zum 1. Juli Direktor des Essener Folkwang-Museums.(Foto: rp)

Gorschlüters Vorgänger waren schneller wieder weg; Hubertus Gassner zog es 2006 nach nur vier Jahren in die Hamburger Kunsthalle, Hartwig Fischer, wiewohl erster Chef im neuen Chipperfield-Gebäude, verließ Essen nach sechs Jahren in Richtung Dresden (dann London), Tobia Bezzola wechselte jetzt nach fünf Jahren gen Lugano, um sich dort dem Aufbau des Museo d’arte della Svizzera italiana zu widmen.

Überstürzter Abschied

Zwar war in den letzten Jahren manchmal zu hören, daß es Tobia Bezzola in Essen nicht wirklich gut gefiele, trotzdem kam sein vorzeitiger Abgang etwas überraschend, zumal seine Leistungsbilanz sich sehen lassen kann. Man denke etwa an die Ausstellung des Fotografen Thomas Struth, an die deutschlandweit erste Präsentation der edlen zeitgenössischen Sammlung François Pinaults oder die Lagerfeld-Schau. Auch die Entscheidung der Krupp-Stiftung, fünf Jahre lang freien Eintritt in die Folkwang-Sammlung zu finanzieren, fiel in Bezzolas Amtszeit. Die Absage der Balthus-Ausstellung wegen des vehement erhobenen Pädophilie-Vorwurfs gegen Künstler und Werk im Jahr 2013 wiederum kann sicherlich nicht als Ausdruck persönlichen Scheiterns des Museumsdirektors gesehen werden.

Andrea Bezzolas Ausstellungen hatten Strahlkraft

Bezzola weiß um die Bedeutung großer Veranstaltungen für ein großes Haus, um deren Strahlkraft und Attraktivität. Es muß ja nicht gleich ein „Blockbuster“ sein wie vor 17 Jahren die Turner-Schau. Die wäre heutzutage, ohne potente Sponsoren und angesichts immer höherer Versicherungsprämien, sowieso nicht mehr vorstellbar.

Gorschlüter jedoch hält von Blockbustern wenig, er nennt sie nicht mehr zeitgemäß. Stattdessen möchte er andere Formen der Museumsarbeit erschließen, die er im Pressegspräch kurz umriß. So strebt er „Interdisziplinäre Ausstellungsformate“ an, die Kunst etwa mit Mode, Musik oder Theater verbinden sollen. Mit „gemeinsamen Themenschwerpunkten“ möchte er unterschiedliche Teile der Sammlung neu präsentieren, „Vergangenheit und Zukunft“ oder „Utopie und Dystopie“ wären vorstellbare Überschriften. Auch zahlreiche Aspekte des Riesenthemas „Großstadt“ böten sich an.

Kooperieren und kartographieren

Ein weiterer Arbeitsschwerpunkt, so Gorschlüter, könnten Kooperationen mit Künstlern aus anderen Disziplinen sein. In Liverpool zum Beispiel, einer seiner früheren Wirkungsstätten, arbeitete der neue Folkwang-Chef mit Carol Ann Duffy zusammen, der Hofdichterin der Queen immerhin.

Die Sammlung möchte Gorschlüter „neu kartographieren“, aufs Neue sozusagen fragen nach den Beziehungen zu anderen Kulturen, zu bisher unberücksichtigten Impulsen. Dies sei ein lohnender Ansatz auch für eine gewachsene Sammlung.

Schließlich geht es Gorschlüter um den Dialog des Museums mit der Stadtgesellschaft. Das Museum solle sich durchaus stärker in Richtung Innenstadt bewegen, gerne auch performativ.

100 Jahre Folkwang – ein trauriger Tag für Hagener

Das konkreteste Projekt der vor ihm liegenden Amtszeit indes ist definitiv für das Jahr 2022 vorgesehen. Da wird das Essener Folkwang-Museum nämlich 100 Jahre alt. „Ich denke daran, das Museum dann in die Stadt zu bringen“, sagt Gorschlüter.

Sollen sie feiern, die Essener, es sei ihnen gegönnt. Weiter östlich im Revier wird das Fest gemischte Gefühle auslösen, markiert es doch den Verlust der einzigartigen Osthaus-Sammlung für die Stadt Hagen. Tröstlich ist da lediglich das Wissen, daß das Essener Folkwang-Museum mit der Osthaus-Sammlung gut umgegangen ist und dies, da sind wir ganz sicher, auch in Zukunft tun wird. Gorschlüter zeigt sich der Osthaus-Tradition bewußt und strebt (auch) deshalb eine enge Kooperation mit dem Fotoarchiv Marburg an, wo im Jahre 1933, was aber kaum einer weiß, das Fotoarchiv von Karl-Ernst-Osthaus verblieb.

Gern auf Augenhöhe mit Ludwig und MoMA

Tja. Um mal kurz persönlich zu werden: Ich hätte nichts gegen einige Ausstellungen, die bundesweit oder auch in den Nachbarländern wahrgenommen würden und Folkwang zumindest zeitweise auf Augenhöhe mit Ludwig in Köln oder Gropius in Berlin brächten (oder MoMA in New York oder Centre Pompidou in Paris usw.).

Es wäre schon sehr schön, wenn man Finanzierungsmöglichkeiten fände, um die eine oder andere große, „wandernde“ Schau nach Essen zu holen; es wäre auch sehr gut für die Wahrnehmung all dessen, was Folkwang überdies zu bieten hat, allem voran natürlich die eigene Sammlung. Die starke Fokussierung der Museumsarbeit auf den Eigenbestand, die in den programmatischen Äußerungen Gorschlüters anklang, kann hingegen zu einem Bedeutungsverlust des Hauses führen.

Kuratoren gesucht

Doch man soll nicht unken. Der neue Mann muß sich noch etwas sortieren für seinen neuen Job, „ein halbes Jahr Findung – die Zeit braucht es“ sagt er selbst. Und dann schauen wir mal.

Wichtig ist natürlich auch, daß bald neue Leute für die beiden anderen Vakanzen im Folkwang-Museum gefunden werden. Nach dem Weggang von Florian Ebner wird ein neuer Kurator für die fotografische Sammlung gesucht, ebenso einer für die Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts.




Hauptsache Grau: Kunst in „Black & White“

Jetzt wollen wir mal hoffen, dass der Frühling bald recht kunterbunt aufblüht. Denn solange draußen das Wetter dermaßen die Stimmung trübt, will man drinnen nicht unbedingt auch noch vorwiegend graue Kunst sehen.

Foto: © Museum Kunstpalast - ARTOTHEK/ © Gerhard Richter 2017

Gerhard Richter:
„Helga Matura mit Verlobtem“, 1966, Öl auf Leinwand (Museum Kunstpalast, Düsseldorf – Foto: © Museum Kunstpalast – Artothek / © Gerhard Richter 2017)

Der neutrale Mischton aus Schwarz und Weiß ist, sagte der Maler und Grau-Experte Gerhard Richter 2004 in einem Interview, „die ideale Farbe für Meinungslosigkeit, Aussageverweigerung, Schweigen, Hoffnungslosigkeit“. Auweia. Doch abgesehen von diesen bleischweren Zuweisungen ist die Nicht-Farbe auch schön – wie man in der Ausstellung „Black & White: Von Dürer bis Eliasson“ im Düsseldorfer Kunstpalast erkennen kann.

„Grau, teurer Freund, ist alle Theorie“, sprach einst Goethes Faust und mochte das nicht mehr. Die Moderne hingegen verehrt das Grau. Es ist die derzeitige Trendfarbe für Wände und Sitzlandschaften. Seit dem 20. Jahrhundert gilt es erstens als Farbe der vornehmen Zurückhaltung und zweitens als Symbol einer ernsthaften Haltung. Schon der alte Brecht in seinem epischen Theater soll, als es um das Bemalen einer Kulisse ging, gesagt haben: „Jede Farbe ist mir recht, Hauptsache, sie ist grau.“

Spezialeffekte in Schwarz-Weiß

Das war nicht immer so. In der frühen christlichen Kunst, die mit leuchtenden Pigmenten die Heiligkeit feierte, wurde das Farblose bewusst zum Zweck von Buße und Trauer eingesetzt. Abt Bernhard von Clairvaux verordnete den Zisterzienserklöstern im frühen 12. Jahrhundert einen Verzicht auf Farben, um den Brüdern die Sinnlichkeit auszutreiben. Später wurde auch dem Kirchenvolk in der Fastenzeit die Farbe entzogen. Man verhängte die prächtigen Flügelaltäre oder – man ließ die zugeklappten Seitenflügel einfach schwarz-weiß bemalen.

Ein faszinierendes Beispiel für die Technik der Grisaille (von gris, französisch grau) ist die „Verkündigung“ aus der Werkstatt des Marten de Vos (1532-1603). In feinsten Hell-Dunkel-Nuancen erscheint da der Engel auf der einen Seite, die Jungfrau auf der anderen. Und durch die Lücke zwischen den Altarflügeln blitzt von unten die Farbe der Verheißung: Geburt Christi, Kreuzigung, Auferstehung.

Jean-Auguste-Dominique Ingres und Werkstatt Odalisque in Grisaille, um 1824-1834 Öl auf Leinwand, 83,2 × 109,2 cm The Metropolitan Museum of Art, Catharine Lorillard Wolfe Collection, Wolfe Fund, 1938 (38.65) Foto: © bpk ǀ The Metropolitan Museum of Art

Jean-Auguste-Dominique Ingres und Werkstatt:
Odalisque in Grisaille, um 1824-1834 (The Metropolitan Museum of Art, Catharine Lorillard Wolfe Collection, Wolfe Fund, 1938 – Foto: © bpk ǀ The Metropolitan Museum of Art)

Die Fähigkeit der Künstler, mit Ölfarben zu zeichnen, verfeinerte sich. Immer plastischer wurde die Formensprache durch Abstufungen von Schwarz und Weiß. So perfekt gelangen dreidimensionale Effekte, dass man sie „Trompe-l’œil“ nannte: Täusche das Auge. Das gefiel auch den weltlichen Herrschaften im schwelgerischen 18. Jahrhundert. Für ihre Salons bestellten sie Bilder wie die ovale Öl-Raffinesse „Jupiter und Ganymed“ von Jacob de Witt oder „Spielende Kinder“ von Marten Jozef Geeraerts. Die niederländischen Meister erzeugten malerisch die Illusion von Marmor-Reliefs und Skulpturen.

Nur eine Frage der Wahrnehmung

Die barocke Druckgrafik – ein weites Geschäftsfeld von Rembrandt, Rubens und Kollegen – verblasst so ziemlich in der recht nüchtern inszenierten Ausstellung. In der nächsten Abteilung hängt das Plakatmotiv: Ingres’ berühmte „Odalisque“ in einer schmucklosen Grisaille-Version, um 1834 entstanden. 40 Jahre später war der Impressionismus da, und Edgar Degas malte eine „Ballettprobe“ ausnahmsweise ohne die üblichen Pastellfarben und doch so duftig und entzückend.

Allein: Raum für Träumerei gibt es hier nicht. Am Ende der unteren Saalflucht wartet schon die Gegenwartskunst in Gestalt eines monumentalen Männerkopfs, den der Amerikaner Chuck Close von einem Polaroid auf eine zweieinhalb Meter hohe Leinwand übertragen hat. Die klaren Konturen lösen sich auf, wenn man sie aus der Nähe betrachtet. Close hat Rasterquadrate benutzt, die mit malerisch freier Geste ausgefüllt sind. Und mit brauner Farbe, die im schwarz-weißen Gesamteindruck verschwindet.

Das Grau als besondere Mischung offenbart sich auch bei Alberto Giacometti, der seine „Annette, sitzend“ 1957 als dunkle Figur in den Schatten setzte, und bei Picasso, der im selben Jahr die Infantin von Velazquez in einer verschobenen Schwarz-Weiß-Variation malte. Die Auswahl von Fotografien, natürlich unbedingt zum Thema gehörend, ist etwas mager. Überhaupt hätte man sich von manchem mehr gewünscht, auch mehr Atmosphäre, mehr Poesie, mehr Spiele mit Licht und Dunkel. Was gänzlich fehlt, ist das Medium Film.

Doch noch ein Zauber zum Schluss

Besucher in der Installation von Hans Op de Beeck. (Foto: Stefan Arendt / LVR-ZMB)

Besucher in der Installation „The Collector’s House“ von Hans Op de Beeck. (Foto: Stefan Arendt / LVR-ZMB)

Es ist für Direktor Felix Krämer wahrscheinlich nicht ganz einfach gewesen. Die Ausstellung entstand nach einem Plan seines Vorgängers Beat Wismer in Zusammenarbeit mit der Londoner National Gallery. Viele Interessen und wissenschaftliche Stimmen mussten berücksichtigt werden, der umständlich betextete Katalog spricht diesbezüglich Bände.

Zum Glück wartet am Schluss der Ausstellung – nach einer klaren Präsentation schwarz-weißer Abstraktionen – noch ein echter Clou. Wer durch eine graue Schwingtür geht (ja, nur zu!), gelangt in „The Collector’s House“, eine spektakuläre Rauminstallation des Belgiers Hans Op de Beeck. Alle Bilder und Skulpturen (oder etwa Menschen?) in seinem „Haus des Sammlers“ sind so grau und still wie der Zierteich in der Mitte, die Bibliothek, der Flügel, das Kanapee, der Hund und sogar ein paar Damenpumps, zerquetschte Bierdosen und andere ordinäre Dinge des Lebens.

(Foto: Moderna Museet, Stockholm © Olafur Eliasson. Foto: Anders Sune Berg)

Olafur Eliasson:
„Room for one Colour“ 1997 (Installationsansicht aus dem Moderna Museet, Stockholm 2015 – Courtesy of the artist; Tanya Bonakdar Gallery, New York; neugerriemschneider, Berlin
(Foto: Moderna Museet, Stockholm / Anders Sune Berg © Olafur Eliasson)

Alles steht erstarrt, wie von feinster Lava übergossen, in Stein verwandelt, tot. Zu leiser Sphärenmusik bewegt man sich, halb ehrfürchtig, halb amüsiert, durch den Raum und wird selbst zum einzig farbigen, lebendigen Teil der Installation. Das kehrt sich um im allerletzten Raum der Schau, den der Isländer Olafur Eliasson in ein grell-gelbes Monofrequenz-Licht getaucht hat. Farben werden davon geschluckt, die Besucher haben kreidebleiche Gesichter, der rote Rock wirkt grau.

Ist etwa die ganze Realität nur eine Frage der Wahrnehmung? Schon allein für das Finale lohnt sich der Besuch der Schau um „Black & White“.

„Black & White: Von Dürer bis Eliasson“. Bis 15. Juli im Düsseldorfer Museum Kunstpalast, Ehrenhof 4-5. Geöffnet Di.-So. 11 bis 18 Uhr, Do. bis 21 Uhr. Eintritt: 12 Euro. Katalog im Hirmer Verlag: 240 Seiten, 39,90 Euro. Umfangreiches Begleitprogramm unter www.smkp.de




Wie die Kunst zu mir kam und blieb – ein Lebenslauf zwischen Beruf und Berufung

Gastautorin Melanie Tilkov über ihr Leben als Künstlerin:

Ich bin freischaffende Künstlerin im Bereich Malerei, Grafik und Bildhauerei, außerdem Dozentin für Kunst an einer Kunstschule, Lehrkraft für Kunst an einem Gymnasium und habe einen Lehrauftrag an der fadbk/HbK Essen. Mein Studium der Kunst und das darauf folgende Berufsleben im Kunstbetrieb habe ich nach einem wechselvollen und unbefriedigendem Berufsleben als ein „endlich angekommen“ begriffen.

Die Künstlerin Melanie Tilkov mit ihren Arbeiten am Stand der Galerie Augarde (Daun) bei der Straßburger Messe START. (Foto: © Melanie Tilkov)

Verfasserin dieses Beitrags: die Künstlerin Melanie Tilkov, hier mit ihren Arbeiten am Stand der Galerie Augarde (Daun) bei der Straßburger Kunstmesse ST.ART. (Foto: © Melanie Tilkov)

Seitdem bin ich im Kunstbetrieb auf unterschiedlichen Ebenen aktiv – und sehr zufrieden damit. Dass ich noch studieren würde, war alles andere als klar, bin ich doch die Erste in meiner Familie, die akademisch ausgebildet ist.

Zu „abstrakt“ für den Alltag?

Vom Elternhaus her war klar, dass ich eine Lehre mache, Geld verdiene und somit schnell selbstständig würde. Zwar ist die Familie meines Vaters tendenziell handwerklich und auch künstlerisch unterwegs, Werkstätten und ihre Gerüche prägten meine frühesten Erinnerungen. Aber Kunst? Kunst war zu „abstrakt“ und somit als Beruf nicht vorstellbar.

Trotz der anderen Berufe, und auch während meiner Erziehungszeit, begleitete mich handwerklich-künstlerische Arbeit, meine Ideen im Kopf mussten eine fühlbare/sichtbare Umsetzung in der Realität erfahren.

Aber erst durch das Studium erfuhr ich, wie schwer die künstlerische Arbeit wird, wenn nicht allein die handwerkliche Fähigkeit und Begabung wichtig sind, sondern die intellektuelle Auseinandersetzung mit dem „Warum“ hinzukommt.

Zuerst kommt das Handwerk

Dennoch erachte ich es als essentiell, dass das „Handwerk“ sitzt: Grundausbildung Maltechnik, Zeichentechnik, Wissen um Farben, ihre Wirkungsweise, wie man sie einsetzt, wie ich Holz bearbeite, Ton, Stein…

Künstler, die nicht durch eine traditionelle Ausbildung gehen sondern von Anfang an in ihrem „Suppentopf“ weiter rühren, nie Stilleben gemalt, geschweige denn daran gelernt haben, die nie Menschen zeichnen mussten, nie Perspektive usw. lernten, denen fehlt etwas in ihrer Ausdruckskraft, auch in ihrem Spektrum. Natürlich kann man von Anfang an „abstrahieren“, aber nur wer die Basics lernte und das oft schmerzhaft lang, versteht, wie Abstraktion entsteht, wie Minimalismus sich entwickelt.

Es geht um das Können, nicht um das Wollen

Oft sind heute gezeigte Bilder von erschütternder Ahnungslosigkeit geprägt, was mich gleichermaßen verärgert, wie auch sehr traurig macht. Dadurch wird Kunst in ihrer Aussage entwertet, sie verliert, was sie eigentlich ausmacht. Nicht das Wollen, das Können zeichnet den Künstler aus. Und da gehört auch ein gehöriger Anteil an Praxis dazu, bis man dort ist, wo es einen, oft über Jahre, hingezogen hat.

Kreatives Chaos im Atelier von Melanie Tilkov. (Foto: @ Melanie Tilkov)

Kreatives Chaos im Atelier von Melanie Tilkov. (Foto: @ Melanie Tilkov)

Ich malte Landschaften, Abstraktionen, Spuren; nur um da endlich zu landen, am Ende meines Studiums, wo es mich immer hingetrieben hat. Endlich „konnte“ ich gegenständlich, figurativ malen, gestalten. Alles andere vorher begreife ich nun als handwerkliche und auch gedankliche Vorbereitung darauf. Ohne das Wissen um die Naturabstraktion wäre heute keiner meiner Hintergründe möglich, ohne die Abstraktion allgemein nicht das Wissen um die Auflösung im Prozess.

Eine Arbeiterin in der Kunst

Ich sehe mich als „Arbeiterin in der Kunst“. Meine Hände führen aus, was mein Kopf vorbereitet, gemalt, gebildhauert, gezeichnet hat, oft über Wochen, Monate, bis ich dann zum für mich erlösenden, praktischen Teil komme und alles in ein Medium fließt, Farbe auf Leinwand, Holz wird bearbeitet, behauen, Ton aufgebaut usw.

In der Renaissance gab es einen für uns heute sehr prägenden Wendepunkt. Aus einer anonymen Kunsthandwerkerschaft, aus den „Werkstätten” traten Einzelne hervor, brillierten und wurden, peu à peu, ganz langsam als Individuen wahrgenommen. Plötzlich wurden einzelne Künstler verehrt, Leonardo da Vinci und Dürer, das sind Namen, die noch heute „klingen“ und nachhallen.

Bis in unsere Zeit kam es dann zur starken Verklärung des Künstlers als „anders, wunderbar und sonderbar zugleich“. Dabei haben wir Kunstschaffenden auch nur eine Begabung, in der wir arbeiten (müssen). Auch Chirurgen, Architekten, Lehrer usw. fühlen mit Sicherheit so etwas, was sie in die berufliche Richtung trieb, eine „Berufung“.

Gegen die Verklärung

Vielleicht ist dieser Ruf, dem wir Künstler folgen, nur etwas drängender als der anderer Berufsgruppen, etwas elementarer. Aber gegen eine Verklärung wehre ich mich vehement, ich arbeite. Kunst. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Alles Aufgeblasene, Überzogene, Divenhafte mancher Künstler, die genau diese Verklärung befeuern, stört mich.

Nicht der Mensch, sondern sein Produkt sollte wahrgenommen werden. Ist mein Bild schlecht, sollte nicht das größte Theater und der bunteste Budenzauber, die fieseste Provokation über dieses Defizit hinwegtäuschen. Und doch ist es heute (leider) oft so. Das Event steht über dem Produkt. Damit gehe ich nicht konform. Und sehe mich lieber als Handwerkerin in Sachen Kunst. Der guten Sache wegen.




Heinz Mack und Goethe: Auf den Spuren des Lichts

„Mehr Licht!“ Diese letzten Worte auf dem Sterbebett wurden dem großen Johann Wolfgang von Goethe vermutlich nur angedichtet. Aber zweifellos war das Wirken gegen die Finsternis ein Leben lang eins der großen Themen des allseits verehrten Schriftstellers und Universalgelehrten, der zweimal, 1774 und 1792, das Städtchen Düsseldorf und den Freund Jacobi mit seiner Anwesenheit beehrte.

"Taten des Lichts": Ausstellungsansicht mit Arbeiten von Heinz Mack in Düsseldorf. (© Archiv Mack / VG Bild-Kunst, Bonn 2018)

„Taten des Lichts“: Ausstellungsansicht mit Arbeiten von Heinz Mack in Düsseldorf. (© Archiv Mack / VG Bild-Kunst, Bonn 2018)

Mehr Licht gibt es nun endlich im zuvor stark eingestaubten Düsseldorfer Goethe-Museum: frische weiße Farbe, neue Lampen, helle Vorhänge – und ein neues Konzept. Was uns Goethe heute noch zu sagen hat, wie modern er ist, will Direktor Christof Wingertszahn im Schloss Jägerhof der Welt zeigen. Eine weithin leuchtende Kunstausstellung von Heinz Mack wird das Publikum locken – mit „Taten des Lichts“.

Dem Freigeist stets verbunden

Lichtkünstler Mack, der in diesen Tagen 87 Jahre alt wird, hat als reifer Mann, ganz wie einst der nimmermüde Goethe, nichts von seiner Leidenschaft eingebüßt. Es macht ihn wütend, dass die herrschenden westlichen Kuratorencliquen ihn und sein Werk so oft ignorieren. „Die gegenwärtige Kunst geht über ihn hinweg“, sagt er und spricht von sich in der in der dritten Person.

In der Tat würdigt man Mack zwar als Mitbegründer der legendären Gruppe Zero, die 1957 eine neue Klarheit in die wirre Nachkriegskunst brachte. Doch aktuell bevorzugt man Konzept, Installation und Video, befasst sich exzessiv mit Banalitäten und den Neurosen der Gesellschaft. Mack hingegen konzentriert sich ganz auf das, was er die „interstellaren Verhältnisse“ nennt. Man kann auch sagen, er feiert ganz zeitlos die Schönheit des Universums.

Dem alten Freigeist Goethe, der nebenbei auch ein begabter Zeichner war, fühlte sich der 1931 in Hessen geborene Mack schon als Unterprimaner verbunden. Neben Kunst an der Düsseldorfer Akademie studierte er Philosophie in Köln und gab seinen sicheren Job als Lehrer auf, um den Gedanken und dem Schaffen ungehinderten Lauf zu lassen.

Weiterer Blick in die Mack-Ausstellung des Düsseldorfer Goethe-Museums. (© Archiv Mack / VG Bild-Kunst, Bonn 2018)

Weiterer Blick in die Mack-Ausstellung des Düsseldorfer Goethe-Museums. (© Archiv Mack / VG Bild-Kunst, Bonn 2018)

Seine Inspiration fand Mack am Himmel über der Wüste, in der Arktis, auf Ibiza – und zu Hause in Mönchengladbach. Und während die Kollegen den Orient weitgehend vergaßen, beachtete er auch die Farben und Muster in der islamischen Kunst, die schon viel früher als der Westen die Abstraktion gefeiert hatte. „For an oriental mirror“, einen orientalischen Spiegel, malte er 2008 flirrende Ornamente. Auch Goethe wusste die morgenländische Kultur zu schätzen und widmete ihr die Gedichtsammlung „West-östlicher Divan“.

Die Freiheit denkt abstrakt

Und siehe da: Obgleich Jahrhunderte zwischen den beiden Künstlern liegen, passen sie doch auf wundersame Weise zusammen. Denn Goethe hatte nicht nur als Jüngling so zum Spaß das „Bild eines Mädchens in umgekehrten Farben“ gemalt als sei’s eine Idee von Picasso, er arbeitete auch in der Abstraktion. Wie Mack setzte der Dichter und Denker eine Kugel auf einen Würfel und betrachtete das, unerhört für seine Zeit, als sinnhafte Skulptur. Jenseits alles Gegenständlichen erforschte er das Spektrum des Lichtes, entwarf geometrische Skizzen und ließ eine Reihe von konstruktiv anmutenden Karten drucken, deren nüchterne Schwarz-Weiß-Formen, durch ein Prisma betrachtet, an den Rändern farbig erscheinen.

Mack malte 1991 nach dem Vorbild der Goetheschen Experimentalkarten große Pastelle auf Bütten. Schon viel früher hatte er sich stolz auf das inspirierende Vorbild bezogen und 1964 die Farben des Regenbogens in einem großen Pastell „for Mr. Wolfgang von Goethe“ strahlen lassen. Ordnung und Freiheit, sieht man hier, können einander vortrefflich ergänzen. Das zeigen Raster, zwischen denen es golden schimmert, Fächer überlappender Farbquadrate, ein Keil in Ultramarin, der dreidimensional aus der Fläche hervortritt, oder ein schillerndes Gitter vor den Tönen eines Sonnenuntergangs. Der Maler ist ja auch ein Bildhauer, der in viele Städte seine Himmelszeichen gesetzt hat.

Wo das Blau ewig fließt

Es ist eine Lust, in Goethes Museum den Leuchtspuren des Meisters Mack zu folgen oder auch, wie er es oft ganz sachlich nennt, seinen „Chromatischen Konstellationen“. Im ersten Stock, der von den alten Vitrinen befreit wurde, sind die Farben in Bewegung geraten – mit Hilfe einer Technik, von der Goethe nur träumen konnte. Kinetische Lichtkunst, zum Teil in früheren Jahren entworfen, erzeugt hypnotische Effekte. Da fließt ein ewiges Blau, da schwirren bunte Kreise, da pulsiert ein Sonnengelb. Ganz sicher wäre Goethe begeistert gewesen, seine Theorie so herrlich bestätigt zu sehen: „Jede Farbe also, um gesehen zu werden, muss ein Licht im Hinterhalte haben“, notierte er.

Das gilt auch für Schwarz und Weiß, zeigt Heinz Mack mit einer Serie von monumentalen Bildern, die von Licht und Dunkelheit handeln. Ein schwarzer Planet schwebt da auf einem weißen Nebel, eine Raute steht deutlich im hellen Schein, und die kreisrunde „Black Rotation“ beweist, dass Schwarz keineswegs eintönig ist, sondern in vielen Nuancen schimmern kann, ganz nahe am tiefen Blau, aus dem auf wunderbare Weise die anderen Farben der Schöpfung entstehen.

Wir spüren es, ehe wir es sehen. Und wir empfinden vor Macks Bildern mehr, als wir beschreiben können oder sollen. Bei Goethe gibt es das passende Zitat: „Des echten Künstlers Lehre schließt den Sinn auf; denn wo die Worte fehlen, spricht die Tat.“ Hingehen und ansehen!

„Taten des Lichts – Mack & Goethe“: 4. März bis 27. Mai im Goethe-Museum Düsseldorf, Schloss Jägerhof, Jacobistr. 2. Eintritt: 8 Euro. Di.-Fr. und So. 11 bis 17 Uhr, Sa. 13 bis 17 Uhr. Ein Buch zur Ausstellung erscheint demnächst im Verlag Hatje Cantz Verlag. 480 Seiten, ca. 50 Euro. Vortrags- und Begleitprogramm unter www.goethe-museum.de