Medaillen, Hymnen und so weiter

Abspielgerät aus der Zeit, als Hymnen noch anders gewertet wurden: Grammophon auf dem Flohmarkt. (Foto: Bernd Berke)

Schon etwas seltsam (Running Mate Tim Walz würde wohl sagen: „weird“), dass man diesen nationalistisch angehauchten Quatsch immer noch beachtet. Muss ich mich jetzt der verstohlenen Blicke auf schnöde Ziffern schämen? Kaum hatte Olympia in Paris etwas Fahrt aufgenommen, habe ich tatsächlich wieder täglich auf den Medaillenspiegel geschielt und mit gemischten Gefühlen bemerkt, wie sehr Deutschlands Sportlerinnen und Sportler vielfach hinterdrein hechelten.

Aus gar vielen Gründen blieben die Athleten aus Germany zurück, auch in hierzulande vordem sehr erfolgreich betriebenen Sportarten wie z. B. Fechten, Segeln und Ringen. Auch beim Radfahren überwog die Enttäuschung. Bei manchen Wettbewerben war kaum fassliches Missgeschick im Spiel. In der Gesamtbilanz landete l’Allemagne – einzelnen Glanztaten zum Trotz – mit 33 Medaillen (davon 12 Gold) nicht nur weit, weit hinter den rivalisierenden Global-Giganten USA (126) und China (91), sondern sehr deutlich auch hinter Frankreich (64 – naja, deren Heimspiele halt) und Großbritannien (65), die derzeit beide arge gesellschaftliche Probleme wälzen und wohl nach sportlicher Kompensation dürsten. Der „Kater“ folgt wahrscheinlich.

Doch das ist nicht alles. Desgleichen liegen zum Beispiel auch die wesentlich kleineren (bevölkerungsärmeren) Niederlande (34 Medaillen) vor den Deutschen Olympioniken. Die deutschen Olympia-Funktionäre haben bereits für die nächsten Sommerspiele wieder die Rückkehr unter die sechs weltbesten Nationen als Ziel ausgerufen, diesmal war es lediglich Rang zehn. Sollten etwa die landesüblichen Bürokraten in der Sportförderung hinderlich gewesen sein?

Vollends verblüffend wirkt übrigens die Erfolgsbilanz Australiens, das mit seinen gerade mal rund 26 Millionen Einwohnern formidable 53 Medaillen gesammelt hat. Auch die Teams aus Neuseeland (20) oder Kanada (27) holten mehr, als es nach reinen Bevölkerungszahlen zu erwarten gewesen wäre, jene aus Indien (6) hingegen ungleich weniger.

Nein, wir betreiben jetzt keine Ursachenforschung, schon gar nicht spekulativ. Von etwaigem Doping-Verdacht und aggressiver Sportpolitik bestimmter Regime gar nicht erst zu reden. Wobei Russland diesmal aus bekannten Gründen außen vor geblieben ist.

Allerdings könnte man jene etwas andere Tabelle aufstellen: Einwohnerzahl geteilt durch Medaillen. Den Rechenaufwand erspare ich mir. * Statt dessen stelle ich mir mal wieder die Frage: Wer hat eigentlich die klangvollste Hymne – für den Fall, dass jemand ganz oben auf dem Treppchen zu stehen kommt? Aber das ist wohl schon wieder so ein Quark von vorgestern.

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* Mittlerweile hat ausgerechnet die „Bild“-Zeitung eine solche Tabelle erstellt und heute (13. August) online publiziert.




Die Eintrittskarte ist noch da: Vor 50 Jahren wurde das Westfalenstadion eröffnet

Meine Original-Eintrittskarte vom 2. April 1974. (Foto: Bernd Berke)

Irgendwo musste ich sie doch noch verwahrt haben, diese historische Eintrittskarte. Und tatsächlich: In einem Nostalgie-Ordner steckte sie noch. Wie könnte ich sie wegwerfen! Manche mögen sogar sagen, es sei eine Art „Reliquie“.

Heute vor genau 50 Jahren (jaja, man wird nicht jünger) berechtigte das Ticket zum Eintritt ins damals nagelneue Dortmunder Westfalenstadion, wo am 2. April 1974 um 20 Uhr das Eröffnungsspiel des BVB gegen den langjährigen Revier-Rivalen FC Schalke 04 anstand. Die Blauen gewannen 3:0. Es waren andere Zeiten, fürwahr.

Man hätte damals meinen können, das Stadion sei zur Unzeit errichtet worden, war Borussia Dortmund doch 1972 in die Zweite Bundesliga abgestiegen. Doch 1976 gelang der Wiederaufstieg. Welche rasante und vielfach aufregende Entwicklung der BVB seither genommen hat, lässt sich auch hieran ermessen: 1974 war es noch relativ leicht, einen Platz auf der nachmals so legendären Südtribüne zu ergattern. Dabei fasste das Stadion damals „nur“ 54.000 Zuschauer. Heute passen nach diversen Um- und Ausbauten 81.365 hinein – und selbst bei vermeintlich weniger attraktiven Gegnern ist alles bis auf den letzten Platz ausverkauft. Der Dortmunder „Tempel“, wie ihn viele Fans nennen, hat denn auch unter allen Stadien weltweit den höchsten Zuschauerschnitt.

Im Februar 2022 trug der BVB sein 1000. Heimspiel aus. Die Anfänge der Bundesliga (ab 1963) gab’s noch im benachbarten Stadion Rote Erde, das im Juni 1926 eröffnet worden war. Die dortige Atmosphäre, erstmals als Kind persönlich erfahren zur Mitte der 60er Jahre, war auf andere Weise unvergleichlich und unvergesslich. Allein zu erleben, wie viele Menschen seinerzeit auf Bäume geklettert sind, um besser zu sehen… Insgesamt war’s viel mehr Behelf, aber auch mehr Ursprung. Authentisches Ruhrgebiet halt. Hach ja.

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Nachtrag: Und woher hat das Westfalenstadion seinen Namen? Der kristallisierte sich bei einer Leserumfrage zur Bauphase 1971 heraus. Seinerzeit gehörte Günter Hammer, Chefredakteur der Westfälischen Rundschau (den ich dort auch noch als Chef erlebt habe), dem BVB-Wirtschaftsrat an. Er forcierte die Umfrage in der Rundschau, bei der sich die große Mehrheit für den Namen Westfalenstadion entschied.

P. S.: Seit 2005 trägt das Westfalenstadion in geschäftlicher Hinsicht den in Dortmund wenig geliebten Sponsoren-Namen „Signal Iduna Park“ – laut laufendem Vertrag mindestens bis zum Jahr 2031. Aber muss man es deshalb alltäglich so nennen? Nö.




Eher widerwillig mitgemacht – Borussia Dortmund zur NS-Zeit

Wie stand es in der NS-Zeit um den BVB? Hat der Verein am faschistischen Unwesen freiwillig oder eher notgedrungen mitgewirkt? Solchen Fragen, die sich keinesfalls „erledigt“ haben, widmen sich Rolf Fischer und Katharina Wojatzek in ihrem Buch „Borussia Dortmund in der Zeit des Nationalsozialismus 1933-1945″.

Sie haben, so gut es angesichts der schwierigen Quellenlage nur ging, das Thema mit dem Rüstzeug der Geschichtswissenschaft eingehend recherchiert und bislang unbekannte Details zutage gefördert. Der BVB, dessen Präsident Reinhold Lunow ein Vorwort geschrieben hat, hat die Untersuchung nach Kräften unterstützt. Gut so.

Wertvolle Pionierarbeit hatte schon 2002 Gerd Kolbe mit seiner Publikation „Der BVB in der NS-Zeit“ geleistet, für die er noch zahlreiche Zeitzeugen befragen konnte. Im Sinne der zunehmend aufgewerteten „Oral History“ hat er mündlich überlieferte Quellen gesichert, die später nicht mehr zur Verfügung gestanden hätten. Darauf ließ es sich aufbauen. Inzwischen konnten aufschlussreiche Akten und Dokumente (auch Fotografien) gesichtet werden, sofern sie nicht im Zweiten Weltkrieg vernichtet wurden. Erschwerend kam hinzu: Da der BVB in seinen Anfängen ein Arbeiterverein war, haben die Mitglieder weniger Schriftliches hinterlassen, als dies im bürgerlichen Umfeld der Fall gewesen wäre.

Unterschiedlich „nazifizierte“ Vereine

Um ein Fazit des neuen Buches vorwegzunehmen: Die Borussen haben sich gegen eine Vereinnahmung durch die NS-Machthaber nicht wehren können, doch hielt sich diese für längere Zeit in Grenzen. Die meisten anderen Vereine ließen sich bereitwilliger oder in vorauseilender Fügsamkeit gleichschalten. Andernorts gehörten deutlich mehr Vereinsmitglieder zugleich NS-Organisationen an, und zwar oft schon sehr frühzeitig.

Ein nachvollziehbarer Befund lautet so: Es gab Unterschiede, was den Grad der „Nazifizierung“ angeht. Schon der soziologische Hintergrund der jeweiligen Vereine gab eine Richtung vor, wobei man von etwaigen heutigen Sympathien strikt absehen muss. Demnach waren damals bürgerliche Clubs wie etwa der VfB Stuttgart, Werder Bremen (wo anfangs gar höhere Schulbildung Voraussetzung war), Alemannia Aachen oder 1860 München in aller Regel anfälliger für Indienstnahme, desgleichen die größeren Vereine in Nürnberg, Fürth und Kaiserslautern. Sie waren schnell „auf Linie“.

Bürgerliche und proletarische Milieus

Proletarisch grundierte Vereine wie der BVB (Ursprünge in den Stahlwerksvierteln rund um den Borsigplatz) oder auch Hertha BSC Berlin (Wurzeln im „roten Wedding“) waren hingegen zumindest von der Genese und vom Milieu her widerständiger, ihre Mitglieder hatten vor 1933 überwiegend KPD oder SPD gewählt. In Dortmund kam noch ein katholischer Impuls von früheren „Zentrums“-Wählern hinzu – nicht zuletzt durch polnische Zuwanderer. Allerdings konnte aus all dem kein offener Widerstand gegen das NS-Regime erwachsen. Allenfalls insgeheime Sabotage-Akte waren möglich, wenn auch sehr riskant. Eine bewegende und schließlich betrübliche Geschichte solchen Zuschnitts rankt sich um den kommunistisch orientierten BVB-Platzwart Heinrich Czerkus, der lange von Leuten im Verein systematisch gewarnt wurde, wenn die Gestapo sich näherte – bis eigens ein V-Mann auf ihn angesetzt wurde. Czerkus wurde von den Nazis ermordet.

Der BVB galt in den 1930er Jahren noch als Verein, für den man sich nur in seinem engeren Umkreis und nicht in der ganzen Stadt interessierte. Also stand er nicht so sehr im Fokus, auch nicht in dem der NS-Parteigenossen. Ganz anders der FC Schalke 04, der damals die renommierteste Mannschaft des ganzen Reichs stellte. Also ließen sich die NS-Chargen stets gern mit den „Knappen“ ablichten.

Borussia Dortmund hatte seinerzeit keine jüdischen Spieler, so dass man auch nicht gezwungen war oder gedrängt wurde, jemanden auszuschließen, wie dies bei vielen anderen Vereinen geschah – selbst bei solchen, die von jüdischen Bürgern (mit)gegründet worden waren. Kein Dortmunder Verdienst also, sondern eine Folge der Mitgliederstruktur.

Verdruckster Umgang nach dem Krieg

Erhellend auch das Kapitel über den Umgang mit dem Thema in der Nachkriegszeit. Mindestens bis zur Jubiläumsschrift von 1969 (der BVB 09 wurde damals 60 Jahre alt) muss die Haltung dazu als verdrängend, verlogen und verdruckst bezeichnet werden. In der erwähnten Broschüre wurden zwar Bilder aus der NS-Zeit gezeigt, freilich hatte man sie dilettantisch retuschiert (Übermalung von Hakenkreuzfahnen etc.) und damit „entschärft“. Es dauerte noch eine ganze Weile, letztlich bis in die späten 90er Jahre, bevor endlich offen über die NS-Verstrickungen geredet wurde – wenigstens von jüngeren Jahrgängen.

Das Buch dürfte zum Standardwerk über den BVB in jenen finsteren Zeiten werden. Zwar ist man in manchen Fragen auf Spekulationen angewiesen, doch klingen die Mutmaßungen zumeist plausibel und werden transparent ausfbereitet. Vor allem aber hat sich die intensive Quellenarbeit ausgezahlt. Im steten Wechsel zwischen Blicken aufs größere Ganze und biographische Nahansichten zeichnen Fischer und Wojatzek ein vielschichtiges Zeitbild, das auch Widersprüche und Leerstellen umfasst.

Rolf Fischer / Katharina Wojatzek: „Borussia Dortmund in der Zeit des Nationalsozialismus 1933-1945″. Metropol Verlag, Berlin. 256 Seiten mit zahlreiche Schwarzweiß-Abbildungen, 24 Euro.




„Jo, der Froonz“ – Zum Tod von Franz Beckenbauer

Haben soeben den WM-Titel 1974 gewonnen (von links): Gerd Müller, Franz Beckenbauer und Trainer Helmut Schön. (Wikipedia Creative Commons, Bert Verhoeff für Anefo) Link zur Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/nl/deed.en

Nein, wir wollen hier nicht seine gesamte (sportliche) Biographie herunterrattern, sie war imposant genug und in Fußball-Deutschlands Breiten unerreicht.

Es gab Zeiten, da hätte Franz Beckenbauer, der gestern mit 78 Jahren gestorben ist, durchaus Bundespräsident oder dergleichen Gewichtiges werden können – zumindest „gefühlt“. Boulevard-Medien krönten ihn gar zum „Kaiser“, nahezu alle Welt übernahm diesen Titel. Was sonst will man in einem Lande machen, das keine Monarchen mehr hat? Nun gut, manche kürten ihn auch zur geradezu erdenthobenen „Lichtgestalt“.

Ganz persönlich erinnere ich mich an einen unscheinbaren, aber vielleicht doch bezeichnenden Moment zur Mitte der 1960er Jahre im Dortmunder Stadion Rote Erde, dem Vorläufer des Westfalenstadions (vulgo Signal-Iduna-Park). Es gastierten die Bayern, damals noch Aufsteiger und Emporkömmlinge der Bundesliga. Franz Beckenbauer fing einen Dortmunder Angriff souverän ab und leitete einen eigenen ein. Da ertönte hinter uns Kindern eine sonore, bayerisch getönte Stimme: „Jo, der Froonz…“ Es lag das ganze Urvertrauen darin, das sie in ihren höchstbegabten Libero hatten und zu Recht haben durften.

Mit der WM 1990 den Zenit erreicht

Schon beim legendären Wembley-Endspiel 1966 ist er mit dabei gewesen, 1974 hat er als Spieler und 1990 als Trainer („Teamchef“) die Fußball-Weltmeisterschaft errungen. Sein stiller Gang übers Spielfeld inmitten des Triumphs ist zum Inbild geworden. Es war der Zenit seiner großen Laufbahn. Damals schien er über manche, wenn nicht alle Zweifel erhaben zu sein. Töricht allerdings seine Einschätzung, nach der deutschen Vereinigung werde die Nationalmannschaft „auf Jahre hinaus unschlagbar“ sein. Noch ungleich törichter dann einiges, was er auf Funktionärs-Ebene unternommen hat. Es soll nicht weiter vertieft werden. Nicht hier und heute. Wie er die WM 2006 nach Deutschland geholt hat? Sagen wir’s mit bedenklich wiegendem Kopfe und den Worten von Gerhart Hauptmann aus dem „Weber“-Drama: „Nu ja ja, nu nee nee“.

Stets tauglich für Gesprächsstoff und Parodien

Zusammen mit dem weitaus weniger eleganten Uli Hoeneß hat Beckenbauer die Grundlagen zur dauerhaften Dominanz des FC Bayern München gelegt. Selbst als Ruhrgebiets-Bewohner – und zumal Dortmunder – muss man solchem Wirken einen gewissen Respekt zollen, auch wenn von „echter Liebe“ in dieser südlichen Richtung natürlich keine Rede sein kann. Trotzdem fehlten die oft goldigen, manchmal auch schneidigen Meinungsäußerungen des sonnigen Gemüts Beckenbauer schon seit einiger Zeit, sie waren stets unterhaltsam und haben für Gesprächsstoff gesorgt. Dankbar haben die Medien jedes Wort aufgegriffen. Sprichwörtlich wurden auch Satzfetzen aus seinen Werbeauftritten – von „Kraft auf den Teller, Knorr auf den Tisch“ bis hin zu „Jo, is‘ denn heut‘ scho‘ Weihnachten?“

Nicht die geringste Qualität Beckenbauers hat sich eben darin gezeigt, dass er wunderbar parodiert werden konnte und also ein unverwechselbares Profil hatte. Allen voran hat dies Olli Dittrich (alias „Dittsche“) bewiesen, der für TV-Features in die Rolle des „Kaisers“ schlüpfte und sogar einen Doppelgänger desselben mimte.




60 Jahre Bundesliga – und der zwecklose Versuch, online eine BVB-Karte zu kaufen

Kurz nach 12 Uhr – und noch 55 Minuten Wartezeit bis zum Eintritt in den eigentlichen Ticketshop. (Screenshot von der BVB-Homepage)

Tätäääää! Großer Tusch. Heute ist es auf den Tag genau 60 Jahre her, dass die Bundesliga ihren Spielbetrieb aufgenommen hat. Die Gründung der höchsten deutschen Spielklasse war übrigens vom DFB in Dortmund beschlossen worden. Und das allererste Liga-Tor hat Timo Konietzka vom BVB erzielt – beim Auswärtsspiel gegen Werder Bremen. Die Grünweißen haben dann doch noch 3:2 gewonnen. Naja, Schwamm drüber. Es lässt sich derweil gar nicht ermessen, wie viel gesamtgesellschaftlicher Gesprächsstoff und verbra(u)chte Lebenszeit sich aus der Liga ergeben hat.

Apropos Lebenszeit. Damit zu einem allzeit dringlichen Thema beim BVB. Nein, es geht nicht um weitere Spielertransfers, sondern um dies: Während man sich andernorts schlicht und einfach eine Karte kauft, um ein Spiel zu sehen, ist das in Dortmund anders. Ganz anders. Hier muss man Zeit opfern und großes Glück haben. Selbst im europäischen Vergleich ist der Kartenabsatz beispiellos. Da sage noch jemand, die Bundesliga sei kein Erfolgsmodell. Hier ist sie jedenfalls eins.

In jedem Falle ausverkauft

Bei 81.365 Zuschauern wird im größten deutschen Stadion regelmäßig „ausverkauft“ gemeldet. Egal, gegen wen die Partie bestritten wird. Scherzbolde sagen, das Westfalenstadion sei schon proppenvoll, wenn der Platzwart den Rasen mäht. Satte 55.000 Plätze werden bereits durch Dauerkarteninhaber belegt (abzüglich derer, die am jeweilen Spieltag verhindert sind, ihre Tickets aber anderweitig vergeben). Bleiben rechnerisch also gerade mal 26.365 „freie“ Plätze, von denen wiederum das Gäste-Kontingent abgezogen werden muss – je nach Gegner mal mehr, mal weniger. Von Frei- und Gefälligkeitskarten (für Sponsoren etc.) mal ganz abgesehen.

Beispiel: Am 23. September geht es für die Borussia gegen den VfL Wolfsburg, der – gelinde gesagt – nicht allzu viele Fans zur Fahrt nach Dortmund mobilisiert. Also bleiben ein paar Plätze mehr für heimische Fans übrig. Doch was nützt es?

Habe mich also heute ins Abenteuer der Online-Kartenvergabe gestürzt. Wohlgemerkt: Es geht nicht etwa gegen die ungeliebten Bayern oder dito Leipzig, sondern eben gegen das nicht übermäßig attraktive Wolfsburg. Noch dazu kann ich mich – theoretisch mit zigtausend anderen Leuten – als Vereinsmitglied einloggen. Für uns Auserwählte gibt es den „freien“ Vorverkauf einen Tag vor dem offiziellen. Doch was nützt es?

„Ebenfalls per Zufallsprinzip“

Der Online-Zugang zum Ticketshop ist am entsprechenden Vorverkaufstag aus guten Gründen streng geregelt. Zitat aus der bürokratisch trockenen Erläuterung:

„Erst mit Beginn des Vorverkaufs (um 12 Uhr) wird eine festgelegte Anzahl an Personen per Zufallsprinzip in den Ticketshop gelassen. Alle Fans, die nicht sofort in den Shop geführt werden können (Hahaha! d. Red.), befinden sich dann in einem Warteraum, der transparent die Zeit angibt, bis die jeweilige Person an der Reihe ist. Die Position im Warteraum wird ebenfalls per Zufallsprinzip zugeteilt…“

Und wenn man sich nun schon um 10 Uhr einloggt? Dann bringt das offenbar auch keinen Vorteil: „Der Zeitpunkt, wann der Ticketshop (vor 12 Uhr) aufgerufen wird, ist nicht entscheidend für die spätere Ticketvergabe!“

Viele geben vorzeitig auf

Nun muss man also im virtuellen Warteraum ausharren. Ein kleines Männlein, das durch einen gelben Streifen auf ein Ziel hin schreitet, zeigt den Fortgang an. Wie niedlich. Jedoch ein schwacher Trost. Erste Meldung: 55 Minuten (!) Wartezeit bis zum ersehnten Eintritt in den Ticketshop. Offenbar geben an diesem Punkt manche schon auf, denn die Wartezeit verkürzt sich nun schneller, als die Uhrzeit voranschreitet. Plötzlich sind es „nur“ noch 42 Minuten, dann sprungweise 35, 29, 25, 18, 14, 8, 6, 5, 3… Bereits um 12.14 Uhr plus ein paar Sekunden ist die imaginäre Null-Linie erreicht, ich darf in die heiligen Hallen eintreten. Großes Oh und Ah!

Doch was ist das? Die knappe Viertelstunde hat anscheinend schon ausgereicht, dass andere Fans den gesamten Kartenbestand abräumen konnten. Ich verkneife es mir, sie „gierige Geier“ zu nennen. Ich wäre ja im Erfolgsfalle selbst einer gewesen. Jedenfalls heißt es an dieser Stelle, dass keine Karten mehr zur Verfügung stünden.

Einen anderen Browser benutzen? Längst probiert. Dauerfeuer mit der F5-Aktualisierungstaste? Zwecklos. Da muss man sich wohl ins Schicksal fügen.

 




Eine Stadt, in Schwarzgelb gehüllt: Borussia Dortmund stand kurz vor der Meisterschaft – aber dann…

Die Kluft fürs Wochenende lag bereit. (Foto: Bernd Berke)

An einem einzigen Tor sind sie gescheitert… Bayern eins zu viel, der BVB eins zu wenig. Hallers verschossener Elfer, Adeyemis Verletzung. Ja, man könnte lange lamentieren. Doch was hilft’s? Borussia Dortmund hätte heute wirklich und wahrhaftig deutscher Fußballmeister werden können – erstmals wieder seit 2012, als es unter Jürgen Klopp sogar ein BVB-Double mit Pokalsieg gegeben hat. Hier die Zeilen, die vor dem entscheidenden Spiel gegen Mainz geschrieben wurden:

In der Stadt wird seit Tagen eigentlich über nichts anderes mehr geredet. Spätestens am Pfingstwochenende wird hier und im Umland so ziemlich alles in Schwarzgelb gehüllt sein, alle denkbaren Verrücktheiten im Zeichen dieser Farben inbegriffen. Nervosität und Vorfreude steigen von Stunde zu Stunde. Da wird sogar die gestern verkündete, überraschende (nur vorübergehende?) Rettung des Dortmunder Karstadt-Hauses zur lokalen Randnotiz, wenn auch zu einer erfreulichen.

Man muss nicht alles wieder herbeten, was dazu geführt hat, dass der Meistertitel in greifbar(st)e Nähe gerückt ist. Doch ein paar Faktoren sollten genannt werden: die immense Formsteigerung von Spielern wie Donyell Malen und Karim Adeyemi (welch eine pfeilschnelle „Flügelzange“!) oder auch dem immer stabileren Emre Can; die geradezu unglaubliche Wiederkehr des Sébastien Haller; der ungeahnte „zweite oder dritte Frühling“ von Mats Hummels; Gregor Kobel, der – wie man so schön sagt – immer mal wieder „die Unhaltbaren hält“. Na, und so weiter. Und natürlich hat Herzblut-Trainer Edin Terzic einen Riesenanteil an der ungemein erfolgreichen Rückrunde. Und nein: Es liegt keinesfalls nur an der Schwäche der Bayern, wenn es dem BVB gelingt. Es liegt auch und vor allem an eigenen Qualitäten. Jawoll!

Die tabellarische Ausgangslage ist bestens, doch kein Anlass zur Selbstzufriedenheit (was man der Mannschaft auch nicht nachsagen kann). Neben arg verfrühtem Siegestaumel bei etlichen Fans mehren sich nun auch die Unkenrufe aus allerlei Richtungen: „Vielleicht vergeigen sie es kurz vor der Ziellinie doch noch!“ Sollen wir uns nun ein nervenschonendes oder ein maximal spannendes Finale wünschen, das sich womöglich erst in der Nachspielzeit entscheidet? Mh. Dauerhafte Schnappatmung wäre der Gesundheit nicht unbedingt zuträglich. Und ob sie quer durch die Republik einen schönen Nervenkitzel haben, ist doch wohl zweitrangig, oder? Es soll bitteschön klar ausgehen.

Ich halte jedenfalls dafür, dass „zwischen Flensburg und Freiburg“ (um noch so ein Klischee zu bemühen) eine satte Mehrheit eher Dortmund den Titel gönnt als den Bayern. Natürlich bedeutet die Meisterschaft in dieser oft gebeutelten Stadt auch ungleich mehr als drunten im begünstigten Süden, wo sie es kaum noch anders kennen, als gelangweilt die Schale abzuräumen und wo sie schon zu Tausenden vorzeitig die Allianz-Arena (aka „Arroganz-Arena“) verlassen, wenn „dahoam“ vorentscheidend gegen Leipzig verloren wird.

So ähnlich hätte es wieder aussehen können: Impression vom Meister-Corso des BVB am 15. Mai 2011, hier mit (v. li.) Mario Götze, Lucas Barrios und Nuri Sahin. (Foto: Bernd Berke)

Wie es heißt, hat es vor dem entscheidenden Heimspiel gegen Mainz 05 weit über 300.000 Kartenanfragen gegeben. Zwar steht in Dortmund das größte deutsche Stadion, das immerhin knapp über 81.000 Zuschauer fasst, doch hört und liest man von exorbitanten Ticket- und Übernachtungspreisen, die die 1000-Euro-Marke überschreiten.

Für viel Ärger hat im Vorfeld dies gesorgt: Der Fußballsender Sky/Wow mag am Samstag partout keine großen Public Viewing-Ereignisse in Dortmund zulassen und es Kneipen mit Sky-Lizenz nicht einmal erlauben, ihre Bildschirme so zu drehen, dass sie von außen sichtbar sind. Wahrscheinlich ist es (ohne dass sie es zugeben dürften) auch der Stadt und der Polizei so ganz recht, weil dann nicht noch mehr riskante Events stattfinden. Der Sonntag mit einem möglichen Meister-Corso dürfte mit vorab geschätzten 200.000 bis 400.000 Fans zwischen Borsigplatz, Wallring und „Dortmunder U“ schon genug Probleme bereiten. Freilich: Gerade weil der Massenzulauf am Samstag vielleicht noch nicht richtig kanalisiert wird, sondern wahrscheinlich spontan entsteht, ist die Lage keineswegs ungefährlich. Kann und soll man sich beispielsweise mit Kindern in die City trauen?

Übrigens: Manche in Schwarzgelb frohlocken, dass heute Schalke absteigen kann. Andere sagen, sie würden jedenfalls das „Derby“ arg vermissen. Und wenn dann auch noch Bochum… Das wäre fürs Revier ja gar nicht auszudenken. Also bitte, Leute, gebt Euch einen Ruck: Daumendrücken hier wie dort. Und wenn’s nur wegen der Derbys ist.

 




Seele der ganzen Region – Fotoschau über Fußball im Ruhrgebiet (verlängert bis 20. Mai ’24)

Typisch Ruhrgebiet? „Schlechter Platz“, aber unbändige Begeisterung (Essen, März 1970). (© Fotoarchiv Ruhr Museum / Foto: Marga Kingler)

Das kann doch wohl kein Zufall sein: Zwischen 1952 und 1957 erreichte die Steinkohleförderung im Revier ihre Gipfelpunkte. Just in dieser Phase machten Ruhrgebietsvereine die deutsche Fußballmeisterschaft hauptsächlich unter sich aus: 1955 war Rot-Weiß Essen an der Reihe, 1956 und 1957 folgte Borussia Dortmund, 1958 schließlich Schalke 04.

Gemeinsame Sache: Heinrich Theodor Grütter (li.), Leiter des Ruhr Museums, und Manuel Neukirchner, Leiter des Deutschen Fußballmuseums, vor dem Plakat der Ausstellung. (Foto: Bernd Berke)

In einer gemeinsamen Ausstellung auf Zeche Zollverein erzählen das dort ansässige Ruhr Museum und das (auch nicht von ungefähr) in Dortmund angesiedelte Deutsche Fußballmuseum die Geschichte(n) des Revierfußballs anhand von 450 prägnanten Fotografien aus etwa 100 Jahren. Die Auswahl war reichlich und dürfte einige Mühe (aber auch Freude) bereitet haben, beherbergt doch das Ruhr Museum unter seinen Millionen Fotografien allein rund 60.000 Fußballmotive – im weiteren Sinne. Denn das Spektrum der Bilder weist über den Fußball hinaus auf den Alltag der Region.

Neben fotografischer Ästhetik geht es vor allem um das Lebensgefühl, das sich im Ruhrgebiet so innig wie kaum irgendwo sonst in Europa mit dem Fußball verknüpft hat. Allenfalls England, bekanntlich das Mutterland dieses Sports, kann da (vorbildlich) mithalten.

Fußballfreunde, Essen, 25. Januar 1967. (© Fotoarchiv Ruhr Museum / Foto: Anton Tripp)

In elf Themenbereichen erkundet die vielfältige Schau zumal das oftmals schlichte soziale Umfeld der Fußball-Leidenschaft – bis hin zu in jeder Hinsicht „dreckigen“ Spielen auf Matsch- und Ascheplätzen. Die Fankultur kommt ebenso in Betracht wie Anfänge des Frauenfußballs oder hochartifizielle Aufbereitungen. So ist etwa Andreas Gurskys mittlerweile berühmtes, wandfüllendes Digitalbild der „Gelben Wand“ (Fans auf der Südtribüne des Dortmunder Stadions) zu sehen.

Schmerzlich spürbar werden die Brüche seit den 1950er Jahren. Um den Ausstellungstitel aufzugreifen: Dem Mythos folgte allmählich die Moderne. In der Nachkriegszeit kamen die Spieler noch längst nicht auf die Idee, sich derart PR-gerecht zu stilisieren wie heute. Auch war es undenkbar, dass ein Verein an die Börse gegangen wäre. Und die Spielergehälter lagen etliche Etagen unter den jetzt so wahnwitzigen Summen.

Heinrich Theodor Grütter, Leiter des Ruhr Museums, hält gleichwohl dafür, dass der Ruhrgebiets-Fußball im Bergbau seinen für lange Zeit fruchtbaren Humus gefunden habe. Die Ausstellung im Vorfeld der EM 2024 finde derweil in schicksalhaften Tagen statt: Wird der BVB doch noch Meister, kann Schalke den Abstieg abwenden, hält sich RW Essen in der Dritten Liga? Fragen über Fragen.

Übervolle Hütte: Zuschauer beim Revierderby Schalke 04 gegen Borussia Dortmund in der Glückauf-Kampfbahn, 5. März 1961. (© Fotoarchiv Ruhr Museum / Foto: Herribert Konopka)

Eröffnet wird die Schau am kommenden Sonntag (7. Mai) um 18 Uhr – eben dann spielt der BVB ab 17.30 Uhr abermals eine vorentscheidende Partie gegen Wolfsburg. Drum wird keine Dortmunder Kicker-Prominenz im Ruhr Museum erscheinen, wohl aber Dortmunds Oberbürgermeister Westphal. Er wird im Museum ehemaligen Spielern wie Bernard Dietz (MSV Duisburg), Ingo Anderbrügge (vor allem Schalke) oder Hermann Gerland (Wurzeln beim VfL Bochum) begegnen.

Apropos: Ob die Auswahl der Exponate „Schlagseite“ hin zu Schalke und eher weg vom BVB zeigt, mag das Publikum aus verschiedenen Perspektiven beurteilen. Womöglich haben die Leute vom Dortmunder Fußballmuseum das Schlimmste verhüten können. Frotzelei beiseite! Fakt ist, dass auch etliche andere Vereine vorkommen, darunter solche, die es längst nicht mehr gibt, die aber einst Legenden hervorgebracht haben. Überhaupt vermittelt die Ausstellung das erhebende Gefühl, dass es im Revier – aller Rivalität zum Trotz – jede Menge Gemeinsamkeiten gibt.

Neben den Fotografien sind nur ganz wenige „Reliquien“ zu sehen, so das Originaltrikot des 54er-Weltmeisters Helmut Rahn. Der Essener, der das entscheidende Tor zum deutschen Sieg über das hochfavorisierte Ungarn erzielte, ist im Schatten der Zeche Zollverein aufgewachsen. So schließt sich ein Kreis.

1. Kreisklasse vor Kulisse des Kraftwerks Springorum, 10. Januar 1973. (© Fotoarchiv Ruhr Museum / Foto: Manfred Vollmer)

Ausstellung wird bis zum 20. Mai 2024 verlängert

„Mythos & Moderne. Fußball im Ruhrgebiet“. 8. Mai 2023 bis 4. Februar 2024. bis 20. Mai 2024. Ruhr Museum in der Kohlenwäsche, Zeche Zollverein, Essen, Gelsenkirchener Straße 181, 45309 Essen. Geöffnet Mo-So 10-18 Uhr. Eintritt 10 €, ermäßigt 7 €. Jugendliche unter 18, Schülerinnen, Schüler und Studierende unter 25 freier Eintritt. Katalog mit über 480 Abb. 29,95 Euro.

Ermäßigung auch bei Vorlage einer Dauerkarte eines Ruhrgebiets-Vereins oder eines Tickets des Deutschen Fußballmuseums. Mit Ticket der Essener Schau wiederum gibt’s 20% Nachlass auf den Tageskassen-Eintritt ins Fußballmuseum.

www.ruhrmuseum.de

www.tickets-ruhrmuseum.de

 




Der König ist tot – Fußball-Zauberer Pelé starb mit 82 Jahren

Freudentränen nach dem Gewinn der Fußball-WM 1958 (Brasilien – Schweden 5:2): der damals 17-jährige Pelé (Mitte) mit Didi (li.) und Torwart Gilmar. (Wikimedia gemeinfrei / Aftonbladet) – Link zu Angaben bei Wikipedia: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:1958_VM-final_Sverige-Brasilien.jpg

Der König ist gestorben. Pelé (1940-2022), König des Fußballs, den sie (nicht nur) in Brasilien ehrfürchtig just so genannt haben: „O rei“! Als er sein 1000. Tor schoss, läuteten dort vielerorts die Kirchenglocken… Tatsächlich dürfte er jetzt im Fußballhimmel weilen und weiter „zaubern“. Mögliches Motto, sonst anderweitig vergeben: An Gott kommt keiner vorbei, außer Pelé…

Meine frühesten Erinnerungen an Fußball reichen in die Zeit zurück, als er zum weltweit besten Fußballspieler wurde – bis hin zu den Weltmeisterschaften von 1958 (nur noch ganz vage Eindrücke) und 1962, als lediglich per Radio nachts live aus Chile übertragen wurde. Beide Male gewann Brasilien mit dem unvergleichlichen Stürmer Pelé den WM-Titel. Seine dritte WM holte er dann mit der Seleção von 1970. Keinem anderen ist das gelungen. Na klar: Auch damals holten schon Teams die Trophäen, aber nicht ohne herausragende Protagonisten. Bis heute zergehen gereifteren Fußballanhängern die Namen von damals auf der Zunge: Didi, Vavá, Pelé, Garrincha…

Spätestens seit den frühen 60er Jahren war er natürlich auch bei uns im Ruhrgebiet ein Begriff, wie in jenen Zeiten sonst nur noch Uwe Seeler, wenn es um Ausnahme-Könner außerhalb des Revier-Fußballs ging. Nun gut, in den hiesigen Breiten sprach man ihn meist etwas anders aus, nämlich „Péle“ – mit Betonung auf dem ersten „E“. Klang auch gut und mächtig bewundernd; wobei sich sein bürgerlicher Name ohnehin nach höchstem Adel anhörte, zumindest für deutsche Ohren: Edson Arantes do Nascimento.

Zwar hat Neymar ihn mittlerweile eingeholt, was die Summe der Tore für die brasilianische Nationalmannschaft angeht, doch man muss kein Prophet sein, um vorherzusagen: Nie wird dieser überkandidelte Kerl einen auch nur annähernd vergleichbaren Legendenstatus erlangen. Erstens hatte er viel mehr Spiele Zeit zum Rekord, vor allem aber eilt ihm der Ruf voraus und hinterher, häufig mit grotesken Verrenkungen darzustellen, wie schlimm er gefoult worden sei. Pelé hingegen war ein untadeliger Sportsmann.

Pelé durfte – quasi als Nationalheiligtum – nicht bei europäischen Vereinen wie Real Madrid spielen, sondern blieb dem FC Santos von 1956 bis 1974 erhalten, sozusagen per Dekret der damaligen brasilianischen Regierungen. Und jetzt mal Tacheles, da bin ich entschieden konservativ. Für mich ist und bleibt Pelé der größte Spieler der Fußball-Historie, trotz Maradona. Ohne Umschweife schließe ich mich Alfredo di Stefano an, der gesagt hat: „Der beste Spieler aller Zeiten? Pelé. Messi und Cristiano Ronaldo sind großartige Spieler (…), aber Pelé war besser.“

Pelé kam aus ärmlichen Verhältnissen. Als Kind hat er barfuß gekickt, weil die Eltern keine Fußballschuhe kaufen konnten. Als Bälle sollen anfangs zusammengeknüllte Socken oder Grapefruits gedient haben. Straßenfußballer halt. Das waren meistens die allerbesten. Siehe auch Maradona und Messi.

Ob Pelé auch in den heutigen Zeiten des athletischen Hochgeschwindigkeits-Fußballs mitgehalten hätte, sei dahingestellt. Die Ästhetik und die Raffinesse, die er verkörperte, sind jedenfalls weitgehend geschwunden. Wahrscheinlich würden eisenharte Verteidiger einen wie ihn heute mit allen (un)erlaubten Mitteln attackieren und er würde als Sportinvalide enden.

Jetzt aber verneigt sich die Welt, sofern sie den wirklich schönen Fußball noch zu würdigen weiß.




Béla Réthy: Zum Schluss ein paar kleine Lektionen

Fußballreprter Béla Réthy im April 2018 bei einer Pressekonferenz. (Wikimedia Commons, © Olaf Kosinsky / http://www.kosinsky.eu / Link zur Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en)

Staatsaffäre höchsten Ranges: Ein deutscher Fernseh-Fußball-Reporter hört auf. Nach Jahrzehnten. Im ZDF. Béla Réthy. Ach, du meine Güte!

Im WM-Halbfinale Frankreich – Marokko (2:0) hat er seine letzte Messe gelesen. Gottlob gemeinsam mit dem vor nicht allzu langer Zeit emeritierten Ex-Fußballstürmer Sandro Wagner. Der kennt sich nämlich verdammt gut aus und weiß es auch zu kommunizieren. Herrlich, wie dieser Jungspund dem Beinahe-Rentner Béla Réthy auf dessen alte Tage noch ein paar kleine Lektionen erteilt hat, die dieser viel früher hätte gebrauchen können.

Vielleicht wäre Réthy einem ungleich sympathischer gewesen, wenn er einen anderen Job ausgeübt hätte. Synchronsprecher beispielsweise. Mit dieser Kettenraucher-Reibeisen-Stimme. Es hat nicht sollen sein (auch so ein üblicher Reporter-Spruch).

Wie zu lesen war, bekannte sich Béla Réthy bis zum Schluss zur „präsenten Prosa“, sprich: Er wollte spontan reden und mochte sich angeblich nicht groß vorbereiten – anders als der weitaus jüngere, furchtbar eingebildete WC Fuss, der sich auch in den sozialen Netzwerken umtut, bevor er kommentiert. Ungefähr so: „Spieler XY stellt seinen Kumpanen bei Instagram Buchstabenrätsel, schauen Sie mal rein. Es ist lustig.“

Nun ja, Béla Réthy hat sich ebenfalls vorbereitet. Aber eben nach Art seiner Generation. Eher so mit Karteikarten. Old school also. Unvergessen, wie er einst am Mikro das Aussehen eines Spielers mit einer Klobürste verglichen hat. Jetzt bedauert er derlei verbale Eskapaden.

Gerade heute, wo er Spielernamen hätte verwechseln dürfen, hat er es (offenbar) nicht so getan wie sonst. Schön aber, wie er in Katar über die Marokkaner gesagt hat: „Sie sind vielfach hier in Europa geboren.“ Is‘ klar, Béla. Schwamm drüber.

Unvergessliche Brüllwitz-Dialoge auch heute:

Réthy: „Sie (die Franzosen) sind ja auch Weltmeister…“
Wagner: „Du doch auch, oder?“
Réthy: „Noch nicht.“

Vielleicht ja jetzt. Parallel zur Rente. Wie alle, die das Berufsleben weitgehend hinter sich haben. Lauter Weltmeister.

Beide tippten übrigens auf Frankreich als neuerlichen Titelkandidaten. Messi hin, Messi her. Wir werden sehen.

Geradezu rührend Réthys Altersmilde: „Wir verteilen hier keine gelben Karten.“ Stimmt auffallend. Dafür sind tatsächlich andere Leute zuständig.

Schließlich dann doch noch der Köpper ins Klischee. Da die arabische Welt massiv beteiligt war, musste noch der Kracher von „1001 Nacht“ rausgehauen werden. Ehrensache. In diesen Kreisen. Neulich hat noch ein erbarmungswürdiger Kollege zu den Argentiniern „Dann Gute Nacht, Gauchos“ gesagt. Wie einst Heribert Faßbender. Aber 2022. Ich glaube, es war einer von „Magenta TV“ („Mehr WM geht nicht.“). Da sehnt man sich im Voraus fast schon nach Béla Réthy zurück.

Und was ist jetzt mit hundsgemeinen Facebook-Gruppen wie „Béla Réthy gefällt mir nicht“? Nun, irgendwen werden sie schon als Nachfolger(in) finden.

Nicht, dass uns am Ende doch noch seine Stimmlage fehlen wird…




Ein fairer Sportsmann durch und durch – zum Tod von Uwe Seeler

Uwe Seeler am 23. Mai 1968 im Endspiel des Europacups der Pokalsieger: AC Mailand – Hamburger SV 2:0. (Wikimedia / Public Domain. Ron Kroon / Anefo, Nationaal Archief – Link zur Lizenz: https://creativecommons.org/publicdomain/zero/1.0/deed.en)

Für Menschen meiner Alterskohorte gibt es ein paar wenige Gestalten, die eigentlich „immer da waren“ und ohne die man sich das Dasein auf diesem Erdkreis gar nicht vorstellen mag. Bob Dylan und Paul McCartney gehören beispielsweise für viele von uns dazu. Oder auch die Queen. Und auf wiederum anderem Felde: Uwe Seeler. Umso trauriger ist diese Nachricht: „Uns Uwe“ ist heute mit 85 Jahren gestorben.

Der Mann hat seinem Hamburger SV immer und immer die Treue gehalten – geradezu ein Ausbund an Verlässlichkeit, noch so fern von heutiger Wechselwut und Geldgier in der Branche. 1961 schlug er ein Millionen-Angebot von Inter Mailand aus. Seither ist er den Fans im ganzen Land noch mehr ans Herz gewachsen. Müßig zu sagen, dass er auch im Privatleben eine treue Seele war.

Und dann all diese unvergesslichen Szenen: Wie er damals mit hängenden Schultern nach der WM-Finalniederlage 1966 gegen England vom Platz ging; wie er in der Revanche, dem WM-Spiel 1970 gegen England, den sensationellen Hinterkopf-Treffer erzielt hat. Und so weiter…

Auch in Dortmund kamen wir ballversessenen Jungs an einem Vorbild wie ihm nicht vorbei. Sicher, wir bewunderten BVB-Heroen wie Sigi Held und Lothar Emmerich. Doch mindestens auf gleichen Höhen rangierte damals in unserer Vorstellung Uwe Seeler. Er war der Inbegriff des Torschützen, dem Kinder in ganz Deutschland nacheiferten. Wenn einem ein besonders sehenswerter Treffer gelang, hieß es auch im Ruhrgebiet schon mal: „Fast wie Uwe Seela, ey!“

Uwe Seeler, der seine Laufbahn 1972 beendet hat, ist nie Weltmeister geworden und war doch wohl der populärste aller deutschen Fußballspieler. Er war spürbar bodenständig, ehrlich, bescheiden, hatte keine Allüren und schon gar keine Affären. Ein fairer Sportsmann durch und durch.

Ganz gleich, wie man es mit dem Hamburger SV hält – man konnte es jedenfalls nachfühlen, dass Uwe Seeler unter dem Abstieg des Vereins in die zweite Liga gelitten und sich einen Wiederaufstieg sehnlichst gewünscht hat. Wie schade, dass er das nicht mehr erleben durfte.




Ein gelungener Pass ist wie ein gelungener Satz – Was Fußball und Literatur verbindet

Was lösen Fußball und Literatur gleichermaßen aus? Vielleicht Emotionen? Das natürlich auch. In erster Linie aber haben beide das Spielerische gemeinsam, sodass eine gelungene Pass-Stafette einer dito Satzreihe ähneln kann. Das meint jedenfalls der Schriftsteller Ariel Magnus. Zu finden sind derlei Mutmaßungen in einem schmalen Buch, das auf einem Gespräch im Deutschen Fußballmuseum zu Dortmund basiert.

Im Dialog: Manuel Neukirchner, Direktor des Museums, und Ariel Magnus, argentinisch-deutscher Schriftsteller mit spezieller Fußball-Leidenschaft, der 2021 als „Metropolenschreiber Ruhr“ – leider zu Zeiten des Lockdowns – ins Revier kam und das Dortmunder Institut nicht auslassen mochte. Etwas Derartiges, so Magnus, gebe es im fußballverrückten Argentinien nicht. Im Ruhrgebiet hat er sich nicht zuletzt mit der Rivalität zwischen BVB und Schalke befasst. Überdies hält er dafür, das Revier auch mit kennzeichnenden Klischees zu beschreiben – vom Kumpel bis zur Currywurst. Klischees müssten eben sein. Sie dienen der Orientierung und halten sozusagen den Laden zusammen.

Hat Maradona auch die Sprache bereichert?

Neukirchner führt Magnus zu ausgewählten Stationen des Fußballmuseums – vom „Wunder von Bern“ (deutscher WM-Sieg 1954) bis hin zur „Hall of Fame“. Die Exponate und Installationen regen das Gespräch über Fußball und Literatur an, wobei sich Neukirchner eher zurücknimmt, indem er vorwiegend Magnus das Wort überlässt.

Was den Fußball angeht, ist Ariel Magnus von ganzem Herzen Argentinier. Das Stadion von River Plate in Buenos Aires gilt ihm als Tempel, Diego Armando Maradona (1960-2020) als wohl größter Spieler aller Zeiten, was man weit über Argentinien hinaus, wenn nicht global bejahen kann (jedoch nicht in Brasilien, wo Pelé höher rangiert). Auf dem Cover des Buches ist zu sehen, wie Maradona gleich sechs belgische Gegenspieler in Atem hält. Apropos Spielzüge und Sätze: Maradona habe nicht nur in den Stadien begeistert, sondern auch immer wieder mit genialen Äußerungen und Wortspielen die spanische Sprache bereichert. Auf diesem Felde glänze ein anderer argentinischer Weltfußballer überhaupt nicht, behauptet Magnus: „Du wirst nie einen guten Satz von Messi finden.“

Jammerschade, dass Borges den Fußball verabscheute

Der Spielzug-Satz-Vergleich gibt dem Band auch den Titel. Magnus bekennt, den Satzbau bei Thomas Mann besonders zu lieben, so etwas vermisse er im Spanischen. In den besten Phasen deutscher Mannschaften habe es entsprechend hinreißende Passfolgen gegeben. Geradezu tragisch findet es Magnus, dass Argentiniens ruhmreichster Autor, Jorge Luis Borges (1899-1986), ein ausgemachter Fußball-Verächter war. Die deutschsprachige Literatur habe immerhin Größen wie Peter Handke und Günter Grass hervorgebracht, die mit Fußball etwas anfangen konnten. Freilich blieb auch bei ihnen der Sport literarische Episode. Ansonsten fallen noch Namen wie Ror Wolf und F. C. Delius, nicht aber Nick Hornby oder Frank Goosen. Sollte sich da eine Hierarchie andeuten?

Gottfried Fuchs, Lotte Specht und all die anderen

Magnus stellt sich vor, wie der furchtbare SS-Obersturmbannführer und KZ-Organisator Adolf Eichmann, der sich bis 1960 in Argentinien versteckte, 1954 über das „Wunder von Bern“, also den Sieg des (vermeintlich) „neuen“ Deutschland, geflucht haben muss. Ariel Magnus wurde als Kind jüdischer Einwanderer, die vor dem NS-Staat geflüchtet waren, in Argentinien geboren. Er plädiert dafür, die Geschichte deutscher Fußballer jüdischer Herkunft im Museum nicht als isoliertes Kapitel darzustellen, sondern mit dem großen Ganzen zu verknüpfen. Beispielsweise die Geschichte des Gottfried Fuchs, der 1912 bei den Olympischen Spielen einen heute noch gültigen Rekord für eine deutsche Nationalelf aufstellte: Beim 16:0 gegen Russland erzielte er 10 Tore. Menschen wie er, Julius Hirsch, Lotte Specht (1930 in Frankfurt eine Pionierin des Frauenfußballs) und viele andere wurden nach 1933 aus der (Sport)-Historie entfernt. Schreckliche Kontinuität: Noch in den 1980er Jahren fehlten sie in einem neu aufgelegten Album über jene Zeiten.

Sind Kurzgeschichten besser geeignet als Romane?

Wiederholt wird im Gespräch die Frage erwogen, ob es einen großen Fußball-Roman geben könne, der wesentlich über die Anhängerschaft dieses Sports hinauswirkt. Wohl kaum, glaubt Magnus. Wahrscheinlich eigne sich eher die Form der Kurzgeschichte. Oder halt doch die Sprache der Bilder. Womit wir wieder beim Fußballmuseum wären: Zwar haben sie dort ein Original-Maradona-Trikot von der WM 1990 (gestiftet vom einstigen BVB-Stürmer Frank Mill), doch empört sich Ariel Magnus – halb scherzhaft – darüber, dass der argentinische WM-Triumph von 1986 (3:2-Finalsieg gegen Deutschland) hier praktisch nicht stattfinde. Ob das Museum jetzt wohl nach einschlägigen Ausstellungsstücken fahndet?

Ariel Magnus / Manuel Neukirchner: „Wie ein langer Satz. Ein Gespräch über Fußball und Literatur“. Wallstein Verlag. 72 Seiten. 14 Euro.

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…und schon ist (just seit 17. Juni) Manuel Neukirchners nächstes Buch auf dem Markt, es handelt vom legendären WM-Halbfinale 1982 zwischen Deutschland und Frankreich: „Die Nacht von Sevilla. Fußballdrama in fünf Akten“, 152 Seiten, Verlag Delius Klasing, 29,90 Euro.

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Tätääää!

P. S.: Dies ist übrigens ungelogen der 5000. Beitrag in den Revierpassagen.

 




„Alles geben“: Der Fußballer Neven Subotić und seine Abkehr vom rauschhaften Luxusleben

Ganz ehrlich: Dies Buch gehört eigentlich nicht zu der Sorte, die ich getreulich Seite für Seite und Zeile für Zeile durchackern würde. Querlesen tut’s auch. Doch dabei zeigt sich, dass der Fußballer Neven Subotić (unterstützt von der Journalistin Sonja Hartwig) zumindest die Stoffsammlung für eine Art „Entwicklungsroman“ vorgelegt hat, der allerdings keine Fiktion ist, sondern mitten im (un)wirklichen Leben spielt und vielsagend „Alles geben“ heißt.

Neven Subotić, geboren 1988 in Banja Luka (heute Bosnien und Herzegowina) und von Haus aus serbischer Staatsbürger, kommt im Vorfeld des Jugoslawien-Kriegs mit seinen Eltern nach Süddeutschland. Der extrem arbeitsame (und fußballerisch ehrgeizige) Vater schuftet in etlichen Jobs, um die Migranten-Familie über Wasser zu halten.

„Ich bin ein Arbeiter. So wie meine Eltern.“

Als die „Duldung“ in Deutschland fraglich wird, brechen die Subotićs in die USA auf, wo in Salt Lake City und später Tampa ein gänzlich anderes Leben beginnt als in der Provinz bei Pforzheim. Doch Neven bleibt auch dort lange ein Außenseiter in eher kümmerlichen Verhältnissen – nicht nur, was die sportliche Ausrüstung anbelangt. Er und seine Schwester müssen familiär mithelfen, mal beim Klavier-Schleppen, mal beim Putzen oder wobei auch immer. Irgendwann zieht der Jugendliche ein erstes Zwischenfazit seines Lebens, es kennzeichnet später auch seine Präsenz auf dem Fußballplatz: „Ich bin ein Arbeiter. So wie meine Eltern.“

Immer mehr geraten nun fußballerische Belange in den Blick. Im Laufe eines Europa-Trips darf er tatsächlich bei der Jugendabteilung des Edel-Clubs Ajax Amsterdam vorspielen – einstweilen noch ohne Erfolg. Doch sein Kampfgeist ist geweckt. Bald darauf geschieht einer der an Wunder grenzenden Zufälle (oder war’s doch schicksalhafte Bestimmung?): Überraschend, fast wie aus dem Nichts, gehört Neven Subotić auf einmal zu den 40 besten Nachwuchsspielern der Vereinigten Staaten. Qualität setzt sich durch.

Glücksfall Jürgen Klopp – in Mainz und Dortmund

Gleichsam noch heute mit großen Augen staunend, registriert Neven Subotić seinen rasanten sportlichen und sonstigen Aufstieg: In Mainz trifft er – noch so ein Glücksfall – erstmals auf Jürgen Klopp, dem er fortan die entscheidenden Impulse verdankt (und der auch ein warmherziges Vorwort zu diesem Buch beigesteuert hat). Der charismatische Trainer nimmt ihn später mit zu Borussia Dortmund, 2011 und 2012 erringt das Team die deutsche Meisterschaft. Zusammen mit Mats Hummels bildet Neven Subotić beim BVB das jüngste und alsbald beste Abwehr-Duo der Liga (Sportjournalisten-Schnack: „Kinderriegel“). Man ahnt, dass die Titelgewinne auch mit menschlicher „Chemie“ zu tun hatten, die Klopp wie kaum ein zweiter Trainer anzuregen und zu nutzen weiß.

Im Rausch der Erfolge und des großen Geldes kann sich der ärmlich aufgewachsene Neven Subotić nun alles leisten, alles erlauben: ein sündhaft teures Domizil, den Cadillac und ähnliche Premium-Fahrzeuge, exzessiv lange Partynächte und Gelage, serienweise schöne Frauen, die er jeweils schnell wieder fallen lässt.

Stiftung für Brunnenbau in Äthiopien

Irgendwann jedoch befällt ihn Scham über dieses halt- und sinnlose Leben ohne jede Verantwortung. Nicht häufig, aber zuweilen eben doch gibt es diese Geschichten der gründlich geläuterten Menschen (berühmteste, gar zu hoch gegriffene Beispiele: Buddha oder der Heilige Franziskus), die ob der Ödnis eines rauschhaften Lebens in Saus und Braus irgendwann ins tiefe Nachdenken geraten sind und sich zur Umkehr entschlossen haben.

Von Subotićs Umkehr handelt die zweite Hälfte des Buches. So wie er auf dem Platz alles gegeben hat, setzt er sich mit seiner 2012/13 gegründeten Stiftung für eine der ärmsten Weltregionen in Äthiopien ein. Hauptanliegen ist der dort bitter notwendige Brunnenbau, also die Verwirklichung des Menschenrechts auf sauberes Wasser. Dieser Aufgabe widmet Neven Subotić längst einen Großteil seiner Zeit und Kraft – und fragt sich doch, nahezu selbstquälerisch, ob er wirklich von sich behaupten kann, er würde „alles geben“.

Wie ein Mensch im Büßergewand

Eine Angabe taucht immer wieder auf, nämlich die der Quadratmeter, auf denen Neven Subotić nach und nach gewohnt hat; zunächst auf beengten 17 Quadratmetern eines Mainzer Dachgeschosses, dann auf auch noch recht bescheidenen 45 Quadratmetern, danach immerhin auf 80 qm. Kaum war er Stammspieler bei Borussia Dortmund, diente man ihm ein Riesenhaus mit 220 Quadratmetern und allen Schikanen an. Und heute? Lebt er mit Freundin auf 90 Quadratmetern und findet, das sei eigentlich zu viel. Manchmal klingt er wie jemand, der sich mönchisch kasteien möchte, wie ein Mensch im Büßergewand. Vor allem aber sagt er, wollte man es biblisch formulieren: Folget mir nach! Das andere Extrem zu seinem früheren Luxusrausch.

Fest steht, dass Neven Subotić, abseits von allen oberflächlichen Image- und Marketing-Fragen, auf seiner Sinnsuche ausgesprochen authentisch und sympathisch wirkt. Nur sehr wenige Fußballspieler erlangen diesen menschlichen Reifegrad. Es wäre schön, wenn sich sein Beispiel auf andere Millionäre jeder Couleur auswirken könnte, nicht nur auf prominente Kickerkollegen. Dass Subotić bei den Fans, insbesondere natürlich den schwarzgelb orientierten, für alle Zeit einen dicken Stein im Brett hat, ist ohnehin klar.

Neven Subotic (mit Sonja Hartwig): „Alles geben“. Kiepenheuer & Witsch, 272 Seiten. Mit einem Vorwort von Jürgen Klopp und einigen Farbfotos. 22 Euro.

 

 




Der BVB verteilt alljährlich über 155.000 Plastikkarten – muss das denn sein?

Hiermit oute ich mich als Mitglied des BVB – und möchte mich gleich in eine schwarzgelbe Angelegenheit einmischen. Nein, es geht nicht um die sportliche Situation. Auch nicht um irgendwas mit Corona. Sondern? Um die Öko-Chose.

Ich weiß nicht, wie das bei anderen Clubs läuft. Beim BVB bekommt man jedenfalls alljährlich eine neue Mitgliedskarte – aus Plastik. Moment mal! Das hört sich jetzt nicht allzu nachhaltig an, oder? Und was man da an Geld sparen könnte, wenn man die Dinger nur alle paar Jahre austauschen würde! Material- und Personalkosten. Postgebühren. Hallo, Herr Watzke?! Geld sparen…

Jedes Jahr eine neue schwarzgelbe Mitgliedskarte… (Foto: BB)

Liegt die Wechselfreudigkeit etwa daran, dass es jetzt ein anderes Trikot-Design mit geändertem Sponsor gibt, so dass das Foto auf der Karte nicht mehr damit übereinstimmt und der neue Sponsor sich beklagen könnte? Keineswegs. Auf meinem nagelneuen Mitgliedsausweis für 2022 ist ein Pokalsieger-Jubelfoto von 2012 zu sehen, also aus glorreichen Kloppo-Zeiten – mit Spielern wie Lewandowski, Kagawa, Gündogan, Kehl und Weidenfeller, die damals die Bayern im furiosen Finale mit 5:2 abgefertigt haben. Sie trugen Trikots, die inzwischen längst nostalgisch wirken.

Mal ehrlich: Ich muss nicht immerzu durch die Mitgliedskarte daran erinnert werden, dass wir jetzt 2022 haben. Und es geht ja um richtige Mengen. Der BVB hat über 155.000 Mitglieder, also werden dieser Tage mal wieder entsprechend viele Plastikkarten ausgegeben. Den bedrohlichen Berg muss man sich einmal bildlich vorstellen. Die abgelaufenen Exemplare werden ja mutmaßlich weit überwiegend weggeworfen. Devotionaliensammler vielleicht ausgenommen.

Zwei Unterschiede weist die neue Karte im Vergleich zur alten auf, von einer geringfügig geänderten Schriftart mal abgesehen: Zum einen fehlt diesmal die Nummer der Ticket-Hotline (warum?), zum anderen ist eine Art Prüfziffer hinzugekommen. Apropos: Die Frage nach der Gültigkeit – z. B. wegen des Vorrangs beim Ticketkauf – muss sich doch anders lösen lassen, als durch eine immer und immer wieder ersetzte Karte; zum Beispiel durch einen informativen Magnetstreifen (selbstredend unter strengster Beachtung des Datenschutzes). Giro- oder Kreditkarten werden doch auch nicht jährlich ausgewechselt.

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P. S.: Das Beratungshonorar nach üblichen BVB-Sätzen bitte auf mein Konto.

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Nachtrag am 11. März 2023:

Nanu! Soeben (pünktlich zum Tag des Revierderbys) ist der Mitgliedsausweis für 2023 ff eingetroffen – mitsamt einer Mitteilung, die tatsächlich auf Nachhaltigkeit hinausläuft. Zitat:

„Als Beitrag zum Klima- und Umweltschutz hat dieser Mitgliedsausweis eine Gültigkeit von 09 Jahren, also in diesem Falle für die Jahre 2023 bis 2031. Damit können wir über die Jahre hinweg gerechnet mehr als eine Million Plastikkarten einsparen.“

Bravo! Geht doch! Und, wie gesagt: Das Honorar zu den üblichen Sätzen… 😉




Kultur mit Kick: Martin Suter legt Roman über „Schweinis“ Leben vor

Miteinander einverstanden: Martin Suter (li.) und Bastian Schweinsteiger (Foto: © Marco Grob)

Der in Zürich beheimatete Diogenes-Verlag zählt zu den renommiertesten in deutschsprachigen Landen. Nun aber diese Diogenes-Pressekonferenz in Berlin. Auch und gerade Journalist*innen von Bild, RTL und Radio Schlagerparadies stellen ihre Fragen. Nicht gerade die kultursinnigsten Medien. Was ist denn da los?

Martin Suter, Schweizer Schriftsteller von einigen Graden und Gnaden, hat ein Buch über den weltmeisterlichen Fußballer Bastian Schweinsteiger geschrieben. Da wittert halt auch der Boulevard womöglich knackige „Geschichten“. Ein „Bild“-Mann – schon spürbar gierig auf die Schlagzeile – will gar Näheres zu einer Roman-Sequenz wissen, in der sein Blatt vorkommt. Derlei Begehrlichkeiten mag Martin Suter denn doch nicht bedienen.

Warum hat sich Suter das überhaupt angetan? Sind ihm etwa die fiktionalen Themen ausgegangen? Wohl kaum. Er stellt es so dar: Ein Schriftsteller solle jede Art des Schreibens einmal ausprobiert haben. Also auch einen von der Hauptperson freudig abgenickten und autorisierten biographischen Roman, der sich nach Suters Bekunden eng an der Wirklichkeit orientiert. Nicht das „Was“ habe er erfunden, allenfalls das „Wie“. Und so habe er sich denn präzisionshalber etliche Spielszenen mit „Basti“ Schweinsteiger angesehen, um auch ja im Roman z. B. den Passgeber zum Soundso-Tor korrekt zu benennen oder um nicht einen Volleyschuss mit einem Dropkick zu verwechseln. Damit ihm bloß keine Beschwerden von Fußballfans kommen! Übrigens habe das Buch weitaus mehr Arbeit bereitet als anfangs angenommen. Zweimal musste der Erscheinungstermin verschoben werden. Jetzt ist es am 26. Januar so weit. Die turmhohen Buchstapel dürften dann kaum zu übersehen sein.

„Unmöglich“? Gibt’s nicht!

Wie kam es überhaupt zu diesem Romanprojekt, das offenbar als eine vorwiegend heitere „Heldensage“ gelten darf? Verlag und Autor verbreiten unermüdlich diese Version: Schweinsteiger (heute 37 Jahre alt) habe es lange Zeit abgelehnt, Gegenstand einer Lebensbeschreibung zu werden – bis eines Tages ein guter Freund (den er nicht nennen möchte) meinte, dass eine literarische Biographie doch etwas anderes wäre. Er sagte auch gleich, dass Martin Suter ein idealer Schriftsteller für eine solche Aufgabe wäre. Freilich setzte er hinzu: „Unmöglich, das macht der nicht.“ Darauf Schweinsteiger mit seinem sonnigen Gemüt: „Was ist das, unmöglich?“ Sprach’s, lachte optimistisch und leitete eine entsprechende Anfrage ein. Martin Suter erinnert sich, er habe nur eine Stunde überlegen müssen und sei angetan gewesen. Bastian Schweinsteiger sei einer, der sich nicht für etwas Besonderes halte; ein „Jetzt-Mensch“ und „Moment-Mensch“. Ein erstes Treffen auf dem Zürcher Flughafen habe ihn vollends überzeugt. Man sei einander gleich sympathisch gewesen, habe sich nach ein paar Minuten geduzt und viel gelacht. Ja, man habe einander – es war zu Beginn der Corona-Pandemie – tatsächlich die Hände geschüttelt.

Es beginnt mit einem kuriosen Eigentor

Es folgten viele weitere Gespräche und Nachfragen, vor allem per Videokonferenz. Auch lange Gespräche mit Schweinsteigers Vater gehörten zum Recherche-Pensum. Kindheit und Jugend spielen folglich eine gehörige Rolle in dem Roman, der mit einem kuriosen Eigentor des jungen „Basti“ beginnt. Gleich der erste Entwurf, seinerzeit rund 340 Seiten lang, habe ihm bestens gefallen, sagt Bastian Schweinsteiger. Als „Geschenk für mich“ betrachte er das Buch heute. Und überhaupt: Das Leben und die Freude daran seien ihm stets wichtiger gewesen als der bloße Fußball. Dennoch erfährt man aus dem Buch beispielsweise auch, welche Trainer „Basti“ im Laufe der Karriere weniger gut gefallen haben. Positiv hebt er indes Hitzfeld und Heynckes hervor.

Den Heiratsantrag exklusiv geschildert

Auf der (übrigens vom TV-Kommentator a. D. Marcel Reif moderierten) Pressekonferenz tauschte man heute gar viele Nettigkeiten aus – vor allem, als auch noch Schweinsteigers Frau Ana Ivanovic, die aus Serbien stammende Tennisspielerin und einstige Nummer Eins der Damen-Weltrangliste, aufs Podium gebeten wurde. Da kamen dann auch solche Fragen wie die, was Schweinsteiger von ihr über die Liebe gelernt habe. Hach ja. Wie rührend. Die beiden sind ja auch ein sympathisches Paar. Apropos: Martin Suter ist ein wenig stolz darauf, dass er „Bastis“ originellen Heiratsantrag exklusiv in den Roman einbauen durfte. Sonst gebe es jedoch keine „Enthüllungen“.

Dass allerdings der Buchtitel, um ihn endlich zu nennen, „Einer von euch“ lautet, mutet denn doch etwas merkwürdig an. Mag auch „Basti“, wie der Roman unentwegt nahelegt, ganz normal aufgewachsen sein und die Bodenhaftung nicht verloren haben, so sind er und seine Gattin doch als Multimillionäre in andere Sphären entrückt. Zu hoffen wäre, dass Suter nicht den Mythos befördern möchte, jede(r) von uns könne einen solchen Weg beschreiten. Aber wenn etwa Kinder daraus (gerade in diesen Zeiten) Zuversicht schöpfen, ist es natürlich in Ordnung.

Millionenschweres „Bestseller-Marketing“

Bastian Schweinsteiger, der früher einmal gesagt hat, er lese lieber tausend Spiele als ein Buch und dem die auch Suter-Lektüre über sich selbst („So viele Seiten am Stück“) erklärtermaßen schwergefallen ist, möchte künftig deutlich öfter zur gepflegten Lektüre greifen. Seine Frau sei eine begeisterte Leserin und man habe daheim viele Bücher im Regal. Seinerseits möchte er z. B. den einstigen Bayern- und National-Mitspielern Thomas Müller und Oliver Kahn Exemplare des Suter-Romans zueignen.

Freimütig gebe ich zu, den Roman über „Schweini“ nicht zur Gänze gelesen, sondern nur einige Passagen via pdf-Download überflogen zu haben. Viel mehr Bedarf habe ich auch nicht. Die Seiten lasen sich recht leicht, aber nicht seicht und mögen – wie es zwischendurch aus Schweinsteigers Sicht hieß – durchaus als „Mutmacher“ mit gelegentlichem Tiefgang taugen. Nicht unbedingt das Kerngeschäft eines traditionsreichen, literarisch ausgesprochen ambitionierten Verlages. Aber bitteschön. Vielleicht können sie von den Einnahmen ja ein paar hoffnungsvolle Debütanten fördern.

Diogenes stößt mit diesem Roman in bislang ungekannte Dimensionen vor. Man lasse sich die folgenden Stichworte zum „Bestseller-Marketing“ auf der Zunge zergehen. Wir zitieren auszugsweise:

„Infoscreens und Citylights 5,7 Mio. Kontakte
instagram.com/bastianschweinsteiger 10,5 Mio. Follower
facebook.com/bastianschweinsteiger 8,6 Mio. Fans
Große Online-Kampagne…“

Seid umschlungen, Millionen!

Martin Suter: „Einer von euch. Bastian Schweinsteiger“. Roman. Diogenes-Verlag. 384 Seiten, 22 Euro.

 




Trainer, der stressigste aller Jobs – ein neues Standardwerk von Dietrich Schulze-Marmeling

Wären wir in anderen Gefilden als in denen des Fußballs, müsste man wohl gravitätisch von einem Opus magnum sprechen, von einem wahrhaftigen Hauptwerk. Ob wir’s ’ne Nummer kleiner haben? Ja, klar: Dietrich Schulze-Marmelings Buch „Trainer! Die wichtigsten Männer im Fußball“ (mit Ausrufezeichen) dürfte für längere Zeit d a s deutschsprachige Standardwerk zum Thema bleiben.

Es handelt sich um nicht weniger als eine profunde Geschichte des nationalen und internationalen Trainerwesens von den Anfängen bis heute. Obwohl das Personenregister am Ende des Bandes zahllose Namen umfasst, erschöpft sich das Buch keineswegs im Namedropping. Im Gegenteil: Der Autor, der über ein umfangreiches Archiv verfügen muss, bearbeitet seinen Gegenstand ausführlich, gründlich, gewissenhaft und durchweg ernsthaft. Hin und wieder verzeichnet er zwar unterhaltsame Vorfälle, doch versagt er sich den flotten oder fruchtlos humorigen Zugriff, der ihm ohnehin nicht entspräche. Fußball ist ja auch eine furchtbar ernste Sache, wie wir spätestens seit dem unsterblichen, oft und gern zitierten Diktum des schottischen Liverpool-Erfolgstrainers Bill Shankly wissen: „Einige Leute halten Fußball für eine Sache auf Leben und Tod. Ich mag diese Einstellung nicht. Ich versichere Ihnen, dass es viel ernster ist!“ 

Der 1956 in Kamen geborene Schulze-Marmeling hat seit 1992 schon regalmeterweise Fußballbücher verfasst. Er zählt zweifellos zu den führenden deutschen Fachleuten. Zudem hat er selbst (unterklassige, aber offenkundig wertvolle) Erfahrungen als Trainer gesammelt. Er hebt mit einer längeren Vorbemerkung an, in der einige Grundzüge des Profi-Trainerjobs, der ihm zufolge stressigsten aller Tätigkeiten, dargestellt werden. Deutliche Kritik ist inbegriffen – an Managern, Funktionären und sonstigen Vereinsbossen, die bei Misserfolgen rasch den vergleichsweise unterbezahlten Trainer, aber nicht die immens teuren Spieler feuern, die es schließlich auf dem Platz vergeigt haben. Sei erst einmal angepfiffen, könne der Trainer nicht mehr allzu viel bewirken. Herbe Kritik übt Schulze-Marmeling auch an neu-gierigen Medien, die nach Trainerentlassungen geradezu jiepern, wenn sie sie nicht gleich selbst mit herbeiführen.

Der Autor Dietrich Schulze-Marmeling (Verlag Die Werkstatt)

Sodann geht es durch all die vielen Jahrzehnte seit der Entwicklung des Spiels im „Mutterland“ England. Alsbald schwärmten englische Trainer auf den Kontinent aus, um dort fußballerische „Entwicklungshilfe“ zu leisten, so wie dies (viel später, phasenweise wechselnd und mit anderen geographischen Zielrichtungen) Übungsleiter z. B. aus Ungarn, den Niederlanden oder neuerdings Deutschland (Klopp, Tuchel) getan haben. Ein Leitmotiv, das sich durch das Buch zieht, ist auch die allmähliche Evolution der Spielstile vom anfänglichem Gebolze hin zu späteren Raffinessen wie Zirkulation, Ballbesitzfußball, Pressing und Gegenpressing sowie zunehmend datengestütztem Laptop-Trainertum. Doch geht es ohne Empathie und Emotionen? Nein und nochmals nein.

Aber noch einmal zurück. Hand aufs Herz: Hat jemand den Namen Richard Girulaitis schon einmal gehört? Der darf nach Schulze-Marmelings Ansicht als Ahnherr aller späteren deutschen Fußballtrainer gelten. Näheres lese man im Buche nach.

Und so geht es weiter durch die Zeitläufte. Der Autor schildert jede Menge spannende Episoden und Epochenbrüche, spart selbstverständlich auch politische Verwicklungen und Abgründe nicht aus. So hat der einstige „Reichstrainer“ Otto Nerz es fertiggebracht, sich vom Sozialdemokraten zum Nazi zu entwickeln, der sich als Zuchtmeister mit Kasernenhofton gerierte und Spieler nicht als Individuen respektieren mochte. Ähnliche Typen (wie Hans „Bumbes“ Schmidt) waren damals leider bei Schalke am Werk.

Nicht zuletzt jüdische Shoa-Überlebende aus Ungarn – wie z. B. Ernö Erbstein – haben nach dem Zweiten Weltkrieg als Trainer Fußballgeschichte geschrieben, haben letztlich auch dafür gesorgt, dass Ungarns Nationalteam seinerzeit selbst das lange als unschlagbar geltende England überflügelte und damals das neue Maß aller Dinge war – bis zum Endspiel der WM 1954… Nach dem Ungarn-Aufstand und dessen Niederschlagung (1956) gingen auch viele Fußballer ins Exil. Selbst der legendäre brasilianische WM-Sieg von 1958 (u. a. mit Pelé und Garrincha) hatte danach ungarische Miturheber.

Über die gar spät erfolgte Gründung der Bundesliga (Spielbetrieb ab 1963) und die unselige Erfindung des Betonfußballs (Catenaccio) geht’s weiter in die 1970er, in denen auch der Fußball so manche Fessel abstreifen und Johan Cruyff seine Ideen vom offensiven „Totaalvoetbal“ entfalten konnte. England war inzwischen in die Zweitklassigkeit abgerutscht. Bevor sich die dortigen Vereine und die Nationalmannschaft wieder berappeln konnten, musste – wie wir anschaulich erfahren – erst einmal die vehemente „Saufkultur“ in den Kabinen ausgetrocknet werden.

Schließlich rücken wir an die Gegenwart heran – mit den Reformern Klinsmann und Löw, mit der Rivalität zwischen Mourinho und Guardiola…

Genug der angerissenen Einzelheiten. Man kann hier nur skizzieren, was Schulze-Marmeling sehr instruktiv ausbreitet. Bei dieser Lektüre lässt wirklich einiges lernen. Gar nix zu meckern? Doch. Ein kleines bisschen. Das Cover hätte man sich etwas geschmackvoller gewünscht. Und an dieser oder jener Stelle ließe sich gut und gerne ein wenig nachredigieren.

Was gäbe es noch zu sagen? Ach so, ja: Hier haben wir ein ziemlich ideales Weihnachtsgeschenk für Fußballanhänger mit gewissem Anspruch.

Dietrich Schulze-Marmeling: „Trainer! Die wichtigsten Männer im Fußball“. Verlag Die Werkstatt, Bielefeld. 384 Seiten, Paperback, mit zahlreichen Fotos. 29,90 Euro.




Starker Auftakt: Neues Frauenteam des BVB gewinnt im allerersten Punktspiel gleich 8:0

Olé, hier kommt der BVB, und zwar das Frauenteam (zum Schlussapplaus). (Foto: Bernd Berke)

Also, davon muss nun auch einmal berichtet werden: Der ruhmreiche BVB hat jetzt (endlich, endlich!) ein Fußball-Frauenteam, das heute gleich fulminant in den Punktspielbetrieb eingestiegen ist – mit einem 8:0-Heimsieg gegen den BV Brambauer.

So drückend überlegen waren die BVB-Damen, dass Brambauer nur ganz selten gerade mal über die Mittellinie kam und im gesamten Spiel keine einzige Torchance hatte.

Wir reden von der Kreisliga A, in der die brandneue BVB-Formation startet, um sich vielleicht und hoffentlich von Saison zu Saison hochzuarbeiten. Kreisliga? Nun ja. Immerhin 1625 Zuschauerinnen und Zuschauer waren ins altehrwürdige Stadion „Rote Erde“ gepilgert – mehr als zu jedem Frauen-Bundesligaspiel dieses Wochenendes. Okay, die Karten wurden zum Auftakt verschenkt. Doch es wären wohl nicht viel weniger Leute gekommen, wenn die Tickets beispielsweise 5 Euro gekostet hätten.

Der starken Leistung zollten auch die BVB-Bundesligaspieler Mats Hummels und Marcel Schmelzer ihren Respekt. Nach dem Schlussjubel stellten sie sich mit den Fußballfrauen zum Gruppenbild auf.

Hier die Namen der Torschützinnen: Zabell (2), Heim (2), Glänzer, Goosmann, Lau, Klemann. Sie und ihre Mitspielerinnen wird man sich – zumindest in und um Dortmund – merken müssen. Wenn ich aus der bemerkenswerten frauenschaftlichen Geschlossenheit eine Spielerin hervorheben sollte, so wäre es Kapitänin Lisa Klemann, die in jeder Szene ganz und gar auf Höhe des Geschehens war und zuweilen drei oder vier gegnerische Akteurinnen beschäftigte. Bravo!

P. S.: Was generell mal wieder auffiel beim Frauenfußball, lässt sich eher aus der Verneinung heraus beschreiben: keine allzu ruppigen Szenen, keine offenkundigen Machtkämpfe, kein albernes „Markieren“ von Fouls. Na, und so weiter.

Auch die Bundesliga-Spieler Mats Hummels (Mitte) und Marcel Schmelzer (links) gratulierten den BVB-Frauen. (Foto: Bernd Berke)




Der BVB feiert den Pokalsieg: Ach, wenn doch der Trainer und viele Spieler bleiben würden!

Dortmunder Jubel über den Pokalsieg (Screenshot der ARD-Übertragung)

Tja, was soll man da sagen, da ist man beinahe sprachlos: Mit einem verdienten 4:1 hat Borussia Dortmund gegen RB Leipzig den DFB-Pokal gewonnen. Darauf hätte man vorher nicht unbedingt gewettet. Nicht in dieser Höhe. Nicht in dieser Art und Weise.

Edin Terzic, bis vor kurzer Zeit noch Assistenz-Trainer von Lucien Favre, hat diese Mannschaft insgesamt und hat einzelne Protagonisten sehr schnell besser gemacht. Er hat spürbar Herzblut einfließen lassen. Spieler wie Marco Reus, Mo Dahoud und Manuel Akanji sind unter seiner Ägide geradezu aufgeblüht. Jadon Sancho hat sein Formtief überwunden. Und von Erling Haaland ist nur in den höchsten Tönen zu reden. Um nicht all die anderen zu erwähnen, die wesentliche Anteile am Erfolg haben. Mats Hummels ohnehin. Guerreiro, Bellingham. Aber auch der 35jährige „Oldie“ Łukasz Piszczek, der mit diesem Titel seine Profikarriere beendet, bei dem darob Tränen der Freude flossen und den die ganze Mannschaft heftig hochleben ließ. Das waren schon erhebende, ja berauschende Momente, wenn man es mit den Schwarzgelben hält!

Was nun?  Kaum auszudenken, wenn sie sich jetzt auch doch noch die Teilnahme an der Champions League sichern. Sie sind auf dem besten Wege. Man möchte es bedauern, dass Trainer Terzic nach dieser Saison entweder wieder in die zweite Reihe rückt oder bei einem anderen Club sein Glück sucht, weil es ja beschlossene Sache ist, dass Marco Rose als neuer Cheftrainer aus Mönchengladbach kommen wird. Doch es ist kaum anzunehmen, dass Terzic einen Verein finden wird, mit dem er so innig verbunden ist, wie mit dem BVB. Vielleicht sieht man ihn eines Tages, zum Spitzentrainer gereift, in Dortmund wieder. Hoffentlich behält die Mannschaft jetzt und bis dahin ihr enormes Potential. Zu dem oder jenem sagen wir laut und deutlich: hiergeblieben! Doch ob sie auf uns hören?

Und jetzt wird erst einmal gefeiert. Aber hübsch coronagerecht, nech?!




Adieu, Monsieur Favre! Der BVB hat den Trainer entlassen – und was passiert jetzt?

Das war’s also für Lucien Favre in Dortmund. Die BVB-Bosse Hans-Joachim Watzke und Michael Zorc haben den Trainer (nach einer erbärmlichen 1:5-Heimniederlage gegen den Aufsteiger VfB Stuttgart) entlassen, im Boulevard-Jargon: „gefeuert“. Erstaunlich schnell, erstaunlich konsequent. Man denke vergleichsweise an das Gewürge rund um Nationaltrainer Jogi Löw nach dessen 0:6-Debakel gegen Spanien.

Die Luft ist ‘raus – jedenfalls aus diesem Ball. (Foto: Bernd Berke)

Tatsächlich vertrug sich das gestern so desolate Auftreten der BVB-Mannschaft überhaupt nicht mehr mit den hohen Ansprüchen des börsennotierten Vereins. Drei verlorene Heimspiele hintereinander, das kommt in Dortmund sozusagen gar nicht in die Tüte.

Gewiss liegt nicht jeder verlorene Zweikampf, jeder unterlassene Sprint, jede verpasste oder gar nicht erst generierte Chance in unmittelbarer Verantwortung des Trainers. Auch über die Leistungsverweigerung einzelner Spieler sowie das hie und da unglückliche Konstrukt des Teams wäre zu reden, wobei – nach meiner bescheidenen Meinung – der schon seit längerer Zeit als Spieler und Motivator herzlich wirkungslose Marco Reus von der Kapitänsbürde befreit werden sollte; vorzugsweise zugunsten von Mats Hummels.

Rätselhafte Einwechslungen

Die gestrigen Einwechslungen, nun aber wirklich ureigene Sache des Trainers, waren eigentlich nicht mehr nachvollziehbar: Wenn der BVB schon so abhängig vom (derzeit verletzten) Erling Haaland ist, warum bringt Favre dann den gelernten Mittelstürmer Youssoufa Moukoko erst fünf Minuten vor Schluss in Spiel? Weil er erst 16 Jahre alt ist? Du meine Güte! Statt dessen musste mit Reinier recht früh ein nicht allzu profilierter Auswechselspieler auflaufen, der gerade erst von einer Corona-Infektion genesen war…

Gewiss: Unter Lucien Favre (63) hat der BVB in 110 Spielen – das gestrige eingerechnet –einen beachtlichen Punkteschnitt von 2,08 erzielt, nur Thomas Tuchel war nach dieser Statistik einen Hauch erfolgreicher, er brachte es auf 2,09. Auch hat Favre mit der Mannschaft immerhin zwei Vizemeistertitel geholt, wobei man jedoch im ersten Jahr einen deutlichen Vorsprung gegenüber Bayern München leichtfertig verspielte. In der Champions League, in der sich der BVB mittlerweile dauerhaft etabliert hat, ist man jeweils im Achtelfinale ausgeschieden.

Kein Mann für Titel und entscheidende Spiele

Favre war offensichtlich kein Mann für die entscheidenden Spiele, das war auch schon bei seinen vorherigen Vereinen (Hertha, Gladbach, Nizza) so gewesen. Überall einige schöne Erfolge, doch niemals der Durchbruch zu Titeln. Das setzte sich auch in Dortmund fort. Wenn es beispielsweise gegen die Bayern ging, fuhr man regelmäßig Niederlagen ein. Zeitweise spielte der BVB zwar auch schon mal begeisternden Fußball, doch zwischendurchs gab’s immer wieder herbe Rückschläge und äußerst bräsige Darbietungen, vor allem gegen Teams aus der unteren Tabellenregion. Und wenn von Spitzentrainern erwartet wird, dass unter ihrer Ägide möglichst jeder einzelne Spieler besser werde als zuvor, so schaue man sich die stagnierende Entwicklung mancher BVB-Akteure an…

Der Franko-Schweizer Lucien Favre ist ein Fußballfachmann vor dem Herrn, man könnte ihn sich gut und gern als Professor seines Metiers vorstellen, wenn er nur eloquenter wäre. Überdies ist er offenbar ein empfindsamer, feinsinniger Monsieur mit Faible für die leiseren Töne; absolut keiner, der polternd auftrumpft oder lautstark mitreißt. Eigenschaften, die man privat und menschlich unbedingt sympathisch finden kann. Freunde leidenschaftlicher, notfalls auch spektakulärer Auftritte mochten allerdings am liebsten aus der Haut fahren, wenn sie sein oft allzu ruhiges Gebaren an der Seitenlinie verfolgten. Da wirkte er gelegentlich wie ein Zauderer. In Dortmund ist man – spätestens seit dem Meistermacher Jürgen Klopp, der auch von der Mentalität her in diese Stadt passte – anderes gewohnt.

Und wer will wohl nach Dortmund wechseln?

Auch Favres Pressekonferenzen vor den Spielen waren eher quälende Exerzitien. Überhaupt nichts Konkretes zu Taktik und Aufstellung wollte er den versammelten Medienleuten verraten – und immerzu redete er den nächsten Gegner stark („gefährliche Mannschaft“), zuweilen über die Maßen. Derlei Mitteilungen schleifen sich schnell ab. Und viel mehr kam dann meistens auch nicht hinterher.

Jetzt wird hinter den Kulissen sicherlich nach einem neuen Übungsleiter von Rang gesucht. Immer wieder zu hören sind Wunschnamen wie Ralf Rangnick (derzeit kein Trainerjob), Marco Rose (jetzt Borussia Mönchengladbach) oder Adi Hütter (Eintracht Frankfurt), deren Wechselwille durchaus bezweifelt werden kann. Erst recht dürfte Julian Nagelsmann erst einmal in Leipzig bleiben wollen, wo er durchaus reüssiert.

Vorerst soll Ko-Trainer Edin Terzic (38) das BVB-Training übernehmen, angeblich bis zum nächsten Sommer. Er wäre nicht der allererste „Unbekannte“, der mehr aus einer Mannschaft herausholt, als man zu hoffen wagte.

(mit Infos aus verschiedenen Online-Medien) 




Streckenbilanz, Realformation, Torwahrscheinlichkeit – ein paar Mitteilungen über den Fernseh-Fußball der Jetztzeit

Irgendwo da draußen im Lande: ein Fußballtor im Grünen. (Foto: Bernd Berke)

Wie oft hat man sich schon über Fußballkommentatoren aufregen müssen. Man ist ja schließlich kundig und objektiv – die professionellen Schwätzer*innen hingegen…

Wünschte man sich nicht manchmal, es säßen oder stünden Roboter am Mikro, desgleichen vor den Kameras? Doch nein. So unterkühlt hätte man’s auch nicht gern. Aber nochmals halt! Wahrscheinlich ist es längst kein Problem mehr, etwaigen Kommentar-Robotern gezielt und dosiert Emotionen beizubringen, in Mischungen nach Wunsch.

Die Künstliche Intelligenz, das hat sich schon vielfach gezeigt, beherrscht die nicht allzu ausufernde Fachsprache des Fußballsports recht schnell und perfekt. Vom korrekten Registrieren der Ergebnisse ganz zu schweigen. Ja, inzwischen ist die Entwicklung so weit, dass auch schon beachtliche Feuilleton-Texte generiert werden können. Wahrscheinlich muss man vorher nur oft genug Worte wie opak, verstörend oder Narrativ hochladen, dann wird das schon.

Doch zurück zum Fußball. Schon seit Jahren werden Fernsehübertragungen immer mehr mit Statistiken vollgepfropft, bis hinab zur Ebene des einzelnen Spielers, der z. B. am 5. November vor genau vier Jahren sein letztes Fallrückzieher-Tor erzielt oder ein elfmeterreifes, aber ungeahndetes Foul begangen habe, woraufhin… Regelrechte Absurditäten werden in den Datenbanken festgehalten – und nimmermehr gelöscht. Jetzt schleppen sie das ganze Zeug mit sich rum. Allerlei Transfergerüchte werden gelegentlich hechelnd mitgeliefert.

Ungewissheit sorgt für Gesprächsstoff

Vor allem aber ist die TV-Berichterstattung über Fußball immer mehr mit scheinbar fehlerlosen Kontroll-Techniken unterfüttert worden. Ausgeklügelte Torlinienberechnungen wären zu nennen, mit deren Hilfe es anno 1966 nie zum legendären „Tor von Wembley“ gekommen wäre. Nicht auszudenken. Generationen von Männern hätten des Gesprächsstoffs ermangelt und betrübt in ihr Bier geblickt, wenn nicht still ins Glas geweint. Dieses flaue Gefühl sorgt auch dafür, dass Videoassistenten (VAR) die wohl ungeliebtesten Protagonisten im Umfeld des Sports sind. Sie haben einem schon so manches Tor verhagelt, das man bereits bejubelt hatte. Zuweilen haben sie’s erst nach Minuten des Hoffens und Bangens versaubeutelt.

Die Messung der Schussgeschwindigkeit (wie schnell ist der Ball geflogen?) ist ein vergleichsweise alter Hut. Etwas neueren Datum sind Streckenberechnungen: Wie viele Kilometer hat ein bestimmter Spieler oder ein ganzes Team auf dem Rasen zurückgelegt? Waren es bei einem Kicker nur 8 und nicht 10 Kilometer in rund 90 Minuten, so ist der heimische Sesselhocker geneigt, ihn als „Stehgeiger“ zu bezeichnen. Etwas Respekt nötigt ihm zwischen zwei Pils höchstens die gleichfalls verzeichnete Sprint-Höchstgeschwindigkeit beim Match ab, die auch schon mal mehr als 34 km/h beträgt. Da ist man doch zum Kühlschrank eher etwas langsamer unterwegs. Ansonsten gleicht man als Zuschauer jenen Spielern, die sich in letzter Zeit bei gegnerischen Freistößen öfter mal hinter die eigene „Mauer“ auf den Rasen legen, damit bodennah „nichts durchkommt“.

Relativ neu ist die Visualisierung der sogenannten Realformation, die nichts mit Real Madrid zu tun hat. Nein, hierbei geht’s darum, wo die einzelnen (schematisch durch ihre Rückennummern repräsentierten) Spieler sich „im Durchschnitt“ der bisherigen Spielzeit aufgehalten bzw. bewegt haben, nämlich fast niemals lupenrein in taktischen Aufstellungsrastern wie 4 – 2 – 4, 3 – 4 – 2 – 1 oder dergleichen. Und siehe da: Eine Elf, die das Spiel überlegen gestaltet, steht insgesamt weiter vorn, die gegnerische hingegen näher am eigenen Tor. Wer hätte das früher gedacht, als es diese stupide, Verzeihung: stupende Zahlenverschiebung noch nicht gegeben hat? Wie haben wir Fußball überhaupt verstehen und genießen können – ohne solche Informationen? Damals hat man einfach darüber geredet, heute heißt das „Analyse“.

Nun hört man ihre Zurufe beim Spiel

Manche TV-Sprecher scheinen in einem Punkt geradezu dankbar für „Geisterspiele“ in Corona-Zeiten zu sein. Seither hören sie nämlich, was Trainer und Spieler während der Partien rufen. Daraus hat sich quasi schon ein eigenes Genre der zusätzlichen Spieldeutung ergeben. Die Wochenzeitung „Die Zeit“ hat vor einigen Wochen gar mehrere Seiten freigeräumt, um die zahllosen Zurufe während eines ganzen Spiels (Bayern München – Borussia Dortmund) wortwörtlich wiederzugeben. Das machen sie sonst allenfalls für Essays vom Kaliber Jürgen Habermas.

Und noch eine Novität: Neuerdings wird nach Toren eingeblendet, mit wieviel Prozent Wahrscheinlichkeit dieser Treffer gefallen sei. Damit wir uns richtig verstehen: Er ist hundertprozentig gefallen, aber ist es in genau dieser oder datenbankmäßig vergleichbarer Situation wahrscheinlich gewesen – und falls ja, w i e wahrscheinlich? Zu 13 oder zu 43 Prozent? Auf so einen Humbug muss man erst einmal kommen. Nun warten wir noch auf die einsteinsche Rechenformel zu den „Unhaltbaren“, die ein richtig guter Torhüter dann und wann denn doch hält.

Aber im Grunde sehnt  man sich nach echt abgeklärten Typen wie dem BVB-Altvorderen Adi Preißler zurück, der die ewige Weisheit geprägt hat: „Grau ist alle Theorie – entscheidend ist auf’m Platz.“




Nobelpreisträger und St.-Pauli-Fan: Im Leben des Schriftstellers Günter Grass spielte der Fußball eine nicht eben geringe Rolle

Günter Grass im historischen Zeitungsartikel, Fußballmuseumsdirektor Manuel Neukirchner (rechts), Jörg-Philipp Thomsa vom Lübecker Grass-Haus (links). (Foto: Deutsches Fußballmuseum)

Von Günter Grass weiß Jörg-Philipp Thomsa zu berichten, dass er leidenschaftlich gerne Sportschau guckte. „Da durfte man ihn nicht stören.“ 2006 lernte der Leiter des Lübecker Günter-Grass-Hauses den Nobelpreisträger persönlich kennen und erinnert sich, dass dieser ihn damals zügig in ein Gespräch über Fußball verwickelte.

Bestimmt, glaubt Thomsa, hätte Grass sich sehr über das Gemeinschaftsprojekt von Grass-Haus und Dortmunder Fußballmuseum gefreut, das nun unter dem Titel „Günter Grass: Mein Fußball-Jahrhundert“ Gestalt angenommen hat. Grass, der Fußball-Fan: nicht eben das erste, was einem zum Schöpfer der „Blechtrommel“ einfällt.

„Mein Jahrhundert“

Nun – auch wenn der Titel anderes suggeriert: Ein Buch mit dem Titel „Mein Fußball-Jahrhundert“ hat Grass (1927-2015) nie geschrieben. Doch in dem mächtigen Bild-Text-Band „Mein Jahrhundert“, der 1999 bei Steidl herauskam und jedem Jahr des 20. Jahrhunderts mit einem Text und einer Illustration eine subjektiv-persönliche Würdigung zukommen lässt, finden sich auch etliche Fußballgeschichten, auf die die Dortmunder Ausstellung ausführlich hinweist. 1903 zum Beispiel fand die erste deutsche Meisterschaft in Altona statt, bei der die Leipziger gegen Prag (!) obsiegten. Grass erzählt das recht realistisch aus der Perspektive eines Mitspielers, lässt damals schon ausgesprochen schicke Anglizismen wie „Goal“, „Halftime“ „Score“ einfließen und wagt einen rückblickenden Ausblick auf die starken polnischen Einflüsse im deutschen Fußball, auf die Szepans und Kuzorras der Folgejahre.

Sonderschau, achteckig (Foto: Deutsches Fußballmuseum)

Fritz Walter blieb bescheiden

Ein Fußballjahr ist für Günter Grass natürlich 1954. Mit einem gewissen Augenzwinkern, wie wir vermuten wollen, lässt er es vom „Chef einer Consulting-Firma, die in Luxemburg ihren Sitz hat“, nacherzählen. Neben dem getreulich widergegebenen Geschehen auf dem Rasen widmet sich der (erfundene) Autor der schmerzvollen Erinnerung an seine fruchtlosen Versuche, den Erfolg in klingende Münze zu verwandeln. Ungarns Spielführer Ferenc Puskás setzte sich zwar in den Westen ab und wurde mit der Produktion ungarischer Salamis reich, Fritz Walter aber verschmähte – behauptet jedenfalls die Geschichte – den Halbkoffer mit der Viertelmillion, die ihm Atlético Madrid damals schon, in den Fünfzigern, bot – und eröffnete lieber ein Kino mit Lotto-Toto-Annahmestelle. Schade, schade – aber die Kommerzialisierung des Fußballs hat er nicht verhindern können.

Günter Guillaume jubelt in der Zelle

Noch ’ne Fußballgeschichte? Die spielt 1974 und ist relativ kompliziert. Ihr ungenannt bleibender Held ist der Ostagent Günter Guillaume, der zu dieser Zeit schon einsitzt, dem die Gedanken über seine bizarre Ost-West-Existenz nicht aus dem Kopf gehen und der nun zu allem Überfluss auch noch ein WM-Endspiel zu sehen bekommt, bei dem Deutschland gegen Deutschland spielt. Das ist ein echtes Orientierungsproblem, weil er immer wieder mit Deutschland jubelt, das zu dieser Zeit aber noch aus zweien besteht.

Frauenfußball fand Grass gut

Wandbeschriftungen, Tagebuchauszüge, Bücher, Vitrinenmaterial – Zitate und Literaturhinweise unterschiedlicher Art machen einen nicht geringen Teil der Ausstellung aus, was bei einem Schriftsteller naheliegt. An Videostationen erinnern sich Fußballgrößen an ihre Begegnungen mit Günter Grass. Die relativ wenigen Originalexponate – eine Originaleintrittskarte der ersten Deutschen Meisterschaft, ein Trikot, die Nobelpreisurkunde und so fort – mögen beeindrucken, begeistern aber nicht zwingend. Doch die Gliederung ist gelungen, ermöglicht eine sinnvolle Annäherung an den Künstler und Fußballfreund.

Vier Bereiche befassen sich schwerpunktmäßig mit Frauenfußball, mit Grass als aktivem Spieler, mit der Wiedervereinigung sowie mit der literarischen Produktion. Kopfschüttelnd erfährt man etwa, dass Frauenfußball, den Grass sehr befürwortete, bis 1970 beim DFB rundweg verboten war; die Episode von Wewelsfleths linkem (Gast-) Stürmer Grass, die der stark vergrößerte Artikel einer Lokalzeitung samt Mannschaftsfoto stimmungsvoll aufleben lässt, erzählt auch von jenem eher unsportlichen jungen Mann, der als Kind nicht Fahrrad fahren konnte und der das Fußballspielen als körperliche Befreiung erlebte. Die Wiedervereinigung, gegen die Grass sich 1989/1990 stemmte, bedeutete auch das vorläufige Ende des Spitzenfußballs im Osten, weil die guten Leute vom Westen weggekauft wurden. Man kann darin durchaus jene Kolonialisierung des Ostens erkennen, vor der Grass früh gewarnt hatte.

Das Fußballmuseum in Dortmund (Foto: Deutsches Fußballmuseum, Hannappel)

„Sommermärchen“

Doch über das „Sommermärchen“ 2006 hat er sich gefreut, über einen neuen, anscheinend unbelastet daherkommenden Nationalstolz. Ganz besonders gut übrigens, weiß Thomsa zu berichten, habe ihm ein türkischer Jubelautokonvoi zum Sieg gefallen. Das mag auch daran gelegen haben, dass Grass (auch) kaschubische Vorfahren hatte und deshalb einen Sensus für die Mühen der Integration. Die identitätsstiftende Kraft des Fußballs hebt Dortmunds Fußballmuseumsdirektor Manuel Neukirchner noch einmal ausdrücklich hervor. Mit der fußballerischen Deutschlandbegeisterung habe man den Rechten das (nationalistische) Wasser abgegraben, 2006 und später. Es scheint, dass Grass es ähnlich sah.

Ein Herz für die Kleinen

Die literarische Ecke schließlich versammelt kurze und lange Zitate, Tagebuchauszüge, Pointiertes: „Ungehemmt, als stünde ich in der Nord- oder Südkurve und säße nicht daheim vor der Glotze, ergießt sich nur Hohn, wenn selbst den Bayern ihr Geld nicht hilft und zwar nach Flanke von links, die mit Glück jenen Habenichtsen gelingt, denen schon wieder der Abstieg droht“, hat er notiert. Ja, das Herz des Dichters schlug für die Kleinen, Benachteiligten, wie St. Pauli Hamburg zum Beispiel, für die Grass sich auch in einer Rede einsetzte.

Die Ausstellung – in den Worten von Museumschef Neukirchner ein „gelungener Doppelpass“ der beiden beteiligten Häuser – passt fraglos gut in ein Fußballmuseum. Daneben ist sie auch ein willkommener Anlass, über den Schriftsteller und Literatur-Nobelpreisträger zu reden, um den es in letzter Zeit bedauerlich still geworden ist.

  • Bis 19. Januar 2021
  • Deutsches Fußballmuseum, Dortmund, Platz der deutschen Einheit 1 (dem Hauptbahnhof gegenüber)
  • Di-Fr 11-17 Uhr, Sa u. So 10-17 Uhr
  • Eintritt für das ganze Haus 15 EUR
  • www.fussballmuseum.de



Olympische Spielstraße, München, 1972 – Erinnerungen an ein fröhliches Projekt, dem der Terror ein jähes Ende setzte

Abschnitt der Spielstraße mit erkennbar entspannten Besuchern. Weiße Luftballons markierten Hotspots des Parcours. (Foto: Urbane Künste Ruhr 2020 / Henning Rogge)

Der Mann im Hamsterrad hatte eine beeindruckende Ausdauer. Jeden Tag lief er seinen Marathon, und er schonte sich nicht. Die Fußverletzungen, die er sich im Rad zuzog, mussten schließlich sportärztlich behandelt werden.

Gleichwohl war er nicht Sportler, sondern Künstler: Timm Ulrichs, der vor wenigen Monaten seinen 80. Geburtstag feierte, prangerte vor bald 50 Jahren in seinem Hamsterrad – auch die Bezeichnung Tretmühle wäre wohl zulässig – die scheinbare Sinnlosigkeit körperlicher Leistungserbringung zu Sportzwecken an. Und seine Aktion wurde lebhaft wahrgenommen, stand das überdimensionale Hamsterrad doch auf der „Spielstraße“ der Olympischen Spiele in München. 1972 war das, verdammt lang her.

Wohl eine Performance, über die wir nichts Näheres wissen. Doch die Ballons kennen wir. (Foto: Skulpturenmuseum Glaskasten Marl)

Von Werner Ruhnau geplant

Die Spielstraße hatte der Essener Architekt Werner Ruhnau konzipiert, den man im Ruhrgebiet vor allem wohl wegen des Gelsenkirchener Musiktheaters im Revier kennt, das 1959 eröffnet wurde. Verbindendes zwischen einem Spaßparcours für die breiten Massen und einem opulent verglasten Musentempel springt möglicherweise nicht sofort ins Auge, doch wohnt beiden das Bestreben inne, Abgrenzungen in der Gesellschaft abzubauen, kulturelle Aktivitäten als partizipative Projekte zu gestalten und allen zu öffnen. Ruhnau war also durchaus der Richtige für die Münchener Spielstraße.

Anschlag auf die israelische Olympiamannschaft 

Dann kam der schreckliche Anschlag auf die israelische Olympiamannschaft, bei dem alle elf Geiseln starben. Zwar gingen die Spiele anschließend weiter, doch die Spielstraße wurde abgebaut, weggepackt und fast vergessen. Jetzt erinnert eine Ausstellung im Marler Kunstmuseum „Glaskasten“ an das Projekt.

Blick in die liebevoll zusammengestellte Ausstellung im Glaskasten Marl. (Foto: Urbane Künste Ruhr 2020 / Henning Rogge)

Wertvolle Eindrücke

Zusammen mit der Künstlerin Jana Kerima Stolzer und Britta Peters von Urbane Künste Ruhr hat Glaskastendirektor Georg Elben die Ausstellung konzipiert. Die Exponate stammen ausnahmslos aus dem Archiv Ruhnau, von irgendeiner Vollständigkeit kann natürlich nicht die Rede sein. Doch Timm Ulrichs’ Hamsterrad blieb als wohl größtes Exponat erhalten, außerdem einige skulpurale Arbeiten, Zeitungsartikel, Plakate, Siebdrucke und eine Widmung Andy Warhols, der sich die Sache damals auch einmal anguckte. Weiße Luftballons schweben über den Glasvitrinen gerade so, wie vor 48 Jahren solche Ballons die Stationen der Spielstraße markierten.

Viele Schmalfilme erzählen von der Spielstraße. Leider gibt es keinen Originalton dazu, nur kongenialen Sound. (Foto: Urbane Künste Ruhr 2020 / Henning Rogge)

Anita Ruhnau holte Künstler

Ruhnaus Frau Anita hatte etliche Künstlerinnen und Künstler zur Teilnahme bewegen können, was die Spielstraße, wenn man einmal so sagen darf, zu einem multifunktionalen Spektakel machte: Kunstpräsentation, Theater und Performances einerseits, Mitmachparcours andererseits.

Da liegt eine federnde Hüpfmatratze auf dem Weg und lädt sogar Anzugträger zum Selbstversuch ein, da gibt es Bühnenprogramme mit Publikumsbeteiligung, in der öffentlichen Siebdruckwerkstatt kann sich das Volk mit Rakel und Farbe versuchen. Super-8-Filme berichten von alledem. Glücklicherweise entstanden sie in reicher Zahl und wurden rechtzeitig digitalisiert, so dass sich Qualitätsverluste durch Alterung in Grenzen halten. In zwei relativ großen Räumen laufen diese Filme auf je drei Wänden, und wenn es in dieser ansonsten uneingeschränkt zu preisenden Ausstellung doch etwas zu kritisieren gibt, so ist es das weitgehende Fehlen von Sitzgelegenheiten in zentraler Position, von denen aus die alten Streifen mit möglicherweise noch mehr Genuss betrachtet werden könnten.

Ist es Sport oder ist es seine Verhöhnung? Mitunter spricht das alte Material keine klare Sprache (mehr). (Foto: Skulpturenmuseum Glaskasten Marl)

Langhaarige und Gamsbartträger

Erheiternd sind die Filme auch so, jedenfalls meistens. Langhaarige und Gamsbartträger dicht an dicht und trotzdem stressfrei, wie es scheint. Doch dann taucht in dem Gewusel eine merkwürdige Prozession auf, obskure Gestalten, ein rollendes Podest, ein Müllwagen… Das Straßentheaterstück „Olympiade 2000“, das auf der Spielstraße aufgeführt wurde und das Jana Kerima Stolzer für die Marler Ausstellung recherchierte und kunsthistorisch aufarbeitete, gefällt sich in der Dystopie eines pervertierenden, nurmehr wirtschaftlichen Interessen unterworfenen olympischen Sports. Das Stück schrieb seinerzeit der „Theatermacher“ Frank Burckner in Zusammenarbeit mit dem Zukunftsforscher Robert Jungk, und trefflich mag man sich darüber streiten, ob die düsteren Erwartungen der Autoren sich erfüllten oder mittlerweile längst schon überholt sind. Leider gibt es für die Filme keinen Ton, was besonders bei den abgefilmten (mehr oder minder spontanen) Bühnenereignissen schade ist.

Frühform der urbanen Künste

Die Spielstraße bot Kunst als Kommentar zu den Olympischen Spielen, einst und jetzt und zukünftig. Warum aber beteiligt sich „Urbane Künste Ruhr“ an der Marler Schau, jene Organisation, die in der Nachfolge des Kulturhauptstadtjahres ganz überwiegend öffentliche Orte im Hier und Jetzt mit aktuellen Kunstprojekten bespielt? Nun, die Verwandtschaft der Themen ist nicht zu leugnen, und ursprünglich, so Britta Peters, sollte die „Spielstraße“ nur ein Teil des Urbane-Künste-Projekts „Ruhr Ding: Klima“ sein, das nun aber, Corona ist schuld, auf die Mitte nächsten Jahres verschoben wird.

  • „Die Spielstraße München 1972“
  • Skulpturenmuseum Glaskasten Marl, Creiler Platz, Rathaus
  • Bis 1. November 2020
  • Geöffnet Di – Fr 11 – 17 Uhr, Sa und So 11 – 18 Uhr
  • Kein Katalog



War das etwa ein Revierderby? Nein, nein und nochmals nein!

Ja, es war gespenstisch: das „Revierderby“ vor leeren Zuschauerrängen, hier als Screenshot der Sky-Übertragung – just im geisterhaften Moment einer Bildüberblendung.

Normalerweise ist das Dortmunder Stadion das größte in Deutschland. Selbst bei weniger prickelnden Spielen ist es stets bis auf den letzten Platz gefüllt, erst recht bei einem Revierderby gegen Schalke. Heute war das piepegal. Wie so vieles andere.

Nicht über 81.000 Zuschauer kamen heute zum Pseudo-Revierderby gegen Schalke, sondern nur die Spieler, jeweils ein verkleinerter Betreuerstab, das Schiri-Team und ein paar handverlesene Medienvertreter. Ich habe lange überlegt, ob ich mir diese durchaus riskante, eventuell auch skandalöse Unwichtigkeit im TV antun soll. Nun denn, auf abstruse Weise war es ja doch etwas „Besonderes“. Da fühlt man sich als Journalist eben angesprochen. Hier also ein kurzer Bericht vom faden Selbstversuch.

Was bei Geisterspielen alles schmerzlich fehlt, trat bei der sonst so verbissen ausgefochtenen Begegnung BVB – Schalke diesmal besonders krass zutage. Es mangelt an jeglicher Leidenschaft, an gesteigerter „Emotion“, an Atmosphäre, erst recht an jeder Form von Fußballfieber. Wie sonst nie, wird jetzt klar, wie überaus wichtig die Rolle der Fans ist. Sie erst machen das Spiel zum Erlebnis. Das haben wir zwar schon vorher gewusst, doch nun gibt es daran noch weniger Zweifel. Auch als Fernsehzuschauer fehlt einem die „Rückkoppelung“ durch das Publikum im Stadion, dessen Geräuschkulisse wiederum oft gnädig das Geschwätz mancher Kommentatoren übertönt.

Der Fernsehton klang geradezu gespenstisch, wie aus einer Hall- und Echokammer. Es waren die seltsam verstärkten Zurufe von Spielern und Trainern. Man hatte bei Sky auch die absurde Wahl, einen Tonkanal mit situationsgerecht (?) eingespielten Fanrufen und Gesängen aus der „Konserve“ zu wählen; womit wir nicht nur auf einem Gipfel der Peinlichkeit, sondern geradewegs in den Gefilden der Idiotie angelangt wären.

Es war einiges anders, als man es bisher kannte. Desinfizierter Ball, Gesichtsmasken auf der Auswechselbank, die Spieler (und nicht Balljungen) holen sich die Kugel selbst. Die teilweise stark abgewandelten Corona-Spielregeln waren auch dem TV-Sprecher noch nicht klar. Zum Beispiel: Darf man insgesamt fünf Spieler zu drei Zeitpunkten auswechseln? Zählt dabei ein Wechsel in der Halbzeit mit? Ach, wie müßig! Aber es muss ja alles in geordneten Bahnen verlaufen. Apropos: Wahrscheinlich haben sie in allen möglichen Ländern ein Auge auf diesen Spieltag. Gut möglich, dass demnächst halb Europa mit Spielzeit-Resets nachzieht. Beim Gedanken kann einem bange werden.

Nach den vier Dortmunder Toren gab es nicht den üblichen Jubel in der Spielertraube, sondern jeweils verhaltene Freude auf Distanz. Es wirkte fast schon ein wenig nobel. Denn damit unterblieben auch die sonst mitunter üblichen, lächerlichen Macho-Gesten. Auch gab’s kein fortwährendes Gespucke auf den Rasen. Wenn sich die hochbezahlten Herrschaften das auf Dauer abgewöhnen könnten, wär‘s eh gut. Überhaupt darf man vielleicht von künftigen Zeiten träumen, wo weniger Getue um die Kickerei veranstaltet wird, und zwar verbal wie finanziell.

Sagen wir nur die blanke Wahrheit: Es war nicht nur ein leeres Stadion, es war insgesamt eine sinnentleerte Veranstaltung. Das 180. Revierderby war gar keins. Es war in jeder Hinsicht unecht. Und ja: Ich habe das Ende herbeigesehnt.

Unter anderen Umständen hätte man sich als Anhänger der Dortmunder über den 4:0-Erfolg königlich gefreut, doch so nimmt man es beinahe ungerührt zur Kenntnis. Ich weiß nicht einmal, ob ich mir in dieser verrückten Saison den BVB als Meister wünschen soll. Auf ewig würde es heißen, das sei ja die „Corona-Meisterschaft“ gewesen. Außerdem ist es nicht vorstellbar, dass ein etwaiger Titel in der Stadt massenhaft gefeiert werden könnte. Aber auch das ist irgendwie schnurz.




Jetzt geht es um den ganzen Lebensstil

Wenig originelles Bild zu den „dunklen Wolken, die da heraufziehen“, aber ich hab‘ in eigenen Beständen auf die Schnelle nichts Besseres gefunden. (Foto: BB)

So. Wir sind an einem Punkt angekommen, an dem es nicht mehr um einzelne bzw. kollektive Absagen geht – sei’s auf kulturellem oder sportlichem Felde. Was soll’s denn, ob die Bundesliga-Saison nun unterbrochen oder ganz abgebrochen wird?

Es geht inzwischen um unseren ganzen Lebensstil, ja überhaupt ums Ganze. Wenn Bundeskanzlerin Merkel rät, die sozialen Kontakte auf nötigste Mindestmaß zu begrenzen, ist denn doch – bei aller scheinbaren äußeren Gelassenheit – eine ziemliche Anspannung spürbar.

Wir dachten schon, ein neues (Bionade)-Biedermeier habe sich in gewissen urbanen Vierteln längst etabliert, dabei steht erst jetzt der allgemeine Rückzug in die Stuben an. Gartenlaube revisited?

Endlich, endlich schließt auch NRW die Schulen und Kitas

Du meine Güte! Wie relativ lang hat Deutschland, hat speziell Nordrhein-Westfalen gebraucht, um sich zu Schul- und Kita-Schließungen ab kommenden Montag durchzuringen – und das im Fall von NRW als Bundesland mit den weitaus meisten Corona-Infektionen. Hätte man in diesem Sinne nicht spätestens heute gehandelt, hätte NRW-Ministerpräsident Armin Laschet wohl seine Ambitionen auf CDU-Vorsitz und nachfolgende Kanzlerkandidatur gleich aufgeben können. Vielen Beobachtern galt und gilt er als „Zauderer“. Gerade hierbei hätte sich das nicht bestätigen dürfen.

Eine solche Lage hat es seit Kriegsende nicht gegeben. Frankreichs Präsident Macron zieht den historischen Bogen noch weiter und spricht von der größten medizinischen Krise seit 100 Jahren. Gemeint ist die jetzt wieder oft herbeizitierte „Spanische Grippe“, die um 1918/19 weltweit unfassbare 50 Millionen Todesopfer gefordert hat und damit, was die bloßen Zahlen anbelangt, noch verheerender gewirkt hat als die Weltkriege.

Schwindet die frohe Weltzugewandtheit?

Gerade um die italienische Lebensart (Italianità) machen sich italophile Journalisten und andere, dem Süden herzlich zugeneigte Menschen neuerdings erhebliche Sorgen. „Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn?“ Nein, man erkennt es nicht mehr wieder. Stirbt hier auch schrittweise die Lebensfreude, schwindet nach und nach die frohe Weltzugewandtheit? Geht nun ausgerechnet Italien den Weg in die innere Einkehr? Oder wird all die Freude wiederkehren?

Und überhaupt: der Westen. Was wird aus der üblichen Event-Kultur, was ist mit der landläufigen Erlebnisgier, mit dem gewöhnlichen Hedonismus? Gab’s da nicht mal jenes Buch mit dem Titel „Wir amüsieren uns zu Tode?“ Lang ist’s her. Treibt es uns nun noch mehr in die vereinzelnde Digitalisierung? Oder wirkt sich die Krise gar als gesellschaftlicher Kitt aus, als Anstoß zum Zusammenhalt? Man möchte es hoffen, doch da bleiben auch große Zweifel. Wo so viele Leute ohne Sinn und Verstand Toilettenpapier horten oder sogar aus Kliniken Desinfektionsmittel klauen (in der Phantasie male ich mir passende Strafen dafür aus), ist Solidarität offenbar kein weithin praktiziertes Allgemeingut.

Drastische Maßnahmen und Galgenhumor

Trotz der (verspäteten?) Schulschließungen geht’s bei uns noch vergleichsweise moderat zu. Die Schweiz verbietet Veranstaltungen mit über 100 (nicht: über 1000) Teilnehmern, in Belgien werden auch die Restaurants geschlossen, in Österreich bleiben Geschäfte jenseits des Lebensbedarfs dicht, die Restaurants schließen um 15 Uhr; Polen und Dänemark riegeln ihre Grenzen ab. Als deutscher Staatsbürger darf man ohnehin längst nicht mehr in alle Länder des Erdballs reisen. Viele weitere drastische Beispiele ließen sich nennen. Und wer weiß, wer am Ende wirksamer gehandelt hat.

Auch Galgenhumor macht sich breit, wie eigentlich immer, wenn’s ungemütlich (oder schlimmer) wird: Just heute twittern Tausende zum Hashtag-Thema #CoronaSchlager, will heißen: Man dichtet bekannte Schlagertexte der letzten Jahrzehnte aufs Virus und seine Folgen um. Wenn’s denn der Entspannung dient und nicht ganz und gar zynisch wird…

Die Professoren Drosten und Wieler haben das Sagen

Die beinahe täglich live übertragenen Presskonferenzen von der Corona-Front lassen allmählich den Eindruck aufkommen, die Professoren Christian Drosten (Charité) und Lothar Wieler (Robert-Koch-Institut) seien inzwischen die eigentlich Regierenden im Lande. Sie haben buchstäblich das Sagen. Jedenfalls können die politisch Verantwortlichen in dieser Situation schwerlich ohne solche Fachleute auskommen. Prof. Alexander Kekulé (Uniklinik Halle) wäre demnach mit seinen deutlich abweichenden Meinungen so etwas wie die Opposition. Schon recht früh hat er gefordert, was jetzt geschehen ist: „Coronaferien“ in den Schulen und Absage größerer Zusammenkünfte.

Um nur nicht missverstanden zu werden: So weit man es als Laie und Medienkonsument beurteilen kann, machen Drosten und Wieler (mit ihren Teams) einen großartigen Job, sie bleiben angenehm nüchtern und sachlich, wobei man dennoch die Dringlichkeit ihrer Anliegen nicht verkennen kann. Das gilt übrigens auch für Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, der selbst nicht die medizinische Expertise haben kann, es aber offensichtlich versteht, fähige Leute als Berater heranzuziehen.

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P. S. zum Fußball: Ohne Zuschauer im Stadion macht die Kickerei eh keinen Spaß mehr, Sky & Co. haben mit den „Geisterspielen“ sozusagen leblose Materie übertragen. Meinetwegen soll die Liga jetzt mit der Saison aufhören, die Bayern halt zum Meister erklären (das sage ich als Dortmunder) oder – besser noch – diese Spielzeit ganz ohne Titel beenden, die jetzigen Tabellenplätze nur für einen künftigen europäischen Wettbewerb zählen lassen etc. Auf- und Abstieg ließen sich auch regeln, indem z. B. die 1. Liga aufgestockt würde, also niemand ohne Spielentscheidung absteigen müsste. Das alles wird sich finden und ist ganz und gar nicht lebenswichtig.

Ganz abgesehen davon ist es vielleicht ein soziales Experiment: Wirkt sich das Fehlen des Vereinsfußballs gesellschaftlich aggressionshemmend oder aggressionssteigernd aus? Anders gewendet: Befördert oder kanalisiert der Fußball die Gewaltsamkeit?




Gespenstische Premiere: Revierderby ohne Zuschauer

Massenhaft so dicht beieinander? Muss ja nicht sein. Höchstens in der Ikea-Stofftierabteilung, wo die Aufnahme entstanden ist. (Foto: BB)

Nachträgliche Anmerkung, nur der Form halber: Das Spiel ist inzwischen bekanntlich ganz abgesagt worden – ebenso wie der gesamte Bundesliga-Spieltag und wie vielleicht noch der Rest der Saison…

Seit C. (ihr wisst schon) ist kaum noch etwas, wie es vorher war, auch nicht auf sportlichem Sektor. Gerade ein „Revierderby“ zwischen Borussia Dortmund und Schalke 04 war bislang ohne Zuschauer, ohne mehr oder weniger fanatische Fans schier undenkbar. Am Samstag (15:30 Uhr) wird dieses gespenstische Ereignis Premiere haben.

(Erst) heute ist die Entscheidung gefallen. Sie ist natürlich hundertprozentig richtig. Die Gesundheit geht vor – und sei das Ansteckungsrisiko im Westfalenstadion* auch (vermeintlich) „überschaubar“. Wer will das schon mit Gewissheit sagen wollen?

Und was ist mit den Kneipentreffs?

Freilich haben Fans u. a. auf Twitter bereits darauf hingewiesen, dass sich das Publikum dann eben nicht unter freiem Himmel im Stadion, sondern zu gewissen Anteilen in Kneipen versammeln wird, also dicht gedrängt in geschlossenen Räumen, wo man sich womöglich noch leichter infizieren kann. Überdies dürften sich Umarmungsverbote im Falle eines Tores drinnen wie draußen schwerlich durchsetzen lassen. Auch den Mannschaften wird man etwaigen Torjubel nicht untersagen können.

Fest steht allerdings auch, dass sich Übertragungswege nach einem Kneipenbesuch immerhin etwas leichter rekonstruieren ließen, als nach einem Besuch im größten Stadion Deutschlands mit seinen über 81.000 Zuschauerplätzen und der größten Stehplatztribüne von ganz Europa, wo schon gar nicht auszumachen ist, wer genau wo gestanden hat.

Entlastung für Polizei und Verkehrswesen

Ob Parkplätze oder öffentlicher Nahverkehr – nichts wird so strapaziert werden, wie es bei früheren Derbys üblich war. Auch wird die Polizei vermutlich weitaus weniger zu tun haben als sonst, wenn BVB und S04 aufeinandertreffen. Obwohl: Man weiß ja nie, was sich Ultras und sonstige Anhänger beider Seiten so einfallen lassen. Nicht ausgeschlossen, dass sich manches Geschehen nur verlagert – vielleicht gar in den Umkreis des Stadions? Es wäre wahnwitzig.

Die Anordnung zum „Geisterspiel“ dürfte jedenfalls streng gehandhabt werden. Wie man hört, werden längst nicht alle interessierten, sondern nur ein paar handverlesene Sportjournalisten zugelassen. Eine Fernsehübertragung wird es höchstwahrscheinlich nur gegen Bezahlung geben, also beim Pay-TV-Kanal Sky. Es mag zwar sein, dass dies dem Sender ein paar Abonnenten zusätzlich beschert. Fraglich ist jedoch, ob Sky beim zu erwartenden Massenansturm auf die Server eine nahtlose und pannenfreie Übertragung gewährleisten kann. Bisherige Erfahrungen lassen daran zweifeln.

Der Meinungs-Schwenk des Oberbürgermeisters

Zweifeln kann man auch am Orientierungssinn des Dortmunder Oberbürgermeisters Ullrich Sierau (SPD). Noch vor wenigen Tagen, als in Essen bereits erste Veranstaltungen abgesagt wurden, hat er witzelnd angemerkt: „Wenn man in Essen keinen Spaß mehr haben kann, kann man nach Dortmund kommen.“ Heute klang er absolut anders, allerdings wieder nicht nach Maß und Ziel. Maßnahmen wie das Revierderby als „Geisterspiel“, so Sierau diesmal, seien eine Frage von „Leben und Tod“. Ja, er wurde noch drastischer: „Das hier ist kein Spaß (…) Es geht hier darum, dass ihr das nächste Spielüberhaupt noch erlebt.“

Selbstverständlich ist das Revierderby längst nicht das einzige Spiel, das dieser Tage ohne Publikum stattfindet oder gleich ganz abgesagt wird. Alle Spiele in Nordrhein-Westfalen sind von der Regelung betroffen, auch in den unteren Spielklassen. Andere Bundesländer werden wohl folgen, wenn die Verantwortlichen bei Trost sind. Übrigens hat die Deutsche Eishockeyliga ihre Saison komplett abgebrochen, ohne dass ein Meister ermittelt worden wäre.

Unbeweisbare Vor- und Nachteile

Der Vollständigkeit halber sei noch eine andere, vergleichsweise nichtige Frage angerissen, nämlich die, ob ein „Geisterspiel“ sich vor- oder nachteilig für bestimmte Mannschaften auswirkt. Gewiss: Beim Revierderby (und bei der Begegnung mit Bayern München am 4. April) tritt der BVB zwar in Dortmund, aber quasi nicht wie sonst als Heimmannschaft an, zumindest fehlt das eigene Publikum als Faktor. Dafür „profitiert“ man am morgigen Mittwoch beim Auswärtsspiel in der Champions League vielleicht davon, dass keine Fans von Paris St. Germain zugegen sein werden. Doch das ist im Grunde herzlich nebensächlich. Messen und beweisen kann man es eh nicht.

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* vulgo: Signal-Iduna-Park

Das allzeit lesenswerte Fußball-Magazin „Elf Freunde“ hat jetzt aus gegebenem Anlass die Geschichte der „Geisterspiele“ nachgezeichnet.




Trotz BVB-Kantersieg: Reus und Hakimi fuchsteufelswild

Das Tabellenbild sieht gar nicht so übel aus, doch bei manchen Spielern brennt die Sicherung durch… (Screenshot von Kicker online)

Der BVB hat 5:0 gegen Union Berlin gewonnen. Glatte Sache. Ungebrochener Fußball-Jubel in und um Dortmund. Sollte man meinen. Doch nun kommt ein mittelgroßes ABER:

Was waren denn das für zwei beleidigte Leberwürste, die sich nach einiger Spieldauer nicht auswechseln lassen mochten? Verstehen sie es als Majestätsbeleidigung, wenn sie durch einen anderen Spieler „ersetzt“ werden; noch dazu, wenn es durchaus nachvollziehbar ist, weil sie bei hoher Führung für den kommenden Dienstag (DFB-Pokalspiel bei Werder Bremen) geschont werden sollen?

Erst trat Achraf Hakimi nach seiner Auswechslung wutentbrannt gegen eine Flasche am Spielfeldrand und warf seine Schuhe von sich. Hatte man (sprich: Trainer Lucien Favre) etwa gegen seinen Ehrbegriff verstoßen, was immer das überhaupt heißen könnte?

Noch gravierender dann freilich der befremdliche Vorgang ein paar Minuten später: Auch der Mannschaftskapitän und erfahrene Nationalspieler Marco Reus, der eigentlich ein Vorbild sein sollte, ist mit seiner Auswechslung absolut nicht einverstanden und schmeißt sein Tape fuchsteufelswild auf den Boden, quasi dem Trainer (dem Rest der Mannschaft, dem Publikum, aller Welt?) vor die Füße. Fast sah es so aus, als hätte er seine Kapitänsbinde weggeworfen.

Nach meinem Verständnis sollte es für Reus‘ Verhalten eine saftige Geldstrafe vom Verein geben. Im Wiederholungsfalle dürfte ein anderer Spieler Kapitän werden, beispielsweise Mats Hummels. Und Hakimi? Hat sich eine Verwarnung redlich verdient.

Über die Beweggründe mag man rätseln. Sind durch die winterlichen Neuverpflichtungen (Erling Haaland, Emre Can) Hierarchie, Gehaltsgefüge und damit die psychologische Balance der Mannschaft etwa ins Wanken geraten? Verkraftet es ein Reus nicht, dass er selbst zuletzt reihenweise Chancen versiebt hat, während Erling Haaland einen Treffer nach dem anderen erzielt und entsprechend gefeiert wird? Du meine Güte: Der Bursche aus Norwegen ist nun mal der Mann der Stunde. Das wird man vielleicht verkraften können – erst recht im Sinne des Vereins und seiner Ziele.

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Wir erinnern uns an Reus‘ goldene Worte in einem TV-Kurzinterview: „Ist das euer Ernst? Kommt mir nicht mit eurer Mentalitäts-Scheiße! Das geht mir so auf die Eier mit euch, ehrlich!“




Donnerwetter, gleich drei Treffer! Wie es für Erling Haaland beim BVB anfing

Ihr werdet schon sehen, wie ich diesmal die Kurve von Kultur zu Fußball kriege, nämlich so:

Gestern hatte ich mit einem Museumsleiter aus einer Nachbarstadt von Dortmund zu tun. Er meinte, der Lokalstolz in seiner Gemeinde halte sich sehr in Grenzen, die Leute fühlten sich eher den Stadtteilen und Vororten zugehörig. Wollten sie ins Zentrum fahren, sagten sie „Ich fahre in die Stadt.“ Ich entgegnete, dass das in Dortmund aber ähnlich sei. – Darauf er: „Das stimmt, aber in Dortmund gibt es etwas, das hält alles und alle zusammen: der BVB.“

Erling Haaland, hier noch im Trikot von RB Salzburg – am 4. Juli 2019. (Foto: Werner100359 bei Wikimedia Commons / Link zur Lizenz:https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/

Dortmunds Neuzugang Erling Haaland, hier noch im Trikot von RB Salzburg – am 4. Juli 2019. (Foto: Werner100359 bei Wikimedia Commons) / Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/

Recht hat der enorm kunstsinnige Mann, dem auch Fußballverstand gegeben ist. Vom Proll bis zum Prof. können sich hier praktisch alle oder wenigstens in überwältigender Mehrheit auf Borussia einigen. Mehr noch: Ungemein viele Menschen tragen an beliebigen Wochentagen BVB-Klamotten oder zumindest Jacken und Pullover mit dem Vereinslogo. Okay, manchmal kann einem das auch ziemlich auf die Nerven gehen. Man würde sich etwas mehr Stilempfinden wünschen.

Egal. Lassen wird das jetzt. Heute gibt es etwas zu berichten, was an Wahnwitz grenzt. Da kickten die Dortmunder – zum Rückrundenauftakt der Bundesliga – auswärts in Augsburg (sozusagen bei „Urmelchen“) und versiebten in der ersten Halbzeit reihenweise Großchancen, so dass man schon das Schlimmste zu ahnen bereit war.

Und tatsächlich: Nachdem vor allem Marco Reus sich durchs Verstolpern bester Chancen quasi als bester Abwehrspieler des Gegners erwiesen hatte, machten die Leute aus der Puppenkiste ein Tor nach dem anderen. Erst führten sie 1:0, dann 2:0, dann zwischenzeitlich 3:1. Das war’s dann wohl?

Nichts da! BVB-Trainer Lucien Favre war bestens beraten, als er in der 56. Minute den Neuzugang Erling Haaland einwechselte, diesen offenkundig hochtalentierten Norweger, der erst Anfang Januar von RB Salzburg gekommen war. Der 19jährige mit dem Bubigesicht, den man von daher durchaus für 17 halten könnte, erfüllt offenbar in idealer Weise den steinalten Sportreporter-Spruch, der da lautet: „Er weiß, wo das Tor steht.“

In der kurzen Zeit seines Einsatzes, gerade mal rund 35 Minuten, erzielte Haaland gleich drei Treffer und stellte mit diesem Hattrick gleich einen Langzeitrekord auf: Er ist nun der jüngste Spieler der gesamten Ligageschichte, der in seinem Debütspiel dreifach getroffen hat. Am Ende stand es folglich doch noch 5:3 für den BVB.

Welches etwas gottes- und kirchenlästerliche Wortspiel hat doch mein Lieblings-Fußball-Fanzine-Blog www.schwatzgelb.de kürzlich in die Überschrift gesetzt: „O Haaland, reiß die Himmel auf!“

Man muss das gesehen haben, wie der 1,94 m große Kerl sich vollkommen furchtlos ganz vorne reinstellt und sogleich vehement den Ball fordert, wie er schlicht und einfach Bock aufs notorisch wiederholte „Einnetzen“ hat. Seine Tore markiert er mit einer verblüffenden Selbstverständlichkeit. Schon jetzt dürfte er sich bei den Verteidigern, die es mit ihm zu tun bekommen werden, einigen Respekt verschafft haben. Und von der Gewichtsklasse her ist er in der Lage, sich im Getümmel ganz anders durchzusetzen als der schmächtige Paco Alcacer, den es offenbar schon wieder zurück nach Spanien zieht.

Greifen wir mal vor und greifen wir hoch: Nun darf man sich sogar schon auf die Duelle mit Paris St. Germain in der Champions League (18. Februar und 11. März) freuen. Mal schauen, was Haaland mit seinen Neben- und Hinterleuten da bewirken kann. Wahrscheinlich kommt der von Thomas Tuchel trainierte, großmächtige Widersacher mit Weltstars wie Mbappé und Neymar noch ein bis drei Jahre zu früh, doch daran kann man wachsen.

Jaja, ich weiß. Abwarten, ob Erling Braut Haaland (für deutsche Ohren ein witziger zweiter Vorname, oder?) das so oder ähnlich durchhält. Und überhaupt. Richtig. Völlig richtig. Aber heute wird man sich verdammt nochmal freuen dürfen, nech?




…und immer wieder die Frage nach Wembley – Zum Tod der Dortmunder Torwart-Legende Hans Tilkowski

Große Trauer – nicht nur beim BVB: Die Torwartlegende Hans Tilkowski ist mit 84 Jahren gestorben. Aus diesem Anlass noch einmal ein (erstmals im Juli 2017 in ähnlicher Form erschienener) Beitrag des Gastautors Heinrich Peuckmann über den legendären Torhüter von Borussia Dortmund und Westfalia Herne:

Untrennbar war seine Fußballkarriere mit einem einzigen Tor verbunden. „Herr Tilkowski“, riefen ihm bis zuletzt wildfremde Menschen zu, „ich habe da mal eine Frage.“ Und noch im Umdrehen antwortete er: „Der war nicht drin!“ Hans Tilkowski und das Wembley-Tor, er wurde es einfach nicht los.

Torwart-Legende Hans Tilkowski an seinem 70. Geburtstag im Juli 2005. (Foto: Helmut S. / Redaktion "Die Kirsche" - Permission: Wikimedia Commons) - Permission: https://commons.wikimedia.org/w/index.php?title=File:Hans_Tilkowski.jpg&action=edit

Hans Tilkowski an seinem 70. Geburtstag im Juli 2005. (Foto: Helmut S. / Redaktion „Die Kirsche“ – Wikimedia Commons)

1966 hat dieses Tor, das keines war, das WM-Finale entschieden, die Engländer wurden  Weltmeister, Hans Tilkowski blieb die Ehre, Torhüter im Endspiel einer Fußball-Weltmeisterschaft gewesen zu sein.

Vor oder hinter der Torlinie?

Der aserbaidschanische Linienrichter Tofiq Bachramow hat die folgenreiche Entscheidung nach einem Schuss von Geoff Hurst getroffen. Tilkowski hatte den Ball noch mit den  Fingerspitzen berührt und an die Unterkante der Latte gelenkt, von wo er, da war er sich sicher, auf und nicht hinter die Torlinie tickte. Schiedsrichter Dienst aber folgte der Meinung von Bachramov und erkannte auf Tor. Es war das 3:2 für England und die Entscheidung bei dieser WM. 

Als 2009 die deutsche Fußballnationalmannschaft in einem WM-Qualifikationsspiel gegen Aserbaidschan antreten musste, sind Tilkowski und ich im Vorfeld des Spiels nach Baku gereist. Bachramow war nämlich nicht einfach nur ein Linienrichter, er war später der berühmteste Fußballfunktionär des Landes geworden, er hat den Verband nach dem Auseinanderbrechen der Sowjetunion gegründet. Es gibt eine Briefmarke mit seinem Konterfei, nach seinem Tod wurde das Nationalstadion nach ihm benannt und überlebensgroß, in Bronze gegossen, steht sein Denkmal davor.

Eine versöhnliche Rede an den früheren Linienrichter

Der aserbaidschanische Fußballverband und Vertreter der deutschen Industrie wünschten sich vor dem Länderspiel eine versöhnliche Geste. Was lag da näher, als Hans Tilkowski einzuladen? Und wenn es um Werte wie Versöhnung oder soziales Engagement geht, war Tilkowski immer ansprechbar. Da lebte fort, was er als Kind einer Bergarbeiterfamilie in Dortmund-Husen erfahren hat, Solidarität nämlich und ein tief empfundenes Gerechtigkeitsgefühl.

Vor der versammelten Presse, vor Fernsehen, Funktionären und Regierungsvertretern hat er in Baku, unter dem Bachramow-Denkmal stehend, eine beeindruckende Rede zur Fairness im Sport gehalten. Der erste Satz stand natürlich schon beim Abflug fest: „Der Ball war nicht drin.“ Aber dann wies Tilkowski auf die völkerverbindende Funktion des Fußballs hin, der es immer wieder schaffe, Menschen zusammen zu führen und so seinen Beitrag zu leisten zu einer friedlichen Welt. Zum Schluss hob er den Kopf und  sprach das Denkmal direkt an: „Tofiq, wenn du noch leben würdest, hätten wir garantiert ein schönes Gespräch über Fairplay im Sport.“

Es begann beim Vorortverein SV Husen

Das kam gut an, Tilkowski war ein überzeugender Botschafter des deutschen Fußballs. Trotz solcher Momente, seine Karriere auf das  Wembley-Tor zu reduzieren, ist aber ebenso falsch  wie ungerecht. Beim SV Husen, dem Dortmunder Vorortverein, hat er begonnen, Fußball zu spielen. Ganz nebenbei hat er auch noch geboxt, es waren die beiden Sportarten, die Arbeiterjungen im Ruhrgebiet damals gerne ausübten. Samstags boxen, sonntags Fußball.

Der Fußball war aber doch Tilkowskis große Liebe. Nach der Zwischenstation beim SuS Kaiserau, dem Verein im Schatten der Sportschule, wo er schon als ganz junger Mann in der ersten Mannschaft spielte, wechselte er 1955 zu Westfalia Herne in die Oberliga. Fußballlegende Ernst Kuzorra hätte ihn gerne „auf Schalke“ gesehen, aber Tilkowski hatte die Sorge, an deren Stammtorwart Orzessek nicht vorbeizukommen. Und er wollte vor allem eins, nämlich spielen.

Als Sepp Herberger aufmerksam wurde

Seine Entscheidung erwies sich als goldrichtig, Trainer Fritz Langner vertraute dem jungen Torwart und Westfalia konnte, nicht zuletzt dank seiner tollen Paraden und seines noch besseren Stellungsspiels, jahrelang die Klasse halten. Schnell fiel er Bundestrainer Herberger auf, der Torhüter ohne Showeinlagen liebte, und im April 1957 war es so weit. Beim Länderspiel in Amsterdam, das 2:1 gewonnen wurde, stand der junge Hans Tilkowski zum ersten Mal im Tor der deutschen Nationalmannschaft. Auf insgesamt 39 Einsätze hat er es gebracht und war damit für einige Zeit Rekordnationaltorhüter.

1959 wurde dann zum großen Jahr von Westfalia Herne. Noch vor den Großvereinen Schalke und Borussia Dortmund wurde völlig überraschend die westdeutsche Meisterschaft gewonnen. Bei der darauf folgenden Endrunde zur Deutschen Meisterschaft fehlte den Spielern allerdings die Kraft. Fritz Langner, unsterblich mit der Trainingsanweisung „Ihr fünf spielt jetzt vier gegen drei“, hatte wohl zu hart trainieren lassen.

Funkstille mit dem Bundestrainer

In dieser Zeit stieg Tilkowski zum Stammtorhüter der Nationalmannschaft auf. Er bestritt alle Qualifikationsspiele für die WM 1962 in Chile, beim Turnier selbst aber  erlebte er eine bitterböse Überraschung. Nicht er durfte nämlich spielen, sondern der unerfahrene Wolfgang Fahrian. Vier Jahre vorher hatte Herberger Tilkowski nicht zur WM in Schweden mitgenommen, weil er zu jung sei und zu wenige Länderspiele bestritten hätte. Vier Jahre später war Fahrian noch jünger und hatte noch weniger Länderspiele als Tilkowski 1958 bestritten. Der hat mit dem Bundestrainer danach für einige Zeit kein Wort mehr gewechselt.

Eineinhalb Jahre lang herrschte Funkstille zwischen den beiden, denn Tilkowski hatte seinen Stolz und ein bisschen war er auch ein westfälischer Dickkopf. Er stand in dieser Zeit trotzdem im Blickpunkt des Fußballs. 1964, mit Einführung der Bundesliga, war er  zu Borussia Dortmund gewechselt und lieferte mit dem Verein glanzvolle Spiele im Europapokal, vor allem gegen Titelverteidiger Benfica Lissabon.

1966 Europapokalsieger mit dem BVB

Tilkowski hielt in diesen Spielen, was zu halten war und immer auch ein bisschen mehr. Sogar in eine Europaauswahl wurde er berufen. Schließlich war es Herberger, der ganz gegen seine Gewohnheit nachgab. Ob er ihn mal anrufen dürfe, hat er ihn beim Bankett nach einem Europapokalspiel gefragt. Er durfte und am Neujahrstag 1964 stand Tilkowski wieder im Tor der Nationalmannschaft. Es war aber kein guter Neueinstand, das Spiel gegen Algerien ging mit 0:2 verloren.

Mit Borussia Dortmund feierte Tilkowski weiter Erfolge. 1965 wurde die Mannschaft Pokalsieger und im Jahr darauf gewann sie als erste deutsche Mannschaft einen Europapokal, den der Pokalsieger. Nach Libudas sagenhaftem Heber aus vierzig Metern wurde Liverpool in Glasgow mit 2:1 geschlagen.

Die deutsche Meisterschaft hätte die Mannschaft  auch gewinnen können. Trainer „Fischken“ Multhaup wollte den Feiern aus dem Wege gehen und die Mannschaft für die letzten Bundesligaspiele abseits vom Trubel in aller Ruhe vorbereiten, aber das ließ sich in Dortmund, das im Freudentaumel lag,  nicht durchsetzen. Nach vielen Feiern gingen die letzten drei Spiele allesamt verloren,  1860 München überflügelte im letzten Moment die Borussia und wurde Deutscher Meister. So blieb Tilkowski, 1965 Fußballer des Jahres, der Meistertitel verwehrt.

Zwei Jahre spielte er noch bei Eintracht Frankfurt, dann begann er eine Karriere als Trainer. Werder Bremen, der 1. FC Nürnberg, auch AEK Athen waren u.a. seine Wirkungsstätten.

Soziales Engagement – vor allem für Kinder

Danach engagierte sich Tilkowski für Sozialprojekte, für das Friedensdorf in Oberhausen zum Beispiel, wo in Kriegen verwundete Kinder operiert und wieder  gesund gepflegt werden. Er sammelte Geld für Aktionen der Unicef, für leukämiekranke Kinder und vieles mehr. Eine Hauptschule in Herne ist nach ihm benannt worden. Natürlich sorgte Tilkowski dafür, dass diese  Multikulti-Schule einen Bolzplatz bekam, getreu seinem Motto, dass der Fußball über alle Unterschiede hinweg Gemeinschaft stiftet.

Außerdem war er Botschafter für den westfälischen Fußball-  und Leichtathletikverband und wies beharrlich daraufhin, dass Westfalen und das Ruhrgebiet viel zu bieten haben, auch im Sport. Er musste in dieser Eigenschaft oft in die Sportschule Kaiserau, wo er als junger Spieler unter Leitung von Dettmar Cramer seine Torwartausbildung erfuhr und wo inzwischen ein Neubau nach ihm benannt wurde. So schloss sich bei ihm, der immer wieder gerne nach Kaiserau zurückkam, der Kreis.

Auch mit über 80 noch drahtig und rege

Skandale ware Tilkowski fremd. Er war noch immer mit seiner Frau Luise, mit der er drei Kinder hat, verheiratet.

Wer diesen drahtigen, geistig regen und immer, wenn es um eine gerechte Sache ging, streitbaren Mann sah, mochte ihm das Alter von über 80 Jahren kaum abnehmen. Er müsste, so dachte man, nur seine Torwartkluft anziehen, dann könnte es wieder losgehen…




Wie die Technik den Sport angetrieben hat – eine aufschlussreiche Ausstellung in der Dortmunder DASA

Sport und Technik? Das sind doch wohl zweierlei Dinge. Von wegen! Beides hat innig miteinander zu tun. Spätestens beim Besuch der Dortmunder Ausstellung „Fertig? Los! Die Geschichte von Sport und Technik“ wird es klar.

Schrittmacher aus den 30er Jahren, in dessen Windschatten mit Fahrrädern Rekorde gafahren wurden. (Foto © Andreas Wahlbrink - DASA)

Auffälliges Schaustück: Schrittmacher-Motorrad aus den 1930er Jahren, in dessen Windschatten mit Fahrrädern Rekorde gebrochen wurden. (Foto © Andreas Wahlbrink – DASA)

Die aus dem Mannheimer „Technoseum“ kommende, in der Dortmunder DASA nur unwesentlich veränderte Schau blättert – mit rund 330 Exponaten in sechs Kapiteln – viele Aspekte des populären Doppelthemas auf.

Gleich hinterm Eingang sieht man ein wuchtiges Schrittmacher-Motorrad aus den 1930er Jahren, in dessen Windschatten Fahrradfahrer immer neue Geschwindigkeits-Rekorde aufstellten. Nach und nach galt das Prinzip praktisch für alle Sportarten: Ständige Optimierung und Leistungssteigerung bis ins Extreme setzten sowohl beim menschlichen Körper als auch bei Ausrüstung und Material an. Gezeigt werden dazu u. a. ein alter Skispitzenbiegebock (welch ein Wort!) aus dem Schwarzwald, diverse Bodenbeläge (Tartanbahn, Kunstrasen), ständig verbesserte Lauf- und Fußballschuhe, Räder, Schlitten, Speere und Sprungstäbe oder auch eine enorm wirksame Beinprothese für Paralympics-Teilnehmer.

Zuspitzung im Zuge der Industrialisierung

Mehr als verdächtig: In England, wo einst die Industrialisierung begonnen hatte, fing auch die leistungsgierige Zuspitzung des Sports an. Leistung im Sport und in der modernen Arbeitswelt haben eben verwandte Wurzeln im Kapitalismus – ein Zusammenhang, dem die Ausstellung ebenso gründlich wie unterhaltsam nachspürt, und zwar auch im Breitensport.

Sportliche Erfolge und Erfolgsaussichten bringen auch Maskottchen und Merchandising mit sich... (Foto: © Klaus Luginsland / Technoseum)

Sportliche Erfolge und Erfolgsaussichten bringen auch Maskottchen und Merchandising mit sich… Hier eine Auswahl in der Vitrine. (Foto: © Klaus Luginsland / Technoseum)

Es zeigt sich, wie einheitliche Regeln, Normen und Spielfeld-Markierungen sowie zusehends verfeinerte Zeit-, Weiten- und Höhenmessungen die universelle Vergleichbarkeit der Leistungen sicherstellen sollten. So zeugt beispielsweise eine um 1840 gefertigte Stoppuhr mit Tintenschreiber (beim Drücken sonderte die Sekunden-Nadel punktgenau kleine Kleckse ab) vom Bemühen um exakte Resultate. Im weiteren Rundgang sieht man die Stoppuhr des legendären Fußball-Bundestrainers Sepp Herberger, mit der er seine Mannen scheuchte. 1954 hat es bekanntlich geholfen.

Doping begann in Pferderennsport

Doch längst nicht immer wurden Höchstleistungen auf fairem Wege erzielt. Es geht deshalb auch um Doping-Auswüchse. Diese nahmen ihren Anfang übrigens beim Pferderennsport, wo schon früh ziemlich viel (Wett)-Geld auf dem Spiel stand. Eigene Pferde wurden zuweilen heimlich aufgeputscht, gegnerische Tiere pharmazeutisch gehemmt. Nicht viel später nahmen Radfahrer zum Teil dieselben Mittel ein, die zuvor den Tieren verabreicht worden waren. Ein weites Feld, auf dem ausgerechnet Radsportler schon sehr früh aktiv gewesen sind. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt…

Überaus respektabel nehmen sich sinnfällig dargestellte Höchstleistungen aus: Mike Powells wahnwitziger 8,95-Meter-Weitsprung von 1991 wird mit schlichten Bodenlinien (un)fassbar gemacht, die 258 Kilogramm, die ein Gewichtheber stemmte, lasten quasi tonnenschwer am Boden. Wohl niemand wird sie vom Fleck rühren können.

Plakat zur Fußball-Weltmeisterschaft 1962 – für einen Kinofilm zum Großereignis. (Foto © Technoseum Mannheim)

Plakat zur Fußball-Weltmeisterschaft 1962 – für einen Kinofilm nach dem Großereignis. (Foto © Technoseum Mannheim)

Als das Korsett sich allmählich lockerte

Das zeitliche und gesellschaftliche Spektrum reicht vom Bierkrug im Geiste des Turnvaters Jahn („frisch fromm fröhlich frei“) bis zu allerneuesten urbanen Trendsportarten, deren durchweg anglophone Namen man teilweise noch nie gehört hat.

Lehrreich auch die Geschichte der Sportbekleidung: Da verblüfft das eng geschnürte, aber im Vergleich zu „mörderischen“ Vorläufern schon ein wenig gelockerte Sportkorsett für die halbwegs emanzipierte Dame. Da staunt man über eine riesenhafte Badehose aus der Arbeitersport-Bewegung – und erst recht über den hautengen Original-Schwimmanzug eines Michael Phelps, der damit Dutzende von Goldmedaillen und Weltrekorden errang. Die der Haifisch-Haut nachgebildete Oberflächenstruktur steigerte die Leistung dermaßen effektiv, dass solche Anzüge alsbald verboten wurden.

Größere Tischtennisbälle eigens fürs TV

Wie bei DASA-Ausstellung üblich, kann man auch diesmal einiges selbst ausprobieren. So dürfen Besucher diverse Fitness-Geräte testen, sich selbst per Kamera und Monitor auf einem Zielfoto mit verzerrten Körper-Proportionen begutachten oder in einer Reporterkabine ausgewählte Spielszenen „live“ kommentieren. Man erfährt in diesem Zusammenhang, wie just das Fernsehen so manche Sportart nachhaltig verändert hat. Tischtennisbälle wurden vergrößert, weil die TV-Leute es für besser hielten. Medial und journalistisch lagen die Ursprünge ebenfalls in England: Bereits ab 1792 erschien dort das gedruckte Periodikum „The Sporting Magazine“.

Bei einem Ballspiel hinterm Schutznetz lässt sich zudem mit einer Art Hockeyschläger feststellen, auf welche Geschwindigkeit man das Spielgerät beschleunigt. Hier schon mal zwei Maßzahlen, mit untrüglicher Radarmessung ermittelt: Ausstellungs-Kurator Dr. Alexander Sigelen kam auf knapp 70 Stundenkilometer, ein Mannheimer Eishockeystar brachte es auf 165 km/h. Training zahlt sich eben aus.

Ein hochmodernes Trimmrad von 1905

Nur eine von etlichen Kuriositäten sei noch erwähnt: Geradezu hochmodern mutet das historische Trimmrad „Velotrab“ von 1905 an. Beim Pedaltreten hob und senkte sich der Sattel, als ob man auf einem trabenden Pferd gesessen hätte – eine derart pfiffige Idee, dass man sich fragt, warum sie seither nie wieder kommerziell aufgegriffen wurde.

Am Ausgang gibt’s eine Umfrage. Besucher(innen) sollen ihre Motivation zum Sport verraten. Geht’s ihnen in erster Linie um die Gesundheit, ums Gemeinschafts-Erlebnis, um Leistungssteigerung oder um körperliche Schönheit? – Und wie tut man seine Sicht der Dinge kund? Ganz sach- und fachgerecht: indem man Bälle in transparente Röhren wirft. Welche wird sich wohl am schnellsten füllen?

„Fertig? Los! Die Geschichte von Sport & Technik“. DASA Arbeitswelt Ausstellung, Dortmund, Friedrich-Henkel-Weg 1. Noch bis zum 19. April 2020. Mo-Fr 9-17, Sa/So 10-18 Uhr. Katalog 29,95 Euro.

www.dasa-dortmund.de

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Der Beitrag ist zuerst gedruckt im „Westfalenspiegel“ erschienen. Internet-Auftritt des Kultur-Magazins, das in Münster herauskommt: https://www.westfalenspiegel.de




„Berlin Babylon“-Autor Volker Kutscher setzt dem einstigen BVB-Spieler August Lenz ein kleines literarisches Denkmal

Die Dortmunder Recherchen verliefen unspektakulär. Volker Kutscher hat das Fußballmuseum besucht und dort einige Gespräche geführt, er hat sich im Dortmunder Institut für Zeitungsforschung umgetan und sich den Borsigplatz angeschaut.

Der Autor Volker Kutscher (Foto: © Privat / Emons-Verlag)

Der Autor Volker Kutscher (Foto: © Privat / Emons-Verlag)

Es gibt in Dortmund attraktivere Ziele, auf jeden Fall drängt es die Dortmunder, ihren Besuchern den Phoenixsee zu zeigen, vielleicht auch die Gewerbeansiedlungsfläche Phoenix-West, den Fernsehturm und das Westfalenstadion. Doch wenn Kutscher kommt, dann interessiert vor allem die Vergangenheit.

Krimis zu Zeiten der Machtergreifung

Mit seinen Berliner Kriminalromanen aus den 20er und 30 Jahren, in deren Mittelpunkt der zwiespältige, wenngleich nicht unsympathische Kriminalkommissar Gideon Rath steht, hat Volker Kutscher es zum derzeit wohl prominentesten Krimiautor deutscher Zunge gebracht. Schon die bislang sieben Romane verschafften ihm erhebliche Popularität, doch der Fernseh-Mehrteiler „Berlin Babylon“, der nach Motiven vor allem von Kutschers erstem Roman „Der kalte Fisch“ entstand, war sein endgültiger Durchbruch. Auch die folgenden Romane, berichtet Kutscher im Pressegespräch, werden verfilmt und sind zunächst auf „Sky“, später dann öffentlich-rechtlich zu sehen.

Nun gut, mit Dortmund hat Gideon Rath nichts zu tun, und das wird auch so bleiben. Aktuell hat Kutscher in der Stadt für eine kurze Geschichte recherchiert, die er für die Anthologie des Krimi-Festivals „Mord am Hellweg“ zu schreiben beabsichtigt. Ihn interessiert das Jahr 1936, in dem in Berlin die Olympischen Spiele stattfanden und in denen es in Sonderheit auch ein olympisches Fußballturnier gab. Deutschland galt als Favorit, ging aber im Viertelfinale gegen Norwegen mit einem 0:2 ganz unerwartet in die Knie. Das war am 7. August, und es soll das einzige Fußballspiel gewesen sein, das Adolf Hitler in seiner Amtszeit jemals besucht hat. Not amused, der braune Reichskanzler.

Einen Draht zu Fußballgeschichten

So, und jetzt kommt der Dortmund-Bezug. In der deutschen Nationalmannschaft spielte auch August Lenz vom BVB. Und der interessiert Volker Kutscher, der wird in seiner Kurzgeschichte eine tragende Rolle spielen. August Lenz, erzählt Volker Kutscher weiter, wurde später Soldat, überlebte den Krieg, war bis 1949 aktiver Fußballer, später Kneipier, starb in den 70er Jahren.

Wie ist der Autor bloß gerade auf ihn gekommen? „Ich hab’ da so’n Draht dazu“, sagt Kutscher, der wiederholt den Revierfußball der Zwischenkriegszeit recherchierte und Geschichten auch schon bei Schalke ansiedelte. Rivalen, sagt er, war die Vereine natürlich auch damals schon, jedenfalls auf dem Rasen. Aber nicht so wie heute. Man besuchte sich freundschaftlich und freute sich mit, wenn der andere eine Meisterschaft gewann.

Über die Olympia-Niederlage berichteten die damals noch drei Dortmunder Zeitungen relativ ausführlich, schuld war wohl in erster Linie ein reichlich „zahnloser Sturm“. A propos: 1936 ging auch ein heftiges Unwetter über der Stadt nieder, was viele Leute mehr noch als der Sport bewegte.

Nicht mehr als 12 Buchseiten, mindestens ein Mord; und Fußballstar August Lenz kann, da überlebend und nicht vorbestraft, weder Opfer noch Täter sein: Bei diesen knallharten Kriterien wird es auf den Manuskriptseiten recht eng, und Volker Kutscher glaubt deshalb auch gar nicht, daß noch Platz für einen Ermittler sein wird. Aber kurze, komprimierte Kriminalgeschichten können auch gut ohne auskommen, findet er.

Kurzes für das Krimi-Festival „Mord am Hellweg“

Zum „Mord am Hellweg“ (Festivalzeitraum: 19. September bis 14. November 2020) soll die (nunmehr dritte) Anthologie mit Kutschers Dortmund-Geschichte vorliegen. Wieder erscheint die (spannende, wie wir aber doch hoffen wollen) Sammlung im Dortmunder grafit-Verlag, dessen einprägsames Logo die Bände ziert. Und natürlich wissen wir, daß es grafit eigentlich gar nicht mehr gibt, sondern daß es an den Kölner Emons-Verlag verkauft wurde. Trotzdem freut man sich über diese unaufdringliche Erinnerung an eine, wenn auch kurze, Dortmunder Tradition der Kriminalliteratur.

A propos Ermittler: Ihm werden wir ebenfalls beim Hellweg-Festival wiederbegegnen. Volker Kutscher wird dort den achten Gideon Rath-Krimi vorstellen, erstmalig dort aus ihm lesen. Wie auch das kleine Dortmund-Stück wird er im Jahr 1936 spielen, und die Olympischen Spiele werden zumindest die Atmosphäre des Buches prägen. Mehr will der Dichter noch nicht sagen, was man versteht.

Das Ende spielt im Jahr 1938

Ursprünglich, weiß der Kollege von einer Essener Zeitung, war die Gideon Rath-Reihe doch einmal auf acht Bände angelegt, oder? Ja, sagt Kutscher, doch jetzt werden es wohl zehn werden. Es wäre nicht sinnvoll, 1936 aufzuhören. Ihm schwebt ein Ende der Reihe jetzt mit den Pogromen 1938 vor, der „Reichskristallnacht“, als auch dem Gutgläubigsten in Deutschland klarwerden mußte, daß der Weg Nazi-Deutschlands einer in die Katastrophe sein würde, in Untergang und vielmillionenfachen Tod.

Das Krimifestival „Mord am Hellweg“, wir verlassen die zutiefst unerfreuliche Vergangenheit, findet nächstes Jahr mit rund 200 Veranstaltungen zum 10. Mal statt. Ein beachtliches Aufgebot an Krimiautoren wird das Verbrechen in die teilnehmenden Orte tragen, um sodann kurze Geschichten für die Anthologie zu verfassen. Die Liste der „mit fiktiven Auftragsmorden Beauftragten“ reicht von Benedikt Gollhardt (Bönen) bis Melanie Raabe (Witten), „Wilsberg“-Erfinder Jürgen Kehrer (Bergkamen) begegnet uns auf der Liste ebenso wie der langjährige grafit-Autor Horst Eckert (Holzwickede). Erstmalig soll es so etwas wie ein Symposium geben, eine Tagung zur Ästhetik des Kriminalromans (2. bis 4.10.2020).

Ist Dortmund zu groß für dieses Festival-Konzept?

Kleine kritische Schlußbemerkung: „Mord am Hellweg“ ist im Jahr 2002 gestartet mit der Prämisse „kleine Veranstaltungen für kleine Spielorte“. Das war für Städte wie Unna, Soest, Fröndenberg auch goldrichtig. Auch bietet die Kriminalliteratur Veranstaltern die reizvolle Möglichkeit, für vergleichsweise kleines Geld bekannte Namen zu bekommen, man denke nur an die zahlreichen Skandinavier, die uns mit ihren sadistischen Serientätern beglücken.

Dortmund aber paßt nicht so recht in dieses Festivalschema. Hier ist, gerade auch im Spätherbst, auf dem kulturellen Feld einiges los. Deshalb steht zu befürchten, daß die hier angesiedelten „Mord am Hellweg“-Veranstaltungen nur beschränkte Aufmerksamkeit finden werden, sehr zur Unzufriedenheit all jener kleinstädtischen Teilnehmer, die „für Dortmund“ auf schillernde Namen verzichten müssen. Dortmund kriegt Kutscher (in der Anthologie) und die kleinen anderen den weitaus weniger bekannten Rest: Das sollte nicht den Trend des Festivals markieren.




„Katarstrophale Katarstimmung“ oder: Bloß nicht auch noch eine Fußball-WM im Wüstenstaat!

Symbolbild sondergleichen zur Fußball-WM: ein zerbrechlicher Fußball (als Spardose) und ein Miniatur-Globus. (Foto: Bernd Berke)

Symbolbild sondergleichen zur Fußball-WM, die Objekte waren jedenfalls gerade greifbar: ein zerbrechlicher Fußball (als Spardose) und ein Miniatur-Globus. (Foto: Bernd Berke)

Von den derzeit laufenden Leichtathletik-Weltmeisterschaften in Katar habe ich keine einzige Minute im Fernsehen geschaut. Die Veranstaltung geht mir komplett gegen den Strich. Dabei habe ich vor Jahr und Tag mal gern und gespannt zugesehen, wenn gelaufen, gesprungen und geworfen wurde.

Jetzt reicht mir schon, was ich da lesen muss, ich brauche die abstruse Quälerei von Doha nicht auch noch zu betrachten. Diese extremen Bedingungen. Athleten, deren Gesundheit den feisten Funktionären offenbar egal ist, kollabieren reihenweise in der Hitze. Das gähnend leere Stadion. Auch das haben die Sportler nicht verdient. Ganz zu schweigen davon, dass dies – nicht nur wegen brachialer Klimatisierung – ungemein klimaschädliche Spiele sind. Und dann noch so groteske Maßnahmen wie die Startblock-Kameras, die von unten quasi in den Schritt der Sportler(innen) blicken.

Es ist vielleicht die beknackteste Sportveranstaltung aller Zeiten. Und das will was heißen. Na, okay, das mit den Gladiatoren im Alten Rom war noch etwas schlimmer.

Wer wird denn da an Korruption denken?

Wie gesagt: Früher wäre mir das nicht passiert. Da hätte ich den einen oder anderen Wettbewerb verfolgt. Mit etwa zehn Jahren wollte ich ja selbst später Olympionike werden und habe im Hinterhof dafür „trainiert“. Das hat sich gegeben. Doch auch später habe ich mich noch für die olympischen Kernsportarten interessiert, jedenfalls medial. Aber seit den diversen Doping-Vorfällen (die sich teilweise zum Doping-System verflochten haben) hat das Interesse schon arg nachgelassen. Und nun, da die Entscheider beim Weltverband gemeint haben, solch ein Ereignis ausgerechnet nach Katar vergeben zu müssen, ist es vollends vorbei. Wieviel Geld da wohl in welche Taschen geflossen ist?

Okay, ich kann die bemühten Wortspiele eigentlich schon jetzt nicht mehr verknusen, obwohl ich sie mir für die Überschrift mal kurzerhand ausgeliehen habe: Es herrsche Katarstimmung, das Ganze sei eine Katarstrophe. Wat ham wer gelacht. Aber inhaltlich ist ja was dran.

Und nun mal in die nähere Zukunft geblickt, aufs Jahr 2022, wenn im dort etwas kühleren November und Dezember (!) die Fußball-WM gleichfalls in Katar ausgetragen werden soll, jedenfalls nach dem Willen der FIFA. Gleich zwei Ereignisse dieses globalen Kalibers haben die Sport-Gewaltigen also an den winzigen Wüstenstaat Katar vergeben. Wer wird denn da an Korruption denken? Na, fast alle! Natürlich ist Katar keine Fußballnation und wird auch nie eine werden – was freilich noch eines der geringeren Probleme an der bizarren Veranstaltung ist. Es geht nur um einen Zirkus für ein paar Scheichs und deren Gefolge.

Auch als Fußball-Anhänger, der seit Jahrzehnten keine WM verpasst hat, muss man entschieden NEIN dazu sagen! Allein schon der Umstand, dass – wie auch das wirtschaftsfreundliche Handelsblatt berichtet – beim Stadionbau unfassbar viele Arbeiter umkommen (und umkommen werden), sollte zur sofortigen Stornierung und Neuvergabe des megalomanen „Events“ ausreichen. Wie wär’s denn beispielsweise, wenn der neue DFB-Präsident Fritz Keller seinen gewiss nicht ganz geringen Einfluss in diesem Sinne geltend machen würde?

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P. S.:  …und wenn ein Mainzer den Zehnkampf gewinnt, ist das in diesem größeren Kontext auch nur eine Randnotiz.

Nachtrag: Auch der Guardian berichtet dieser Tage über den massenhaften Tod von zugewanderten Arbeitern in Katar. Ernsthaft untersucht werden diese furchtbar häufigen Fälle offenbar nicht.




Oh, schreckliche Sportart Völkerball – Sofort verbieten!

Ach, könnte man sich doch gegen alle Zumutungen des Lebens beschirmen... (Foto: Bernd Berke)

Ach, könnte man sich doch gegen alle Zumutungen des Lebens beschirmen! (Foto: Bernd Berke)

Dies vorangeschickt: Wir reden hier gewiss nicht über alle Kinder aller Eltern. Manche, ja viele, sehr viele wachsen auch in Deutschland unter unwürdigen oder gar gewaltsamen Bedingungen auf. Doch andererseits…

Andererseits gibt es in gewissen beflissenen Mittelschichts-Kreisen die Tendenz, den Nachwuchs (und sich selbst) quasi unbeschränkt vor allem Zumutungen des Lebens geradezu demonstrativ behüten zu wollen – zumindest, was den äußeren Anschein betrifft.

Das Helikopter-Phänomen ist zwischen Latte und SUV so oft geschildert worden, dass es längst zum komischen Klischee geronnen ist. Es verbindet sich aufs unfreiwillig Lächerlichste mit politischer Korrektheit und Unduldsamkeit, sollte da mal eine gegenläufige Meinung auftauchen.

Widersprüche will man einfach nicht hinnehmen und nicht wahrhaben. Ja, man hält sie nicht einmal mehr aus. Welch eine lebensferne Einstellung! Das Nicht-mehr-Aushalten anderer Auffassungen ist überhaupt ein Grundproblem dieser Gesellschaft. Zu dem Themenkomplex hat jüngst auch die Feministin und Philosophin Svenja Flaßpöhler der TAZ ein wichtiges Interview gegeben.

Genug der weitschweifigen Vorrede. Werden wir konkret. Denn wieder einmal haben wir ein neues Beispiel, natürlich – wie immer in derlei Fällen üblich – von „Experten“ aus dem Wissenschaftsbereich angestoßen und mitgetragen. Die Standard-Überschrift beginnt diesmal nicht mit „Experten warnen vor…“, sondern mit „Forscher fordern…“ Und was sollen sie schon fordern? Verbote natürlich. Man hat’s gern rigoros.

Verlierer*innen soll es gar nicht mehr geben

Kanadische Wissenschaftler*innen also (wir gendern hier ganz bewusst, um dem Kontext zu entsprechen) haben demnach für gutes Geld festgestellt, dass das seit Generationen in Schulen und anderswo gespielte, mehr oder weniger beliebte Völkerball (artverwandt in Nordamerika: Dodgeball) ein „Mittel der Unterdrückung“ und „legalisiertes Mobbing“ sei. Weil man nämlich laut Regelwerk Leute des gegnerischen Teams mit dem Ball treffen soll… Man könnte denken, dass damit Völkerball fast schon an Völkerschlacht grenzt. Jedenfalls, so die rigide Forderung, gehöre die Sportart abgeschafft.

Donnerwetter! Man könnte also einen Ball abkriegen und sich danach ganz, ganz schlecht fühlen. Denkt Euch nur: Es soll schon vorgekommen sein, dass böse Buben (oder Mädels) im Spiel absichtlich auf Mitschüler*innen gezielt haben. Doch nun wird uns endlich Gutes verheißen. Ganz klar: Wird kein Völkerball mehr gespielt, hört derlei übles Mobbing sofort auf, Lamm und Wolf lagern nett beieinander und der ewige Frieden bricht aus. Aber so was von!

Es gibt ja tatsächlich auch schon Leute, die überhaupt jedwedes Spiel ablehnen, bei dem es Gewinner und Verlierer gibt. Verlieren! O nein! Was für eine Schmach, die sich nimmermehr verwinden lässt! Den Herzchen ist es einfach egal, ob man dabei was fürs spätere Leben lernen könnte. Sie meiden jede mögliche „Verletzung“. Auch so kann man später ausbrechende Aggressionen züchten.




Lupenreine Demokratie gegen Pharaonen – ein bescheuerter Fußball-Kommentar zum Afrika-Cup

Warum müssen manche Fußball-Kommentatoren solche Kleingeister sein? Heute Abend war wieder ein Stratege zugange. Zufällig bin ich beim Sender DAZN für eine halbe Stunde in die Fußballpartie Ägypten – Kongo geraten, eine Begegnung im Rahmen des Afrika-Cups, als Kontinental-Meisterschaft in etwa vergleichbar der EM. Also keine Kreisklasse.

Screenshot aus dem erwähnten Spiel. (© DAZN)

Screenshot aus dem erwähnten Spiel. (© DAZN)

Okay, beim Fernsehen kommt es vielfach eh in erster Linie auf Antennen fürs Populäre und auf ausgeprägten Sinn für nette Bildchen an. Auch versendet sich dieses oder jenes Gefasel ohne Rücksicht auf Rechtschreibung. Allenfalls stört manche falsche Aussprache. Ich sage nur „Emm-Bappee“ (so behämmert klingt gar häufig der Name Mbappé).

Doch ich verplaudere mich. Zurück zum besagten Spiel. Der deutsche Kommentator entblödet sich nicht, ungefähr in jedem dritten Satz zu betonen, dass hier die Demokratische Republik Kongo auf dem Platz stehe. Und immer wieder: „Demokratische Republik“. Auch ohne den Kongo-Zusatz: „Die demokratische Republik…“ Du meine Zeit, was muss das für eine vorbildliche, lupenreine Demokratie sein! Ja, denkste! Schon ein flüchtiger Blick auf den weltweiten Demokratie-Index von 2018 hätte den Sprecher eines Schlechteren belehren können. Da steht das Land auf Platz 165 von insgesamt 167. Dahinter folgen nur noch Syrien und Nordkorea…

Wenn man weiß, dass man ein solches Spiel zu kommentieren hat, zieht man doch vorher möglichst ein paar grundlegende Erkundigungen ein. Oder man hält sich verbal geflissentlich zurück. Aber nein! Da wird drauflos geredet, dass die Schwarte kracht. Und es reicht wieder mal nur für ein paar gewichtig hervorgepresste Spielernamen, für dumpfes 1:0-Gelaber und für bestürzend dümmliche Bezeichnungen wie „die Pharaonen“ für die ägyptische Mannschaft.

Damit wir uns recht verstehen. Gerade bei DAZN hatte ich oft einen etwas besseren Eindruck von der Sprechergilde. Besonders, wenn sie dort zu zweit kommentieren, ist es zuweilen ganz erträglich – auch verglichen mit „Sky“ oder ARD, ZDF und RTL (wenn die denn mal was übertragen dürfen).

Heute aber saß der Bursche am Mikro, dessen Namen zu eruieren mir nicht lohnend erscheint. Er brachte solche abenteuerlichen Satzfolgen wie jene (über einen aus der Mannschaft geworfenen Spieler) zustande. Sinngemäß: „Er soll mehrere Frauen belästigt haben. Das sieht man bei seinem Verband natürlich nicht gerne. Was man gerne sieht, sind Torchancen…“




Vom religiösen Kult zum Massensport – über die Anfänge des Fußballspiels

Abgelegenes Fußballfeld in einem Dortmunder Vorort. (Foto: Bernd Berke)

Torgestänge mit Patina: abgelegenes Fußballfeld am Rande von Dortmund. (Foto: Bernd Berke)

Aus gegebenem Anlass zum Auftakt der Frauen-WM an diesem Wochenende: Gastautor Heinrich Peuckmann mit einem Beitrag zur Vorgeschichte des heutigen Fußballs.

Wie ist eigentlich der Fußballsport entstanden, jenes Spiel, das rund um den Erdball alle Menschen fasziniert – egal, in welchen Kulturen sie leben? Über welche Zwischenschritte hat er sich entwickelt zu jenem Spiel mit ausgeklügelten Taktiken, das  heute die Massen rund um den Globus fasziniert?

Wie so oft bei großen Entwicklungen der Menschheit liegen die Ursprünge im Kult, also in der Religion. Im 2. Jahrtausend vor Chr. gab es ihn schon in China. Tsu Chu hieß er und diente zuerst vermutlich der körperlichen Ertüchtigung der Soldaten, bevor er vom Volk übernommen wurde, wodurch sich sein Zweck Gott sei Dank änderte.

Die sanfte Variante, made in China

Ziel wurde nun die perfekte Beherrschung des Balles durch den einzelnen Spieler, der den Ball hoch halten, ihn mal mit dem einen, mal mit dem anderen Bein spielen sollte. Wertevorstellungen für ein harmonisches Zusammenleben wurden durch ihn vermittelt. Rudi Gutendorf, Weltenbummler in Sachen Fußball und zwischendurch natürlich auch Trainer in China, hat dieses ursprüngliche Ziel mehr als 3000 Jahre später leidvoll erfahren. Den Chinesen fehle der Biss, sie hätten keinen Drang zum Tor, hat er resignierend geurteilt. Es war eben Tsu Chu, die sanfte, unaggressive Variante, die er gesehen hatte, nicht Bundesliga-Fußball.

In Japan ist der Bezug zur Religion bis heute erkennbar, denn dort ist Fußball Teil des Shinto-Kultes. Kemari heißt er und wird im Tempelbezirk von Männern in ritueller Kleidung durchgeführt. Den geweihten Ball zum Spiel bringt der Priester. Auch die Mayas und Azteken kannten den Fußballsport, wo es galt, den Ball durch einen Steinring an einer Mauer zu treten.

Im antiken Griechenland finden wir Abbildungen von Fußballspielern auf Vasen und Tellern. Bei den Spartanern diente Fußball wieder zur körperlichen Ertüchtigung der Jungen, weil die Spartaner eben Wert auf kriegerische Stärke legten und nicht auf Kultur. Weshalb, als Folge dieser Ausrichtung, von ihnen wenig erhalten ist, so dass wir heute, wenn wir nach Griechenland fahren, Athen besichtigen und nicht Sparta. Irgendwie ist die Welt halt doch gerecht.

Den Ball bis ins eigene Dorf vorantreiben

Im nördlichen Europa waren seine Anfänge wirr. Beim Volksfußball in England ging es anfangs darum, den Ball ins eigene Dorf zu schießen, auf den Markplatz, durchs Stadttor oder gegen den Kirchturm. An manchen Orten soll es sogar Ziel gewesen sein, den Ball auf den Friedhof zu schießen. Tobende Jungen in wildem Durcheinander muss man sich vorstellen. Auch Shakespeare erwähnt in einem seinem Stücke dieses wilde Spiel, verständlicherweise mit abfälligem Tonfall.

Erst später wurde der heutige Kampfsport mit zwei gegeneinander spielenden Mannschaften daraus. Ziel wurde nun das Tor des Gegners, in das es fortan zu treffen galt. Die Anzahl der Spieler schwankte lange.

Häufig gab es dabei Ärger mit der Polizei, denn Zeit zum Spielen hatten die ersten Fußballer nur sonntags. Und da, fanden die Puritaner, sollte Gott verehrt werden, nicht ein Lederball oder eine Schweinsblase. Bestraft wurden aber oft nur die Zuschauer, die sich zum Spiel eingefunden hatten, die Fußballer selbst konnten der Polizei entwischen. Schnelligkeit und Kondition spielten schon damals eine Rolle.

Verheiratete gegen unverheiratete Frauen

In einem englischen Dorf war es sogar Brauch, dass einmal im Jahr die verheirateten Frauen gegen die unverheirateten antraten. Wobei, wie die Chroniken verraten, meistens die verheirateten gewannen. Sie hatten in der Ehe vermutlich gelernt, wie man sich durchsetzt. Das waren, wenn man so will, die Anfänge des Frauenfußballs. Sind die deutschen Spielerinnen bei der diesjährigen Fußball-WM eigentlich verheiratet? Wer weiß, welchen Vorteil man andernfalls verschenkt.

Die heutigen Regeln mit Abseits, Spielerzahl usw. wurden erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts festgelegt, in England, wo der moderne Fußball seinen Anfang nahm. Ein Prozess von mehr als 3000 Jahren lag da hinter ihm. Von da an dauerte es nicht einmal mehr hundert Jahre, bis er seinen Siegeszug um die Welt vollendet hatte.




„Ring frei! Runde drei!“ – Beim Dortmunder Boxer-Stammtisch wird oft auch über Kultur geredet

Beim 150. Boxer-Stammtisch aufgenommen: Gruppenbild mit relativ wenigen Damen.

Gruppenbild mit Damen, beim 150. Boxer-Stammtisch in Dortmund-Hombruch aufgenommen. (Foto: Dieter Schütze / DBS 20/50)

Gastautor Heinrich Peuckmann über einen sehr ungewöhnlichen Stammtisch in Dortmund:

In Dortmund gibt es einen Stammtisch ehemaliger Sportler, der auf seine Weise einmalig ist. Drei- bis viermal im Jahr treffen sie sich und laden dazu Ehrengäste ein, die über ihre Tätigkeiten informieren: zum Beispiel Opernsänger, Schriftsteller, Manager, Politiker, den Ballettchef des Dortmunder Theaters oder erfolgreiche Sportler.

Wenn man fragen würde, welche Sportart diese Stammtischfreunde früher ausgeübt haben, man würde auf alle möglichen kommen, auf Schwimmer vielleicht, Golfer, Tennisspieler, aber es wäre alles falsch. Es sind die Dortmunder Boxer, die früher  in ihrem Vereinslokal „Zum Volmarsteiner Platz“ im Kreuzviertel diese ungewöhnliche Mischung aus Unterhaltung, Information, Kultur und natürlich Austausch von Erinnerungen veranstaltet haben und sich nun in einer Gastwirtschaft in Hombruch treffen. Kürzlich fand bereits der 150. Stammtisch statt.

Gäste mit klingenden Namen

Geleitet werden die Stammtische von Dieter Schumann, Vorsitzender des Vereins „Dortmunder Boxsport 20/50“ und Seele der Dortmunder Boxerszene. Dort kann man sie alle treffen, die mal einen Namen hatten: Ulrich Besken kommt, in den achtziger Jahren mehrfach Deutscher Meister, die Johannpeter-Brüder, Mitglieder einer erfolgreichen Boxerfamilie, sind schon mal Gäste  (sechs der zehn Brüder schafften den Sprung in die Nationalmannschaft) – und Willy Quatuor, ehemaliger Europameister bei den Profis, kam gerne vorbei, solange es die Gesundheit zuließ.

Dieter Schumann leitet diese Sitzungen mit unüberhörbarem Humor, unterbricht den Schriftsteller zum Beispiel bei seiner Lesung, zettelt eine Diskussion an. Wenn die Wogen hoch schlagen über die Beurteilung dieser oder jener Aussage, schlägt er gegen einen Gong und ruft: „Ring frei – Runde drei!“ Dann liest der Schriftsteller weiter aus seinem Roman oder der Opernsänger erklärt seine Rolle in einer neuen Inszenierung.

Meistertitel sind nur Nebensache

Diejenigen, die sich früher im Ring gegenüber standen, sitzen nun friedlich nebeneinander. Sie reden miteinander, haben längst Freundschaft geschlossen und verabreden sich zwischendurch für irgendwelche Zusatztreffen. Dabei spielt es keine Rolle, wer früher mal ein Star war und wer es nur bis zu Kämpfen auf Bezirksebene gebracht hat. Boxer ist Boxer und über die Kämpfe des einen lässt sich im Rückblick genauso viel erzählen wie über die Kämpfe des anderen.

Kein Wunder, dass auch Ehemalige aus anderen Sportarten an diese muntere Truppe Anschluss gefunden haben. Ursula Happe, 1956 Olympiasiegerin im Brustschwimmen, ist regelmäßiger und gern gesehener Gast. Ihr Sohn Thomas, dies nebenbei, gewann 1984 auch eine olympische Medaille, die Silberne, und zwar im Handball. Conny Dietz kommt immer, obwohl sie in zwischen in Köln wohnt. Olympiasiegerin 1992 wurde sie bei der Behindertenolympiade im Goalball. In Peking nahm die nahezu blinde Sportlerin zum sechsten Mal an Olympischen Spielen teil und trug beim Einmarsch der Nationen die deutsche Fahne.

Auch mit Herz und Hirn

Schumann pflegt diese Gruppe, sorgt für gute Laune und achtet darauf, dass niemand nach Hause geht, ohne persönlich angesprochen zu werden. Wer einmal da war, erhält immer wieder Einladungen. So sind längst ehemalige Ehrengäste zu Stammtischmitgliedern geworden und fühlen sich wohl unter den Boxern.

Dies alles folgt dem Motto des Dortmunder Boxvereins: „Nicht nur mit der Hand, auch mit Herz und Hirn!“ Und das ist für Schumann nicht einfach bloßes Versprechen, wie man es aus Sonntagsreden kennt, das wird wirklich gelebt. Da werden die Jugendboxer seines Vereins ins Dortmunder Theater geführt, schauen sich eine Aufführung an und lassen sich später von der Theaterpädagogin über die Hintergründe informieren. Und diese Jugendlichen sind weiß Gott nicht Leute, denen die Nähe zur Kultur in die Wiege gelegt wurde.

Fairness und Respekt im Verein

Mitglieder aus zehn Nationen und von drei Kontinenten gehören zu Schumanns Verein, jeder wird in seiner kulturellen Eigenart respektiert, jeder lernt auch, sich  mit der Kultur des anderen auseinander zu setzen. Grundlage von Training und Wettkampf  sind dabei unumstößlich die Boxregeln, und die zielen auf Fairness und Respekt vor der Leistung des Gegners.

Schumann selbst war ein guter Boxer, allerdings keiner, der Meisterschaften gewann. 25 Kämpfe hat er bestritten, hat 15 davon gewonnen und verließ nur dreimal geschlagen den Ring. Das reicht, um genau zu wissen, worauf er bei seinen Schützlingen achten muss, um sie nicht zu überfordern und auch, um zu erkennen, welcher Trainer der richtige für seine Leute ist und welcher nicht. Vor allem reicht es, um alle, die in der Szene einen Namen haben, zu kennen, und das will etwas heißen in Dortmund, denn die Stadt war über viele Jahre hinweg Hochburg des deutschen Boxsports. Spätestens seit Eröffnung der Westfalenhalle 1952 fanden hier immer wieder große Boxabende statt.

Besonders erfolgreich waren zwischendurch die Schwestern Goda und Ginte Dailydaite, deren Vereinsbeiträge, Trainings- und Boxutensilien von den Seniorenboxern des Vereins bezahlt werden, weil die beiden sonst ihren Sport nicht ausüben könnten. Eine Kleinigkeit, könnte der unkundige Betrachter vielleicht meinen, aber von diesen Kleinigkeiten gibt es jede Menge unter den Dortmunder Boxern. Goda boxte neulich um die Weltmeisterschaft, verlor aber leider. Natürlich kommt auch sie mit ihrer Schwester zum Stammtisch.




Trotz eher geringfügiger Titelchancen: In Dortmund grassiert mal wieder das schwarzgelbe Fußballfieber, denn vielleicht…

Vor ziemlich genau 8 Jahren wurde eine Hausfassade in Dortmund meisterschaftsgerecht umgestaltet. (Foto: Bernd Berke)

In jenem Moment noch unvollendet: Vor ziemlich genau 8 Jahren wurde diese Dortmunder Hauswand meisterschaftsgerecht umgestaltet. (Foto: Bernd Berke)

Jetzt dreht man hier in Dortmund schon wieder durch. Zumindest stehen viele Leute kurz davor. Denn rein theoretisch hat der BVB noch Chancen auf den Gewinn der Deutschen Fußballmeisterschaft. Für Schalker kurz erläutert: Dat is‘, wennze die Schale kriss‘.

BVB-Geschäftsführer Watzke wird mit dieser fast übermütigen Einlassung zitiert: „Meine Hoffnung wird jeden Tag größer. Ich bin selber ganz verwundert, weil ich eigentlich Skeptiker bin.“ Er habe, so Watzke demnach weiter, das „Gefühl, dass wir vor großen Dingen stehen“. Er könne es auch nicht erklären. Tja, wer kann das schon?

Unterdessen heißt es bereits, dass die Stadt Dortmund zu etwaigen Meisterfeiern mindestens rund 200.000 Fans erwarte (im verwöhnten München wären es wahrscheinlich gerade mal ca. 20.000 Versprengte, wenn überhaupt). Auch hat man hier bereits die Strecke für einen Autokorso ausgeguckt und abgesteckt: Start wäre am Sonntag um 14:09 Uhr, der Lindwurm der Freude würde sich vom Gelände der Westfalenhütte via Borsigplatz bis zum Ziel am Hohen Wall durch die Gegend winden. Nun gut, so etwas will ja wirklich von längerer Hand geplant sein. Aber es wirkt schon ein wenig vermessen, darüber zu reden. Man sollte es überhaupt nicht beschreien, da bin ich abergläubisch. Nicht schon vorher grölen: „Ey, hömma, Meista!“

Wenn schon, dann so richtig schweinemäßig ungerecht!

Zwischenzeitlich hat die Mannschaft des BVB ja so manches getan, um ihre Titelchancen zu vergeigen. Neun Zähler Vorsprung waren unversehens und erstaunlich rasch dahingeschmolzen. Tiefpunkte waren die grottigen Spiele ausgerechnet gegen Bayern und Schalke. Da hat Trainer Lucien Favre ganz traurig geguckt.

Doch unverhofft ist Borussia Dortmund noch einmal auf zwei Punkte an die Bayern herangekommen – bei ungleich schlechterem Torverhältnis. Bekanntlich muss man am morgigen letzten Liga-Spieltag bei der anderen Borussia in Gladbach antreten, für die es noch um etwas geht (Teilnahme an der Champions League), während Bayern die zuletzt so wechselhaften Frankfurter empfängt, die gleichfalls noch gut Punkte gebrauchen können (wg. Teilnahme an der Europa League oder gar an der Champions League). Den Münchnern reicht jedenfalls ein schnödes Unentschieden. Doch ihr etatmäßiger Torwart Manuel Neuer fällt aus – und es brodeln die Gerüchte um eine Entlassung von Trainer Kovac. Psycho!

Hoffentlich entscheidet nicht irgend ein dubioser Video-„Beweis“ über Wohl und Wehe, ein aus unerfindlichen Gründen zurückgenommener Elfmeter, ein erst aberkanntes und dann doch noch anerkanntes Törchen, ein angebliches Abseits, ein harmloses Foul mit anschließender „Schwalbe“, ein vermeintliches Handspiel („An-ge-schos-sääään! – Wo soll er denn hin mit der Hand?“). Wenn schon, dann soll’s aber so richtig schweinemäßig ungerecht zugehen, damit man hernach alles auf den Schiri schieben kann. Ganz wie früher. Hach. Und wenn wir schon bei Ungerechtigkeiten sind: Nicht unbedingt die Besseren sollen gewinnen (gähn!), sondern die Richtigen, hoho. Keine Widerrede jetzt!

Jeder Aspekt der bevorstehenden „Endspiele“ wird nun um und um gewälzt. Ungemein wichtige Sportredakteure schreiten derzeit mit breiter Brust und dicker Hose durch die Medienhäuser. Soooo spannend war das Finale der Liga seit Jahren nicht mehr. Und sie haben es schon immer gewusst.

Lindner und Özdemir setzen auf Schwarzgelb, Kühnert nicht

BVB-Kapitän Marco Reus ist nach seiner Rot-Sperre wieder dabei – und vielleicht hat Jadon Sancho erneut seine genialischen Momente. Der Junge hat in der gesamten Bundesliga die meisten erfolgreichen Dribblings bestritten. Darauf hätte man auch ohne Statistik gewettet.

Apropos wetten. Jetzt wurden wieder Politiker und sonstige Promis ‚rauf und ‚runter befragt, auf wen sie denn tippen. Für ein Boulevardblatt ist eine sinistre „Wahrsagerin“ angetreten. Außerdem gerade gelesen: Christian Lindner setzt auf „seinen“ BVB (der Mann sitzt im Wirtschaftsrat des Vereins, trotzdem hat man ein mulmiges Gefühl, wenn er Schwarzgelb so höchstpersönlich für sich vereinnahmt), Cem Özdemirs Hoffnungen gehen in dieselbe Richtung. Aber nix mit rot-gelb-grün. Denn Kevin Kühnert hält es mit Bayern München. Der soll bloß aufpassen, dass er nicht auf einmal enteignet wird! Das geht manchmal ganz flott – und schon is‘ der Ball wech…




Wenn der Affe Walter Geburtstag hat, singen die Zoobesucher aus voller Brust „Happy Birthday“

Geburtstags-Affe Walter (re.) mit Lebensgefährtin Toba im Freigelände am Regenwaldhaus. (Foto: Bernd Berke)

Großer Aufschlag im Dortmunder Zoo: Geburtstags-Affe Walter (re.) mit Lebensgefährtin Toba im Freigelände am Regenwaldhaus. (Foto: Bernd Berke)

Das hat man nicht mehr alle Tage in Dortmund, wo sich das Medienangebot zuletzt arg ausgedünnt hat. Ein Presseauftrieb wie heute ist recht selten geworden. Etliche Print-Journalisten, Fotografen, Hörfunkreporter, Kamerateams und Hunderte von Schaulustigen waren zugegen, als… BVB-Kapitän Marco Reus einen öffentlichen Auftritt hatte? Angela Merkel in der Stadt zu Gast war? Gar irgend etwas Klimagerechtes mit Greta Thunberg stattfand? Nichts von alledem! Ein Affe hatte Geburtstag!

Walter heißt der Orang-Utan, dem heute im Dortmunder Zoo zünftig gehuldigt wurde. Der Affe mit bewegter Frankfurter, Leipziger und schwedischer Vergangenheit beging in der Außenanlage des Regenwaldhauses „Rumah hutan“ seinen 30. Geburtstag mit einer veritablen Torte, die vorwiegend aus gefrorenen Frucht- und Gemüsesäften bestand.

Walter erlangte einen gewissen Bekanntheitsgrad, als er 2006 zum Fußball-WM-Orakel bestellt wurde – und einige Ergebnisse korrekt „vorhersagte“. Ein Fußballkenner also, wie es sich für Dortmund gehört. Und wehe allen, die jetzt „Mein Gott, Walter“ sagen! Sie haben es verwirkt.

Bei solchen Anlässen werden auch schon mal KInder vom Fernsehen befragt. (Foto: Bernd Berke)

Bei solchen Anlässen werden auch schon mal Kinder vom regionalen Fernsehen befragt. (Foto: Bernd Berke)

Allerdings geht mit dem Kerl auch schon mal das Animalische durch. Aus schierer Eifersucht hat Walter seinem Ziehkind Yenko einmal einen Arm abgebissen. Das arme, tapfere kleine Wesen klettert trotzdem höchst geschickt durch die Anlage. Da seufzen alle Mütter. Und nicht nur die.

Wie sein Pfleger verriet, ernährt sich Walter übrigens ziemlich vernünftig. Niemals überfresse er sich. Wenn man ihm eine ganze Kiste Bananen hinstelle, nehme er nur zwei bis drei zum sofortigen Verzehr. Den Rest lasse er zunächst einmal liegen. Er hat also offenbar beste Chancen, das ehrwürdige Orang-Greisen-Alter von rund 60 Jahren zu erreichen.

Nachdem die (ferienhalber sehr ansehnliche) Zoobesucher-Schar aus voller Brust „Happy Birthday“ angestimmt hatte, die Torte weitgehend aufgegessen und überhaupt alles recht gesittet und manierlich verlaufen war, wurde Walter dann doch wieder etwas rabiat. Er zerschlug plötzlich mit wenigen Hieben die große Kiste, auf der die „30″ aufgemalt war.

 

 




Warum ausgerechnet elf? Eine Fußball-Frage, die wohl niemand eindeutig beantworten kann

Oft genug passend: Inschrift auf einem Dortmunder Grabstein (Ostfriedhof). (Foto: Bernd Berke)

Oft genug passend – auch in diesem Falle: Inschrift auf einer Dortmunder Grabstätte (Ostfriedhof). (Foto: Bernd Berke)

Gastautor Heinrich Peuckmann über eine Grundsatzfrage des Fußballs:

Immer dieselben Fragen. Wer wird Meister, wer steigt ab? Schafft es die Borussia dieses Jahr oder siegen wieder die Bayern? Nur die alles entscheidende Frage stellt wieder keiner. Warum elf? Es könnten doch auch zehn sein, die in einer Fußballmannschaft spielen. Oder zwölf. Aber nein, es sind elf.

Ich sitze im Stadion, höre die Mannschaftsaufstellungen und frage mich: Warum werden nicht mehr, warum nicht weniger Namen aufgerufen?

Frage ich meinen Nachbarn nach dem Grund, gibt es jedes Mal ungläubiges Staunen. Was ist das den für einer? Was will der denn hier im Stadion?

Dabei sind Zahlen niemals zufällig, sie haben immer eine Bedeutung. Sieben zum Beispiel ist eine heilige Zahl. In sieben, nicht in acht Tagen ließen die Verfasser der Bibel Gott die Welt erschaffen. Sieben, nach der Anzahl der damals bekannten Sterne. Vielleicht aber auch, weil sie sich aus drei und vier zusammensetzt. Drei für die kleinste Form der Familie (Vater, Mutter, Kind), vier für die Elemente, in denen das Leben stattfindet (Feuer, Wasser, Wind und Erde).

Heilige 7, Fülle der 12

Zwölf ist die Zahl der Fülle. In zwölf Neumonden hat sich der Zyklus des Jahres mit säen, wachsen, ernten und ruhen erfüllt. Aus zwölf Stämmen bestand das Volk Israel. Als Jesus zwölf Jünger um sich versammelte, berief er symbolisch das gesamte Volk.

40 beschreibt die Dauer des verantwortlichen Lebens. Nach 40 Jahren Wüstenwanderung lebte keiner mehr von den Sündern mit dem „Goldenen Kalb“.

Ich starte eine Umfrage, aber Freunde, Fußballer wie Sportjournalisten, wissen keine Antwort. „Stimmt, darüber habe ich noch nie nachgedacht.“

Militärische Ursprünge?

Ein Ergebnis zeitigt die Privatumfrage aber doch. Im militärischen Bereich, besonders bei der Ausbildung, gibt es die Gruppe, die aus elf Leuten besteht. Aus 10 Mitgliedern und dem Anführer. Irgendwie hat sich diese Einheit in einer Männergesellschaft als ideal herausgemendelt. Sie ist so groß, dass sich Streithähne aus dem Weg gehen können und gleichzeitig so klein, dass sich ein Mannschaftsgefühl entwickeln kann. Eine Erfahrung, die auch die Fußball-Regelkundler gekannt haben könnten.

Ein Blick in ihr Regelwerk hilft übrigens nicht weiter. Dort steht nur, wann die die Zahl elf festgelegt wurde. Am 14. Juni 1897 war es, als Mitglieder eines internationalen Fußballgremiums bestimmten, dass in jeder Mannschaft elf Spieler kicken sollten.  Zum Warum sagen sie nichts, genau wie alle anderen Fußballbücher. Bis ich dann doch auf einen „Bruder im Geiste“ treffe. Werner Pieper heißt er und hat ein herrlich faktenreiches und gleichzeitig komisches Buch über Fußball geschrieben: „Der Ball gehört uns allen.“

Symbolik und Mystik der Zahlen

Pieper hat herausgefunden, dass schon lange vor 1897, nämlich 1863 Vertreter von elf (!) Londoner Fußballvereinen erste Regeln festgelegt haben. Sie waren, nicht untypisch für England, überwiegend Freimaurer, die Zahlensymbolik geradezu lieben. Also befragte er Zahlenmystiker, die mehrer Theorien entwickelten.

11 besteht aus 1+1, die niemals 2 werden können, sich also niemals vereinigen, sondern immer einander gegenüberstehen.

Im 19. Jahrhundert war Fußball reiner Männersport, was Parallelen zu den Ritterorden möglich macht. Bei den orientalischen Tempelrittern zum Beispiel war der höchste Grad der Einweihung in den Orden der elfte, der der Novizen einführte in das letzte Geheimnis der Männlichkeit.

Angriff und runde Form

In der hebräischen Kabbala, Freimaurern sicher geläufig, gibt es auffällige Begriffe, die in der Numerologie den Wert elf haben: „attackieren“ etwa, aber auch „runde Form“, „runde Bewegung“.

Nicht zuletzt gibt es beim Tarotspiel 22 (!) Trumpfkarten. Die Zahl elf wird dabei gleichgesetzt mit dem 11. Geheimnis, das „Kraft“ oder „Stärke“, manchmal auch „Lust“ bedeutet.

Die Recherche belegt: Die Zahl elf hat ihre Bedeutungen, auch sie ist nicht zufällig. Trotzdem bleibt ein unbefriedigendes Gefühl. Ein endgültiger Beweis fehlt. Ein Spiel erobert die Welt, fasziniert alle Kulturen, aber niemand fragt nach dem Sinn seiner wichtigsten Grundregel. Alle bleiben bei der Frage stehen, wer wo spielen soll und wer am Ende Meister wird.

 




Was der Dortmunder Bildhauer Benno Elkan mit Tottenham Hotspur und dem FC Bayern München zu tun hat

Der Dortmunder Künstler Benno Elkan in seinem Londoner Exil-Atelier, im HIntergrund die Menora (monumentaler Siebenarmiger Leuchter), an der er damals arbeitete. (Foto: Tamar Hayardeni / Wikimedia Commons)

Der Dortmunder Künstler Benno Elkan (1877-1960) in seinem Londoner Exil-Atelier, hinten die Menora (monumentaler Siebenarmiger Leuchter), an der er damals arbeitete. Foto: Tamar Hayardeni / Wikimedia Commons / Link zur Lizenz: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Benno_Elkan.jpg

Querbezüge gibt’s, die gibt’s eigentlich gar nicht! So vermeldet jetzt die Dortmunder Auslandsgesellschaft  e. V. erstaunliche Dinge, die von hier aus nach München und London führen. Wir bedienen uns freihändig aus einigen Fakten der Pressemitteilung und erlauben uns diese oder jene Ergänzung bzw. Ausschmückung.

Der Reihe nach. Es geht um den Dortmunder Bildhauer Benno Elkan, dessen frühe Werke („Die Wandelnde“, „Persephone“) u. a. auf dem hiesigen Ostfriedhof zu sehen sind. Elkan war freilich nicht nur Künstler, sondern auch eine Pioniergestalt des Fußballsports. Und jetzt haltet Euch fest: Er hat eine viel beachtete Version des Kampfhahns entworfen, welcher schon seit 1901 das Wappentier des Londoner Vereins Tottenham Hotspur ist. Ob Zufall oder Fügung: Just bei den „Heißspornen“ muss morgen (Mittwoch, 13. Februar, 21 Uhr) der BVB in der Champions League antreten.

Ein silberner Kampfhahn im Auftrag der Rivalen

Der „Fighting Cockerel“ wurde, wie die Auslandsgesellschaft weiter wissen lässt, 1949/50 von Elkan im Londoner Exil geschaffen. Leider ist das aus Silber geformte Original verschollen. Weitaus mehr als eine Kuriosität: Elkan hat den Hahn im Auftrag von Arsenal London entworfen, doch dieser Verein verschenkte ihn 1950 an die „Spurs“ – als Zeichen des Dankes, weil Arsenal im Krieg (ab 1941) zeitweise Trainingsgelände und Stadion von Tottenham nutzen durfte. Die Anlagen von Arsenal hatte die deutsche Luftwaffe zerstört. Die beiden ansonsten heftig rivalisierenden Clubs aus dem Londoner Norden hielten in dieser Situation zusammen. Wenn man so will: Der Kampfhahn ist somit nicht nur aggressiv, sondern reicht, wenn es sein muss, auch die Krallen zur Versöhnung.

Knapper Rückblick: Die Familie Elkan war jüdischen Glaubens und zog in den 1870er Jahren nach Dortmund, genauer: in die Brückstraße; noch genauer: dorthin, wo heute das Orchesterzentrum NRW seinen Sitz hat. Der 1877 geborene Benno Elkan wurde in der NS-Zeit mit Berufsverbot belegt und ging 1934 ins Exil nach London. Dort schuf er in den 1950er Jahren auch jenen fast fünf Meter hohen, siebenarmigen Leuchter (Menora), der seit 1958 vor dem israelischen Parlament, der Knesset, in Jerusalem steht.

Präsentieren eine freie Nachschöpfung des Tottenham-Kampfhahns (v. li.): Gerd Kolbe (Historischer Verein, einer der besten Fußballexperten Dortmunds), KlausWegener (Präsident der Auslandsgesellschaft), Elke Strauch (Künstlerin aus Holzwickede), Jonas Becker (Verwaltungsdirektor des Orchesterzentrums NRW). (Foto:Milica Kostić / Auslandsgesellschaft)

Präsentieren die freie Nachschöpfung des Tottenham-Kampfhahns (v. li.): Gerd Kolbe (Historischer Verein, Fußballexperte), Klaus Wegener (Präsident der Auslandsgesellschaft), Elke Strauch (Künstlerin aus Holzwickede). Im Hintergrund Jonas Becker (Verwaltungsdirektor des Orchesterzentrums NRW). (Foto:Milica Kostić / Auslandsgesellschaft)

Anstöße am Genfer See

In einem Internat am Genfer See hatte Benno Elkan von englischen Mitschülern 1893/94 das Fußballspiel gelernt. Erste Folge: 1895 gründete er mit Freunden den ersten Dortmunder Fußballverein, den DFC 1895 (heute TSC Eintracht). Zweite, noch wesentlich bedeutsamere Folge: Als er an der Münchner Kunstakademie studierte, gehörte er am 27. Februar 1900 zu den Gründern des – FC Bayern München. Staunenswert, nicht wahr?

Und so zählt eine von der Künstlerin Elke Strauch (Holzwickede) angefertigte, freie Nachbildung des besagten Kampfhahns auch zu den Exponaten einer Ausstellung in der Münchner Allianz-Arena (27. Februar 2019 bis 31. Januar 2020): „Zwischen Atelier und Fußballplatz – Die Gründer des FC Bayern“ heißt die Zusammenstellung.

Mal wieder ein Zeichen dafür, dass Kicken und Künste durchaus ihre Berührungspunkte haben. Immer mal wieder. Und für diese Erkenntnis sehen wir zwischendurch auch mal ein bisschen von der Rivalität mit den Bayern ab. Sie sind ja quasi (*räusper, räusper*) auch ein Dortmunder Gewächs.




Nachlass von Fritz Walter unterm Hammer – große Aufregung in Kaiserslautern, gewisses Interesse in Dortmund

Anno 1965 Im Trainingslager der deutschen Fußball-Nationalmannschaft zu Malente: Fritz Walter (2. v. re.) mit dem jungen Franz Beckenbauer (re.), Bundestrainer Helmut Schön (li.) sowie einem Fotografen. (Foto: Wikimedia Commons / Friedrich Magnussen (1914-1987) / Stadtarchiv Kiel). Link zur Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.de

Anno 1965 im Trainingslager der deutschen Fußball-Nationalmannschaft zu Malente: Fritz Walter (2. v. re.) mit dem jungen Franz Beckenbauer (re.), Bundestrainer Helmut Schön (li.) und einem Fotografen. (Foto: Wikimedia Commons / Friedrich Magnussen (1914-1987) / Stadtarchiv Kiel). Link zur Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.de

…und schon wieder so ein kleiner Aufreger mit Dortmunder Querbezug: Am 16. Februar sollen im Heidelberger Auktionshaus „Kunst & Kuriosa“ rund 1000 Stücke aus dem Nachlass von Fritz Walter, dem 2002 verstorbenen Ehrenspielführer der deutschen Fußball-Nationalmannschaft, versteigert werden.

Zum Konvolut gehört – mit Verlaub – wohl ziemlich viel Plunder. Aber immerhin wären da auch die goldene Uhr, die Fritz Walter für den legendären WM-Titel 1954 bekommen hat, sowie eine goldene Totenmaske und ein paar aufschlussreiche Urkunden.

Wie u. a. der Südwestrundfunk (SWR) und das Regionalblatt „Die Rheinpfalz“ berichten, wollen aufgebrachte Fans des 1. FC Kaiserslautern mit einer Crowdfunding-Aktion Teile des Sammelsuriums für ihren Verein und ihre Stadt retten; jene Stadt, deren Fußball-Arena nicht von ungefähr Fritz-Walter-Stadion heißt und die – Achtung, Kalauer! – ein FCK-Museum beherberg(er)t. Befürchtung der FCK-Anhänger: Manches Kicker-Kleinod könnte nach einer Versteigerung in privaten Kämmerlein verschwinden, statt der Öffentlichkeit zugänglich zu sein.

Die Pfälzer Fanseele ist eh schon wund genug, dümpeln doch die einst so stolzen Lauterer derzeit im Mittelfeld der Dritten Liga. Und jetzt sollen auch noch die Reliquien vom Fritz unter den Hammer kommen und womöglich in dunklen Kanälen verschwinden?

Unterdessen regen sich vereinzelt auch Stimmen fürs Deutsche Fußballmuseum des DFB in Dortmund. Dessen Direktor Michael Neukirchner hat – sozusagen pflichtgemäß – Interesse an bestimmten Stücken angemeldet. Und ein Urgroßneffe (!) des Weltmeistertrainers Sepp Herberger, seines Zeichens Musikproduzent, hat gleichfalls fürs Dortmunder Haus plädiert. Sagen wir mal mit allem Respekt so: Es gibt in Fußball-Deutschland gewichtigere Stimmen.

Wie es in der „Rheinpfalz“ weiter heißt, wird der Nachlass im Auftrag der Familie Lutzi versteigert, der Fritz Walter sein Haus vermacht hat. Die Familie will angeblich pauschal 200.000 Euro für die Sammlung erzielen – oder eben einzeln versteigern lassen. Einen 2011 geschlossenen Nutzungsvertrag mit dem FCK hat die Familie demnach 2018 gekündigt.

In diesem Zusammenhang wäre es interessant zu erfahren, welchen Ankaufsetat das Dortmunder Fußballmuseum aufbringen kann, das eh schon ein Zuschussbetrieb zu werden droht.




Ribéry und die Wut nach dem Steak

Frooonkreisch macht mal wieder mehrfach von sich reden: Ist es Zufall oder Schicksals Walten, dass die Aufwallungen des rabiaten Bayern-Kickers Franck Ribéry mit dem Erscheinen des neuen Houellebecq-Romans „Serotonin“ zusammentreffen? Ist etwa Ribéry auch einer jener Wutbürger, wie sie im Buch mehr oder weniger direkt vorkommen? Nun ja, Benzin- oder Milchpreise regen ihn wohl weniger auf. Jedoch…

Salz mit quasi-religiöser Anmutung... (Foto: Bernd Berke)

Salz mit quasi-religiöser Anmutung… (Foto: Bernd Berke)

Dieser Ribéry, der auch schon mal Ärger wegen Sex mit einer minderjährigen Prostituierten hatte (endete mit Freispruch), hat bekanntlich kürzlich ein sündhaft teures Steak verputzt, ein rundum vergoldetes. Kostenpunkt angeblich 1200 Euro.

Macht Goldflitter kein Bauchweh?

Es war sozusagen ein Tanz ums Goldene Kalb, wie man ihn schon aus der Bibel kennt. Kann man solchen Goldflitter eigentlich unbeschadet essen, oder hat der arme Franck davon Bauchgrimmen bekommen? Das täte uns aber leid.

Jedenfalls ist er sehr offensiv mit seinem dekadenten und nachgerade obszönen Tun umgegangen. Er hat es für nötig befunden, sich selbst, das Steak und den Kult-Koch im (a)sozialen Netzwerk zu feiern. Kein Gedanke wird daran verschwendet, wie das bei den oft nicht so begüterten Fußballfans wohl ankommt. Aber über solche niederen Sphären sind Multimillionäre à la Ribéry natürlich längst weit erhaben.

Nun gibt es manche, die sagen: Er hat doch die Kohle und kann damit machen, was er will. Klar, wenn er dereinst selbst in der Hölle braten möchte, kann er das alles tun.

Wenn das Salz über den Unterarm rieselt

Reli-Scherzchen beiseite. Und auch keine mahnenden Vorträge über soziale Verpflichtung des Eigentums, die auch anderwärts nicht zu gelten scheint. Erst recht keine Stellungnahme zu jenem Koch, der u. a. dadurch prominent und teuer wurde, dass er das Salz nicht direkt auf die Speisen streut, sondern es über seinen Unterarm rieseln lässt…

Nach dem Motto „gesalzene Preise, gepfefferte Sprache“ ist Ribérys rüde Reaktion auf seine Kritiker, wiederum via Netzwerk (diesmal Instagram) verbreitet, noch einmal eine ganz andere Nummer. Wer ihn kritisiert, ist demnach nur durch ein geplatztes Kondom entstanden (also ein unerwünschtes Kind gewesen), er solle überdies seine Mutter, seine Großmutter und seinen Stammbaum ficken. Ausgesuchte Worte also, die auf Französisch noch viel erlesener und eleganter klingen.

Herzlicher Empfang in allen Stadien

Bei Bayern München, dessen Chef Uli Hoeness (da war doch auch mal ein Prozess?) jüngst noch die hehren Club-„Werte“ beschworen hat, für die er einstehe, ist man wahrscheinlich peinlich berührt, lässt sich aber offiziell nichts anmerken. Der 35-jährige Ribéry, der sich auch auf dem Platz häufig daneben benimmt, hat ja zuletzt mal wieder ein paar Törchen geschossen. Also wird man ihn wohl weiter als Stammspieler einsetzen – und ihm der Ordnung halber eine Geldstrafe aufbrummen, die er vermutlich aus der Portokasse bezahlt.

Und schon wieder meldet sich Ribéry (via Twitter) zu Wort. Es gehe ihm gut, man solle sich keine Sorgen um ihn machen. „Und nun zurück zum ernsten Geschäft, wir haben eine Menge Arbeit vor uns“, schreibt er aus dem ohnehin umstrittenen Trainingslager (ausgerechnet in Katar!) weiter. War also alles nur ein Spaß? Hahaha! Wat hamwer gelacht.

Zu gönnen wäre es Ribéry, dass er fortan in allen Stadien ganz besonders herzlich und gellend empfangen wird. Schließlich sind Fans, die sein Verhalten nicht billigen, ihm zufolge ja eh nur „Steine in meinem Schuh.“ Und tatsächlich begleitet ihn auch dieser Wunsch: Möge er allzeit Steine im Schuh haben!

P. S.: Haben wir’s nicht schon immer geahnt, dass „Ribéry“ auf Deutsch „Reiberei“ heißt? Eben. Oder lautet die korrekte Übersetzung nicht sogar „Abreibung“?