Wie beim Tratsch im Treppenhaus – Martin Walsers Roman „Der Lebenslauf der Liebe“

Von Bernd Berke

Man könnte diese Susi Gern beneiden. Mit ihrem Gatten, dem Star-AnwaIt Edmund Gern, lebt sie in einem 390 Quadratmeter großen Düsseldorfer Dachwohnungs-Paradies. Er fährt einen Bentley, sie begnügt sich mit Porsche. Von Edel-Garderobe und Kunstsammlung reden wir gar nicht erst. Damit alles hygienisçh bleibt, gönnen sie sich fünf Putzfrauen.

Für seinen neuen Roman „Der Lebenslauf der Liebe“ hat sich Martin Walser nicht gerade in den Elendsquartieren umgetan. Geld ist (zunächst) reichlich vorhanden, und auch an Wortreichtum lässt es der Autor nicht mangeln: Auf 525 Seiten breitet er Susis schweres Eheschicksal und Vorfälle aus ihrem Umfeld derart redselig und uferlos aus, dass man sich fast beim Tratsch im Treppenhaus wähnt. Ungleich besser formuliert als zwischen Tür und Angel, gewiss; doch meist nicht so funkelnd, wie wir es bei Walser lieben. Es ist, als hätte ihn eine Torschlusspanik ergriffen, als wollte er seine Zettelkasten-Bestände restlos auserzählen.

Ausharren bei einem Scheusal

Schweres Eheschicksal? Nun ja. Die Seelenpein ist gut gepolstert, jedoch vorhanden: Mit der munteren, doch geistig zurückgebliebenen Tochter Conny (ärztlicher Kunstfehler bei der Geburt) haben sie ihre liebe Last. Sohn Andreas gleitet derweil ins halbkriminelle Milieu ab. Vor allem aber ist der beruflich so gewiefte Vertrags-Schmied Edmund ein Sex-Maniak, den es seit ehelicher Frühzeit zum Gruppensex treibt. Die Absprache lautet: alles dürfen, aber einander nichts verschweigen. Doch das steht die im Grunde treuherzige Susi (die widerstrebend ihrerseits Männer ausprobiert) nicht ohne seelische Verwahrlosung durch.

Edmund braucht drei Dauer-Geliebte, dazu reichlich Spontan-Beischlaf. Selbst als die Parkinson-Krankheit ihn zum zittrigen Bettnässer degradiert, schleppt er sich noch zu anderen Frauen hin. Ächzend wankt er heim – und pinkelt wieder die Wohnung voll. Susi, aus deren Perspektive Walser schreibt, ekelt sich und hegt sogar Mordgedanken. Doch sie liebt das Scheusal. Trotz allem.

Diese Frau ist eine beinahe biblische Dulderin, die immerzu wartet, dass das Leben sich bessert. Doch bloßes Aushalten in der Fäulnis kostet „Feigesuse“, „Doofesuse“ (so nennt sie sich bisweilen selbst) alle Kraft. Trost bezieht sie aus dem Umgang mit Tochter Conny, ihren Kätzchen und jenen Sinatra-Songs: „My Way“, „Strangers in the Night“.

Der erste von drei Teilen („Sonntagskind“) spielt 1987. Börsencrash. Der sonst so souveräne Edmund verspekuliert sich, alles gerät ins Rutschen, riesige Schulden häufen sich. Nach und nach wird der Besitz verscherbelt, Susi und Conny müssen mit einem Appartment auskommen und allseits um Zahlungsaufschub betteln.

Verhurte Welt und kleines Glück

Diese bittere Fügung erlebt der bis zuletzt ruchlos optimistische Edmund nicht mehr. Parkinson rafft ihn dahin. Man denkt an „Jedermann“: Tod des reichen Mannes, Vergänglichkeit irdischen Habens. Die bewegendsten Strecken des Romans handeln von Verfall und Alter, vom Abbröckeln der Sexualität. Schonungslos.

Als Dieter Wellershoff „Der Sieger nimmt alles“ schrieb, nannte man ihn „Balzac der Deutschen Mark“. Walser bewirbt sich nun um den Posten „Balzac des Börsenfiebers“. Er zeigt uns eine verhurte Geld-Welt im Niedergang.

Strahlend wie eine (zerknitterte) Heilige hebt sich Susi mit ihrer Sehnsucht nach Dauer und der Absage an jede rechnende „Vernunft“ davon ab. Am Ende wird ihr eine quasi-religiöse Salbung zuteil. Zum Jahrtausend-Silvester 1999 darf sie sich, 68 Jahre alt, des neuen Gefährten endlich sicher sein. Arm aber glücklich: Das Schlussbild zeigt sie in glorioser Dreieinigkeit mit dem 31-jährigen Marokkaner Khalil und Tochter Conny. Die zieht das rheinische Fazit: „Mer blewe zusamm wie Kätzke und Tätzke bis zum Lewejottsdach.“ Amen.

Martin Walser: „Der Lebenslauf der Liebe“. Roman. Suhrkamp. 525 Seiten, 49,80 DM.

 




Die reine Gegenwart genießen – „Ein kurzes Buch über die Liebe“ von Jochen Schimmang

Von Bernd Berke

Der Erzähler geht so gern durch Kölns urige Quartiere. Dermaßen ans Herz gewachsen ist ihm sein „Veedel“, daß er sogar „Touristen aus anderen Teilen der Stadt“ mißtrauisch beäugt. Manchmal sucht er Kinos und noch öfter Kneipen auf. Und da er langsam in die Jahre kommt, schaut immer sehnsüchtiger den jungen Frauen nach.

„Ein kurzes Buch über die Liebe“, immerhin 45 Kapitel und 316 Seiten lang, hat der Kölner Autor Jochen Schimmang geschrieben. Hauptperson ist ein nicht sehr erfolgreicher Schriftsteller. Der belauscht anfangs im Straßenlokal ein junges Paar, dessen Liebe zu erkalten beginnt. So darf es eben nicht kommen, sagt er sich.

Die Probe aufs eigene Exempel bleibt ihm nicht erspart: Denn bald begegnet dieser Literat der jungen Vera, die mit dem Arzt Dr. Rüben verheiratet ist. Bei einer Autorenlesung sehen sie einander zum ersten Mal – und sind rasch ein heimliches Paar. Von Liebe wollen sie indes niemals reden. Sie vereinbaren statt dessen nebulös, einander „Gefühl und Härte“ zu geben und nehmen sich vor, ohne Ansprüche die erotische Gegenwart zu genießen.

Ein Bescheidwisser erzählt

Zu dumm nur, daß Vera die Frau seines Lebens zu sein scheint. So sehr wächst die Zuneigung, daß man einander gar nicht mehr verändern will. Hier hat sich Schimmang eine große Aufgabe gestellt: Nicht frühzeitiges Scheitern, sondern anhaltendes Glück zu schildern.

Schließlich aber die Schattenseite: Im Liebestaumel schmelzen alle selbstverordneten Regeln dahin, und dem zuvor auf seine Bindungslosigkeit bedachten Mann kommt der Satz „Ich will dich heiraten“ in den Sinn. Das kann nicht gutgehen…

Vom Erzähler vermittelt das Buch ein Doppelgesicht. Einerseits legt er es auf Ehrlichkeit an und gibt auch böse Phantasien zu, andererseits prunkt er mit seiner geballten Kennerschaft.

Unter dem Bescheidwisser-Gehabe leidet mitunter auch die Gabe zu genauer Beobachtung. In weniger inspirierten Passagen schrumpft das Erzählen zum bloßen Feststellen und Erwähnen, zum umständlichen Erörtern oder haltlosen Ausplaudern. Dann sieht es ganz so aus, als entspringe die Geschichte just dem etwas ungalanten „Geständniszwang“, von dem im Buch öfter die Rede ist.

Jochen Schimmang: „Ein kurzes Buch über die Liebe“. Roman. Verlag Schöffling & Co., 316 Seiten, 39,80 DM.




Marilyn Monroe und die Liaison mit dem Unglück – Neuer Deutungsversuch über ihre Ehe mit Arthur Miller

Von Bernd Berke

Es gibt diese exorbitanten Beziehungen, in denen Gefühlslagen ihrer Zeit in Liebesdingen zum Ausdruck kommen und dann von vielen, vielen Menschen nachgeträumt werden. Auch dann, wenn es eigentlich Alpträume sind. Else Lasker-Schüler und Gottfried Benn, Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre, John Lennon und Yoko Ono hatten solch beispielhafte Verhältnisse – oder auch Marilyn Monroe und Arthur Miller.

Aus exemplarischen Verbindungen zwischen berühmten Männern und Frauen bestreitet Rowohlt Berlin eine ganze Buchreihe. Jetzt ist Christa Maerkers Band zur Liaison Monroe/Miller erschienen.

Schon die Zeitgenossen, allen voran die Presse, sehen in der Verbindung zwischen dem Hollywood-Star und dem Dramatiker („Tod eines Handlungsreisenden“, „Hexenjagd“) eine geradezu mythische Qualität und bringen es auf die gemeine Formel: „Kopf heiratet Körper“. Die Autorin Christa Maerker sucht dies (wie so manche Biographen vor ihr) zu entkräften, wo sie nur kann. Sie schildert Marilyn Monroe als hypersensible junge Frau, die als Kind zwischen wechselnden Pflegeeltern und Heimen hin und her geschubst wurde.

Rilke-Lektüre in den Drehpausen

Ihr Vater hatte sich aus dem Staub gemacht, die Mutter war dauerhaft psychisch krank. Sarkastisch gesagt: Allerbeste Voraussetzungen für eine negative Muster-Biographie, für fortwährendes Unglück, das sich in der Ehe mit dem etwas unterbelichteten Ex-Baseballstar Joe DiMaggio Bahn bricht.

Die darstellerisch überaus begabte Marilyn (bürgerlich: Norma Jeane Mortenson), die sich völlig verwandelt, sobald sie nur in ein Kameraauge blickt, liest in den Drehpausen z. B. Rilke-Gedichte und straft damit das Klischee vom blonden Dummchen offenbar Lügen. Oder ist es nur ein Fall von verzweifelter Ambition, gar von Persönlichkeits-Spaltung? Im Gefolge der Psychologin Alice Miller entdeckt Christa Maerker in Marilyns Lebenslauf jedenfalls das „Drama des begabten Kindes“.

In Hollywood zählt vor allem Marilyns leiblich-weibliche Erscheinung. Dabei will sie eben kein Kurvenstar sein, sondern unbedingt ernsthafte Rollen spielen. Welch eine Schmach, daß ausgerechnet der sonst so stockseriöse Laurence Olivier sie beim ersten Augenschein ein „süßes kleines Ding“ nennt und sich sofort verknallt. Auch er also…

Der ideale Ersatzvater?

Sie sehnt sich danach, das Star-Gehabe abzulegen und – es sind die 50er Jahre – endlich für einen Mann kochen, putzen und waschen zu dürfen. All den Rollen-Zwiespalt bekämpft sie mit Alkohol, Tabletten, flüchtigen Liebschaften.

Geradezu magnetisch bewegen sich alsdann die Lebenslinien von Marilyn und Arthur Miller aufeinander zu. Miller schien, so befindet Christa Maerker, der ideale Ersatzvater für Marilyn zu sein, sie habe ihn „Daddy“ genannt. Freilich wird das frische Eheglück schon 1956 getrübt, weil (so die Deutung) beide „zu hoch geträumt“, weil sie zuviel Erlösung voneinander erwartet hätten. Bis 1962 quälen sich die zwei dahin, Marilyn tröstete sich mehr schlecht als recht mit Yves Montand, mit John F. Kennedy und anderen.

Vor lauter Liebe das Atmen vergessen

Christa Maerker kann gar nicht umhin, sich aus vorhandenem Material zu bedienen, zumal aus Millers Autobiographie „Zeitkurven“ und Donald Spotos Marilyn-Biographie. Man kann es ihr kaum verübeln, daß sie parteilich aus Frauenperspektive schreibt (im Zweifel immer für Marilyn) und Arthur Miller jede klitzekleine Verfehlung vorrechnet.

Gelegentlich stochert Frau Maerker etwas ratlos in den Quellen herum und kramt diverse psychologische Erklärungsmuster hervor, dann wieder gibt sie sich allwissend, als sei sie stets dabei gewesen. Über Marilyns erste Begegnung mit Miller schreibt sie: „Als Marilyn seine Hand berührt, vergißt sie zu atmen… Marilyn Monroe hält die Luft an, schüchtern, ängstlich, hoffnungsvoll und beseelt, und Arthur Miller stößt sie in einem Erleichterungsseufzer aus.“

Trotz Solcher Schwächen versteht es Christa Maerker, das Interesse an ihrer Darstellung wachzuhalten. Kein Wunder. Von vielfältig schillernden Phänomenen wie Marilyn Monroe wird man noch sehr lange reden und raunen.

Christa Maerker: Marilyn Monroe / Arthur Miller (Reihe „Paare“). Illustriert mit Schwarzweiß-Fotos. Rowohlt Berlin. 186 Seiten, 34 DM.




Die Phantome der Liebe – Richard Fords tragikomische Erzählung „Der Frauenheld“

Von Bernd Berke

Hier geht es offenbar ums Ganze. Zitat: „…er fragte sich, was möglich war zwischen den Menschen? Was war möglich, das wirklichen Wert hatte? Wie konnte man das Leben in den Griff bekommen, anderen geringen Schaden zufügen und doch mit ihnen verbunden sein?“ Zitat Ende.

Solche Worte kreisen wirklich um Grundfragen des Lebens. Doch keine Angst. Bei dem Amerikaner Richard Ford kommen die tiefsinnigen (und doch so einfach klingenden) Sätze erst ganz zum Schluß. Sie ergeben sich völlig ungezwungen aus einer Erzählung, die etliche Bedeutsamkeit mit wenig Erdenschwere verbindet.

Immerhin: Die Komplikation zwischen den Geschlechtern, die „Der Frauenheld“ Martin Austin erleidet, bilden sich zuweilen auch im verschachtelten Satzbau ab. Das liegt wohl nicht nur an der stellenweise etwas holprigen Übersetzung von Martin Hielscher.

Martin Austin jedenfalls ist ein Amerikaner in Paris. Zunächst kommt der Händler für Spezialpapiere dienstlich nach Europa, dann immer öfter und geradezu zwanghaft privat. Denn er lernt die französische Verlagslektorin Josephine kennen und – nein, nicht wirklich lieben, aber irgend etwas Verwandtes wohl doch. Er rätselt und rätselt an diesem „Etwas“ herum. Nun ja, man hat sich alsbald geküßt. Aber mehr geschieht – allen Treffs zum de Trotz – eigentlich nicht.

Austin bleibt in einem Stadium der Vorlust und Erwartung stecken. Immer wieder hämmert er sich ein, absolut „alles“ sei möglich, sein ganzes Leben könne sich mit Josephine über Nacht ändern, ohne daß er viel dazu beitragen müsse. Doch dieses „Alles“ gerinnt dann na wieder zu nichts. Josephine bleibt in ihrem ganzen Wesen für ihn undeutlich, denn sie ist gleichsam nur eine leere Fläche, auf die er seine flackernden Wünsche projiziert. Die ganze Sache mit der Liebe bleibt bis zum Schluß ein großes „Vielleicht“.

Ähnlich unentschieden, ohne rechte Zukunftsperspektive, ist Austins Ehe mit Barbara daheim in den Staaten. Bis Barbara schließlich die Trennung ausspricht. Als er erneut nach Paris flüchtet, ist auch Josephine seltsam reserviert. Und plötzlich ist dieser vermeintliche „Frauenheld“ mit den Phantomen seiner Einbildung furchtbar allein…

Richard Ford erzählt formal konventionell, aber was heißt das in diesem Falle schon. Die fortwährende Unentschiedenheit seines Anti-Helden hält das Geschehen in schöner Schwebe zwischen Tragödie und Komödie. Und alles klingt wahrhaftig, wie aus dem manchmal so undeutlichen Leben selbst geschöpft.

Richard Ford: „Der Frauenheld“. Aus dem Amerikanischen von Martin Hielscher. S. Fischer Vertag, Frankfurt am Main. 116 Seiten, 29,80 DM.




Leergepumptes Herzensbett – Jeanette Wintersons schwülstiger Liebesroman „Auf den Körper geschrieben“

Von Bernd Berke

Lassen wir Jeanette Winterson und ihre Übersetzerin für sich selbst sprechen.

Seite 89: „Sie wölbt ihren Körper wie eine Katze, die sich streckt. Sie drückt mir ihre Muschel ins Gesicht wie ein Füllen am Gatter.“ Hei!

Seite 100: „Sie küßte mich, und in ihrem Kuß lag die Komplexität der Leidenschaft… Ich war schüchtern wie ein ungezähmtes Fohlen.“ Mh!

Seite 124: „Ein Schatz war uns in die Hände gefallen, und der Schatz waren wir selbst füreinander.“ Aha!

Seite 138: „Ich will kein Kissen, ich will dein lebendiges, atmendes Fleisch.“ Ja, wer würde da schon ein Kissen vorziehen?

Seite 160: „Die körperliche Erinnerung tappt durch die Tür herein, die der Geist zu versiegeln trachtete.“ Wie bitte?

Seite 227: „In dem leergepumpten, ausgetrockneten Bett meines Herzens…“ Man sieht sie direkt vor sich, diese Schlafstatt. Vermutlich eine Luftmatratze.

Genug der Zitate. Man könnte sie, in ähnlicher Stilblüten-Güte, seitenweise fortsetzen.

Das Buch „Auf den Körper geschrieben“ (armer wehrloser Körper) kreist, wie man schon ahnt, um Liebe. Und ist es auch sonst elend geheimnislos, so läßt es doch über einen Umstand rätseln: Ist die Erzählerfigur, die da reihenweise Frauen erobert und dann stammelnd einer ganz großen Leidenschaft zu einer krebskranken Arztgattin anheimfällt, Männlein oder Weiblein? Da an keiner Stelle „penetriert“ wird und die Autorin bekennende Lesbierin ist, darf man getrost von Möglichkeit Nummer zwei ausgehen. Doch im Grunde ist auch das nicht interessant. Denn ganz gleich, um welche Ausprägung von Liebe es hier geht – sie wird unter Schwulst begraben. Nichts, aber auch gar nichts gegen einen großen Roman über lesbische Liebe. Aber vieles gegen derlei haltloses Geschreibsel.

Als „kluges, rätselhaftes, erotisches Buch“ preist der Verlag das Werk der britischen Bestseller-Autorin. an, die nun offenbar alle literarischen Skrupel fahren läßt. Man bekommt direkt Angst vor Frevel, wenn sie große Vorbilder wie Shakespeare oder das biblische Hohelied der Liebe aufgreift.

Auch die Übersetzung scheint ihren Teil zum Unglück beigetragen zu haben. Kostprobe: „War es um die verlorene Verbindung zu den Großen und Würdigen der Gesellschaft.oder war es um ihre Tochter?“ Ja, um was wird es denn wohl gewesen sein?

Hat das Lektorat des Fischer-Verlages geschlafen?

Jeanette Winterson: „Auf den Körper geschrieben“. Roman. Aus dem Englischen von Stephanie Schaffer-de Vries. S. Fischer Verlag. 236 S., 36 DM.




Eduard und die Liebe zu Frauen und Mäusen – Peter Schneiders amüsanter Roman „Paarungen“

Von Bernd Berke

Eduard ist Naturwissenschaftler, also rechnet er nach: Im statistischen Schnitt ist eine Liebesbeziehung in seiner Generation „nach drei Jahren, einhundertsiebenundsechzig Tagen und zwei Stunden“ vorbei.

Eduard ist aber auch eine Spielernatur. Also wettet er mit seinen Kumpanen aus der Szenekneipe „tent“, Theo und André: Wer hält wohl am längsten mit seiner jetzigen Freundin durch? So kommt Peter Schneiders Roman „Paarungen“ in munteren Gang – und führt durch herrlich-schreckliche Liebes-Labyrinthe. Denn es bleibt nicht bei der strengen Monogamie.

Im ganzen Roman wirkt ein „Spaltpilz“. Diesen Namen bekommt eine mysteriöse Figur, die immer mal wieder durch die Handlung geistert und vom Nachtseiten-Romantiker E. T. A. Hoffmann stammen könnte. Zudem spielt das Buch im noch gespaltenen Berlin – und dort grassiert der Trennungsvirus, der jede Liebe kleinkriegt, ganz besonders heftig.

Groteske Balance zwischen Freiheit und Bindung

Peter Schneider seziert die vermeintlich ach so freien und in Wahrheit doch so verkorksten Lebensformen der alten „68er“-Rebellen mit haarfeiner Ironie, ohne seine Personen menschlich zu denunzieren. Sie sind ja in wirklichen Nöten. Und doch ist es auch zum Lachen. Die Liebeshändel jener Leute, die heute so etwa zwischen 40 und 50 sind, enden in grotesken Balanceakten zwischen Freiheit und Bindung. Am Ende geht man fast so verdruckst fremd, wie es die verhaßten Väter einst getan haben.

Auch politisch ist man {schon vor der DDR-„Wende“) mächtig ins Trudeln geraten. So ist etwa Eduard im Bio-Labor dem Erreger der Multiplen Sklerose auf der Spur, träumt schon vom Nobelpreis und braucht nur noch eine einzige Versuchs-Maus, die er – als sei’s eine Figur von Goethe – zärtlich „Lotte“ nennt; wie denn überhaupt auch der Name Eduard auf Goethe verweisen könnte. Doch zurück zur Maus: Der vormals ungebrochen „Linke“ ist überaus entsetzt, als studentische Öko-Anarchisten das liebe Tierchen befreien. Wie er da plötzlich die Jugend und ihren missionarischen Eifer haßt! Und wie da eine Sehnsucht nach Einvernehmen mit seinen Eltern aufkommt! Das wiederum bringt die ganze schöne und früher so glasklare Sicht auf die Zeit des Faschismus durcheinander.

Handlinie mit zwei verräterischen Abzweigungen

Doch vor allem gerät Eduard in die erotische Mangel. Es tritt genau das ein, was eine bulgarische Handleserin ihm prophezeit. Seine Liebeslinie mit zwei Abzweigungen bedeutet: erwiderte Zuneigung zu drei Frauen. Die heißen Klara, Jenny und Laura. Und obwohl Eduard doch laut Laborbefund fast zeugungsunfähig sein soll, sind plötzlich zwei von ihnen schwanger – und die dritte, ehedem seine „Feste“, ist tödlich beleidigt.

Eduards Kumpanen es nicht viel besser. Eigentlich haben sie alle ihre Wette verloren. Mitunter kommen sie sich – fast der Labormaus vergleichbar – wie Versuchspersonen in einem großen Liebesexperiment mit ungewissem Ausgang vor. Eine ganze Generation, so eine Essenz der Geschichte, versagt vor den großen, dauerhaften Gefühlen. Und doch: So ganz tot ist auch die Utopie von einer lebbaren Mehrfach-Liebe ohne Ausschließlichkeit noch nicht.

Man findet in diesen Jahren nur selten deutsche Romane, die etlichen Tiefgang und Amüsement, die Zeit- und Seelenschau so unangestrengt verbinden. Klug gewählt hat Schneider Eduards Biologen-Beruf. Das bringt nämlich eine weitere Stärke des Autors ins Spiel: die essayistische Form. So sind seine Überlegungen zum Verhältnis von Naturwissenschaft und Gesellschaft schon für sich lesenswert. Und er hat sie so stilsicher in den Romanverlauf eingefügt, daß sie gar nicht wie Fremdkörper wirken.

Peter Schneider: „Paarungen“. Roman. Rowohlt Berlin, 345 Seiten, 38 DM.