„Circus Roncalli“: Zweite Reise zum Regenbogen – mit Phantasie und Puderzucker

Von Bernd Berke

Recklinghausen. Der „Circus Roncalli“ besitzt offenbar das sensibelste Nashorn nördlich des Mittelmeers. Bevor das gewichtige Tier in die Manege stürmte, wurde das hochverehrte Publikum (darunter NRW-Kultusminister Jürgen Girgensohn) dringlich gebeten, keine schrillen Laute zu erzeugen, sonst könne man für die Duldsamkeit des Dickhäuters nicht mehr garantieren. So blieb es also mäuschenstill – und der Koloß ließ es friedlich über sich ergehen, daß ein Tiger auf ihm ritt.

Der nicht als Sensations- und Leistungsschau, sondern eher durch seine phantastische Kombination von Spitzenartistik und märchenhafter Prachtentfaltung bekanntgewordene Zirkus bot im Umfeld der Ruhrfestspiel-Eröffnung eine „Weltpremiere“. Das Zelt am Recklinghäuser Konrad-Adenauer-Platz war denn auch am Sonntagabend bis auf den letzten Platz gefüllt; daran dürfte sich bis zum 15. Mai, nach dem der Zirkus die Revierstadt verläßt und auf Deutschlandtournee geht, nicht viel ändern. Die „Zweite Reise zum Regenbogen“ – so der Titel des am Sonntagabend erstmals gezeigten Spektakels – erwies sich über weite Strecken als gelungene Fortsetzung des fast schon legendären „Roncalli“-Programms „Reise zum Regenbogen“.

Der für mich aufregendste und beste Teil des zweieinhalbstündigen Programms liegt vor der Pause. Er wird auf Handzetteln mit der Zeile „Im Land des Drachens“ angekündigt. Absolut professionelle Manegenkunst (Jonglieren, Feuerschlucker, Sprung durch Reifen mit extrascharfen Messern usw.) geht hier in üppig ausgestattete Kostümszenen von traumhafter Farbschönheit über; abenteuerliche Phantasietiere stapfen, in alle (Scheinwerfer-)Farben des Regenbogens getaucht, durch die Reihen: Die Zuschauer werden von livrierten Requisiteuren pfundweise mit Konfetti bestreut (es dauert seine Zeit, bis man nach Schluß der Vorstellung die weißen Pünktchen aus Haaren und Kleidung entfernt hat!), so daß alles wie unter Puderzucker liegt.

Demgegenüber fallen andere Nummern etwas ab, so etwa die mit „Hohe Schule“ betitelte gegen Ende des Programms, ein eher betuliches Dressurreiten mit trivial-cremigen optischen Anleihen bei der k.u.k.-Monarchie. In ihrem gewallten Kitsch schon fast erhaben ist hingegen die „Tauben“-Szene: Weißer Nebel quillt über den Manegenboden, eine weißgewandele Marie-Jose Knie kommt auf weißem Pferd geritten und führt dressierte weiße Tauben vor.

Es versöhnen auch die Roncalli-typischen, leisen Momente – zum Beispiel die „Glasorgel“: Mit angefeuchtetem Finger wird auf den Rändem unterschiedlich gefüllter Gläser eine wunderschöne Sphärenmusik gespielt. Man könnte sich dabei richtig zurücksinken lassen, wenn nicht ständig draußen Züge vorbeidonnern würden. Die Nähe des Zelts zur Bundesbahnstrecke stört das Träumen empfindlich.

Frenetischen Beifall löste auch die Clownsnummer im zweiten Teil aus. Clowns – einmal wieder am angestammten Platz, nachdem sie mittlerweile (wie auch der Feuerschlucker) schon zur Grundausstattung jeder alternativen Straßenfestivität gehören…




„Lauf doch nicht immer weg“ – Jens Pesel inszeniert britische Pfarrhaus-Farce in Wuppertal

Von Bernd Berke

Wuppertal. Verkleidungs- und Verwechslungsspiele bereiten, kommt man nicht mit zu hohen Ansprüchen ins Theater, immer Vergnügen.

Wenn auf den Brettern und hinter jeder Bühnentür Leute stehen, die etwas nicht sehen dürfen oder selbst auf keinen Fall gesehen werden wollen und alles bis kurz vor Schluß unentdeckt bleibt, so mischt sich die Erleichterung des Kindes mit hinein, das bei Heimlichkeiten nicht ertappt wurde. Wenn dann noch das Spiel mit Konventionen betrieben und ein Pfarrer mit Sex, Alkohol und Irrsinn in Berührung gebracht wird, ist der derbe Spaß komplett.

Philip Kings 1945 uraufgeführte Farce „Lauf doch nicht immer weg“, ein ähnlicher Dauerbrenner wie „Charleys Tante“, bietet all das mit britischem Humor ausbalanciert. Die neue Wuppertaler Inszenierung (Jens Pesel) bringt den Text schnörkellos auf die Bühne, ohne Hinter- und Nebengedanken. Das Stück wird nicht, was Jahrzehnte nach seiner Entstehung auch denkbar wäre, „gegen den Strich“ gespielt. Die Konventionen, auf die es anspielt und aus denen es Funken schlägt, sind ja längst nicht mehr so stark. Zuweilen gerät man in die Nähe der harmlosen Boulevardkomödie, doch an den entscheidenden Stellen läßt man der wildgewordenen und absurden Logik der Farce doch freien Lauf.

Britisches Pfarrhaus im Zweiten Weltkrieg. Die Frau des Geistlichen, Ex-Schauspielerin, hat der Leichtlebigkeit nicht entsagt. Als ein Jugendfreund (inzwischen Soldat) auftaucht, wird – schließlich hat eine frömmelnde Gemeindejungfer (Marta Kusztrich) Augen und Ohren überall – Verstellung nötig. Eine Kettenreaktion setzt ein. Zeitweilig sind, Bischof inklusive, bis zu fünf Kleriker auf der Bühne, beileibe nicht alle echt. Das Pfarrhaus wird zum Tollhaus, die Logik schlägt Purzelbäume.

Aus dem temporeich aufspielenden Ensemble ragen Jürgen Hilken als entgeisterter Bischof, Erich Leukert als Pfarrer Toop (ihm nimmt man den Briten noch am ehesten ab), Franz Trager als Pfarrer Humphrey und einmal mehr Michael Wittenhorn als Corporal Winton heraus. Bühnenbildner Hans-Georg Schäfer enthielt sich jeder Stilisierung oder Anspielung auf die Gegenwart. Deshalb stören einige Requisiten (Gerd Klann), wie etwa die Kognakflasche aus dem Supermarkt um die Ecke oder die Hochglanzpapier-Illustrierte.




Emigrant gerät in Schweizer „Eiszeit“ – Thomas Hürlimanns Stücvk „Großvater und Halbbruder“

Von Bernd Berke

Wuppertal. Lag’s an den Osterferien oder befürchtete man, Schwerverdauliches vorgesetzt zu bekommen: Zur Wuppertaler Premiere von Thomas Hürlimanns „Großvater und Halbbruder“ blieb gut die Hälfte des Gestühls im Schauspielhaus unbesetzt.

Zur Aufführung kam das knapp drei Jahre alte Stück eines heute 32jährigen Schweizer Autors, dessen Vater eidgenössischer „Bundesrat“ und als solcher für die Kultur des Alpenlandes ministeriell zuständig ist. Das Stück hat, obwohl während des 2. Weltkriegs spielend, viel mit dem Generationskonflikt zu tun, der sich Anfang der 80er Jahre in der „Zürcher Revolte“ am Mißverhältnis zwischen offizieller und Subkultur entzündete und heftig entlud.

Thomas Hürlimanns Hauptfiguren entstammen dem konkret-familiären Bereich: „Mein Großvater; meine Mutter; mein Vater Hans Hürlimann.“ An Hand dieser privat anmutenden Konstellation zeigt der Autor die historische Dimension der in den 80ern erneut offenbarten Schweizer Gefühls-Eiszeit: Auf einer Badewiese nah der deutschen Grenze verfolgt man den Nervenkitzel des drüben im „Reich“ sich verschärfenden Kriegs wie ein Theaterstück oder ein Prachtfeuerwerk, zwischen Hoffen und Bangen (kommt der insgeheim bewunderte Hitler, oder kommt er nicht in die Schweiz?). Für den Emigranten Alois ist in dieser Welt kein Platz.

Clou: Der Emigrant (Horst Fassel) gibt sich als „Halbbruder Hitlers“ aus, und es hätte dem Text zufolge in der Schwebe zu bleiben, ob er das nicht wirklich sein könnte, oder ob er – wie die Polizei argwöhnt – ein in der „ordentlichen“ Schweiz unerwünschter, aus Deutschland geflüchteter Jude ist. Genau hier liegt die Schwäche der Wuppertaler Inszenierung (Petra Dannenhöfer). Viel zu früh wird Alois eindeutig als Jude kenntlich. Was danach nur noch aufgesetzt wirkt, in voller Tragweite aber fehlt, fehlen muß, ist die Doppeldeutigkeit, aus der sich erst der hellsichtige Wahn (bzw. Durchblick) des „Großvaters“ (Heinz Voss) ergibt, dem (als einzigem) „der Jud'“ zum Problem wird. Alle anderen setzen sich, sei es kraft vorhandener Dummheit, erzeugter Dumpfheit (Suff) oder durch Law-and-Order-Gehabe mit der Souveränität ewiger Spießer darüber hinweg.

Gegen den grundsätzlichen Lapsus läßt es sich schwerlich anspielen. So gut einzelne Schauspielerleistungen sind (besonders: Alexander Pelz als karriereversessener, indirekter Kriegsgewinnler „Vater Hürlimann“, Metin Yenal als spastisch gelähmter „Tötschlivetter“ und Bernd Schäfer als Lehrer „Tasso Birri“), das Spiel als Ganzes bleibt über weite Strecken plan, eingleisig und vielfach schwammig statt aufschlußreich-doppelgesichtig.

Erst die letzten Szenen – nach Kriegsende feiert besinnungslose Schweizer Gemütlichkeit, nunmehr wieder gänzlich unbehelligt, Urständ – erreichen wieder eine gewisse Dichte und Aussagekraft. Gelungen das Bühnenbild (Sigrid Greil) mit lichtblauem Schweizer Postkartenhimmel, der von einer überdimensionalen Rolle herunterhängt, somit treffend kitschige Tapetendekoration.

Trotz eklatanter Mängel: eine im Grundsatz richtige und mutige Entscheidung, dieses Stück auf den Wuppertaler Spielplan zu setzen. Was sich „so fern“ in Schweizer Bergen zuträgt, hat auch Bedeutung für uns, die wir Kriege jenseits unserer Grenzei nur noch am Bildschirm verfolgen. Solche Querverbindungen freilich blieben in Wuppertal allzu nebulös.




Diffuses Figuren-Inventar – Shakespeares „Maß für Maß“ in Wuppertal

Von Bernd Berke

Wuppertal. Den Angelo würde man heute wohl einen „Zombie“ nennen. Blutleer, Grau in Grau gekleidet, betritt er die Bühne, ein Abgestorbener mit abgetöteten Gefühlen. Ausgerechnet ihm überträgt Herzog Vincentio die Gewalt im Staate. Angelo, selbst nicht ohne Fehl, nutzt das weidlich, bis an und über die Grenzen der Diktatur.

Die Ausgangssituation von „Maß für Maß“, die als Shakepeares tiefgründigste Komödie gilt und dieser Gattung über weite Strecken gar nicht mehr angehört, gibt einiges her für die Gegenwart. Das Stück hatte jetzt in der Inszenierung Jörn van Dycks in Wuppertal Premiere.

Geradezu idealtypisch lassen sich anhand des 1603 uraufgeführten Stücks Mißbrauch von Macht und Überdehnung des Rechts im Namen lebensferner Prinzipien darstellen. Daß das Drama darüber hinaus in der Spielform der Verkleidung und des Auftretens von Personen unter falschem Namen auch die Identitätsfrage aufwirft, kann eine Aufführung um so spannender machen. Verkleidung fungiert hier als Enthüllung und ermöglicht einen versöhnlichen Komödienschluß nach tragischem Geschehen.

In Wuppertal versucht man, die Textvorlage auf die Machtausübung aller Zeiten zu beziehen. Als Büttel tritt Elbogen (Adalbert Stamborski) mit preußischer Pickelhaube auf und berlinert drauflos. Gleichzeitig stehen zukunftsträchtig kostümierte Polizeikräfte auf der Bühne, die einem Entwurf für Orwells „1984″ entstammen könnten. Die von ihnen drangsalierte, halbseiden-lüsterne Unterwelt besteht – schließlich spielt „Maß für Maß“ in „Vienna“ – aus Wiener Strizzis und Huren, die wiederum Erinnerungen an Schnitzler und Molnár wachrufen.

Vielfalt oder Durcheinander? Fusion der Epochen oder Konfusion? Zumindest erweist es sich als schwierig, ein solch diffuses Figureninventar zusammenzuhalten. Bündigkeit und Klarheit geraten dabei in Gefahr. Einleuchtender schon die Darstellung des Angelo (Peter Hommen), der hier mit seiner Gestik tatsächlich ein epochenübergreifendes Bild dessen skizziert, der seinen Trieb niedergekämpft bzw. zur Waffe umgeformt hat, um über andere zu herrschen.

Im zurückhaltend und sinnvoll konzipierten Bühnenbild Raimond Schoops – eine Art zweistöckige runde Kanzel dient unter anderem als Tresen und Gerichtsort – agieren die anderen Darsteller, wenn auch selten mitreißend, so doch durchweg solide. Es gibt keine „Ausfälle“. Hervorzuheben vielleicht Franz Trager als Herzog Vincentio und Michael Wittenborn als schwatzhafter Lucio.

Den Höreindruck vorsichtig interpretierend, kann man den Premierenbeifall eher als verhalten denn als enthusiastisch bezeichnen.




Peymann bleibt doch bis August 1986 in Bochum – SPD-Meinungskorrektur nach Spar-Zusage des Schauspieldirektors

Von Bernd Berke

Bochum. Gegen 21 Uhr waren die Würfel gefallen. Bochums SPD-Fraktion korrigierte ihr Votum vom Montag und entschied sich „mit großer Mehrheit“ dafür, den Vertrag des Schauspieldirektors Claus Peymann doch um zwei weitere Jahre zu verlängern.

Es gilt damit als sicher, daß Peymanns Vertrag nunmehr bis zum 31. August 1986 läuft und nicht bereits am 31. August 1984 endet. Wie Peter Hampel, der die Geschäfte der Bochumer SPD führt, gegenüber der WR erklärte, kann das Thema Peymann höchstens dann noch einmal zum Gegenstand der Ratssitzung am 10. Februar werden, wenn eine andere Fraktion – etwa die CDU – einen ausdrücklichen Antrag stellt. Andernfalls verlängere sich Peymanns Vertrag automatisch. Sollte wider Erwarten eine Abstimmung im Rat nötig werden, werde die SPD-Fraktion, so Hampel, sich ihrem gestern gefaßten Beschluß entsprechend verhalten.

Wie weiter zu erfahren war, war der gestrigen Abstimmung der SPD-Fraktion eine dreistündige, „sehr harte und hitzige“ (Hampel) Debatte vorausgegangen. Den Ausschlag hat schließlich vor allem die Tatsaehe gegeben, daß Peymann zuvor dem Bochumer Oberstadtdirektor Herbert Jahofer (SPD) zugesagt hatte, kooperativ an dem von der Stadt angepeilten Finanzkonzept für das Bochumer Theater mitzuwirken. Dies Konzept sieht nach einem ebenfalls in dieser Woche erfolgten Beschluß des Haupt- und Finanzausschusses vor, für 1983 den Zuschußbedarf der Bühnen bei 17,33 Mio. DM festzuschreiben. Das bedeutet, daß die Zuschüsse – verglichen mit 1982 – auf dem alten Stand „eingefroren“ werden. Mittelfristig sollen weitere Einsparungen durch Einnahme-Steigerungen bzw. Ausgabenkürzungen erzielt werden. Zielvorstellung: Einsparungen von einer bis 1,5 Mio. DM.

Peter Hampel wertete das Votum für Peymann in einer ersten Stellungnahme als „mutige Entscheidung“ angesichts der schlechten Finanzlage. Daß diese Entscheidung vertretbar sei, habe auch einzelnen Mitgliedern der SPD-Fraktion „erst noch vermittelt werden müssen“.




„Schön isst hier“ – aber die Krise ist gegenwärtig

Von Bernd Berke

Dortmund. Die nicht gerade leichtgewichtige Tana Schanzara wirbelt temperamentvoll über die Bühne im Hörder „Bollwerk-Eck“ und besingt die Schönheit eines Schrebergartens. Sie bekommt den größten Beifall des Abends.

Die Revier-Revue „Schön isset hier“, eine Produktion des Ruhrfestpielensembles (Regie: Corinna Brocher), die gestem Abend in Dortmund-Hörde Premiere hatte, präsentierte – abgesehen von jenem Schanzara-Auftritt – fast nur kritische, nachdenklich machende Texte. Der Titel täuscht somit. Davon, daß es sich zwischen Dortmund und Duisburg angenehm oder gar sorgenfrei leben ließe, hörte man in dem 100-Minuten-Programm so gut wie nichts. Wohl zu Recht. Die wirtschaftliche Lage ist zu ernst, um eine kunterbunte Show über diese Region zu veranstalten.

Der Abend war, wenn auch nicht bunt im Sinne von optimistisch, so doch farbenfroh im Sinne von vielfältig. Eigentlich zu viele Themen hat man hineingepackt: Zechen- und Stahl-Probleme sowieso; dazu Ausländerfeindlichkeit, apokalyptische Konsequenzen des hiesigen U-Bahn-Baus und der Automatisierung im Büro, „Dallas“-Fieber, Umweltzerstörung und, und, und…

Auch die Auswahl der Textquellen verriet nicht eben ein straffes Konzept: Klaffen nicht allzu große Lücken etwa zwischen der Art, wie Franz Kafka einen „Besuch im Bergwerk“ beschreibt, und Kroetz-Auszügen oder Slang-Szenen Elke Heidenreichs? Dennoch gab es Entdeckungen zu machen. Wer hätte zum Beispiel gedacht, daß man Franz Kafka überhaupt halbwegs plausibel in solch ein Programm einbauen könnte?

Für das heutige zweite Gastpiel (17 Uhr, „Bollwerk-Eck“) gibt es noch Karten.




Bochums Ensemble stellt sich hinter Peymann – Hektische Betriebsamkeit nach SPD-Abstimmung

Von Bernd Berke

Bochum. Hektische Betriebsamkeit hat gestern am Bochumer Schauspielhaus die Nachricht ausgelöst, daß die SPD-Fraktion sich – wie berichtet – mit einer Mehrheit von 20:19 Stimmen gegen eine Vertragsverlängerung für Schauspieldirektor Claus Peymann aussprach.

Um 15 Uhr begann eine Ensemble-Versammlung, die bis etwa 17 Uhr dauerte, danach tagte das Direktorium (Peymann, Kirchner, Beil, Jensen und Paulin) bis gegen 19.30 Uhr. Während das Direktorium noch keine Erklärung abgab, verfaßte das Ensemble einen Brief, der gestern abend Bochums Oberbürgermeister Heinz Eikelbeck überbracht wurde. In dem Brief steht ein einziger Satz: „Die Nichtverlängerung des Vetrags von Claus Peymann wird mit Sicherheit die Bochumer Theaterarbeit zerstören.“ Unter dem Brief stehen über 60 Unterschriften. Damit hat sich beinahe das gesamte Ensemble hinter Peymann gestellt. Etwa 10 Unterschriften fehlen, weil einige Schauspieler nicht erreichbar waren. In Peymanns Umgebung wird vermutet, daß andernfalls auch diese Ensemblemitglieder unterzeichnet hätten.

Das Direktorium des Schauspielhauses werde dem lakonischen Ensemble-Brief eventuell heute eine Erklärung folgen lassen, hieß es gestern abend. Claus Peymann selbst war den ganzen Tag über zu keiner offiziellen Stellungnahme bereit.

Unterdessen hat der Bochumer Landtagsabgeordnete Georg Aigner durchblicken lassen. auf welche Weise es zu dem ablehnenden Beschluß der SPD-Fraktion gekommen sein könnte. In der achtstündigen Fraktionsdebatte am Montag war es 4 Stunden lang um Etatfragen und weitere 4 Stunden lang vornehmlich um Peymanns Person gegangen. Etatfragen scheinen auch – zumindest im Vordergrund – eine Rolle beim Abstimmungsergebnis über Peymanns Vertrag gespielt zu haben. Aigner sagte, er sei zuversichtlich, daß Peymann in Bochum bleiben könne, falls der Schauspieldirektor bereit sei, über sein Sparangebot von 1,7 Millionen DM hinaus weitere Kürzungen am Theateretat hinzunehmen. Wie Aigner ergänzend mitteilte, hätten sich aber auch einige andere Meinungsverschiedenheiten zwischen Peymann und einer großen Anzahl von Ratsmitgliedern angestaut.

Bei den angedeuteten Differenzen zwischen Peymann und Stadtrat könnte es sich zum Beispiel um Peymanns Verhalten bei der Schließung der Spielstätte „BO-Fabrik“ handeln. Peymann hatte damals die Aktion einiger Jugendlicher gutgeheißen, die das Bochumer SPD-Büro besetzt hatten und war besonders mit dem Fraktionsvorsitzenden Hossiep in Streit geraten.




Muß Peymann Bochum verlassen?

Von Bernd Berke

Bochum. Die Vertragsverlängerung zwischen dem Direktor des Bochumer Schauspiels, Claus Peymann, und der Stadt Bochum ist stark gefährdet.

Wie gestern bekannt wurde, hat sich die SPD-Fraktion mit der denkbar knappen Mehrheit von 20:19 Stimmen gegen eine Fortführung des Vertragsverhältnisses ausgesprochen. Bochums Kulturausschußvorsitzender Hans-Dieter Kaulfuß meinte gegenüber der WR, er sehe „gewisse Möglichkeiten, die Fraktionsmitglieder noch umzustimmen“.

Peymanns Vertrag läuft, falls er nicht doch verlängert wird, am 31. August 1984 aus. Die endgültige Entscheidung fällt am 10. Februar im Rat.

Der Bochumer CDU-Pressesprecher Paul Schrader glaubt angesichts der Stimmungslage in seiner Fraktion, daß jetzt kaum noch Chancen für eine Vertragsverlängerung bestehen. Vermutlich am 7. Februar wird in der CDU-Fraktionssitzung abgestimmt. Die CDU verfügt im Rat über 27 Stimmen, die SPD über 44, die F.D.P, hat eine Stimme, die „Liberale Fraktion“ drei.

Bestandteil von Peymanns Vertrag ist eine beiderseitige Mitteilungspflicht darüber, ob der Vertrag verlängert werden soll. Eine solche Mitteilung muß eineinhalb Jahre vor Vertragsende erfolgen, hier also bis Ende Februar 1983.

Das genaue Abstimmungsergebnis in der SPD-Fraktion lautete: 20 Stimmen gegen Vertragsverlängerung, eine Enthaltung und die schriftliche Äußerung eines abwesenden Fraktionsmitglieds, das für Peymanns Verbleib votierte. Kulturausschuß-Vorsitzender Kaulfuß konstatiert „eine Art Patt-Situation“ und hofft auf einen Sinneswandel. Dadurch, daß vier SPD-Fraktionsmitglieder nicht an der Abstimmung teilnahmen, gibt es noch eine geringe Aussicht.

Peymann wurde noch nicht offiziell über das Abstimmungsergebnis in der SPD-Fraktion informiert und war bis gestern Abend auch nicht zu erreichen. Es hieß, er sei nach einer Probe direkt nach Düsseldorf gefahren.

Kürzlich hatte Peymann vergleichsweise maßvoll auf inzwischen aufgegebene Erwägungen reagiert, die Kammerspiele zu schließen.




Auch Dortmunder Theater erwägt verbilligte Karten für Arbeitslose – Umfrage nach Krefelder Initiative

Von Bernd Berke

Im Westen. Sehr unterschiedliche Reaktionen hat die Nachricht ausgelöst, daß das Krefelder Theater als angeblich erste deutsche Bühne Karten für Arbeitslose um die Hälfte billiger abgeben will.

Während es beim Wuppertaler Theater auf WR-Anfrage hieß, dies könne beispielgebend sein, meinte Bochums BühnenVerwaltungsdirektor Dr. Rolf Paulin: „Verbilligte Theaterkarten für Arbeitslose sind ein uralter Hut. Die gibt’s in Bochum schon seit langem“.

Während in Bochum der Eintrittspreis für Erwerbslose um 50 Prozent reduziert ist, gibt es beim Westfälischen Landestheater (WLT) in Castrop-Rauxel 40 Prozent Ermäßigung. WLT-Rendent Günter Dammeier: „Was die Krefelder jetzt machen wollen, praktizieren wir schon seit Jahren“. Das Angebot werde freilich nicht sehr intensiv genutzt. Eine möglich Erklärung dafür hat Bochums Verwaltungsdirektor Paulin parat: „Kaum ein Arbeitsloser nimmt die Vergünstigung in Anspruch. Die meisten wollen sich lieber nicht zu erkennen geben auch nicht an der Theaterkasse“. Deshalb hätten Bochums Kassierer auch strikte Anweisung, sich nur kurz die übliche Arbeitslosen-Bescheinigung zeigen zu lassen. In Münster wird’s schon komplizierter: Dort müssen Arbeitslose vor verbilligtem Kunstgenuß ein Extra-Papier vorlegen.

In Dortmund gibt es noch keine entsprechenden Ermäßigungen. Wie der stellvertretende Theater-Verwaltungsdirektor Friedrich Gidde der WR sagte, wird eine solche Regelung jedoch seit einigen Wochen ernsthaft erwogen. Gidde: „Das Thema wird den Rat mit Sicherheit in Kürze beschäftigen“. Wenn es eine neue Preisgestaltung geben sollte , so werde sie frühestens zum Beginn der nächsten Saison wirksam. Auch in Dortmund hätten die Betroffenen sich bislang nicht geregt. Friedrich Gidde: „Kein einziger Arbeitsloser hat sich bei uns nach eventuellen Preissenkungen erkundigt.“

Überhaupt keine Chancen gibt man einer Kartenermäßigung in Hagen. Wie aus der Theaterverwaltung zu erfahren war, glaubt man dort, angesichts der Sparzwänge keine Mindereinnahmen verkraften zu können. Wuppertals Verwaltungsdirektor Erich Neumann hingegen hat sich das Krefelder Beispiel zu Herzen genommen. Er will „seinem“ Kulturdezernenten demnächst entsprechende Überlegungen vortragen.

Übrigens: Die Agenturmeldung aus Krefeld hatte einen weiteren Haken. Nicht nur, daß Krefeld gar nicht als erstes Theater preiswerte Arbeitslosenkarten anbietet. Auch den Stadtrat hat der Vorschlag des Generalintendanten noch nicht passiert, sondern erst den Kulturausschuß. Da es dort ein einstimmiges Votum gab, rechnet man allerdings fest mit der Zustimmung des Rates.




„Darüber spricht man nicht“: Mit erprobtem Stück gegen neue Prüderie

Von Bernd Berke

Dortmund. „Darüber spricht man nicht“ ist ein Stück, bei dem Aktionen und Reaktionen der Zuschauer genauso wichtig sind, wie die Arbeit der Darsteller. Ein ruhiges Publikum würde jede Aufführung mißraten lassen. Weil aber das Kindertheater in Dortmund das spontanste Publikum hat, konnte gar nicht viel „anbrennen“.

Um Platz fürs Mitspielen zu schaffen, war man ins Dietrich-Keuning-Haus umgezogen, dessen Saal mehr Bewegungsfreiheit bietet, als das Theater am Ostwall. Das annähernd zehn Jahre alte Stück der „Roten Grütze“, steht gerade rechtzeitig auf dem Spieplan. Da sich allenthalben eine neue Prüderie breitzumachen droht, hat der Stoff kaum etwas von seiner Bedeutung verloren; es überrascht heute höchstens der fröhliche Optimismus der Vorlage. Die Spielhandlung dreht sich ums „Liebhaben und Streicheln, ums Schmusen und Anfassen, ums Kindermachen und Kinderkriegen“ (Programmheft) und vor allem darum, daß man offen über alles reden sollte.

Die über 100 Kinder, die zur Samstagspremiere (Inszenierung: Klaus D. Leubner) gekommen waren, brachten sicherlich unterschiedliches Vorwissen mit. Trotzdem waren, vor allem bei den Kleineren, im Verlauf des Stücks die Fortschritte unverkennbar. Nach anfänglicher Scheu äußerten sie sich – mit einer Ausnahme kurz vor der Pause – zunehmend unbefangener. Ein Verdienst der Schauspieler, die für die entsprechende Atmosphäre sorgten. Übervorsichtige hatten schon vor der Aufführung Unsauberes gewittert. Zur Beruhigung: Den Kindern wird keine Information aufgedrängt, es wird vielmehr in einem Frage- und Antwortspiel auf ihre Bedürfnisse eingegangen.




TV-Team auf Kurzbesuch in Dortmund: Kulturabbau im „Pott“? Nichts wie hin!

Daß ein Kulturmagazin einmal ein paar Minuten fürs Revier, gar für Dortmund, übrig hat, ist verwunderlich genug. Kann man in so einem Fall nicht fast darauf wetten, daß von Düsternis, sozusagen von „Ruß am Kulturhimmel“ zu berichten ist? Aber ja! Dortmunds Schauspiel ist in Gefahr – das Team von „Aspekte“ (ZDF) wird hellhörig: N o c h weniger Kultur im „Pott“? Nichts wie hin!

Kein Einwand, hätten sich die Mainzer des Themas wirklich angenommen. Doch was die TV-Leute mit diesem Beitrag boten, war Kürze ohne Würze. Keine hinreichende Beschreibung der Probleme, schon gar keine fundierte Stellungnahme. Da huschte die Kamera mal fix über den oder jenen Zeitungsausschnitt, da ließ man Oberspielleiter Roland Gall nur sekundenlang zu Wort kommen, vollführte einen gelungenen Schwenk übers Große Haus – und damit hatte es sich dann auch schon. D e n „Aspekte“-Beitrag möchte ich sehen, der die Schließung auch nur eines einzigen größeren Sprechtheaters in München und Berlin ähnlich salopp abhandelt!

Fehlte nur noch, daß Moderator Alexander U. Martens das Kürzestfilmchen kommentierte. Schlimm nur: er tat’s wirklich! Die Dortmunder Vorgänge seien „bedauernswert“, doch die Stadt ächze halt unter Defizit und habe „über 10 Prozent“ Arbeitslose. Basta! Das hörte sich an, als seien „die“ Dortmunder schuld an der Misere, als sollten sie gefälligst ohne Murren den harten, angeblich unvermeidlichen Schnitt tun. Als habe es vor allem deshalb Arbeitsplatz-Verluste gegeben, weil in Dortmund Theater gespielt wurde. Daß bei Schließung der Sprechbühne ebenfalls Arbeitsplätze verschwinden, hielt Martens erst gar nicht für erwähnenswert. Auch weniger Greifbares – Stichwort „kulturelle Verödung“ – findet er offenbar halb so wild.

Näher am Zeitgeist wähnte sich der Moderator wohl gleich zu Beginn der „Aspekte“-Ausgabe. Im Gespräch mit Martens durfte der „Neokonservative“ Gerd Klaus Kaltenbrunner drauflos schwadronieren. Die Deutschen seien ein Kulturvolk – und das schon „seit 1000 Jahren“. Man möchte hinzufügen: Wenigstens eine Unterbrechung gab’s schon – und für die waren auch „1000 Jahre“ vorgesehen.                  Bernd Berke

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Leserbrief

Betr.: TV-Team auf Kurzbesuch in Dortmund

Auf den Beitrag „TV-Team auf Kurzbesuch in Dortmund: Kulturabbau im „Pott“? Nichts wie hin!“ von Bernd Berke in der Westfälischen Rundschau vom 20. September muß ich antworten, denn selten habe ich einen Bericht gelesen, der so durch Voreingenommenheit getrübt war. Herr Berke unterstellt, wir würden über das Ruhrgebiet nur berichten, wenn „Ruß am Kulturhimmel“ zu konstatieren sei. Wenn er unsere Sendüng besser kennen würde, würde er wissen, wie oft wir aus dem Revier – einschließlich einer 45minütigen Schwerpunkt-Sendung – berichtet haben. Daß dabei allerdings öfter vom Bochumer Theater oder von Kulturaktivitäten in Kamen oder Unna die Rede war als vom Dortmunder Schauspiel, liegt nicht an uns.

Der „Aspekte“-Bericht zu Dortmund war zweieinhalb Minuten lang – gewiß ein Kurzbericht als erste Information über eine Absicht. Ist das journalistisch nicht legitim? Wir werden auf das Thema schon noch zurückkommen. Wo aber sind in München oder Berlin bereits Sprechtheater geschlossen worden, über die wir hätten berichten können? Und ist das in Dortmund schon beschlossene Sache – Fakt oder Absicht?

Ganz schlimm ist, wie Herr Berke die Äußerungen meines Kollegen Martens zu dem Kurzbeitrag interpretiert. Aus dem Hinweis auf die schwierige wirtschaftliche Situation in Dortmund abzuleiten, wir hätten gemeint, die Dortmunder seien selbst schuld an ihrer Misere, ist ebenso absurd, wie die Unterstellung, wir würden eine Theaterschließung „halb so schlimm“ finden.                          Dr. Dieter Schwarzenau, „Aspekte“-Redaktion

 




Der Prinz als Privatmann und ein vielbeschäftigter Kammerherr – „Emilia Galotti“ in Wuppertal

Von Bernd Berke

Wuppertal. Die erste Schauspielpremiere der neuen Saison in Wuppertal, Lessings Trauerspiel „Emilia Galotti“, entfachte im Zuschauerraum beinahe mehr „Theater“ als auf der Bühne.

Einige Theaterbesucher auf den hinteren Rängen forderten vehement, die Schauspieler möchten doch lauter reden. Von den empörten Vorderreihen niedergezischelt, erhöhten die Hinterreihen die Phonstärke (Gebrüllter Dialog: „Ich will hören!“ – „Dann kauf Dir doch ’nen Fernseher!“) – immer mitten in den Vortrag der Darsteller hinein. Dabei hätte es solcher Aktivitäten gar nicht mehr bedurft, um die Schauspieler aus dem Konzept zu bringen. Wie ich finde, waren die meisten Darsteller ohnehin aus dem Konzept, und dieses Konzept ließ seinerseits zu wünschen übrig.

Die Rollen der Dienerschaft und des bezahlten Mörders Angelo. blieben in dieser Aufführung ausgespart. Offenbar wollte sich die Regie (Jörn van Dyck, Wuppertals neuer Schauspielleiter) ganz auf den Konflikt zwischen Adel und Bürgertum konzentrieren. Doch der Prinz (Metin Yenal), der von seinem Kammerherrn Marinelli (Peter Hommen) in übelste Intrigen hineingezogen wird, trat hier gar nicht als Vertreter einer Gesellschaftsschicht auf, sondern als Bruder Leichtfuß, der ab und zu Gewissensbisse bekommt, als Bohemien und als „Windbeutel“, der alle paar Sekunden einer anderen Stimmung unterworfen ist. Gleich die erste Szene zeigt ihn im Bett und nicht, wie von Lessing vorgesehen, am Arbeitstisch. Betont wird mithin die private Sphäre, ausgeblendet die des öffentlichen Einflusses. Daß der Prinz sich auch in einem gesellschaftlichen Dilemma zwischen Liebe, also bürgerlichem Lebensgefühl und seiner Rolle als Landesherr befindet, wurde an kaum einer Stelle deutlich; geschweige denn, daß versucht worden wäre, diesen Konflikt und die sich um ihn rankenden Machtverhältnisse für Menschen des 20. Jahrhunderts transparent zu machen.

Eine glatte Fehlbesetzung ist Anke Siefken als Emilia, die überhaupt nicht so wirkt, als könne sie sich vom Prinzen verführen lassen. Rena Liebenow als Emilias Mutter hatte ebenfalls zu kämpfen. Stellte sie Gefühlsausbrüche dar, so merkte man deutlich, wie sie erst Anlauf nehmen mußte. Ein dramaturgischer Fehlgriff überdies, daß Camilla Rota, der im Originaltext dem Prinzen ein Todesurteil vorlegt und vor übereilter Unterschrift warnt, in der Wuppertaler Fassung nicht vorkommt. Stattdessen wurden die mahnenden Worte kurzerhand in den Text Marinellis eingebaut, dessen Charakter dadurch einen humanen Zug bekommt, der vom Stück her nicht zu rechtfertigen ist. Überhaupt ist die Figur, die von Peter Hommen mit erkennbarer Anstrengung dargestellt wird, überfrachtet. Marinelli muß in Wuppertal auch noch sämtliche Aufgaben der Dienerschaft wahrnehmen.

Immerhin ragten Bernd Schäfer als Odoardo, Claudia Amm als Orsina und Michael Wittenborn als Appiani durch solide Leistungen aus dem Ensemble heraus. Sie sorgten dafür, daß trotz des verunglückten Ansatzes streckenweise doch eine akzeptable Aufführung zustande kam. Auch das Bühnenbild von Dietrich Schoras war nicht aufregend, sondern allenfalls gefällig. Wirklich packend war das Gesamtergebnis an keiner Stelle. Verhaltener bis herzlicher Beifall am Schluß belohnte die Bemühungen der Darsteller. Unüberhörbar jedoch auch einige Buhrufe, als der Regisseur sich zeigte.




Timothy Leary als Star eines Treffens im Hochsauerland – Kritik am westlichen Denksystem

Von Bernd Berke

Dortmund/Willingen. Timothy Leary, in den 60er Jahren durch sein Eintreten für die Droge LSD weltweit bekannt gewordener US-Professor, weilt derzeit im Sauerland! Anlaß ist ein Kongreß in Willingen bei Brilon, der sich damit befaßt, Geist, Seele und Leib durch Körperübungen in Einklang zu bringen.

Seit dem letzten Wochenende vertiefen sich Jm Hotel ..Sauerland-Stern“ etwa 170 Teilnehmer (Gebühr: rund 600 DM, ohne Hotelkosten) ins Thema. Einer von ihnen ist der Dortmunder Schauspieler Ruedi Gerber (25), bekannt durch sein Programm „Spiwit of Spwingtime“. Er hofft, in dem abgeschiedenen Hotel neue Anregungen für Darstellungformen jenseits des Stadttheaterbetriebs zu bekommen.

Timothy Leary regte ihn allerdings eher auf als an. Ruedi Gerber: „Er hat nur unverbindlich gequasselt“. Beeindruckt zeigt sich Gerber hingegen von der Eröffnungsfeier des Treffens, die etwas anders verlief als herkömmliche Festivitäten. Unter Leitung der 62jährigen amerikanischen Tänzerin Anna Halprin (früher beim San Franciscan Dancer’s Workshop) geriet die Veranstaltung zu einer Art Happening der Körper- und Selbsterfahrung. Hotelleitung und Gäste, die mit dem Kongreß nichts zu tun haben, sollen dem Vernehmen nach entgeistert gewesen sein, als die Teilnehmer des Treffens mit Ästen aus dem sauerländischen Forst im großen Hotelsaal anrückten.

All das hat einen ernsten Hintergrund. Die Teilnehmer sind durchaus seriöse Leute, Ärzte, Psychologen, Sozialarbeiter von 25 Jahren an aufwärts. Alle gemeinsam vertreten die Auffassung, daß die westliche Vorstellung von Wissenschaft, die ausschließlich das Denken beansprucht, überholt ist. Daher beschäftigen sie sich in Willingen etwa mit Fragen des Körperausdrucks und vorwissenschaftlieher Heilkunst.

Ruedi Gerber: „Auch auf der Bühne geht es um menschliche Beziehungen, besonders beim improvisierten Spielen, das ich bevorzuge. Diese Beziehungen haben viel mit dem Körper zu tun“ . Gerber plant schon sein nächstes Projekt. Da er in Willingen einen engen Mitarbeiter des bekannten englischen Psychiaters Ronald D. Laing traf, will er Laing für eine szenische Umsetzung von dessen Gedichten (Titel: „Liebst Du mich?“) nach Dortmund holen.

Der Veranstalter des Willinger Treffens, (ein „Europäisches Forum für Humanwissenschaften“ mit Sitz in Stuttgart) kündigt ein weiteres Meeting an. 1983 sollen in München so illustre Leute wie die Regisseure Federico Fellini und Werner Schroeter sowie die Schriftstellerin Doris Lessing erscheinen.




Harlequin-Theater mit viel Spielfreude und aktuellen Ideen

Von Bernd Berke

Auf spontane Einfälle darf man schon gefaßt sein beim Dortmunder „Hand- und Fußtheater“, das jetzt im Café des Fritz-Henßler-Hauses zwei kurze Stücke unter dem Obertitel „Harlequin auf dem Pulverfaß“ zeigte. Eine hautnahe Kostprobe überbordender Spielfreude bekam einer der etwa 100 jungen Zuschauer zu spüren, als Mitspielerin Elke Drews unvermittelt durch die Reihen wuselte, sich auf seinen Rücken schwang und ihm gleichsam im Nacken saß.

Solche Lust an Bewegung war durchaus im doppelten Wortsinn zu verstehen, ging es doch in den selbstverfaßten Spielvorlagen um Probleme zweier „Bewegungen“, nämlich der für den Frieden und der für menschliches Wohnen. Dabei wurde kein auswendig gelernter Text vorgetragen, sondern im Rahmen eines lockeren Handlungsgerüsts nach Laune improvisiert. Traditionelles Element: Die Figuren (Pantalone, Brighella und Harlequin) waren dem alten italienischen Volkstheater, der Comedia dell’arte nachempfunden, hatten sich aber nunmehr mit Hochrüstung und Hausbesetzungen zu plagen.

Es machte einfach Spaß, zu sehen, wie etwa die Rüstungspolitik karikiert wurde, wie sich die eine Macht mit einem Küchenquirl bewaffnet und die andere in ihrer Angst droht, die „Wunderbombe“ einzusetzen – einen alten, übelriechenden Turnschuh. Daß in solchen, scheinbar mit Leichtigkeit vorgetragenen Szenen eine Menge Arbeit steckt, kann man als Zuschauer nur vermuten. Besonders in den pantomimischen Szenen wurde deutlich, daß hier kein lupenreines Amateur-Theater agierte. Immerhin haben Elke Drews und Bernd Witte das Hand- und Fußwerk der wortlosen Darstellung in Paris von Grund auf erlernt, während Ellen van Royen am Bochumer Puppenspielinstitut und beim Amsterdamer Narrenfestival der „Fools“ mitwirkte.

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(WR-Lokalteil Dortmund)




Botho Strauß: Erfolg ohne Medienrummel

Der von fast allen Theaterkritikern überschwenglich gelobte Autor Botho Strauß gilt zugleich als „unzugänglichster“ Schriftsteller der Gegenwart. Das einzige umfängliche Gespräch mit Strauß wurde 1979 von einer Schweizer Zeitung veröffentlicht. Jetzt konnten WR-Redakteur Bernd Berke und Marianne Hausen, freie Journalistin aus Heidelberg, den Schriftsteller in Berlin besuchen und ein längeres Gespräch mit ihm führen.

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Botho Strauß ist ohne Zweifel einer der gefragtesten deutschen Gegenwartsautoren. Nachdem viele Kritiker seine ersten Theaterstücke als „elitär“ oder schlicht als unverständlich abqualifiziert hatten, schaffte Strauß gegen Ende der 70er Jahre mit der „Trilogie des Wiedersehens“ und mit „Groß und klein“ den Durchbruch.

Seither wird dem 1944 geborenen, in Remscheid aufgewachsenen Autor in den bundesdeutschen Feuilletonspalten geradezu gehuldigt. Selbst gefürchtete Großkritiker erkoren ihn zum wichtigsten Theaterschreiber dieser Jahre. Auch Strauß‘ Prosawerke verkaufen sich bestens. „Die Widmung“, Geschichte einer Trennng, stand lange Zeit auf den Bestsellerlisten. Auch Strauß‘ neueste Prosaarbeit, der Band „Paare Passanten“, ging bereits 25 000 mal über die Ladentische – eine für belletristische Werke sehr beachtliche Zahl. So gehören denn inzwischen Strauß‘ Stücke zum festen Repertoire in- und ausländischer Bühnen. Auch im Deutschen Fernsehen wurden die „Trilogie“ sowie „Groß und klein“ schon gezeigt.

Trotz all dieser Erfolge ist Strauß einer der unbekanntesten Autoren geblichen, weil er sich sehr zurückhält, was Interviews angeht. Zahlreiche Journalisten haben vergeblich versucht, die geheime Telefonnummer des in Berlin lebenden Strauß zu erfahren und ihn zu Äußerungen zu bewegen. Erst jüngst bekam eine große deutsche Illustrierte eine Abfuhr. Strauß genehmigte der WR zwar ausdrücklich die Veröffentlichung, wollte aber nicht, daß während der Unterhaltung Notizen gemacht würden. Daher hat das Folgende den Charakter eines Gedächtnisprotokolls:

Strauß bestätigt die Vermutung. daß er, als einer unter ganz wenigen deutschen Autoren, von seinen Schreibeinkünften recht gut leben könne. Den Löwenanteil mache dabei nicht etwa der Erlös aus dem regen Verkauf der Prosabände aus. Die Einkünfte durch die Aufführungsrechte an den Stücken fielen mehr ins Gewicht.

Der Autor ist selbst ein wenig überrascht, daß seine Bücher so begehrt sind, wundert sich über den fulminanten Anfangserfolg seines Buches „Paare Passanten“, das erst seit Ende 1981 auf dem Markt ist. Daß „Die Widmung“ sich so gut verkauft habe, sei wohl dem Zufall zu verdanken. Als das Buch 1977 erschien, habe das Thema der Trennung zweier Lebensgefährten gerade Saison gehabt. Strauß: „Überhaupt prägen schnell wechselnde Modeströmungen den Literaturbetrieb. Wer zum Beispiel heute noch ein Buch über seine Beziehung zum Vater schriebe, käme entschieden zu spät“. Er selbst könne mit solch kurzlebigen Erscheinungen gar nichts anfangen und wisse, daß er im Prinzip immer für ein Minderheit schreiben werde. Gottlob werde er auch noch nie, wie etwa Günter Grass oder Heinrich Böll, von allen Leuten auf der Straße erkannt.

Tatsächlich ist Strauß dem Erfolg nie hinterhergerannt, eher hat er ihn sich hartnäckig ersessen: Als er mit seinem Germanistik-Studium nicht mehr zufrieden war, bewarb er sich bei der Fachzeitschrift „Theater heute“ um einen Ferienjob. Was sich heute in Strauß‘ Biographie wie die Beschreibung eines unglaublich leichten Einstiegs in die Theaterszene liest, war in Wirklichkeit mit einigen Frustrationen verbunden. Strauß: „Ich durfte bei ,Theater heute‘ lange Zeit so zusagen nur die Paplerkörbe leeren.“ Mehr als einmal habe ihm Henning Rischbieter, Chef des renommierten Monatsblattes, zu verstehen gegeben, wie mies seine, Strauß‘, Beiträge seien und daß man so etwas auf gar keinen Fall veröffentlichen könne. Diesen Anfechtungen zum Trotz hielt Strauß durch: „Eigentlich sollte ich nur vier Wochen in der Redaktion sitzen, aber ich blieb einfach weiter dort und niemand schickte mich weg.“ Strauß wurde mehr oder weniger „geduldet“.

Kaum aber hatte er seine ersten eigenen Werke veröffentlicht, stieg sein Ansehen auch bei der Theaterzeitschrift. Plötzlich erschienen seine Rezensionen – und schon bald galt er als einer der besten deutschen Theaterkritiker.

Damit war der Weg vorgezeichnet, der später über die Dramaturgiearbeit an Peter Steins West-Berliner „Schaubühne“ zum jetzigen Status des freien Schriftstellers führte. Strauß heute: „Ich war hartnäckig und hatte außerdem Glück.“

Strauß verabscheut den Erfolgsrummel in jeder Form. So hat er zum Beispiel nie eine Vorlese-Tournee durch Buchhandlungen unternommen, obwohl er weiß, daß Buchhändler für die Verbreitung eines Werks wichtiger sind als jeder noch so einflußreiche Kritiker. Oft nämlich überschritten unschlüssige Kunden die Ladenschwelle, denen der Buchhändler etwas empfehlen müsse.

Auch zu einer anderen Einrichtung des Literaturbetriebs, den PreisverIeihungen, hat Botho Strauß kein ungebrochenes Verhältnis. Zwar nahm er bislang alle Auszeichnungen an („Täte ich das nicht, würde das eine Entwertung des Preises bedeuten, an der mir nichts liegt“), doch blieb er kürzlich einer Verleihungszeremonie fern und überwies den ihm zugedachten Geldbetrag einer Hilfsorganisation. Die Folge war eine Geisterveranstaltung. bei der zwar ein Streichquartett musizierte, bei der der geehrte Autor jedoch nicht zugegen war.

Ablehnende beschied Strauß vor kurzem auch das Ansinnen Marcel Reich-Ranickis, des gefürchteten Kritiker-„Papstes“. Reich-Ranicki habe ihn als ständigen Mitarbeiter für ein konservatives Blatt in Frankfurt gewinnen wollen. Strauß skeptisch: „Solche Kritiker bilden sich ein, man sei ihr Schützling. Irgendwann lassen sie einen dann fallen“.

Immerhin: Unter Wert verkauft sich auch Strauß nicht mehr. Sein Roman „Rumor“ wird als Taschenbuch bei Ullstein und nicht – wie bisherige Lizenzausgaben – bei dtv erscheinen, und zwar der höheren Tantiemen wegen.

Zur Zeit steht Strauß ein neues Erfolgserlebnis bevor. Sein letztes Stück, „Kalldewey“, hat in diesen Tagen in Hamburg Premiere (Regie: Niels-Peter Rudolph). Die Karten fanden reißenden Absatz. Strauß glaubt jedoch, daß die Premiere in erster Linie ein Ereignis für Intellektuelle, Kritiker und Kulturschickeria sei. Zugleich befürchtet er, daß das Stück vielleicht eine allzu schwere Aufgabe für die Schauspieler darstelle. Darin sieht er auch einen Grund dafür, daß die Uraufführung schon einmal verschoben werden mußte. Die in der Farce „Kalldewey“ als Stilmittel eingesetzte Sprache der AIternativszene habe er teilweise vor Ort erlauscht, zum Teil übertreibend hinzuerfunden, um die Essenz dieser Sprache noch deutlicher hervortreten zu lassen.

Zur Zeit schreibt Strauß an einem weiteren Theaterstück. Reichlich Material habe er schon beisammen, doch befinde sich das ganze noch in der Phase der Rohfassung. Strauß schreibt immer mehrmals von Hand vor, bevor er tippt – übrigens am liebsten auf einem alten OIivetti-ModelI, obwohl er neuerdings auch eine elektrische Maschine besitzt. Deren Geräusch zerre jedoch an seinen Nerven.

Wenn Strauß in seiner nahezu unmöblierten 190-Quadratmeter-Wohnung in der Nähe des Wittenberg-Platzes schreibt, meidet er – noch mehr als sonst – die Öffentlichkeit. Eine der wenigen .Ablenkungen“ in der Isolation ist dann die Lektüre. Dabei interessierten ihn nur wenige Gegenwartsautoren (darunter Thomas Bernhard, Peter Handke und Paul Nizon). Er bevorzugt Klassiker wie Dostojewski, Rilke und zur Zeit Musils Riesenwerk „Der Mann ohne Eigenschaften“.

Strauß, in seiner Jugend Fan von Caterina Valente und Margot Eskens, hört heute fast nur klassische Musik. Dennoch notiert er, als wir darauf zu sprechen kommen, die Namen einiger neuer deutscher Rockgruppen wie „Ideal“ und „Abwärts“. Grund: Strauß interessiert sich für die Zukunftsangst, die sich in den Texten dieser Bands ausdrückt. Freilich zweifelt er, ob diese Angst eine wirkliche Zeit- oder nur bloße Modeströmung sei.

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Erschienen in der WR-Wochenend-Beilage vom 30. Januar 1982

 




Farce von Dario Fo in Dortmund: Unbequeme Fragen nach dem Tod eines Anarchisten – und scharfe Kritik am Intendanten

Von Bernd Berke

Dortmund. Mitten in der Premiere des Dario Fo-Stücks „Zufälliger Tod eines Anarchisten“ hielt Claus-Dieter Clausnitzer das Programmheft in die Höhe und rief, im ironischen Brustton der Überzeugung: „Wir haben hier doch keine Zensur!“

Die Zuschauer quittierten die Anspielung mit Beifall. Gemeint war die Entscheidung des Generalintendanten Paul Hager, eine erste Fassung des Programmhefts wegen einiger, nicht gerade polizeifreundlicher Karikaturen und wegen eines Aufsatzes aus der Feder von Peter-Paul Zahl nicht zu veröffentlichen. Schon vor der Aufführung, die sich übrigens auch Paul Hager nicht entgehen ließ, kursierten im Publikum achtseitige Sonderdrucke, herausgebracht von mehreren alternativen Stadtmagazinen, in denen (neben dem von Hager gestrichenen Zahl-Aufsatz) schärfste Angriffe gegen den Intendanten selbst zu lesen waren.

Neben all dem gab es auch noch Theater, und zwar nicht von der schlechtesten Sorte. Das vor elf Jahren entstandene Stück des Italieners Dario Fo rollt die höchst zwielichtigen „Zufälle“ auf, die sich bei polizeilichen Untersuchungen gegen einen Anarchisten häufen. Ihm wird ein Attentat zur Last gelegt, das in Wahrheit von Faschisten begangen wurde. Während eines Verhörs stürzt der fälschlicherweise Beschuldigte tödlich aus einem Fenster im vierten Stock des Polizeigebäudes: Selbstmord, Unfall, unterlassene Hilfeleistung? Diese unbequemen Fragen zu stellen, setzt Dario Fo die Figur des „Verrückten“ ein, der behende in jede Rolle schlüpfen kann, auch in die eines Untersuchungsrichters, der die Polizei aus einer Verwirrung in die andere stürzt.

Dario Fo hat eine Farce geschrieben, also kommt es nicht auf subtile Charakterzeichnung, sondem auf Situationskomik an. und die entfaltete sich vor dem überwiegend jungen Publikum im Studio der Dortmunder Bühnen bisweilen so turbulent, daß der Spielraum zu eng wurde. Aber dies ist eben der Preis für den Kontakt zwischen Darstellern und Zuschauern, wie er im Studio möglich ist.

Abgesehen von einigen Text-Unsicherheiten, die wohl dem Premierenfieber zuzuschreiben sind und in dem temporeichen Stück nicht sehr ins Gewicht fallen, präsentierte sich das Ensemble (Regie: Sebastian Bissmeier) in guter Spiellaune. Allen voran, stellenweise umwerfend komisch, Claus-Dieter Clausnitzer. Hervorzuheben auch Peter Loth als Polizeipräsident. Die weiteren Mitwirkenden (Barbara Blümel, Boris Burgstaller, Jürgen Mikol) spielten solide. Günter Hüttmann als Komissar Bertozzo fiel dagegen etwas ab. Freilich bot seine Rolle auch die geringsten Entfaltungsmöglichkeiten.

Die Meinung des Publikums: langanhaltender, herzlicher, für CIausnitzer sogar frenetischer Beifall mit vereinzelten Bravo-Rufen.