Die Stadt, die auf ihre Autoren sch… – eine Polemik des Dortmunder Schriftstellers Jürgen Brôcan

Gastautor Jürgen Brôcan, u. a. Träger des Literaturpreises Ruhr, ist gar nicht gut auf die Stadt Dortmund zu sprechen. Eine Polemik des Autors:

Der Dortmunder Schriftsteller Jürgen Brôcan mit seinem Kater Whitman. Brôcan hat für den Hanser-Verlag Walt Whitmans berühmte Gedichtsammlung „Grasblätter" übersetzt. (Foto: privat)

Der Dortmunder Schriftsteller Jürgen Brôcan mit seinem Kater Whitman. (Foto: privat)

Die Stadt Dortmund ist innerhalb und außerhalb der Bundesrepublik leider nicht unbedingt für die gegenwärtig in ihr lebenden Schriftsteller bekannt. Ein wenig zu Unrecht, möchte man protestieren, denn es gibt hier durchaus eine Handvoll sehr wichtiger und sehr guter Autorinnen und Autoren, die Bedeutung über das Regionale hinaus haben. Doch das ist dem Oberbürgermeister und anderen Institutionen völlig gleichgültig, das kulturelle Renommee dieser Stadt wird sich also auch weiterhin im eher Unbedeutenden verlieren müssen. Wieder einmal hat sich die viel beklagte Provinzialität selbst geschaffen. Aber eines nach dem anderen…

Ich schreibe seit einigen Wochen in winzigsten Intervallen. Nicht weil mein Gedankenfluß immer wieder stocken würde, sondern weil ich auf die Augenblicke warten muß, in denen die Lärmmaschinen schweigen. Für das Warten auf diese Augenblicke braucht man Nerven, die dicker und haltbarer sind als Stahlseile. Noch ist man geschädigt von einer monatelangen Renovierung im Nachbarhaus, da lauten die Schreckensworte nun: „Abwasserkanalsanierung“, „Verdichter“, „Bagger“.

Baulärm ermordet Texte

Die Baustelle schleicht die Straße hinauf, hat jetzt fast mein Haus erreicht, doch schon zittern Fußböden und Wände, der Monitor auf meinem Schreibtisch wackelt gut sichtbar, die Bücherregale stöhnen, Gläser klirren, die Fensterrahmen knacksen, heute morgen gab sogar die Uhr an der Wand ungewohnte Geräusche von sich. Und einzelne, unrhythmische Stöße haben die Wirkung eines Tritts gegen das Schienbein; geschähe etwas Ähnliches auf der Straße, würde man vielleicht von Körperverletzung sprechen. Aber als Anwohner ist man jeglicher Rechtsmittel beraubt.

Und wessen man auch beraubt ist, neben dem Nervenkostüm, das ist die Kreativität. Unmöglich, unter solchen Umständen halbwegs konzentriert zu arbeiten. Für den freiberuflichen Schriftsteller stellt eine solche Situation eine Existenzbedrohung dar – monatelang nicht schreiben zu können bedeutet, monatelang kein Einkommen zu haben. Für solche Fälle müsse man vorsorgen, empfiehlt die Rechtssprechung vollmundig z.B. den von Straßenbaumaßnahmen betroffenen Unternehmen. Dem Schriftsteller, der sich von einem Monat zum anderen müht am unteren Ende der Fahnenstange, klingt das wie bitterster Hohn. Ich spreche erst gar nicht von den vielen Texten, die wie ungeborene Säuglinge abgetrieben oder gar nicht erst gezeugt werden –: Textmorde, Textdürre.

Wäre die Stadt Dortmund stolz auf ihre Schriftsteller, würde sie in solchen Fällen eine irgendwie geartete unbürokratische Hilfe anbieten. Aber sie ist nicht stolz. Sie haßt die Schriftsteller andererseits auch nicht, jedenfalls nicht erkennbar. Sie sind ihr einfach nur schnurzpiepegal.

Ein Brief an den Oberbürgermeister

Am 1.7.2019 habe ich dem Oberbürgermeister der Stadt Dortmund einen Brief geschrieben, in dem ich meine Situation erläutere, mit Verweis auf meine verschiedenen Auszeichnungen; unter anderem heißt es dort:

„Sehr geehrter Herr Sierau, ich möchte Sie bitten, im Rahmen Ihres Amtes als Oberbürgermeister, dem auch der Tiefbau untersteht, einmal darüber nachzudenken, in welche mißliche Lage solche Baumaßnahmen den auf eine gewisse Ruhe angewiesenen Kulturschaffenden bringen. Mir ist die Notwendigkeit dieser Maßnahmen natürlich – leider – durchaus bewußt, ich finde aber, sie dürfen nicht allein zu meinen Lasten und damit zu Lasten der Kultur stattfinden. ,Stadt Dortmund saniert Abwasserkanal – Schriftsteller kann sein Haus nicht mehr bezahlen und muß ausziehen‘: soll am Ende der Maßnahmen eine solche Schlagzeile stehen?

Würden Sie und die Stadt Dortmund ein irgendwie geartetes Entgegenkommen finden, um mir die gegenwärtige, ganz textarme Situation zu erleichtern, können Sie sich meines Dankes sicher sein. Wäre es nicht schön, ich könnte einmal z.B. in einer international gelesenen Zeitung darüber berichten, daß sich die für Kultur nicht sonderlich bekannte Stadt Dortmund der Probleme eines Schriftstellers annähme?“

Notwendigkeit der Instandhaltung

Bereits am 4.7. erreicht mich ein Brief von einer leitenden Stelle der Stadtentwässerung Dortmund, an die meine „Zuschrift“ zuständigkeitshalber zur Beantwortung weitergeleitet worden sei. Der Unterzeichner betont die Notwendigkeit der Instandhaltung von Abwasseranlagen (die von mir nie bezweifelt wurde) – in einer recht phrasenhaften Sprache. Er geht nicht im geringsten auf mein Anliegen ein und bittet mich zum Schluß pauschal um „Verständnis“. Ist es echter Hohn, ist es nur Desinteresse, die da sprechen? Wer kann das entscheiden?

Immerhin freundlich und mitfühlend hat mir das Kulturbüro geantwortet. Doch auch ihm sind die Hände, sprich: die Mittel gebunden. Man verweist mich auf soziale Hilfeträger oder auf die verschiedenen Lesesäle. Also: einen Laptop kaufen und jeden Tag mit mehreren schweren Taschen voller Bücher – denn ich arbeite stets an einigen Projekten gleichzeitig – in die Busse und Straßenbahnen steigen. Unkosten und Aufwand, zu denen mich eine von mir nicht erwünschte Kanalsanierung nötigt. Außerdem: selbst schuld, wer so sensibel ist, daß er sich erst mühsam an eine neue Schreibumgebung gewöhnen müßte.

Also doch lieber zu Hause bleiben, mir den Verstand durchrütteln lassen und aufpassen, daß nicht ein Regal beim Gesang der Verdichter aus den Fugen gerät? Natürlich, täglich gehen Tausende Menschen zu ihrem Arbeitsplatz – aber der ist wahrscheinlich kein Exil, in das sie geschickt werden, ohne Entschuldigung, eiskalt, gleichgültig.

„Am Ende muß ich Mundraub begehen…“

Am Ende werde ich vielleicht mein Haus verlieren, weil ich die monatlichen Raten an die Bank nicht mehr aufbringen kann. Am Ende wird mich vielleicht das Finanzamt der Steuerhinterziehung beschuldigen, weil es nicht glauben kann, wie wenig ich in diesem Jahr verdient habe. Am Ende muß ich Mundraub begehen, weil ich mir nicht mehr leisten kann, etwas zu essen zu kaufen. Vielleicht sollte ich mir überlegen, ein paar Arbeiter schwer zu verletzen, denn im Knast wäre ich zumindest versorgt – am Ende allemal besser, als hier zu sitzen und nichts tun zu können.

Eins weiß ich aber sicher: Ich werde in Dortmund keine Lesung aus meinen Büchern mehr veranstalten – außer der einen, bereits vertraglich vereinbarten – und ich werde keine weiteren Texte mehr über diese Stadt schreiben, die ich mehr als einmal zu einer der interessantesten der Welt erklärt habe; denn ein solches Prädikat verdient sie nicht länger.




„Sei Teil unserer Bücherwelt!“ – Wie sich der Piper Verlag seine Rezensenten wünscht

Was Goethe wohl zu all dem gesagt hätte? Wahrscheinlich wieder sein berüchtigtes „Schlagt ihn tot, den Hund! Es ist ein Rezensent." (Foto: Bernd Berke)

Was Goethe wohl zu all dem gesagt hätte? Wahrscheinlich doch wieder sein berüchtigtes „Schlagt ihn tot, den Hund! Es ist ein Rezensent.“ (Foto: Bernd Berke)

Der Piper Verlag hat sicherlich seine langjährigen Verdienste. Doch jetzt, in Zeiten der Digitalisierung (*gähn*), bricht er offenbar zu neuen Ufern auf. Auch für Blogger(innen) zeigt sich das Münchner Haus neuerdings aufgeschlossen; allerdings nur unter gewissen Bedingungen, die auf der Piper-Homepage unter der nüchternen Zeile „Unsere Kriterien zur Zusammenarbeit“ dargelegt werden.

Zusammenarbeit also. Nicht etwa kritische Öffentlichkeit oder dergleichen Schmonzes von vorgestern. Und wohl auch kaum ein Gedanke an herkömmliche Rezensionen, die vielleicht mal weniger günstig ausfallen könnten. Gefragt ist allenfalls das, was manche neckisch „Rezis“ nennen – ganz so, als würden sie „Supi“ sagen.

Wohin die Reise bei Piper geht, lässt sich im weiteren Verlauf ahnen. Alle Zitate mit Hervorhebungen wie im Original:

  • „Dein Blog oder Youtube-Kanal existiert länger als ein Jahr und verfügt über ein gültiges Impressum.
  • Du schreibst und postest regelmäßig auf Deinen Kanälen.“

So weit sicherlich nachvollziehbar. Der Piper Verlag, seit März 2016 von der vormaligen FAZ-Literaturchefin Felicitas von Lovenberg geleitet, will sich halt nicht mit gar zu flüchtigen sozialmedialen Erscheinungen oder Phantomen plagen, die womöglich nur Rezensions-Exemplare einsacken wollen und dann ihre Portale löschen oder verwaisen lassen.

Am liebsten total virale Influencer?

Allerdings fällt hier schon auf, dass man es eben auch – und vielleicht ganz besonders? – auf YouTuber(innen) abgesehen hat. Wäre es denkbar, dass dem Hause Piper mittlerweile jene „Influencer“, die ein Buch ohne hochtrabendes Gelaber empfehlend in die Kamera halten, lieber sind als kritische Geister, die sich mit wirklichen Rezensionen abmühen? Hätten sie eventuell am allerliebsten hipstermäßige Leute mit der viralen Mega-Power eines Rezo, die ein Buch kurzerhand als „cool“ oder „geil“ bezeichnen?

Nun, ganz so hoch (bzw. eigentlich tief) liegt die Latte nicht. Wir lauschen weiter und erfahren etwas über die Mindestanforderungen:

  • „Dein Instagram Account hat mindestens 2.000 Follower, auf Facebook und Twitter folgen Dir mindestens 1.000 Fans und mindestens 5.000 Abonnenten schauen Deine Videos auf Youtube.“

Instagram, Facebook und Twitter scheinen also schon mal Pflicht zu sein, desgleichen YouTube. Aber das alles genügt noch nicht. Die jeweiligen Gefolgsleute müssen auch möglichst zahlreich und lebhaft reagieren, am besten trampeln und johlen, wenn das denn ginge:

  • „Damit wir sehen können, dass Deine Follower an Deinen Inhalten interessiert sind, ist uns auch eine gute Interaktionsrate wichtig.“

Damit wäre die intellektuelle Spreu vom kaufmännischen Weizen gesondert. Es würde einen schon interessieren, welche Verlags-Kontrollettis auf welche Weise die Interaktionsrate ermitteln und beurteilen. Überdies wäre es interessant zu erfahren, was nach ein oder zwei negativen Besprechungen geschähe. Dann wäre doch höchstwahrscheinlich Schluss mit lustig.

Aber selbst im Falle des Wohlverhaltens bleibt noch mehr zu tun, nämlich dies:

  • „Deine Besprechungen pflegst Du in die gängigen Online-Shops und Communities ein.“

Sprich: Die Empfehlungen soll man z. B. auch bei Amazon, Thalia usw. verbreiten – mit ganz, ganz vielen ***** Sternchen, versteht sich. Womit man dann endgültig ein verlängerter Arm oder besser ein nützliches Sprachrohr der Piper-Presse- und PR-Abteilung wäre. Wie lautet doch gleich die in eine rosarote Wolke gepackte, geradezu enthusiasmierende Überschrift auf der entsprechenden Web-Seite:

„Sei Teil unserer Bücherwelt!“

Nein, danke!




Ist er Magister oder sinister? – Woher kommt bloß auf einmal diese Titelflut?

Nanu? Sollte dieser Doktorhut am Ende nicht echt sein? (Foto: BB)

Nanu? Sollte dieser Doktorhut am Ende nicht echt sein? (Foto: BB)

Über Doktortitel lässt sich gelegentlich streiten. Immer mal wieder werden – zumal im „politischen Raum“ – Titelträger offenbar, anscheinend (oder auch nur scheinbar) entlarvt, weil sie wissenschaftlich nicht sauber gearbeitet haben sollen.

Eine Folge ist vielleicht nachlassender Respekt vor jedweder Promotion. Und so manche Leute geraten in Verdacht, bloß ein Dr. Copy & Paste zu sein. Sinistre Machenschaften.

Tatsächlich gibt es ja nicht wenige dümmliche Doktoren/Doktorinnen oder andererseits, wie zum gerechten Ausgleich, außerordentlich kluge Sterbliche ohne jegliche Weihen solcher Art. Wer wüsste das nicht?

Neuerdings ist immer öfter zu gewärtigen, dass (beispielsweise in Job-Netzwerken) studierte Leute etwas minderen akademischen Grades ihre Magister-Titel stolz dem Namen voranstellen, etwa so: Mag. Karl Napf, Mag. Erna Puvogel. Verzeiht mir bitte die saublöden Beispielnamen. Sie sollen ja eben nicht realistisch sein. Jede Ähnlichkeit mit lebenden Personen ist Zufall.

Auf einmal scheinen also Magister bzw. Magistra eine gewisse Wertschätzung zu genießen. Liegt es etwa daran, dass Bachelor und Master nicht so recht überzeugt haben? Dass man nicht so viel Verdacht weckt wie mit einem Doktorgrad? Erlebt das Goethische, das Faustische „Heiße Magister, heiße Doktor gar…“ hinterrücks eine Renaissance? Oder haben wir hier schlichtweg ein weiteres Beispiel für Geltungssucht, fürs offensive Herzeigen auch der paar geistigen Habseligkeiten? Wobei man bedenken muss: Beim Magister ließe sich theoretisch ebenso schummeln wie beim Doktor.

Soll ich Euch etwas verraten: Auch ich habe ich grauer Vorzeit einen Magister Artium erworben – rechtmäßig, im Schweiße meines Angesichts, ich schwör‘. Soll ich deshalb als Mag. auftreten? Oder als M. A., wie es ehedem hieß? Weniger wohlwollend betrachtet, klingt das nach (schwarzer?) Magie, es könnte auch auf Namens-Verhunzung hinauslaufen. Und neutral betrachtet? Lasse ich den Humbug einfach bleiben.

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P.S.: Was die Titelvergabe und die Benennungen angeht, bin ich nicht mehr auf dem aktuellen Stand. Ist Mag. dasselbe wie M. A.? Ist das eine die österreichische, das andere die deutsche Variante? Oder gibt es da anderweitig haarfeine Unterschiede? Ich mag es nicht googeln.

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Auflösung des Bilderrätsels: Das schlaue Schweinchen trägt die Kappe eines Pfefferstreuers auf dem Kopf. Hehe!




So herrlich radikal und eigenmächtig – Kolumnist*innen drehen durch

Was haben wir denn da? Das schwache Licht der Aufklärung? Na, hoffentlich. (Foto: Bernd Berke)

Was haben wir denn da? Beinahe erloschene Lichter der Aufklärung? (Foto: Bernd Berke)

Wenn man so kreuz und quer in Texten stöbert, merkt man sich bestimmt nicht alle. Aber die richtig radikalen Sachen, die gehen einem vielleicht noch ein Weilchen nach. Mööönsch, hast du gelesen, wie rabiat diese(r) XYZ wieder polemisiert hat? Deshalb werden solche heftigen Zeilen überhaupt geschrieben: damit sie bemerkt werden und damit die Verfasser(innen) so richtig geil abheben können – ein Effekt, der sich freilich schnell abschleift.

Ob solche Beiträge nachvollziehbaren Sinn ergeben, ist bestenfalls zweitrangig. Dieser Tage sind mir zwei hanebüchene Artikel begegnet. Auf der Internet-Seite von Deutschlandfunk Kultur (überhaupt eine Speerspitze politisch „korrekter“ Denke, die oft alles andere als „korrekt“ ist) ist eine rotzfreche Selbstermächtigung von Vladimir Balzer zu lesen, der nichts Geringeres als die sofortige und komplette Abschaffung aller Autos postuliert und alle Leute möglichst umgehend aufs Fahrrad zwingen will. Auch Elektro reicht ihm nicht. Das ganze Zeug soll weg – vielleicht in ein großes, großes Loch? Vielleicht schon morgen früh?

Der Heilsbringer ruft: Alle Autos abschaffen!

Zitat aus dem besinnungslosen, von keinerlei Ironie angekränkelten Elaborat, sämtliche Automobile betreffend: „Ich sehe nur eine Möglichkeit: Alle aus dem Verkehr ziehen. Alle!“ Hach, wie herrlich radikal! In seiner glorreichen Eigenschaft als Pedalist verlangt der Verfasser auch noch, dass man ihm quasi huldigt: „Ich als Fahrradfahrer bringe den Frieden. Ich erwarte dafür (…) auch etwas Dankbarkeit.“ Von dem Zeug, das dieser Friedens- und Heilsbringer mutmaßlich geraucht hat, möchte mancher Freund des gepflegten Rausches vielleicht auch etwas haben… Übrigens soll es auch aggressive Radfahrer geben, denen die Unversehrtheit von Fußgängern schnurz ist.

Kruden Machteroberungs- und Beiseiteräum-Phantasien lässt auch die TAZ-Kolumnistin Johanna Roth (Eigen-Kennzeichnung: „Schreibt am liebsten über Innenpolitik und Abseitiges“) die Zügel schießen. Sie schlägt allen Ernstes vor, nicht nur „unten“ das Wahlalter herabzusetzen, also mehr Jugendliche mitentscheiden zu lassen, sondern auch „oben“ zu kappen, sprich: Rentner bzw. über 60-Jährige sollen kein Wahlrecht mehr haben, sie sollen es abgeben – wie manche den Führerschein.

Bloß kein Wahlrecht mehr für Rentner…

Maßlos regt sich Roth in ihrem mit verkrampften Gender-Fügungen („er*sie“) verzierten Text über Unfälle auf, die in ihrer arg begrenzten Weltsicht offenbar fast ausschließlich von Senioren verursacht werden. Geradezu schwachsinniger Kurzschluss: Senioren gefährden nicht nur den Verkehr, sie gefährden auch unsere Zukunft, indem sie etwa konservativ wählen (was meines Wissens noch nicht verboten ist, aber auch längst nicht auf alle Älteren zutrifft). Aufblitzende Selbsterkenntnis, die allerdings gleich wieder beiseite gewischt wird: „Das kann man jetzt demokratiefeindlich finden…“ Jo. Kann man.

Die Alten mithin nicht mehr an die Urnen, sondern möglichst bald in die Urnen? Irgendwie muss sich doch die eigene Meinung an die Macht zwingen lassen. Klar, dass nach solchem (Un)-Verständnis eh die vielzitierten „alten weißen Männer“ an allem schuld sind. Dumm nur, dass es auch um betagte Frauen und just um die Generation geht, die Frau Roths Schulzeit und Studium mitfinanziert hat. Sollte das denn alles vergebens (allerdings nicht: „umsonst“) gewesen sein?

Wollte man ähnlich radikal sich gerieren wie die beiden selbstgerechten Tastatur-Maniaks, so müsste man vielleicht Berufsverbot für sie fordern. Oder Umerziehungs-Maßnahmen. Was hier selbstverständlich nicht geschieht. Denn wie schon angedeutet: Derlei rücksichtslose Forderungen lassen sich eben nur mit rigider Bevormundung, also mit undemokratischen, wenn nicht gar diktatorischen (oder im Extremfall faschistoiden?) Mitteln durchsetzen. Mit solchen Umtrieben sollte sich niemand gemein machen. Nicht mal ansatzweise.




Wenn der Affe Walter Geburtstag hat, singen die Zoobesucher aus voller Brust „Happy Birthday“

Geburtstags-Affe Walter (re.) mit Lebensgefährtin Toba im Freigelände am Regenwaldhaus. (Foto: Bernd Berke)

Großer Aufschlag im Dortmunder Zoo: Geburtstags-Affe Walter (re.) mit Lebensgefährtin Toba im Freigelände am Regenwaldhaus. (Foto: Bernd Berke)

Das hat man nicht mehr alle Tage in Dortmund, wo sich das Medienangebot zuletzt arg ausgedünnt hat. Ein Presseauftrieb wie heute ist recht selten geworden. Etliche Print-Journalisten, Fotografen, Hörfunkreporter, Kamerateams und Hunderte von Schaulustigen waren zugegen, als… BVB-Kapitän Marco Reus einen öffentlichen Auftritt hatte? Angela Merkel in der Stadt zu Gast war? Gar irgend etwas Klimagerechtes mit Greta Thunberg stattfand? Nichts von alledem! Ein Affe hatte Geburtstag!

Walter heißt der Orang-Utan, dem heute im Dortmunder Zoo zünftig gehuldigt wurde. Der Affe mit bewegter Frankfurter, Leipziger und schwedischer Vergangenheit beging in der Außenanlage des Regenwaldhauses „Rumah hutan“ seinen 30. Geburtstag mit einer veritablen Torte, die vorwiegend aus gefrorenen Frucht- und Gemüsesäften bestand.

Walter erlangte einen gewissen Bekanntheitsgrad, als er 2006 zum Fußball-WM-Orakel bestellt wurde – und einige Ergebnisse korrekt „vorhersagte“. Ein Fußballkenner also, wie es sich für Dortmund gehört. Und wehe allen, die jetzt „Mein Gott, Walter“ sagen! Sie haben es verwirkt.

Bei solchen Anlässen werden auch schon mal KInder vom Fernsehen befragt. (Foto: Bernd Berke)

Bei solchen Anlässen werden auch schon mal Kinder vom regionalen Fernsehen befragt. (Foto: Bernd Berke)

Allerdings geht mit dem Kerl auch schon mal das Animalische durch. Aus schierer Eifersucht hat Walter seinem Ziehkind Yenko einmal einen Arm abgebissen. Das arme, tapfere kleine Wesen klettert trotzdem höchst geschickt durch die Anlage. Da seufzen alle Mütter. Und nicht nur die.

Wie sein Pfleger verriet, ernährt sich Walter übrigens ziemlich vernünftig. Niemals überfresse er sich. Wenn man ihm eine ganze Kiste Bananen hinstelle, nehme er nur zwei bis drei zum sofortigen Verzehr. Den Rest lasse er zunächst einmal liegen. Er hat also offenbar beste Chancen, das ehrwürdige Orang-Greisen-Alter von rund 60 Jahren zu erreichen.

Nachdem die (ferienhalber sehr ansehnliche) Zoobesucher-Schar aus voller Brust „Happy Birthday“ angestimmt hatte, die Torte weitgehend aufgegessen und überhaupt alles recht gesittet und manierlich verlaufen war, wurde Walter dann doch wieder etwas rabiat. Er zerschlug plötzlich mit wenigen Hieben die große Kiste, auf der die „30″ aufgemalt war.

 

 




Nachlass von Fritz Walter unterm Hammer – große Aufregung in Kaiserslautern, gewisses Interesse in Dortmund

Anno 1965 Im Trainingslager der deutschen Fußball-Nationalmannschaft zu Malente: Fritz Walter (2. v. re.) mit dem jungen Franz Beckenbauer (re.), Bundestrainer Helmut Schön (li.) sowie einem Fotografen. (Foto: Wikimedia Commons / Friedrich Magnussen (1914-1987) / Stadtarchiv Kiel). Link zur Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.de

Anno 1965 im Trainingslager der deutschen Fußball-Nationalmannschaft zu Malente: Fritz Walter (2. v. re.) mit dem jungen Franz Beckenbauer (re.), Bundestrainer Helmut Schön (li.) und einem Fotografen. (Foto: Wikimedia Commons / Friedrich Magnussen (1914-1987) / Stadtarchiv Kiel). Link zur Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.de

…und schon wieder so ein kleiner Aufreger mit Dortmunder Querbezug: Am 16. Februar sollen im Heidelberger Auktionshaus „Kunst & Kuriosa“ rund 1000 Stücke aus dem Nachlass von Fritz Walter, dem 2002 verstorbenen Ehrenspielführer der deutschen Fußball-Nationalmannschaft, versteigert werden.

Zum Konvolut gehört – mit Verlaub – wohl ziemlich viel Plunder. Aber immerhin wären da auch die goldene Uhr, die Fritz Walter für den legendären WM-Titel 1954 bekommen hat, sowie eine goldene Totenmaske und ein paar aufschlussreiche Urkunden.

Wie u. a. der Südwestrundfunk (SWR) und das Regionalblatt „Die Rheinpfalz“ berichten, wollen aufgebrachte Fans des 1. FC Kaiserslautern mit einer Crowdfunding-Aktion Teile des Sammelsuriums für ihren Verein und ihre Stadt retten; jene Stadt, deren Fußball-Arena nicht von ungefähr Fritz-Walter-Stadion heißt und die – Achtung, Kalauer! – ein FCK-Museum beherberg(er)t. Befürchtung der FCK-Anhänger: Manches Kicker-Kleinod könnte nach einer Versteigerung in privaten Kämmerlein verschwinden, statt der Öffentlichkeit zugänglich zu sein.

Die Pfälzer Fanseele ist eh schon wund genug, dümpeln doch die einst so stolzen Lauterer derzeit im Mittelfeld der Dritten Liga. Und jetzt sollen auch noch die Reliquien vom Fritz unter den Hammer kommen und womöglich in dunklen Kanälen verschwinden?

Unterdessen regen sich vereinzelt auch Stimmen fürs Deutsche Fußballmuseum des DFB in Dortmund. Dessen Direktor Michael Neukirchner hat – sozusagen pflichtgemäß – Interesse an bestimmten Stücken angemeldet. Und ein Urgroßneffe (!) des Weltmeistertrainers Sepp Herberger, seines Zeichens Musikproduzent, hat gleichfalls fürs Dortmunder Haus plädiert. Sagen wir mal mit allem Respekt so: Es gibt in Fußball-Deutschland gewichtigere Stimmen.

Wie es in der „Rheinpfalz“ weiter heißt, wird der Nachlass im Auftrag der Familie Lutzi versteigert, der Fritz Walter sein Haus vermacht hat. Die Familie will angeblich pauschal 200.000 Euro für die Sammlung erzielen – oder eben einzeln versteigern lassen. Einen 2011 geschlossenen Nutzungsvertrag mit dem FCK hat die Familie demnach 2018 gekündigt.

In diesem Zusammenhang wäre es interessant zu erfahren, welchen Ankaufsetat das Dortmunder Fußballmuseum aufbringen kann, das eh schon ein Zuschussbetrieb zu werden droht.




Wie die Medien mit zwei tödlichen Vorfällen in Schwerte und Dortmund umgehen

Mal wieder ein Fall für Medien-Ethiker und sonstige Moralisten: Da stellt ein Mordverdächtiger aus Schwerte – ob nun absichtlich oder nicht – via Facebook seine eigene Festnahme ins Internet. Bei der urplötzlichen Polizeiaktion geht es absolut nicht zimperlich zu.

Fundstellen-Anzeige bei Google. (Screenshot: BB)

Einschlägige Fundstellen-Anzeige bei Google. (Screenshot: BB)

Ein dringend Tatverdächtiger kann eben in aller Regel nicht mit Samthandschuhen angefasst werden; man weiß ja nicht, ob und welchen Widerstand er leistet.

Der Mann soll am 9. Januar in Schwerte eine Frau ermordet und anschließend ihr Haus angezündet haben, um vom Mord abzulenken. Dennoch hat er bis zum Abschluss der Ermittlungen und eines Gerichtsverfahrens Anspruch auf die rechtsübliche Unschuldsvermutung. Das mag man hie und da bedauern, es ist aber ein wesentliches Element unserer Rechtsordnung.

Die Angst vor der Konkurrenz

Nun zu den Medien. Sobald ein solches Video ruchbar wird, greifen insbesondere private TV-Sender begierig danach. Alsbald war es dann auch mühelos im Internet zu finden – mit heftigen Details und so, dass der Verdächtige auf den Aufnahmen erkennbar war.

Besonders perfide tat sich hierbei die Online-Seite meinschwerte.de hervor. Nicht nur war und ist dort das gesamte Video zu sehen, sondern man kann sodann auch leicht zum entsprechenden Facebook-Auftritt gelangen und offenbar einen Klarnamen finden…

Schon ungleich verantwortlicher, wenn auch nicht perfekt sieht es beim öffentlich-rechtlichen WDR aus. Der Sender verwendet einen (allerdings sehr kurzen und gepixelten) Auszug aus dem rabiaten Film und macht daraus ein „Update“, zu dem uns ein symbolhaftes Handschellen-Standbild verlocken soll.

Warum wird das gebracht? Offenbar einfach aus Angst, dass konkurrierende Medien das Zeug sonst „exklusiv“ haben. Die Frage ist jedoch: Muss man solches „Material“ bringen? Dient es auch nur in irgendeiner Form der Wahrheitsfindung? Dient es nicht vielmehr der „Unterhaltung“, wie verquer auch immer?

Video an Konsumenten durchgereicht

Man mag einwenden, der mutmaßliche Täter habe das Video doch selbst im Netz verfügbar gemacht. Doch hat er ahnen können, dass er seine eigene Festnahme aufnimmt? Muss man denn einen solchen Film gleich an die Medienkonsumenten durchreichen? Und muss man nicht sogar manche Leute gleichsam vor sich selbst schützen? Anders gewendet: Muss man einem solchen Mann auch noch ein mediales Forum geben?

Bitte, das sind ernst gemeinte Fragen. Auch ich habe mich noch zu keiner endgültigen Meinung durchgerungen. Und ja: Wie es sich mit dem Zeitdruck im täglichen Medienbetrieb verhält, weiß ich aus eigener Erfahrung. Gerade deshalb sollte man in stilleren Stunden über sein Instrumentarium und seine Entscheidungen sowie deren mögliche Folgen nachdenken.

45-Minuten-Film über Feuersbrunst

Wo wir schon mal beim Thema sind, kommen wir zum zweiten Geschehen desselben Tages: Sachgerecht und angemessen haben sich die WDR-Mitarbeiter beim verheerenden Brand in der nördlichen Dortmunder Gartenstadt am 9. Januar verhalten. Während (nicht nur) Mitarbeiter eines Privatsenders mögliche Zeugen bedrängt haben, hielt sich das WDR-Team merklich zurück, wie in der Nachbarschaft glaubhaft versichert wird.

Man weiß das umso mehr zu schätzen, wenn man sieht, wie voyeuristisch sich das schreckliche Ereignis mit zwei Todesopfern im YouTube-Kanal eines Blaulicht-versessenen Dortmunders (unter dem Label „VN24″) niedergeschlagen hat. Wer sich das antun möchte, kann sich dort nicht nur eine 13:30 Minuten lange Version über die Feuersbrunst anschauen, sondern das „Spektakel“ in einer anderen Fassung geschlagene 45 Minuten lang beobachten. Zu fürchten steht, dass manche Leute sich so etwas mit Popcorn ansehen.

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P. S. (Update): Anfangs waren in diesem Beitrag auch die Ruhrnachrichten (RN) erwähnt. Es lag eine Aussage vor, dass das Video im Kontext des Schwerter RN-Online-Auftritts zu sehen gewesen sei. Diese Aussage lässt sich nicht halten. Wir bitten um Entschuldigung und danken für den entsprechenden (freundlichen) Hinweis.




Ribéry und die Wut nach dem Steak

Frooonkreisch macht mal wieder mehrfach von sich reden: Ist es Zufall oder Schicksals Walten, dass die Aufwallungen des rabiaten Bayern-Kickers Franck Ribéry mit dem Erscheinen des neuen Houellebecq-Romans „Serotonin“ zusammentreffen? Ist etwa Ribéry auch einer jener Wutbürger, wie sie im Buch mehr oder weniger direkt vorkommen? Nun ja, Benzin- oder Milchpreise regen ihn wohl weniger auf. Jedoch…

Salz mit quasi-religiöser Anmutung... (Foto: Bernd Berke)

Salz mit quasi-religiöser Anmutung… (Foto: Bernd Berke)

Dieser Ribéry, der auch schon mal Ärger wegen Sex mit einer minderjährigen Prostituierten hatte (endete mit Freispruch), hat bekanntlich kürzlich ein sündhaft teures Steak verputzt, ein rundum vergoldetes. Kostenpunkt angeblich 1200 Euro.

Macht Goldflitter kein Bauchweh?

Es war sozusagen ein Tanz ums Goldene Kalb, wie man ihn schon aus der Bibel kennt. Kann man solchen Goldflitter eigentlich unbeschadet essen, oder hat der arme Franck davon Bauchgrimmen bekommen? Das täte uns aber leid.

Jedenfalls ist er sehr offensiv mit seinem dekadenten und nachgerade obszönen Tun umgegangen. Er hat es für nötig befunden, sich selbst, das Steak und den Kult-Koch im (a)sozialen Netzwerk zu feiern. Kein Gedanke wird daran verschwendet, wie das bei den oft nicht so begüterten Fußballfans wohl ankommt. Aber über solche niederen Sphären sind Multimillionäre à la Ribéry natürlich längst weit erhaben.

Nun gibt es manche, die sagen: Er hat doch die Kohle und kann damit machen, was er will. Klar, wenn er dereinst selbst in der Hölle braten möchte, kann er das alles tun.

Wenn das Salz über den Unterarm rieselt

Reli-Scherzchen beiseite. Und auch keine mahnenden Vorträge über soziale Verpflichtung des Eigentums, die auch anderwärts nicht zu gelten scheint. Erst recht keine Stellungnahme zu jenem Koch, der u. a. dadurch prominent und teuer wurde, dass er das Salz nicht direkt auf die Speisen streut, sondern es über seinen Unterarm rieseln lässt…

Nach dem Motto „gesalzene Preise, gepfefferte Sprache“ ist Ribérys rüde Reaktion auf seine Kritiker, wiederum via Netzwerk (diesmal Instagram) verbreitet, noch einmal eine ganz andere Nummer. Wer ihn kritisiert, ist demnach nur durch ein geplatztes Kondom entstanden (also ein unerwünschtes Kind gewesen), er solle überdies seine Mutter, seine Großmutter und seinen Stammbaum ficken. Ausgesuchte Worte also, die auf Französisch noch viel erlesener und eleganter klingen.

Herzlicher Empfang in allen Stadien

Bei Bayern München, dessen Chef Uli Hoeness (da war doch auch mal ein Prozess?) jüngst noch die hehren Club-„Werte“ beschworen hat, für die er einstehe, ist man wahrscheinlich peinlich berührt, lässt sich aber offiziell nichts anmerken. Der 35-jährige Ribéry, der sich auch auf dem Platz häufig daneben benimmt, hat ja zuletzt mal wieder ein paar Törchen geschossen. Also wird man ihn wohl weiter als Stammspieler einsetzen – und ihm der Ordnung halber eine Geldstrafe aufbrummen, die er vermutlich aus der Portokasse bezahlt.

Und schon wieder meldet sich Ribéry (via Twitter) zu Wort. Es gehe ihm gut, man solle sich keine Sorgen um ihn machen. „Und nun zurück zum ernsten Geschäft, wir haben eine Menge Arbeit vor uns“, schreibt er aus dem ohnehin umstrittenen Trainingslager (ausgerechnet in Katar!) weiter. War also alles nur ein Spaß? Hahaha! Wat hamwer gelacht.

Zu gönnen wäre es Ribéry, dass er fortan in allen Stadien ganz besonders herzlich und gellend empfangen wird. Schließlich sind Fans, die sein Verhalten nicht billigen, ihm zufolge ja eh nur „Steine in meinem Schuh.“ Und tatsächlich begleitet ihn auch dieser Wunsch: Möge er allzeit Steine im Schuh haben!

P. S.: Haben wir’s nicht schon immer geahnt, dass „Ribéry“ auf Deutsch „Reiberei“ heißt? Eben. Oder lautet die korrekte Übersetzung nicht sogar „Abreibung“?




Vom „Peinlich-Auftritt“ bis zum „erklärten“ Tattoo – ein paar Maschen und Macken von „Bild online“

Den Teufel werde ich tun und die „Bild“-Zeitung lesen, nicht einmal im Netz. Um zu sehen, was da läuft, reichen in aller Regel die Online-Überschriften. Darin zeigen sich schon einige Grundlinien. Details sind unnötig, Feinheiten gibt es nicht. Es folgt keine Analyse, es folgen nur ein paar Anmerkungen.

Bei „Bild"-Schlagzeilen kriegt sogar das Pizzabrötchen schlechte Laune. (Foto: BB)

Bei manchen „Bild“-Schlagzeilen kriegt sogar das Pizzabrötchen schlechte Laune. (Foto: BB)

Das Blatt und sein virtuelles Gefolge ist, wie man nicht erst seit heute wissen kann, wieder deutlich perfider und populistischer geworden, man schlagzeilt sich mitunter bis an die Grenze zur Hetze.

Herrschaft der Clans

Mit besonderer Vorliebe/Hassliebe hat man sich in letzter Zeit dem arabischen Clan-Unwesen gewidmet, zumal in Berlin. Fast könnte man meinen, die Clans hätten schon längst die Herrschaft übernommen und die Politik sei völlig machtlos.

Bei politischen Ereignissen, beispielsweise beim Merkel-Rückzug und der Wahl der neuen CDU-Parteichefin (die natürlich auf Teufel komm ‚raus personalisiert werden konnten), sind sie nicht ganz so einfallsreich. Doch es ist wohl hauptsächlich die „Bild“, die sich an die Fahnen heften kann, das Kürzel AKK für Annegret Kramp-Karrenbauer medial durchgesetzt zu haben. Viele andere Presseorgane sind – anfangs mit distanzierter Ironie – bereitwillig gefolgt, weil’s ja auch typographisch deutlich bequemer ist.

Wenn es ans Sterben geht

Wenn es ans Sterben geht, sind seit jeher „Bild“ und nun auch „Bild online“ gerne dabei, etwa gleichsam Händchen haltend am Bett eines unheilbar Todkranken, der dafür allerdings ein paar Zitate hergeben muss. Ob’s vertraglich geregelt ist? Keine Ahnung.

Hierbei befleißigen sich die „Bild“-Reporter eines feierlichen Tremolo-Tonfalls, der sich schnell ins Heuchlerische steigern kann. Wird ein „Star“ (hier gibt es fast so viele „Stars“ wie Sterne am Himmel) ernstlich krank oder erleidet einen Unfall, so lautet die Standard-Formulierung: „Sorge um (XYZ)“, zuweilen auch „Große Sorge um…“ Ja nachdem, wie weit oben der Betreffende mutmaßlich auf der Leserskala steht.

Gar kein Halten gibt es mehr bei mörderischer Kriminalität, aber das kennt man ja seit Jahrzehnten zur Genüge. Haben wir nicht schon als Kinder makaber zu scherzen beliebt „Mann geriet in Fleischwolf – Bild sprach zuerst mit den Klopsen“?

Ein Furz als Aufmacher

Um Harmloseres aufzugreifen: Einzelnen Fußballspielern, am allerliebsten von Bayern München, werden mitunter tagelang Spalten und Datenvolumen freigeräumt, damit sie sich unter Anleitung der Redaktion äußern können. Die Herren Lahm und Kimmich, ja selbst der Zweitligist Lasogga vom HSV haben jüngst dieses zwiespältige Privileg genossen und dabei womöglich vorübergehend ihren Marktwert steigern können. Im Falle von Lasogga wurde zudem die Mutter des Spielers grotesk in den Vordergrund gerückt. Gut vorstellbar, dass derlei kurze Serien mit den jeweiligen Spielerberatern eingestielt werden.

Leute aus dem Fußball-Business, und seien es solche aus der dritten Reihe, können überhaupt buchstäblich jeden Furz absondern, über den dann breit berichtet wird. In mehreren Folgen wurde jüngst ein reichlich unbekannter Kicker bekakelt, über den es hieß „…furzt im TV“. Dazu sah man schemenhafte Fernsehbilder von jemandem, der sich vor Lachen schier wegwirft. Das ist schätzungsweise der Humor von Vierjährigen.

Übrigens: Gelegentlich und gar nicht mal selten bestreitet „Bild“ die Aufmacher-Geschichten gerade nicht mit wahnwitzigen Sensationen, sondern strickt sie aus Banalitäten wie Gehaltslisten oder Alltags-Tipps („Lebenshilfe“). Das sind eigentlich noch die angenehmsten Stories. Oder die am wenigsten unangenehmen.

Wo die Katzenberger eine Größe ist

Immerzu wird in und von „Bild“ etwas erklärt, aber natürlich nicht im Sinne wirklicher Aufklärung, sondern nach folgendem Muster: Irgend eine D-Promi-Frau „erklärt ihr Horror-Tattoo“, eine andere „erklärt ihren Bühnen-Ausraster“. Oder man kommt uns gleich so kryptisch: „Menowin Fröhlich erklärt den ungewöhnlichen Namen seines 5. Kindes“. Hä? Wer? Wie? Was?

Über Tage und Wochen werden „Schicksale“ mit großer Penetranz verfolgt und ausgeschlachtet, wie etwa das des früh verstorbenen, so genannten „Kult-Auswanderers“ mit dem Spitznamen „Malle-Jens“ oder das eines gewissen Willi Herren. Ich weiß nicht, wer das ist und will es auch nicht wissen. Eigentlich dürfte man alles nur in Anführungsstrichen schreiben, denn nichts ist echt und wahr in dieser prolligen Boulevard-Welt.

Nur in diesem niederklassigen Sternchen-Kosmos schwillt selbst eine Gestalt wie Daniela Katzenberger („die Katze“) zur Mega-Größe an, nur hier ist Bohlen ein „Titan“. Hier gilt ja auch der „Ballermann“ als Instanz oder wenigstens als Fixpunkt. Und das ganze Leben ist ein Dschungelcamp. Oder so ähnlich.

…und immer wieder genüssliche Berichte vom „Liebes-Aus“

Eine weitere Marotte bei „Bild“ geht so: Statt „peinlicher Auftritt“ heißt es hier immer unweigerlich „Peinlich-Auftritt“, statt nutzlose oder unnütze Bauten schreibt man „Unnütz-Bauten“. Und so weiter. Es ist geradezu ein Überschriften-Prinzip.

Schon etwas älter ist die Masche, das Ende von Promi-Beziehungen mit dem Wort „Liebes-Aus“ (seit gestern im Fokus: Helene Fischer & Florian Silbereisen) zu markieren, was stets genüsslich vollzogen wird; besonders, wenn es um Leute wie Boris Becker geht. Perfide Fortführung solcher Geschichten: Dem oder der Verlassenen wird (möglichst mit neckischen Fotos garniert) vorgeführt, was der oder die Ex nun so treibt – und mit wem. Strickmuster: „Guck mal, Boris, mit wem Deine…“  Ansonsten wird jedes noch so banale Knipsbildchen auf vermeintliche erotische Geheimbotschaften abgesucht.

Apropos Anzüglichkeiten. Für „Bild“-gerechte Aufgeilung sind sodann – neben tätowierten Tussis und dito Mucki-Mackern aus den abgründigen Nacktshows des Privatfernsehens – die markenhaft so bezeichneten „Bild-Girls“ zuständig. Wie hieß noch der bewährte Dreiklang, ganz aus der Ferne auf eine alliterierende Kultursendung anspielend: „Titten, Tresen, Temperamente“…




Frauen, die beim Wohnen warten

Gelegentlich liegen der regionalen Tageszeitung Möbelprospekte bei. Die interessieren mich nur sehr bedingt. Doch eins ist mir jetzt (mal wieder) aufgefallen: Man sieht darin besonders viele wartende Frauen.

Barfuß auf dem Sofa (1)

Barfuß auf dem Sofa (1)

Ihr wisst schon ungefähr, was ich meine, nicht wahr? Junge Frauen, die offenbar endlos Zeit haben, warten in diesen Musterwohnungen – auf was auch immer. Dass ein männliches Wesen nach seines Tages Mühen erscheine? Dass endlich das Leben anfange? Warten sie etwa auf den Postboten oder Handwerker? Wohl kaum. Das wäre denn doch zu profan.

Sie sollen ungemein entspannt wirken, aber es gelingt ihnen nur selten, diesen Eindruck glaubhaft zu vermitteln. Es sind ja auch zumeist preiswerte oder gar kostenlos posierende Statistinnen, die sich da lümmeln und rekeln oder auch selbstvergessen sinnend in unbestimmte Fernen blicken.

…und meistens sind sie barfuß

Auf dem Sofa: die wartende Frau. Auf dem Bett: die wartende Frau, etwas leichter bekleidet. Auch in der Küche hat sie nichts zu tun als zu warten. Hin und wieder nimmt sie eine Tasse Tee oder Kaffee zu sich, höchstens mal ein Stückchen Obst, das ist offenbar alles, was sie zum Dasein braucht. Hin und wieder tippen solche Frauen auf Tablets oder Smartphones herum. Und meistens sind sie barfuß.

Barfuß auf dem Sofa (2)

Barfuß auf dem Sofa (2)

Nur selten kommt ein Mann hinzu, oft übrigens in deutlicher Distanz auf dem breiten, breiten Sofa. Manchmal darf auch ein fröhliches Kind dabei sein. Und wenn eine Familie sich zeigt, dann fast immer idealtypisch mit einer Tochter und einem Sohn. Ansonsten, wie gesagt, bleibt die junge Frau für sich, als wenn just die Abwesenheit des Mannes erst wahre Muße ermögliche. Paradox nur, dass sie zugleich auf ihn wartet.

Domizile in weltbester Lage

Und wahrlich, sie wohnen nicht schlecht. Im mittleren Preissegment geht es schon los mit den maßlosen Übertreibungen: Allein ihre Küchen sind wohl um die 70 Quadratmeter groß, auch in den Bädern kann man großzügig umhergehen, ganz zu schweigen von den anderen Zimmern. Es sind stets weitläufige Wohnlandschaften mit einigen Metern Deckenhöhe.

Barfuß auf dem Sofa (3)

Barfuß auf dem Sofa (3)

Die Fensterblicke im Hintergrund (selbstverständlich Fotomontagen) suggerieren derweil allerbeste Wohnlagen, entweder mitten im Zentrum von Weltstädten oder direkt am Rande riesiger Parks und Waldungen, manchmal auch Mixturen aus beidem. Latifundien halt. Anwesen sondergleichen. Gerne auch mit unverstelltem Meer- oder Flussblick. Kurzum: eigentlich für Normalsterbliche unbezahlbar. Frei nach Kurt Tucholskys Diktum über die ideale Wohnlage: vorne Ostsee, hinten Ku’damm. Oder war’s umgekehrt?




Wie entsteht eigentlich eine Ausstellung? Wuppertaler Museum gibt hochinteressante Einblicke

Man wird ihn vermissen: Wuppertals scheidender Museumsdirektor Dr. Gerhard Finckh hinter seinem (arrangierten) Schreibtisch, der diesmal zum Ausstellungsstück geworden ist. (Foto: Bernd Berke)

Man wird ihn vermissen: Wuppertals scheidender Museumsdirektor Gerhard Finckh hinter seinem (arrangierten) Schreibtisch, der diesmal zum Ausstellungsstück geworden ist. Im Hintergrund: Zeugnisse der Bürokratie und Fotoschnipsel der Exponate. (Foto: Bernd Berke)

Seltsame Ausstellung! Da findet man etliche unausgepackte Bilderkisten, hie und da liegen Sägespäne auf dem ansonsten sorgsam gereinigten Museumsboden. Als Besucher kommt man zudem an einem unaufgeräumten Schreibtisch (Stichwort „kreatives Chaos“) vorbei – und in einem Raum lehnen leere Bilderrahmen an den Wänden. Nanu? Sind die Museumsleute nicht fertig geworden?

Nun, es ist nur die eine Seite dieser Schau, mit der es eine spezielle, hochinteressante Bewandtnis hat. Die andere ist durchaus von gewohnter Opulenz und zeigt vielfach famose Kunst aus den reichen Beständen des Wuppertaler Von der Heydt-Museums. Anhand von herausragenden Beispielen aus der eigenen Sammlung, aber eben auch mit zwangsläufig eher schmucklosen Blicken hinter die Kulissen des Hauses führt das Museum vor, wie eigentlich eine Ausstellung entsteht.

Pablo Picasso: „Liegender Frauenakt mit Katze", 1964 (Succession Picasso / Von der Heydt-Museum, Wuppertal / © VG Bild-Kunst, Bonn 2018)

Pablo Picasso: „Liegender Frauenakt mit Katze“, 1964 (Succession Picasso / Von der Heydt-Museum, Wuppertal / © VG Bild-Kunst, Bonn 2018)

Da schau her! Ich kann mich nicht entsinnen, schon etwas Vergleichbares zum Hintergrund des Metiers gesehen zu haben wie in „Blockbuster – Museum“. Dieser nicht allzu glücklich gewählte Titel ist gewiss eine ironische Anspielung auf Erwartungen, die etwa von Städten an Museen gerichtet werden. Die Häuser sollen gefälligst immerzu Events produzieren und damit Hunderttausende anlocken. Oft genug gelingt es ja auch.

Abschied von Gerhard Finckh

Gerhard Finckh scheidet mit dieser originellen Unternehmung als Direktor des Von der Heydt-Museums, das er seit 2006 geleitet hat. Zum Abschied lässt er sich (und anderen Leuten vom Fach) ein wenig in die Karten schauen. Ein Plakat über dem Entree der Schau zeigt ihn selbst als Eineinhalbjährigen, der mit Klötzchen quasi seine eigene Welt baut. So früh hat es also angefangen? Finckh hält dafür, dass es auch für Ausstellungsmacher darum gehe, vorhandene Dinge zu sortieren und zu ordnen.

Claude Monet: „Blick auf das Meer", 1888 (Von der Heydt-Museum, Wuppertal)

Claude Monet: „Blick auf das Meer“, 1888 (Von der Heydt-Museum, Wuppertal)

Diese doppelgesichtige Ausstellung ergeht sich nicht nur in Kulissenschieberei, sondern hat – wie gesagt – ihre sinnlichen Schauwerte, die sich in 130 Arbeiten aus Eigenbesitz verwirklichen. Da sieht man etwa einen großartigen Raum mit Bildern von Max Beckmann. Man begegnet grandiosen Werken von Claude Monet, Otto Dix, Pablo Picasso, Francis Bacon oder Gerhard Richter; um nur einige zu nennen. Das Wuppertaler Haus kann aus einem Fundus von allein rund 3000 Gemälden schöpfen, hier sieht man einige der wohl allerbesten. Und sie dienen nicht bloß zur Illustration von Thesen, sondern sind in ihrem ästhetischen Eigenwert präsent.

Erste Ideen beim Wein mit Freunden

Nun jedoch zum nicht nur heimlichen Hauptthema, dem Wachsen und Werden eines musealen Projekts. Nüchterne Feststellung: Wo eine Ausstellung hinkommen soll, muss zunächst die vorherige abgehängt, weggestellt, ins Depot gebracht und/oder an Leihgeber zurückgeschickt werden. Welche Unordnung dabei vorübergehend im Museum entsteht, lassen rabiate Abrissspuren einer einzigen Stellwand ahnen. Ein Tisch mit Weinflaschen steht sodann für allererste Ideen zu einem neuen Projekt, die (wie Finckh glaubhaft versichert) unter Kunstexperten nicht selten beim Plaudern in gemütlicher Freundes- und Kollegenrunde aufkommen – oder z. B. auch im Urlaub, wenn sie sinnend aufs Meer blicken und plötzlich eine Eingebung haben…

Die anfangs keimenden Einfälle übertreffen womöglich schon jede spätere Realisierung, welche allzu oft mit realen Hindernissen zu kämpfen hat. Darauf deutet jedenfalls eine Wandaufschrift mit Hölderlins berühmten Worten aus dem „Hyperion“ hin: „O ein Gott ist der Mensch, wenn er träumt, ein Bettler, wenn er nachdenkt…“ Am Schluss des Rundgangs wird man mit einem weiteren, nicht minder berühmten Zitat Hölderlins verabschiedet: „Komm! ins Offene, Freund!“  Da schreitet man doch schließlich ganz anders aus dem Institut heraus.

Raumaufnahme der Ausstellung „Blockbuster – Museum": Die Rahmen sollen verdeutlichen, dass eine Bildwirkung eben auch von der Rahmung abhängt. (Foto: Antje Zeis-Loi/Medienzentrum Wuppertal)

Raumaufnahme der Ausstellung „Blockbuster – Museum“: Die Rahmen auf dem Boden sollen verdeutlichen, dass eine Bildwirkung eben auch von der Rahmung abhängt. (Foto: Antje Zeis-Loi/Medienzentrum Wuppertal)

Doch zunächst geht es auf den Parcours und an die eigentliche Umsetzung einer Ausstellung. Der erwähnte Chaos-Schreibtisch gehört dem verantwortlichen Kurator, in diesem Falle also Gerhard Finckh. Dahinter hängen als kleine, jederzeit verschiebbare Foto-Bilderschnipsel die Werke, die just in dieser Schau zu sehen sind.

Klima- und Sicherheits-Fragen

An einer weiteren Wand finden sich beispielhafte Briefe, mit denen andere Museen oder auch Privatbesitzer um Leihgaben gebeten werden. Natürlich nicht einfach so (da könnte ja jeder kommen!), sondern mit peniblen Angaben zu klimatischen Bedingungen, Wachpersonal, Alarm rund um die Uhr und sonstigen Sicherheits-Aspekten. Bild für Bild ein oft langwieriger bürokratischer Vorgang, von dem Museumsbesucher keine Notiz nehmen. Schon zu Beginn der Bildersuche sind ja Werkverzeichnisse und sonstige Bücher durchforstet worden. Bereits die hauseigene Bibliothek umfasst immerhin etwa 100.000 Bände.

Nicht jedes Kunstwerk ist in gutem Zustand. Manche Bilder oder Skulpturen müssen vor der Präsentation gründlich ausgebessert werden. Auch in eine Restaurierungswerkstatt bekommt man hier Einblick. Man lernt: Vor einer Ausstellung, erst recht vor einem Leihvorgang muss der Zustand aller Exponate exakt protokolliert werden, sozusagen bis zum haarfeinen Kratzerchen. Damit nachher keine Klagen kommen…

Für den Kulturtourismus: Erste Flyer schon zwei Jahre vorher

Und so geht es nach und nach um gar viele Wechselfälle im Museums- und Kunstbetrieb – von den leidigen Finanzen (einschlägige städtische Haushalts-Aufstellungen als Exponate) über die „Pflege“ von Mäzenen und Sponsoren (Finckh: „Viele Abendessen mit reichen Leuten“), um die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, um die ersten Flyer, die schon rund zwei Jahre vor einer Schau herauskommen, damit z. B. bei Busunternehmen kulturtouristische Früh- und Langzeitwirkung erzielt wird. Apropos Finanzen: Ursprünglich wollte Gerhard Finckh eine Kunstausstellung übers 18. Jahrhundert, also die Zeit der Aufklärung in Frankreich gestalten. Die Vorbereitungen waren schon weit gediehen, da musste sie aus Finanzgründen (es fehlten rund 200.000 Euro) abgesagt werden. Allein schon all die bedauernden Absagen an Leihgeber zu schreiben…

Gerhard Richter: „Scheich mit Frau", 1966 (Von der Heydt-Museum, Wuppertal)

Gerhard Richter: „Scheich mit Frau“, 1966 (Von der Heydt-Museum, Wuppertal)

Nur scheinbar banal oder nebensächlich sind auch Fragen der Rahmung, Beleuchtung und Beschriftung. Selbst die Wahl der Wandfarbe, die erst einmal probehalber aufgetragen wird, spielt eine gebührende Rolle. Da stehen ein paar Farbeimer herum und mehrere Bilder sind testhalber von verschiedenen Farben hinterfangen. Passt der Farbton zu den Bildern, nimmt er etwas von der Wirkung oder unterstützt er sie dezent? Da kann man jeweils lange diskutieren. Finckh glaubt übrigens, dass inzwischen nahezu 50 Farbschichten auf den Wänden sein müssten. Wenn die eines Tages abblättern, wird’s problematisch.

Ungeahnter Arbeitsaufwand

Und überhaupt: Wie eigentlich bei jeder Tätigkeit, von der man Näheres erfährt, staunt man über den immensen Arbeitsaufwand, der hinter all dem steckt. Insgesamt hat das Von der Heydt-Museum in allen Abteilungen zwar fast 200 Mitarbeiter(innen), darunter viele Ehrenamtliche, doch das Kuratorenteam besteht gerade mal aus drei Frauen und einem Mann, die stets mehrere Ausstellungen parallel planen. Man ahnt, dass sie mehr als genug zu tun haben.

In einem Raum wird eine besondere Zusatz-Arbeit skizziert, nämlich die manchmal ungemein aufwendige Forschung in Sachen Restitution, die selbstverständlich eine Pflichtaufgabe ist. Dabei geht es vornehmlich um die Rückgabe von Werken, die jüdischen Bürgern zur NS-Zeit unrechtmäßig weggenommen wurden. Die genaue Klärung eines Sachverhalts ist mitunter dermaßen kompliziert, dass die Dokumentation für ein einziges Bild Jahre dauert und viele Aktenordner füllt.

Was darf ein Museum zeigen – und was nicht?

Zwischendurch haben wir durch eigens geöffnete Ausgucke ins Depot und in die Klimaschächte schauen dürfen, da geht es unversehens auch noch um Politik und Ethik. Schwierige Frage: Was darf ein Museum zeigen und was nicht? Beispielsweise eine Porträtskulptur von Adolf Hitler, erstellt vom berüchtigten NS-Bildhauer Arno Breker, einem gebürtigen Wuppertaler?

Von einer Kriegsgranate durchlöchert und bewusst achtlos hingelegt: Hitler-Kopf des NS-Bildhauers Arno Breker. Im Hintergrund ein Gemälde von Karl Hofer. (Foto: Bernd Berke)

Von einer Kriegsgranate durchlöchert und bewusst achtlos hingelegt: Hitler-Kopf des NS-Bildhauers Arno Breker. Im Hintergrund ein Gemälde von Karl Hofer. (Foto: Bernd Berke)

Man zeigt ein solches Machwerk tatsächlich, freilich mit deutlich distanzierendem Gestus, der angemessen ist. Der symbolträchtig von einer Kriegsgranate getroffene und großflächig durchlöcherte Kopf liegt fast wie ein vergessenes Objekt herum. Auch ist er von Kunst aus aufrechtem Geiste umgeben und somit konterkariert. Mag sein, dass man ihn auf solche Weise zeigen darf. Und möglichst nur auf solche Weise.

Doch schon stellt sich die nächste, ganz anders gelagerte Frage: Ist Martin Kippenbergers gekreuzigter Frosch dort oben, gleichsam im „Herrgottswinkel“, nicht eine üble Beleidigung christlicher Empfindungen? Nun ja, diese einst virulente Provokation hat sich mittlerweile wahrscheinlich etwas verbraucht. Herrje, fast hätte ich jetzt „Gott sei Dank“ gesagt.

„Blockbuster – Museum“. Von der Heydt-Museum, Wuppertal, Turmhof 8. Vom 7. Oktober 2018 bis Ende Februar 2019. Geöffnet Di-So 11-18, Do 11-20 Uhr. Mo geschlossen. Eintritt 12 €, ermäßigt 10 €, Familie 24 €. Kein Katalog.

Online-Tickets, jeweils gültig für einen Tag und weitere Infos zum Museum und zur Ausstellung: www.vdh.netgate1.net

Museums-Tel.: 0202 / 563 62 31




Zwei Rüpel in den Palästen

Eigentlich muss man über diesen Typen gar nicht mehr viel reden. Er hat sich oft genug selbst bis zur Kenntlichkeit dargestellt, besser gesagt entstellt; vulgo: sich selbst entlarvt und demaskiert.

Harmloses Bild zum todernsten Thema. (Foto: BB)

Harmloses Bild zum todernsten Thema. (Foto: BB)

Dreimal dürft Ihr raten, wen ich meine. Selbstverständlich den notorischen Twitterer, der sich jüngst bei der Queen mal wieder schwer daneben benommen hat. Er mochte beim Abschreiten ihrer britischen Ehrengarde nicht auf sie warten und stampfte gegen jede Regel elefantig voraus. Dann aber bremste er so abrupt, dass die ehrwürdige alte Dame beinahe auf ihn aufgelaufen wäre. Du meine Güte! Zuvor hatte er mal mal wieder einige Staats- und Regierungschefs rüde attackiert. Normal. Jedenfalls bei ihm.

Tage später benahm sich sein russischer Präzeptor ebenso ungeschlacht. Beim WM-Finale ließ er die versammelten Damen und Herren um sich herum im starken Regen stehen, während er sich selbst einen Schirm reichen ließ. Ihr alle kennt die Szene. Andere warten lassen und blöd aussehen lassen. Das gehört bei solchen Strolchen dazu.

Tropfnass wurden immerhin Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und die kroatische Präsidentin Kolinda Grabar-Kitarovic, die freilich selbst etwas über die Stränge schlug, allerdings eher im beschwipsten Sinne (und deshalb von einem Boulevardblatt „Alkoholinda“ getauft wurde). Ihr kleiner Kontrollverlust ist schon eher verzeihlich.

Zurück zu diesen Kerlen, den zwei egomanischen Selbstdarstellern, die alle diplomatischen Gepflogenheiten beiseite fegen. Beider Treffen in Helsinki hat inzwischen gezeigt, wer nun wirklich das Zeug zum Zaren haben könnte und wer nur ein pathologisch polternder Kasper ist. Einig sind sie sich offenbar im rücksichtslosen Verhalten, im Rempeln und Pöbeln.

Verdammt dumm nur, dass beide über diese roten Knöpfe verfügen. Im Grunde könnten sie in ihren Palästen ganztags ballonseidene Trainingsanzüge tragen und zu haltlosem Gelalle Bierpullen schwingen. Wobei zu sagen wäre, dass rund ums Revier-Büdchen unter Trunkenen oft noch mehr Ehrenkodex herrschen dürfte. Friede den Hütten!

Habt ihr etwas Älteren früher auch Bücher wie „Der gute Ton“ an die Hand bekommen? Wie stocksteif ist einem das damals erschienen. Und wie hat man es begrüßt, wenn eine öffentliche Person mal vom gar zu strengen Regelwerk abgewichen ist. Jaja, auch über einen wie Fritz Teufel hat man herzlich gelacht. Und heute? Gilt einer wie D. T. (dem ich nicht mal den kompletten Namen gönne) manchen als „Anarchist“. Nein, danke! So darf diese Bezeichnung nicht beschmutzt werden.

Früher habe ich mal gedacht, Benimmregeln seien überhaupt nebensächlich, es komme nur auf die Inhalte an. Doch nein! Es gilt, eine Form zu wahren. Auch und gerade in der Sphäre der zugewachsenen Macht kann und sollte man/frau ein gewisses Mindestmaß an Anstand verkörpern. Daraus ergibt sich dann im besten Falle auch ein anderer Umgang mit politischen Fragen.




Für welche Dortmunder Zeitung schrieb Hans Leyendecker? Lokale Mediengeschichte nach Gusto der Ruhrnachrichten

Dies vorweg: Seit Januar 2013, seit es also die Westfälische Rundschau (WR) nur noch als fremdbefüllte Phantomzeitung gibt, können sich die Ruhrnachrichten (RN) vor allem in Dortmund so ziemlich alles erlauben.

Aus besseren Zeiten: Beilage zum 60jährigen Bestehen der Westfälischen Rundschau am 20.3.2006 - Doppelseite mit Porträts der damaligen WR-Redaktionsmitglieder.

Aus besseren Zeiten: Beilage zum 60jährigen Bestehen der Westfälischen Rundschau am 20.3.2006 – Doppelseite mit Porträts der damaligen WR-Redaktionsmitglieder.

Ohne die Präsenz von RN-Leuten kann eigentlich kein Pressetermin so recht beginnen, denn der Rest der örtlichen Printmedien ist leider nicht der Rede wert. Es gibt am Ort keine nennenswerte Konkurrenz mehr, jedenfalls keine gedruckte. Also kann eine Geschichte notfalls auch mal ein bisschen liegen bleiben, bevor man sich zur Veröffentlichung bequemt.

Der Platzhirsch als „Medienpartner“ 

Das Blatt aus dem Medienhaus Lensing ist zwar selbst nicht ganz unbeschadet aus den Umbauten der letzten Jahre hervorgegangen, bleibt allerdings eindeutig der Platzhirsch. Grenzwertige Exklusiv-„Medienpartnerschaften“, so auch mit Borussia Dortmund, sind eine Begleiterscheinung, in deren Gefolge auch schon mal allzu kritische Berichterstattung gemildert, wenn nicht gar geopfert wird.

Die RN gestatteten es sich kürzlich beispielsweise auch, den Erfahrungsbericht einer weit gereisten Dortmunderin – ganz ohne Nachfrage und Absprache mit ihr – nach Belieben zu kürzen und dann unter deren Namen („Von XY…“) in den Dortmunder Lokalteil zu heben. Journalistisch redlich ist ein solches Vorgehen wahrhaftig nicht.

„Reporter einer großen Dortmunder Tageszeitung“

Im Grunde könnten es sich die Ruhrnachrichten (grob gesagt: gelegentlich ambitionierter Lokalteil, eher schwache Mantelseiten) leisten, aus ihrer abgesicherten Position heraus ein wenig Souveranität zu zeigen. Doch weit gefehlt. Da widmen sie heute dem bundesweit bekannten Investigativ-Journalisten Hans Leyendecker eine Story im Dortmunder Lokalteil, die ich via WAZ (deren Lokalseiten die RN ebenso füllen wie die der WR) zur Kenntnis nehme.

Hans Leyendecker (langjähriger Reporter beim „Spiegel“ und bei der „Süddeutschen Zeitung“) zählt – neben dem einstigen NRW-Ministerpräsidenten und Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit, Wolfgang Clement – zu den bundesweit bekanntesten Leuten, die aus der Redaktion der Westfälischen Rundschau hervorgegangen sind. Im Ruhrnachrichten-Duktus liest sich das heute so: Leyendecker sei „mehrere Jahre Redakteur und Reporter einer großen Dortmunder Tageszeitung“ gewesen.

Schlag nach bei Orwell, bei dem steht was drin…

Du meine Güte! Die RN haben doch von einer redaktionslosen WR nun wirklich nichts mehr zu befürchten. Trotzdem sehen sie sich offenbar nicht in der Lage, den Namen der einstigen Konkurrenz auch nur zu erwähnen. Wie kleinkariert! Um nicht andere Assoziationen ins Spiel zu bringen: Die Tilgung des Namens erinnert nahezu an diktatorischen Umgang mit der Wahrheit. Bestimmte Sachverhalte dürfen einfach nicht mehr bezeichnet werden. Schlag nach bei Orwell, bei dem steht was drin…

Hinzu kommt, dass der Beitrag über Leyendecker als anonymes Produkt ohne Autor(inn)enzeile läuft, dafür aber garniert mit einer Vignette: „Dortmunder WM-Geschichten – Präsentiert von Deutsches Fussball Museum“ (und nicht etwa „vom Deutschen Fußball Museum“, DFB-Einrichtungen dürfen grammatisch offenbar keinesfalls gebeugt werden). Sieht fast so aus, als käme der Bericht direkt aus der DFB-Pressestelle oder halt vom Deutschen Fußball Museum zu Dortmund. Übrigens: Wie man hört, hat der DFB derzeit noch ein paar andere Sorgen. Echt jetzt.

Als Schotte verkleidet ins Westfalenstadion

Und die Story selbst? Ist in diesem Zusammenhang hübsch nebensächlich. Während der Fußball-WM 1974 hatte sich Leyendecker in Dortmund mit Kilt und allem Drum und Dran als Schotte verkleidet, um aus dieser Perspektive eine Reportage zu schreiben. Anlass war die Partie Schottland – Zaire im kurz vorher erbauten Westfalenstadion.

Nach dem öden Match, das Schottland 2:0 gewann, eilte Leyendecker an die Schreibmaschine in der WR-Redaktion, damals Bremer Straße. Als Volontär-Frischling habe ich dort schon mal ehrfürchtig erlebt, wie rasend und besessen der Mann, damals auch erst ein Mittzwanziger, auf die Tasten hämmern konnte. Stocknüchternes Zitat aus den Ruhrnachrichten: „Und seine WM-Story schmückte die aktuelle Ausgabe seiner Zeitung.“




Soziale Miniaturen (19): Schimpf und Schande in der Republik

Es ziehen dunkle Wolken auf. (Foto: BB)

Es ziehen dunkle Wolken auf. (Foto: BB)

Es herrscht eine ungute Stimmung im Land. Zunehmend. Gereiztheit und Verbitterung schwelen oder grassieren nicht nur im Osten der Republik.

Ich rede nicht einmal von Idiotismen wie jener unsäglichen „Vogelschiss“-Rede. Zu berichten ist jedoch von zwei „zufällig“ am selben Tag aufgeschnappten Äußerungs-Fetzen auf offener Straße, reichlich laut an die direkte Umgebung gerichtet; jeweils von Männern, was nicht unbedingt etwas Spezielles besagen muss. Oder etwa doch?

1.) „Nein, ich höre n i c h t damit auf. Ich als Deutscher muss es mir nicht gefallen lassen, dass…“ (jäh aufbrausend, zu einer Begleiterin, die offenbar sanft zu widersprechen gewagt hatte)

2.) „Wir werden ja noch nicht mal mit den Flüchtlingen fertig…“ (einsames Schimpf-Solo)

(Zwischenfrage: Wie wird man mit Flüchtlingen „fertig“?)

Beim Rest des haltlosen Geredes war ich beide Male als gegenläufiger Passant schon weit genug entfernt, um nichts Genaues mehr zu vernehmen. Wahrscheinlich besser so. Sonderlich menschenfreundlich kann es nicht gewesen sein.

Jaja, is‘ klar, ich hätte sofort zivilcouragiert einschreiten sollen. Doch was hätte es bewirkt – außer vielleicht ein Handgemenge oder Schlimmeres?

Beide Herrschaften waren übrigens nicht etwa sozial auffällig im Sinne von „abgehängt“ oder sichtlich verarmt. Eher schon ziemliche Durchschnittstypen. Leute also, die von Linken kurzerhand als „besorgte Bürger“ verhöhnt werden.

Wiederum der Zufall (?) wollte es, dass ich ebenfalls dieser Tage in eine Feierlichkeit geraten bin, bei der gediegenes Bildungsbürgertum weitgehend unter sich war. Professoren, Studienrätinnen und so weiter. Doch man höre: auch dort sehr harsche Töne zur Lage der Nation, vor allem eine (offenkundig nach und nach angeschwollene) grundsätzlich entschiedene Abwehrhaltung gegen Folgen verstärkter Migration. Demnach verkommen die Schulen und überall werden christliche Kirchen zu Moscheen umgewidmet…

Es fielen dabei einschlägige Worte wie „Lügenpresse“. Und ein Neurotiker redete von Messerstechern in einer bedenklich angsterfüllten Weise, als stünde hinter jeder Ecke mindestens einer. Überdies galt es als ausgemacht, dass die Messermänner praktisch ausnahmslos Muslime sind. Wenn sie gerade mal nicht das Messer zücken, können manche von ihnen jederzeit Frauen betatschen. Einfach so. Auf offener Straße. Ungestraft. Und die Justiz? Ist letztlich machtlos. Und die Medien? Verschweigen alle Probleme. Na, und so weiter. All das klang reichlich pegidisch.

Nein, es war keineswegs eine explizit AfD-lastige Gesellschaft, die sich da versammelt hatte. Vielmehr (und das ist besonders erschreckend) überwogen eigentlich allgemein aufgeschlossene, polyglotte Menschen mit sozusagen „bunten“ Biographien, die in den oder jenen Erdteilen gelebt und dort etliche Freundschaften geschlossen hatten. Am Ende ist das Ganze wohl doch wieder eine Klassen- und keine „Rassen“-Frage.

Soll ich Euch jetzt noch erzählen, was ich andererseits neulich in der Dortmunder Nordstadt erlauscht habe? Da gingen zwei Typen mit „Migrationshintergrund“ vor mir her, die sich lautstark über Frauen aufregten – immerhin auf Deutsch. Ungefähr jede dritte Äußerung lautete „Diese Schlampen“ oder „Diese dreckigen Schlampen“. Schließlich zog der eine das zornige Fazit, keinen Einwand duldend: „Die Schlampen werden in der Hölle braten.“

Manchmal kommt es mir so vor, als sei die Parodie Wirklichkeit geworden. Hier wie da.

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Bisher in der losen Textreihe „Soziale Miniaturen“ erschienen und durch die Volltext-Suchfunktion auffindbar:

An der Kasse (1), Kontoauszug (2), Profis (3), Sandburg (4), Eheliche Lektionen (5), Im Herrenhaus (6), Herrenrunde (7), Geschlossene Abteilung (8), Pornosammler (9), Am Friedhofstor (10), Einkaufserlebnis (11), Gewaltsamer Augenblick (12), Ein Nachruf im bleibenden Zorn (13), Klassentreffen (14), Zuckfuß (15), Peinlicher Moment (16), Ich Vater. Hier. Jacke an! (17), Herrscher im Supermarkt (18)




Verblüffung im Konzert und auf der Kirmes

Zwei kleine Vorfälle sind zu vermelden. Einfach so. Entnehmt und folgert daraus, was Ihr wollt. Ob sie an irgend einer Stelle zusammenhängen? Ich weiß es nicht. Vielleicht bloß durch meine subjektive Wahrnehmung?

Herrrreinspaziert... (Foto: BB)

Herrrreinspaziert… (Foto: BB)

Zum einen war ich dieser Tage in einem Chorkonzert, das ich wegen fachlicher Unzuständigkeit an dieser Stelle nicht rezensieren werde – und auch in keinem anderen Kontext.

Doch mir fiel eine Kleinigkeit auf. Alle Sängerinnen und Sänger hatten ihre Noten dabei, schlugen sie auf und blätterten an den passenden Stellen um, wie man das so kennt. Nur ein Sänger hatte keine Doppelseite vor sich, sondern lediglich eine einzige; und das auch noch in einem kleineren Format. Nanu?

Bei näherem Hinsehen erwies sich, dass er auch nicht umblätterte, sondern jeweils kurz mit einem Finger nach oben wischte. Richtig: Er hatte seine Noten auf einem Tablet dabei, vielleicht war’s auch ein iPad. Egal. Einstweilen kommt einem das im Bereich der E-Musik noch ziemlich ungewohnt vor, und ich habe mich gefragt, ob diese Art, eine Partitur zu lesen, nicht gar eine minimale Einbuße an „hochkultureller Würde“ mit sich bringt, wenn Ihr wisst, was ich meine. Ist nicht, wenn man derart ein Tablet in den Händen hält, buchstäblich auch die Haltung zur Musik eine andere? Aber vielleicht irre ich mich auch gründlich.

Nach dem alten (und bewährten) Goethe-Motto „Denn was man schwarz auf weiß besitzt, kann man getrost nach Hause tragen“ (ersetze „nach Hause“ durch „auf die Bühne“) ist es außerdem wohl bedeutend sicherer, die Singvorlage auf Papier bei sich zu haben. Man denke nur, was geschieht, sollte der Akku schwächeln oder die vermaledeite Technik sonstwie haken. Dann kann man nur inständig hoffen, dass der Sänger seine Partie vollkommen „intus“ hat.

Solche Gedanken beschäftigen einen dann also. Hauptsache, sie lenken einen nicht vom Eigentlichen des Konzerts ab. (Im Comic stünde an dieser Stelle: „*Hüstel*“).

Unverhoffte Begegnung mit einer „kopflosen Frau“

Zweiter Vorfall, völlig anderes Milieu, ganz anderes Genre, nämlich ein nostalgischer Dortmunder Jahrmarkt im Zeichen der „Steampunk“-Szene. Es waren Schausteller dabei, die – wie in längst verflossenen Zeiten – nicht nur eine schwebende Jungfrau, sondern auch eine „Dame ohne Unterleib“ und eine „Frau ohne Kopf“ zu zeigen versprachen, und zwar nicht etwa als Präparate oder einbalsamierte Relikte, sondern als leibhaftig lebende Wesen. Die bizarre (Gratis)-Veranstaltung nahm also im wohlweislich abgedunkelten Raume ihren Lauf. Manchen Kindern war’s – angesichts der einigermaßen geschickt inszenierten Trugbilder besagter Monstrositäten – des Grusels mehr als genug.

Doch dann tritt man ins Freie und sitzt kurz darauf im hellsten Sonnenschein vor dem Ort des Geschehens. Aber wer stöckelt denn da stiekum aus dem Bühneneingang nach draußen, sich scheu und verstohlen umblickend? Unverkennbar die „Frau ohne Kopf“, und zwar selbstverständlich m i t Kopf. Oha!

Immerhin wusste das Kirmes-Trüppchen mit einer „mentalen Konzentrationsübung“ zu verblüffen, bei der eine Frau auf der Bühne beliebige Geburtsdaten aus dem Publikum erriet. Lag’s an der Art der Fragen ihres Bühnenpartners (Wortanzahl, Wortstellung, Betonung und dergleichen), der sich die Ausweise zeigen ließ und vielleicht versteckte Hinweise übermittelt hat? Oder hatte sie einen winzigen „Knopf im Ohr“? Aber wer hätte ihr vorsagen sollen? Im Vorfeld eingeweihte Besucher kann man wohl ebenfalls ausschließen. Wenn sich das herumspräche! Also hat man doch noch staunen dürfen.




Löw hat WM-Kader in Dortmund verkündet, doch das Treffen von Özil / Gündogan mit Erdogan überschattet die DFB-Show

So. Jetzt ist es heraus. Bundestrainer „Jogi“ Löw hat heute in Dortmund sein vorläufiges Aufgebot für die Fußball-WM verkündet. Ein verdammt ungünstiger Zeitpunkt. Just gestern war bekannt geworden, dass die beiden deutschen Nationalspieler mit türkischen Wurzeln, Mesut Özil und Ilkay Gündogan, in London gemeinsam mit dem türkischen Präsidenten Erdogan für Fotos posiert und liebedienerisch Trikots ihrer Vereine Arsenal und Manchester City für ihn signiert haben. Gündogan schrieb gar den Zusatz „Für meinen Präsidenten“. Bloß gut, dass der Kerl den BVB verlassen hat!

Irgendwo in diesem Fotografengewühl saß Bundestrainer Löw. (Screenshot / ZDF Sport)

Irgendwo in diesem Fotografengewühl saß Bundestrainer Löw. (Screenshot / ZDF Sport)

Die beiden Spieler, die anscheinend außer Fußball und weit überzogenen Millionenbeträgen nicht allzu viel im Kopf haben, sehen Erdogan also als „ihren Präsidenten“ an. Und das als deutsche Staatsbürger. Und das mitten im türkischen Wahlkampf, in dem die dämliche Aktion als Sympathiewerbung für den Despoten wahrgenommen wird. Das haben Erdogan und seine Berater perfide eingefädelt. Im Nachhinein wollten die Spieler es als Geste der Höflichkeit verstanden wissen. Lächerliche Ausrede.

Na, klar: Die beiden fahren mit

Diese völlig unnötige, verwerfliche Aktion war gewiss bewusst so hinterhältig terminiert. Was wäre geschehen, wenn sich Löw im letzten Moment ein Herz gefasst und die Nominierung der beiden zurückgezogen hätte? Aber nein, der Bundestrainer glaubt die Herrschaften für die „kreativen Momente im Mittelfeld“ zu brauchen, wie es im Sportreportersprech heißt. Alles ganz unpolitisch, versteht sich.

Leute, ihr ahnt vielleicht, was jetzt in den (a)sozialen Netzwerken los ist. „Spaßes“halber, nein: Aufregungshalber habe ich mal auf der Facebook-Seite der CSU gestöbert. Da geht’s in den Kommentaren richtig zünftig ab. Dass Özil und Gündogan ihre deutschen Pässe abgeben sollen, ist noch einer der milderen Vorschläge. Nein, mit dem AfD-Auftritt habe ich mir dann nicht mehr die Kante gegeben.

Bei jedem Fehlpass wird gegiftet werden

Özil und Gündogan haben nicht nur dem Nationalteam und allen Integrations-Bestrebungen, sondern auch sich selbst enorm geschadet. Was wird während der WM passieren? Bei jedem kleinen Fehlpass von Ö. oder G. werden Millionen selbsternannte Bundestrainer giftige Sprüche absondern – nicht alle vollkommen unberechtigt.

Das alles spielt jenen in die Karten, die ohnehin keine Spieler mit ausländisch klingenden Namen in der Mannschaft sehen wollten. Und mit den hochdotierten Werbeverträgen der beiden Fußballkasper dürfte es auch nicht zum Besten stehen. Welche Firma will schon (wenn auch nur indirekt) mit einem wie Erdogan in Verbindung gebracht werden?

Das Problem kleingeredet und schnell weggebügelt

Doch bei der heutigen Pressekonferenz im Deutschen Fußballmuseum zu Dortmund wurden etwaige Bedenken allesamt rasch weggebügelt. Wortblasen des DFB-Präsidenten Reinhard Grindel: „Menschen können Fehler machen. Und wir müssen das Maß wahren.“ Man werde zum Miteinander zurückkehren und das Trennende überwinden. Fall erledigt. Joachim Löw sekundierte, es sei „keine glückliche Aktion“ gewesen, die Jungs hätten aber einen guten Charakter, es werde ihnen eine Lehre sein. Und dann, besonders bildkräftig: Bei Spielern mit Migrations-Hintergrund schlügen oft zwei Herzen in einer Brust, die schwer unter einen Hut zu bringen seien. Alles klar?

Andere, eher sportliche Einzelfall-Entscheidungen standen so ziemlich im Schatten des hochnotpeinlichen Vorfalls. In Dortmund gab’s ein bisschen medienwirksamen Budenzauber. Das Fußballmuseum war draußen mit 26 Schattenrissen verhängt, die nach und nach durch Porträts der auserkorenen Spieler ersetzt wurden. Das Museum blieb derweil ganztags geschlossen.

Und was ist nun herausgekommen, nachdem der Berg gekreißt hatte?

Ohne Mario Götze und Sandro Wagner

Dass Mario Götze nicht benannt werden würde, war schon im Vorfeld sonnenklar, zumal Joachim Löw selbst in weitaus besseren BVB-Zeiten Berührungsängste hatte, was Dortmunder Kicker anging. In aller Regel nahm er lieber noch einen Münchner und noch einen Landsmann aus dem Südwesten mit… Reicht ja auch, wenn er seine Entscheidungen in Dortmund bekanntgibt. Naja, immerhin steht der Dortmunder Marco Reus (Löw: „Eine besondere Waffe“) im Aufgebot.

Die Namen des vorläufigen Kaders – ohne Mario Götze, ohne Sandro Wagner, vorerst mit Manuel Neuer – wurden in schneller Abfolge eingeblendet (siehe Liste am Schluss), sodann kommentierte Löw seine Präferenzen. Man muss das nicht alles zitieren. Beinahe beiläufig erfuhr man noch, dass die Verträge von Löw und seinem Trainerteam bis 2022 verlängert worden sind.

WM-Vorfreude hält sich vielfach in Grenzen

Es scheint so, als hätten viele Fußballfans eh keine rechte Lust auf diese kommende WM in Russland (14. Juni bis 15. Juli), bei der sich ab Mitte Juni Präsident Putin im Licht der Weltöffentlichkeit sonnen will, in mancher Hinsicht ein Ungeistesbruder von Erdogan. Der Missmut darüber wird allenfalls noch übertroffen von mulmigen Gedanken an die darauf folgende WM 2022 in Katar. Alles ganz unpolitisch, versteht sich.

Auch an solchen trüben Aussichten mag es liegen, dass sich selbst in der „Deutschen Fußballhauptstadt“ Dortmund nicht genügend Sponsoren für größere Public-Viewing-Veranstaltungen zur WM gefunden haben. Es sieht ganz so aus, als seien die Zeiten fürs bierselige Rudelgucken eh vorbei, weil viele Leute daheim inzwischen ziemlich große Bildschirme oder Beamer haben. Und der Kühlschrank ist auch groß genug.

Ach, übrigens: Die Türkei nimmt gar nicht an der Fußball-WM teil. Sie hat sich – ebenso wie Holland und Italien – nicht qualifiziert. Hätten sich Özil und Gündogan seinerzeit für die türkische Nationalmannschaft entschieden, wär’s jetzt also Essig mit der WM.

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Die 27 nominierten Spieler im vorläufigen Kader (endgültige Liste mit 23 Namen folgt am 4. Juni):

Tor: Neuer, Leno, ter Stegen, Trapp
Abwehr: Boateng, Ginter, Hector, Rüdiger, Tah, Hummels, Kimmich, Plattenhardt, Süle
Mittelfeld und Angriff: Brandt, Draxler, Gomez, Goretzka, Gündogan, Khedira, Kroos, Müller, Özil, Petersen, Reus, Rudy, Sané, Werner




Den Frieden von allen Seiten betrachten – eine fünffache Themenausstellung in Münster

Ein globaleres, ebenso zeitübergreifendes Thema kann man sich schwerlich aussuchen: Gleich fünf Münsteraner Museen und Institutionen zeigen jetzt Ausstellungen über den Frieden. Die Präsentationen dauern samt und sonders bis zum 2. September. Und da man beim Thema Frieden nicht ohne den finsteren Kontrast des Krieges auskommt, weitet sich das Spektrum des umfangreichen Projekts „Frieden. Von der Antike bis heute“ noch einmal wesentlich.

Battista Dossi: "Pax" (1544), Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Gemäldegalerie Alte Meister (© bpk / Staatl. Kunstsammlungen Dresden / Hans-Peter Klut)

Battista Dossi: „Pax“ (1544), Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Gemäldegalerie Alte Meister (© bpk / Staatl. Kunstsammlungen Dresden / Hans-Peter Klut)

Münster ist bekanntlich die Stadt des Westfälischen Friedens, der 1648 geschlossen wurde und jetzt also 370 Jahre zurück liegt. Der Dreißigjährige Krieg, der damit aufhörte, brach vor 400 Jahren aus. Vor 100 Jahren endete der Erste Weltkrieg. Wenn man denn also runde Daten braucht, so gibt es Anlässe genug für eine solche Gemeinschafts-Ausstellung. Die eingehende Beschäftigung mit dem Thema lohnt sich aber auch ohne Ziffern-Jonglage. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ist übrigens Schirmherr der Münsterschen Unternehmung.

Entstehung von Bildtraditionen

Beteiligt sind das LWL-Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte, wo außerdem das Bistum Münster gastiert; das Archäologische Museum der Uni Münster, das Picasso-Museum und das Stadtmuseum. Sie alle zusammen zeigen rund 660 Exponate und gehen dementsprechend auf viele Aspekte des Themenkreises ein. Dabei ergeben sich etliche Kreuz- und Querbezüge zwischen den einzelnen Ausstellungen.

Gemeinsame Ansätze betreffen vor allem die Ikonographie, also quasi die Bildtraditionen des Friedens, die sich im Laufe der Zeiten herausgebildet haben und auf deren Fundus getrost zurückgegriffen werden konnte. Im LWL-Landesmuseum am Domplatz finden sich dafür markante Beispiele. Hier prunkt man u. a. mit allegorischen Kriegs- und Friedensbildern von Peter Paul Rubens (kleinere Ölskizzen), der die Gepflogenheiten bei Friedensverhandlungen in seiner Eigenschaft als Diplomat aus eigener Anschauung kannte.

Friedensgöttin Pax mit Füllhorn

Gleich eingangs der Schau gehen mit der 1544 von Battista Dossi gemalten Friedensgöttin Pax einige Symbole einher, wie sie immer wiederkehren, so etwa Füllhorn, Früchte und Ähren als Wohlstands-Versprechen nach einem Friedensschluss. Zudem hat Pax mit ihrer Fackel eine Rüstung verbrannt. Zu ihren Füßen liegen Wolf und Lamm in schönster Eintracht – auch dies seit Jahrhunderten ein bewährtes Bildmuster für friedliche Zeiten.

Auguste Rodin: "Die Bürger von Calais", Figur Jean d'Aire (um 1895-1899), Kunsthalle Bremen - Der Kunstverein Bremen: Kupferstichkabinett (Foto: LWL/Anne Neier)

Auguste Rodin: „Die Bürger von Calais“, Figur Jean d’Aire (um 1895-1899), Kunsthalle Bremen – Der Kunstverein Bremen: Kupferstichkabinett (Foto: LWL/Anne Neier)

Das LWL-Museum widmet sich überdies den überlieferten Strategien, Gesten und Ritualen des Friedens, wie sie zumal in den Darstellungen historischer Friedensschlüsse zum Ausdruck kommen. Zu nennen wäre Gerard ter Borchs buchstäblich mustergültiges, in den Grundzügen später vielfach nachgeahmtes Bild einer solch feierlichen Zeremonie: „Beschwörung des Spanisch-Niederländischen Friedens am 15. Mai 1648“.

Demutsgesten vor dem Gnadenakt

Auch gehört die (im Idealfalle großmütig angenommene) Unterwerfungs- und Demutsgeste zum geschichtlichen Repertoire. Besonders trefflich und subtil formuliert ist diese Gestik in Auguste Rodins Figurengruppe „Die Bürger von Calais“ (um 1895-99), welche bei den englischen Belagerern der Stadt flehentlich um Gnade baten. In diesem Kontext kann es eigentlich nicht überraschen, wenn zwischen all den Kunstwerken auch eine berühmt gewordene Fotografie auftaucht, die Willy Brandts Kniefall vor dem Ehrenmal des Warschauer Ghettos zeigt und sich in althergebrachte Bildtraditionen einfügt.

Das 20. Jahrhundert brach insofern mit der Überlieferung, als nach den weltweiten Konflikten vornehmlich Siegfrieden herrschte – ohne das Wenn und Aber von ausgehandelten Kompromissen. Eine andere, mildere Form des Friedens schien gar nicht mehr vorstellbar. Und mit Aufkommen der atomaren Bewaffnung ist, wie die Ausstellung ebenfalls zu zeigen sucht, die Frage nach Frieden dringlicher denn je.

Ein etwas kraftloses Finale

Die Schau, die bis dahin doch einige bemerkenswerte Kunstwerke in schlüssiger Anordnung aufbietet (u.a. auch einschlägige Karikaturen von Honoré Daumier und Kriegsbilder von Otto Dix), mündet schließlich in einen Raum, der sich recht plakativ der demonstrativen Ästhetik der Friedensbewegung anbequemt. Es ist, als ob etwas recht Gewaltiges am Ende eher etwas kraftlos auströpfelt.

Otto Pankok: "Christus zerbricht das Gewehr" (1950). Privatsammlung Gerhard Schneider, Olpe und Solingen, Zentrum für verfolgte Künste GmbH im Kunstmuseum Solingen (© Otto Pankok Stiftung)

Otto Pankok: „Christus zerbricht das Gewehr“ (1950). Privatsammlung Gerhard Schneider, Olpe und Solingen, Zentrum für verfolgte Künste GmbH im Kunstmuseum Solingen (© Otto Pankok Stiftung)

Im selben Haus gastiert das Bistum Münster mit einer konzentrierten Auswahl unter dem Leitmotto „Frieden. Wie im Himmel so auf Erden?“ Sie kommt übrigens gerade recht zum Deutschen Katholikentag, der vom 9. bis 13. Mai in Münster stattfindet. Die Friedenssehnsucht, so die eindrücklich belegte Hypothese, zählt zu den zentralen Motiven des Christentums, versinnbildlicht u. a. in der Vorstellung vom „Himmlischen Jerusalem“. Übliche Friedenssymbole sind beispielsweise Tauben und Regenbögen, wie sie in der LWL-Schau etwa bei Otto Piene in moderner Gestalt wiederkehren. Von Tauben wird im Picasso-Museum ebenfalls noch zu reden sein. Die fünf Ausstellungen bestehen zwar je für sich, sie bilden aber eben auch einen hie und da dicht geflochtenen Zusammenhang.

„Mit Gott zum Sieg“

Das Bistum Münster hat keineswegs eine Ausstellung (u.a. gekrönt mit Objekten der Antike sowie Werken von Veit Stoss, Otto Pankok und Christian Schmidt-Rottluf) aus dem Geist der Selbstbeweihräucherung zusammengetragen – im Gegenteil: Man ist so klug und aufrichtig, auch Schattenseiten wie die Missionierung mit dem Schwert gebührend darzustellen. Klerikal abgesegnete Parolen wie „Mit Gott zum Sieg“ dienten weltlichen Kriegstreibern. Und zu den furchtbaren Kreuzzügen sieht man mit Entsetzen die auf 1634 datierte Darstellung eines Christus, der triumphal den abgeschlagenen Kopf eines Muslims in der Hand hält. Gepriesen sei die Aufklärung, die nach und nach das Christentum geläutert hat. Sie möge allen Religionen zuteil werden.

Weiter geht’s ins Archäologische Museum der Universität. Hier schreitet man sogleich auf eine vergoldete Replik der altgriechischen Friedensgöttin Eirene zu. Schon zu dieser Frühzeit findet sich also die anthropomorphe Deutung des Friedens, der Menschengestalt annimmt. Und schon hier steht das Füllhorn sozusagen für die erhoffte Friedens-Dividende, also für wirtschaftliche Blüte. Die Taube hingegen fungierte zunächst nur als bloßes Tieridyll und noch längst nicht als explizites Friedenszeichen.

"Taube mit Olivenzweig fliegt zur Arche Noah" (Buntmetall, Münzstätte Apameia (Phrygien/Türkei) - (Staatliche Museen zu Berlin, Münzkabinett - Foto Bernd Berke)

Noch kein ausdrückliches Friedenssymbol: „Taube mit Olivenzweig fliegt zur Arche Noah“ (Buntmetall, Münzstätte Apameia (Phrygien/Türkei). Geprägt unter Kaiser Philippus Arabs (reg. 244-249 n. Chr.)  – (Staatliche Museen zu Berlin, Münzkabinett – Foto Bernd Berke)

Inszenierung des Kaisers

Die kleine archäologische Ausstellung schlägt beherzt einen Bogen von etwa 700 vor Chr. bis ins 3. Jahrhundert nach Chr. und berührt griechische wie römische Vorstellungen vom Frieden. Während sie in Griechenland noch mythologisch grundiert war, bezog sie sich in der römischen Antike vor allem auf den Kaiser als Friedensbringer, zumal auf den Imperator Augustus. Ein Modell führt die ausgesprochen raumgreifende, architektonische und städtebauliche Inszenierung des Friedens vor Augen, wie sie den Herrschenden im Römischen Weltreich gefiel. Wer einmal sein weitläufiges Gebiet arrondiert hat, kann wohlfeil den Frieden zelebrieren.

Man erfährt überdies, dass (nicht nur) seinerzeit eine gewisse Korpulenz zum Inbild des gütigen Friedensherrschers gehörte. Kühner Vergleich der Ausstellungsmacher: Ein Foto des wohlgenährten „Wirtschaftswunder“-Ministers und nachmaligen Kanzlers Ludwig Erhard soll quasi an die antiken Bildnisse anknüpfen.

Mit dem Botenstab zwischen den Fronten

Außerdem sieht man Tontafel-Fragmente des ältesten erhaltenen Friedensschlusses der Menschheit von 1259 v. Chr. Dieser Vertrag zwischen Hethitern und Ägyptern ist hier bruchstückweise als Kopie in Keilschrift vorhanden.

Auch lernt man, dass der Botenstab zur Grundausstattung antiker Diplomaten zählte. Mit diesem Stab versehen, der Immunität garantierte, wandelten sie zwischen den Fronten, um zu verhandeln; wie denn überhaupt in der Antike oftmals der vernünftige Interessenausgleich zum Friedensschluss führte – und nicht das einseitige Diktat des Siegers. Allerdings ergibt sich im 3. Jhdt. n. Chr. auch das Paradox, dass viele Münzen die Friedensgöttin Pax zeigen, während die Zeiten in Wahrheit ungemein kriegerisch waren.

Nächste Station: das Kunstmuseum Pablo Picasso. Hier wird das Spannungsfeld zwischen Picassos weltberühmter Kriegsanklage „Guernica“ (die natürlich nicht im Original zu sehen ist, sondern als Paraphrase der Künstlerin Tatjana Doll) und des recht eigentlich von ihm kreierten Motivs der Friedenstaube vermessen.

Pablo Picasso: "Die Taube" (1949), Lithographie (Kunstmuseum Pablo Picasso Münster © Succession Picasso, Paris, VG Bild-Kunst, Bonn 2018)

Pablo Picasso: „Die Taube“ (1949), Lithographie (Kunstmuseum Pablo Picasso Münster © Succession Picasso, Paris, VG Bild-Kunst, Bonn 2018)

Himmelschreiendes Nachtstück

Die Entstehungsphasen seines „Guernica“-Bildes sind gleichwohl präsent, und zwar durch Fotografien seiner damaligen Gefährtin Dora Maar, die das allmähliche Werden des Werks – von April bis Juni 1937 – Schritt für Schritt festhalten. Das letztlich unausdeutbare Großformat bezieht sich auf die barbarische Zerstörung der baskischen Stadt Guernica durch Francos faschistische Truppen, die deutsche „Legion Condor“ und italienische Unterstützer. Es ist ein himmelschreiendes Nachtstück, allen Opfern des Überfalls zugeeignet.

Erst in dieser Phase wurde Picasso überhaupt politisch. Die Münsteraner Ausstellung enthält auch seine schrundige, bewusst ungeglättete Skulptur eines Mannes mit Schaf, die sich (in der Tradition von Auguste Rodin) weit abheben sollte von der Sterilität eines Arno Breker, der damals – unter deutscher Besatzung – gerade in Paris ausstellte. Auch bei dieser Picasso-Schöpfung oszillieren die möglichen Bedeutungen. Was beim flüchtigen Hinsehen als Friedensbotschaft gesehen werden könnte, kippt wohl doch ins schiere Gegenteil um: Bringt der Mann das Tier nicht zur Schlachtbank? Es ist jedenfalls eine subversive Arbeit, die auch der Gestapo verdächtig war, die Picasso in Paris drangsalierte.

Friedenstauben für die Kommunisten

Und die Tauben? Wurden Picassos denkbar breitenwirksames und wohl populärstes Motiv überhaupt. Als ursprüngliches Vorbild dienten vermutlich jene Mailänder Tauben, die Picasso als Geschenk von Matisse erhalten hatte. In Münster sieht man nun einige Varianten des Motivs, das Picasso stets wieder aufgriff, seit er 1949 die Urfassung entworfen hatte. Picasso, nunmehr Mitglied der Kommunistischen Partei, stellte damit die Genossen zufrieden. Endlich sei die Kunst des Avantgardisten einmal verständlich, lobten sie. Hernach stellte er sein Tauben-Motiv häufig der Partei für Plakate zur Verfügung. Kurios: Es gibt ein Zitat von Picasso, das sinngemäß besagt, es sei ein Witz, ein dermaßen aggressives Tier wie die Taube zum Friedenssymbol zu ernennen…

Bliebe noch das Stadtmuseum Münster. Dessen Schwerpunkten entsprechend, wird dort die örtliche und regionale Wahrnehmung des Westfälischen Friedens von 1648 behandelt. Unter dem Titel „Ein Grund zum Feiern?“ beleuchtet man die Aktivitäten zu früheren Jubiläen des historischen Datums. Die Rückblicke reichen in die Jahre 1748, 1848, 1898 und 1948. In Münster galt der Westfälische Frieden lange Zeit als eher missliebiger Gedenkanlass, wähnte man doch, der Katholizismus sei schlecht dabei weggekommen. Erst ganz allmählich rang man sich zu einer gelasseneren und neutraleren Sicht der Dinge durch.

Ob man nun alle fünf Ausstellungen absolvieren soll? Nun, das bleibt selbstverständlich jedem und jeder selbst überlassen. Ich kann nur sagen: Beim Pressetermin ging es in einer Tour de Force über den gesamten Parcours. Und das übersteigt im Grunde die mentale Aufnahmebereitschaft. Ratsam wäre es, sich je nach Interessenlage etwas herauszusuchen oder sich die ganze Sache an zwei verschiedenen Tagen zu Gemüte zu führen. Ganz ruhig und friedlich also.

„Frieden. Von der Antike bis heute“. Bis 2. September 2018 an folgenden Orten in Münster:

  • LWL-Museum für Kunst und Kultur, Domplatz 10 (mit zusätzlicher Gastausstellung des Bistums Münster). Tel. 0251/ 5907 201
  • Archäologisches Museum der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, Domplatz 20-22. Tel. 0251 / 832 69 20
  • Kunstmuseum Pablo Picasso Münster, Picassoplatz 1, Tel. 0251/ 41 44 710
  • Stadtmuseum Münster, Salzstraße 28, Tel. 0251/ 492 45 03
  • Gemeinsame Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag 10-18 Uhr (montags geschlossen). Kombi-Ticket für alle Ausstellungen Erwachsene 25 €, ermäßigt 16 €, Kinder, Jugendliche, Schüler 8 €
  • Sonderöffnungszeiten zum Deutschen Katholikentag, 9. bis 12. Mai, jeweils 10 bis 22 Uhr
  • Zur Ausstellung erscheinen fünf Katalogbände im Sandstein-Verlag, die einzeln oder als Gesamtedition im Schuber erhältlich sind. Die Kataloge kosten einzeln: LWL-Museum 38 €, Bistum 38 €, Archäologie 38 €, Picasso-Museum 24 € und Stadtmuseum 18 €. Alle zusammen (1064 Seiten) 98 Euro.
  • Weitere Infos: www.ausstellung-frieden.de

 

 




Erst der „Echo“-Skandal, dann die Hakenkreuz-Binde im Theater: Provokation bis zur völligen Verblödung

Hitlers gespenstisch wiederkehrender Geburtstag wird in diesem Jahr besonders ausgiebig begangen. Nein, nicht nur von (Neo)-Nazis, sondern auch von mehr oder weniger kulturell angehauchten Institutionen. Zunächst hatten wir (und haben wir immer noch) die sich seit Tagen hinziehende „Debatte“ um den überflüssigsten aller Musikpreise, den „Echo“, der sich eh nur nach Verkaufszahlen richtet und Qualität quasi nur als nebensächlichen Zusatzeffekt duldet.

Manche Themen kann man eigentlich nur noch abstrakt bebildern. Wenn überhaupt... (Foto: BB)

Manche Themen kann man nur noch abstrakt bebildern. Wenn überhaupt… (Foto: BB)

Die idiotische, unsäglich antisemitische Zeile der Echo-dekorierten Rapper Kollegah & Farid Bang muss zwangsläufig dazu führen, den nunmehr vollends korrumpierten und verseuchten Preis künftig gar nicht mehr zu verleihen. Respekt allen aufrechten Künstlern, die ihre Echo-Auszeichnungen jetzt zurückgegeben haben – mit welcher kurzen Verzögerung auch immer. So. Jetzt haben wir das hier ebenfalls gesagt. Fürs Protokoll.

Ist ja auch wahr. Der Überbietungs-Wettbewerb in Sachen Provokationen geht einem doch schon seit vielen Jahren auf die Nerven. Ständige Grenzüberschreitung scheint irgendwann zwangsläufig mitten in die Verblödung zu führen. Und ich fürchte, dass sich darin, nämlich im unentwegten Lobpreis der Provokation, ein Erbteil der Achtundsechziger verbergen könnte. Wobei die Sache natürlich viel komplizierter liegt.

Von Kollegah bis Konstanz: Bodenlos am Bodensee

Während die Echo-Verleihung wohl eher zufällig in die zeitliche Nähe des besagten Hitler-Geburtstages geraten ist, bezieht sich das Theater in Konstanz ganz bewusst darauf – und legt seinerseits eine angeblich unerhört „kritisch“ gemeinte Provokation just zu diesem Tage auf, gleichsam nach dem Motto „bodenlos am Bodensee“: Zur Premiere – und eventuell zu weiteren Aufführungen – von George Taboris „Mein Kampf“ (Regie: der Kabarettist Serdar Somuncu) gibt’s Freikarten, falls die Besucher sich bereit erklären, im Theater eine Hakenkreuz-Binde zu tragen.

Einige Dutzend Leute haben sich anscheinend schon für die infame Aktion gemeldet – Hauptsache „Schnäppchen“, Hauptsache Betrieb, Hauptsache schrill und krass. Man soll ja keine billigen Scherze mit Namen machen, aber der Konstanzer Intendant, der die Idee gehabt haben soll, heißt nun mal Nix. Vorname Christoph. Er hat wahrscheinlich erkannt, dass Provozieren mit Ficken und dergleichen schon längst nix mehr bringt. Da muss schon härtere Nazi-Action her. Von Kollegah bis Konstanz.

Leider funktioniert der üble Marketing-Gag

Doch halt! Natürlich will das Theater nach eigener Darstellung mit all dem nur zeigen, wie leicht sich Menschen korrumpieren lassen. Was habt ihr denn gedacht? Aber damit nicht genug der Geschmacklosigkeit: Wer eine Karte zum Normaltarif kauft, „darf“ zur Aufführung einen Davidstern tragen – als Zeichen der Solidarität mit den Opfern, wie das Theater eilfertig versichert. O schreckliche Einfalt!

Was wird das für ein Hallo im Zuschauerraum geben! Wahrscheinlich rücken da einige TV-Teams an, die sonst mit „Kultur“ so gar nichts am Hut haben. Eine gewisse Polizeipräsenz ist unterdessen sicherlich ratsam. Es geht ja auch nicht um Kultur, sondern (letztlich ganz ähnlich wie beim „Echo“) um das selbstgefällig provokante Gehabe einiger Ar***. In diesem Falle wird es auch noch öffentlich subventioniert.

Der aberwitzige Marketing-Gag funktioniert selbstverständlich zuverlässig, denn nun reden sie von Flensburg bis Garmisch und von Aachen bis Cottbus über das ansonsten herzlich unbedeutende Konstanzer Theater. Es ist zum Speien!




Manchmal liegt die Fachwelt krass daneben: Herner Museum zeigt „Irrtümer und Fälschungen der Archäologie“

Humorvoller Einstieg ins Irrtums-Thema: David Macaulay mit seiner Zeichnung, die Toilettenbrille und Deckel als edlen Schmuck deutet. (Foto: LWL / S. Brentführer)

Humorvoller Einstieg ins Irrtums-Thema: David Macaulay mit einer seiner Zeichnungen, die Funde wie Toilettenbrille und Deckel – Jahrtausende später – als edlen Schmuck deuten. (Foto: LWL / S. Brentführer)

Ein Ausstellungstitel im Klartext-Modus: „Irrtümer und Fälschungen der Archäologie“ nimmt in Herne selbstkritisch die eigene Zunft aufs Korn. Schauplatz ist das LWL-Museum* für Archäologie, das den detektivischen Spürsinn des Publikums weckt. „Fakt oder Fake?“, das ist auch hier die Frage. Klingt irgendwie ziemlich aktuell.

Zu Beginn richten sich phantasievolle Blicke in die Zukunft. Bereits 1979 hat der US-Architekt und Zeichner David Macaulay den Bildband „Motel der Mysterien“ veröffentlicht. Das Buch handelt von einer fiktiven Ausgrabung im Jahr 4022 n. Chr., die für diese Ausstellung teilweise nachinszeniert wurde. Unser ferner Nachfahre, der Hobby-Archäologe Howard Carson, deutet demnach billiges Plastik als ungemein kostbares Material, eine Toilettenbrille als edlen Halsschmuck und eine Kloschüssel als Trichter, durch den wohl Gottheiten angerufen wurden. Rätselhafte „Yankee-Kultur“…

Rekonstruktion des Xantener Grabfundes nach Philipp Houben und Franz Fiedler, 1839. (Foto: Bayerische Staatsbibliothek)

In Wahrheit keine Krone, sondern Beschlag eines Eimers: Rekonstruktion des Xantener Grabfundes nach Philipp Houben und Franz Fiedler, 1839. (Foto: Bayerische Staatsbibliothek)

Solche krassen Fehldeutungen sind, wie wir im weiteren Verlauf des Rundgangs erfahren, auch in der wirklichen Archäologie vorgekommen. Museumsdirektor Josef Mühlenbrock zitiert dazu den Reim: „Was man nicht erklären kann, sieht man stets als kultisch an.“ Heute verfügen die Experten freilich über so viele Vergleichsstücke, dass sie nicht mehr so leicht getäuscht werden können. Doch so ganz ist niemand dagegen gefeit.

Die Reihe der Irrtümer und Fälschungen wird mit rund 200 Exponaten dokumentiert. Das Spektrum reicht von Heinrich Schliemann, der die Ausgrabungen in Troja fast nur im Lichte der Homer-Dichtung „Ilias“ erklären wollte und damit gründlich daneben lag, bis hin zu Konrad Kujau, dem Fälscher der berüchtigten „Hitler-Tagebücher“.

Nicht antik: Der Goldschmied Israel Rouchomowsky schuf diese goldene Tiara gegen Ende des 19. Jahrhunderts. (© bpk/RMN - Grand Palais, Foto Hervé Lewandowski)

Gar nicht antik: Der Goldschmied Israel Rouchomowsky schuf diese goldene Tiara gegen Ende des 19. Jahrhunderts. (© bpk/RMN – Grand Palais, Foto Hervé Lewandowski)

Ein Beispiel, das Macaulays Phantasien ähnelt: 1838 stieß der Freizeit-Archäologe Philipp Houben in Xanten auf ein frühmittelalterliches Grab und fand darin einen vermeintlich gekrönten Schädel. Doch die Krone, so stellte sich später heraus, ist in Wahrheit die Einfassung eines Holzeimers gewesen.

Der Pariser Louvre fiel 1896 auf die geschickte Fälschung einer angeblichen „Tiara des Saitaphernes“ herein und kaufte den goldenen Helm voreilig. Urheber des Objekts war allerdings ein Zeitgenosse, nämlich ein begabter Goldschmied aus Odessa. Der Louvre hat jetzt die Fälschung nach Herne ausgeliehen. Längst gilt der einst so peinliche Irrtum als historisches Lehrstück.

Ein weiterer Erzählstrang der Schau rankt sich ums sagenhafte Einhorn. Frühere Forscher-Generationen waren von der Existenz des Fabeltiers überzeugt, so auch Koryphäen wie Otto von Guericke, u. a. Erfinder der Luftpumpe. Ihm galt ein Knochenfund von 1663 in Quedlinburg (Harz) als Einhorn-Beweis. Sogar der Universalgelehrte Gottfried Wilhelm Leibniz übernahm eine entsprechende Skelettzeichnung in seine „Protogaea“, ein Standardwerk über Fossilien. Herne zeigt dazu die originale Kupferstichplatte und ein imposantes Modellskelett.

Rekonstruktions-Zeichnung des "Quedlinburger Einhorns" in Gottfried Wilhelm Leibniz' Buch "Protogaea" (1749). (Foto: LWL)

Rekonstruktions-Zeichnung des „Quedlinburger Einhorns“ in Gottfried Wilhelm Leibniz‘ Buch „Protogaea“ (1749). (Foto: LWL)

Die westfälische Region kommt auch vor. Das Herner Archäologie-Museum selbst ist 2003 beinahe dem Hype um einen „Paderborner Schädel“ aufgesessen, der angeblich Relikt eines 27.000 Jahre alten „Ur-Westfalen“ gewesen sein sollte. Quasi in letzter Minute wurde verhindert, dass das Stück einen Ehrenplatz in der Dauerschau einnahm.

Geradezu komisch: Im nahen Herten tauchten im Jahr 1980 Fundstücke auf, die für steinzeitliche Feuersteine gehalten wurden. Nichts da! Der Fund ging letztlich auf den Marketing-Gag eines örtlichen Wurstfabrikanten zurück.

„Irrtümer und Fälschungen der Archäologie“. LWL-Museum für Archäologie, Herne, Europaplatz 1. Bis zum 9. September 2018, geöffnet Di/Mi/Fr 9-17, Do 9-19, Sa/So 11-18 Uhr. Katalog 29,90 Euro. Außerdem: Bildband „Motel der Mysterien“ von David Macaulay 19,90 Euro. Weitere Infos: http://www.irrtuemer-ausstellung.lwl.org oder www.lwl-landesmuseum-herne.de

Nach der Station Herne wird die Ausstellung noch im Hildesheimer Roemer- und Pelizaeus-Museum zu sehen sein (24. November 2018 bis 26. Mai 2019).

* Für Auswärtige: LWL bedeutet Landschaftsverband Westfalen-Lippe (Sitz Münster)




Kann man in der Buchhandlung eigentlich noch Bücher kaufen?

Eine riesige Abteilung mit Spielzeug – von Kuscheltieren und Puppen bis zu „Star Wars“-Utensilien aller Art. Lego, Duplo und Playmobil. Kinderfiguren wie Prinzessin Lillifee und Conny. Schier tausend kleine Geschenke und Mitbringsel – vom Schlüsselanhänger bis zum neckischen Täschchen.

Die für Dortmunder Verhältnisse recht prachtvolle Krüger-Passage - hier hatte bis XXXX die größte Buchhandlung der Stadt ihren Sitz. (Foto: Bernd Berke)

Die für Dortmunder Verhältnisse recht prachtvolle Krüger-Passage – hier hatte früher die größte Buchhandlung der Stadt ihren Sitz. (Foto: Bernd Berke)

Und weiter: lustige Quietscheentchen vielerlei Art für die Badewanne. BVB-Devotionalien. Frühstücksbrettchen, Sets und Tassen mit witzig gemeinten Sprüchlein. Brett- und Kartenspiele… – Halt! Aufhören!

Preisfrage: In welcher Art von Geschäft befinden wir uns?

Leider in einer (immer noch so genannten) Buchhandlung, die einen im Erdgeschoss massiv mit aufgetürmter Mainstream-Ware aus den Bestsellerlisten und mit haufenweise preisreduziertem Ramsch empfängt. Alles muss ‚raus.

Gewiss, da findet man auch noch ein paar wirkliche und wahrhaftige Bücher. Zur Erinnerung: Das sind händisch blätterbare, bedruckte Papierseiten zwischen härteren oder weicheren Deckeln.

Was jedoch noch gar nichts über die Qualität der Inhalte besagt. Lebenshilfe jeder Sorte nimmt breiten Raum ein, beispielsweise ist ein raumgreifender Bereich nur der Fitness und dem Muskelaufbau gewidmet. Koch- und Reisebücher haben gehörig Platz, desgleichen breiten sich Psycho-, Beziehungs-, Esoterik- und Erotik-Ratgeber aus, alles vorzugsweise mit Promi-Faktor. Und wer Manga mag, kann sich in einer imposanten Regalwand bedienen. Übrigens haben sie neuerdings auch ihre DVD-Abteilung aufgelöst. Streaming hat auf ganzer Linie gesiegt. Und dabei bleibt der Buchhandel erst recht außen vor.

Große Teile des Ladens sind indes vollgestopft mit Merchandising-Schrott, „Gimmicks“ und sonstiger Marketing-Ware, die bestenfalls indirekt mit Lektüre zu tun haben. Das Ganze bewegt sich deutlich in Richtung werbeverseuchter Gemischtwarenhandlung mit Deko-Schwerpunkt.

Anspruchsvollere Literatur muss man derweil suchen, sie ist inzwischen offenbar eine Art Nischenprodukt. Die Beratung ist dementsprechend. Früher war mehr Fachkenntnis.

Und wir reden hier nicht von einer Klitsche. Es ist die mit Abstand größte Buchhandlung der Stadt, die selbstredend zu einer Kette gehört. In den letzten Jahren haben hier viele kleinere Mitbewerber schließen müssen. Selbst ein gar nicht so kleiner Konkurrent, den man früher überhaupt nicht wegdenken konnte und der repräsentativ in der elegantesten Passage der City residierte, ist ebenfalls vor Jahren verschwunden.

Das gesamte Buchhandels-Angebot ist (zumal für eine Stadt, die inzwischen wieder die 600.000-Einwohner-Grenze überschreitet) überhaupt sehr bescheiden, um nicht zu sagen beschämend; ähnlich wie die arg ausgedünnte Kinolandschaft. Besser scheint es um die Museen, das Theater und besonders ums Musikwesen bestellt zu sein.




Unterwegs zu einer Welt ohne jede Verletzung – ein müßiger Frankfurter Streit um „Mohren“-Apotheken

Das musste ja irgendwann kommen! Ich hatte mich schon gewundert, dass diese Debatte nicht viel eher vom Zaun gebrochen wurde: Laut „Frankfurter Rundschau“ (ach, das Blatt gibt’s wirklich auch noch?) wird in der Mainmetropole jetzt angeblich heiß diskutiert, ob die beiden „Mohren“-Apotheken in der Stadt weiterhin so heißen dürfen.

Logo der Dortmunder "Mohren-Apotheke": eine geradezu klassische Darstellung, die doch nicht mehr schockieren muss. (Screenshot)

Logo der Dortmunder „Mohren-Apotheke“: eine geradezu klassische Darstellung, die doch wohl nicht mehr schockieren muss. (Screenshot)

Zumindest steuert die – seltsam gestrig benannte – „Kommunale Ausländer- und Ausländerinnenvertretung“ (KAV) stracks auf ein Verbot zu. Der Magistrat solle unverzüglich einschreiten, weil „in Frankfurt am Main kein Platz für Rassismus ist“, wie die formelhaft herunter geleierte Begründung lautet. Haben die in Frankfurt keine anderen Sorgen und Probleme, als aus heiterem Himmel solche nutzlosen Spiegelfechtereien anzuzetteln?

Die alten Bücher umschreiben

Hier ist mal wieder derselbe Furor am Werk, der am liebsten immerzu eingreifen und untersagen würde – eine durchaus „deutsche“ Untugend, auch und gerade unter „linken“ Vorzeichen. Am besten wär’s nach dieser Lesart, wenn man beispielsweise die Bücher von Astrid Lindgren, Michael Ende und vielen anderen Autoren gründlich umschriebe, wenn man so manche missliebige Kinoszene aus Filmen herausschnitte. Da waltet der ach so wohlmeinende Ungeist von Zensoren, die sich immerzu berufen fühlen, für uns alle zu handeln. Sie wünschen sich eine quasi keimfreie Welt ohne jede Verletzung. Schlimmer noch: Sie drohen unentwegt mit deren alsbaldiger Herbeiführung.

Lauert denn nicht auf jeder Seite, in jeder Szene ein Affront, den die hyperempfindlichen, daher gramgebeugten und schließlich doch aufrechten Recken der politischen Korrektheit aufspüren und flugs beseitigen müssen? Just jetzt ereilte uns ja auch die Nachricht, dass ein herzlich harmloses, ja ausgesprochen sanftmütiges Gedicht Eugen Gomringers von einer Berliner Hochschulwand getilgt wird, weil sich überaus frauenbewegte Menschen davon „sexistisch“ angegriffen fühlen wollen. An dieser Stelle haben wir über das blödsinnige, kulturfeindliche Unterfangen schon ratlos den Kopf geschüttelt.

Gleich wieder am großen Rad drehen

Ginge es einem einzigen Einwohner, einer einzigen Kundin besser, wenn die Apotheken nicht mehr so hießen? Wären die dort verkauften medizinischen Mittel dann eventuell sogar wirksamer? Mir würden viele Verhältnisse einfallen, in denen sich alltäglicher Rassismus weitaus deutlicher und schmerzhafter zeigt als in solchen traditionellen Benennungen, die man nach so vielen Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten schlichtweg hinnehmen oder ignorieren könnte. Im Falle einer der beiden Frankfurter Apotheken ist das „Mohren“-Motiv gar seit langer Zeit in die Hauswand eingelassen und gilt als denkmalwürdig. Aber nein! Da muss gleich wieder das ganz große Rad gedreht werden.

Haltestellenschild im Sauerland. Ist hier die sofortige Umbenennung erforderlich? (Foto: Bernd Berke)

Haltestellenschild im Sauerland. Ist hier die sofortige Umbenennung erforderlich? Dürfen ganze Orte Oberneger, Mittelneger und Unterneger heißen? (Foto: Bernd Berke)

Beim „Negerkuss“ (heute meist „Schokokuss“ oder „Schaumkuss“ genannt) kann ich die Empörung viel eher nachvollziehen, die Bezeichnung steht noch ganz anders und schärfer provozierend im Heute, sie sollte nun wirklich und selbstverständlich vermieden werden, ebenso wie etwa das „Zigeunerschnitzel“. Wobei sich etliche Zeitgenossen gerade durch derlei Einschränkungen bemüßigt fühlen, die Worte „jetzt erst recht“ herauszukrähen. Wat willze machen, wie wir im Revier sagen.

Auch in Dortmund gibt es eine…

Anders verhält es sich mit einem angestaubten, in ziemlich ferner Historie angesiedelten Wort wie „Mohr“, von dem sich wirklich niemand mehr attackiert fühlen muss. Es hat schon eher heraldische Qualität. In vorkolonialer Zeit konnte damit durchaus der „edle Schwarze“ gemeint sein, was freilich auch wieder so ein Klischee darstellt. Doch es ist vertrackt: Entfernt man zwiespältige Worte, so verschwindet keinesfalls wie von selbst die Haltung, die damit vermeintlich einhergeht.

Jetzt folgt noch der fulminante Ruhrgebiets-Regionalbezug: Auch in Dortmund gibt es eine „Mohren-Apotheke“, die ich nicht nur kenne, sondern auch sehr schätze – ungeachtet des Names. Allerdings habe ich insgeheim damit gerechnet, dass diese Benennung eines Tages plötzlich zum Thema werden könnte. Man kennt ja die Pappenheimer. Dass eine Stadt wie Frankfurt die Vorreiterrolle übernehmen würde, war zu erwarten.

Ein notorischer Witzbold hat unterdessen vorgeschlagen, die Dortmunder „Mohren-Apotheke“ vorsichtshalber und zugleich kostengünstig in „Möhren-Apotheke“ umzubenennen. Ruhe! Darüber lacht man doch nicht.




Knochenbrecher und geile Gans – Die im Revier gemachte Zeitschrift „Ruhrgebeef“ feiert das Fleisch mit jeder Faser

Lange keine Zeitschrift mehr gesehen, die mit so viel Wumm aufgetreten ist: „GANS. SCHÖN. LECKER.“ rufen einem die Versalien auf dem Cover der weihnachtlichen Ausgabe lauthals zu. Darüber prangt das Titelfoto einer kross gebratenen Gans in denkbar fleischiger Weise.

Titelseite der Zeitschrift "Ruhrgebeef", Ausgabe 5. (© Überblick Medien GmbH & Co. KG, Bochum)

Titelseite der Zeitschrift „Ruhrgebeef“, Ausgabe 5. (© Überblick Medien GmbH & Co. KG, Bochum)

Ja, entgegen allen Trends zum vegetarischen oder gar veganen Essen zelebriert diese Illustrierte das Fleisch mit virilem, manchmal geradezu beißwütigem Gestus. Die Postille erscheint im Revier und nennt sich wortspielerisch „Ruhrgebeef“.

Saftiger Braten in Nahaufnahmen

Im besagten Stil geht es auch im Heftinneren weiter beherzt zur Sache. Immer und immer wieder sieht man saftige Fleischstücke von jedwedem Getier, bevorzugt in Großaufnahmen, die jede Faser erkennen lassen und zuweilen beinahe schockierend wirken.

Ein Veganer dürfte beim bloßen Anblick schnell in Schnappatmung verfallen. Fehlen nur noch kernige Sprüche wie „Wir wollen sein ein einzig Volk von Metzgern“. Oder auch „Das Schlachten ist des Ruhris Lust“. Naja, jetzt geht meine Phantasie durch. Aber die haben angefangen!

Die „Ruhrgebeef“-Macher lassen es ja auch verbal nicht an Entschiedenheit fehlen. Die empfehlende Vorstellung einer Geflügelschere wird mit der nur bedingt empfindsamen Überschrift „Der Knochenbrecher“ versehen. Die Titelgeschichte über Gänse bekommt diese Zeile, abermals in brüllenden Großbuchstaben, diesmal mit frivolem Beiklang: „DIE GEILE GANS AUSM KRANZ“. Gemeint ist das Hattinger Landhaus-Restaurant „Kranz im Katzenstein“. Illustriert ist das wiederum sehr detailfreudig mit Fleisch-Nahansichten, die überhaupt das ganze Blatt dominierend durchziehen. Und nicht jedes dieser Bilder ist geeignet, den Appetit anzuregen.

Ratschläge vom „Fleischflüsterer“

Die nächsten Storys befassen sich mit den Gans-Zerlegungstipps von Christoph Grabowski, eines Fleisch-Sommeliers (es muss nicht immer „Metzger“ heißen) aus Castrop-Rauxel, der zuweilen auch bewundernd „Fleischflüsterer“ genannt wird. Unter dem Motto „Wild geworden“ geht’s ferner um Schwarz- und Rotwild. Einige Seiten zuvor musste „Beef Bacon“ gegen „Pork Bacon“, also Rind gegen Schwein, zum „Duell“ antreten. Großer Sport.

Außerdem wandelt man über etliche Seiten mit arg wiederholungsträchtiger Fotoauswahl auf den rauchigen Spuren des Bochumer Grill-Weltmeisters Oliver Sievers, der den Titel in Limerick (Irland) geholt hat und nach eigenem Bekunden daheim zehn verschiedene Grills hat. Der Mann verwendet übrigens auch schon mal Gemüse als Grillgut, was einem im Kontext von „Ruhrgebeef“ seltsam fremd vorkommt.

Besonderer Mix für die Männlichkeit

Ein Abstecher nach Dortmund verströmt einen speziellen Duft von Männlichkeit und (prothesenhafter?) Potenz. Folgender Themenmix (nein, nicht Thermomix, Sie haben falsch gelesen) wird da angerichtet: In einer „Tuningschmiede“, in der halt Autos tiefergelegt und aufgemotzt werden, gibt es auch knackige Burger. Fleisch und Motoren, das ist eine Kombi, wie sie die „Ruhrgebeef“-Macher Macher wohl besonders schätzen.

Direkt danach sind wir zu Gast bei einem Duisburger Wurstmetzger, außerdem bei einem Metzger aus Essen, es folgen u. a. ein Testbericht über Waygu-Rinder, um die inzwischen weit über Japan hinaus ein Kult entstanden sein soll, ein längeres Stück über den „Steak-Patriarchen“ Eugen Block sowie eine Hymne auf den „Schinkenhimmel“ am Essener Großmarkt. Vom münsterländischen Iberico-Schweinezüchter gar nicht erst zu reden.

Themenfeld wohl noch lange nicht abgegrast

Puh! Doch damit noch nicht genug. Ein Besuch im Grillzentrum der Dortmunder Firma S & E lässt erneut ahnen, dass (auch) auf diesem Felde redaktionelle Berichte und Werbung nicht immer in wünschenswerter Deutlichkeit getrennt werden (können). Mehrfach wird man Inserate von Gastro-Betrieben finden, denen auch ein Beitrag gewidmet ist.

Sodann wird noch dem Whisky als Fleischbegleiter gehuldigt (ein edles Destillat kommt gar aus dem Sauerland), und es werden einige der besten Pommesbuden im Ruhrgebiet genannt – Stichwort „Currywurst“. Keine ganz taufrische Idee. Unter dem sportiven Begriff „Trainingslager“ werden uns schließlich noch ein paar Rezepte schmackhaft gemacht.

Angesichts des einschlägigen Themenspektrums, das ja auch in dieser fünften Nummer schon wieder so manches abdeckt, fragt man sich, was die Redaktion des Überblick-Verlags (Bochum) eigentlich in den nächsten Ausgaben präsentieren will. Aber wir zweifeln natürlich nicht daran, dass das Team um Chefredakteur Tom Thelen auch weiterhin noch jede Menge Fleischiges aus der Region anrichten und servieren wird.

„Ruhrgebeef“ (hier: Ausgabe 5). Zeitschrift. 6,50 Euro.




Soziale Miniaturen (18): Herrscher im Supermarkt

Nikolaustag. Im Supermarkt sind heute alle Mitarbeiter gehalten, Nikolausmützen zu tragen. Man fragt sich, was geschieht, wenn jemand dieser Anweisung nicht Folge leistet.

Über das Gehabe mancher Machthaber können diese Nikoläuse nur lächeln. (Foto: Bernd Berke)

Über das Gehabe mancher Chefs können diese Nikoläuse nur milde lächeln. (Foto: BB)

Möglich, dass manche bei diesem Mummenschanz gern oder wenigstens achselzuckend mitspielen. Es kann aber auch sein, dass es einigen unangenehm ist oder dass es gar auf eine kleine Demütigung hinausläuft. Es wirkt ja auf den ersten Blick nicht gerade souverän, wenn jemand die tagtägliche Arbeit vor aller Kundschaft mit einer solchen Mütze zu verrichten hat. Müsste man darauf nicht Rücksicht nehmen?

Jetzt aber aufgemerkt! Auf einmal ist zwischen den Regalen eine weithin dröhnende Stimme zu vernehmen, die allseits einen guten Tag wünscht. Sie gehört einem Mann, der buchstäblich großspurig daherkommt. Sogleich bemerken auch Kunden, die ihn nicht kennen: Das ist der Chef. Das muss er sein. Und er ist es.

Eine Assistentin (?) folgt ihm diensteifrig auf Schritt und Tritt. Das Ganze wirkt wie ein Kontrollgang, der Konsequenzen haben könnte.

Sein “Guten Tag!” klingt zunächst einmal leutselig, doch kann man sich sehr gut vorstellen, wie diese offenbar befehlsgewohnte Stimme im Nu ins Bedrohliche umschlagen kann. Denn der Mann ist in seinem Supermarkt-Reich ein Herrscher, wie er im Buche steht. Auf diesem Level kann das Gehabe eines Machtmenschen freilich leicht ins Lächerliche kippen.

Von einer Nachbarin hatte ich einige Wochen zuvor dies gehört: Sie habe sich im besagten Supermarkt über angegammeltes Bio-Hackfleisch beschweren wollen, und zwar beim Geschäftsführer. Da kam also der Herr gravitätisch daher, stellte sich namentlich vor, bewegte seine Hand im großen Kreis und teilte erst einmal mit, dass ihm “dies alles hier” gehöre. Der Nachbarin hat das nicht übermäßig imponiert. Ihre Antwort: “Das mag ja sein, aber mir geht es jetzt um dieses Hackfleisch…” Gut gegeben.

Auf jeder einzelnen Plastiktüte seiner Supermärkte (jawoll, er hat in mehreren Läden die Hoheit) lässt sich der Machthaber fotografisch als alles überragender, behütender Patriarch abbilden. Er hält ein Herz in den Händen, und in diesem Herzen drängeln sich wie auf einem Wimmelbild nahezu 200 seiner Angestellten. Ich werde mich hüten, die Illustration hier zu verwenden und bleibe lieber unverfänglich.

Warum aber hatte ich vorhin das dumpfe Gefühl, dass sich bei seinem leibhaftigen Erscheinen diese oder jene Mitarbeiterin ein klein wenig geduckt hat? Es war sicherlich nur ein Hirngespinst. Vergesst es.




A ledert gegen B, der nagelt heftig zurück – die unerträgliche Dauer-Aggression im Boulevard-Journalismus

Man mag sie nicht mehr lesen, diese schnellfertig vorgestanzte, vermeintlich coole und trendige „Berichterstattung“ gewisser Nachrichtenportale. Doch was heißt hier „Nachrichten“? Wissenswerte Neuigkeiten erfährt man da nur sehr bedingt.

Konfrontation als Normalzustand. (Foto: BB)

Konfrontation als Normalzustand. (Foto aus dem wahren Leben: BB)

Nehmen wir nur mal diese allzeit auf Steigerung angelegte Inszenierung von Konflikten oder bloßen Meinungsverschiedenheiten, ob nun im Politikbetrieb, unter Chichi-Promis oder im Fußball. Da schreit’s einem dann schon die Überschrift entgegen – hier ein frei erfundenes Beispiel, natürlich ganz ohne Bezug aufs wirkliche Leben, oder sollte die Zeile wirklich irgendwo so ähnlich gelaufen sein?

„Rummenigge geht auf Lewandowski los“

Wahlweise auch umgekehrt. Klingt fast nach Schlägerei, ist aber oft nur eine relativ harmlose Äußerung. Wer immer seinen Standpunkt einigermaßen deutlich darlegt (also „klare Kante“ zeigt), muss mit derlei Überschriften rechnen. Ein Widerpart zur Konfrontation findet sich immer.

Nur in Anführungszeichen

Nach ähnlichem Übertreibungs-Muster heißt es dann gern „Völler tobt über…“, wahlweise auch „wütet gegen…“, „poltert gegen…“ oder – um mal nicht gar so persönlich zu werden – „X ledert gegen Y“. Dieses „Ledern“ gehört offenbar unumstößlich zum Sprachgebrauch des gängigen Boulevard-Journalismus, wobei das Wort Journalismus eigentlich ebenfalls zwischen Anführungszeichen gehören würde. Statt „ledern“ heißt es gelegentlich auch, noch eine Spur heftiger, „X nagelt gegen Y“. Heiliger Strohsack!

Kennzeichnend für dieses Deppendeutsch ist nicht nur schiere Dämlichkeit, sondern zuvörderst ein dauerhafter, so gut wie nie nachlassender Grundton der stets sprungbereiten Aggression. Adrenalin, Testosteron & Co., wie ein branchenüblicher Dreiklang lautet. Denn merke: Bei nicht weiter fortgeführten Aufzählungen heißt es am Ende stets „& Co.“

Weggeballert und abgeschossen

Immer attackiert jemand oder greift an, wobei diese Formulierungen noch die harmlosesten sind. Immerzu gibt es Zoff, ständig wird jemand verhöhnt und mit Häme übergossen. Und wenn’s um Sieg und Niederlage geht, so ist der Unterlegene allemal ein Loser, er wird – zumal im Sport – weggeballert, abgeschossen, zerlegt, pulverisiert, vernichtet. Ab einem Fußball-Ergebnis von 3:0 oder 4:0 redet der „Spocht-Repochter“ zudem gern von einer „Klatsche“.

Anschließend, so die Sprachregelungen, watscht jemand jemanden ab, dann ist Feuer unterm Dach und es brennt der Baum. Auch werden immerzu „Messer gewetzt“. All das, der ganze elende „Aggro“-Tonfall wirkt sich – schreiend oder schleichend – nicht nur auf den Pausenhöfen der Republik aus. Wen wundert’s noch, dass Fußballer neuerdings vereinzelt auch schon mal obszöne Masturbations-Bewegungen auf dem Platz vollführen. Und ins Politsprech ziehen derweil Kraftausdrücke wie „in die Fresse“ ein.

Guck mal, was deine Tussi tut…

Auf den „bunten“ Klatschseiten hat es sich unterdessen längst eingebürgert, nicht von Trennung zu sprechen, sondern (wer hat den Stuss nur erfunden?) von „Liebes-Aus“. Selbiges wird von Boulevardpresse und Yellow-Blättchen mitunter selbst herbei gefaselt, indem sie z. B. ein Promi-Männchen hämisch auffordern: „Guck mal, XY…, was deine YZ gerade tut!“ Natürlich rekelt sich die halbnackte Tussi mit einem anderen Typen am Pool, was auch sonst? So sind se halt. Die Mario Barths der Nation lachen sich ins Fäustchen.

Und wenn sich ein C-Promi oder D-Sternchen blamiert, heißt es immer mal wieder gern: „Ganz Deutschland lacht über…“ Ein paar Tage später darf sich das Objekt des Spotts äußern und sich dabei am liebsten noch tiefer `reinreiten. Dann lautet die Zeile vorzugsweise so: „Jetzt spricht…“

„Alles, was du jetzt wissen musst“

Betrüblich sind nicht nur die üblichen Verdächtigen des Gewerbes, sondern auf seine provinzielle Weise auch ein regionales Portal im Ruhrgebiet, das die User bedenkenlos duzt und sie mit jedem News-Geschrei halbschräg von der Seite her anmeiert. Sie machen einen auf soziales Netzwerk bzw. auf gute Freunde und blasen jedes Skandälchen auf mit Lebenshilfe à la „Alles, was du jetzt wissen musst“ oder gleich „Was du jetzt tun musst“. Sie sagen es einem. Besser wär’s, man pfiffe drauf.

 




Familienfreuden XXV: Glitzer jucheh! Oder: Über Geschmack lässt sich streiten

Mit Geschmack ist das ja so eine Sache. Erben lässt er sich nicht, erzwingen auch nicht. Und wie ein Mensch ihn entwickelt – keine Ahnung. Gute Beispiele sind sicher nicht verkehrt. Aber Freiheit auch nicht. Es geht, kurzum, darum, dass Fi in einer akuten Glitzerphase steckt. Eine Shopping-Odyssee.

Verzückung ob größtmöglicher T-Shirt-Niedlichkeit (Bild: Albach)

Man merkt schon, ich laviere herum, wenn ich auf das Thema komme. Fi soll schließlich einen eigenen Geschmack entwickeln können. Aber ich muss auch zugeben, dass meine Toleranz bisweilen endlich ist – und ich außerdem manchmal darüber nachdenke, ob pinke Leggins, Blümchenrock und wild gestreiftes Oberteil zu Schreikrämpfen bei Passanten auf dem Bürgersteig führen könnten. Denn was die Kombination von Mustern angeht, ist unsere Tochter mehr als großzügig. Wenn sie vor ihrem Schrank steht, sind mir die Auswahlkriterien schleierhaft. Nur eine Sache kommt immer gut an: Glitzer. Und Pailletten. Von mir hat sie das nicht.

Schwerer Fehler im System

Gestern habe ich dann einen schweren Fehler begangen. Es ist nämlich eine Zeit angebrochen, in der ich nicht einfach Klamotten kaufen kann – die werden gegebenenfalls bei Missfallen komplett ignoriert. Sprich: die junge Dame von Welt sucht selbst aus. Allerdings kann die Auswahl der Läden ja zumindest eine gewisse Richtung vorgeben. Und deshalb der Ratschlag: wenn ihr eine Tochter habt, solltet ihr ab einem bestimmten Alter einen von ihr begleiteten Besuch bei einem schwedischen Modeunternehmen meiden. Hatte ich aber vergessen. Und das lief dann so ab:

Undefinierbares, großäugiges Ding

Auftritt Fiona im schwedischen Modeladen.
Erster Gang (zielsicher) auf einen Aufsteller voll mit Glitzerklimbim.
„Mama, was ist das?“ Fiona hält ein undefinierbares, plüschiges, gerolltes, großäugiges Ding in der Hand.
Ich: (kurz sprachlos):„…ein Armband????“
Fiona (holt Luft)
Ich, sofort: „Nein, das kannst Du nicht haben!“

Verneinung im Maschinengewehr-Takt 

Und so ging es weiter. Fiona hatte nacheinander einen goldenen Tüllrock, ein Hasenkleidchen mit anfassbaren Öhrchen, ein Oberteil mit SovielGlitzerwienurmöglich und Unterhosen mit Disney-Schönheiten in der Hand. Ich ratterte wie ein Maschinengewehr: Neinneinneinneinneinnein! Schließlich blieb Fi wie paralysiert vor einem T-Shirt mit einem Kätzchen im Airbrush-Stil stehen. Ein Alptraum für mich, ein Wunschtraum für sie. Hier wurde ihrerseits ein bisschen mehr investiert, um mich zum Kauf zu überreden. Erfolglos. Auch bei einem Shirt mit glubschäugigem Einhorn blieb ich hart.

Glitzerherzen als kleinstes Übel

Dann fiel mir die Sache mit dem eigenen Geschmack wieder ein. Und ich stimmte schließlich einem Oberteil mit kleinen rosafarbenen Glitzerherzen zu. Gar nicht ihre Farbe. Aber definitiv das kleinste Übel.

Endlich an der Kasse angekommen, musste ich nur noch die Frage nach einem Einhornkuscheltier und Lipgloss in Tierform überstehen. Als wir aus dem Laden eilten, hörte ich noch, wie das Mädchen hinter uns ihre Mutter mit exakt den gleichen Wünschen traktierte.
Was Fiona später wohl einmal gut finden wird?

Zuhause jedenfalls erzählten wir Normen von dem Shopping-Ausflug. Fiona schilderte das Angebot in den schönsten Farben. „Und was hat Mama dazu gesagt?“, fragte Normen. „Neinneinneinneinneinnein“, gab Fi meinen Abgesang originalgetreu wieder und kicherte.




Aus der Hammer Wunderkammer – Museum zeigt Querschnitt durch die Sammlung seines Namensgebers Gustav Lübcke

Sie haben am Ende gar nicht mehr genau nachgezählt. Ungefähr 500 Exponate sind jetzt in einem großen Saal des Hammer Gustav-Lübcke-Museums zu sehen. Doch gemach, man schafft das Pensum in ein bis zwei Stunden: Denn zur imposanten Anzahl der Exponate tragen auch etliche Vitrinenobjekte wie Münzen, Kunsthandwerk (Gläser, Keramik) oder kleinteilige archäologische Fundstücke bei. Der Namensgeber des Hauses, Gustav Lübcke (1868-1925), hat nach dem Wunderkammer-Prinzip gar vieles erworben, was dem gehobenen Bürgertum seiner Zeit zusagte. Ein wahres Sammelsurium.

Auch Heiligenfiguren hat Gustav Lübcke gleichsam en gros gesammelt. (Foto: Bernd Berke)

Auch Heiligenfiguren hat Gustav Lübcke gleichsam en gros gesammelt. (Foto: Bernd Berke)

„Hereinspaziert!“ lautet der etwas unbedarft und geradezu circensisch klingende Titel der Ausstellung, die einen historischen Anlass hat: Fast genau 100 Jahre ist es nun her, dass die Stadt Hamm Gustav Lübcke diese denkbar breit gefächerte Kollektion als gesamtes Konvolut abgekauft hat. Im April 1917 wurde der Vertrag aufgesetzt.

Im Gegenzug erhielt der in Düsseldorf ansässige Antiquitätenhändler, der hinfort in seine Geburtsstadt Hamm zurückkehrte, eine lebenslange Jahresrente von 6000 Mark – damals eine passable bis ordentliche Summe. Nach Lübckes Tod erhielt seine 20 Jahre ältere Frau Therese geb. Nüsser (1848-1930) die Rente weiter. Beide hatten sich für Hamm entschieden, weil sie die Sammlung in den Wirren des Ersten Weltkriegs in Düsseldorf stärker bedroht sahen.

Gestrenge Dienstanweisungen 

Praktischerweise ließ sich Lübcke, eigentlich gelernter Buchbinder, 1917 gleich auch zum ersten Direktor der nach Hamm umgezogenen Sammlung ernennen und verfügte, dass ein künftiges Museum seinen Namen tragen solle. Eingangs der jetzigen Rückschau findet sich eine seiner strengen Dienstanweisungen, die zur Wachsamkeit vor Kunstdieben auffordert (auf Menschen mit weiten Mänteln achten!) und die tägliche gründliche Reinigung seines Arbeitsbereichs anordnet. Der Tonfall ist recht barsch und unduldsam. Ob Lübcke ein angenehmer Chef gewesen ist?

Unsigniert und namentlich nicht zuzordnen: filigraner Scherenschnitt "Leichenzug der Tiere". (© Gustav-Lübcke-Museum / Foto: Bernd Berke)

Unsigniert und namentlich nicht zuzuordnen: filigraner Scherenschnitt „Leichenzug der Tiere“. (© Gustav-Lübcke-Museum / Foto: Bernd Berke)

Und was hat der Mann gesammelt? Nun, wie schon angedeutet: alles Mögliche. Neben den stichwortartig erwähnten Beständen zählen beispielsweise auch wertvolle alte Möbel (Truhen, Schränke etc.), Heiligenfiguren und weitere sakrale Kunst, Scherenschnitte, Malerei (Düsseldorfer Schule, niederländische Genrebilder aus der „zweiten Reihe“ des 17. Jahrhunderts), Schnupftabaksdosen, ägyptologische Objekte, koptische (also christliche) Kunst aus Altägypten und kostbare Bücher zum Gesamtumfang, der in die zigtausend Stücke gehen dürfte.

Immer noch keine Inventarlisten

Und so hat sich in all den vielen Jahrzehnten bisher niemand gefunden, der es geschafft hätte, auch nur halbwegs komplette Inventarlisten zu erstellen. Die jetzige Ausstellung, kuratiert von Diana Lenz-Weber, die immerhin ein paar Schneisen durchs Dickicht geschlagen hat, könnte ein Anstoß zur Katalogisierung sein. Erstmals überhaupt befasst man sich so eingehend mit den Hinterlassenschaften Lübckes. Doch um eine präzise Erfassung der Bestände zu bewerkstelligen, bräuchte man mehr Personal, das möglichst eigens dafür eingesetzt wird. Hoffen darf man ja, es kostet nichts.

Tiroler Truhe aus dem 15. Jahrhundert, darüber zwei Gemälde von Adriaen van de Venne (17. Jhdt.). (Foto: Bernd Berke)

Eine mächtige Truhe, darüber zwei Gemälde von Adriaen van de Venne (17. Jhdt.). (Foto: Bernd Berke)

Man wird in dieser Retrospektive keine Sensationen finden, aber doch einen soliden, bewahrenswerten Grundstock, der freilich zu weiten Teilen etwas „altfränkisch“ anmutet. Schon zu seiner Zeit gehörte Gustav Lübcke nicht zu den Leuten mit avantgardistischen Neigungen. Spätimpressionistische Ausläufer sind schon das höchste der Gefühle, Symbolismus und Jugendstil sucht man bereits vergebens. Lübcke hatte mit einem Mann wie Karl Ernst Osthaus, der damals von Hagen aus die neuesten Strömungen aufspürte, praktisch keine Gemeinsamkeiten – außer der westfälischen Herkunft und der schieren Sammelleidenschaft.

Konservativer Geschmack

Gustav Lübcke hat also ausgesprochen konservativ gesammelt. Ein besonders gewichtiges Stück ist z. B. jener mit Geheimfächern ausgestattete, machtvolle Tiroler Büffetschrank im gotischen Stil aus dem 15. Jahrhundert, den Lübcke damals auf einen Wert von 5000 Mark taxiert hat – annähernd seine eigene jährliche Leibrente also.

Auch die liebevoll restaurierten Stoffstücke koptischer Kunst oder allerfeinstens ausgeführte Scherenschnitte („Leichenzug der Tiere“) sind mehr als einen Blick wert. Von kulturgeschichtlichem Interesse sind zudem Gemälde wie die lebensprall-derben Genrebilder eines Adriaen van de Venne („Bauerntanz“), die „Winterlandschaft“ des Anthonie (van) Beerstraaten oder Einzelbeispiele der Düsseldorfer Malerschule. Ansonsten gilt die Devise: Wer vieles bringt, wird jedem etwas bringen.

Schätze blieben lange „heimatlos“

Im Vorfeld dieser Ausstellung hat das Museum einige Restaurierungs-Aufträge vergeben können. Doch zugleich zeigte sich, dass manche Stücke höchstwahrscheinlich gar nicht mehr zu retten sind. Einige beklagenswert ramponierte Exponate sind nun – bewusst in einer zerbrochenen Glasvitrine präsentiert – beisammen. Ein Bild des Jammers. Und nebenher eine eindringliche Mahnung zum sorgsamen Umgang mit Kunst und Kunsthandwerk.

Freilich war die Sammlung lange Zeit „heimatlos“ und irrte gleichsam durch diverse, unter konservatorischen Gesichtspunkten ungeeignete Gebäude. Erst 1993 (!) wurde, mit Fertigstellung des jetzigen Museumsbaus, Gustav Lübckes Forderung nach einem eigenen Ort für seine Schätze wahr. Gut Ding will manchmal sehr viel Weile haben.

„Hereinspaziert! 100 Jahre Sammlung Gustav Lübcke“. 16. Juli (Eröffnung 11.30 Uhr) bis 15. Oktober 2017. Geöffnet Di-Sa 10-17, So 10-18 Uhr. Eintritt 5 Euro (ermäßigt 2,50 Euro). Kinder bis 15 Jahre freier Eintritt. Gustav-Lübcke-Museum, Hamm, Neue Bahnhofstraße 9. Tel.: 02381 / 17-57 14. www.museum-hamm.de




Bevor wir den Rochen kochen, müssen wir ihn erst einmal haben – meine kurze Affäre mit einem Kochbuch à la française

Franzosen, man weiß es, geben im Schnitt deutlich mehr fürs Essen aus, als der gemeine Deutsche. Das wird wohl auch so bleiben, trotz mancher Gourmet-Modewellen diesseits des Rheins.

Da schwimmt ja ein Rochen - aber leider in einem holländischen See-Aquarium. Den darf man natürlich nicht mitnehmen. (Foto: Bernd Berke)

Ah, da schwimmt ja ein Rochen – aber in einem holländischen See-Aquarium. Den darf man natürlich nicht mitnehmen. (Foto: Bernd Berke)

Überdies sind unsere Nachbarn immer wieder für exquisite und – nun ja – auch für etwas abgehobene Kochkünste zu haben, worin sie sich wiederum von den Italienern unterscheiden, die sich nicht halb so viel darauf einbilden, was in ihren Töpfen und Pfannen gedeiht – und die auch nicht so ein zuweilen blasiertes Getue darum machen.

Weltweit das „Einfachste“

Drum hätte ich eigentlich misstrauisch sein sollen, als ich jetzt das in der FAZ-Sonntagszeitung heiß empfohlene Kochbuch des französischen Maître Jean-François Mallet bestellt habe. Zwar nennt es sich vollmundig „Simplissime – Das einfachste Kochbuch der Welt“ und verheißt lauter Rezepte mit jeweils höchstens sechs Zutaten, doch diese haben es fürwahr an und in sich.

Um nur mal eben zwei Zutaten zu nennen, wie sie in diesem Buch typisch sind: Für ein angeblich simples Gericht benötigt man Seeteufelbäckchen, für ein anderes nichts Geringeres als Rochenflügel. Alors!

Immerhin: Rochen reimt sich im Deutschen auf Kochen, doch ansonsten geht’s weniger simpel zu. Nach meinem bescheidenen Verständnis handelt es sich bei den genannten Zutaten um nahezu museumswürdige Raritäten. Geht doch mal los und besorgt das im Supermarkt nebenan – oder auch etwas weiter entfernt. Sofern man nicht gerade mitten in einer (möglichst französischen) Metropole lebt und spezialisierte Markthändler kennt, dürfte es schwerfallen. Na gut, mit etwas Sucherei geht es in Hamburg wohl auch.

Fischbäckchen oder Fischstäbchen?

Dabei fängt das Buch im Vorspann so ermutigend an. Man brauche zum Nachkochen nur die folgenden Utensilien, heißt es: fließendes Wasser, Herd, Kühlschrank, Pfanne, Topf, scharfes Messer, Salz, Pfeffer und Olivenöl. Zugegeben, einen Schneebesen und zwei bis elf andere Sachen benötigt man wohl auch noch. Aber dann kann’s angeblich auch schon losgehen.

Doch die weit überwiegende Mehrzahl der Rezepte ist in unseren Breiten nicht alltagstauglich. Das wird schon beim flüchtigen Durchblättern klar. Also habe ich, was ich eigentlich ungern tue (nicht nur wg. der Ökobilanz), das Buch als Retoure auf den postalischen Rückweg gebracht. Vielleicht gar kein Zufall, dass „retour“ ein französisches Wort ist?

Mag ja sein, dass man sich bestimmte Fischbäckchen und dergleichen demnächst via Frischdienst „just in time“ liefern lassen kann (womit sich die Ökobilanz abermals verschlechtern würde), doch darauf möchte ich mich nicht einlassen. Wie bitte, dann sollte ich doch Fischstäbchen essen? Ich bin imstande und tu’s. Sapristi!




Polemik gegen den „närrischen“ Reformator: Thomas Murner, Luthers katholischer Widersacher von Format

Unser Gastautor, der Schriftsteller Heinrich Peuckmann, über eine prägende Gestalt der Reformationszeit:

Jedes Luthergedenkjahr zeigt uns nicht Luther, wie er war, sondern ein Spiegelbild der jeweiligen Zeit. Nun also, zur 500. Wiederkehr des Thesenanschlags, der politisch korrekte Blick auf Luther, dessen Antijudaismus nicht verschwiegen oder beschönigt, sondern klar und als Makel herausgestellt wird. Immerhin.

TItelseite der Murner-Schrift "Von dem großen lutherischen Narren" (Straßßburg/Grüninger, 1522) (Public Domain/gemeinfrei)

Titelseite der Murner-Schrift „Von dem großen lutherischen Narren“ (Straßburg/Grüninger, 1522) (Public Domain/gemeinfreies Bild)

Das war zum 450. Geburtstag im November 1933 insofern anders, als die gerade an die Macht gekommenen Nazis sich in ihrem Antisemitismus auf Luther beriefen und ihn für seine Haltung lobten. Und ein Antijudaist (diese Bezeichnung zieht die Forschung dem Begriff Antisemit, was gleichbedeutend mit Rassist wäre, vor) war Luther ganz gewiss. Er stand damit in einer erkennbaren Tradition seiner Kirche, aber es stimmt nicht, dass seine Haltung aus diesem Faktum und dem Zeitgeist heraus erklärbar, schon gar nicht entschuldbar wäre. Es gab genügend Theologen (Bernhard von Clairvaux), die anders dachten, die Juden verteidigten und Pogrome verurteilten.

Antijudaische Schriften

Luthers Schrift „Jesus Christus ein geborener Jud“ verfolgte denn auch nicht die Absicht, die Wurzel des Christentums aus dem Judentum heraus aufzuzeigen und damit dem Antijudaismus jegliche Grundlage zu entziehen. Es war im Gegenteil eine an die Juden gewandte Schrift, damit sie endlich die Messianität Jesu anerkannten. Als sie das nicht taten, war Luther umso enttäuschter und wurde umso drastischer in seinen Formulierungen.

Dieser Aspekt wird nun von der Kirche offen dargestellt, etwas anderes ist auch  nicht mehr möglich. Ein anderer, spannender Aspekt taucht bisher noch viel zu wenig auf, nämlich die lebhafte Publizistik zur Zeit der Reformation, vor allem auf lutherischer Seite, dem aber auf katholischer Seite ein Franziskaner, nämlich Thomas Murner, als gleichwertig gegenüber gesetzt werden kann. Auch an ihn sollte  in diesem Jubiläumsjahr unbedingt erinnert werden.

Blüte des Buchdrucks und neue Debattenkultur

Die damals herrschende Stellung der Kirche wird durch die reformatorische Publizistik erschüttert, bisweilen sogar an den Rand gedrängt. Die Kirche des Mittelalters vertrat noch die Position des abgestuften Wissens, sie unterschied streng zwischen Geistlichen und Laien und beschränkte die theologische Diskussion auf den Kreis der Geistlichen.

Luther folgte diesem Denken anfangs, daher die Abfassung seiner 95 Thesen in lateinischer Sprache. Aber dabei blieb es nicht. Das Aufblühen des Buchdrucks eröffnete neue Möglichkeiten der Auseinandersetzung. Spätmittelalterliche Formen der Predigt und Literatur verbanden sich mit reformatorischen Inhalten und wirkten so auf die Massen, die wiederum in die Diskussion eingriffen. Dialoge wurden geschrieben und publiziert, Satiren und Parodien in teilweise erbitterter Schärfe und Polemik. Eben an Massen gerichtet und daher massenwirksam. Es fand, wenn man so will, eine Demokratisierung der Debattenkultur statt.

Die Gefahr der Kirchenspaltung

Die katholische Kirche tat sich noch lange schwer mit dieser Umstellung, aber einen, der es der reformatorischen Seite gleichtat, der die neuen Möglichkeiten ebenfalls nutzte und ihr in seinem wichtigsten Werk „Vom großen lutherischen Narren“ ebenbürtig war, hatte sie eben doch. Das war Thomas Murner.

Thomas Murner, "Cantzler der geuchmatt(en)" (Kanzler der Gauchmatt), Holzschnitt von Ambrosius Holbein, Basel 1519

Thomas Murner, „Cantzler der geuchmatt(en)“ (Kanzler der Gauchmatte), Holzschnitt von Ambrosius Holbein, Basel 1519 (Public Domain/gemeinfreies Bild)

Er wurde 1475 in Oberehnheim, heute Obernai in Frankreich, geboren, besuchte im nahen Straßburg eine Klosterschule und trat mit 15 Jahren dem Franziskanerorden bei. An verschiedenen Universitäten studierte er Philosophie, Theologie und Jurisprudenz, promovierte zum Magister der freien Künste in Freiburg und Doktor der Theologie in Krakau. Mit 22 Jahren wurde er zum Priester geweiht.

Ab 1512 erschienen seine ersten Hauptwerke, unter anderem „Die Narrenbeschwörung“, „Der Geuchmatt“ (eine Wiese der Lüstlinge – Worterklärung im Grimmschen Wörterbuch) usw., in denen er Missstände des feudalen Systems, aber auch der Kirche anprangerte. Murner war also kein betriebsblinder Verteidiger des alten Glaubens, im Gegenteil, er sah die Gefahr, in der sich eine Kirche befand, die losgelöst von den Problemen der Menschen agierte. Auch er wollte Reformen, aber er wollte eines nicht, nämlich die Spaltung.

Als dann Luther mit seinen Thesen kam, erkannte Murner schon früh diese Gefahr einer Spaltung, die die katholischen Würdenträger noch lange nicht sahen. Er bezog Stellung und nahm dafür in Kauf, was auch viele Reformatoren erdulden mussten, nämlich Verfolgung, Ausweisung, Schreibverbot und einmal, als Bauern seine Heimatstadt belagerten, Gefahr für sein Leben. Im letzten Augenblick gelang ihm die Flucht.

„Wie wohl er ganz daneben sticht…“

Schon 1522 erschien „Vom großen lutherischen Narren“. Die Schrift belegt, wie früh Murner die Gefahr für die Kirche erkannte, zu einer Zeit, als Luther wohl selber noch nicht die gesamten Folgen seines Thesenanschlags überschaute.

Zuerst ist Murner in seinem Umgang mit Luther noch sehr moderat. 1520 erschien seine Schrift „Christliche und briederliche ermanung an den hoch gelerten doctor Martino Luter“, in dem er „den herzallerliebsten Bruder in Christo“ bittet, von seinen Irrtümern abzulassen und sich wieder mit der Kirche zu vereinigen.

Luther nahm ihn anfangs nicht ernst, Murner war nur einer von vielen Gegnern. Aber als Murner nach Luthers Verbrennen der Bannandrohungsbulle „Exurge domine“ (Erhebe dich, Herr) mit einer wüsten Polemik, einer Glosse antwortet, nimmt auch Luther ihn zur Kenntnis und fügt in einer Verteidigungsschrift gegen einen anderen Gegner einen Anhang gegen Murner hinzu. Dabei zitiert er zum Schluss einen Reim, der ihm zugeschickt worden war:

„Doktor Murner, wie ich bericht
Hat aber ein Nacht geschlafen nicht
Zwei neuer büchlein zugericht
Darzu er sich fast hoch erbricht
Doctor Luthers Schriften anficht
Wie wohl er ganz daneben sticht …“

Das ging jetzt doch zu weit, das musste eine Antwort geben. Und sie kam in Form des „Großen lutherischen Narren“, der alle erprobten und erfolgreichen Formen reformatorischer Schriften aufgriff, Satire, Glosse und vor allem wüste Polemik.

Murner greift das Narrenmotiv auf, ein weit verbreitetes Motiv, vor allem durch Sebastian Brants „Narrenschiff“ (1494). Wenn Murner am Anfang seiner Schrift auch betont, dass er nicht Luther direkt angreifen wolle, sondern vor allem seine eigenen Gegner, die ausdauernd gegen ihn polemisiert hatten, so lässt er diese Absicht jedoch schnell fallen.

Am Ende geht es nur noch gegen Luther. Dessen Gegner, der ihn widerlegen und als gefährlich darstellen will, ist niemand anderer als Murner selbst, wodurch die Reformation auf Luther reduziert wird, die Angriffe gegen die katholische Kirche als Angriffe auf Murner wahrgenommen werden. Eine Personalisierung des Problems findet also in Murners Buch statt.

Ein Exorzist mit Katzenkopf

Im Mittelpunkt steht der große Narr, der durch Exorzismus beschworen werden muss. In ihm stecken viele andere Narren, die alle möglichen Aspekte der Reformation verkörpern, u.a. die Buntschuhgefahr, vor der Murner besonders warnte. Der beschworene „Großnarr“ gibt seine Geheimnisse anfangs nur unter Zwang preis, später wird er vertrauensselig und warnt seinen Beschwörer sogar vor den in ihm steckenden Narren. Der Exorzist, der mit Katzenkopf auftritt, hat ebenfalls keine einheitliche Haltung, mal ist er fürsorglich, mal zornig. Der Katzenkopf symbolisiert Murner selber, denn so haben ihn seine Gegner in ihren Pamphleten dargestellt, und indem er ihnen nun darin folgt, zeigt er eine gehörige Portion Selbstironie.

Es geht bunt zu in diesem Buch, Exorzismus, Hochzeit Murners mit Luthers Tochter, am Ende sterben sie, das müssen sie nach Murner auch, Luther und der große Narr. Und Luthers Leiche wird in einer Latrine versenkt, scheinheilig von vielen Katzen beweint, also, wenn man so will, von vielen kleinen „Murners“. Luther tot, Reformation entlarvt und vernichtet, das Buch schafft das, was in Wirklichkeit eben nicht gelingt.

Rücknahme der Sozialkritik

Etwas verbiegen musste sich Murner allerdings in seinem wichtigen Werk. Er hatte in früheren Schriften eine sozialkritische Tendenz verfolgt, hatte die Probleme der feudalen Gesellschaft durchaus gesehen. Nun kämpfte er für die alten Mächte. Da die Missstände jedoch offensichtlich waren, konnte er, um glaubwürdig zu bleiben, es sich nicht erlauben, die von den Reformatoren genannte Sozialkritik zu leugnen. Vielmehr versuchte er, sie zu bagatellisieren. Er kennzeichnet sie als perspektivlos und ohne sinnvolle Zielrichtung. Allenfalls, meint er, könne daraus eine Ordnung entstehen, in der die Reformatoren eigennützige Ziele verfolgen:

„Wir woln einmal auch selbs regieren,
wie das unß dunkt den buntschu schmieren
und haben einen guten mut
mit der reichen Kargen gut.“

Aus Veränderung könne nur Chaos entstehen, meint Murner, und davor warnt er.

Autor des Pamphlets auf der Flucht

Das Werk besteht aus 4800 Versen. Die Silbenzahl folgt nicht der strengen Form mit acht bis neun Silben, wie das etwa zeitgleich Hans Sachs tut, sondern der volkstümlichen Form des Sprechverses, dem es allein auf den Reim ankommt. Die Silbenzahl schwankt also zwischen sechs und elf Silben, ein alternierender Rhythmus wird weitgehend durchgehalten. Alles ist dem Inhalt untergeordnet.

Das Buch wurde schon kurz nach Erscheinen verboten, man begriff schnell seine Sprengkraft, und Murner erging es nicht gut. In Straßburg, das den reformatorischen Ideen zuneigte, durfte er sich nicht mehr sehen lassen, er musste nach Luzern ausweichen, wo er Aufnahme fand und nach neueren reformatorischen Streitigkeiten ebenfalls ausgeliefert werden sollte. Also erfolgte die nächste Flucht, bis er schließlich wieder in seinem Geburtsort ankam, wo er 1537 starb.

Wer 500 Jahre Reformation feiert, sollte auch an einen der profiliertesten Widersacher Luthers erinnern. Mit der Qualität seiner Gegner, das weiß man doch, wächst die eigene Bedeutung. Murner hatte Qualität, und dazu noch ein Schicksal, das er mit vielen Reformatoren teilte.




BVB feuert Tuchel – und nun wabern die Gerüchte

Es kam, wie es (vielleicht nicht) kommen musste: Der BVB hat am Mittag tatsächlich die Trennung von Trainer Thomas Tuchel vollzogen, das Personal-Gespräch soll gerade mal 21 Minuten gedauert haben. Über diese Fehlentscheidung, die sich seit Tagen und Wochen angedeutet hatte, habe ich mich hier schon gleich nach dem Pokalendspiel echauffiert.

Flüchtiger Moment nach dem Pokalfinale: BVB-Geschäftsführer Watzke (hinten) umarmt Trainer Tuchel. (Vom ARD-Bildschirm abgeknipst)

Flüchtiger Moment nach dem Pokalfinale: BVB-Geschäftsführer Watzke (hinten) umarmt Trainer Tuchel. (Vom ARD-Bildschirm abgeknipst)

Jetzt wabern die Spekulationen. Doch egal, woran es nun letztlich gelegen haben mag, ob halt „die Chemie nicht gestimmt hat“ und ob Tuchel für Watzke & Co. etwa kein guter Kartenspielpartner oder Bierkumpan gewesen ist, wie es hie und da geheißen hat: Die Meinungen bei den Fans sind gespalten, wie nie in den letzten Jahren. Es mutet wie eine Zerreißprobe an. Wenn man sich heute in den so gern zitierten „sozialen Netzwerken“ umtut, liest man, dass sich dort vielfach tiefe Enttäuschung Luft macht. Und man fragt sich, wie das nun alles gekittet werden soll. Der Slogan „Echte Liebe“ wird derweil fast nur noch ironisch zitiert.

Außerhalb von Dortmunder Dunstkreisen schütteln sie eh die Köpfe: Wie kann man nur einen Erfolgstrainer so Knall auf Fall entlassen? Es muss wahrlich triftige Gründe geben, die weit über den zuweilen spröden Charakter Tuchels hinaus reichen.

Das wird ein ziemlich teurer Spaß

Das Ganze wird mit Sicherheit ein ziemlich teurer Spaß: Tuchel wird eine mehr als ordentliche, millionenschwere Abfindung erhalten, weil sein laufender Vertrag nicht erfüllt wird. Auch wird man sich beim Angebot für den Nachfolger nicht lumpen lassen dürfen. Das kommt einiges zusammen.

Doch natürlich hat sich die Geschäftsführung in Person von Hans-Joachim („Aki“) Watzke der breiten Gremien-Unterstützung versichert. Also wird Watzke die nunmehr nötigen Beträge wohl nicht aus eigener Tasche bezahlen (haha, bitterer kleiner Scherz meinerseits). Bin allerdings mal gespannt, wie der BVB-Aktienkurs sich jetzt entwickelt…

Apropos Nachfolger. Da kommen jetzt die wildesten Gerüchte auf. Vom Kölner Coach Peter Stöger ist die Rede, auch vom Frankfurter Trainer Nico Kovac, dessen Team gerade noch Gegner im Pokalfinale war. Lucien Favre (Nizza, vormals Mönchengladbach) ist eh seit Wochen im Gespräch.

Jedenfalls kann sich der neue Mann darauf gefasst machen, dass er mit großen Erwartungen befrachtet wird. Platz zwei in der Liga wäre wohl das Mindeste, was man sich von ihm erhoffen müsste, außerdem eine erstklassige „Performance“ in der Champions League. Falls der künftige Trainer sportlich hinter Tuchel zurückbleibt (der laut „Kicker“-Berechnung im Schnitt aller Spiele die meisten Punkte für den BVB geholt hat – sogar mehr als Klopp oder Hitzfeld), werden viele zu maulen beginnen. Und man kann nur hoffen, dass dann kein Dortmunder Trainer-Karussell angeworfen wird.

In der offiziellen Mitteilung des Vereins heißt es übrigens heute u. a.: „Der BVB legt großen Wert auf die Feststellung, dass es sich bei der Ursache der Trennung keinesfalls um eine Meinungsverschiedenheit zwischen zwei Personen handelt. Das Wohl des Vereins Borussia Dortmund, den viel mehr als nur der sportliche Erfolg ausmacht, wird grundsätzlich immer wichtiger sein als Einzelpersonen und mögliche Differenzen zwischen diesen.“

Klingt ein wenig nach Kommuniqué aus dem Kreml, nicht wahr? Und die uralte Leier, dass der Verein größer sei als jeder Einzelne? Ach, Sportsfreunde: geschenkt!

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P.S.: Inzwischen hat sich Hans-Joachim Watzke mit einem „Offenen Brief“ an die BVB-Fans gewendet, der Wortlaut findet sich hier. Es müssen ja auch einige Wogen geglättet werden. Ob’s hilft?




TV-Nostalgie (35): Konversation mit Kitzel – „Je später der Abend“ war 1973 die erste deutsche Talkshow

Dicht beisammen: Moderator Reinhard Münchenhagen (links) 1977 mit den Schauspielern Klaus Kinski (Mi.) und Manfred Krug. Es redete praktisch nur Kinski... (Screenshot aus https://www.youtube.com/watch?v=IHYTE4wiPTg)

Dicht beisammen: Moderator Reinhard Münchenhagen (links) 1977 mit den Schauspielern Klaus Kinski (Mi.) und Manfred Krug. Es redete praktisch nur Kinski… (Screenshot aus https://www.youtube.com/watch?v=IHYTE4wiPTg)

Es war ein prägender Moment der deutschen Fernseh-Historie: Am 18. März 1973 wurde im WDR-Fernsehen (damals: 3. Programm) die erste Sendung ausgestrahlt, die hierzulande ausdrücklich als „Talkshow“ firmierte.

Zur Premiere wurde der unverfängliche Schriftzug „Unterhaltung mit Gästen“ eingeblendet. Gastgeber Dietmar Schönherr versuchte eingangs, dem geneigten Publikum (die Männer im Studio waren noch weitaus mehrheitlich Anzugträger) behutsam zu erklären, woran man mit dem aus den USA herrührenden Format überhaupt sei. Und er musste eingestehen, dass er selbst noch nicht so recht wusste, was eine Talkshow auf Deutsch bedeuten und wozu sie sich entwickeln könnte.

Bloß nicht zu bedächtig

Den US-Amerikanern, so erläuterte Schönherr weiter, gehe ein flottes Wort leichter von den Lippen, als den eher schwerfällig grübelnden Deutschen. Gegen derlei uralte Klischees wollte man also anreden, Schönherr sprach sogar explizit davon, dass man die deutsche Bedächtigkeit „zerstören“ wolle, was nicht zu seiner eher sanften Redeweise passen wollte. Das Konzept war ansonsten noch ziemlich offen, und gerade dieser Umstand sorgte anfangs oft für Spannung und Intensität.

„Je später der Abend“ hieß die Gesprächsrunde mit jeweils drei Gästen, der Titel war dem WDR-Fernsehdirektor Werner Höfer eingefallen. Zur besagten Premiere ließen sich der Dramatiker Franz Xaver Kroetz, der schillernde Staranwalt Rolf Bossi sowie die Krimiautorin Irene Rodrian einvernehmen. Die Atmosphäre war entspannt, doch auch recht gediegen. Zumindest der Auftakt hatte noch viel von dem, was man einst „Konversation“ nannte.

Jelinek und Hoeneß über die Ehe

Freilich war’s Konversation mit ungeahntem Kitzel. Man wollte erkennbar nicht kreuzbrav, sondern locker sein. Und irgendwie politisch bitteschön auch noch. In dieser Form heute nahezu undenkbar: Der Ablauf späterer Sendungen wurde gelegentlich aus dem Publikum heraus rebellierend oder maulend gestört. Lang ist’s her.

Noch in Schwarzweiß: Dietmar Schönherr 1973 in der Premierenausgabe der Talkshow. (Screenshot aus https://www.youtube.com/watch?v=03W879Zlmy4)

Noch in Schwarzweiß: Dietmar Schönherr 1973 in der Premierenausgabe der Talkshow. (WDR – Screenshot aus https://www.youtube.com/watch?v=03W879Zlmy4)

Ich habe mir im Netz ein paar bemerkenswerte Ausschnitte angeschaut, so den Auftritt der noch längst nicht so berühmten Elfriede Jelinek, die extrem andere Ansichten über Ehe und Hausarbeit offenbarte, als ihr ebenso unbedarfter wie treuherzig konservativer Widerpart, der Bayern-Kicker Uli Hoeneß, der nebenher auch über seine Freundschaft mit dem CSU-Chef Franz Josef Strauß plauderte. Ach, wie herrlich…

Das getätschelte Knie

Noch spektakulärer verlief – erwartungsgemäß – das nervtötend egomanische Solo, das Klaus Kinski 1977 in dieser Talkshow hinlegte. Der ebenfalls eingeladene Manfred Krug kam angesichts dieser wüsten Suada praktisch nicht zu Wort. Legendär auch die zunächst seltsam verbittert wirkende Romy Schneider (1938-1982), deren Miene sich allerdings merklich aufhellte, als der virile Autor und Ex-Bankräuber Burkhard Driest neben ihr Platz nahm, den sie hinfort anhimmelte. Dass sie gar sein Knie tätschelte und dabei sagte „Sie gefallen mir, Sie gefallen mir sogar sehr“ – das gehört seit 1974 unverbrüchlich zur bundesdeutschen Medien-Folklore.

Schon der Vorspann sah ein bisschen nach Pop Art aus, rundum waberte Zeitgeist der 70er Jahre – von wallenden Haarlängen auch bei den Männern über exzessiven Zigarettenkonsum während der Sendungen bis hin zu damals typischem Mobiliar und Mode-Torheiten wie etwa Schlaghosen.

Man kann doch über alles reden

Vor allem aber war es die Zeit, in der man offen über alles und jedes zu reden begann, ja, es herrschte geradezu ein Zwang zur möglichst unverblümten Aussprache. Eigentlich kein Wunder, dass Inge Meysel, die vielfach als spießig geltende „Mutter der Nation“, gerade in diesem Umfeld über ihre Entjungferung parlierte. Ein erklärtes redaktionelles Ziel war es ja auch, dass Prominente bis zur seelischen Selbstentblößung gebracht werden sollten.

Doch für derlei provokante Attacken waren die Gesprächsleiter denn doch etwas zu souverän, zu kultiviert und zu human. Die Talkshow, die schon ab Silvester 1973 ins erste Programm übernommen wurde und den attraktiven Platz samstags um 22 Uhr bekam, hatte bis Juli 1978 drei Moderatoren, jeder ein eigenwilliger Charakter, doch samt und sonders auf beträchtlichem Niveau: Dem Miterfinder der Sendung, Dietmar Schönherr (der zuvor bereits u. a. mit „Raumpatrouillle“ und der Show „Wünsch dir was“ TV-Geschichte geschrieben hatte), folgte im Januar 1975 Hansjürgen Rosenbauer, ab Januar 1976 übernahm Reinhard Münchenhagen. Schönherr ging die Sache eher warmherzig an, Münchenhagen fasste verbal schon mal entschiedener zu und ließ sich nicht einmal von Kinski aus der Fassung bringen. Ach, wären doch noch Leute dieses Kalibers auf Sendung!

Einige Eindrücke von „Je später der Abend“ sind noch im Internet greifbar, eine DVD-Edition der besten Gesprächsrunden wäre wünschenswert. Ein gewisses Mindest-Interesse an den 70er Jahren vorausgesetzt, kann man den Gesprächen noch heute gespannt oder gar gebannt folgen. Fachfrage: Für welche Talkshow gilt das heutzutage noch?

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Mit diesem Beitrag greifen wir in loser Reihung eine altgediente Revierpassagen-Serie wieder auf.

Hier die Themen der vorherigen Folgen:
“Tatort” mit “Schimanski” (1), “Monaco Franze” (2), “Einer wird gewinnen” mit Hans-Joachim Kulenkampff (3), “Raumpatrouille” (4), “Liebling Kreuzberg” mit Manfred Krug (5), “Der Kommissar” mit Erik Ode (6), “Beat Club” mit Uschi Nerke (7), “Mit Schirm, Charme und Melone” (8), “Bonanza” (9), “Fury” (10).

Loriot (11), “Kir Royal” (12), “Stahlnetz” (13), “Kojak” (14), “Was bin ich?” (15), Dieter Hildebrandt (16), “Wünsch Dir was” (17), Ernst Huberty (18), Werner Höfers “Frühschoppen” (19), Peter Frankenfeld (20).

“Columbo” mit Peter Falk (21), “Ein Herz und eine Seele” (22), Dieter Kürten in “Das aktuelle Sportstudio” (23), “Der große Bellheim” (24), “Am laufenden Band” mit Rudi Carrell (25), “Dalli Dalli” mit Hans Rosenthal (26), “Auf der Flucht” (27), “Der goldene Schuß” mit Lou van Burg (28), Ohnsorg-Theater (29), HB-Männchen (30).

“Lassie” (31), “Ein Platz für Tiere” mit Bernhard Grzimek (32), „Wetten, dass…?“ mit Frank Elstner (33), Fernsehkoch Clemens Wilmenrod (34)

Und das Motto bei all dem:
“Man braucht zum Neuen, das überall an einem zerrt, viele alte Gegengewichte.” (Elias Canetti)




Viele, liebe, beste, schöne, freundliche, herzliche Grüße: Die etwas unklare Rangordnung der Grußformeln

Handschriftlich wirkt es sowieso anders...

Handschriftlich wirkt es sowieso anders…

Gibt es eine Art Hierarchie der schriftlichen Grußformeln? Inwiefern liest sich und klingt die eine vielleicht eine Spur freundlicher als die andere? Und was geht wirklich zu Herzen?

Bevor wir zur Sache schreiten: „Moin“ läuft außer Konkurrenz und ist auf seine lakonische Art eh unübertrefflich. Gepriesen seien die Friesen. Allerdings kann man das Wörtchen nicht unter jede Korrespondenz setzen. Schade eigentlich.

Abkürzungen wirken eher achtlos

Eine sehr gängige, zuerst wohl von Frauen und heute allgemein verwendete Formel lautet „Liebe Grüße“. Sie hört sich immer ein wenig harmlos an. Man versichert treuherzig: „Ich bin ganz lieb und tu dir nichts zuleide.“ Die Abkürzung LG wirkt hingegen eher wie eine gar zu rasche Pflichtübung und könnte auch Leichtathletik-Gemeinschaft bedeuten.

„Mit freundlichen Grüßen“ oder die angeblich modernere Variante „Freundliche Grüße“ kommen am häufigsten vor, es handelt sich mithin um die schiere Üblichkeit und abgespeicherte Routine. Das schreibt sich einfach so hin. Gedankenlos. Man kann damit nichts falsch machen, gewinnt damit niemanden zum Freund oder schon gar nicht zum Feind. Es bleibt die schwer zu beantwortende Frage, ob die Einzahl („Mit freundlichem Gruß“) eine kaum spürbare Minderung darstellt. Die Abkürzung „MfG“ wiederum kommt achtlos daher.

Gibt es auch unschöne Grüße?

Ziemlich unentschieden im Mittelfeld der Zu- und Abneigungen bewegt sich die Floskel „Beste Grüße“, mir erscheint sie immer ein wenig wie eine Ausflucht. So richtig verbindlich ist sie nicht. Gibt es denn eigentlich auch zweit- und drittbeste Grüße? Und wie verhält es sich mit den schlechteren und schlechtesten Grüßen? Ähnliche Fragen nach weniger schönen, unschönen und hässlichen Grüßen könnte man auch angesichts der Wendung „Schöne Grüße“ stellen; wenn man denn ein pedantischer Misanthrop wäre und alles, aber auch alles mit dem Gift seines Zweifels…

Mit Umarmungs-Gestik kommen „Herzliche Grüße“ daher, man soll sich als Adressat just ins Herz geschlossen fühlen. Jedem Dahergelaufenen würde man solche Grüße wohl nicht entbieten wollen. Manche unterzeichnen ihre Schreiben einfach mit „herzlich“ oder sogar „herzlichst“, was oft ein wenig übertrieben anmutet. Und wenn man mit „in Liebe“ unterfertigt, schwebt man eh auf Wolken.

Die Menge macht es nicht allein

Wer „Viele Grüße“ sendet, will vielleicht mit der bloßen Menge überwältigen. Wobei die Zahl der „vielen“ Grüße ja sehr unbestimmt bleibt. Vielleicht sind es nur neun oder dreizehn Grüße, wer weiß. Aber wer wird denn heute noch altfränkisch formulieren „Es grüßt vieltausendmal…“?

Kleiner Exkurs: Ziemlich lau hört sich die (eher gesprochene als geschriebene) Formel „Grüß Dich!“ an. Ja, was denn sonst? Man grüßt, indem man sagt, dass man grüßt… Brieflich entspricht dem ungefähr „Es grüßt Sie…“ Da sind ja die weithin nur noch leicht ironisiert verwendeten „Grüß Gott“, „Gott zum Gruße“, „Grüezi“ oder „Servus“ noch prägnanter.

Im Revier darf’s auch „Glückauf“ sein

Vom möchtegernwitzigen, elend ausgelutschten „Grüß Gott, wenn du ’n siehst…“ sehen wir mal ganz ab, wohingegen gerade im Ruhrgebiet ein regional traditionssattes „Glückauf“ durchaus angebracht sein kann.

Wenn wir schon bei Regionen sind: „Mit freundlichen Grüßen aus der Hauptstadt Berlin“ ist womöglich eine Ich-zentrierte Anmaßung. Wie es ganz richtig in einem Internet-Ratgeber heißt, dürfte dabei ein Subtext mitschwingen: „Ich grüße dich, den Provinzheini, aus meiner glanzvollen Metropole.“ Mehr auf den Empfänger bezogen, könnte es hingegen auch heißen „Mit freundlichen Grüßen nach Hamburg“ oder gar „Mit freundlichen Grüßen ins sonnige Freiburg“. Andere Orte dürfen jederzeit sinngemäß eingesetzt werden.

Die so ziemlich unfreundlichste Variante, welche ausgesprochen harsch und unwirsch sich anhört, lautet schlichtweg: „Gruß“. So barsch wie ein militärischer Befehl, eher gebellt als gesagt. Wenn das unter einem Brief steht, hat man auch zuvor nichts allzu Freundliches gelesen; eher schon Dinge, die nachher mit der Rechtsschutzversicherung geregelt werden könnten.

Höfisch und höflich

Zu untersuchen bliebe beispielsweise, ob wir im Deutschen weniger Möglichkeiten zum fein differenzierten Grüßen haben als Länder, in denen Adel und Monarchie noch länger oder intensiver eine prägende Rolle spiel(t)en.

Nicht von ungefähr klingen höfisch und höflich verwandt. Tatsächlich gibt es noch jene wohlerzogenen Zeitgenossen, darunter auch ein mir bekannter Rechtsanwalt, die unter ihre Briefe/Mails ein gar zierliches „Höflich grüßt…“ ziselieren. Andere Rechtsvertreter dürfte er wohl „Mit kollegialem Gruß“ bedenken.

Was der Bundeskanzlerin zusteht

Wir erinnern uns leicht gequält an die früher noch viel gebräuchlichere Wertmarke „hochachtungsvoll“ (die bei weitem nicht immer für bare Münze zu nehmen war) und steigen nunmehr einige Stufen auf der gesellschaftlichen Leiter hinauf. Im Wikipedia-Artikel über Grußformeln, in dem es auch heißt, „hav“ sei eine gängige Abkürzung für „hochachtungsvoll“ gewesen, habe ich gefunden, dass unter einem Schreiben an den Bundespräsidenten (falls man ihm denn mal ein paar Zeilen schicken möchte) gefälligst „vollkommene Hochachtung“ zu stehen hat.

Der Bundeskanzlerin, dem Bundestagspräsidenten sowie dem Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts – Frauen bitte immer mitdenken – stünde derweil dienstgradmäßig „ganz ausgezeichnete Hochachtung“ zu. Bei einem Bundesminister oder Ministerpräsidenten ist es nur noch die „ausgezeichnete Hochachtung“, anderen hohen Amtsträgern käme „vorzügliche“ oder „besondere“ Hochachtung zu. Wäre man denn ein Spezi solcher Hochgestellten, könnte man bei eher privaten Angelegenheiten vielleicht „In (alter) Verbundenheit“ hinsetzen.

Schachspieler und Piloten

Ehedem standen derlei Feinheiten vor allem in so genannten „Briefstellern“, in denen man formvollendete Muster vorfand. Eine zunächst noch halbwegs ehrfürchtig, hernach mit viel Spott quittierte Kindheits- und Jugendlektüre hieß zu unserer Zeit „Der gute Ton“. Auch darin standen solche Sachen, die man heute kaum noch nachvollziehen kann, auch wenn immer mal wieder eine Renaissance des Benimms ausgerufen wird.

Apropos: Bei Wikipedia gilt als „veraltete Grußformel“ die folgende: „Mit größtem Respekt und bewundernder Hochachtung verbleibe ich in demütiger Hoffnung…“ Soll man sich heute so devot an ein rabiates Inkasso-Unternehmen oder an Schutzgeldeintreiber wenden? Schlechten Scherz beiseite.

Wie fast bei allen Themen, so öffnet sich auch hier bei näherem Hinsehen ein gar weites Feld, das jederzeit auf Buchstärke anwachsen könnte. Was ist beispielsweise mit speziellen Formen wie „Mit sozialistischem Gruß“, „Mit schachlichem Gruß“, „Glück ab, gut Land“ (Piloten) oder gar „vy 73“ (angeblich unter Funkamateuren üblich)?

Und wie sehen eigentlich zeitgemäße bzw. modische Grüße aus? Spontan fallen mir „Die Macht sei mit Dir“ oder „Keep calm and carry on“ ein. Den schmalen Rest mögt ihr Euch selbst ausmalen.

Und so verbleibe ich mit den besten Empfehlungen Euer

Bernd Berke

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P. S.: Ein Unternehmer (Kaffeebranche), bei dem ich vor Jahr und Tag mal überteuert zur Miete gewohnt habe, gab mir morgens immer seine – übrigens stets bissig erzkonservativen – Leserbriefe mit auf den Weg zur Zeitung. E-Mail hatte man damals noch nicht. Als Anrede (ein Thema für sich) an mich schrieb er immer „SGH Berke“, was „Sehr geehrter Herr“ heißen sollte, aber formell nahezu aufs Gegenteil hinauslief. So viel zum Thema: Kann man jemanden mit Gruß- und Anredeformeln düpieren?




Journalist damals: Möblierter Herr mit mechanischer Schreibmaschine

„Wie war das Leben ehedem / als Journalist doch angenehm.“ Dieser soeben flugs erfundene, allerdings recht wilhelmbuschig oder nach Heinzelmännchen-Ballade klingende Reim stimmt natürlich inhaltlich nicht, aber ein paar Dinge waren damals doch besser. Oder halt anders.

Zepter und Reichsapfel (alias Typometer und Rechenscheibe) als frühere Insignien der Zeitungsredakteure. (Foto: BB)

Zepter und Reichsapfel (alias Typometer und Rechenscheibe) als frühere Insignien der Zeitungsredakteure. (Foto: BB)

Jetzt erzähl ich euch mal was aus der Bleizeit, jedoch quasi impressionistisch, wie es mir gerade in den Sinn kommt:

Zeitungs-Volontär war ich mit knapp 20 Jahren, bereits vor dem Studium. Damals ging so etwas noch. Ich habe etwa 600 DM (Deutsche Mark) im Monat verdient, es gab jede Menge Abendtermine, lediglich 14 Tage Jahresurlaub und für allfällige Sonntagsarbeit noch keinerlei Freizeitausgleich.

Für die paar Kröten…

Mit anderen Worten: Für die paar Kröten hat man aber so richtig geschuftet – bei der „Westfälischen Rundschau“ (WR) damals letzten Endes für die Kassen der SPD, die WAZ-Gruppe ist erst später eingestiegen. In seinen frühen Zwanzigern hielt man Frondienste dieser Sorte noch klaglos aus; zumal man ja glaubte, den Job für alle kommenden Zeiten sicher zu haben.

Ich fand es sogar aufregend. Meine allererste Meldung mit Cicero-Zeile, meine allererste Reportage, meinen allerersten Gerichtsbericht, meine allererste Theaterkritik (zunächst lokalen Ausmaßes). Alles war noch so neu und frisch. Fotos durfte man ebenfalls machen und in abgedunkelten Hinterzimmern oder dito Toiletten selbst entwickeln. Toll.

Von Ort zu Ort

Man war als „Volo“ gehalten, alle paar Monate von Ort zu Ort zu wechseln (in meinem Falle waren das: Olpe, Ennepetal/Gevelsberg, Hamm, Ahlen mit Zwischenstationen in Dortmund und Wanne-Eickel – ich sag’s euch) und wohnte dort jeweils residenzpflichtig in möblierten Zimmern, die der Verlag angemietet hatte. Ja, ich bin als Jungspund in den frühen 70er Jahren tatsächlich noch ein „möblierter Herr“ gewesen. Schon damals hatte es etwas Vorgestriges.

Andererseits sind Journalisten zu jener Zeit von diversen Institutionen noch ein wenig hofiert und umgarnt worden, auch gab es prozentual und absolut ungleich mehr Zeitungsleser, die überdies noch etwas mehr Respekt hatten. Wir „Zeitungskerle“ (so mein altvorderer Kollege Charly P.) galten noch etwas, jedenfalls auf lokaler Ebene. Da gab’s vielleicht schon mal einen erzürnten Leserbrief, aber keine wüsten Beschimpfungen, erst recht keinen „Shitstorm“ oder gar Drohungen wie hie und da jetzt.

Klare Partei-Präferenzen

Der Deutsche Journalistenverband (DJV) hat kürzlich in seinem Newsletter aus einer Studie über die erschreckenden Erfahrungen zitiert, die viele Kollegen heute, in den Zeiten des „Lügenpresse“-Gegröles, damit machen müssen. Früher waren solche Zustände undenkbar.

Als WR-Redakteur hielt man es damals tunlichst eher mit den Sozialdemokraten. Ruhrnachrichten und Westfalenpost galten hingegen als CDU-nah. Wie hübsch die Präferenzen damals noch verteilt waren… Und damit es nur deutlich gesagt ist: Journalisten fungierten in dieser anscheinend klar gegliederten Welt zuweilen auch als nützliche Idioten, als Erfüllungsgehilfen der Polit-Darsteller ihrer jeweiligen Couleur. Manchmal ging es vollends unverblümt her: Ein WR-Lokalchef war zugleich SPD-Ratsherr – in der Nachbarstadt, so dass er wenigstens nicht über sich selbst berichten musste.

Zigaretten zur Selbstbedienung

Jedenfalls war es in den 70ern und bis in die frühen 80er hinein noch üblich, dass bei so manchen lokalen Pressekonferenzen Kästchen mit Zigaretten zur gefälligen Selbstbedienung auf dem Tisch standen. Geraucht wurde immer und zu jeder Gelegenheit. Der eine oder andere Kollege verließ den Termin nicht, ohne den notorischen „Journalisten-Rollgriff“ angewendet zu haben, sprich: Er nahm noch einige zusätzliche Zichten als Wegzehrung mit. Wie hatte Kurt Tucholsky in den 20er Jahren schon geschrieben: Journalismus sei ein Beruf, den man (nur) mit der Zigarette im Mundwinkel ausüben könne.

Grundnahrungsmittel Bier

Hinzu kam, bevor die Computer Einzug hielten und die Korrektoren eingespart wurden, als tägliches Grundnahrungsmittel mindestens das Bier. Gelegentlich ging es damit schon (oder erst?) mittags los, wenn andere Berufe schon ihren Grundpegel erreicht hatten. Die mit der mechanischen Schreibmaschine gehackten und per Kurier oder Regionalzug zur Zentrale geschickten Manuskripte wurden ja dort allesamt noch mehrfach überprüft. Was sollte also schon passieren? Noch Mitte der 80er Jahre gab es vereinzelt Ausstellungs-Vorbesichtigungen, zu denen stilvoll und kultiviert Cognac gereicht wurde, was allerdings auch mit der Disposition gewisser Museumsleiter zu tun hatte. Zum Wohle? Nun ja. Wie man’s nimmt.

In New York verwöhnt

Heute ziemlich undenkbar wäre auch ein Kulturtermin, der die seinerzeit noch zahlreicheren Regionalblätter von Nordrhein-Westfalen mit einem beachtlichen Tross nach New York führte und aus dem Etat des Düsseldorfer Kulturministeriums bestritten wurde. Einziger Anlass war ein bevorstehendes NRW-Kulturfestival im Big Apple, von dem unsere Leser eigentlich herzlich wenig hatten. Doch man verwöhnte uns geradezu korrumpierend mit Linienflug, Unterkunft in einem noblen Hotel und einem hochinteressanten Programm, das vom Besuch bei der New York Times bis zum eigens polizeilich geschützten Trip durch die seinerzeit so gefährliche Bronx reichte. Als das Land NRW noch glaubte, Geld freihändig ausstreuen zu können…

Auch hättet ihr gestaunt, wenn ihr gesehen hättet, was in der Vorweihnachtszeit an Firmen-Präsenten in unserer Wirtschaftsredaktion eingetroffen ist. Die Kollegen konnten die Gaben schwerlich zurückschicken, machten das Beste daraus und organisierten alljährlich eine Verlosung, zu der sich auch noch unsere betagten Rentner bemühten.

Aber ich verplaudere mich.

Verdichtung der Arbeit

Spätestens seit Anfang der 80er wurde die gesamte Zeitungsbranche mit Aufkommen der Computer recht zügig diszipliniert. Die Arbeit verdichtete sich zusehends, man schrieb nicht nur, sondern war nun auch gleichzeitig Layouter, Setzer, Korrektor und Schlussredakteur. Irgendwann war es so weit, dass man sich keine Mittagspausen mehr erlauben konnte, sondern nur noch hastig etwas nebenbei verschlang. Die Leute, die in den Beruf nachrückten, waren im Schnitt stromlinienförmiger als ihre älteren Kolleginnen und Kollegen. Vorher gab es noch Typen. Typen…




Stand jetzt ziemlich „humorlos“ – Notizen zum TV-Fußballjargon

Über die gängigen Floskeln der Fußball-Kommentatoren im Fernsehen kann man sich – je nach Laune – immer wieder amüsieren oder echauffieren. Hier sind ein paar neuere Standard-Wendungen, die ich mir in letzter Zeit geflissentlich notiert habe:

"Der hat ein anderes Spiel gesehen als ich." (Verfremdeter Screenshot aus dem Dortmunder Stadion)

„Der Blindfisch hat ein anderes Spiel gesehen als ich.“ (Verfremdeter Screenshot einer Begegnung im Dortmunder Stadion)

Gilt es ein Foul zu bewerten, heißt es vom Reporterplatz aus gern: „Da gibt es keine zwei Meinungen“. Diese Verfügung im nahezu diktatorischen, jedenfalls keinen Widerspruch duldenden Gestus bedeutet, dass der Kommentator genau und unwiderleglich weiß, ob es regelwidrig zugegangen ist oder nicht. Könnte der Schiedsrichter ebenfalls Zeitlupen aus einem Dutzend Blickwinkeln begutachten, wäre er vielleicht ebenso oberschlau. Wenn’s denn überhaupt stimmt, was der rundum bildversorgte Fernsehmann gesehen haben will.

„Mit allem, was er hat“

Ein kompromissloser Abwehrspieler wird seit einigen Jahren bevorzugt als „humorlos“ bezeichnet. Auch seine entschlossene Grätsche ist „humorlos“. Wer also Mist baut und dem Gegner dadurch unnötige Chancen gestattet, besäße im Umkehrschluss beträchtlichen Humor. Wat hammwer da gelacht! Apropos Abwehrspieler, einige Kommentatoren gefallen sich öfter mal in der erlesenen Formulierung, einer gehe „mit allem, was er hat“ in die Szene `rein. Das muss man sich im Vortrag mit einem ganz leicht gekräuselten Grinsen vorstellen. Wie denn überhaupt weichgespülte Ironie zur Grundausstattung gehört.

Diverse Sprecher gelangen freilich eh kaum über ein pures Nachplappern dessen hinaus, was man als Zuschauer mit eigenen Augen sieht. Man möchte unentwegt „Ach was!“ murmeln: Kommt einer nicht an den Ball, sagen sie „Er kommt nicht `ran“, stehen Widersacher seinem Schuss im Wege, heißt es, er sei „geblockt“ worden. Segelt eine Flanke etwas zu weit, ist sie „gut, aber nicht gut genug“. Verfehlen Pässe ihr Ziel, mangelt es an „Präzision“. Greift eine Mannschaft an, steht sie „hoch“, zieht sie sich nach hinten zurück, steht sie „tief“. Welch‘ ein (tief)sinnig ausdifferenziertes Fachvokabular… Vorteil: Bei solchen Nullformeln kann man vielfältig andocken und zu (un)passender Gelegenheit auch mal Bescheidwisser-Schenkelklopfer wie etwa Mentalitätsmonster“ oder „Feierbiest“ einstreuen.

Als man noch von „Granaten“ sprach

Der wohl schlimmste Mikrophonquäler von allen, den ich hier nicht namentlich nennen mag (er labert für einen Bezahlsender drauflos) und mit dem verglichen selbst Béla Réthy, Tom Bartels oder Gerd Gottlob wahre Leuchten ihrer Zunft sind, überbrückt die Zeit mit Bemerkungen des Kalibers, dass es dieser (oder eben jener) Mannschaft gefallen würde, wenn sie z.B. noch ein, zwei Tore macht, die Punkte holt und gewinnt. Man hält es nicht für möglich. Da sehnt man sich heftig zurück nach einem Ernst Huberty, der auch mal eine ganze Strecke schweigen konnte. Okay, wenn dann ein entscheidendes Tor fiel, war er auch nicht vollends aus dem Häuschen. Aber das konnte man verschmerzen. Ein paar Emotionen brachte man ja selbst mit.

Immerhin knödeln sie alle heute längst nicht mehr im martialischen Jargon von früher, als stets von Bomben und Granaten die Rede war und der erfolgreichste Stürmer als „Bomber der Nation“ bezeichnet wurde. Bis tief in die 70er Jahre hinein ging das so. Es war die Zeit, als der eine oder andere tyrannische Trainer noch geschrien haben soll: „Ihr müsst Gras fressen“. Dies und das pathetische Wochenschau-Tremolo der 50er Jahre, in denen der Krieg noch nachzitterte, brauchen wir erst recht nicht mehr.

Es kommt auf die Sekunde an

Statt dessen bequatschen uns jetzt Sprachverweigerer, die nicht mehr „nach jetzigem Stand“ sagen können. Die allermeisten sagen immer nur „Stand jetzt“, auch dann, wenn es z. B. um Transfergerüchte geht. Auch bringen sie nicht „die erste Halbzeit“ über die Lippen, sondern immer nur „Halbzeit eins“ oder „Minute zehn“, um nur ja keine Sekunde zu verschenken. Die gewonnene Zeit füllen sie sodann mit aberwitzigen Statistiken. Oder sie weisen schon mal wortreich auf die anschließende „Analyse“ respektive auf eine selbstverständlich hochkarätige Expertenrunde hin, in der uns diese eben gesehene (läppische) Szene „noch lange beschäftigen“ werde.

Wo wir schon bei Minuten sind: Wenn es auf die Nachspielzeit zugeht, gibt es bei diesen Herrschaften immer zwei oder drei Minuten „oben drauf“, niemals „zusätzlich“. Pardon, ich habe eine Ausnahme vergessen: Für Bayern München gibt’s bei Bedarf natürlich mindestens 8 Minuten „oben drauf“.

Jaja, schon klar, man möchte mit diesen sich überaus wichtig nehmenden Leuten (außer womöglich beim Gehalt) auch nicht unbedingt tauschen. Unter dem Druck eines Millionen-Publikums würde jede(r) von uns gelegentlich Unsinn verzapfen. Doch was sind das für Zeiten, in denen man den arroganten und manchmal parteiischen, doch immerhin deutlich sprachbegabten Marcel Reif wieder am Mikro haben möchte? Vom unvergleichlichen Ruhri Werner Hansch mal ganz zu schweigen. Aber seit er das selbst zu sehr weiß, nervt auch er gelegentlich.

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Nachträge (werden gelegentlich aktualisiert)

„Gute Bewegung“ (Wenn einer am Gegner vorbeikommt)
„Das war kein Freistoß für die Geschichtsbücher.“
Der Ball wird „durchgesteckt“.
„Ein emotionaler Moment“ (Inflationär gebräuchlich, wenn etwas nicht ganz gleichgültig ist)

Das neueste Ding der Sport-Kommentatoren ist es, den mächtig intellektuell klingenden Begriff „Momentum“ einzustreuen. Spieler nutzen demnach nicht mehr den richtigen Moment, sondern das Momentum. Es ist zu erwarten, dass demnächst auch „Telos“ und „Kairos“ verwendet werden.

„Fix“ (Eher in Print-Produkten gebräuchlich. Bezeichnet in aller Kürze einen unzweifelhaft geschlossenen Vertrag bzw. erfolgten Transfer. Weiß der Teufel, wer zuerst darauf gekommen ist.)




Ernst Huberty wird 90 Jahre alt – Er stand für Fußball-Kommentare mit gedämpften Emotionen

TV-Legende Ernst Huberty (Screenshot aus: http://www.youtube.com/watch?v=VmYQEJ_Ww8E)

TV-Legende Ernst Huberty (Screenshot aus: http://www.youtube.com/watch?v=VmYQEJ_Ww8E)

Ernst Huberty, der legendäre ARD-Sportjournalist („Mister Sportschau“), wird heute 90 Jahre alt. Aus diesem Anlass noch einmal der Beitrag, der im Juni 2014 über ihn in der Revierpassagen-Reihe „TV-Nostalgie“ erschienen ist:

Wenn man Béla Réthy, Tom Bartels, Steffen Simon und Co. über Fußball palavern hört, dann sehnt man sich manchmal zurück in die alten Zeiten eines Kurt Brumme, Rudi Michel – oder Ernst Huberty. Wie nüchtern und abgeklärt wirkte das, verglichen mit heute.

Beispielsweise im Vorfeld der Fußball-WM in Brasilien fiel es 2014 wieder besonders auf, welch ein Geschrei inzwischen um den Fußball gemacht wird. Im Laufe eines Spiels werden alle möglichen und unmöglichen Statistiken geliefert, auch gibt’s schon mal neckische Anspielungen auf halb private Umtriebe der Kicker. Mal ganz abgesehen von der umfangreichen Vor- und Nachberichterstattung. Das alles war in den alten Zeiten undenkbar.

„Ausgerechnet Schnellinger“

Man höre sich noch einmal (leider nur in Ausschnitten möglich) Ernst Hubertys Fernsehkommentar zum sogenannten „Jahrhundertspiel“ zwischen Italien und Deutschland bei der Fußball-WM 1970 in Mexiko an. Lange wogte die legendäre Begegnung hin und her, es ging in eine Nerven zerreißende Verlängerung. Schließlich gewann Italien mit 4:3.

Man mag sich gar nicht ausmalen, wie heutige Sprecher bei einem solchen Match simulieren würden, dass sie von einer Ohnmacht in die andere fallen. Ernst Huberty, ab 4. Juni 1961 über Jahrzehnte der „Mister Sportschau“ der ARD (als noch keine private Konkurrenz drohte), blieb hingegen die Ruhe selbst. Ein leise, aber irgendwie doch intensiv dahingesagtes „Ausgerechnet Schnellinger“ markierte schon einen Gipfel der Gefühle.

Keine starken Gefühle zeigen

Tatsächlich wurde damals ja auch noch langsamer gespielt, so dass Huberty und Kollegen die Ballstaffetten sehr gemächlich mit bloßer Namensnennung abhaken konnten. Wenn überhaupt. Fiel ein Treffer, so reichte meist ein lakonisches „Und Tor.“ Oder dergleichen. Während des Spiels wurde oft einfach geschwiegen. Es gibt ja auch nicht immer was zu schwätzen.

Selbst das WM-Finale von 1966 (England – Deutschland 4:2) rang Rudi Michel nur begrenzte Emotionen ab. Jedenfalls trug er sein Herz nicht auf der Zunge, nicht einmal beim berühmten „Wembley-Tor“ (oder eben Nicht-Tor). „Das wird wieder Diskussionen geben“, sagte er, äußerlich seelenruhig, innerlich aber wohl bewegt. Männer durften damals noch immer keine allzu deutlichen Gefühle zeigen. Metallisch dröhnende Töne wie noch 1954 waren freilich auch nicht mehr erwünscht.

Wohltuend unaufgeregt oder langweilig?

Die Sprecher der 60er und 70er Jahre klingen für heutige Empfinden einerseits wohltuend unaufgeregt. Andererseits bringt man die Geduld für einen solchen Stil gar nicht mehr auf. Je nach Gemütszustand, möchte man Ernst Huberty am liebsten nachträglich schütteln: „Nun reg’ dich doch endlich mehr auf! Nun lass doch mal deinen Empfindungen freien Lauf!“

Es müsste mal einer ein Buch darüber schreiben, wie sich die Fernseh-Fußballreportage seit Hubertys Zeiten grundlegend verändert hat, mit Zwischenstationen wie Heribert Faßbender oder Gerd Rubenbauer – und wie sie alle hießen.

Ein Extra-Kapitel könnte man der Entwicklung widmen, dass gesellschaftliche Befunde anhand des Fußballs dingfest gemacht werden – und dass neuerdings auch mehr oder weniger subtiler Humor in Sachen Fußball erlaubt ist. Man vergleiche etwa den betulich ernsten „Kicker“ mit dem quicken und hellwachen Blatt „11 Freunde“…

Der Mann mit dem „Klappscheitel“

Ernst Huberty, der Mann mit dem unvergleichlichen „Klappscheitel“, hatte seine Laufbahn in den späten 50er Jahren begonnen. Als WDR-Sportchef und Moderator der Sportschau wurde er 1982 abgelöst, weil er es mit Spesenabrechnungen nicht so genau genommen haben soll. Man schob ihn ins dritte Programm ab.

1990 sprang Huberty beim noch neuen Bezahlsender Premiere ein und gab nebenher jungen Talenten wie Johannes B. Kerner oder Reinhold Beckmann Tipps. Doch da waren die alten Zeiten schon vorbei – und das unaufhörliche Geschrei über Fußball hatte begonnen.




„Zierkissenpest“ und schlechte Leselampen – David Wagners „Ein Zimmer im Hotel“

Zimmer im Hotel„Ein Zimmer im Hotel“ ist für die einen ein Zuhause auf Zeit, für andere eine Durchgangsstation, aber immer ist es ein Ort, an dem der Reisende fern der Heimat ein kleines Stück Geborgenheit zu finden hofft. Über hundert Miniaturen hat Schriftsteller David Wagner zusammen getragen, in deren Mittelpunkt Hotelzimmer stehen.

All diesen Räumen, die Wagner in den letzten drei Jahren während seiner (Lese)Reisen durchlebt und zum Teil auch durchlitten hat, setzt er in seinem neuen Buch ein literarisches Denkmal. Es sind kurze Skizzen, die ihren Fokus nur auf einige wenige, aber wesentliche Dinge richten, die den Charakter des jeweiligen Zimmers pointiert beschreiben. Mal ist es die „Zierkissenpest“, mal das zu „einem Dreieck eingefaltete erste Blatt einer Toilettenpapierrolle“, von dem er sich fragt, welche Botschaft dies dem Gast vermittelt. Mit knappen Worten schafft es Wagner, durch diese räumlich so eng begrenzten Ansichten ungewohnte Einsichten in den in der Literatur so beliebten Kosmos Hotel zu vermitteln.

Für David Wagner (geboren im Rheinland, lebt in Berlin) ist es immer wieder eine spannende Frage, was ihn erwartet, sobald er den Hotelschlüssel in der Hand hat. Diese Spannung teilt der Leser nach wenigen Abschnitten mit ihm. Man liest den Hotelnamen, hat eine leise vorurteilende Vorstellung, welche manchmal bestätigt, manchmal widerlegt wird.

Vielleicht findet man sich im Prunk vergangener Tage wieder, vielleicht auch nur im Ambiente eines Möbelhauses auf der grünen Wiese. Mit Wagner fühlt man sich gestört von unablässig blinkenden Lichtern an Digitaluhren, stört sich mit ihm an blonden Haaren des Vorgängers auf grünen Samtbezügen, fragt sich irritiert, wieso manche Duschkabinen mitten im Zimmer stehen und ob es ein Qualitätsmerkmal ist, wenn Ohrenstöpsel ausliegen.

Wagner wertet nicht, er beschreibt lediglich das Erlebte. Nichts liegt ihm ferner, als sich in die Riege der Hoteltester von Reiseportals Gnaden einzureihen. Das Äußerste, was er sich erlaubt, ist Verwunderung. Gleichwohl sind seine Miniaturen sicher nicht nur interessant für den Reisenden, sondern könnten auch gut als Anregung für die dienen, die heutzutage den Reisenden eine Herberge geben.

Der Stil ist dabei bewusst nüchtern, fast im Duktus einer Gebrauchsanweisung. Der einzig wertende Schluß, den er zieht: Die Qualität eines Hotels erkennt man darin, ob Bleistifte oder Kugelschreiber ausliegen. (Die mit Bleistift sind besser. Bleistifte korrespondieren für gewöhnlich mit Holzböden, Kugelschreiber gibt es eher in den Zimmern mit den wild gemusterten Teppichböden, in denen Flecken schon eingearbeitet zu sein scheinen).

Die präzisen Beobachtungen lassen die Geschichten, die hinter den Zimmern stehen, nur erahnen, aber es ist genau diese Detailtreue, die letztendlich doch soviel mehr erzählt, als es die eigentliche Geschichte je könnte. Wagner beobachtet und beschreibt Unspektakuläres. Die komischen Momente, aber auch die melancholischen ergeben sich ganz von allein. Genau dadurch weckt er beim Leser den Wunsch, seine Umgebung näher zu betrachten und zu hinterfragen.

Da ist es dann letztlich auch in der Tat egal, ob hinter dem Buch eher der Wunsch nach poetischer Alltagsbeobachtung steht, für die Wagner schon in seinen vorhergehenden Werken ausgezeichnet wurde oder ob es einfach nur literarische Zusatzverwertung ist, der Wunsch, wenigstens etwas Kreatives aus seinen Lesereisen mitzunehmen.

Der Autor sagt offen, dass ihm bis zum Schluss nicht klar wird, welche Details in den Zimmern welche Gefühle in ihm hervorrufen. Klar ist, dass er sich manchmal auch sehr verloren fühlt. Der Kampf gegen Klimaanlagen, schlechte Leselampen, fehlendes Internet lässt ihm oft genug nur die Option eines voyeuristischen Blicks nach draußen. Genau damit bleibt auch die Frage offen, ob ihm die unbekannte Umgebung Angst macht oder ob ihm schlicht die Zeit für weitere Erkundungen fehlt.

Der einzige längere Absatz im Buch, der neben dem Zimmer auch die Außenwelt thematisiert, enttäuscht jedenfalls. Den Leser, aber wohl auch den Autor. Er verbringt eine längeren Zeitraum in Bad Aussee und wagt sich dort auch in die Natur, von der er gar nicht weiß, wo und warum genau er da Schönheit suchen soll, die er auch eher uninspiriert beschreibt. Unsicherheiten werden gewahr, Unsicherheiten, die in einem Hotelzimmer so schnell dann doch nicht aufkommen. Mal abgesehen von der Verunsicherung, die ihn bei so manch ausliegender Lektüre überkommt. Von einer antiquarischen Madame Bovary über Aufklärungsschriften aus dem letzten Jahrhundert bis zur Kulturgeschichte der Unterwäsche ist alles dabei. Wagners Miniaturen wären da sicherlich eine schöne Ergänzung für die Nachtkästen der Hotels dieser Welt.

David Wagner: „Ein Zimmer im Hotel. Miniaturen.“ Rowohlt Verlag, 121 Seiten, €18,95
(Die Hotels samt Besuchsdaten sind im Anhang vermerkt. Herdecke war übrigens die einzige Station in der Ruhrregion).




Irrtum oder Plagiat? – Eine winterliche Spurensuche zwischen Goethe und Rosenkohl

Wir beginnen womöglich mit einem Goethe-Zitat, welches von winterlichen Verhältnissen kündet:

„Mir kommen diese Wintertage manchmal wie seltsam helle Nächte vor, in denen die Sonne zum Mond mutiert, in denen durcheinandergerät, was scheint und was beschienen wird. Vielleicht braucht es solche Tage, die wie Nächte sind, damit uns in einem erfrorenen Garten etwas wie Rosenkohl zum Lebenswert werden kann, der in der lottrigen Hütte unseres Weltvertrauens eine feste Schraube setzt.“

Kann auch keine Auskunft geben: die kleine Goethe-Büste im Regal. (Foto: Bernd Berke)

Kann auch keine Auskunft geben: die kleine Goethe-Büste im Regal. (Foto: Bernd Berke)

Wirklich sehr originell geschrieben, nicht wahr? Aber warum habe ich gesagt, es sei „womöglich“ ein Goethe-Zitat? Weil es zweifelhaft ist.

Die Fundstelle ist ein Buch, das ich gerade lese, genauer: Seite 38 in Bernd Brunners „Als die Winter noch Winter waren. Geschichte einer Jahreszeit“ (Galiani-Verlag; Rezension folgt demnächst). Dort wird obiges Zitat mit der lakonischen Feststellung eingeleitet: „Goethe schrieb:“

Das war mir zu lapidar. Ich wollte es gern etwas genauer wissen. Stammt der Abschnitt aus einem Brief oder aus einem fiktionalen Werk? Passt denn eine Formulierung wie „in der lottrigen Hütte unseres Weltvertrauens“ überhaupt in goethische Zusammenhänge? Ohnehin klingen besagte Zeilen staunenswert modern, als könnten sie vielleicht nicht aus der Goethe-Zeit herrühren (* siehe Schlussanmerkung).

Wegen solcher Fragen bin ich der Textstelle per Internet-Suchmaschine nachgegangen. Als offenbar einziger (!) Fundort tauchte ein Text aus der Wochenendausgabe der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) vom 7. / 8. März 2015 auf. Er stammt vom Feuilleton-Redakteur Samuel Herzog und trägt die Überschrift: „Glücksmomente – In einem vereisten Garten“.

Herzogs Text endet just mit dem gesamten obigen Zitat, das doch angeblich von Goethe stammen soll. In der NZZ wird es nicht in Anführungszeichen gesetzt, müsste also demnach von Samuel Herzog stammen. Wäre dies nicht der Fall, müsste man von einem ziemlich dreisten Plagiat sprechen.

Für den langjährigen NZZ-Mann Herzog (zuständig für Bildende Kunst) kann man jedenfalls einiges ins Feld führen. Vor allem, dass der Absatz wohl nur ein einziges Mal in frei zugänglichen Netz-Quellen zu finden ist (auch das „Projekt Gutenberg“ und Google-Books habe ich durchsucht). Wären es wirklich Sätze von Goethe, so wäre das mehr als erstaunlich. Dessen Zitate werden doch sonst allseits um und um gewendet.

Außerdem hat sich Herzog schon vor der fraglichen Stelle eines ausgesprochen poetisierenden Stils befleißigt. Der Schluss wäre somit nicht unpassend. Und drittens hat er direkt vorher ganz korrekt aus einem Brief von Wilhelm Busch zitiert. Warum sollte er es mit Goethe anders gehalten haben?

Also hätte sich der Buchautor Bernd Brunner einigermaßen gründlich geirrt? Aber wie kann es sein, dass ihm ein Text aus der NZZ als Goethe-Zitat unterkommt? Sind ihm der Zettelkasten bzw. seine Dateien etwas wirr durcheinander geraten?

Fragen über Fragen. Welche Goethe-Kenner wissen Rat? Können eventuell Bernd Brunner oder Samuel Herzog nähere Auskunft erteilen?

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Nachtrag, ohne jeden Zusammenhang mit der Zitat-Frage: Offenbar hat die NZZ ihrem altgedienten Redakteur Samuel Herzog neuerdings gekündigt.

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* Die etwas Älteren wissen ja, welche Folgen ein Anachronismus in Bezug auf Goethe haben kann. Einst musste der frühere „Zeit“-Feuilletonchef Fritz J. Raddatz gehen, weil er in fahrlässiger Weise Goethe mit der Eisenbahn in Verbindung gebracht hatte. Besondere Ironie: Auch damals ging es um einen (parodistischen) Text der NZZ, den Raddatz für bare Münze genommen hatte.




„Rambo“ statt Rezensionen

Meine Rezensions-Faulheit hat sich auch über den Jahreswechsel hinaus gehalten. Daher wird gnadenlos weiter gefaselt.

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Rezensionen gehen ja heute sowieso anders. Zunächst einmal: Man gurkt nicht mehr umständlich mit Fachbegriffen herum, überhaupt kann man sich nähere Kenntnisse sparen. Denn dann könnte man ja den Kontakt zu den einfacheren Leuten verlieren. Und das wiederum spielt nur den Populisten in die Karten. Stimmt’s oder hab‘ ich recht?

Auch gibt man sich nicht empfindsam oder einlässlich. Jeder Feinsinn ist verpönt. Viel lieber sollte man seine Kulturkritik mit jeder Menge Anspielungen auf mehrheitsfähige populäre Mythen garnieren und das Ganze kräftig „anpunken“.

Der eine oder andere * Ausruf nach dem Muster „Verfickte Scheiße!“ ist sozusagen ein Muss, will man seine street credibility auch nur ansatzweise wahren. Wer will denn schon elitär sein oder als „Intellektueller“ wahrgenommen werden?

Ich, ich!

Ich will euch was sagen. Zwei Nachbarn, die eigentlich schwer in Ordnung sind, haben mich dieserhalb auf dem Kieker. Sie verdächtigen mich, am liebsten Filme von Bergman, Rohmer, Truffaut, Tarkowskij und Angelopoulos zu sehen (was haargenau stimmt).

Drum wollen sie unbedingt erreichen, dass ich mir mit ihnen gemeinsam den allerersten „Rambo“-Film anschaue, dessen Kenntnisnahme ich bis heute – über Jahrzehnte hinweg – standhaft verweigert habe. Denkt euch nur: Zu diesem Zweck haben sie mir das Machwerk als DVD geschenkt. Einem geschenkten Gaul…

Sie locken mich mit der Behauptung, das alles sei als Ausbund kritischer Ironie höheren Grades zu verstehen. Der eine ruft schon, wenn er mich sieht, quer über die Straße „Hey, Rambo!“ Peinlich, peinlich. Was sollen die Leute von mir denken? Der andere (und ich ahne, dass er dies früher oder später lesen wird – Haaallo, winke, winke, zwinker, zwinker – Ich möchte auch meine Omas in Ludwigshafen und Greetsiel grüßen) will gar einen Beamer mitbringen, auf dass die größte freie Wandfläche im Wohnzimmer vollkommen ramboisiert werde. Dazu dürfte es dann wohl alkoholhaltige Getränke geben.

Nun frage ich in die imaginäre Runde: Soll ich mich darauf einlassen?

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* Heute sagt und schreibt man übrigens „Der ein oder andere“, weil Grammatik ja eh scheißegal ist. Fuck, fuck, fuck!




Moden und Marotten im Journalismus (4): Von Selbstversuchen und Katalog-Rezensionen

Kennt ihr die vor einigen Jahren verstärkt aufgekommene Reporter-Marotte, alles an sich selbst auszuprobieren?

Ich möchte nicht wissen, wie viele Journalistinnen (oder auch Journalisten) sich im Lauf der Jahre unter einer Burka (wahlweise Niqab) verborgen und die Reaktionen der Mitwelt aufgezeichnet haben.

Alle Uhrzeiger auf dieselbe Zeit getrimmt: Ausriss aus dem erwähnten Prospekt der Galeria Kaufhof.

Alle Uhrzeiger auf dieselbe Zeit getrimmt: Ausriss aus dem erwähnten Prospekt der Galeria Kaufhof.

Erst jüngst fingierte eine Kollegin, sie müsse davon leben, in Mülltonnen nach dem Nötigsten zu suchen – und schrieb ausführlich darüber…

Einmal in Rechnung gestellt, dass manche junge Journalistin tatsächlich nicht ihr hinreichendes Auskommen hat, durchwehte jenen Beitrag trotzdem mehr als ein Hauch von Zynismus. „Elend“ mit eingebauter Rückkehr-Garantie. Hach, wie wärmt das ein herzensgutes Mittelschichts-Seelchen. Und das nicht nur zur Weihnachtszeit.

Einige mögen es auch hart. Ich kann mich an den Selbstversuch eines Reporters erinnern, der sich probehalber als Preisboxer verdingte.

Auch im Kulturteil hat man die eine oder andere Mode mitgemacht, freilich auf die sanftere Tour. Und dabei rede ich nicht einmal vom so genannten „Debattenfeuilleton“, das besonders in den überregionalen Blättern alle gewichtigen Weltfragen um und um wälzte. Der Zenit dieser Gattung liegt auch schon wieder einige Zeit zurück.

Manchmal ließ man’s hingegen gerade lässig angehen. Vor ungefähr zehn, fünzehn Jahren wurde es Mode, das Feuilleton flockig aufzulockern, indem man etwa das Telefonbuch oder den Ikea-Katalog besprach und überhaupt manchen Jokus mit dem Rezensions-Instrumentarium oder sonstigem Besteck des Kulturberichterstatters betrieb. Zuweilen war’s amüsant, doch nicht immer konnte es gelingen.

Anhang

Stichpunkt Ikea-Katalog besprechen. Play it again, Sam. Aber ich greife nur einen einzigen, freilich wundersamen Aspekt heraus. Und es handelt sich diesmal nicht um die Elche.

Vor ein paar Tagen fielen mir aus der Tageszeitung zwei Prospekte der Warenhauskette Galeria Kaufhof entgegen. Diesmal war ausnahmsweise nicht Spielzeug an der Reihe, das wäre ein Thema für sich. Wie aber ebenfalls in dieser Jahreszeit üblich, wurden in beiden Beilagen vor allem Düfte, Schmuck und Uhren angepriesen.

In dem einen Werbeblättchen habe ich 85 Uhrenmodelle gezählt, im anderen noch einmal über 60. Du meine Güte, welche Vielfalt! Mal schlicht, mal überladen, mal technoid, mal nahezu Fantasy, mal knatschbunt, mal einfarbig. Reichlich Auswahl für jeden Geschmack, wenn man denn in allen Fällen von Geschmack sprechen will.

Doch etwas war bei all diesen Uhren gleich, und zwar – die Uhrzeit. Die Zeiger sämtlicher Chronometer waren auf neun oder zehn Minuten nach zehn (10.10 Uhr) eingestellt.

Was sagt uns das?

Bevor wir uns irrwitzige Verschwörungstheorien basteln, deuten wir es lieber pragmatisch: Beim Kaufhof ist offenbar „Zug“ drin, zumindest wird uns dies signalisiert. Ein lenkender Wille bringt alle Uhren gleichermaßen „auf Vordermann“. Selbiges sollte dann wohl auch fürs Geschäftsgebaren der Kette gelten, die bekanntlich einer kanadischen Holding gehört. Es wäre sicherlich irritierend, wenn jedes Uhrwerk anders ginge. Pure Anarchie…

Zudem ließe sich über die konkrete Uhrzeit sinnieren, die sie da ausgewählt haben. Natürlich stehen nicht alle Uhren auf fünf vor zwölf, sondern zeigen eine hoffnungsvollere Zeit an: Um 10:10 Uhr ist der Tag leidlich in Gang gekommen, die meisten Leute sind einigermaßen wach und bei vollem Bewusstsein, außerdem hat der Kaufhof jetzt seit über einer Stunde geöffnet. Da weiß man doch, was die Stunde geschlagen hat. Konsumiere, du Wicht! Und zwar richtig. Wie hieß es früher so schön: „Kaufhof bietet tausendfach / alles unter einem Dach“.

Nur ein Rätsel bleibt noch übrig. Gerade mal fünf Uhren mit Digitalanzeige werden in den Prospekten feilgeboten. Sie aber – und nur sie – zeigen eine andere Zeit, nämlich allesamt exakt und sekundengenau 10:58:50 Uhr. Was hat das nun wieder zu bedeuten?

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Anno 2012 hatte hier eine kleine Serie unter dem Titel „Moden und Marotten im Journalismus“ begonnen – und alsbald wieder aufgehört. Damals sind erschienen:
„Kunterbunte Spielzeugwelt“
„Stocksteife Scheinobjektivität“
„Die Welt als Quiz, das Leben als Liste“

Jüngst hat noch eine (ebenso lose) Reihe unter dem Titel „Geheimnisse des Journalismus“ angefangen – ohne jede Garantie auf Fortsetzung.

So viel zur chaotischen Systematik der „Revierpassagen“.




Wir Angsthasen und Zimperliesen: Die neue Empfindlichkeit

Sicher liegt es an dieser ordinären Currywurst in scharfer Soße, die ich gestern hemmungslos aus einer Pappschale gepickt und, jawohl, genossen habe. Ethisch nicht zu vertretende Schlachtprodukte, weiß der inzwischen omnipräsente Veganer, blockieren das Gutsein und fördern fiese Überlegungen.

Freunde, das mag sein. Jemand wie ich, der Fleisch, Fisch und tierische Segnungen wie Milch, Eier, Honig ohne Zögern zu sich nimmt, der frisst auch eure Bedenken. Mit Mayo. Es tut mir leid. Aber wann sind wir eigentlich alle so extrem empfindlich geworden? Je besser es uns geht, desto weniger können wir vertragen. Das gilt nicht nur fürs Essen, sondern auch für stickige Luft, Lärm und alles, was gegen unsere zimperlichen Gewohnheiten geht.

Illustration zu Andersens Märchen "Die Prinzessin auf der Erbse". (© Fotolia)

Illustration zu Andersens Märchen „Die Prinzessin auf der Erbse“. (© Fotolia)

„Stell dich nicht so an!“ Dieser barsche Satz gehörte in der Aufbauzeit des 20. Jahrhunderts zur Kindererziehung. Das war kein Spaß, kann ich jüngeren Lesern versichern. Wir mussten den Teller mit dem muffigen Kochfisch leeressen, bei Tisch die Klappe halten, im Stockdunklen einschlafen („Die Tür bleibt zu!“), sonntags ohne Widerspruch wandern und gruseligen alten Tanten ein Küsschen geben.

Verfeinerte Lebensart

All das wollten wir unseren eigenen Kindern nicht antun. Meine Tochter durfte sich Pommes bestellen, mit Erwachsenen plappern, nachts ihre Gänselampe anlassen und stets mit unserer Aufmerksamkeit rechnen. Auch wurde sie nie eiskalt abgeduscht, obwohl das sicher gesund ist. Keiner von uns wollte die Härte der von traumatisierenden Erlebnissen geprägten Kriegsgeneration an die Gesellschaft der Zukunft weitergeben.

Wir waren sensibel, wir wollten es sein. Für eine bessere Gesellschaft. Leider haben wir Gewalt und üble Absichten nicht aus der Welt schaffen können. Verrückte Diktatoren und hasserfüllte Fanatiker tummeln sich auch in der Gegenwart. Und was tun wir? Wir feilen wir an der eigenen Lebensart und haben sie so stark verfeinert, dass wir uns gegenseitig damit erheblich auf die Nerven gehen. Wir sind die Memmen des Alltags. Jeder Hauch von Zigarettenrauch widert uns an. Raus mit euch, ihr Qualmer!

Essen als Herausforderung

Ein gemeinsames Essen wird zu einer Herausforderung. Man muss so viel bedenken. „Kannst du eigentlich Brokkoli vertragen“, fragt mich meine Freundin Uschi, eine kreative Köchin. Nein, Süße, kann ich nicht. Auch andere gesunde Sachen wie Zwiebeln, Nüsse, Kohl und Linsen, sogar Salat sind schlecht für meine Art der Darmbeschaffenheit, um es mal vorsichtig auszudrücken. Ich hätte gern Maispoularde mit Kartoffelpüree. Und Suppe ohne Schnittlauch. Und bloß kein Körnerbrot. Lieber Baguette. Und zum Nachtisch keine Beeren. Aber gerne eine Schokoladen-Mousse.

Gut, dass meine Freundin nicht zugleich eine jener Frauen eingeladen hat, die abends keine Kohlenhydrate wollen und Zucker für pures Gift halten. Den größten Küchenstress hat Uschi, selbst eine erklärte Freundin von Gulasch und Leberkäs, in ihrem vegetarisch-kalorienarm orientierten Damenkränzchen, zu dem ich zum Glück nicht auch noch gehöre. Allerdings ist eine Allergikerin dabei, die weder Eier und Milchprodukte noch Schalentiere und Zitrusfrüchte vertragen kann – von Nüssen ganz zu schweigen.

Um es klar zu sagen: Einige Unverträglichkeiten können lebensgefährlich sein. Wer davon betroffen ist, hat keine Wahl, als auf die bedrohliche Eigenart seines Immunsystems Rücksicht zu nehmen. Aber niemand weiß genau, wie viele Menschen tatsächlich unter ernsthaften Allergien leiden. Nach Auskunft der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft zeigen etwa 27 Prozent aller deutschen Männer und 39 Prozent der Frauen in unserer (zu) gründlich geputzten Zivilisation allergische Reaktionen. Die meisten davon reagieren verschnupft auf Pollenflug, einige bekommen Bauchweh von Mehl oder Milch. Andere klagen über die Tücke der Hausstaubmilbe und lassen den Teppichboden entfernen. Nur ein glatter Boden ist ein guter Boden. Der lässt sich leicht wischen. Aber nicht mit scharfen Substanzen, davon brennen uns die Augen. Am besten nur mit Wasser.

Selbst Wasser wird zum Problem

Apropos Wasser. Selbst das harmlose Element ist ein heikles Thema für uns Empfindsame. Während in Dürre-Regionen jedes Schlammloch genutzt wird, müssen wir, was da klar aus der Leitung fließt, erst mit Magneten und Heilsteinen „lebendig“ machen, um es trinken zu können. Manche glauben, jeder Schluck Sprudel könnte ihren Bauch aufblähen und die Gesundheit ruinieren. „Mit oder ohne Kohlensäure“ ist in Lokalen inzwischen eine gängige Frage, genau wie „mit oder ohne Koffein“. Ein Luxusproblem, wie mir scheint.

So, wie wir nicht mehr einfach zu uns nehmen, was auf den Tisch kommt, kontrollieren wir stets die gewöhnlichen Bedingungen unserer Umgebung. Allem wird misstrauisch nachgefühlt. Ist es hier drin zu kalt oder zu warm? Zieht es von der Tür her? Reden die Leute zu laut? Muss ich mich umsetzen? Aber nicht an den Tisch zwischen Fenster und Spiegel! Da geht nach Feng Shui die Energie verloren.

Kein Filter für die Umweltreize

Hilfe, wir sind so empfindlich, es ist nicht auszuhalten mit uns! Tatsächlich erforscht die amerikanische Psychologin Elaine Aron (72) schon seit den 1990er-Jahren ein anschwellendes Phänomen, das sie „high sensitivity“ nennt, Hochsensibilität (HS). Bis zu 20 Prozent der Bevölkerung, sind nach Ansicht der Bestseller-Autorin („Sind Sie hochsensibel?“) von dieser Besonderheit betroffen. Das heißt, sie nehmen die Reize ihrer Umwelt intensiver wahr als der Rest der Menschheit. Geräusche, Gerüche, Farben, zufällige Berührungen können für hochsensible Naturen schier unerträglich sein. Ihnen fehlt gewissermaßen der innere Filter, mit dem robustere Naturen ihre Wahrnehmungen dämmen.

Wenn es eng wird bei der Vernissage, flieht der hochsensible Typ nach Hause. Wenn das Ferienhotel neben der Durchgangsstraße liegt, muss er sofort abreisen. Er kann das weniger Angenehme einfach nicht ausblenden – und will es auch nicht. Wie der Antiheld aus Wilhelm Genazinos Roman „Mittelmäßiges Heimweh“. Zitat: „Ich muss überlaute Menschen rechtzeitig erkennen und ihnen schnell aus dem Weg gehen. Seit Wochen schon will ich private Lärmerwartungsstudien anstellen, damit ich im Straßenverkehr nicht mehr so oft erschreckt werden kann.“ Angst und das Bedürfnis nach Kontrolle gehören auch im wirklichen Leben zusammen.

Wie die Prinzessin auf der Erbse

„So ein Quatsch“, hätte meine Mutter dazu gesagt. Wie viele Zeitgenossen hatte sie früh gelernt, die eigenen Befindlichkeiten zu ignorieren, um Nazi-Terror, Kriegsnächte, mörderische Fluchten und Hunger zu überleben. Bis zuletzt mangelte es ihr an Zartheit. Wir behüteten Nachgeborenen hingegen scheinen geradezu stolz auf unsere Empfindlichkeit zu sein. Ja, vielleicht wollen wir sogar gern die Hochsensiblen sein. Und fein wie die „Prinzessin auf der Erbse“ aus Hans-Christian Andersens kleinem Märchen. Sie erinnern sich?

Es war einmal ein Prinz, der wollte partout eine Prinzessin heiraten. Doch er traf auf seinen Reisen nur Betrügerinnen. Da ersann die alte Königin zu Hause einen unfehlbaren Test. Sie ließ die nächste Kandidatin, die ganz durchnässt am Stadttor erschienen war, in der Schlafkammer übernachten. Ganz unten auf die Bettstelle hatte sie eine Erbse gelegt und darauf zwanzig Matratzen sowie zwanzig Eiderdaunendecken gestapelt. Als die Unbekannte am nächsten Morgen klagte, dass sie überhaupt nicht schlafen konnte, weil sie auf etwas Hartem gelegen habe, da wussten alle, dass dies die richtige Braut war. Denn: „So empfindlich konnte niemand sein außer einer echten Prinzessin.“

Und? Wie zickig ist das denn? Wir sind keine Märchenprinzessinnen und sollten unsere Empfindlichkeiten auf ein angemessenes Maß reduzieren. Wie wäre es mit einer Currywurst draußen an der Ecke, wo es zieht und der Verkehr vorüberrauscht? Nur so als Übung. Na bitte: Geht doch!




„Schwarze Kohle, rotes Licht“ – Schwere Jungs erinnern sich an ihr früheres Revier

Kriminelle Vergangenheit im Ruhrgebiet: der Typ, den alle nur "Coca" nennen. (Screenshot aus der besprochenen WDR-Sendung)

Kriminelle Vergangenheit im Ruhrgebiet: der Typ, den alle nur „Coca“ nennen. (Screenshot aus der besprochenen WDR-Sendung)

Wer sich diesen Titel ausgedacht hat, müsste eigentlich kräftig in die Klischeekasse einzahlen: Der TV-Film „Schwarze Kohle, rotes Licht“ (WDR) handelt von kriminellen Umtrieben im Ruhrgebiet, unter besonderer Berücksichtigung des Rotlicht-Milieus. Kein läppisches Thema.

Der fürs Dreiviertelstunden-Raster (quasi eine Schulstunde) gezimmerte, bereits ausgestrahlte Beitrag von Peter F. Müller setzte mit Archivaufnahmen in der „Wirtschaftswunder“-Zeit der späten 1950er und frühen 60er Jahre an und hangelte sich bis in die 80er. Stellenweise im raunenden Tonfall, suchte man das Böse in der „Parallelwelt“ des Reviers zu beschwören. Ähnliche Filme könnte man, mit anders gelagerter Folklore, wohl über alle deutschen Metropolen anfertigen. Aber hier hatte der Zungenschlag eindeutig „Pott“-Färbung. Und der Film behauptet stark, in Sachen Kriminalität sei das Ruhrgebiet damals bundesweit „ganz vorn“ gewesen.

Luden in Luxuskarossen

Das Spektrum reichte vom Doppel- und Serienmord über Betrug und Steuerhinterziehung im ganz großen Stil bis hin zu lukrativen Puffs und illegalen Spielcasinos. Genüsslich wurden „Luden“ (Zuhälter) gezeigt, die mit ihrem Rolls Royce oder ähnlich extravaganten Karossen vorfuhren und Hof hielten. Fernsehmacher gieren halt nach solchen Bildern.

Reichlich kamen ehemalige Spitzbuben (putziges Wort von früher) mit Rocker-Attitüde zu Wort, die etliche Jahre Knast abgesessen haben, nun aber geradezu altersweise zurückblicken. In ihre ruhigeren Jahre gekommen, zeigen diese kernigen Typen geradezu sympathisch abgeklärte Züge. Die schweren Jungs (noch so ein Ausdruck von damals) haben so manches erlebt, denen macht niemand was vor. Und sie haben einen speziellen Humor…

Ganoven mit und ohne Stil

Natürlich verrieten sie den TV-Leuten nicht, wie und wovon sie heute so leben. Nicht, dass da noch die Falschen zuschauen! Das war vielleicht der Deal: Ihr erzählt uns ein paar derbe Schwänke und wir stellen keine zudringlichen Fragen. So konnten sich die Herren auch rühmen, einst – wenn’s drauf ankam – im feinen Zwirn aufgetreten zu sein, während heutige Zuhälter oft in Trainingskluft auftauchten. Merke: Den Jungspunden ermangelt es ganz einfach an Stil und Qualität.

Trotzdem: Die trockenen Statements der einstigen Ruhri-Szenegrößen wie „Coca“ und Klaus „Hüpper“ Wagner (der vorher „auf Zeche“ malocht hatte) waren bereits das Stärkste an diesem ansonsten etwas dürftigen Film. Der Stoff wurde nicht durchdrungen, es gab praktisch keinerlei Erkenntnisse über pure Fakten und Phänomene hinaus. Dass manche Kerle sich als schrankenlos freiheitsliebende „Hippie-Rocker“ verstanden und in ihren Gangs Ersatzfamilien gesucht haben, war einer der wenigen, allerdings recht mageren gesellschaftlichen Vertiefungs-Ansätze, die jedoch nicht weiter verfolgt wurden.

Raffinierte kriminelle Geschäftsmodelle nötigen im Nachhinein selbst der Polizei Respekt ab: „Der hätte auch eine große Firma leiten können“, sagt ein Ex-Beamter über einen Delinquenten.

Erschröckliches Panoptikum

Bei Nennung von Verbrecher-Namen wie Alfred Lecki, Petras Dominas und Erhard Goldbach klang – gleichsam in negativ getönter Nostalgie – etwas aus zeitlicher Ferne nach. Doch gar zu atemlos wurden diese Fälle abgehandelt, als dass sie übers reine Geschehen hinaus hätten ergiebig werden können.

Das erschröckliche Panoptikum des Verbrechens erschöpfte sich weitgehend in bloßer und blasser Chronologie, in braver, auch sprachlich ziemlich unbedarfter Nacherzählung einiger spektakulärer Kriminalfälle. „Analytisch“ erhob sich das kaum über die Tiefebene von Eduard Zimmermanns berüchtigter Sendung „Aktenzeichen XY…ungelöst“, die denn auch in Wort und Bild zitiert wurde; ebenso pflichtschuldigst, wie man auch an den legendären Duisburger „Tatort“-Kommissar Schimanski erinnerte. Man wollte eben nichts auslassen – und versäumte dabei das Wesentliche.

Revierspezifisch waren übrigens die buchstäblich engen Beschränkungen, denen die Polizeiarbeit unterlag. Jenseits der im Ruhrgebiet allgegenwärtigen Stadtgrenzen durften sie in der Regel nicht ermitteln, wie Ex-Polizisten zähneknirschend verrieten. Die Ganoven kriegten das natürlich spitz – und machten daraus ein Katz- und Maus-Spiel.