Auschwitz auf der Opernbühne: „Die Passagierin“ als DVD-Edition

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Dies ist eine nachdrückliche Empfehlung: Die DVD der Bregenzer Aufführung von Mieczysław Weinbergs Oper „Die Passagierin“ überzeugt durch präzise Inszenierung, durchdachtes Bühnenbild, spannungsvollen Handlungsablauf, die Figurenzeichnung und -verkörperung, die Rezitative sowie den Einzel- und Chorgesang und durch die orchestrale Musik.

Nie hätte ich vorher gedacht, dass es möglich wäre, noch dazu überzeugend möglich wäre, ein derartiges Thema ins Zentrum einer Oper zu stellen. Zwar, dass man sich auch an diesem Thema mal vergreifen können würde, habe ich schon vor 30 Jahren geargwöhnt, als ich mal gesprächsweise prognostizierte, dass der Tag nicht fern sei, dass man auch aus Auschwitz noch ein Musical machen werde.

Was ich damals noch nicht wusste, was fast jeder nicht wissen konnte, war dies, dass eine Oper zu diesem Thema schon seit dem Jahre 1968 existierte. Eine Oper übrigens, die auch ihr Komponist, ein russischer Komponist mit polnisch-jüdischen Wurzeln, den ich vor drei Jahren noch nicht einmal namentlich kannte, zeitlebens nie in einer Aufführung hören konnte, nämlich weil sie nie aufgeführt wurde, in der UdSSR nicht aufgeführt werden durfte.

„Als er in den letzten Jahren seines Lebens gefragt wurde, welches Werk er für sein wichtigstes halte, antwortete Weinberg ohne Zögern: D i e P a s s a g i e r i n. Noch zwei Tage vor seinem Tod 1996 klagte er gegenüber Alexander Medwedjew, dem Librettisten des Werkes und bedeutenden Musikwissenschaftler, dass er das Werk nie gehört habe. Um ihn zu trösten, versprach Medwedjew, ,doppelt‘ genau zu hören, falls die Uraufführung jemals stattfinden würde: einmal für den Komponisten und einmal für sich selbst. Medwedjew konnte sein Versprechen am 25. Dezember 2006 bei der konzertanten Aufführung des Werkes im Swetlanow-Saal des Moskauer Hauses der Komponisten einlösen.“ (Zitat aus David Fanning: Mieczysław Weinberg / Auf der Suche nach Freiheit“ / aus dem Englischen von Jens Hagestedt, Wolke Verlag, Hofheim 2010, S. 131)

Im Sommer 2010 hatte ich zwar in einem sehr positiven Bericht der Sendung „Kulturzeit“ in 3sat mitbekommen, dass Weinbergs Oper im Rahmen der Bregenzer Festspiele aufgeführt worden sei, ohne dass ich diesen Hinweis damals mehr als zur Kenntnis nahm. Erst in diesem Jahr wurde ich wieder auf Weinberg aufmerksam, zunächst durch die ganz hervorragenden, brandaktuellen Aufnahmen seiner sämtlichen Violinwerke auf 3 CDs mit Linus Roth, Violine, und José Gallardo, Klavier, dann durch 4 (inzwischen 6) CDs mit den von dem Quatuor Danel dargebotenen Streichquartetten Weinbergs, und schließlich, nachdem ich endlich gemerkt hatte, welch großartigen Komponisten ich bislang noch nicht gekannt hatte, die Opern-DVD „The Passenger“ (op. 97), von der hier vor allem die Rede ist.

Fürs Fach Deutsch war in der gymnasialen Oberstufe in NRW vor nicht allzulanger Zeit noch Bernhard Schlinks Roman „Der Vorleser“ als Kurs-Lektüre verbindlich vorgeschrieben. Dieser Roman kam (trotz aller kritischen Vorbehalte, die man haben könnte; vgl. etwa die Rezension von Jeremy Adler) bei den Schülern in der Regel gut bis sehr gut an. Dies habe ich in meiner allerletzten aktiven Zeit als Lehrer noch mitbekommen. Heute würde ich ganz entschieden diesen Roman mit der zunächst ganz ähnlich in deutscher Nach-Auschwitz-Zeit ansetzenden Oper konfrontieren: als Ergänzung und Kontrast für eine mit ziemlicher Sicherheit noch ergiebigere Besprechung.

Wer Opern immer noch vorurteilsvoll grundsätzlich meidet, könnte sich zumindest die der Oper zugrundeliegende Romanvorlage der polnischen Auschwitz-Überlebenden Zofia Posmysz aus dem Jahre 1962 etwas genauer ansehen. Dieser Roman mit dem gleichen Titel „Die Passagierin“ erschien auf deutsch erstmals 1969 in der Übersetzung von Peter Ball und ist inzwischen wieder neu aufgelegt worden.

Die Opern-DVD überrascht übrigens auch durch eine außergewöhnlich gute Kameraführung und durch exzellente, sehr aufschlussreiche Extras, so mit einem Documentary unter dem Titel „In der Fremde“. (Je nach dem, wo man diese DVD der Firma NEOS erwirbt, kostet sie zwischen 30 und 40 Euro.)




Meilensteine der Popmusik (30): The Beatles

Progressiv entwickelte sich die Popmusik des Jahres 1967 sowieso – einen besonderen Kick hätte sie eigentlich gar nicht nötig gehabt. Und dennoch kam er. Die beiden Genies, die einst eng befreundet waren und sich jetzt langsam auseinanderlebten, taten sich für ihr Meisterwerk doch noch einmal zusammen.

beatles

John Lennon und Paul Mc Cartney stießen die immer näher herankommende Konkurrenz zurück in ein tiefes, dunkles Loch. Die Beatles und ihre Plattenfirma hatten sich den genialen Coup einiges kosten lassen. Für damalige Verhältnisse waren die Dimensionen unvorstellbar: Jeder Song ihrer neuen LP sollte eine ganze Woche Aufnahmezeit beanspruchen, die Produktionskosten betrugen umgerechnet gigantische 115.000 Euro.

Und dann noch der (inszenierte?) Skandal, dass die BBC vorab in den Besitz von Bändern gekommen war und diese natürlich auch gleich spielte. Der weltweit avisierte Veröffentlichungstermin (1. Juni 1967) musste notgedrungen vorverlegt werden. Das ganze Drumherum erzeugte bei den Fans eine unvergleichliche Spannung, die sich in einem weltweiten Run auf diese Superscheibe löste. Allein in den USA wurden in der ersten Woche über eine Million Platten verkauft.

Zum Rekord passte das überaus aufwendige Cover, das in einer Collage ca. 60 Köpfe der Zeitgeschichte zeigte, von Laurel and Hardy bis Karl Marx, von den Rolling Stones bis Marilyn Monroe. Genauso vielfältig waren die Songs auf „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“. Selbst der sonst eher kritische John Lennon reagierte noch Jahre später euphorisch: „Sgt. Pepper ist das ultimative Album. Es war der absolute Höhepunkt. Paul und ich arbeiteten definitiv zusammen.“

Etwas realistischer sah es Produzent George Martin: „Sgt. Pepper war wohl in erster Linie Pauls Werk. John steuerte lediglich drei Songs bei.“ Trotzdem, zwei der wohl stärksten Titel entstanden in Gemeinschaftsarbeit: „With a little help from my friends“ und „A day in the life“. Mit erst einmal 7 Millionen verkaufter Exemplare wurde die LP damals Rekordhalter – bis auf weiteres.

Gruppen und Interpreten auf der ganzen Welt orientierten sich an diesem neuen Maßstab. Psychodelic-Rock hieß wenig später ein neuer Trend, u.a. auch zurückzuführen auf das Meisterwerk der Beatles. Sie selbst koppelten keine einzige Single aus. „Sgt. Pepper“ sollte jungfräulich zusammen bleiben, als das erste ganz große Konzeptalbum der Rock-Geschichte.

Für die Beatles wurde es der absolute Höhepunkt ihrer Karriere – gerade mal zwei Jahre vor der spektakulären Trennung. Diese zeichnete sich schon damals ab. John war nach der langen Produktionsarbeit müde und wollte kein Studio mehr sehen. Doch Abwechslung war nicht in Sicht. Das, was John und Paul vielleicht wieder zusammengeschweißt hätte, war illusorisch geworden, denn die neuen Songs ließen sich mit dem damaligen Stand der Technik auf gar keinen Fall live reproduzieren. Also gab es keine Rückkehr der Beatles auf die Bühne – diesem Platz, an dem sie vielleicht wieder den Spaß gefunden hätten gemeinsam zu musizieren, so wie nur wenige Jahre zuvor in Liverpool oder Hamburg, als alles begann mit dieser frühen Boygroup.

John, Paul, George und Ringo waren blutjung, und niemand konnte Anfang der 60er vorhersehen, dass hier etwas Einmaliges entstand: die Revolution der populären Musik. Was die vier auslösten, wurde fast über Nacht zu einem weltweiten, gesellschaftlichen Phänomen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten das ganze 20. Jahrhundert hindurch US-amerikanische Einflüsse, vom Jazz bis hin zum Rock´n´Roll, die Popmusik dominiert.

Nun tauchten im Gefolge der Beatles unzählige britische Gruppen auf und stürmten die Hitparaden. Selbst die Rolling Stones bekamen ihren Plattenvertrag bei Decca nur, weil man dort die damals noch unbekannten Beatles einige Zeit zuvor abgelehnt hatte und einen solchen Fehler nicht noch einmal begehen wollte. Und viele andere, neue Formationen folgten. Ängstlich und verschreckt sprach man in den USA schon von einer britischen Invasion: The Kinks, The Hollies, Dave Clark Five, Small Faces, The Who, Herman´s Hermits, Swinging Blue Jeans, Searchers, Animals…die Liste ließe sich beliebig weiterführen. Für all´ diese Gruppen hatten die Beatles letztlich den Weg bereitet.

Bis heute wurden von der berühmtesten Band der Welt über eine Milliarde Platten, Cassetten oder CDs verkauft. Die meisten davon übrigens im Jahr 1980, als John Lennon am 8. Dezember von dem damals 25-jährigen David Chapman vor seinem Appartement in New Yorks Upper West Side erschossen wurde. Da waren die Beatles schon zehn Jahre Geschichte. Die Hoffnung von Millionen Fans auf eine Wiedervereinigung der Beatles hatte sich spätestens mit dem gewaltsamen Tod von John Lennon zerschlagen.

Es blieb bei der letzten gemeinsamen Presseerklärung der Beatles vom 10. April 1970: „Der Frühling ist da, und Leeds spielt morgen gegen Chelsea. Und Ringo, John, George und Paul sind am Leben, wohlauf und voller Hoffnung. Die Welt dreht sich weiter – so wie wir, und so wie ihr. Erst wenn sie aufhört sich zu drehen…das wird der Zeitpunkt sein, sich zu sorgen. Vorher nicht. Bis dahin sind die Beatles am Leben und wohlauf. Und der Beat geht weiter, der Beat geht weiter …“

Beatles on dailymotion

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Die bisherigen “Meilensteine”:

Peter Gabriel (1), Creedence Clearwater Revival (2), Elton John (3), The Mamas and the Papas (4), Jim Croce (5), Foreigner (6), Santana (7), Dire Straits (8), Rod Stewart (9), Pink Floyd (10), Earth, Wind & Fire (11), Joe Cocker (12), U 2 (13), Aretha Franklin (14), Rolling Stones (15), Queen (16), Diana Ross (17), Neil Diamond (18), Fleetwood Mac (19), Simon & Garfunkel (20), Bruce Springsteen (21), ABBA (22), The Kinks (23), Michael Jackson (24), Bob Dylan (25), The Eagles (26), The Who (27), Electric Light Orchestra (28), Prince (29)

 




„Er stiehlt, was er liebt und liebt, was er stiehlt“: Bob Dylan und Amerika

Ich ahnte es ja schon lange. Je länger er mich und Millionen verborgene und offen bekennende Fans begleitete, wurde mir deutlicher: Es ist gar nicht so verquer, wenn sein Name dann und wann unter denen auftaucht, die für den Literaturnobelpreis vorgeschlagen werden. Robert Allen Zimmerman, besser bekannt als Bob Dylan, ist aber – wie wir wissen – bislang nie in diesen Olymp aufgestiegen.

Bob Dylan

Dennoch, er ist ein Poet von amerikanischem Rang, er ist auf seine Art ein Musiker von amerikanisch-epochaler Bedeutung und er ist eine Figur, die im künstlerischen Szene-Personal der vergangenen Jahrzehnte nahezu an jeder Stelle von Rang in Amerika auftaucht. In seinem Buch „Bob Dylan und Amerika“ erzählt Sean Wilentz manches, was man noch nicht über Bob und Amerika wusste, aber schon länger hätte wissen sollen. „Bob Dylan und Amerika“ ist eine Art Zeitengemälde, in dem Bob Dylan wie ein „Hobo“ (wanderarbeitender Landstreuner) seine Spuren durch ein Land zieht, das ihn und wegbegleitende Gefährten ebenso liebt wie abweist. Eines seiner Idole ist nicht zufällig Woody Guthrie, der den „Hobo“ freiwillig nachlebte.

Sean Wilentz saß laut Klappentext als 13-jähriger Knabe 1964 in der New Yorker Philharmonic Hall und hörte dem zehn Jahre älteren Bob Dylan zu, der mit Joan Baez die Fans in der Halle fesselte. Der Autor und aktuelle Geschichtsprofessor an der Princeton Universität blieb fortan Gefangener, verfolgte und erforschte den Weg seines ewig nölenden Helden, avancierte zu dessen „Haus-Historiker“ und schrieb nun ein Buch darüber, was Bob Dylan während seines bisherigen Lebensweges getan hat und von wem er wozu angestoßen worden war.

Und da sind wir wieder bei „Amerika“, genauer bei den USA. Das Land, seine Geschichte und seine positiv wie negativ prägenden Persönlichkeiten ließen Dylan sein Künstlerleben so kreativ leben, wie er es tat. Aaron Copeland wirkte auf seine Musik ein, ebenso natürlich die Legende Woody Guthrie. Allen Ginsberg belebte seine Sprache, ebenso wie Jack Kerouac, an dessen Grab er sich mit Ginsberg fotografieren ließ. Bob Dylan hatte echte Freude daran, dass er „noch einen Zipfel der Beat-Generation mitbekommen hatte“. Walt Whitman, der Dichter des Bürgerkrieges, inspirierte ihn ebenfalls.

Anarchische Clowns wie Charlie Chaplin zählten zu seinen Lieblingen. Es wirkt fast deplatziert, dass Marcel Carnés Film „Kinder des Olymp“ Einfluss auf ihn nahm, Dylan sich auf diese ureuropäische Poesie einließ und die „commedia dell’arte“ ihn berührte. Dylan ließ sich von Marc Knopfler produzieren und spielte legendäre Konzerte mit den „Travelling Wilburys“. Er wurde auch gläubig, trat vor Papst Johannes Paul II. auf und intonierte „Knockin‘ on Heaven’s Door“. Doch für Knut Wenzel, Professor für Fundamentaltheologie und Dogmatik an der Goethe-Universität Frankfurt, steht es fest, dass „die Phase der Christlichkeit bei Dylan eine von vielen Maskierungen“ gewesen sei. Neben denen des Stars, des Familienmenschen, Streuners, Revoluzzers, Polit-Aktivisten, Predigers und Pilgers.

Vermutlich ließe sich diese Liste noch lange fortsetzen. Sean Wilentz wird in seinem Buch nicht müde, die zahllosen Einflüsse und Zulieferer für Bob Dylans anscheinend unerschöpfliche Kreativität auf seiner „Never Ending Tour“ zu benennen. Er prägte vieles, das die Nachkriegszeit Amerikas erinnernswert macht, er wies Wege und Grenzen, er spielte sich und allerlei „Ichs“, nach denen er auf der Suche war. Er versucht nach wie vor, für sich die „Western Frontier“ zu finden.

Rebellion ist, das glaubt Wilentz fest, eine zentrale Vokabel für Bob Dylan. Solange wir ihn kennen, wird er mit deren Inhalt in Verbindung gebracht. Als Stimme einer protestierenden Bewegung, als Poet des nachdenklichen und widerständigen Amerikas, als Rock’n’Roller, lauter Rufer und bergpredigender Weiser, der er einmal werden möchte. Stets auf der Suche nach Einflüssen, die er mitnehmen, umdeuten und in sein dylaneskes Werk verarbeiten könnte. „Er stiehlt, was er liebt und er liebt, was er stiehlt.“ Das schreibt sein Haus-Historiker über ihn. Dylan, der Bertolt Brecht Amerikas?

Das und noch mancherlei mehr macht Sean Wilentz Buch deutlich, und zwar so nachhaltig, dass ich es alsbald noch einmal lesen muss.

Sean Wilentz: „Bob Dylan und Amerika“. Aus dem amerikanischen Englisch von Bernhard Schmidt. Reclam Verlag, Ditzingen. 477 Seiten, 29,95 Euro.




Meilensteine der Popmusik (28): Electric Light Orchestra

Nach einem opulenten Mahl ein Digestif, der Meister hat sich schließlich alle Mühe gegeben und nicht an Kalorien gespart. Vom augenscheinlich schlichten Hors d’oeuvre, das einem schon zum ersten Mal ein unfeines Aufstoßen entlockt, über die schweren Soßen des Hauptgerichts, bis hin zum bittersüßen Dessert: Jeff Lynne hieß der Zuckerbäcker in der Rock-Musik der 70-er Jahre.

Dabei sollte man – wie so oft – nicht nur das Äußere bewerten. Der leicht introvertierte, bebrillte Lockenkopf konnte weder die engelsgleiche Ausstrahlung eines Peter Frampton, noch die Aura eines Freddy Mercury vorweisen. Die wahren Abenteuer hatte er im Kopf, und als er sie heraus ließ, kam ein Ohrwurm nach dem anderen auf uns zu. Den Einstieg ins Geschäft verdankt Jeff Lynne dem Niedergang der ehemals erfolgreichen britischen Formation „The Move“. 1971 war Roy Wood der einzig Übriggebliebene, der unter diesem Namen noch weiterhin eine Gruppe vortäuschte. Er entdeckte Seelenverwandtschaft bei Jeff Lynne und engagierte ihn für ein neues Projekt, der eher schwulstige Name lautete: Electric Light Orchestra.

ELO

Die beiden wollten weitermachen, wo die Beatles mit Songs wie „Strawberry fields forever“ oder „I am the walrus“ aufgehört hatten. Diesem Anspruch konnten sie jedoch nicht ganz gerecht werden. Der schräg klingende Sound, unter anderem aus Geige und Celli herausgepresst, klang bei wohlwollender Beurteilung allenfalls experimentell, für Popmusik fast schon avantgardistisch. Trotzdem, oder gerade deswegen, scharte sich eine kleine, treue Fangemeinde um die Gruppe und schob sie in eine Schublade irgendwo in Richtung Klassik- oder Bombast-Rock. Das und die Nähe zu Jeff Lynne wiederum, wurde dem immer etwas querliegenden Roy Wood mit der Zeit zu eng. Er stieg aus, und gründete eine neue, fröhliche Hitparadengruppe namens „Wizzard“.

Nun endlich hatte Jeff Lynne freie Bahn. Er behielt den Gruppennamen Electric Light Orchestra bei, den die Fans inzwischen zu E.L.O. minimiert hatten. Zudem holte er sich drei Musiker vom ehrwürdigen Londoner Sinfonieorchester und überrollte mit einem einzigen Hit alles, was vielen bis dato heilig war: Rock’n’Roll und Beethoven. Ihre mit klassischen Orchesterinstrumenten versetzte Version des Chuck-Berry-Klassikers „Roll over Beethoven“ war Startpunkt einer zehnjährigen Karriere. Und womit so manch skeptischer Kritiker anfangs nicht rechnen wollte – bald konnte man diesen damals spektakulären Sound auch live erleben. Die Konzerte von E.L.O. wurden ebenso aufgepeppt wie die Musik. Es wurden große Volksfeste, die Karneval zu jeder Jahreszeit versprachen. Einer der Höhepunkte war sicherlich ihre „Out of the Blue“-Tour. Über den Musikern schwebte eine gigantische, fliegende Untertasse, die durch zahllose Lichter und Laser-Effekte erleuchtet wurde.

Das war Mitte der 70-er sicherlich auch eine Erleuchtung für viele Rock-Fans, die mit E.L.O. bis dahin noch nicht so viel anfangen konnten, denn immerhin ging die Doppel-LP „Out of the Blue“ weltweit mehr als zehn Millionen mal über die Ladentische und wurde somit einer der ganz großen Verkaufserfolge der Rock-Geschichte. „Turn to stone“, „Sweet talkin‘ woman“ und „Mr. Blue Sky“ waren die Hits des Albums, allesamt produziert in nur drei Monaten 1977 in den Münchener Musicland Studios. Dennoch, der echte E.L.O.-Fan kaufte keine Single, sondern sparte, bis er sich die LP leisten konnte. Und somit ist es nicht verwunderlich, dass eine der erfolgreichsten Formationen der Rock-Musik es nie schaffte, eine internationale Single-Hitparade anzuführen.

So vieles kehrte über die Jahre immer mal wieder zurück. Nach der neuen kam die alte Welle, nach Punk ging es wieder zurück zum Gefühl. Und wenn wir irgendwann von der neuen Küche nicht mehr satt werden sollten, dann wird der eine oder andere von uns vielleicht auch mal wieder bei E.L.O. einkehren. Zubereitet nach alten Rezepten: die bewährten Dickmacher genießen – ein mehrgängiges Schlemmer-Menü in gepflegter Atmosphäre bei Chefkoch Jeff Lynne.

E.L.O. on youtube

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Die bisherigen “Meilensteine”:

Peter Gabriel (1), Creedence Clearwater Revival (2), Elton John (3), The Mamas and the Papas (4), Jim Croce (5), Foreigner (6), Santana (7), Dire Straits (8), Rod Stewart (9), Pink Floyd (10), Earth, Wind & Fire (11), Joe Cocker (12), U 2 (13), Aretha Franklin (14), Rolling Stones (15), Queen (16), Diana Ross (17), Neil Diamond (18), Fleetwood Mac (19), Simon & Garfunkel (20), Bruce Springsteen (21), ABBA (22), The Kinks (23), Michael Jackson (24), Bob Dylan (25), The Eagles (26), The Who (27)




„ear“ schmeichelt den Ohren!

Manchmal braucht es erst ein paar Umwege und Zufälle, damit man auf etwas Besonderes stößt. Das war so im Falle meiner Ohren und der Band „ear“ – mittlerweile eine Beziehung des zumindest einseitigen Wohlgefallens. Wer seinen Gehörgängen ebenso etwas Schönes bieten möchte, hat jetzt die Chance dazu bei zwei Konzerten in Dortmund.

Die Band ear: Raphael Tschernuth und Günther Harder. Foto: www.ear-theband.com

Die Band ear: Raphael Tschernuth und Günther Harder. Foto: www.ear-theband.com

Günther Harder kannte ich „nur“ als Schauspieler im Dortmunder Ensemble unter Michael Gruner. Als einen, der auf der Bühne nicht nur steht, sondern ganz da ist, mit ausgeprägtem Sinn für Situationskomik, die er in Inszenierungen wie „Kommt ein Mann zur Welt“ von Hermann Schmidt-Rahmer aufs Köstlichste ausleben konnte. Den zutiefst zynischen Zweifler in einem Houellebecq-Best Of hat man ihm ebenso abgenommen, wie den von Schulmädchen mit großen Augen angehimmelten Schiller’schen Räuber. Und dann, eines Pressekonferenzen-Nachmittags, lehnt sich Günther K. Harder an ein Klavier und fängt einfach so an zu singen. Schön und eindringlich, das man sich wunderte, warum diese Facette einem bislang unbekannt war.

Das war allerdings nicht Herrn Harders Schuld. Denn als „ear“ firmiert er schon seit 2002 mit Raphael Tschernuth. Die beiden haben sich in einer bayerischen Kleinstadt musikalisch zusammengetan und sind es geblieben, auch wenn es sie mittlerweile nach Berlin und Leipzig verschlagen hat. Höchst produktiv sind sie auch noch: Gerade ist mit „Out in the open“ ihr sechstes Album erschienen, ganz ohne Label und Management, zu kaufen über ihre Homepage http://www.ear-theband.com

Dort ist auch zu lesen, dass „ear“ mal durchaus mit elektronischen Einflüssen angefangen hat. Diese Klangfarbe der beiden kenne ich nicht – ich habe erst reingelauscht, als sie schon mitten in der Alternative-Pop-Phase angekommen waren. Und ich bin hängen geblieben an diesen klaren, schönen, melancholischen Melodien und Textzeilen, die man mit in den Tag nimmt.

„ear“ macht Musik für die Stunden im Auto, wenn die Sonne auf- oder untergeht und die Fragen kommen. Nachdenklich, aber nicht zerschmetternd. So, wie „Trying to Fall“ von ihrem neuen Album schon mit der Frage „Where did we go with our lives?“ einsteigt. Wer sich also auf Wanderschaft begibt, im Kopf, in die Weite da draußen, der findet in der Musik von „ear“ einen sympathischen Begleiter, der einen durchaus auch mal zum Summen bringen kann.

Also, auf geht’s:

28.02.2013 – Dortmund – Subrosa beim 3Klang Festival ab 19 Uhr

01.03.2013 – Dortmund – Salon Fink, 20.30 Uhr




Meilensteine der Popmusik (27): The Who

„Things they do look awful cold, hope i die before i get old…“ (My Generation/1965)

Superlative schmücken die großen Pop- und Rockstars bis heute, häufig erfunden und benutzt von der Industrie, um die Schützlinge noch besser zu vermarkten. King of Rock´n´Roll, King of Pop, Queen of Soul – die jeweils größte, wildeste und auch berühmteste Rockband – das waren die gängigen Prädikate. Eine Band aus dem Nordwestens Londons, die sich als erste Band überhaupt einen 100 Watt-Verstärker bauen ließ (damals in den 60-ern eine kleine, technische Sensation) setzte da andere Maßstäbe. Bei ihren Liveauftritten wurden neue Rekordwerte in Phon gemessen, sie firmierten fortan als die „lauteste Rockband der Welt“: The Who.

tommy

Ende der 50-er kam in den Arbeitervierteln der britischen Großstädte eine neue Jugendsubkultur auf. Die Mods (abgeleitet vom engl. „modernist“) versteckten ihre ärmliche Herkunft in schicken Designeranzügen und teurer Markenkleidung. Als Wetterschutz für den Ausflug auf dem italienischen Motorroller diente der Parka. Heftige Saufgelage und ständige Einnahme von Amphetaminen waren Voraussetzungen für jedes durchfeierte Wochenende. Dazu kamen regelmäßige Prügeleien mit den rivalisierenden Rockerbanden. Die Musik der Mods war schwarz, ihr Leitspruch lautete: „der Schein bestimmt das Sein“. Die musikalischen Helden kamen aus ihrer Mitte, und waren zu ihrer Zeit das wohl Abgefahrenste, was die damals brandneue britische Beatmusik zu bieten hatte.

Schon 1962 kamen Pete Townshend, Roger Daltrey und John Entwistle zusammen, ihre Musik klang wie eine umfassende Frustbewältigung der Nachkriegszeit im britischen Kleinbürgertum. Dabei waren Sänger Roger Daltrey und Bassist John Entwistle noch zurückhaltend in ihrem Auftritt. Den wahren Derwisch gab Gitarrist Pete Townshend auf der Bühne. Schon zwei Jahre später stieß der kongeniale Drummer Keith Moon zur Gruppe.

Von nun an endete fast jedes Konzert von The Who in einem zelebrierten Wutausbruch. Angeblich wurden im Laufe der Jahre über 3000 Gitarren auf der Bühne zerstört, dazu kamen etliche Schlagzeugsets und sonstiges Equipment. Am Ende blieb oft nur ein rauchendes, schwarzes Loch übrig. Die Abrissbirnen Townshend und Moon stürzten die Band immer wieder in große finanzielle Nöte, doch wie sagte ihr Kopf Pete Townshend dann: „Die Kunst geht vor!“  Und vor der Kunst kam die Droge, vorzugsweise als Alkohol. Das beförderte die Zerstörungswut der beiden Protagonisten, die ihnen alsbald auch Sperrvermerke von weltweiten Hotelketten eintrug. Die Drogen brachten den eigentlich introvertierten, mit Selbstzweifeln kämpfenden Pete Townshend an den Rand des Wahnsinns.

In diesen, für ihn schlimmsten Stunden, kreiert Pete Townshend sein Meisterwerk. Die rührende Geschichte vom taubstummen und blinden Flipperweltmeister Tommy Walker geht 1969 als erste große Rockoper um die Welt. Als Platte, Musical und schließlich auch als Film schreibt „Tommy“ Rockgeschichte, und macht den Kopf von The Who zum Multimillionär. Die Folgen für Pete Townshend sind katastrophal. Er driftet immer weiter ab in den Drogensumpf, statt Befriedigung kamen neuer Druck und alte Zweifel: „Ich war ein zutiefst verzweifelter Mann, saß wie ein Arschloch hinten im Fond des Mercedes 600, trank Cognac, diktierte Antworten auf Fanpost und hörte laut Musik. Manchmal, damit klar wurde, dass ein dreckiger Rockstar im Wagen saß und kein mächtiger Wirtschaftsboss, Diktator oder Papst, ließ ich die Scheibe herunter und streckte meine Doc Martens Stiefel raus.“ Als er 1978 vom plötzlichen Tod seines Saufkumpels Keith Moon erfuhr, war auch sein Leben für einen Moment am Ende. Der tiefe Schock ließ ihn trotzdem noch einmal auf Tournee gehen, direkt nach dem Tod des Schlagzeugers und Freundes.

Es begann ein langer Weg zu sich selbst, der bis heute noch nicht abgeschlossen scheint. Entzug und Therapie dauerten Jahrzehnte lang. Pete Townshend überlebte auch den Bassisten John Entwistle, der 2002 nach erhöhtem Kokainkonsum einem Herzinfarkt erlag. Obwohl sich The Who vor 30 Jahren offiziell trennten, gab es immer wieder Live-Comebacks und 2006 sogar eine neue Studio-CD. Ganze Generationen von Punk-, New Wave-, Hard Rock- und Brit-Popgruppen haben sich von der lautesten Rockgruppe der Welt inspirieren lassen. Und die Superlative bleiben letztlich für immer. Mag Paul McCartney vielleicht der reichste Rockmusiker sein, Elton John die schönsten Songs geschrieben, und Rod Stewart die hübschesten Blondinen abgeschleppt haben – für den mittlerweile fast tauben, 67-jährigen Pete Townshend bleibt unbestritten ein Prädikat: er ist der „durchgeknallteste“ Rockstar der Geschichte.

The Who on youtube

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Die bisherigen „Meilensteine“:

Peter Gabriel (1), Creedence Clearwater Revival (2), Elton John (3), The Mamas and the Papas (4), Jim Croce (5), Foreigner (6), Santana (7), Dire Straits (8), Rod Stewart (9), Pink Floyd (10), Earth, Wind & Fire (11), Joe Cocker (12), U 2 (13), Aretha Franklin (14), Rolling Stones (15), Queen (16), Diana Ross (17), Neil Diamond (18), Fleetwood Mac (19), Simon & Garfunkel (20), Bruce Springsteen (21), ABBA (22), The Kinks (23), Michael Jackson (24), Bob Dylan (25), The Eagles (26)

 




Meilensteine der Popmusik (26): The Eagles

Spätestens mit den Beach Boys lernten auch Nicht-Amerikaner das gelobte Land kennen: Kalifornien. Die Musik der amerikanischen Westküste hatte Einfluss auf vieles, was in den 60er und 70er Jahren in den internationalen Hitparaden landete.

EaglesDie Eagles z.B. mischten kalifornischen Surf-Sound und Country-Rock, schufen einen neuen Standard, an dem sich die Konkurrenz die Zähne ausbeißen sollte. Die ehemalige Begleitband von Linda Ronstadt beschloss 1971, sich einfach selbstständig zu machen. Eine gute Entscheidung: sie wurde eine der erfolgreichsten Formationen der 70er. Unter den vier Gründungsmitgliedern war kein einziger waschechter Kalifornier zu finden.

Doch Kalifornien ist überall. Genauso wie die anfangs banale Themenauswahl; wie so oft in der Popgeschichte ging es um Mädchen, Autos und Rock’n‘Roll. Bei dieser Belanglosigkeit setzten auch die Kritiker der Eagles an, und davon gab es reichlich in den USA. Es wurden regelrechte Kampagnen geführt, gegen dieses, wie sie sagten, oberflächliche Gesäusel, zumeist beherrscht von einer Art Verherrlichung längst vergangener Cowboy-Romantik: Männer haben die Power, Frauen sind hübsches Beiwerk. Und schon jubelten die Patrioten, die in den Eagles eine treibende Kraft des amerikanischen Traumes sahen: Unschuld, Versuchung, Ernüchterung. Das Leben in Kalifornien war plötzlich wieder sinnbildlich für eine ganze Nation.

Das Mediengezerre um ihre Musik interessierte die mittlerweile fünf Eagles 1976 herzlich wenig. Erstens gab ihnen der Erfolg recht, zweitens hingen sie schon fast neun Monate im Studio rum, mehr oder weniger abgeschnitten von der Außenwelt. Geplant war ein Album, das an Perfektion alles bisher Dagewesene übertreffen sollte. Der Gitarrist Don Felder erklärte es so: „Das einzige Problem der Band ist, dass wir einen so hohen Standard anlegen – an das, was wir spielen, an die Texte, die wir schreiben, an unsere Bühnen-Show. Nach einiger Zeit geht das jedem von uns auf die Nerven. Aber es ist unser Ziel, das Beste daraus zu machen. Jeder kleinste Teil einer Produktion wird immer und immer wieder verfeinert“.

Sänger und Gitarrist Glenn Frey hat es einmal mit dem Schreinern eines Tisches verglichen: „Du kloppst nicht einfach ein paar Holzstücke zusammen und schüttest dann den Lack drüber. Es dauert seine Zeit, ihn abzuschleifen und die richtigen Beschläge zu finden, denn du baust ein Meisterstück. Du versuchst, etwas zu schaffen – ein Zeichen seiner Zeit“.

Keine Frage, dass Don Henley, Glenn Frey, Don Felder, Joe Walsh und Randy Meissner dieses Ziel damals erreicht haben. Nach ihrem Meisterstück „Hotel California“ brauchten sie 1 1/2 Jahre Pause, so leergepumpt waren sie. Am meisten hatte sie das Titelstück beansprucht. Es war von vornherein als Single vorgesehen, doch veränderte sich das Stück im Laufe der aufreibenden Produktionsarbeit so sehr, dass die Eagles beim Abhören der letzten Mischung immer skeptischer wurden, und eine größere Akzeptanz dieses Liedes nicht mehr einkalkulierten.

Hier lagen sie dann doch einmal falsch, denn ihre Abrechnung mit Sonne, Strand, Geld und ewiger Jugend, mit Flower Power und Show-Business, mit Verführung und Verlogenheit, eben mit ihrer Vorstellung des gelobten Landes Kalifornien, wurde für die Eagles zum größten Erfolg überhaupt. Der ganze Song beschrieb von vorne bis hinten einen Alptraum – das Hotel Kalifornien, das sich nur durch Ausweglosigkeit auszeichnet: „Das Letzte, an das ich mich erinnern kann ist, dass ich den Ausgang suchte. Ich musste einfach die Rückfahrkarte finden zu dem Ort, wo ich eigentlich herkam. ‚Entspannen Sie sich‘ sagte der Nachtportier  ‚wir haben hier nur gelernt, Gäste zu empfangen. Sie könnten zwar jederzeit auschecken, aber wirklich abreisen können sie nie aus diesem Hotel California …‘“

the Eagles on youtube

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Die vorherigen “Meilensteine”:

Peter Gabriel (1), Creedence Clearwater Revival (2), Elton John (3), The Mamas and the Papas (4), Jim Croce (5), Foreigner (6), Santana (7), Dire Straits (8), Rod Stewart (9), Pink Floyd (10), Earth, Wind & Fire (11), Joe Cocker (12), U 2 (13), Aretha Franklin (14), Rolling Stones (15), Queen (16), Diana Ross (17), Neil Diamond (18), Fleetwood Mac (19), Simon & Garfunkel (20), Bruce Springsteen (21), ABBA (22), The Kinks (23), Michael Jackson (24), Bob Dylan (25)




Ansichten eines Hörbuch-Junkies (5): Frank Goosens Liebe zum Revier

Mir wird ja zunehmend klarer, dass es Texte gibt, die nur als Hörbuch wirklich das wiederzugeben in der Lage sind, was ihr Autor aussagen will.

Sie wirken abgestimmt und wohl legiert – vom Verfasser über den Sprecher oder dessen weibliche Entsprechung auf den Hörleser und seine weibliche Entsprechung ein. Sie malen buntfarbige Bilder oder dralldreisten Unfug mit Sprache und Stimme, stellen für mich als ausgewiesen Junkie dieses Genres inzwischen eine eigenständige Kunstgattung dar. Das war schon häufiger der Fall, beispielsweise bei den Eberhofer-Krimis von Rita Falk, deren Würze nicht zuletzt durch das bayerische Idiom des Christian Tramitz schmackhaft wird, oder beim abgedrehten „Er ist wieder da“ von Timur Vermes, in dem Christoph Maria Herbst den „Föhrer“ grandios durch sechs Stunden trompetet, ohne zu albern oder zu ernst dabei zu wirken, so dass die Gratwanderung dieses feinsinnigen Versuches weder plump noch plöd daher kommt.

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Und nun nahm mich Frank Goosens „Sommerfest“ gefangen, weil Frank Goosens Stimme es mir vorlas und ich zunehmend felsenfester überzeugt war, dass nur er, genau er dazu in der Lage war, seinen Text zu sprechen. Denn nur er kann „Tüss“ so sagen, dass es zwar seine hochdeutsch gemeinte Anmutung bewahrt, aber voll nach Revier klingt, oder Klümpchen, den Begriff, den man schon in Köln nicht mehr als revierne Schwester der Kamelle erkennt. Nur er kann unsere Sprache so sprechen, als sei sie eben d a s Kommunikationsinstrument einer Kulturregion, der einzigen, die rund 60 Kilometer Autobahn sperren kann, um den längsten Tisch der Welt mit fröhlich palavernden Menschen zu füllen.

Zugegeben, ganz fein anders klingt es, wenn ein Bochumer spricht, in den Ohren eines Nachbarn, der aus Köln vor Jahrzehnten nach Dortmund einwanderte, also in meinen Ohren. Aber es klingt dennoch wie zuhause, es fühlt sich fast so an, als erzähle er meine Geschichte, weil ich so vieles wiedererkenne. Wie den generationsübergreifenden Zusammenhalt in einer Kleingartensiedlung, die Unterhaltung Erwachsener, während die Brut pöhlt und um die Entdeckung für die zweite Liga kämpft. Oder das Erinnerungsgedusel alter Freunde, die sich in unterschiedlichen Schichten des Bochumer Soziotops wiedertreffen und nachts beschließen, wie früher zu sein, als sie noch jung waren. Oder die Geschichte von der goldenen Schraube, aus Adolf Winkelmanns Film „Jede Menge Kohle“, die mir Adolf so um 1967 einmal erzählte. Kea, das konnte der auf zwei lockere Stunden ausdehnen bis der Gag kam: „Und drehte, und drehte … und dann fiel ihm der Arsch ab!“

Schauspieler Stefan, der aus München angereist ist, um das Elternhaus einem Makler zu übergeben, auf dass der es verkaufe, weil kürzlich der letzte Bewohner dahin schied, ein Nennonkel, der es in Schuss gehalten hatte, nachdem die Eltern gestorben waren, Stefan ist der „Local Heroe“. Was soll er mit einem Haus in Bochum, wenn sein Theater den Vertrag nicht verlängert; wenn er am Montag doch an der Isar Vorsprechen hat, für eine Fernsehserie, die er nicht einmal kennt. „Toto“ Starek, der leicht eindimensionale Handlanger von „Diggo“ Decker, dem gar nicht so dusseligen Grobschlachter, Frank Tenholdt, der gebildete Bewahrer des Industriekultur-Erbes seines einst Kohle kratzenden Vaters, Franks schöne Frau Karin, die mal Stefan geküsst hat und natürlich „Charly“, also Charlotte, die Enkelin des Masurischen Hammers, der „Omma“ Luises (Stefans Omma) ewige Liebe war, aber auch deren unerfüllte. „Charly“, die erste Liebe von Stefan, der er den ersten Kuss seines Lebens gab, die ihn, wenn auch ein einziges Mal beischlafenderweise, aber stets als kleinen Bruder betrachtet hatte, oder? Sie und noch viele mehr begleiten ihn, den Schauspieler, aus München angereist („Muss man dich kennen?“), durch ein langes Wochenende, in dessen Verlauf Stefan nichts von dem geregelt kriegt, was er eigentlich tun wollte. Aber alles, das den Willen zur Lebensumkehr bei ihm auslöst.

Anka, die Freundin im fernen München, verliert sich, ebenso wie dieses immer fremder werdende München. Bisweilen tölpelt der ewige Ruhri aus Stefan heraus, bisweilen sehnt er sich selbst angesichts der pöbelnden Ruhris aus seiner wiedererkannten Jugend an die Isar zurück, das aber immer seltener. „Was soll ich denn hier?“ heißt es einmal hilflos aus Stefans Mund. „Was sollst du woanders?“ lautet die Entgegnung der „Charly“-Charlotte. Dafür merkt man ihm und dem Erzähler Frank Goosen an, wie der Held mit jeder Begegnung und jeder Erweckung von Erinnerung immer mehr am Heimweh l e i d e t und die Gegenwehr nachlässt, wenn er wieder einmal innerlich feststellt, dass „Totto“ blöd ist, Frank Tenholdt ein Spinner, „Diggo“ Decker das Urbild des Revier-Prolls und … ach „Charly“.

Da ich noch vielen anderen gönne, die wunderschönen Stücke zu genießen, lasse ich es mal dabei und empfehle jedermensch, sich anzuhören, was Frank Goosen seinen Leuten daheim und Fliehenden – in welche Himmelsrichtung auch immer – an die Hand gibt. Dass jeder und jede dahin gehört, wo er/sie sich am wohlsten fühlt, und das ist bei uns, ist doch klar. Stefans Koffer fährt allein nach München zurück, die Bahn nimmt ihn mit, aus der Stefan im letzten Moment noch springt, um doch noch bei „Charly“ nachzufragen, ob sie gemeinsam was machen, so etwa Theater in der alten Kneipe vom Masurischen Hammer, „Omma Luises“ ewige Liebe. Im Koffer ist auch der Schlüssel zum Elternhaus, das er immer noch nicht verkauft hat. Tja, und wie es ausgeht, das erzählt Frank Goosen noch, aber nicht, wie es weiter geht mit dem Hinterzimmertheater und allen anderen Plänen, mit den „Tottos“, Diggos“, mit Frank und seiner untreuen Karin. Aber das können wir uns ausdenken.

Frank Goosen (Autor und Vorleser): „Sommerfest“. Hörbuch (6 CDs / 425 Minuten) im Verlag Roof Music; Tacheles! Ca. 22 €




Meilensteine der Popmusik (25): Bob Dylan

In fünf Jahrzehnten gab er ein Rätsel nach dem anderen auf. Er selbst ist ein einziges großes Rätsel. Hunderte von durchaus talentierten Journalisten haben es immer mal wieder versucht, Autoren und Filmproduzenten haben es ebenfalls nicht vollständig durchdringen können – das Dickicht rund um eine der einflussreichsten Figuren der Popgeschichte: Bob Dylan.

Robert Zimmerman (so sein bürgerlicher Name) wird bis heute zu den großen Helden der 60er gezählt, die damals eine neue populäre Kultur, die „Gegenkultur“ begründeten. Popmusik wurde politisch, mit sozialkritischen Texten entstand der erste Soundtrack zum Zeitalter des Kalten Krieges und der aufkommenden US-Bürgerrechtsbewegung. Bob Dylan kann über so eine Einordnung nur lächeln, so wie er immer mal wieder jede Kategorisierung strikt abgelehnt hat. Er selbst sieht sich verwurzelt in den 50er Jahren, als er mit der Musik von Bing Crosby und Elvis Presley aufwuchs, ohne Scheu vor irgendwelchen Barrieren oder Klischees. Der junge Bobby lebte auf dem Land, im verträumen Minnesota. Da liefen zuhause die Radioshows mit Little Richard, Chuck Berry oder auch Buddy Holly – seine ersten Vorbilder. Er war ein Teeny wie viele andere, der auch bald in einer A-cappella-Band seine ersten kleinen Auftritte bei Familienfeiern hatte. A cappella mit dieser Stimme? Vielleicht ein erstes kleines Rätsel um seine prägnante Stimme, die immer wieder Kritiker auf den Plan rief; diese warfen ihm vor, die krächzenden, meckernden, schwer verständlichen Laute durchaus kalkuliert zu erzeugen.

Die Karriere des Bob Dylan nahm ihren Lauf, als er die Folkmusic entdeckte. Die Songs von Woody Guthrie und Pete Seeger lockten ihn in die Metropole. Genau vor 52 Jahren kam er nach New York, tauchte ein in die Straßencafés und Folk-Clubs von Greenwich Village. Seine konservativen Eltern hatten ihren ersten Widerstand aufgegeben, setzten aber ein Limit von nur einem Jahr. Sollte er in dieser Zeit keinen Erfolg haben, drohte seine Rückkehr in die „Wildnis“, wie er seine Heimat bezeichnete. Das Jahr reichte knapp – im Oktober 1961 bekam Bob Dylan seinen ersten Plattenvertrag.

Schon für sein zweites Album schrieb er mit „Blowin´ in the wind“ einen Song für die Ewigkeit. Spätestens das war der Durchbruch für einen kommenden Superstar, der sich ab jetzt immer mehr zu einem Egozentriker entwickelte. Für viele ein weiteres Rätsel, warum dieser einfache Junge vom Land sich so selbstverliebt gab und die Fachwelt immer öfter brüskierte. Man rätselte: war es Arroganz, waren es die Drogen, oder war es nur eine Masche? Auch dazu gab es nie eine eindeutige Erklärung von Bob Dylan selbst. Er schien auch keine Rücksicht auf die Erwartungshaltung seiner Fans zu nehmen. Legendär sein Auftritt 1965 auf dem Newport-Festival, als er zum ersten Mal zur Stromgitarre griff, ein Affront für alle Folk-Puristen. Buh-Rufe waren das Ergebnis, auch auf der darauffolgenden Tournee durch Großbritannien. Bob Dylan ermunterte seine Band, durch erhöhte Laustärke diese Unmutsäußerungen zu übertönen. Rätselhaft damals dieser Kampf des Künstlers mit seinem Publikum. Erst viel später erkannte man – es war die Geburtsstunde des Country-Rock.

Eines der größten Rätsel um Bob Dylan rankt sich um einen Motorradunfall im Jahr 1966. Dieser wurde zum größten Einschnitt seiner noch jungen Karriere. Was damals wirklich geschah, ist bis heute im Dunkeln. Eine lange Pause, in der er sich komplett aus der Öffentlichkeit zurückzog, war die Folge. Zurück blieben Gerüchte und Spekulationen. Zwei Jahre hörte man gar nichts von ihm, insgesamt acht Jahre blieb er der Bühne fern. Als er wieder auftauchte war Bob Dylan eine anderer – ein Countrysänger, der mit „John Wesley Harding“ und „Nashville Skyline“ zwei seiner erfolgreichsten Alben ablieferte. Seine Fangemeinde wurde immer größer, aber auch immer wieder mal irritiert. Privat erfuhr man höchstens im Nachhinein von seinen diversen Ehen, seinen Krisen bis hin zu einem Alkoholproblem in späteren Jahren. Seine Hinwendung zum Christentum hingegen zelebrierte er fast ausufernd auf Platte und Bühne. Seine Rolle als „Preacherman“ war eindeutig.

In jüngster Zeit hat er mal von „Transfiguration“ (Verwandlung) gesprochen und sogar behauptet, er wäre gar nicht er selbst – und gibt uns damit ein neues Rätsel auf. Derweil läuft seit 1988 ununterbrochen seine „Never Ending Tour“ mit ca. 100 Konzerten pro Jahr. Der Mann, der wie kaum ein anderer die Musikwelt des 20. Jahrhunderts mit geprägt und verändert hat, ist seit Jahren wöchentlich auf der Bühne zu bestaunen. Mit 71 Jahren macht er immer noch „sein Ding“, eigenwillig wie eh und je, dazu hochgeachtet weltweit. Nur wer Bob Dylan wirklich ist – das wird wohl für immer ein Rätsel bleiben.

Bob Dylan on youtube

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Die vorherigen “Meilensteine”:

Peter Gabriel (1), Creedence Clearwater Revival (2), Elton John (3), The Mamas and the Papas (4), Jim Croce (5), Foreigner (6), Santana (7), Dire Straits (8), Rod Stewart (9), Pink Floyd (10), Earth, Wind & Fire (11), Joe Cocker (12), U 2 (13), Aretha Franklin (14), Rolling Stones (15), Queen (16), Diana Ross (17), Neil Diamond (18), Fleetwood Mac (19), Simon & Garfunkel (20), Bruce Springsteen (21), ABBA (22), The Kinks (23), Michael Jackson (24)




Meilensteine der Popmusik (24): Michael Jackson

„Michael Jackson hat die beste Tanzmusik aller Zeiten gemacht. Er hat mich nicht nur inspiriert, sondern auch gezeigt, wie so etwas funktionieren kann: Sex, klare Rhythmen, geile Arrangements. Michael war ohne Frage ein Lehrmeister.“ Der Konkurrent Prince gab dieses überschwängliche Kollegenlob irgendwann einmal unaufgefordert von sich.

Dem Betroffenen müsste dieses noch mehr geschmeichelt haben, als einer der unzähligen Grammys in seiner Vitrine. Laut „Guinness Buch der Rekorde“ ist Michael Jackson der erfolgreichste Entertainer aller Zeiten.

Er war einer der wenigen Ausnahmekünstler, dessen Einmaligkeit sich in der Musikgeschichte eindeutig festschreiben lässt. Es ist zuerst natürlich die absolute Rekordzahl von weit über 100 Millionen verkaufter Exemplare des Albums „Thriller“ bis heute, knapp die Hälfte davon allein in den USA. Nie vorher oder nachher konnte eine einzige Platte auch nur annähernd diesen Umsatz erreichen, also eine Marke für die Ewigkeit.

Als diese Monsterscheibe heute vor genau 30 Jahren pünktlich zum Weihnachtsgeschäft erschien, reagierten die Kritiker zuerst einigermaßen vorsichtig. Das Comeback des damals 24-jährigen, ehemaligen Kinderstars lag gerade mal drei Jahre zurück; man hatte kaum noch damit gerechnet. Insider, die sich mit der Biografie des Michael Jackson beschäftigt hatten, zweifelten am Durchsetzungsvermögen des Künstlers. Kein Wunder, hatte doch der Familien-Tyrann, Vater Joe Jackson, den kleinen fünfjährigen Michael und seine kaum älteren Brüder Ende der 60er auf die Bühne geprügelt. Wenig später feierte die Welt die wohl größte Kinderband der Popgeschichte: The Jackson Five.

„Music and money“, beides hatte Daddy Joe fest im Griff. Auch die Disziplin seiner Kleinen: wer nicht spurte, wurde handfest überzeugt. So wuchs Michael ohne Kindheit auf, wurde durch alle Medien gereicht – und rechtzeitig zum Stimmbruch wieder fallengelassen. Die aufkommende Langeweile vertrieb sich Michael mit einem aufwendigen Zombiespiel. Kaum waren die letzten Pickel und Pusteln verflogen, ließ er sich von Spezialisten die Locken glattziehen, die Knollennase und das Kinn modellieren. Nicht immer gelang die Prozedur auf Anhieb, ab und zu musste eine Zusatzrunde für weitere Korrekturen eingelegt werden. Zudem litt er an einer tückischen Hautkrankheit, die seine Haut langsam bleichen ließ. So kam es, dass im Laufe der Jahre aus dem quäkenden Bengel ein verträumtes Beautymonster der anderen Dimension entstand.

Der ungeheure Drang zur Perfektion übertrug sich zum Glück auch auf den Künstler Michael Jackson. Seine Millionen brauchte er eigentlich nur, um immer wieder neue Mauern gegen die Außenwelt hochzuziehen. Seine Farm „Neverland“ wurde zum geheimnisvollen Mythos. Gerüchte und Skandale vom sorglosen Umgang mit Medikamenten, bis hin zum Vorwurf des Kindesmissbrauchs begleiteten das äußerst bizzare und geheimnisumwitterte Leben des „King of Pop“ bis zu seinem Tod im Juni 2009. Diesen Tod, durch eine Überdosis des Narkosemittels Propofol herbeigeführt, markierte für viele Beobachter auch den Schlusspunkt einer großen Verzweiflung, die den Künstler seit den weltweit aufsehenerregenden Prozessen befallen hatte. Obwohl er am 13. Juni 2005 in allen Anklagepunkten von einem Geschworenengericht einstimmig freigesprochen wurde, hat er sich von diesen Strapazen nie erholen können.

Ganz anders der Künstler Michael – dieser war stets im Dauertraining. Weltberühmte Choreographen waren begeistert von dem tänzerischen Talent des allzeit knabenhaft wirkenden Mannes. Seine Mitarbeiter schätzten seinen absoluten Professionalismus. Nie kam er unvorbereitet ins Studio, hatte sich meist schon Stunden vorher warm gesungen. Diese absolut berechnende Perfektion spiegelt das Meisterwerk „Thriller“ Song für Song wider. Für „Billie Jean“ musste der Gast-Bassist Louis Johnson (Johnson Brothers) seine ganze Gitarrensammlung ausprobieren, bis ein japanisches Modell den richtigen Sound brachte. Der wummernde Bass wurde stilbildend. Für das mittlerweile berühmte Gitarren-Solo von „Beat it“ bat man den Eddie van Halen ins Studio. Der rockte ohne Honorar auf der Platte, nur für die Ehre dabei gewesen zu sein. Auch sonst war die Gästeliste lang und edel: Von Paul McCartney über den Jazz-Veteranen Tom Scott bis zur halben Toto-Mannschaft. „Thriller“ schrieb als Platte und Video Musikgeschichte und markiert einen Wendepunkt in der Popmusik. Von nun an drängten sich schwarze Interpreten in die Playlist von MTV, die zuvor von weißen Künstlern bestimmt wurde. Und die Videos zu den Songs entwickelten sich zu teilweise künstlerisch anspruchsvollen Kurzfilmen, die mit der Zeit zu einer eigenen Gattung wurden.

Schließlich und endlich war „Thriller“ aber auch das Meisterstück eines der erfolgreichsten Produzenten der Musikgeschichte: Quincy Jones. Dieser hatte damals schon über 30 Jahre Höhen und Tiefen des Geschäftes hinter sich. Er erkannte schnell die neue Dimension, die sich hier aufgetan hatte: „Michael Jackson hat uns ganz nach oben geführt – dorthin, wo wir eigentlich auch hingehören. Schwarze Musik spielte lange Zeit nur die zweite Geige, aber sie ist schließlich der Ursprung der gesamten Popmusik. Michael hat es geschafft, damit alle Seelen dieser Welt anzusprechen.“

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Die vorherigen “Meilensteine”:

Peter Gabriel (1), Creedence Clearwater Revival (2), Elton John (3), The Mamas and the Papas (4), Jim Croce (5), Foreigner (6), Santana (7), Dire Straits (8), Rod Stewart (9), Pink Floyd (10), Earth, Wind & Fire (11), Joe Cocker (12), U 2 (13), Aretha Franklin (14), Rolling Stones (15), Queen (16), Diana Ross (17), Neil Diamond (18), Fleetwood Mac (19), Simon & Garfunkel (20), Bruce Springsteen (21), ABBA (22), The Kinks (23)




Meilensteine der Popmusik (23): The Kinks

„Was ist unser Leben eigentlich noch wert? Eine Zweiraumwohnung im zweiten Stock, kein Einkommen, und draußen versucht der Vermieter reinzukommen, um die fällige Miete einzutreiben. Wir sind eindeutig zweitklassig – Menschen, die in der Sackkasse leben, und dort auch sterben werden…“ (Auszug aus „Dead End Street“).

Ray Davies beobachtete seine Umgebung genau. Während die Songs der aufkommenden Protestwelle den Generationenkonflikt thematisierten, politische Auseinandersetzungen und Kriege anprangerten, ja bisweilen sogar den Weltuntergang beschworen, trieb sich Ray Davies in der Nachbarschaft herum. „Otto Normalverbraucher“ lieferte Davies die Themen für seine zumeist bissigen, sozialkritischen Songs.

Er war eindeutig der Kopf der Kinks (engl. kinky „schrullig“, „ausgeflippt“), neben den Beatles, den Rolling Stones und The Who eine der erfolgreichsten Vertreter der „British Invasion“, wie die US-Amerikaner damals die Beatwelle aus Großbritannien nannten. Als die Kinks 1963 im Norden von London zusammenkamen war auch schon Dave, der jüngere Bruder von Ray Davies, mit von der Partie. Beide kann man auch unter „schwierige Charaktere“ einordnen, ihr kompliziertes Verhältnis sollte die ganze Bandgeschichte mit beeinflussen. Doch erst einmal ließen sie es krachen. Ihre dritte Single brachte den Durchbruch und wird von den Rockwissenschaftlern als die Sternstunde des Hard Rock gefeiert: Bei „You really got me“ mit dem markanten Gitarrenriff, hält sich bis heute hartnäckig das Gerücht, dass der Studiomusiker Jimmy Page damals den Strom aus der Gitarre ließ… Jahre später erhob Page mit seiner Band Led Zeppelin den Hard Rock zur weltweiten Glaubensgemeinschaft. Doch das ist eine andere Geschichte.

Ray Davies indes wurde langsam zum Kultautor, zu einem der besten Songwriter seiner Zeit. Aber er war auch ein „Schwieriger“, wie sein Bruder. Ein Streit auf offener Bühne führte zur Eskalation während einer US-Tour. Da auch die dortige Bühnengewerkschaft involviert war, gab es erst einmal ein vierjähriges Auftrittverbot in den USA. Damit war die Karriere in den Staaten erst einmal erledigt. Aber auch im aufkommenden Wettbewerb um die erfolgreichsten Konzeptalben konnten die Kinks seltsamerweise nicht besonders punkten.

Mitentscheidend für den, im Vergleich zu anderen „Supergruppen“, begrenzten wirtschaftlichen Erfolg, waren wohl die eher unscheinbare Gesamtperformance der Gruppe, und die ständigen, internen Dissonanzen. Relativ häufig wechselte die Besatzung, nur die Brüder blieben. Als sich 1970 mit „Lola“ der größte kommerzielle Erfolg einstellte, wendete sich manch´ langjähriger Fan ab – nur kurzfristig, denn über die Jahrzehnte hielt sich der exzellente Ruf dieser Band.

Ob nun Punker oder Britpoper, sie alle respektierten the Kinks als stilprägend. Von den Brüdern Gallagher (Oasis) bis Wolfgang Niedecken (BAP) – auch bei prominenten Musikern gibt es bis heute genug Verehrer des genialen Songschreibers Ray Davies; so wie es Davies selbst in einem seiner Songs ausdrückte: „a well respected man“.

Ray Davies‘ Beobachtungen in der Nachbarschaft machten auch vor der Verwandtschaft nicht halt. Für viele der wohl schönste Song der Kinks ist die lyrische Rockballade „Waterloo Sunset“ aus dem Jahr 1967. Als Hauptpersonen agierten seine Schwester Julie und  sein Neffe Terry, die sich jeden Abend am Bahnhof Waterloo Station trafen. Sie spielten damals nur im Kopf des Dichters ein Paar, das im Sonnenuntergang, in den Menschenströmen der Rushhour, gemeinsam vom Auswandern in die neue Welt träumte. Eine Analogie, die Ray Davies für sich selbst auch immer in Anspruch nahm: den Traum vom Aufbruch in eine vermeintlich bessere Welt.

THE KINKS on dailymotion

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Die vorherigen “Meilensteine”:

Peter Gabriel (1), Creedence Clearwater Revival (2), Elton John (3), The Mamas and the Papas (4), Jim Croce (5), Foreigner (6), Santana (7), Dire Straits (8), Rod Stewart (9), Pink Floyd (10), Earth, Wind & Fire (11), Joe Cocker (12), U 2 (13), Aretha Franklin (14), Rolling Stones (15), Queen (16), Diana Ross (17), Neil Diamond (18), Fleetwood Mac (19), Simon & Garfunkel (20), Bruce Springsteen (21), ABBA (22)




Meilensteine der Popmusik (22): ABBA

Die alten Helden… sie hatten die 50- und 60er Jahre inhaliert, sich manchmal daran verschluckt, und dann wieder ausgespuckt; diese Helden waren frustriert. Beatles am Ende – Hendrix, Joplin, Morrison…alle tot – und Flowerpower? Wenn´s hoch kam, verblassten die Blümchen gerade auf der Wohnzimmertapete. Und auf einmal waren die 70-er da.

Süßlicher Phillysound verklebte Hitparaden und Gehörgänge, und am Horizont drohte schon unheilvoll ein bevorstehender Disco-Tsunami. Für die echten Freaks schien die Zeit stehengeblieben. Die alten Dylan- und Animals-Platten wurden geschont, in Zukunft nur noch nass abgespielt, man musste vorsorgen. Diejenigen, die früher Toleranz predigten, wirkten plötzlich verkniffen, schmallippig, intolerant. Da kamen ihnen die vier Schweden gerade recht. In ABBA sahen viele exemplarisch den Niedergang der abendländischen Kultur, wie später z. B. bei Boney M. oder auch Modern Talking. Allein schon diese Vergleiche gehören zu den großen Ungerechtigkeiten dieser Popwelt, denn die Karriere von Abba erstreckte sich über fast zehn Jahre und wurde eigentlich nie (wie viele Kritiker es gerne gesehen hätten) zur Masche.

ABBA stieß Mitte der 70-er in eine große Lücke, hinterlassen von vorwiegend britischen Gruppen, die mittlerweile erfolglos waren oder schon gar nicht mehr existierten. Diese Leere füllten sie aus bis zum Überlaufen. All´ das war nach den ersten Liedchen im Happysound à la „Waterloo“ überhaupt nicht abzusehen. Doch der Gesang von Agneta und Annifrid entwickelte sich immer perfekter, die Kompositionen von Björn und Benny erreichten schließlich Weltklasseniveau.

Nun war Schweden schon damals nicht die Welt, erst recht nicht in der Popmusik. Drüben in den Staaten aber warteten mittlerweile Millionen Fans auf ABBA. Die vier aber hatten einen Riesenbammel vor diesem Land. Man war sich einig, die USA nicht zu betreten, bevor man nicht ganz oben stehen würde: No 1 in den Hitlisten Amerikas. Heimlich hofften sie noch, dieses Ziel zu verfehlen, doch ihr Album „Arrival“, das Ende 1976 erschien, machte ihnen dann doch einen dicken Strich durch diese Rechnung. Es wurde ein wahres Superalbum mit mehreren Singles und einigen weiteren Songs, die allesamt ebenfalls Hits geworden wären, hätte man sie denn auch ausgekoppelt. Während „Knowing me, knowing you“ hier in Europa überall den Spitzenplatz belegte, stürzten sich die Amerikaner auf die „Dancing Queen“. Es wurde dann die erste Nummer 1 für ABBA in den USA. Dass es auch ihr einziger Tophit drüben blieb, lag wohl daran, dass sie ihrem Versprechen, sich endlich den Amerikanern zu zeigen, nur sehr widerwillig nachkamen. Obwohl sie in den Staaten eine wahre ABBA-Mania auslösten, waren ihre Vorurteile diesem Land gegenüber doch so groß, dass ihr Aufenthalt dort nur sehr kurz ausfiel.

Trotzdem sollte es noch Jahre und einige Hits lang dauern, bis die ersten Unstimmigkeiten und Trennungsgerüchte durchsickerten. 1983 dann, auch nach den privaten Trennungen, die ersten Solo-Projekte, die alle vier mit mehr oder weniger Erfolg für sich durchgezogen haben. Ein leibhaftiges Comeback war den Fans indes nicht vergönnt, obwohl eine „geschäftliche“ Trennung nie offiziell ausgesprochen wurde. Doch die Musik von ABBA feierte über die Jahrzehnte hinweg immer mal wieder ein Comeback. Allein der weltweite Erfolg von Musical und Film „Mamma Mia!“ zeigte die ungebrochene Zuneigung der Fans. Die ausgefeilten Arrangements und die absolut perfekten Produktionen der Songs von ABBA macht ihre Musik so zeitlos, dass sich bis heute unzählige Weltstars aus den verschiedensten Genres zu ABBA-Fans bekennen. Auf dieser Fanmeile stehen z.B. Gene Simmons (Kiss), Beth Ditto (Gossip), Bruce Springsteen oder auch Pete Townshend (The Who). Mit ca. 370 Millionen verkaufter Tonträgern gehört ABBA bis heute zu den erfolgreichsten Bands der Popgeschichte.

ABBA on clipfish




Meilensteine der Popmusik (20): Simon & Garfunkel

Der Jahresanfang 1970 brachte ein neues Album der Superlative. Simon & Garfunkel sollten ihre gemeinsame Erfolgskarriere mit „Bridge over troubled water“ krönen – und gleichzeitig auch beenden.

Die beiden Schulfreunde aus dem New Yorker Stadtteil Queens machten in den 60-er Jahren den Folkrock weltweit populär. Sie wurden zum erfolgreichsten Duo seit den legendären Everly Brothers. Was die Öffentlichkeit nicht bemerkte: Die Beziehung der beiden war von Anfang an mit Spannungen belegt. Spätestens bei der Produktion zu „Bridge over troubled water“ kamen diese ziemlich heftig zum Ausbruch. Der Kopf der beiden, Songwriter Paul Simon, packte 1972 über ihre letzte gemeinsame Studio-LP aus: „Es war kein Spaß damals zusammen zu arbeiten, es war Knochenarbeit. Art sagte, dass er diese Platte eigentlich gar nicht machen wollte – ich musste trotzdem da durch, wusste aber, dass es, nach diesen persönlichen Reibungen, mit uns einfach nicht mehr weitergehen konnte …“

Während der Aufnahmen war Art Garfunkel schon intensiv mit seinem Film „Catch 22“ beschäftigt, so dass bei einigen Songs Paul Simon solo zu hören ist. Ein Simon & Garfunkel-Album also… und dennoch kein richtiges. Die Trennung war hier schon eigentlich perfekt, aber der Krach ging trotzdem weiter. Paul Simon hatte für das Album ein Stück geschrieben mit dem Titel „Cuba si, Nixon no“. Der damals hochbrisante politische Inhalt war dem Kollegen Garfunkel zu heiß, er lehnte ab. Die Retour-Kutsche kam prompt: Einen neu aufgenommenen Bach-Coral, den Art Garfunkel favorisierte, schmiss Paul Simon aus der Produktion. So blieben statt der zwölf vorgesehenen Lieder nur elf übrig.

Ein Wunder, dass in diesem Chaos der Animositäten und Intrigen eine der schönsten und erfolgreichsten LP’s der Pop-Geschichte entstand. Die Bilanz: Hits wie „The Boxer“, „El condor pasa“, und „Cecilia“. Weit über 10 Millionen verkaufte LP’s, noch einmal so viele Singles. Dafür gab es insgesamt 6 Grammys. Das lag natürlich auch am Titelsong, der damals stündlich in den US-Radiostationen zu hören war. Doch auch um diesen Gesangspart gab es damals Streitigkeiten. Art Garfunkel sollte ihn übernehmen, wollte erst nicht, sang dann aber trotzdem. Seltsamerweise so intensiv und so schön, wie wohl vorher und nachher nie wieder. So hatte er entscheidenden Anteil am weltweiten Erfolg dieses Liedes, das Paul Simon komponiert hatte. Dieser wiederum gab später zu, wie neidisch er auf diesen Erfolg seines ehemaligen Partners war. Wenn bei den wenigen Malen, die Simon & Garfunkel noch live auftraten, „The bridge“ erklang und Paul Simon den Hauptscheinwerfer verließ, dann tobte das Volk zum Gesang von Art Garfunkel. Im Hintergrund wurde Paul dann eifersüchtig: „Das ist mein Lied, Mann, vielen Dank. Ich habe dieses Lied geschrieben!“ Spätestens dann versteht man diesen kleinen, und doch so großen Poeten Paul Simon, der in den Jahren danach als Künstler bewiesen hat, dass Art Garfunkel eigentlich nur die Nummer Zwei war. Heute, nach vielen Jahren und einer  Versöhnung mit Garfunkel hat Simon schon zugeben müssen, dass seine Stimme die Höhen von „The bridge“ wohl nicht so sauber gemeistert hätten wie die von Art Garfunkel.

Paul Simons Soloplatten machten ihn später zu einem der bedeutendsten Rock-Poeten seiner Zeit. Ein Amerikaner, der seiner Heimat in tiefer Zuneigung, doch teilweise sehr kritisch begleitete. Zudem ein prominenter Fürsprecher der Worldmusic, dessen Ruhm auch als 70-jähriger immer noch Bestand hat.

Simon & Garfunkel on Dailymotion

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Die vorherigen “Meilensteine”:

Peter Gabriel (1), Creedence Clearwater Revival (2), Elton John (3), The Mamas and the Papas (4), Jim Croce (5), Foreigner (6), Santana (7), Dire Straits (8), Rod Stewart (9), Pink Floyd (10), Earth, Wind & Fire (11), Joe Cocker (12), U 2 (13), Aretha Franklin (14), Rolling Stones (15), Queen (16), Diana Ross (17), Neil Diamond (18), Fleetwood Mac (19)




Meilensteine der Popmusik (19): Fleetwood Mac

Die Firma Fleetwood Mac war ein reines Saison-Geschäft. Ihr Personal wechselte ständig, wie Baumwollpflücker in den Südstaaten. Seit der Gründung 1967 holten sich fast ein Dutzend Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter den Dienstausweis bei dieser Firma.

Alles begann in Großbritannien, und am Anfang war der Blues. Sie schrubbten ihn zuerst bei „John Mayall’s Bluesbreakers“: John McVie, Mick Fleetwood und nicht zuletzt Peter Green, der bei den Bluesbreakers immerhin der Nachfolger von Eric Clapton war. Doch vom autoritären Bluesmann John Mayall weiß man, dass er über kurz oder lang fast jeden seiner Mitspieler vergraulte. Die meisten waren sowieso besser als der Meister. So entstand auch dankenswerterweise Fleetwood Mac. Sie orientierten sich stark an großen US-Blueslegenden, und waren schnell die beste und erfolgreichste Bluesband im Land.

Zeitweilig wurden drei Gitarristen beschäftigt, die Klassiker wie „Black magic woman“, „Man of the world“, „Oh well“ oder den großen Instrumentalhit „Albatross“ ablieferten. Als der Gitarrist, Komponist und Kopf der Gruppe Peter Green 1969 ausstieg, endete auch die erste große Karriere von Fleetwood Mac. Der zweite Gitarrist Jeremy Spencer rückte nach und verpasste der Gruppe eine neue Richtung. Diese ging ganz grob zum Rock’n’Roll der 50-er zurück. Das wollte aber nun wirklich keiner mehr hören – damals, am Anfang der noch orientierungslosen 70-er Jahre. Spencer packte seine Gitarre wieder ein. Das war während einer US-Tournee 1971.

Der Rest der Gruppe blieb ganz einfach drüben, und Mick Fleetwood – nun der unumschränkte Bandboss – plante den Neuaufbau. Fest integriert war mittlerweile John McVie’s Ehefrau Christine, die als Christine Perfect mit ihrer Band „Chicken Shack“ auch schon eine respektable Karriere vorweisen konnte. Dazu gesellte sich der eine oder andere amerikanische Musiker, wie zum Beispiel Bob Welch. Open House also bei Fleetwood Mac, und genauso hörten sich auch ihre Platten an. Ein Durcheinander von verschiedenen Musikstilen, lieblos produziert, ohne den richtigen Druck.

Der renommierte Produzent Keith Olsen konnte schließlich helfen. Er brachte die Gruppe mit dem kalifornischen Duo Stevie Nicks und Lindsey Buckingham zusammen. Dieses Liebespaar ließ es endlich knistern, im Studio und auf der Bühne. Die jungen US-Fans hielten Fleetwood Mac schon längst für eine einheimische Band, und irgendwie waren sie es ja auch mittlerweile. Zumal sich der Songwriter Lindsey Buckingham zum „künstlerischen Leiter“ durchgeboxt hatte. Er formte aus der ehemalig britischen Bluesband eine stramme, amerikanische Westcoastband.

Schon die erste LP in neuer Besetzung wurde ein Renner und bekam Platin. Doch Erfolg und ständiges Beisammensein auf Tourneen hatten einen katastrophalen Einfluss auf das Privatleben der Bandmitglieder. Lindsey und Stevie trennten sich nach immerhin acht Jahren, und auch das Ehepaar McVie reichte die Scheidung ein. Die Presse war voll mit Andeutungen und Vermutungen, wer es mit wem trieb bei der Firma Fleetwood Mac. Das Spektrum reichte von berühmten Rockkollegen bis zum Beleuchter. In diesem Gerüchtesumpf entstand eine der erfolgreichsten LPs der Rock-Geschichte: ‚Rumours‘ (Gerüchte). „Es war eine Art Extrakt aus den Tagebüchern unseres damaligen Lebens“, beschrieb John McVie später diese Arbeit. Die Platte des Jahres 1977 belegte 31 Wochen die Spitze der US-LP-Charts und lieferte vier Top-Hits: „Go your own way“, „Dreams“, „Don’t stop“ und „You make loving fun“. Fünf Grammys waren fast selbstverständlich, und dazu eine Monster-Welttournee, die alles zuvor Gebotene in den Schatten stellte. In der theatralischen Aufführung waren die herbe Schönheit Christine McVie und die elfenhafte Stevie Nicks eindeutig Mittelpunkt.

Dieser Kraftakt der 70-er ließ sich nie mehr auch nur annähernd wiederholen. Der überwältigende Erfolg gab den einzelnen „Mac’s“ aber Zeit, Freiraum und die nötigen Dollars für die jeweiligen Solo-Projekte. Mit über 40 Millionen verkaufter Exemplare von „Rumors“ konnte man sich langsam auf den Ruhestand vorbereiten. Und schließlich warteten wieder neue Mitarbeiter auf eine vorübergehende Anstellung bei der berühmten Firma Fleetwood Mac.

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Meilensteine der Popmusik (18): Neil Diamond

„Schulterlanges Haar, perlenbestickte Jeans-Kombination, überbreiter, mit silbernen Nägeln beschlagener Gürtel – so stand er vor seiner Gemeinde: der Meister. Davor ein Publikum, das ihm reihenweise wie überreife Pflaumen vor die Füße fiel.“ So sah es damals eine amerikanische Künstlerzeitschrift.

Damals, das war der August 1972 in Los Angeles, Kalifornien. An insgesamt zehn schwülen Sommerabenden im legendären „Greek Theatre“ erlebten tausende von Fans eine Show, die vieles bisher Gesehene und Erlebte in den Schatten stellte. Alle Abende waren komplett ausverkauft, und sie halfen, dass Neil Diamond zu einem Superstar der 70-er wurde. Sein Livealbum „Hot August Night“, stand über ein halbes Jahr an der Spitze der US-Charts, damals ein neuer Rekord.

Bei den meisten Open-Air-Konzerten stellte sich bis zu diesem Meilenstein nur eine wichtige Frage: ist es auch wirklich laut genug? Gerade mal eine Handvoll Tonmeister beschäftigte sich zu dieser Zeit professionell damit, das gesamte Klangbild einer Gruppe einigermaßen transparent abzumischen. „Soundmixing“ nannte man diese Innovation. Und man bekam auch schon ein erstes Gespür für Showeffekte – mal heller, mal dunkler, je nach Song auch ein paar farbige Spots. Dazu ganz gern trübe Nebelschwaden aus einer scheppernden Trockeneismaschine. Künstler in karierten Baumwollhemden, Gitarre klimpernd vor 400.000 bedröhnten Hippies auf der Matschwiese von Woodstock – das war einmal. Die Leute wollten nunmehr etwas sehen für ihr Geld.

Ein Pop-Konzert wie eine Broadway-Show. Vorhang auf zum „Opening“. Auf der Bühne exzellente Musiker in klassischer Rock-Besetzung, ein Chor, dazu als Begleitung ein richtig großes Orchester, sogar mit Streichern. Der Star des Abends musste ein Entertainer sein, der nicht nur singen kann, sondern der auch „Theater spielt“; der mit dem Publikum spricht, sich völlig verausgabt, schweißnass bis zum großen Finale. Die Dramaturgie musste stimmen. Genau so sollte es geschehen, damals in L.A. Eineinhalb Stunden bot Neil Diamond alles, was er so drauf hatte. Die lauten und die leisen Töne, eine Mischung aus Prediger und Paradiesvogel. Die Bühne war vollgestopft mit Musikern und Technik, die allesamt einen Sound ablieferten, der teilweise die Studioproduktionen übertraf. Ob der Künstler wohl damals ahnte, dass dieses hier schon der absolute Höhepunkt seiner Karriere war? Wohl kaum, denn der ehemalige Biologie- und Chemiestudent war zeitlebens auf der Suche nach Anerkennung.

Es begann in der Kindheit. Bedingt durch häufigen Schulwechsel, war der kleine Neil gezwungen, sich immer wieder vor neuen Mitschülern zu beweisen. In Brooklyn brauchte man dazu entweder ein Messer in der Tasche, oder ein außerordentliches Talent. Die Gitarre beförderte dieses Talent zu Tage. Die ersten Songs bekamen die Schüler der Erasmus-High-School zu hören. Spätestens auf der Uni kam dann die Überlegung, ob ein Leben als Mediziner Dr. Diamond in der Vorstadt Anerkennung genug böte. Ein klares „nein“ war die Antwort, und die Show-Branche damit der einzige Ausweg. Für schlappe 35 Dollar erwarb Neil Diamond ein altes Piano, mietete sich einen Probenraum, und komponierte, was das Zeug hielt. Einige Musikverlage zeigten sogar Interesse, und kauften seine Songs für ihre Künstler. Selbst auftreten und singen durfte er nur am Abend in den Clubs und Cafés von Greenwich Village. Eine Dame namens Ellie Greenwich und ihr Gatte Jeff Barry, ein damals sehr erfolgreiches Autorengespann, sie entdeckten den jungen Neil Diamond, ohne zu wissen, was für eine Konkurrenz sie sich da heranzüchteten. Schon nach kurzer Zeit bekam er Anerkennung als Komponist. „I´m a believer“, das er für the Monkees schrieb, wurde ein Welthit. Über Nacht wurde Neil Diamond zum Geheimtipp und wenig später selbst zum Star. Es war die Stunde der Singer-Songwriter, Selfmademen, die alle Fäden in einer Hand hielten.

Zwischendurch flippte er regelmäßig aus, der mittlerweile große Künstler. Er suchte immer wieder nach Fluchtwegen aus diesem Popzirkus, immer auf der Suche nach Größerem, weit weg vom schnöden Tingeltangel. Als er nach seinen heißen Augustnächten im „Greek Theatre“ von L.A. bei einem Plattenriesen für 5 Millionen Dollar einen Plattenvertrag unterschrieb, war er für einen Moment der absolute König der Popmusik. Doch was tut dieses Genie? Es nimmt für ein Jahr klassischen Klavierunterricht. „Ich träume nicht davon, George Gershwin zu sein; ich denke eher an Beethoven, soviel glaube ich nämlich musikalisch leisten zu können“. Da hatte er sich aber sehr weit aus dem Fenster gelehnt…zu weit. Sein erstes Großprojekt in dieser Richtung, einen Filmsoundtrack, bezeichnete die Kritik als „ungenießbare Moviebrühe“.

Und dann noch sein Debüt als Filmstar, 1980 in „The Jazz-Singers“ – die Kritiker kugelten sich vor Lachen; obwohl diese Reaktion im Nachhinein wirklich stark überzogen war. Der immer leicht blasiert und arrogant wirkende Neil Diamond hatte im Feuilleton wenig Freunde. Ergebnis: die Orientierung war endgültig futsch, die vernachlässigte Plattenkarriere schon längst im Eimer.

Was bleibt ist die Gitarre und das Meer von Fans – Fans, die Neil Diamond bis heute die Treue halten. Nur sie allein haben ihn zu einem der begehrtesten Livekünstler und Entertainer gemacht. Sie rufen ihm zu: „Hey, Du bist nicht Mozart und nicht Bogart. Du bist Neil Diamond – einzigartig… komm‘, spiel uns einen deiner schönsten Songs“.

Neil Diamond on dailymotion




Meilensteine der Popmusik (17): Diana Ross

„Ob nun sexy, damenhaft, verspielt, Soul oder Blues – Dianas Anziehungskraft überbrückt Generationen, und die verschiedensten musikalischen Geschmäcker.“ So schrieben es Musikkritiker, und Diana Ross ist schon immer ein Liebling der Fachpresse gewesen. Vor allen Dingen, wenn man die Damen und Herren zu ihren pompösen und aufwendigen Galavorstellungen einlud. Da konnte man immer wieder gerne am Champagnerkorken schnuppern. Aber so verlor Lady Diana auch immer mehr den Kontakt zur Basis, zu all den Fans, die sich ihre Flitter-Flatter-Konzerte nicht mehr leisten konnten. An den Hitparaden sollte sie es erkennen. Dort ging es abwärts mit Diana Ross, in der zweiten Hälfte der 70-er Jahre.

In solch brenzligen Situationen war es schon immer ratsam, sich in der aktuellen Szene umzuschauen. Das heißeste Produktions- und Autoren-Team des Jahre 1980 hieß zweifellos „Chic-Productions“. Die Macher: Bernard Edwards und Nile Rodgers. Mit ihrer Gruppe „Chic“ und ähnlichen Produktionen für andere Künstler räumten sie damals in den Discotheken der Welt ab.

Die mittlerweile 36-jährige Diana Ross entschloss sich, noch einmal auf die Kids zuzugehen und engagierte Edwards und Rodgers, für sie eine LP zu schreiben und zu produzieren. Vom Ergebnis der fertigen Produktion war die Grand-Dame allerdings überhaupt nicht angetan. Sie fühlte sich wie ein Gaststar auf einem neuen „Chic“-Album. Sie schickte die fertigen Bänder an die Produzenten zurück, mit genauen Anweisungen, wie die einzelnen Songs neu abgemischt werden sollten. Nun aber waren die beiden Produzenten sauer. Der Form halber machten sie kleine, kaum hörbare Veränderungen, und das Ganze ging zurück, mit der wohl nicht ganz ernst gemeinten Bemerkung, falls es der Künstlerin immer noch nicht gefallen sollte, könne sie das Ganze doch einfach selbst abmischen. Edwards und Rodgers lachten sich eins. Das sollte ihnen aber schnell vergehen.

Frau Ross schnappte sich nämlich einen Produktionsassistenten und nahm sich Titel für Titel selbst vor, bis ihr Stimmchen nicht mehr im Hintergrund trällerte, sondern ganz weit vorn. Das ganze Album nannte sie schlicht „Diana“ und es wurde, überaus mutig, mitten in das Sommerloch 1980 geworfen.

Bernard Edwards und Nile Rodgers, die gehörnten Produzenten, waren schockiert. So etwas war ihnen noch nie passiert. Stocksauer und wütend riefen sie beim Plattenboss von Motown Berry Gordy an. Der konnte sie nach langem Hin und Her beruhigen, riet den beiden, sich die Platte doch erst einmal anzuhören, sie sei riesig geworden. Diesen Eindruck hatten auch die Fans. Es wurde das erfolgreichste Solo-Album für Diana Ross überhaupt. Und mit der Single „Upside down“ hatte sie auch mal wieder einen Welthit, der bis heute zu den absoluten Disco-Knüllern gehört.

So konnte man den ganzen Wirbel hinter den Kulissen schnell vergessen, denn Diana Ross war ihrem Prinzip treu geblieben: „Bevor ich überhaupt irgendeinen Song singe, muss ich mich total mit ihm identifizieren. Erst wenn ich voll zufrieden bin, entsteht dann diese Kommunikation mit dem Publikum. Erst dann bekommen die Leute, was sie letztendlich wollen …“

Diana Ross on dailymotion

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Die bisherigen “Meilensteine”:

Peter Gabriel (1), Creedence Clearwater Revival (2), Elton John (3), The Mamas and the Papas (4), Jim Croce (5), Foreigner (6), Santana (7), Dire Straits (8), Rod Stewart (9), Pink Floyd (10), Earth, Wind & Fire (11), Joe Cocker (12), U 2 (13), Aretha Franklin (14), Rolling Stones (15), Queen (16)




Neue CD mit Henryk Góreckis 3. Sinfonie – Spekulieren auf den einstigen Kultstatus

Neu erschienen auf CD: Henryk Góreckis 3. Sinfonie. Foto: Sony

Der polnische Komponist Henryk Górecki ist außerhalb seines Heimatlandes nahezu ein Unbekannter. Seine Hoch-Zeit hatte der 1933 Geborene ohne Zweifel in den 50er und 60er Jahren, zunächst beim Musikfestival Warschauer Herbst, später in Paris. Hier lernte er die westeuropäischen Avantgardisten Boulez, Messiaen und Stockhausen kennen. Góreckis Orchesterstück „Scontri“ war bei der Uraufführung 1960 einem Aufruhr des entsetzten Publikums ausgeliefert, schon allein wegen der teils extremen Lautstärke des Stückes.

Mitte der 60er aber vollzog sich die langsame wie stetige Wandlung des Bilderstürmers Górecki. Geprägt vom starken Katholizismus seines Landes, auf der Spur volksmusikalischer Wurzeln, komponierte er zunehmend harmonisch, meditativ, klar strukturiert. Als wichtiges Werk dieser Entwicklung dürfte die 1976 geschriebene 3., die „Sinfonie der Klagelieder“ gelten. Der gut 50minütige Dreisätzer für Streicher, Klavier und Sopran ist ein ruhig fließendes Lamento, ein Totengesang in drei Varianten. Maria beweint ihren sterbenden, toten Sohn. Die Textquellen sind eine spätmittelalterliche Heiligkreuzklage, eine KZ-Inschrift, ein oberschlesisches Volkslied. Religiös Inbrünstiges trifft auf weltliche Verzweiflung.

Die historische Pointe dieser Werkgeschichte liefert indes erst das Jahr 1992. Als die zweite CD-Einspielung der 3. erschien, mit der Sopranistin Dawn Upshaw und der London Sinfonietta unter David Zinman. Als diese Platte gut eine Million Mal verkauft wurde. Als sie zeitweise Eingang in die Album-Charts fand, also sich auch unter Jugendlichen größter Beliebtheit erfreute. Offenbar traf die Sinfonie den Zeitgeist: schwankend zwischen dem Bedürfnis nach Kontemplation und dem tönenden Protest gegen das Laute in der Welt.

Nun ist, 20 Jahre nach diesem unverhofften Run auf eine „Klassik“-CD, eine neue Deutung auf den Markt gekommen. Mit der libanesischen Sopranistin Isabel Bayrakdarian und dem Danish National Symphony Orchestra, dirigiert vom Amerikaner John Axelrod. Eine Liveaufnahme aus dem Konzerthaus Kopenhagen, die bei allem dunklen Streicherraunen hinreichend transparent erklingt.

Doch so eindringlich das Orchester die an- und abschwellende Dynamik nachzeichnet, so enttäuschend wenig Farbschattierungen sind zu hören. Górecki lässt mit seinem weiträumigen Minimalismus die Zeit verharren, aber daraus formt Axelrod nur bedingt Spannungsvolles. Die Sängerin trägt zudem oft reichlich dick auf, die Stimme leuchtet klagend, aber bisweilen rau, kehlig und nicht ohne Schärfe. So bleiben viele Zweifel, ob diese Aufnahme erneut Chancen auf Kultstatus hat. Denn warum sonst wurde die CD produziert? Eine ernstzunehmende Beschäftigung mit dem Werk Góreckis geht davon jedenfalls nicht aus.

Erschienen bei Sony Music

www.klassik.sonymusic.de




Slawische Schwermut, nordische Sehnsucht: Das neue Album der Geigerin Vilde Frang

Die junge norwegische Geigerin Vilde Frang hat ihre neue CD veröffentlicht. Foto: Marco Borggreve (EMI)

Sie hat den Bogen raus. Kann es sich inzwischen leisten, hinter einer präzisen, wie selbstverständlich aufblitzenden Virtuosität, den Kern musikalischen Ausdrucks anzupeilen. Denn die norwegische Geigerin Vilde Frang, 25 Jahre jung, hat entschieden an Reife gewonnen. Ihr zuzuhören, gleicht jedes Mal einer Entdeckungsreise – hin zu fragilen, verhangenen, satten, herb expressiven oder leidenschaftlich schroffen Klängen.

Nun ist ihr drittes Album erschienen, mit den Violinkonzerten von Peter Tschaikowsky und Carl Nielsen. Slawische Schwermut trifft hier auf nordische Sehnsucht, andererseits kerniges russisches Lokalkolorit auf dänischen Überschwang. Das macht den Reiz dieses Albums ebenso aus wie die Tatsache, dass sich ein Repertoireschlachtschiff neben einer Rarität findet. Vilde Frang schafft es, das eigentlich totgegeigte Tschaikowsky-Konzert zu einem aufregenden, glanzvollen wie spannend rauen Klangjuwel zu formen. Und sie nimmt das großformatige Nielsen-Stück so leicht wie ernst.

Akkuratesse in der Tongebung, Sicherheit in der dynamischen Balance, vor allem aber die Fülle an Farben, die Frang ihrem Instrument entlockt, lassen aufhorchen. Bei Tschaikowsky steht kernige Brillanz neben einer wehmütigen, teils wie hingehauchten, lyrischen, eleganten Phrasierung. Die Solistin kann wunderbar attackieren und sich blitzartig zurücknehmen. Sie gibt Nielsens teilweise putzig naiven Volksweisen jenes Funkeln mit, das uns milde lächeln lässt. Und Frang formt die rhapsodisch breiten, langsamen Sätze mit Vehemenz und Strenge.

Beinahe Ungewöhnliches kommt hinzu: Ein toller Orchesterklang, der nichts zudeckt, der Musik insgesamt Luft zum Atmen lässt. Eivind Gullberg Jensen dirigiert das Danish Radio Symphony Orchestra umsichtig, immer die rechte dynamische Balance, die Durchhörbarkeit im Sinn. Tschaikowskys Motivwiederholungen und –Sequenzierungen klingen nie langweilig, trotzdem nicht protzig übersteuert. Und Carl Nielsen wird weder künstlich in die Nähe eines Sibelius gewuchtet, noch erscheint das Verspielte der Musik verniedlicht. Ein schönes, spannendes Album.

(Erschienen bei EMI Classics 6 02570 2)

www.emiclassics.de




Ein Hoch der Tastenkunst: Martha Argerich beim Klavier-Festival Ruhr

Der Jubel war programmiert: Martha Argerich, eine der bekanntesten Pianistinnen weltweit, gehört zu den geschätzten „Stammgästen“ des Klavier-Festivals Ruhr. Solo-Konzerte gibt die Dame mit den langen grauen Haaren seit langem nicht mehr gerne. Sie macht mit Musikern, die sie schätzt, Kammermusik. In diesem Jahr konzentrierte sich ihr Auftritt in der Philharmonie auf das Klavier. Zwei Flügel, vier Spieler, acht Hände: Der Tastenkunst wurde Tribut gezollt!

Argerich eröffnete den Abend mit ihrer langjährigen Klavierpartnerin Lilya Zilberstein. Mozarts D-Dur-Sonate zu vier Händen (KV 381) schnurrte in perfekter Gleichzeitigkeit dahin. Die Damen gönnten sich kein Innehalten, preschten durch den ersten Satz. Kein idealer Zugang zu Mozart: Farbwechsel wären durch die Noten beglaubigt und würden die Vorherrschaft des rein Motorischen brechen. Dass Mozart zum Beispiel die Staccato-Treppchen schon nach vier Takten durch Bindebögen, nach weiteren vier Takten durch Rhythmuswechsel ersetzt, hat für die beiden stürmischen Damen keine Konsequenz für ihre Rhetorik. Und der piano-Einsatz ab Takt 14 zählt nicht als Zäsur, nach der sie die Artikulation verändern. Der zweite, schön fließende Satz gestand Mozart jedoch die Tiefe der Empfindung zu; im dritten Satz waren die Pianistinnen brillant-gelöst im Allegro molto angekommen.

Lilya Zilberstein (links) und Martha Argerich bei ihrem Essener Auftritt beim Klavier-Festival Ruhr. Foto: Mark Wohlrab/KFR

Lilya Zilberstein (links) und Martha Argerich bei ihrem Essener Auftritt beim Klavier-Festival Ruhr. Foto: Mark Wohlrab/KFR

Aus zweien von Debussys „Trois Nocturnes“ hat Maurice Ravel ein effektvolles Stück für zwei Klaviere gemacht, in dem Zilberstein und Argerich in ihrem Element sind: Konzentration auf magische Klangmomente, meditatives Kreisen, ein raffiniertes Spiel mit der Spannung, aber auch rasantes Martellato. Wenn im zweiten Stück, „Fêtes“, die dunkle Bässe „ausrollen“, die Spannung der Musik verebbt, noch einmal ein paar Töne aufklingen, wie Schaumkrönchen sich an einem Felsbrocken am Strand bilden, bevor bestimmende Bass-Akkorde das Ende signalisieren, dann wird beim Zuhören klar, wie souverän die beiden zu gestalten wissen.

In Franz Liszts „Concerto pathétique“ steigern sie die Ausdrucksmittel noch: Musikalische Gesten werden – wie im Stummfilm – expressiv überzeichnet: schmerzliches Pathos, aufgewühlte Bewegung, verzehrende Intensität, bittersüße Melancholie. Doch in einer von Martha Argerich unvergleichlich innig erzählten Melodie klappt jemand – schnapp – die Handtasche zu. Kein Augenblick der Zeit ist vollkommen …

Der Abend wurde auch genutzt, den Söhnen von Lilya Zilberstein zu ihrem Klavier-Festival-Debüt zu verhelfen: Daniel und Anton Gerzenberg verstärkten das Damen-Duo in Bedrich Smetanas Sonate für zwei Klaviere zu acht Händen. Füllig und orchestral kommt diese Musik daher, aber Smetana war doch wohl eher Melodiker als ein Freund kontrapunktischer Herumfeilerei. Die harmonischen Subtilitäten sind bei den Vieren in schön ausbalancierten Händen. Daniel und Anton, zwei sympathische Jungs, können leider – auch in der Zugabe eines Smetana-Rondos – nur beflissenes Teamwork beisteuern. Da die beiden seit 2008 als Klavierduo auftreten, wird es wohl irgendwann die Gelegenheit geben, zu hören, was sie wirklich können.

Ans Ende – vor die drei heftig beklatschten Zugaben – setzen Argerich und Zilberstein acht Sätze aus Tschaikowskys „Nußknacker“: Tanzmusik vom Feinsten, mit Geschmack, blitzender Präzision und einem kleinen Schuss Sentiment veredelt. Noch ein Hinweis: Am 20. Juli erscheint Martha Argerichs neuestes Album. Mit Gidon Kremer (Violine), Yuri Bashmet (Viola) und Misha Maisky (Cello) spielt sie Brahms‘ Klavierquartett op. 25 und Schumanns Fantasiestücke op. 88.




Meilensteine der Popmusik (14): Aretha Franklin

„Ein Song muss davon handeln, was man selbst erlebt hat oder auch noch erleben könnte. Nur dann ist er gut. Wenn mir etwas fremd ist, dann kann ich gar nichts hineinlegen, denn Soul bedeutet ja Leben – Leben, wie es wirklich ist“. Aretha Franklin sagte es mit ganz schlichten Worten.

Das wirkliche Leben hat natürlich noch viele andere Gesichter. Der reiche Farmbesitzer aus den Südstaaten sah es anders als seine schwarzen Baumwollpflücker mit einem 14-Stunden-Tag. Die Villa im kalifornischen Malibu mit Meerblick bietet eine andere Aussicht als das Ghetto am Rande von Detroit-City. Dort wuchs sie auf, die kleine Aretha mit ihren vier Geschwistern, und gehörte schon zu den Privilegierten. Papa war nämlich C. L. Franklin, ein überregional bekannter Prediger mit einem berühmten Gospel-Chor. Töchterchen Aretha durfte schon früh mitmachen, und erfuhr so, wie man sich das  Leben als Schwarzer vorzustellen hat: fromm und gottesfürchtig. Dass sich bei der Gospelmusik besonders bei jüngeren Leuten auch andere Gefühle regen, davon wollten konservative Baptisten allerdings nichts wissen. Kirchenmusik zum Lob Gottes und nicht für Hitparaden und Tanzschuppen.

Der weißen Musik-Mafia war das gerade recht. Sie hatte sich schon jahrzehntelang bei schwarzer Musik bedient. Dixie, Swing, Rhythm & Blues – alles wurde abgeguckt, glattgebügelt, und mit weißen Topstars wurde aus der „Negermusik“ der eine oder andere Tagesschlager. Doch spätestens seit James Dean und Elvis der weißen Jugend klipp und klar gezeigt hatten, wo’s lang geht, brodelte es auch unter den jungen Schwarzen. Einige von ihnen, die es unter großen Schwierigkeiten versucht hatten in die fast ausschließlich weiße Musikwelt einzudringen, gingen bei den Franklins ein und aus: Sam Cook und Mahalia Jackson zum Beispiel. Sie machten der 18-jährigen Aretha Franklin Mut und schufen die Verbindung zu einer Plattenfirma.

Dort saß schon damals so etwas wie eine graue Eminenz: John Hammond. In einer langen Karriere war er Entdecker von Billy Holliday, Bob Dylan, oder auch später von Bruce Springsteen. Mit Aretha Franklin sollte Mr. Hammond nicht so viel Glück haben. Denn ihre Produzenten zwängten sie in ein süßliches Big-Band-Kostüm. Nichts für die schwarze Seele, die gewohnt war, mit ihren vier Oktaven mal kernig aufzuschreien. Das erlaubten sich zwischenzeitlich schon andere Kollegen wie Otis Redding, Wilson Pickett, oder auch James Brown; so intensiv und auch aggressiv, dass die Seele anfing zu kochen, und den Weißen Angst und Bange wurde.

Atlantic hieß die größte Plattenfirma, die den Mut hatte, all´ das rauszulassen, was Schwarze wirklich fühlten. Dort bekam Aretha Franklin nun auch eine Chance. In einem Studio in Manhattan setzte man sie an ein Klavier und sagte: „Mädchen, nun sing mal wie damals in der Kirche“. ‚I never loved a man‘, so hießen LP und Single, und machten Aretha Franklin auf einen Schlag zur ‚Queen of Soul. Obwohl viele Sängerinnen diesen oder ähnliche Titel immer mal wieder für sich beanspruchten, nur Aretha Franklin ist es für viele bis auf den heutigen Tag geblieben. Zurückzuführen sicherlich auch auf ihren größten Hit, den Otis Redding für sie schrieb. In zweieinhalb Minuten gab sie der farbigen Jugend Amerikas das zurück, auf was die meisten ihrer Vorfahren verzichten mussten: Selbstwertgefühl, Anerkennung, Menschenwürde und Stolz – ein Leben mit Soul und ‚Respect‘.

ARETHA FRANKLIN on Dailymotion

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Die bisherigen „Meilensteine“:

Peter Gabriel (1), Creedence Clearwater Revival (2), Elton John (3), The Mamas and the Papas (4), Jim Croce (5), Foreigner (6), Santana (7), Dire Straits (8), Rod Stewart (9), Pink Floyd (10), Earth, Wind & Fire (11), Joe Cocker (12), U 2 (13)

 




Leuchtende Hoffnungen der 60er Jahre – Peter Kurzecks Hörbuch „Unerwartet Marseille“

Es gab eine Zeit, in der die Welt von Tag zu Tag besser zu werden schien. Auch nach der Sommersonnenwende (21. Juni) soll damals die Helligkeit noch zugenommen haben. Wie denn das?

Wenn jemand damals einen Tramper mitnahm, so bedeutete das einfach: einsteigen, sein Leben mitbringen, sich freimütig austauschen. Es war der Vorschein des Jahres 1968, der da schon flirrte. In dieser Zeit vordem ungeahnter Freiheitsversprechen wollten die Jungen und Neugierigen, einmal aufgebrochen, immer und immer weiter fahren. Da konnte es geschehen, dass man auf einmal in Südfrankreich war, obwohl man doch am nächsten Tag wieder hätte arbeiten sollen: „Unerwartet Marseille“, so telegraphierte Peter Kurzeck damals seinem Arbeitgeber als „Entschuldigung“ – und wurde nicht entlassen. Ein paar Jahre später hat sich Kurzeck fürs Leben eines Schriftstellers entschieden. Auch davon weiß er mit großer Genauigkeit und ansteckender Begeisterung zu berichten.

Peter Kurzeck (Jahrgang 1943) zuzuhören, das ist eine Labsal. Wesentliche Teile seines Werks sind just mündliche Erzählungen – und von dort kommt ja letztlich alle Literatur her. 2007 kam seine weit ausgreifende, nicht genug zu preisende Kindheits-Geschichte heraus: „Ein Sommer, der bleibt“ (4 CDs, 290 Minuten, erschienen bei supposé, Berlin, 34,80 Euro), jene wunderbar detailreich gesponnene nordhessische Nahansicht der bundesdeutschen Nachkriegszeit aus der Perspektive eines kleinen Jungen und sodann Heranwachsenden. Man möchte sie geradezu trinken, all diese wahrhaftigen Augenblicke, die sich nie zur falschen Idylle verklären. Manches ist zum Flennen schön.

Jetzt also liegt Kurzecks neues Hörbuch vor: „Unerwartet Marseille“ (2 CDs, 123 Minuten, erschienen bei Stroemfeld, 19,80 Euro). Es ist die Aufzeichnung einer Live-Lesung an der Universität Siegen vom 25. Mai 2011. Da erstrahlen noch einmal die Hoffnungen, die viele junge Menschen vor und um 1968 nicht nur gehegt, sondern innigst gelebt haben. Taucht man ein in Kurzecks wunderbar ruhigen Erzählfluss, so möchte man weit, weit getragen werden – am liebsten bis an die Gestade gelungener Zukunft, an die Ufer der Utopie. Zitat: „Alles, was man sieht, fängt ein bisschen zu leuchten an.“

Der linke Großvater erzählt, zum soundsovielten Male? Oh nein, das ist es beleibe nicht. Kurzecks Mitteilungen aus der Vergangenheit sind bar jeder Ideologie, überhaupt frei von jeglicher Anmaßung. Weder geht es hier um Deutungshoheit, noch kann von Naivität die Rede sein. Längst Verwehtes wird getreulich im gesprochenen Wort bewahrt. Man könnte meinen, etwas vom Geist jener Zeit wehe auf einmal wieder hier und jetzt. Es muss da eine Substanz geben, die womöglich bleibend ist. Welch ein wertvoller Stoff!

Der Erzähler glitt im milden Dauerrausch durch Tage und durchwachte Nächte. Allfälliges Kiffen und Trinken „von Glas zu Glas“, an anderer Stelle als „konsequentes Trinken“ bezeichnet, grundieren die ungemein gelassene Wahrnehmung, für die sich alles im Fluss befindet. Vor allem im Sonnenlicht funkelnde Weiß- und Roséweine verschönen die ohnehin schon wunderbaren Tage.

Kurzeck hatte damals spürbar Lebenshunger, war stets begierig auf neue Gegenden und Menschen, sorglos unterwegs, für ein paar Jahre gleichsam „unsterblich“. Seine Reisewege führen z. B. nach Amsterdam, München, Venedig, Triest, Istrien, Wien, Schweden, ans Nordkap. Jede Stadt und Region hat zwar ihr eigenes Gepräge, doch überall gibt es den Hauch der neuen Hoffnung.

Schon 1964 fährt Kurzeck erstmals ins goldene Prag, wo viele Menschen bereits den Vorfrühling in Köpfen und Herzen tragen. Und dann erst 1968, dort! Da herrscht rundum das intensive Gefühl, dass die Welt besser wird, dass alles schlichtweg so sein soll und nicht anders… In diesem Klima ist der Erzähler immer wieder neu verliebt, denn siehe, auch die Frauen sind in jenen Tagen schöner denn je!

Wehmut und Wut darüber, wie dieses Wachsen der Utopie hernach zertreten und von Panzern überrollt wurde, werden insgeheim miterzählt, doch es überwiegt der Gestus des rettenden Festhaltens der federleichten Freiheit – für diese und für kommende Zeiten: Solche Tage waren einmal möglich. Warum soll es nicht einmal wieder so werden?




Ansichten eines Hörbuch-Junkies (2): „Schmitz‘ Katze“

Gut, dass ich ein großartiges Wochenende verlebt habe, das Unsommerliche an diesem Sommer in meist familiärem Kreis abwettern konnte und ich nicht die Regionalbahn entern musste, mit der ich zum Arbeitsplatz gelange. Denn für den Fall, dass ich dies hätte tun müssen und dabei wie stets meiner Hörbuchabhängigkeit hemmungslosen Freilauf hätte gewähren müssen, dann hätte unweigerlich irgendein Mitreisender die Zugaufsicht, das Sicherheitspersonal oder per cellular (bei uns denglisch Handy genannt) den Polizeiposten des nächst gelegenen Bahnhofes in Alarmstufe Rot versetzt, weil in seinem Waggon ein vermutlich Schwachsinner säße, der sich alle erdenkliche Mühe zu geben schiene, den Zug mittels Flutung durch Tränenflüssigkeit an der Weiterfahrt zu hindern. Stattdessen hockte ich von konvulsivischen Zuckungen geplagt auf einem Küchenstuhl und setzte selbigen unter Wasser, während ich meiner geliebten Frau bei der Herstellung köstlichen Kartoffelsalates beiwohnte und wir dabei „Schmitz‘ Katze“ hörlasen.

Ralf Schmitz persönlich erzählte uns von seiner greisen, 23 Jahre alten (in Worten dreiundzwanzig), daher seiner festen Überzeugung nach alzheimernden Lebensabschnittsgefährtin „Minka“ – und mit jedem Wort führte der Komödiant (ihn jetzt noch Comedian zu nennen, verbietet sich mir) mir und ganz sicher vielen tausend gleichgesinnten Katzen-Mitbewohnern und –innen das Handeln der eigenen Herrin des jeweiligen Hauses derart plastisch vor Augen, dass diese unweigerlich in Tränen ausbrachen – vor glucksendem Lachen, um das brüllende zu vermeiden.

Ralf Schmitz, das ist der hibbelige „Ich-will-auch-was-sagen-Rufer“, den mensch aus der Glotze kennt, zum Beispiel aus „Die dreisten Drei“. Ach der, mag nun die eine, der andere denken und innerlich zu einer abfälligen Handbewegung neigen, aber da mir solches zuvor auch gern geschehen wäre, warne ich Voreilige. Der Mann ist genial, kann derartig sprachsicher über Katzen und deren Personal (das sind wir Menschen, die wir in der festen Annahme, sich Katzen zu halten, diesen jedoch hoffnungslos untergeben sind) schreiben, dass ein jedes Haushaltsmitglied sich wiedererkennt, weil seine Katze sich ebenso verhält wie „Minka“. Kaum eine urkätzische Eigenart, die er ausließe, kaum eine solche, die er unzutreffend skizzierte, kaum eine, die er geringer einschätzen würde als ein ihm nicht näher bekannter Katzenabhängiger.

Während die Freudentränen meine Brillengläser von der Innenseite immer undurchsichtiger machten, ich mein Gelächter allenfalls durch gurgelndes „Ja, Ja …“ unterbrechen konnte, Ralf Schmitz mir allerlei Katzen näher brachte – beispielsweise den alkoholabhängigen, mehrfach körperbehinderten Kater (taub, so gut wie blind, dreibeinig), der abrupt an einer Glastüre endete, die sein Personal überraschend hatte einbauen lassen, ohne ihn davon zu informieren und folglich seine Vierkant-Bruchlandung zu hart für ein versoffenes Katerleben war. Da verging die Zubereitung des köstlichen Kartoffelsalates wie im Fluge. Ralf Schmitz beantwortete der Hörerschaft und auch sich selbst die unerlässliche Frage, die mensch angesichts der 23 Lebensjahre dieser offenbar unverwüstlichen „Minka“ beinahe automatisch stellen würde, mit für ihn geradezu saharesker Trockenheit: Ob er sich denn nach dem Ableben der Lebensgefährtin sofort wieder eine Katz „anschaffen“ werde? Ja klar, so wie man nach dem Tod der Oma gleich ins Altenheim gehe und sich eine neue Oma „besorge“, das mache doch jeder so.

Natürlich werde er sich keine neue Katze „besorgen“, aber er schlösse nicht aus, dass eine neue Katze ihn zukünftige einmal zu sich nehmen werde.

Gut, dass ich so viele Tränen gelacht hatte, dass niemand in der Lage war zu unterscheiden, ob das, was meine Wangen abwärts rann, gelachte Tränen oder solche der Rührung waren.

Demnächst werde ich an dieser Stelle ganz sicher beschreiben, wie mir „Schmitz‘ Mama“ gefallen hat. Wenn es ähnlich treffend ist wie die Geschichten von „Minka“, werde ich meine intellektuelle Urteilsfindung über den Comedian Ralf Schmitz vollends überdenken.




Ein ziemlich persönlicher Glückwunsch nachträglich: Paul McCartney wurde 70

Da anscheinend niemand ein paar Wörter darüber verlieren möchte, dass Sir Paul McCartney würdevoll das 70. Lebensjahr vollendet hat (dachte, da würden sich rudelweise die Erinnerer drauf stürzen), will ich einige Minuten des Tages danach dazu nutzen, dem Paule einige Zeilen zu widmen, weil er stark mitgeholfen hat, meinen Lebensrhythmus zu schlagen, den Beat meiner jeweiligen Abschnitte zu bestimmen, ihnen lustvoll, nachdenklich oder offensiv den Takt zu geben.

Die ersten Kontakte mit den vier Herren, die sich in Liverpool einst zur später erfolgsreichsten Musikgruppe aller Zeiten zusammenschlossen, krähte mir ein handliches Transistorradio unter der Bettdecke ins Ohr. Ich wusste zwar nicht, wer da spielte und sang, mir fiel nur auf, dass da etwas mehr sein musste als dieses einsilbige „Yeah, Yeah, Yeah“ und erstmal recht sonorer Schlagzeughintergrund. Also hörte ich genauer hin, nachdem ich mich am nächsten Tage auf dem Schulhof danach erkundigte, wer das denn sei und erfuhr, dass diese Gruppe „Beatles“ hieß, wenn der Name im Transistorradio genannt wurde.

Mit Hilfe des Zufalls arrangierte Begegnung der Genies. (Foto: Bernd Berke)

Mit Hilfe des Zufalls arrangierte Begegnung der Genies. (Foto: Bernd Berke)

Einige Zeit, viele Erfolge dieser vier Herren aus Liverpool später saß ich mit meinem Freund Willi Winkelmann in dessen Zimmer und hörte andächtig bis sprachlos „Revolver“ und alsbald auch „Sgt. Pepper‘s Lonely Hearts Club Band“ rauf und runter, bis ich mit den Texten eins war. Um bald darauf das jähe Ende der Formation meiner Jugend mitgeteilt zu bekommen.

Und weiter ging Paul mit mir, machte mich wie viele andere immer wieder auf sich und seine Musik aufmerksam, erinnerte mich und viele andere immer wieder daran, dass er und John Lennon eine ganze Epoche inspiriert hatten. „Tug of War“ beispielsweise zerrte meine latente Abneigung gegen manches Zeitgeistgeplärre (ich nehme da noch viele andere, stets gute Musikanten aus) fort und weckte wieder auf, dass ich genießerisch wahrnahm: Ja, die Alten können es noch.

Was einen wie Paul McCartney für mich so wesentlich machte, war das Vermögen dieses Musikers, immer mal wieder etwas zu veröffentlichen, was lang wirkte und noch länger in Erinnerung blieb. Für seinen Freund John Lennon gilt im Übrigen dasselbe. 50 Jahre musizierte er immer wieder solch großartige Klänge, dass ich begeistert hinhören mochte und mir bisweilen kaufte, damit ich noch häufiger hinhören konnte.

Dieser Teil der Begleitmusik meines Lebens war und ist prägend, ebenso wie Bach, Beethoven, Mahler, Charly Parker oder John Coltrane. Deshalb mag ich ihm auf diesem Wege zum 70. Geburtstag gratulieren. Wir hatten eben geile Zeiten zusammen, Paul!




Ansichten eines Hörbuch-Junkies (1): Die Eberhofer-Krimis

Wenn Ihnen einmal im Regionalexpress zwischen Hagen und Unna oder umgekehrt ein strubbeliger Eisbär gegenüber sitzt, dessen Ohren mit ordentlichen Stöpseln befüllt sind und dem Tränen die stoppeligen Wangen hinunter rinnen, dann saßen Sie in der Regionalbahn mir gegenüber.

Keine Sorge, ich betrauere dann nicht das unerwartete Dahinscheiden eines geliebten Haustieres, auch nicht den Verlust eines Menschen, der sich ausnahmsweise mal ebenso viele Gedanken um Gegenwart und Zukunft gemacht hat wie ich – nein – ich lese. Ich bin seit ein paar Monaten ein ausgewachsener Hörbuch-Junkie, kriege die Ohren nicht voll, bitte meine Umgebung ständig um neue Tipps, was ich unbedingt noch hörlesen möge.

Alles begann damit, dass ich irgendwann einmal nach unzähligen Pendelfahrten zwischen Wohn- und Arbeitsstadt die landschaftlichen Reize an Ruhr und Haarstrang auswendig gelernt hatte und mit dem Radiohören begann. Was draußen vor der Tür noch recht zufriedenstellend gelang, mir im Zug allerdings das rosa Rauschen so nachhaltig durch meine eustachische Röhre blies, dass ich schwer Tinnitus gefährdet war. Also entschloss ich mich, nur bis zum jeweiligen Bahnhof WDR 5 zu hören, während der Fahrt jedoch den Stimmen von hauptberuflichen Vorlesern, was mich unter anderem heute einen Christof Maria Herbst mit ganz anderen Augen/Ohren sehen/hören lässt. Viel besser als sein Ruf, der Mann.

Inzwischen grüble ich darüber nach, was ich nun virtuoser finden soll, die Vorlesenden oder diejenigen, die Vorzulesendes zu Papier brachten. Ich rezensiere gern so vor mich hin, nee, nicht wirklich rezensierend, ich menge sozusagen den Transmissionsriemen nahtlos mit dem jeweiligen Stück Literatur und komme zu – mir zumindest – völlig neuen Einsichten, Ansichten, Absichten. Die Einsicht: Hörbücher werden nicht schlechter, wenn man sie häufiger hört. Ansichten: Es ist umwerfend, sich wieder darauf einzulassen, Geschichtenerzählern seine ansonsten wenig nutzbringend verbrachte Zeit zu schenken. Absichten: Ich benötige dringend ein Handy mit größerer Speicherkapazität, weil ich überall stöbere, was der deutsche Buchhandel mir noch an Hörbarem zu bieten hat.

Beispiel: Rita Falks „Eberhofer-Krimis“, das ist der schießwütige Kommissar aus Niederkaltenkirchen bei Landshut, der mit Oma und Papa, dem Richter Moratscheck und seinen Freuden Rudi, Flötzinger und Simmerl völlig abgedrehte Fälle löst, die sonst niemand als solche erkennt. Übrigens hat der Eberhofer inzwischen eine eigene Website http://www.franz-eberhofer.de, auf der auch die unvergleichlichen Kochrezepte der ebenso unvergleichlich separat-schwerhörigen Oma veröffentlicht sind.

„Winterkartoffelknödel“, „Dampfnudelblues“ und „Schweinsbraten al dente“ lauten die Titel, deren Geschichten ebenso bayerisch wie grundabsurd und unterhaltsam sind. Christian Tramitz grantelt seinen Franz Eberhofer derartig kongenial durch die Geschichte, dass er und seine herrlich ungeschlachte Stimme mit dem kauzigen Kommissar eins werden. Rita Falks herrliche Ideen, Tramitz‘ unglaubliche Vorlesekunst und die wunderbare Lust am Irrsinn, die dem Eberhofer Franz angedichtet ist, gehen eine unvergleichliche Zusammenarbeit ein.

Die Sache hat einen gewaltigen Nachteil: Rita Falk kann einfach nicht schnell genug schreiben, dass mein Spaß am Hören ihrer aberwitzigen Krimis schnell genug mit neuem Futter versorgt wird. Kommt aber bald was neues, wird mir versprochen. Bis dahin höre ich fremd und stelle fest – es gibt noch mehr wunderbare Geschichtenerzähler, Geschichtenschreiber, von denen ich auch noch berichten werde, falls Sie/Ihr mich nicht stoppt, weil ich mein Verhalten am Hörbuch nicht zufällig mit dem eines Junkies verglichen habe.




Meilensteine der Popmusik (9): Rod Stewart

Den Hüftschwung von Elvis, die Grazie eines John Travolta, eine Ausstrahlung fast schon wie Michael Jackson, die blonde Mähne trug er schon Jahrzehnte vor John Bon Jovi, nur die Stimme war und ist unverwechselbar.

Every picture tells a story

Rod Stewart hatte für all das Zeit genug, um es intensiv zu üben. Vom Skiffle zur Folkmusik, vom Blues dann endlich zum Rock. Der Anfang einer Karriere im Schnelldurchgang: Von Long John Baldry auf einem Bahnsteig Mundharmonika blasend entdeckt, spielte er mit Brian Auger, Julie Driscoll und Jeff Beck, bis ihn schließlich Ron Wood zu den Faces holte. Zwei Plattenverträge hatte der 23-jährige plötzlich in der Tasche. Einen für die Gruppe, den anderen als Solist. So ausgestattet, galt es weiter am Image zu basteln. Zuerst musste man dem Publikum beim Vortrag etwas zeigen, und zwar mehr als nur den Rücken. Diese Haltung bevorzugte Rod, der Schüchterne, bei seinen ersten Auftritten, er traute sich nicht, dem Publikum in die Augen zu schauen.  Als er sich zum ersten Mal umdrehte und sich dem Publikum zeigte, ging auch gleich der Schweinehund mit ihm durch.

Wer einen seiner Auftritte in den 70ern miterleben konnte, hatte es ganz schnell begriffen: Die ersten Reihen waren preislich reserviert; für die Freier mit ihren Miezen, eingelullt in einen Hauch von teurem Schlangenleder und süßlichem Parfüm. Hie und da noch ein erfolgreicher Gebrauchtwagenhändler, dahinter dann der kreischende Mob. Den kleinen Mädchen zeigte Rody in hautengen Satinhosen, was ein echter Kerl ist. Das Motto des Gesamtkunstwerks: Trinkfestigkeit, Weibergeschichten und Fußball. Draußen vor der Halle standen die verschreckten Eltern und sammelten ihre verstörten Kleinen wieder auf. Mindestens 15 Jahre Erziehung waren so im Eimer, nur die Mutter fragte leise: „Hat er auch ‚Sailing‘ gesungen?“ So hatte Rod Stewart die Generationen wieder im Griff.

Als er 1971 seine LP „Every picture tells a story“ veröffentlichte, war das alles noch nicht so vorherzusehen. Rod Stewart nahm eine Handvoll guter Musiker (unter anderem seine Gruppe Faces) mit ins Studio und schrie sich die Seele aus dem Leib. Und auch seine Kumpels prügelten ihre Instrumente, als ob es ihre letzte Chance wäre. „Every picture tells a story“ brachte Rod Stewart überraschend die erste Nummer 1. Zudem auch noch mit der Single „Maggie May“, die eigentlich nur als B-Seite vorgesehen war, und als Notlösung für diese LP galt. Das Ganze passierte sogar im Schlaraffenland Amerika. Dort hatte man gerade den Rock entdeckt.

Wenn er auch heute, in die Jahre gekommen, die speckigen Hüften im Maß-Sakko versteckt, möchte man ihm ab und zu immer mal wieder kräftig und aufmunternd auf die Schultern schlagen: „Hey, alter Knabe, lass´die Fisimatenten…die 60er sind noch nicht ganz tot, sie leben … noch eine Runde!“

ROD STEWART on dailymotion




Meilensteine der Popmusik (8): Dire Straits

An einem lauen Sommerabend entspannt auf der Veranda im Schaukelstuhl kauernd, auf den Knien sanft die Gitarre streichelnd, dazu einen zumeist banalen Text zu einer sanften Melodie vor sich hin nuschelnd. Ganz zurückgenommen, geradezu „laid back“ (wenn man es englisch ausdrückt) hatte J.J. Cale aus Oklahoma Anfang der 70er seine kleine Karriere begonnen. Viele berühmte Zupfkollegen beneideten ihn um diese lässige Spielweise. Genauso lässig war die Person von Cale. Er hasste das Drumherum des Showbiz, mied Plattenstudios und Promotion-Auftritte. Seine Lieblingsbühne waren die heimische Veranda, oder die Kneipe nebenan. Diese Art des „Laid Back“ weltweit in die Charts zu bringen, blieb einem ebenso unscheinbaren Gitarristen aus Großbritannien vorbehalten.

Der ehemalige Lokaljournalist und Teilzeit-Englischlehrer Mark Knopfler war Mitglied einer kleinen Musiker-Kommune im Süden von London. Die Vorzeichen für einen auch nur kleinen kommerziellen Erfolg waren in einer Punk- und New-Wave-Welt nicht unbedingt gut. Folglich nannte man sich Dire Straits (etwa: unwahrscheinlich knapp bei Kasse, absolute Pleite). 120 Pfund für Demo-Bänder waren trotzdem noch übrig. Gut angelegt die Kohle, denn ein DJ der BBC spielte die Newcomer wöchentlich in seiner Radio-Show. Schließlich wurde ein Talent-Scout auf die Straits aufmerksam. Zunächst konnten sie sich als Liveband beweisen, zum Beispiel im Vorprogramm von den „Talking Heads“, „Climax Blues Band“ oder auch „Styx“.

Ihre erste Single erschien im Mai 1978, vier Wochen später die Debüt-LP. Beide bekamen beachtliche Kritiken, doch die Verkäufe blieben erst einmal im Keller. Zum Glück blieben die Dire Straits nicht ewig ein Geheimtipp. Viel Promotion und vor allem Mundpropaganda bewirkten nach einem halben Jahr den Aufstieg in die Spitzenregionen der europäischen Hitparaden. Nun mussten auch die US-Plattenbosse ran. Diese hatten sich lange genug gegen diese konventionelle, so gar nicht modische Musik, wehren können. Sie täuschten sich, das Verkaufsergebnis ergab: Platin.

Mark Knopfler und seine Dire Straits bekamen von all dem recht wenig mit, sie arbeiteten auf den Bahamas schon am neuen Album. Dieses musste jetzt natürlich noch etwas zurückgehalten werden, wurde aber – wie alle nachfolgenden – ebenfalls zum Millionenseller.

Der kleine schmächtige Endzwanziger mit dem leicht blassen, und doch warmen Organ wurde zum neuen Gitarren-Gott. Viele berühmte Kollegen, die schon zwei Jahrzehnte Rockzirkus auf dem Buckel hatten, zollten ihm Anerkennung. Der sensible Künstler war kein Motiv für Abziehbilder oder für die Hochglanz-Presse, mit seinen wunderschönen Melodien und seinem perfekten Handwerk führte er viele Verirrte wieder heim.

 Dire Straits auf YouTube




Meilensteine der Popmusik (1) : Peter Gabriel

Er schreibt, singt und spielt im Rhythmus der Vereinten Nationen. Globale Klänge sind sein Beruf, er ist wohl bis heute der Generalsekretär der „Welt-Musik“. Für ihn ist Rhythmus das Rückgrat der Musik. „Rhythmus diktiert die Gestalt eines Songs“ sagt Peter Gabriel dazu, „konventionelle Rock-Rhythmen führen immer zu konventionellen Rock-Kompositionen. Deshalb suche ich bei fremden Kulturen nach alternativen Möglichkeiten.“

Die Trommel entdeckte der kleine Peter schon mit 13. Ein Jahr zuvor hatte er bereits seinen ersten Song geschrieben. Der pickelige Teenie war damals ein kleines Dickerchen, träumte vom Starruhm der Beatles. Es war anfangs nur der Traum von „Girls and Money“, aber mit schwindender Pubertät wuchs das künstlerische Vermögen des Peter Gabriel. Er trommelte sich durch Jazz- und Soul-Bands, und wurde schließlich Mitbegründer und Vordenker einer neuen experimentellen Rockband: Genesis. Die Auftritte dieser Gruppe entwickelten sich im Laufe der Jahre zu Multi-Medien-Spektakeln. Peter Gabriel war Regisseur und Hauptdarsteller in einer Person. Auf der Bühne konnte er seinen Mode- und Verkleidungsfimmel total ausleben, es schien fast so, als würde er sich schon damals auf eine zukünftige Ära der Video-Clips vorbereiten.

Mitten in der Erfolgsstory von Genesis packte Peter Gabriel 1975 seine Bühnen-Garderobe und ging. Seine Frau hatte eine sehr komplizierte Geburt vor sich, er wollte sich Zeit für die kleine Familie nehmen. Genesis wählte den neuen König Phil Collins, und Gabriel schuf sich sein eigenes Reich. Seine ersten vier Solo-Alben machten ihn zu einem der eigenständigsten und doch erfolgreichsten Künstler der neueren Rock-Geschichte. Dieses war schon etwas verwunderlich, weil er keine markt- oder trendgerechten Kompromisse einging. Ganz im Gegenteil, er schien immer mehr Freude am Experimentieren zu bekommen. Bei diversen Soundtracks spielte er z.B. fast ausschließlich mit Atmosphäre und Klängen.

Für sein 5. Album vermischte er dann neueste Technik mit den traditionellen Formen des Songschreibens. Und er nahm sich Zeit. Drei Jahre lang reiste Gabriel um die Welt, vom Senegal bis nach Brasilien. Überall studierte er die rhythmischen Grundlagen populärer Volksmusik. Sein Credo: „Wenn ich eine Platte mache, lasse ich mir viel Zeit zur Vorbereitung, um Klänge zu kreieren, auszuprobieren und auszuwählen. SO ist da keine Ausnahme. Jeder Klang besitzt eine bestimmte Eigenart, einen Charakter, was für mich das Auswahl-Kriterium darstellt. Oft sind es gerade die simplen, primitiven und naiven Klänge, die am meisten Charakter haben“. Peter sammelte diese Klänge und holte sich dazu eine Reihe von großen Namen ins Studio. Dem Ex-Police-Drummer Stewart Copeland überließ er einen großen Teil seiner eigenen Trommeln, mit Kate Bush sang er ein herzzerreißendes Duett („Don’t give up“), und aus dem Senegal hatte er mit Youssou N’Dour einen Superstar der Worldmusic mitgebracht. Bei all dem Aufwand blieben dann doch nur 8 Songs übrig, die aber zum Besten gehören, was die 80-er zu bieten hatten. Dazu kam Peters Vorliebe für visuelle Ausdrucksformen. Sein vielfach preisgekrönter Video-Clip zu „Sledgehammer“ war wohl einer der witzigsten seiner Art. Zusammen mit Malern und Bildhauern hatte er in London und New York an diesem 4-Minuten-Kunstwerk gearbeitet. Er ermutigte diese Künstler-Kollegen, Möglichkeiten der neuen Technologie zu ergründen.

Doch Peter Gabriel war und ist auch in anderer Hinsicht ein öffentlicher Mensch. Als überzeugter Pazifist und Anti-Rassismus-Kämpfer stellte er sich für unzählige Benefiz-Konzerte zur Verfügung. So wäre er auch ohne SO zu einer Persönlichkeit der 80er geworden, denn seine Musik ist zeitlos. Schon damals 1986, schrieb die US-Fachzeitschrift „Rolling Stone“: „Peter Gabriel ist es gelungen, einen Sound zu etablieren, der das Jahrzehnt überstehen wird“.

http://www.youtube.com/watch?v=RVUxgqH-y4s

Mit diesem Beitrag beginnt eine Reihe in loser Folge.




Lisztiana V – Akkurate Analysen am Klavier

Nino Gvetadze

Nino Gvetadze stammt aus Georgien. 1981 in Tiflis geboren, gab die Pianistin schon mit sechs Jahren ihr erstes öffentliches Konzert. Das Studium absolvierte sie am Konservatorium ihrer Heimatstadt, bevor sie in die Niederlande ging. Dort begann sie eine Karriere, die inzwischen eine internationale ist.

Ein „normaler“ Werdegang einer aufstrebenden Virtuosin also. Doch den ganz großen Namen hat sich die Künstlerin noch nicht gemacht. Vielleicht liegt es an ihrem eleganten, ein wenig scheu wirkenden Habitus, der sich deutlich abhebt vom lauten Geschäft, das die Klassik ja auch ist. Hier jedenfalls, mit ihrer nunmehr dritten CD (Orchid Classics/Naxos), erscheint uns Gvetadze auffallend zurückhaltend.

Und dies bei einer Platte, die sich ausschließlich dem Werk Franz Liszts widmet. Da gilt der Pianistin Augenmerk der schroffen, sperrigen 10. Ungarischen Rhapsodie und dem dramatischen Erzählgestus der h-moll-Ballade. Da setzt die Künstlerin zwei sanfte Lied-Transkriptionen („Widmung“ von Schumann und Schuberts „Gretchen am Spinnrad“) vor die große, bedeutungsschwere, virtuose h-moll-Sonate.

Man muss inzwischen nicht mehr viele Worte darüber verlieren, dass der Nachwuchs am Klavier über genügend technisches Können verfügt, ein solch gewichtiges Programm mindestens zu bewältigen. Doch bei Nino Gvetadze ist auffällig, dass sie ihre virtuosen Fähigkeiten geradezu exerziert. „Hört her, ich kann’s“ scheint die Devise zu lauten, und so zelebriert sie noch die kühnsten Figurationen, schafft mithin Interpretationen, die von der ersten bis zur letzten Note genauestens durchdacht sind.

Wo soviel Ordnung in der Formgestaltung herrscht, zerfällt die Rhapsodie in Einzelepisoden. Wo das Grollen der Ballade durch Noblesse gewissermaßen unterwandert wird, sich die Pianistin einer gestrengen technischen Sorgfalt verpflichtet sieht, gleitet alle Dramatik ins Banale ab. Manchmal versöhnt uns Gvetadze mit Klangfarben, die auf Debussy verweisen, doch das Unbehagen bleibt.

Über Liszts h-moll-Sonate hat sich Béla Bartók so differenziert wie kritisch geäußert. Sah Dunkles, Großes, Infernalisches neben Banalem, Süßlichem, sprach von leerem Pomp. Die Interpretation der jungen Georgierin lässt uns dies gut nachvollziehen, was indes bedeutet, dass sie den großen musikalischen Bogen des Werks nicht erfahrbar macht. Knallige oder sentimentale Effekte, bisweilen ein Klang, der im Hall zu ertrinken droht: Der Hörer fühlt sich unangenehm berührt. Gvetadzes akkurat analytischer Zugriff macht aus Liszts faustischem Ringen ein Stück absoluter Musik.




Ludwig Thuille: Erfinderische Musik mit lyrischer Pracht

Vor 150 Jahren wurde in Bozen der Komponist Ludwig Thuille geboren. Seine Werke sind heute weitgehend unbekannt. Als Lehrer jedoch hat er eine ganze Musikergeneration geprägt. Und seine Harmonielehre ist bis heute im Gebrauch.

Ganz eminent habe das Orchester gespielt, berichtete Richard Strauss am 24. Februar 1886 aus Meiningen, „mit solcher Lust, Liebe und Präcision, dass Du Deine helle Freude gehabt hättest“. Der 21-jährige Kapellmeister hatte soeben mit der weltberühmten Meininger Hofkapelle die F-Dur-Symphonie seines Freundes Ludwig Thuille uraufgeführt. Beide Musiker sollten ein Leben lang befreundet bleiben. Doch so intensiv Thuille die musikalische Welt um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert beeinflusst hat, so nachhaltig vergessen sind seine eigenen Kompositionen. Zum 150. Geburtstag Thuilles erinnert sich kaum eine musikalische Institution des einst bedeutsamen Komponisten, Kompositionslehrers und Musiktheoretikers. Lediglich in seiner Geburtsstadt Bozen spielt das dort ansässige Haydn-Orchester seine „Romantische Ouvertüre“ in einem Konzert unter Johannes Debus am 13. Dezember.

Leider blieb auch der Impuls wirkungslos, den das Stadttheater Hagen 1998 unter dem stets an Entdeckungen interessierten Chefdramaturgen Peter P. Pachl mit der mutigen Ausgrabung von Thuilles Märchenoper „Gugeline“ gegeben hatte. Bis heute steht etwa eine Wiederaufführung seiner Erfolgsoper „Lobetanz“ aus, die Felix Mottl 1898 in Karlsruhe uraufgeführt hatte und die es bis Berlin und New York geschafft hat. „Gugeline“ in Hagen hat damals mit ihrer musikalischen Sprache überrascht: Thuille erreicht schon 1901 Elemente einer klanglichen Raffinesse und harmonischen Komplexität, die man sonst nur mit Richard Strauss identifiziert. Vor allem in der sinnlichen Pracht seiner lyrischen Erfindungsgabe erweist er sich als eigenständiger schöpferischer Geist, der nicht durch Vergleiche mit später wichtiger gewordenen Komponisten aufgewertet werden muss.

Am 30. November 1861 in Bozen geboren, erfährt der Knabe mit dem rätoromanischen Namen im Stift Kremsmünster ersten geregelten Musikunterricht und lernt als Chorsänger eine weitreichende Musiktradition kennen. Entscheidend für seine Bildung wird Pauline Nagiller, Witwe des Tiroler Kapellmeisters Matthäus Nagiller. Sie holt Thuille als 15-jährigen Vollwaisen nach Innsbruck. Durch sie lernt er die Familie Strauss kennen. Sie sorgt auch für Unterricht durch den Bruckner-Schüler Josef Pembauer. Erste Lied- und Klavierkompositionen entstehen. Pembauer empfiehlt den begabten Jungen zu Joseph Rheinberger nach München. Ab 1879 studiert er dort an der Königlichen Musikschule.

Ulrich Urbans Einspielung der gesammelten Klavierwerke von Ludwig Thuille (Telos/Naxos)

Ulrich Urbans Einspielung der gesammelten Klavierwerke von Ludwig Thuille (Telos/Naxos)

Sein Opus eins, eine Sonate für Violine und Klavier, veröffentlicht Thuille als 19-jähriger. Ein Jahr später, 1882, besiegelt er mit seinem selbst gespielten D-Dur-Klavierkonzert ein ausgezeichnetes Examen. Auf Betreiben seines Lehrers Rheinberger – dem er später nachfolgen sollte – erhält Thuille schon 1883 eine Berufung als Klavier- und Harmonielehrer an die Münchner Musikschule. Dort unterrichtet er bis zu seinem plötzlichen Herztod im Jahr 1907. Das Telegramm mit der Todesnachricht klebt Richard Strauss in sein Tagebuch ein.

Der passionierte Jäger führt in München ein bürgerliches Leben in ruhigen Bahnen. Musikalisch zieht es Thuille durch die Bekanntschaft mit dem Wagner-Anhänger Alexander Ritter zu den „Neudeutschen“ und zur Oper. Strauss führt 1897 in München Thuilles erste Oper „Theuerdank“ auf, ein Misserfolg, der dem Komponisten jedoch ein Drittel des Prinzregent-Luitpold-Preises eingebracht hat. Seine Oper „Lobetanz“ wird an der Metropolitan Opera nachgespielt; deren Intendant Giulio Gatti-Casazza bezeichnet Thuille als „deutschen Puccini“. Strauss widmet dem Freund seine Tondichtung „Don Juan“.

Als Pädagoge entfaltet Thuille eine kaum zu überschätzende Wirkung. Gemeinsam mit Max von Schillings sammelt er in der „Münchner Schule“ damals bedeutende Komponisten um sich. Zu seinen Schülern zählt etwa Hermann Abendroth, von 1911 bis 1914 Musikdirektor in Essen, dann bis 1934 Chefdirigent des Kölner Gürzenich-Orchesters. Oder Walter Braunfels, seit 1925 gemeinsam mit Abendroth Direktor der neu gegründeten Kölner Musikhochschule. Hervorgetreten ist Thuille mit einer gemeinsam mit Rudolf Louis herausgegebenen Harmonielehre, die für Jahrzehnte als Standardwerk verwendet wurde. Sie gilt als Wegweiser in ein modernes harmonisches Denken, von dem auch Thuilles rund 200 Schüler profitierten.

Thuilles kompositorisches Schaffen umfasst rund siebzig Werke. Gespielt wird heute nur noch ab und zu sein Sextett für Klavier und Bläser op. 6. Der Komponist hat sich der Kammermusik intensiv gewidmet. CD-Aufnahmen der letzten Jahre zeigen ihn als einen eigenständigen Musiker, der seinen individuellen Weg sucht, ohne zum Sturm auf das Bestehende zu blasen. So hat das Signum Quartett seine beiden frühen Streichquartette von 1878 und 1881 in A-Dur und G-Dur eingespielt (Capriccio C 5049).

Bei cpo gibt es das groß angelegte Es-Dur-Klavierquintett op. 20 in einer Aufnahme mit dem Vogler Quartett und dem Pianisten Oliver Triendl. Dieser hat sich auch für das Klavierkonzert Thuilles eingesetzt: Es ist, zusammen mit der F-Dur-Symphonie, in einer Einspielung mit dem Haydn-Orchester Bozen unter Alun Francis erhältlich (ebenfalls bei cpo). Der Pianist Ulrich Urban hat schließlich bei Telos die Werke für Solo-Klavier auf einer CD zusammengefasst. Und erst vor wenigen Wochen erschienen beim Label Thorofon zwei Platten. Die eine umfasst 25 Lieder: Alle sind zum ersten Mal eingespielt, sieben davon stammen aus Thuilles Nachlass und sind Uraufführungen. Auf der anderen mit dem Titel „Zauberdunkel und Lichtazur“ singt die Sopranistin Rebecca Broberg weitere Thuille-Lieder neben anderen seiner Zeitgenossen Anton Urspruch (1850-1907) und Erich J. Wolff (1874-1913).

Otto Julius Bierbaum, einer der literarischen Großmeister der Jahrhundertwende, hat nicht nur die Libretti zu „Lobetanz“, zu „Gugeline“ und zu dem kühnen Tanz-Melodram „Die Tanzhexe“ geschrieben. Er hinterließ auch einen Nachruf in Gedichtform für den plötzlich verstorbenen Freund. Darin heißt es:

Denken wir an Dich, Ludwig, der du ein Mensch warst, dessen Gegenwart
Heiter den Geist der Schwere vertrieb und die Herzen erwärmte.




R.E.M. – R.I.P., liebe Eckkneipe

 

nightswimming / deserves a quiet night / … (1992)

yeah all those stars drip down like butter… (1994)

that sucarcane that tasted good… (2001)

not everyone can carry the weight of the world… (1983)

follow me, don’t follow me… (1988)

where is the road I follow? to leave, leave … (1996)

there’s a progess we have found / a way to talk around the problem … (1986)

you and me / we know about time … (1991)

REM_Alben_83_bis_11

Sie waren immer da. Die Eckkneipe unter den Rockbands. Trends-am-Rande-Wahrnehmer. Sich-selbst-treu-Bleiber.

Ein neues Album, das alte gute Gefühl. R.E.M. sind da. Michael Stipe nuschelt, schreit, wispert, singt. Mike Mills‘ sanft-melodiöse Bass-Läufe. Peter Buck schremmelt, ist noch immer kein virtuoser Gitarrist, war immer noch nicht beim Frisör.

1000 Momente: Das bis heute beste Bandfoto aller Zeiten (von dem ich nur eine komische Kunst-Version im Netz gefunden habe). Das Gratis-Konzert am Kölner Dom. Das alte Album. Das davor. Das noch eins davor. Die anderen, die zurückgehen bis 1983.

R.E.M. sind nicht mehr da. Titel ihres letzten Albums, von 2011, wieder eines meiner liebsten des Jahres: „Collapse Into Now“.

Das müssen wir jetzt wohl tun. Nach 28 Jahren hat die Eckkneipe geschlossen.




Akkurates Herantasten an Chopin

Der Pianist Ingolf Wunder. Foto: Klavier-Festival Ruhr

Der Pianist Ingolf Wunder hat seine nunmehr dritte CD vorgelegt. Mit Musik von Frédéric Chopin. Die Veröffentlichung ist zugleich sein Debüt beim renommierten Label „Deutsche Grammophon“. Das Gelb-Etikett hat ihn nicht zuletzt deshalb für sich entdeckt, weil Wunder einen wundersamen Lebens-Meilenstein namens Chopin-Wettbewerb vorweisen kann.

Ja, da war doch was im vergangenen Jahr, beim berühmten, ein wenig sogar berüchtigten internationalen pianistischen Kräftemessen in Warschau: Der 25jährige Österreicher Wunder bekam den 2. Preis; und er hätte doch den Spitzenplatz verdient – sprach das Publikum, tobte ein Teil des Feuilletons. „Skandal“ riefen manche frei heraus.

Nun wissen wir schon seit den Zeiten, als wir uns noch für die skurrile Sportart namens Eis“kunst“lauf interessierten und über abstruse Begriffe wie „Doppelter Rittberger“ staunten, dass eine Jury fehlbar ist. Besonders wenn es um die Wertung ästhetischer Darstellung geht. Darüber lässt sich bekanntlich wunderbar streiten – oder eben auch nicht.

So also ist den Preisrichtern in Sachen Chopin-Deutung kein Vorwurf zu machen. Eher noch den Kollegen, die 1980 einen exzentrischen Jungen namens Ivo Pogorelich fallen ließen, sodass Martha Argerich wütend ihr Jury-Mandat zurück gab. Doch was lehrt uns dies: Ein schöner Skandal kann zum Erfolgsgeheimnis werden.

So sehr das, zumindest wenn man den PR-Strategen glaubt, bei Wunder funktioniert, so traurig ist es, dass die amtliche Siegerin des letztjährigen Chopin-Wettbewerbs, die junge Russin Yulianna Avdeeva, in der öffentlichen  Wahrnehmung nahezu untergegangen ist. Das hat sie nicht verdient. Denn was sie an poetischer Ausdruckskraft und an gestalterischer Vielfalt mitbringt, geht Wunder ab.

Zurück also zur CD. Der Pianist hat Chopins 3. Sonate eingespielt, dazu die Polonaise-Fantasie As-Dur, die 4. Ballade, sowie Andante spianato/Grande Polonaise brillante. Alles gediegen akkurat, oft aber etwas steif musiziert, alles wie kalkuliert abspulend. Es scheint, als traue sich Wunder weder zu, den Figurationen schwebende Leichtigkeit zu geben, noch, Emotionen zuzulassen.

Seine Sensibilität wirkt pauschal, dynamische Dramatisierungen klingen wie aufgesetzt, nicht einem natürlichen musikalischen Prozess entwachsend. Eleganz oder differenziertes Klangfarbenspiel wollen sich nicht einstellen. Vielleicht lag die Warschauer Jury ja doch nicht so ganz falsch.

Das CD-Cover zeigt, wie Wunder über sein Instrument läuft, ganz vorsichtig, balancierend. Welch Sinnbild: tastende Schritte in einer noch jungen Karriere. Das gilt für seine Chopin-Deutung in gleichem Maße.




Viertes Gebot: Du sollst dich nicht über Neil Young ärgern!

Ich habe mir – aus altgedientem, bislang oft belohntem Vertrauen – gleichsam „blind“ Neil Youngs CD „A Treasure“ besorgt. Ganz gegen meine sonstige Gewohnheit ohne jedes Probehören, ohne jede vorherige Information, quasi hechelnd im Pawlowschen Reflex, auf den bloßen medialen Zuruf hin: „CD von Neil Young kommt auf den Markt“.

Und schon war das Ding bestellt. Hätte ich nur zur Kenntnis genommen, dass der Kanadier hier mit den „International Harvesters“ (benannt nach einem Landmaschinenhersteller, daher auch das sorgsam auf „verblasst“ getrimmte Coverbild mit Traktor) musiziert hat, so wäre ich hellhörig geworden. So aber habe eine bittere Enttäuschung mit einem ansonsten verehrten Musiker erlebt. Eigene Schuld. Über mich selbst muss ich mich ärgern, nicht so sehr über Neil Young.

Nebenbei: Ich habe die Platte auf eigene Rechnung gekauft, nicht etwa ein Rezensionsexemplar erhalten. Also kann ich mich frei von der Leber weg echauffieren. Ein recht angenehmer Zustand.

„A Treasure“ also, namentlich zum „Schatz“ deklariert. Doch es ist eine dieser elend putzmunteren Fiedel-Country-Platten, wie man sie in den Staaten sicherlich in ähnlichem Zuschnitt von etlichen Musikanten bekommen kann. Auch beim zweiten und dritten Hören will es sich nicht besser fügen.

Schon nach wenigen Nummern habe ich jenen Rufus Thibodeaux verflucht, der als Fiddler verzeichnet ist. Nicht, dass er sein Handwerk nicht beherrschte. Doch er darf sich penetrant in den Vordergrund spielen und unwiderruflich den flauen Charakter der Platte prägen. Der geht bisweilen in Richtung quietschfidele, biedere Lagerfeuer-Folklore. Genau davon wollte die Plattenfirma Young damals abbringen. Er blieb widerspenstig aus Prinzip. Man kann beide Positionen verstehen.

Schaut man etwas genauer hin, so wird schnell klar, dass hier eine Tournee von 1984/85 wieder aufgewärmt wird. Die Produzenten halten sich einiges darauf zugute, dass sechs Songs bisher noch nicht veröffentlicht worden sind. So what! Meinethalben mag es dokumentarischen Wert besitzen und im gesamten Oeuvre seinen gebührenden Platz einnehmen. Übrigens liest man in anderen Quellen von einer Tour 1985/86 und von fünf bisher unveröffentlichten Titeln. Habe ich Lust, in derlei Detailkunde einzusteigen? Nicht doch! Das sollen die Unentwegten unter sich ausmachen.

Da frage ich mich lieber: War ich beim Hören nur nicht in der passenden Stimmung? Nein, daran hat es wohl nicht gelegen. Selbst ein Neil Young hatte immer mal wieder schlaffere Phasen. Hin und wieder wird sehr deutlich, dass er im Grunde des Herzens auch ein verdammt konservativer Knochen ist. Die alten („uramerikanischen“) Werte und die Natur bewahren, jajaja. Gewiss. Bei uns wäre er wahrscheinlich für die schwarzgrüne Option zu haben. Was ja kein Vergehen ist, aber bitteschön: „Hey hey, my my, Rock’n’Roll will never die…“ Diese hymnischen Zeilen hat Neil Young schließlich selbst inbrünstig gesungen. Von Rock, Blues oder Punk-Anwandlungen aber spürest du kaum einen Hauch auf „A Treasure“.

Ich bin seit Anfang der 70er Jahre von Neil Young eingenommen, häufig auch hingerissen. Er gehört zu jenen, die einen quasi auf dem Lebensweg begleitet haben wie sonst nur wenige andere. Man ist ihm seither weit gefolgt, manche Biegung des Flusses entlang, bergauf und bergab, in verschiedenste Gelände, an ferne Gestade. Meistens bereitwillig, manchmal verzückt, selten widerspenstig.

Doch dies geschieht eben von Zeit zu Zeit gerade bei begnadeten Singer-Songwritern wie Bob Dylan (dessen dylanologische Anhängerschaft ungleich strenger ist) oder eben Neil Young. Sie tun einen Teufel, deine Erwartungen zu bestätigen. Längst ein Gemeinplatz: Sie durchlaufen Phasen des Suchens und Findens. Sie wollen sich nicht immerzu wiederholen und schiffen daher auf mehreren Fahrwassern. Auf einigen könnte man unbesehen mitfahren. Doch nicht auf jedem mag man ihnen folgen.

Und jetzt freue ich mich schon mal auf seine nächste Neuschöpfung.

Neil Young: „A Treasure“. Reprise Records/Warner Music, Juni 2011, ca. 16 Euro.




Zwischen Mozart und Moderne

Mojca Erdmann ist eine Sopranistin der besonderen Art. Wer im Bundeswettbewerb Gesang einen Preis für die Interpretation zeitgenössischer Musik gewinnt, wer in Salzburg mit Mozarts „Zaide“ debütiert (2006) und drei Jahre später in Schwetzingen die Uraufführung von Wolfgang Rihms „Proserpina“ stemmt, verfügt über ein ungewöhnlich kontrastreiches Repertoire. Nicht viele Stimmen halten diesem stilistischen Spagat zwischen Klassik und Moderne stand.

Zwischen Mozart und Rihm hat sie u.a. Strauss, Mahler und Puccini gesungen. Wir hörten sie als Suor Genovieffa, die Vertraute der Suor Angelica in Puccinis gleichnamiger Verismo-Oper. Mit leichter, dennoch ausdrucksstarker Stimme formte sie einen sanft heiteren Charakter. Und in Mahlers 4. Sinfonie, in deren letztem Satz Erdmann von den himmlischen Freuden ganz irden erzählte, ließ sie es geschickt offen, ob des Komponisten Erlösungsmusik nicht doch Zeichen von Resignation in sich birgt.

Nun aber hat Erdmann ihre erste CD vorgelegt und sich dabei vor allem auf Mozart-Arien kapriziert. Daneben erklingt die Musik einiger Klassik-Kleinmeister, denen sich die Sopranistin ebenso ambitioniert widmet. Ja, sie versenkt sich in ihre Rollen, klagt inbrünstig, zürnt herausfordernd, spöttelt sanft. Das also fällt zuerst auf: ihre Identifikationskraft, ihr Sinn für dynamische und gestalterische Nuancen.

Dabei ist die Stimme nur bedingt schön, weil nicht stets balsamisch gülden strömend, in blitzblanker Höhe jubilierend oder in der Mezzolage satt grundiert. Doch hier geht es nicht um zur Schau gestellte Perfektion, auch nicht um jungmädchenhafte Reinheit, sondern ums Modellieren unverwechselbarer Charaktere.

Der vor Zorn bebenden Zaide also möchten wir nicht im Dunklen begegnen. Der zutiefst einsamen Pamina wiederum (aus Mozarts Zauberflöte) gilt unser ganzes Mitleid. Oder Zerlinas milde Versöhnungsgeste gegenüber ihrem Liebsten Masetto (Don Giovanni) – schlicht und erhaben.

Mojca Erdmanns Stimme ist nicht von strahlendem, sondern metallenem Glanz, das mag der Hinwendung zum modernen Repertoire geschuldet sein. Sie ist bisweilen herb und ungenau fokussiert. Doch immer siegt ihre suggestive Kraft. Bestens unterstützt vom Ensemble „La Cetra“ unter Andrea Marcon, das in historisch informierter Aufführungspraxis pointiert musiziert – mit teils geschärften Akzenten, manchmal harsch, dann wieder in samtenem Wohllaut spielend.

 

Die CD wurde von der Deutschen Grammophon veröffentlicht.

 

(Der Text erschien in kürzerer Form in der WAZ).




„Du musst Dein Leben ändern!“

29. 05. 2011: „Du musst Dein Leben ändern!“
Mahlers Siebte mit den Bambergern Symphonikern unter Jonathan Nott in der Philharmonie Essen

Hätte ich genau diese Aufführung der 7. Symphonie Gustav Mahlers schon früher hören können und genau so hören können, wie es gestern Abend in der Essener Philharmonie der Fall gewesen ist, und wäre das noch in sehr jungen Jahren erfolgt und nicht erst jetzt nach einem langen Berufsleben, ab sofort würde ich einen ganz anderen Berufsweg eingeschlagen haben und mein Leben fortan ganz der Musik widmen.

1952, von Salzburg in den Essener Norden gekommen, hätte ich so den zweieinhalb Jahre zuvor begonnenen Klavierunterricht auch unter den widrigsten Bedingungen einer vorherrschend musikfremden Umgebung, in der ich nun weiter aufwuchs, unbedingt fortgesetzt und hätte nicht mehr erst in einem nur vorgestellt zweiten Leben, sondern damals ganz ernsthaft und entschieden (unter Berücksichtigung aller notwendigen Vorstufen) Dirigent oder gar Komponist werden wollen.

Aber hätte ich mit 10 diese Mahler-Musik schon so hören können? Wäre ich dafür schon bereit gewesen, so unmittelbar und so bezwingend nah, wie sie mir gestern Abend endlich gekommen ist? Und hätte es gegen 1952 irgendein Orchester und irgendeinen Dirigenten in der Welt gegeben, die einem ausgerechnet Mahlers Siebte auf diese Weise so hätten nahebringen können? Ich glaube nicht. Und nicht nur, weil der Mahler-Boom, den ich alsbald mitbekommen habe, so recht erst in den 60er-Jahren eingesetzt hat. Auch als ich über Rundfunk und Schallplatte schon längst für die Werke Mahlers gewonnen war, fand ich lange keine einzige Aufnahme der Siebten, die mich wünschenswert überzeugt bzw. begeistert oder gefesselt hätte.

Erst die Begegnung mit der Aufnahme des Utah Symphony Orchestra unter Maurice Abravanel, und nicht schon die mit den Aufnahmen Georg Soltis, Leonard Bernsteins und Rafael Kubeliks, hat maßgeblich etwas daran geändert. Und zwar recht eindrucksvoll schon mit dem Symphoniebeginn. Auf diese Abravanel-Einspielung stieß ich erst in den 70er-Jahren und sie blieb fortan (fast bis gestern) meine persönliche Referenzaufnahme. Aber mein Leben aufwühlend geändert hat auch sie nicht mehr. Erst nach der gestrigen Aufführung der Mahlerschen Siebten durch die Bamberger Symphoniker unter ihrem Chefdirigenten Jonathan Nott weiß ich genau: Wäre ich jetzt noch jung, bliebe mir nun gebieterisch nur der Weg in die Musik, so dornig er auch wäre. Ich würde als junger Mensch spätestens jetzt mein Leben daraufhin ausrichten, meine Lebensplanung ändern.

Noch nie hat mich die Komposition und die Darbietung der ersten drei, vier Sätze dieser Symphonie so sehr überzeugt wie gestern. Auch im fünften Satz war die orchestrale Darbietung auf gleichbleibend hohem Niveau, mit dem kompositorisch angestrebten Verhältnis dieses Satzes zu den vier vorausgegangenen indessen habe ich (nur vorläufig?) noch gewisse Schwierigkeiten. Mahler scheint in diesem letzten Satz geradezu Wert darauf gelegt zu haben, hin und wieder ausgesprochen triviale, musikalisch eher minderwertig eingestufte Themen zu zitieren, zu verwenden und ironisch wichtig zu nehmen: „Schlösser, die im Monde liegen“ klingt da operettenhaft an, wie später in Bartóks „Konzert für Orchester“ das populäre „Dann geh ich ins Maxim“.

Im Juli werde ich Mahlers Siebte noch einmal in Essen hören: diesmal mit den hier Heimrecht habenden Essener Philharmonikern unter Stefan Soltesz. Kein Zweifel, dass auch diese Darbietung gut sein wird. Dennoch habe ich ein bisschen Sorge: Denn besser als die gestrige der Bamberger Symphoniker kann sie kaum sein. Gespannt bin ich aber darauf, wie der erste Satz, der mir bei jeder Interpretation anders vorkommt, diesmal klingen wird. Und ob mir der fünfte Satz langsam einzuleuchten vermag.




Sturm und Drang – Vilde Frang

Irgendwo weit draußen muss es eine Quelle geben, der von Zeit zu Zeit aparte Fräuleinwunder entspringen, die eine Geige in die Hand nehmen und die Welt mit Musik verzaubern. Sie sind von klein auf im Reich der Töne zuhause, vollbringen Außerordentliches auf ihrem Instrument. Voila, hier also ist Vilde Frang.

Die Norwegerin, zarte 24 Jahre jung, studierte bei Kolja Blacher, und die Namen ihrer Mentoren flößen Ehrfurcht ein: Gidon Kremer, Martha Argerich, Anne-Sophie Mutter. Ein Glückskind betritt die Szene, und hat uns nun zwei CD’s geschenkt. Zeigt keine Angst, sondern greift sich zunächst nahezu grimmig entschlossen große Virtuosen-Brocken: die Violinkonzerte von Sibelius und Prokofiev (Nr.1).

Wie schnell fliegen da die Finger, wie präzise, wie zwingend ist ihre Gestaltungskraft. Süchtig aber macht ihr Ton, der fahl verhangen schimmert oder strahlend glänzt. Der schneidend-attackierend oder uns ganz schroff ans Ohr kommt. Gerade richtig für die kühne, wilde, satt-lyrische Musik eines Sibelius. Und dann erst die Fratzenhaftigkeit in Prokofievs Scherzo: Ein Spuk ist das, eine böse, garstige Narretei. Vilde Frang liebt kernige Akzente, zuckt aber (noch) zurück vor Schwebendem, etwa vor der finalen Entrückung des letzten Satzes. Eine junge Frau agiert im Geiste des Sturm und Drang. Schade nur, dass das WDR Sinfonieorchester Köln unter Thomas Søndergård teils brav und klanglich wenig präsent dieses Bild trübt.

Grieg, Bartók, Strauss – es ist nicht gerade die gängige Violinsonaten-Literatur, die sich die junge norwegische Geigerin Vilde Frang für ihre Kammermusik-CD ausgesucht hat. Doch ihres Mottos getreu, im unerschöpflichen Fundus klassischer Musik stets neues zu entdecken, bleibt uns das gängige Repertoire eines Beethoven, Schumann oder Franck verwehrt. Macht aber nichts: Das Hineinhören ins Frangsche Raritätenkabinett öffnet Horizonte – was gleichermaßen für drei außergewöhnliche Werke wie auch für das Spiel der Künstlerin gilt, ihren kongenialen Partner und Mitgestalter am Klavier, Michail Lifits, selbstredend eingeschlossen.

Griegs 1. Violinsonate mag in ihrem romantischen Gestus an Schubert erinnern, doch der bisweilen fahle, schneidig folkloristische, auch melancholische Ton kann das Nordische nicht verleugnen. Faszinierend wiederum zu hören, wie Vilde Frang zwischen verhangenem und strahlend jubilierendem Klang zu wechseln weiß. Saubere Technik und kristalline Intonation tun ein übriges. Weit mehr aber berührt, ja erschüttert ihre Deutung der Bartókschen Solosonate, ein Jahr vor seinem Tod komponiert. Schroff, brüchig, zerklüftet kommt die Musik daher – technisch höchst komplex. Frang schafft es mit ihrem analytischen Zugriff, diesen Schwanengesang in höchster Expressivität zu vermitteln. Zwischen Melancholie, Schmerz und Raserei irrlichtern Figurationen und Klänge, wie unter Atemnot herausgepresst.

Richard Strauss‘ jugendliche, frische Sonate ist herber, verwirrender Kontrast. Wunderbar hell funkelt die Geige, zudem in allerlei Schattierungen kann das Instrument klingen. Und das Aufblitzen eines kecken Konversationstons im Finale zeigt, wie auch Michail Lifits aller technischen Raffinesse gewachsen ist.

Die beiden CD’s sind bei EMI Music erschienen.

 

Der Text war in veränderter Form auch in der WAZ zu lesen.

 




Nico: Die Frau mit der Sirenenstimme

Köln. Christa Päffgen war ein Weltstar, ja geradezu eine Ikone der Popmusik. Wie bitte? Christa Wer? Nun, weitaus bekannter war die gebürtige Kölnerin unter ihrem Künstlernamen „Nico“ – und geradezu legendär wurde sie als zeitweilige Sängerin der Kultband „Velvet Underground“.

Zur Erinnerung: Diese formidable Formation um Lou Reed und John Cale spielte anfangs unter der Ägide des Pop-Künstlers Andy Warhol, der auch das berühmte Bananen-Cover für ihre Debüt-Platte schuf. Das immens einflussreiche Album hieß „The Velvet Underground & Nico“ und war mit düsteren Titeln („I’m Waiting for my Man“, „Venus in Furs“, „Femme Fatale“, „Heroin“, „All Tomorrow’s Parties“) ein Meilenstein der Rockgeschichte. Nicht zuletzt lag es an Nicos suggestivem Sirenengesang, der sich mit hartem deutschen Akzent im Niemandsland zwischen Minimalismus und Nihilismus erging.

Die Ausstellung, mit der das Kölner Museum für Angewandte Kunst jetzt an Nico (1938-1988) erinnert, erweist sich mit zahlreichen Doku¬menten (Bilder, Texte, Filme und Töne – auch via Audioguide) als weit verzweigte Spurensuche. Sie ist mehr als eine bloße Reliquienschau.

Kaum zu glauben, in welchen Sphären sich diese Nico bewegt hat. Ihr Dasein als öffentliche Frau begann beileibe nicht erst im Pop-Geschäft. Nico wurde in hohem Maße zur Projektionsfläche diverser Männerphantasien. Wahrscheinlich ist sie daran zerbrochen; vielleicht auch am Überangebot der Freiheiten, das sich damals aufgetan hat.

Schon mit 16 Jahren wurde sie in Berlin als Model (damaliger Ausdruck: Mannequin) der Marke „Lolita“ entdeckt und zog bald nach Paris, wo sie den Künstlernamen „Nico“ annahm. Sie zierte die Titelseiten von Magazinen wie dem „Stern“ (1959 – Fotograf: Charles Wilp) oder des Zeitgeistblattes „Twen“ (1961). Auch die Glamour-Postillen „Elle“ und „Vogue“ wurden aufmerksam auf die Blondine mit der Aura zwischen Unschuld und Erfahrung. Später mengten sich mehr und mehr Schattierungen todessüchtiger Traurigkeit und von Dämonie mit hinein.

Eigentlich kein Wunder, dass ein auf optische Sensationen versessener Mann wie Federico Fellini sie dann 1960auch für den Film rekrutierte. Nico spielte eine kleine, aber seltsam faszinierende Rolle in dem Klassiker „La dolce vita“ (Das süße Leben) – neben den Stars Marcello Mastroianni, Anita Ekberg und Anouk Aimée. Einem gewissen Bob Dylan prägte sich Nicos kurzer Kinoauftritt derart ein, dass er ihr den Song „I’ll keep it with mine“ (1965) widmete. Folgenreicher Vorfall jener Jahre: Der Filmschönling Alain Delon schwängerte sie, wollte aber den gemeinsamen Sohn Ari nie anerkennen.

Nach dem furiosen Einsatz bei „Velvet Underground“ vagabundierte Nico durch die wildesten „Szenen“ der späten 60er Jahre. Klischee-Stichworte sind schnell genannt: Sex, Drogen, überdrehtes Leben am Rande des Todes. Nico faszinierte denn auch andere, früh verstorbene Rockgrößen: Jim Morrison (1943-1971) von den „Doors“ überredete sie zu musikalischen Solo-Projekten. Eine Zeit lang gehörte sie zu den Groupies im Gefolge der Rolling Stones, besonders der Gitarrist Brian Jones (1942-1969) war ihr zugetan. Stärkste Platte dieser Phase: „Chelsea Girl“ mit dem phänomenalen Titel „These Days“.

Zunehmend stilisierte die einstige Blondine zur dunklen, schläfrig wandelnden Erscheinung. Schwarz gefärbtes Haar, finster umflorter Blick, ausgezehrtes Gesicht. Später, in den 80er Jahren, gibt es erschreckende Bilder von einer aufgedunsenen, durch harte Drogen vorzeitig vergreisten Frau.

Den windungsreichen Weg, der immerzu bergab führt, kann man anhand der in Köln kenntnisreich ausgebreiteten Dokumente eingehend verfolgen. Hie und da könnte man glauben, Nico sehr nahe zu kommen; so etwa, wenn man die rasch hingefetzten Postkarten von ihrer zittrigen Hand liest. Diese fahrige, flüchtige Schrift, diese ziellose Signatur eines verletzlichen Menschen, der alle Wurzeln gekappt hat und sich nicht mehr zurechtfindet: Wort-Bruchstücke aus Herzen der Finsternis.

„Nico – Stationen einer Pop-Ikone“. Museum für Angewandte Kunst, Köln, An der Rechtsschule (neben dem Dom/Hauptbahnhof). Bis 1. Februar 2009. Geöffnet Di-So 11-17 Uhr. Eintritt 5 Euro. Internet: http://www.nico-cologne.de

(Der Beitrag stand am 21. November 2008 in der „Westfälischen Rundschau“)




Als die Radios noch Gesichter hatten – Im beschaulichen Bad Laasphe hat Hans Necker Deutschlands größte Gerätesammlung aufgebaut

Von Bernd Berke

Bad Laasphe. „Schreiben Sie nicht so viel über mich, es geht um die Sache“, bittet Hans Necker. Ganz sachlich also: Der 61-Jährige hat praktisch im Alleingang am südlichen Rande Westfalens das größte deutsche Radiomuseum eingerichtet.

Kaum zu glauben: Ungefähr 3500 verschiedene Röhren-Geräte verwahrt Necker heute – überwiegend aus der Vorkriegszeit und aus den 50er Jahren. Die Sammlung wäre jeder Metropole würdig. Für manche ist es pure Nostalgie, andere berauschen sich eher an der Technik.

Neckers Passion begann in seiner Düsseldorfer Kindheit. Wegen einer Sehschwäche verbrachte er fast jede freie Minute vor dem Hörfunkgerät. 1952 bekam er zur Einschulung von einer Tante sein erstes eigenes Radio – einen prachtvollen belgischen Empfänger, Baujahr 1938.

Grundstock aus dem Sperrmüll der 60er Jahre

Ein großer Grundstock seiner jetzigen Sammlung stammt aus dem Sperrmüll der 60er Jahre. Hans Necker: „Damals wollten die Leute alles Alte wegwerfen.“ Hinzu kamen eine umfangreiche Schenkung und etliche Gelegenheiten bei Sammlertreffs der „Radioten“, wie Necker Seinesgleichen nennt.

Schon seit langem hatte der gelernte Bürokaufmann die Südzipfel Westfalens im Urlaub besucht. Vor 17 Jahren zog es ihn dann endgültig ins beschauliche Bad Laasphe im Wittgensteiner Land. Die Radios brachte er mit.

Wohl kaum eine Ehefrau würde eine solche Leidenschaft klaglos dulden. Necker ist denn auch unverheiratet geblieben. Er hat alle Schätze penibel katalogisiert und beschriftet. Ganz so, als hätte er zeitig geahnt, dass solche Gerate wieder „salonfähig“ werden würden. Längst baut die Industrie im Zeichen des Retro-Designs historische Apparate nach – allenfalls ein matter Abglanz der Originale.

Etwa um 1965 hat Necker die Grenzlinie gezogen: „Transistor-Radios – ach nee. Das wäre ein anderes Sammelgebiet.“ Schade, ich hätte gerne noch einmal eine Philips Evette von 1962 betrachtet. Mein erstes, damals zu Weihnachten heiß ersehntes Kofferradio. Doch hier findet sich ja weitaus Wertvolleres. Beim Gang durch schier endlose Regalreihen hält man häufig inne. Es ist wie mit alten Automobilen: Auch Radios hatten „damals“ Charakter, ja gleichsam Gesichter, und sie blickten aus „magischen Augen“ (so hießen leuchtende Empfangsanzeiger).

Kleinode wie die „Pfeifende Johanna“

Manche Geräte erstrahlen geradezu triumphal. Und auch die, die sich formal bescheidener geben, sind vielfach eine Augenweide. Einflüsse aus Kunst- und Kulturgeschichte sind unverkennbar. Einige Radios sind vom Jugendstil inspiriert, andere etwa vom Bauhaus. Notfalls mit „gutem Zureden“ funktionieren die allermeisten Geräte noch. Hans Necker hält alles selbst in Schuss.

Zu jedem Gerät weiß der Mann eine Geschichte zu erzählen, als wären es lauter gute Freunde. Auch in der Historie des Mediums kennt er sich aus. Jahre bevor am 29. Oktober 1923 der öffentliche Rundfunk in Deutschland begann, ging es los: „Um 1918 gab es in Frankreich einen Börsenfunk.“ Damit hat es also begonnen!

Alles scheint vorhanden: Detektoren, die man nur mit,Kopfhörer benutzen konnte; die in der NS-Zeit diktatorisch verordneten „Volksempfänger“ oder Kleinode wie die „Pfeifende Johanna“, ein 1934 von Telefunken gefertigtes, nicht richtig ausgereiftes Modell mit argen Tonproblemen. Man staunt über einen Boudoir-Spiegel, der sich als Radio für die elegante Dame erweist. Man bewundert Apparate mit kathedralenförmigem Gehäuse oder veritabler Breitwand-Senderskala. Ganz großes Hörkino!

DDR-Geräte gefällig? Es gibt dafür eine ganze Abteilung. Kuriosa von jederlei Art? Auch die werden gebührend gewürdigt. Die mitunter abenteuerlichen Entwicklungslinien einzelner Firmen wie etwa Braun („Schneewittchensarg“) oder Körting? Bitte sehr, reichlich dokumentiert. Einzelne Länder Europas? Na, klar. Als Laie denkt man, alles wäre komplett, aber einer wie Hans Necker sieht die Lücken: „Ich habe immer noch eine lange Wunschliste.“ Sein Appell an alle Entrümpler: „Bitte nichts voreilig in den Container werfen!“

Und die Zukunft? Die Stadt Bad Laasphe werde sich etwas einfallen lassen müssen, mahnt Necker. Seine Sorge: „Was wird aus der Sammlung, wenn ich nicht mehr bin?“

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INFOS

Eintrag im „Buch der Rekorde“

  • Radiomuseum Hans Necker. Bad Laasphe, Bahnhofstraße 33. Geöffnet März bis Okt. Di, Do, Sa, So 14.30 bis 17 und nach Vereinbarung (02752/97 98). Eintritt 2 Euro.
  • Untergebracht ist das Museum im ersten Stock eines früheren Gymnasiums, das man sich mit Schützen und einem Jugendtreff teilt. Die Stadt stellt die Räume, Hans Necker betreut seine Sammlung ehrenamtlich.
  • Von 3500 Geräten werden rund 1000 ständig gezeigt, der breite Rest befindet sich im Depot – es reicht für einen Eintrag im „Buch der Rekorde“.
  • Auch Grammophone (Edison-Walzenphonograph von 1897), Tonbandgeräte (mit Spezialitäten wie dem „Tefifon“), TV-Truhen, Lautsprecher, Antennen usw. zählen zur Sammlung.
  • Eine annähernd ebenbürtige Fülle gibt es bundesweit nur in Fürth.

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Nachtrag: Link zur Homepage des Museums, Stand Februar 2019:

http://www.internationales-radiomuseum.de/




Die Klassik lockt mit Sex-Appeal – Während der CD-Absatz insgesamt schrumpft, wächst das Segment der E-Musik

Von Bernd Berke

Die Nachricht lässt aufhorchen: Während der CD-Absatz insgesamt seit Jahren rückläufig ist, ist der Markt für Klassikplatten zuletzt spürbar gewachsen. Woran könnte es liegen?

Die Deutschen haben 2006 rund 11 Millionen Klassik-Scheiben und damit 6 Prozent mehr gekauft als im Jahr zuvor. Der Absatz von Klassik-DVDs ist im selben Zeitraum sogar um 28 Prozentpunkte gestiegen. Auch der Klassik-Fan will seine Favoriten nicht nur hören, sondern sehen. Möglicherweise ist dies eine Nach- und Nebenwirkung der Videoclip-Kultur.

Peter Michalk, Sprecher des Bundesverbandes der Phonographischen Wirtschaft, mutmaßt: „Es gibt ja eine Renaissance der Bürgerlichkeit. Vielleicht hat der Trend zur Klassik damit zu tun.“ In diesem Zusammenhang erfahre offenbar der Musikunterricht für Kinder wieder höhere Wertschätzung. Denkbar sei also auch, dass manche Eltern Klassik-CDs erwerben, um sie ihrem Nachwuchs ans Herz zu legen.

Pop-Business prägt Konsumverhalten

Wir spekulieren mal mit: In den neuen Verkaufsziffern deutet sich wahrscheinlich an, dass das gesamte Publikum der Platten-Käufer im Schnitt etwas älter ist als früher. Klassikfans sind in der Regel gediegene Leute, die sich die meist nicht ganz billigen CDs leisten (können). Jedenfalls surfen sie wohl nur sehr selten durchs Internet, um dort Raubkopien ihrer Lieblingsmusik zu ziehen.

Andererseits ist auch diese etwas ältere Generation größtenteils mit Rock- und Popmusik aufgewachsen. Das prägt Hör-, Seh- und Konsumgewohnheiten. Da trifft es sich, dass die heutigen Klassik-Stars sich häufig wie Pop-Größen geben. Man muss hier gar nicht an wildere Vertreter wie etwa den Geiger Nigel Kennedy denken. Ein Mann wie der chinesische Pianist Lang Lang begreift sich ganz unverkrampft als Teil der weltweiten Pop-Kultur und viele andere ebenfalls. Mehr noch: Die strahlende Diva Anna Netrebko wird global glitzernd vermarktet – auf einem manchmal schmalen Grat zwischen zwischen seriöser Ausstrahlung und verhaltenem Sex-Appeal.

Auch hat sich hie .und da eine Hit- und Häppchen-Denkweise im Klassikbereich durchgesetzt. Gewisse „Format-Radios“ liefern unentwegt lediglich die „schönsten Stellen“ aus umfangreichen Werken. Nicht nur für puristische, konservative Hörer ist diese Praxis ein Graus, doch sie funktioniert im Sinne einer leichten Konsumierbarkeit.

Auch die HiFi-Technik spielt wohl eine Rolle

Wenn man sich die Plattenhüllen ansieht, ahnt man, wohin die Reise geht. Interpreten der klassischen Musik wirken längst nicht mehr so wirr-genialisch, weltenfern oder knorrig wie einst. Sie werden (mehr oder weniger dezent) erotisch in Szene gesetzt – in erster Linie natürlich die schönen Frauen der Zunft. Man denke nur an all die zierlichen Asiatinnen mit ihren schmucken Violinen. Aber auch so mancher Latin Lover spreizt sich da auf dem Cover. Imagepflege dieser Sorte ist fast schon inflationär.

Ähnliche Tendenzen zur glamourösen Oberfläche setzen sich im Literaturbetrieb gleichfalls durch. Gut aussehende Autor(inn)en haben am Markt erhöhte Chancen. Wenn sie überdies schreiben können, dürfte es in der Regel kein Hindernis sein…

Zurück zu den Klängen: Wer sich ernsthaft mit ambitionierter Rockmusik befasst, müsste sich über kurz oder lang ohnehin auch dem Jazz und der Klassik zuwenden. Hier finden sich eben die anderen Wege der Vollendung. Große, hinreißende Könner sind in all diesen Sparten zugange – um nicht gleich vollmundig von Genies zu reden.

Und noch eins kommt schließlich hinzu, nämlich die Segnungen der Technik. Wer sich eine bessere HiFi-Anlage gönnt, kommt an Klassik eigentlich gar nicht mehr vorbei. Denn die Dynamik guter Lautsprecher lässt sich mit einer Beethoven-Sinfonie ja noch mal ganz anders ausschöpfen als etwa mit den Beatles oder Beyoncé.

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HINTERGRUND

Zahl der Downloads steigt ständig

  • 2005 wurden in Deutschland insgesamt rund 124 Millionen CDs abgesetzt. Die Klassik oder so genannte „E-Musik“ hatte daran einen Anteil von immerhin rund 10 Prozent –  mit offenkundig steigender Tendenz.
  • Im ersten Halbjahr 2006 sank der gesamte Tonträger-Absatz um 3,4 Prozent. Im Vorjahreszeitraum war der Verkauf sogar um 10,1 Prozentpunkte gesunken.
  • Die abschließende Bilanz fürs Jahr 2006 wird erst Ende März vorliegen.
  • Unterdessen steigt die Zahl der Downloads im Internet Im ersten HalbJahr 2005 wurden 7.5 Millionen Einzeltracks legal heruntergeladen, im ersten Halbjahr 2006 rund 10,2 Millionen Titel.
  • Die Statistiken führt der Bundesverband der Phonographischen Wirtschaft.



Im Dschungel der Musik-Gebühren – GEMA-Niederlassung in Dortmund ist für ganz NRW zuständig

Von Bernd Berke

Dortmund. Wenn die GEMA zweimal klingelt, gibt’s manchmal Ärger. Denn dann werden meist Gebühren fällig. Ganz egal, ob Live-Band, gekaufte und gebrannte CDs oder MP3-Datei via Internet: Wer öffentlich Musik abspielt, muss mit der GEMA rechnen.

Diese Gesellschaft (siehe Infos am Schluss) zieht Urheberrechts-Gebühren im Namen von Komponisten, Textern und Musikverlegern ein. Die Dortmunder GEMA-Geschäftsstelle mit über 100 Mitarbeitern ist für ganz NRW zuständig. Was tut sich hier?

Bezirksdirektor in Dortmund ist Erich Wulff, der zuvor in der Geschäftsleitung einer Brauerei tätig war. Die Kundschaft blieb teilweise gleich: Früher hat Wulff den Gaststätten Bier liefern lassen, heute lässt er von rund 40 Außendienstlern prüfen, welche Musik dort gespielt wird.

Manchmal gibt es Reibereien

Die GEMA ist ungefähr so beliebt wie die Gebühreneinzugszentrale (GEZ). Jüngst gab es beispielsweise Reibereien mit dem Dortmunder Kulturbüro, weil die GEMA bei der Berechnung stets von ausverkauften Sälen ausgeht. Kommen weniger Besucher, so stehen – je nach Aufwand – zuweilen Verluste an. Mögliehe Folge: Veranstalter könnten künftig ambitionierte Programme scheuen.

Gelegentlich kommen bei Streitfällen auch die Juristen ins Spiel, manche Sache geht bis vor Gericht. Wulff bevorzugt allerdings die sanftere Gangart: „Weg von der bloßen Kontrolle, hin zur Beratung.“ Die meisten Klienten seien ja auch einsichtig…

86 verschiedene Tarife

Nicht weniger als 86 (!) verschiedene Tarife werden von der GEMA berechnet. Ein wahrer Dschungel. Das Spektrum reicht vom privaten Fest in der Kneipe bis zum Stadion-Auftritt der Rolling Stones. Auch musikalische „Warteschleifen“ am Telefon sind für den Betreiber kostenpflichtig. Und, und, und.

Die GEMA-Leute kennen örtliche Veranstaltungskalender genau. Wichtiges Bezahl-Kriterium (neben der bespielten Fläche) ist der Nutzen, den jemand aus seiner Veranstaltung zieht: Wenn einer Geschäftsfreunde einlädt und dazu Musik erklingt, fallen in der Regel Gebühren an. Wenn jemand sehr viele Gäste „beschallt“ oder Eintritt verlangt, gilt dies erst recht.

Mit zahlreichen Tanzschulen, Restaurants, Supermärkten oder Kaufhäusern (säuselnde Hintergrundmusik) hat die GEMA Pauschalverträge abgeschlossen, da wird nicht mehr auf jeden Song geachtet. In etlichen Discos werden nach dem Zufallsprinzip (das angeblich nicht manipuliert werden kann) Programme mitgeschnitten. Welcher Hit erklingt wie oft? Der ermittelte Mix dient dann als Berechnungsbasis für rund 3500 erfasste Tanzflächen in Deutschland.

Für Mozart muss man nichts bezahlen

„Für Mozart muss man nichts bezahlen“, stellt Erich Wulff klar. Das Urheberrecht erlischt 70 Jahre nach dem Tod eines Komponisten. Wenn man allerdings eine moderne Mozart-Bearbeitung verwendet, sieht die Sache schon wieder anders aus.

Akute Sorgen bereitet der GEMA das geplante neue Urheberrecht, das die Existenz mancher Tonschöpfer gefährden könne. Der Entwurf zur Kopier-Abgabe (z. B. für DVD- Brenner oder DVD-Recorder sei industriefreundlich und urheberfeindlich, findet die GEMA. Hier will man den Bund noch mit Lobbyarbeit zur Umkehr bewegen.

Komplizierte Ideen aus Brüssel

Außerdem droht ein Konflikt mit der EU. Brüssels Hüter des freien Wettbewerbs wollen erreichen, dass sich jede Verwertungsgesellschaft (wie etwa die GEMA) auch in allen anderen Mitgliedsländern entfalten kann. Wulff: „Das gäbe ein heilloses Durcheinander in Europa.“

Apropos internationale Beziehungen. Bizarres Beispiel: Sollten in Nordkorea deutsche Schlager gespielt werden, könnte man den Obolus schwerlich eintreiben. Immerhin aber kooperiert die GEMA mit ähnlichen Organisationen in über 60 Ländern. Alle, die im globalen Musikmarkt eine größere Rolle spielen, sind dabei – auch China.

Gar so weit reichen die Dortmunder Kompetenzen meist nicht. Wulffs Stellvertreterin Barbara Gröger: „Wir sind hier im relativ ruhigen Fahrwasser.“ Um neue Techniken (Podcasting, Handy-Klingeltöne), kümmert sich die in Berlin und München ansässige Bundeszentrale.

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HINTERGRUND

852 Mio. Euro eingenommen

  • Die GEMA heißt im Volltext „Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte“.
  • Sie macht keine Gewinne. sondern schüttet die Einnahmen nach Abzug der Verwaltungskosten an rund 60 000 Mitglieder (Komponisten, Texter, Musikverleger) aus – nach ausgeklügelten Verteilungsschlüsseln.
  • Die Gesamterträge lagen im Jahr 2005 bei 852 Mio. Euro, verteilt wurden 731,9 Mio. Euro.
  • Die GEMA steht unter Aufsicht des Deutschen Patentamtes und des Bundeskartellamtes.
  • Die Gründung geht zurück aufs Jahr 1903. Treibende Kraft war damals der Komponist Richard Strauss.
  • GEMA-Bezirksdirektion in Dortmund: Südwall 17-19, Tel.: 0231/577 01-0.

 




Die ganze Vielfalt des Landes – Mediathek von WAZ-Mediengruppe und WDR startet im September / Bücher, CDs und Filme über NRW

Von Bernd Berke

Essen. „Wir in Nordrhein-Westfalen. Unsere gesammelten Werke“. So heißt eine neue Edition mit allmonatlich erscheinenden Büchern, DVDs und CDs, die Anfang September startet.

Starke Partner sind im Boot: Die WAZ-Mediengruppe, zu der auch die Westfälische Rundschau gehört, arbeitet bei diesem großen Projekt mit dem Westdeutschen Rundfunk (WDR) zusammen. Dritter im Bunde ist der Essener Klartext-Verlag. Bodo Hombach, Geschäftsführer der WAZ-Gruppe, und WDR-Intendant Fritz Pleitgen stellten die gemeinsame Edition gestern im Design-Zentrum der Essener Zeche Zollverein vor.

Auf vorwiegend unterhaltsame Weise soll die Reihe das Landesbewusstsein in NRW stärken – passend zum bevorstehenden 60. „Geburtstag“ unseres Bindestrich-Bundeslandes. Dabei kommen alle Lebensbereiche in Betracht: Geschichte, Politik, Wirtschaft, Kultur, Natur und Sport, aber auch der ganz normale Alltag in der Region.

Das breite Spektrum der neuen Reihe reicht vom Schimanski-Krimi bis zur Reden-Sammlung des langjährigen NRW-„Landesvaters“ Johannes Rau, vom regional getönten Kabarett auf CD oder DVD bis zum nostalgischen Film über Revier-Fußball. Alle Titel erscheinen zu günstigen Vorzugspreisen. Wer abonniert, genießt Zusatz-Rabatt. Monatlich kommen im Wochenrhythmus vier Titel heraus.

Man kann hier viele Entdeckungen machen, denn einige wichtige Werke waren seit längerer Zeit vergriffen. Sie erleben in der „Mediathek“ eine ersehnte Neuauflage. Andere Bücher, Platten oder Filme sollen eigens entstehen. Über die Qualität wacht ein hochkarätiges Experten-Kuratorium. Im weiteren Verlauf der langfristig angelegten Edition können auch WR-Leser Wunschtitel vorschlagen.

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Seite Das Land und die Region:

Die Bürger des Landes können sich mit den Büchern, Filmen und Platten der neuen „Mediathek“ im Lauf der Zeit eine NRW-Sammlung zulegen, die ihresgleichen sucht. Wenn man allein bedenkt, welche regionalen Filmschätze in den Archiven des WDR schlummern…

WDR-Intendant Fritz Pleitgen zeigte sich gestern in Essen sehr angetan: „Selten hatte ich so wenig Zweifel an einem Projekt wie an diesem.“ Bodo Hombach, Geschäftsführer der WAZ-Gruppe, betonte den wachsenden Wert der Region, die den Geist der Mediathek präge: „In einer Welt der Traditionsbrüche, des schnellen Neuen, eisiger Globalisierung und undurchsichtiger europäischer Anpassungsprozesse hat die Verwurzelung und damit soziale Stabilisierung im Lokalen und Regionalen zunehmend große Bedeutung.“ Das hiesige Landesbewusstsein sei niemals provinziell, sondern stets weltoffen und tolerant.

In diesem Sinne geht’s im September los mit der Mediathek der WAZ-Mediengruppe, zu der auch die WR gehört, und des WDR. Das Leitmotto des ersten Monats heißt „Land in Sicht“: Die DVD-Scheibe „NRW – der Anfang“ führt mit rarem Bildmaterial zurück in die Gründerzeit des Landes. Die Städte an Rhein und Rühr liegen in Kriegstrümmern. Doch schon bald regen sich die Kräfte, die diese Region wieder aufbauen wollen.

Die Chose mit Rheinländern und Westfalen

Lust auf Zukunft weckt sodann das gleichnamige Buch mit den gesammelten Reden des unvergessenen „Landesvaters“ und Bundespräsidenten Johannes Rau. Natürlich spielt auch dabei das „Wir-Gefühl“ in unserem Land eine zentrale Rolle.

Gemeinsames „Wir-Gefühl“? Nun ja. „Der Westfale ist der natürliche Feind des Rheinländers.“ So lautet ein scherzhaftes Credo des Kölner Kabarettisten Jürgen Becker (WDR-„Mitternachtsspitzen“). Auf der September-CD macht er die Probe. Hier trifft er auf einen ganz sturen Westfalen: Rüdiger Hoffmann, den Meister der verbalen Langsamkeit. Das Fazit der beiden so unterschiedlichen Landsleute liegt zwischen Aufstöhnen und Umarmung: „Es ist furchtbar, aber es geht.“ Nämlich die Chose mit Westfalen und Rheinländern. Halbwegs. Irgendwie. Und mit viel Gelächter.

Markante Wiederentdeckungen

„Schönes NRW“ heißt die vierte Neuerscheinung, die das September-Programm abrundet. Dieser Reiseführer zu den historischen Stadt- und Ortskernen macht mit zahlreichen Farbfotos, Karten und Infos Appetit auf Erkundungsreisen durchs Land.

Die vier Starttitel dienen als Einführung ins NRW-Thema, sie sind eine gewichtige Basis der Edition. In den folgenden Monaten geht es vielfach spielerischer zu. Beispiel: der Oktober mit markanten Wiederentdeckungen. Da lock die DVD mit Raubein „Schimanski“ („Tatort: Schwarzes Wochenende“ von 1985). Als literarisches Kleinod folgt Irmgard Keuns Roman-Satire „Nach Mitternacht“, die im Köln der Nazizeit spielt. Die CD „Ruhrtour“ versammelt Hörbilder aus 50 Jahren zu einem akustischen Porträt der industriellen Kernlandschaft von NRW. Außerdem erscheint ein besonderes Geschichtsbuch mit demokratischen Lehrbeispielen. Hier erfährt man, wie die Menschen an Rhein und Ruhr ihre Geschicke erfolgreich selbst in die Hand nehmen.

Später folgen z. B. „Maus“-Geschichten für Kinder, Fußballfilme, Kochbücher, Texte des gebürtigen Düsseldorfers Heinrich Heine, diverse Ruhrgebiets-Romane und die Historie von Unternehmen wie Krupp. Nach und nach also: die ganze Vielfalt des Landes.

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INFO

Leserläden, Buchhandel und Internet

  • Offizieller Starttermin der neuen Mediathek ist Montag, 4, September.
  • Die Edition mit monatlich vier Titeln (jede Woche einer) umfasst im Medienmix literarische Texte, Sachbücher, CDs und DVDs – durchweg mit Bezug zum Land NRW.
  • Es wird mehrere Bezugsquellen geben: Leserläden der WAZ-Mediengruppe (also auch der Westfälischen Rundschau), normaler Buchhandel und Internet. Die Homepage wird in Kürze freigeschaltet.
  • Die Titel der Reihe könneu entweder einzeln oder im besonders günstigen Abo-Paket (monatlich vier Titel für insgesamt 21,90 Euro) erworben werden. Für WR-Abonnenten erfolgt die Lieferung frei Haus.
  • Einzelpreis pro Buch 7,95 Euro, für jede DVD oder CD 8,50 Euro.