Nichts zu verlieren – neue CD der Kölner Band „Erdmöbel“

Von Bernd Berke

Besser kann’s kaum anfangen: Schon der Titelsong ist eingängig, die Harmonie zum Refrain erinnert wahrlich an die Beatles. Wer schafft das?

Immer noch ein Geheimtipp: Die Band heißt „Erdmöbel“ (also: Sarg) und kommt aus Köln. „Für die nicht wissen wie“ ist das sechste Album seit 1996. Musikalisch geben sie jeder Platte eine andere Grundfarbe – von Elektronik-Rock über Chanson bis zum 60er Jahre-Sound. Textlich bewegen sie sich auf einem Niveau, das bei uns sonst kaum erreicht wird. Wenn ein Vergleich sein muss: Sven Regeners lakonische Poesie für „Element of Crime“, das wäre in etwa die gleiche Liga.

Der Gründer und Songschreiber von „Erdmöbel“ heißt Markus Berges. Er singt unverkennbar. Sehr entspannt, lässig und zuweilen träge bis zur Trance. Titel wie „Nichts zu verlieren“ öder ein „Lied über gar nichts“ sind stimmungstypisch. Stets melancholisch, nie verzweifelt. Das Richtige zum Abhängen und Nachsinnen. Trotzdem ist das meiste tanzbar.

Englisch passt in aller Regel besser zum Rock-Rhythmus. Doch gerade das gelegentlich Holprige am Deutschen kann enorme Qualitäten entfalten, wenn es so phrasiert wird wie hier. Nicht, immer flüssig geht’s voran, sondern zuweilen stockend – und daher umso druckvoller, wenn der fein kalkulierte Wortstau sich löst.

„Erdmöbel“ hat, wie schon der Bandname ahnen lässt, einen Hang zur höheren, manchmal morbiden Schrulligkeit. Beinahe dadaistisch wird ein offenbar weitläufig bedrucktes Schlafgewand gepriesen: „Was ich an deinem Nachthemd schätze / sind die orangenen Tennisplätze / im Wald der Wendehammer für die Feuerwehr / das Binnenmeer…“ Gesungen klingt das wie die schönste Liebeserklärung der Welt.

Als „Nah bei dir“ hört er sich abermals ganz unverbraucht an: Burt Bacharachs sanft eindringlicher Klassiker „Close to You“, in den 70ern ein Hit der Carpenters und auch von der jüngst „wiederentdeckten“ Französin Claudine Longet gecovert. Von solchen Traditions-Linien lebt die Musik. Und wie!

• Erdmöbel: „Für die nicht wissen wie“. CD bei tapeterecords / Live am Freitag, 7. Oktober, im Dortmunder FZW.




DVD-Scheiben bereiten den Kinos Sorgen

Von Bernd Bcrke

Die Fronten schienen erstarrt: Bereits zum zweiten Mal binnen weniger Wochen hatten sich die großen deutschen Kinoketten geweigert, einen neuen Film des Verleihs Buena Vista in ihren Häusern zu zeigen. Erst ging’s um die „Käfer“-Klamotte „Herbie Fully Loaded“, dann um das von vielen Kritikern gepriesene Werk „Sin City“. Doch die Boykott-Maßnahmen sind nach wenigen Tagen schon wieder vorbei.

Der Streitpunkt war in beiden Fällen der gleiche. Aus Sicht der Kinobetreiber heikel: Allzu zeitig nach dem Kinostart (schon im Dezember) will der Verleih das Geschäft mit den entsprechenden DVD-Editionen nachschieben. Bisher galt als Spielregel ein Abstand von einem halben Jahr. Diese Frist soll nun gleich zweimal unterschritten werden. Sind es Präzendenzfälle?

Beim Konsumenten könnte leicht der Gedanke aufkommen: Warum soll ich jetzt ins Kino gehen, wenn ich den Film schon bald als DVD-Scheibe fürs Heimkino (mit tendenziell immer größeren und brillanteren Bildschirmen) bekomme? Wer weiß, welche relativ frischen Produktionen bereits im nächsten Weihnachtsgeschäft auf DVD feilgeboten werden…

Konflikt mit den Verleihen

Wenn’s denn schon so kommen muss, dann möchten die Kinos wenigstens spürbar geringere Abspielgebühren an die Verleiher bezahlen. Cinestar-Sprecher Jan Oesterlin mag keine vertraglichen Details nennen, doch mit der jetzt erzielten Einigung über die beiden Filme könne man „gut leben“. Offenbar hat es also einen gewissen Nachlass gegeben. Oesterlin hofft auf ähnlich gütliche Regelungen für die Zukunft. Auch die Ketten Cinemaxx und UCI haben mit Buena Vista einvernehmliche Absprachen über die beiden Filme getroffen. Doch damit ist der Konflikt gewiss nicht grundsätzlich beigelegt.

In der Branche rechnet man damit, dass künftig viele weitere DVDs vor der ominösen Sechsmonats-Frist herauskommen werden. In den USA verfolgen große Filmproduzenten diese kommerzielle Strategie schon ganz offensiv. Angesichts arg rückläufiger Besucherzahlen (bei uns derzeit rund 17 Prozentpunkte im Vergleich zum Vorjahr) haben Kinos ohnehin Probleme. Mal ganz abgesehen von illegaler Verbreitung via Internet: Auch die gesetzestreu erworbene DVD kann sich bedrohlich auswirken – erst recht, wenn sie immer früher auf den Markt kommt. Dieses Medium bedient den cineastischen Sammeltrieb und bietet überdies meist Interviews mit Regisseuren oder Impressionen von den Dreharbeiten.

Die Verwertung beschleunigt sich

Zum Vergleich: Mit DVDs (nicht nur Kinofilme, sondem auch Musik usw.) wurden in Deutschland im Jahr 2004 rund 1,6 Milliarden Euro umgesetzt, an den Kinokassen hingegen nur 893 Millionen Euro. Und welch ein Zeichen der Zeit, dass weltweit mit Computerspielen schon erheblich mehr Umsatz gemacht wird als mit der gesamten Kino-Produktion!

Eine ähnliche Beschleunigung in der Verwertungskette erlebt auch der Buchhandel. Nicht nur, weil Neuerscheinungen in immer kürzeren Zyklen aussortiert und alsbald „verramscht“ werden. In den letzten Jahren sorgen vor allem Hörbücher für dringlich benötigten Gewinn. Während vormals das Hörbuch erst im gewissen Abstand zur gedruckten Version erschien, ist heute eine parallele Veröffentlichung die Regel. Man hat sofort die Wahl zwischen Lesen und Lauschen.

Allerdings genießen Buchhändler den Vorteil, dass sie selbst die tönenden Bücher verkaufen – und nicht die Verlage. Kinos hingegen vermarkten keine DVDs. Dieses lukrative Geschäft teilen sich die Verleihe und der einschlägige Versandhandel.




Hossa und der tiefere Sinn – Das Buch „Schlager, die wir nie vergessen“ deutet populäres Sangesgut

Von Bernd Berke

Peter Kraus zählte zu den zaghaften Vorboten sexueller Freizügigkeit. Freddy Quinn („Junge, komm bald wieder“) formulierte, wie später nur noch Heintje („Mama“), in wenigen Zeilen die geballten Müttersorgen der Nation. Drafi Deutscher („Marmor, Stein und Eisen bricht“) stand – im Vorfeld des rebellischen Jahres 1968 – für wachsende Aufruhrstimmung. Daß sich aus prägnanten Liedern Zeitgeist pur destillieren läßt, erfährt man in dem neuen Buch „Schlager, die wir nie vergessen“. Keine Schande, wenn man beim Lesen mitsummt.

Nicht weniger als 34 Autoren, darunter Koryphäen wie Eckhard Henscheid, Robert Gernhardt und Brigitte Kronauer, machen sich – in zumeist erhellenden Kurzbeiträgen – über 57 Interpreten und deren markanteste Titel her. Die tönende Chronik der Republik beginnt mit Rudi Schurickes Schmachtfetzen „Capri-Fischer“ (Version von 1946) und reicht bis zu den Gruppen „Ideal“ und „Trio“ (ihr Singsang „Da da da“ wird als Ausdruck unbekümmerter Postmoderne gedeutet) sowie Herbert Grönemeyers „Männer“-Song von 1984.

Wer sich nur lustig machen will…

Es zeigt sich, daß ironischer Umgang mit dem Thema zwar ratsam ist, daß aber jene Autoren die ergiebigsten Beiträge liefern, die den Schlager bis zu einem gewissen Punkt halbwegs ernst nehmen. Wer sich von vornherein nur lustig machen oder kulturkritisch dozieren will, kann diesen Massenprodukten auch nicht ablauschen, was in ihnen steckt. Selbst hinter einem unscheinbaren Ausruf wie „Hossa“ (Rex Gildo in „Fiesta Mexicana“) verbirgt sich ja zuweilen tragisches Geschick.

Gelegentlich wird allzu weit ausgeholt: Johannes John nennt „Ein Bett im Kornfeld“ von Jürgen Drews (1976) einen Nachläufer der Anakreontik (idyllisch-erotische „Schäferlyrik“) des Rokoko, ja, er schlägt noch einen Haken zum mittelalterlichen Dichter Hartmann von Aue und dessen Wortschöpfung vom „Verligen“, das die Hauptbeschäftigung amourös reger Faulpelze präzis bezeichnete. In der waghalsig erreichten Zielkurve heißt es schließlich, Drews habe mit seinem Lied die alte Burschenherrlichkeit bedient und neckisches „Verbal-Petting“ betrieben. Nun ja.

Sozialpädagogisches Anliegen

Da leuchtet es schon eher ein, wenn Gus Backus („Da sprach der alte Häuptling der Indianer“, 1961) als typische Figur der Amerikanisierung und zugleich als deren bubenhafter Parodist herauspräpariert wird. Nachvollziehbar auch, daß Juliane Werding („Am Tag, als Conny Gramer starb“, 1972) dem Schlager mit „sozialpädagogischem Anliegen“ jene Bresche schlug, in die dann auch Gitte oder Udo Jürgens springen konnten. Ganz naheliegend ist es gar, das Schaffen von Nicole („Ein bißchen Frieden“, 1982) im Zusammenhang der damals erstarkten Friedensbewegung gegen die NATO-Nachrüstung zu betrachten.

Wenn der Erfolg einer Daliah Lavi („Willst du mit mir gehn?“) auch mit dem Willen zur Wiedergutmachung an den Juden erklärt wird, spürt man ein gewisses Unbehagen – vielleicht deshalb, weil etwas „dran“ ist? Freilich: Wencke Myhres „Beiß nicht gleich in jeden Apfel“, das just 1966 zu Beginn der Großen Koalition zwischen CDU und SPD herauskam, als heimliche Warnung vor dem „Sozialismus“ zu interpretieren, erfordert Phantasie. Und wer hätte gedacht, daß Peter Alexander mit „Hier ist ein Mensch“ (1970) die Fackel der ursprünglich linken Utopie vom aufrechten Gang der Gattung weiter getragen hat?

Vico Torrianis kleine Ferkelei

Eine Hoch-Zeit des deutschsprachigen Schlägers waren natürlich die 50er Jahre. Damals wurde den Wirtschaftswunder-Deutschen jede Spielart von Fernweh und Exotik angedient. Caterina Valente sang beispielsweise 1957 „Wo meine Sonne scheint“, und wenn man dem Autor Dieter Bartetzko glaubt, so lenkte der Text – die historische Stunde erkennend – ungute deutsche Eroberungs-Gelüste ganz geschickt in sozialverträgliche Reiselust um.

Wie auch in der Reklame, so traten sexuelle Rollenklischees im Schlager der 50er klar zutage. Zudem war auch das populäre Sangesgut ausgesprochen prüde und verdruckst. Desto größer die Freude nachfraglichen Enthüllens: Peter von Matt stellt klar, daß es in Vico Torrianis so harmlos klingendem „Kalkutta liegt am Ganges“ letztlich nur „um das Eine“ gegangen sei, gleichsam hinter vorgehaltener Hand sei gar von einer Erektion die verschämte Rede gewesen. Doch die kleine Ferkelei verbarg sich hinter Jux-Wortspielen. Auf ähnliche Weise entsteht übrigens auch große Dichtung.

„Schlager, die wir nie vergessen“. Verlag Reclam Leipzig. 292 Seiten. 19 DM.

 

 

 




Die Geschichte des Reviers mit den Ohren erleben – Tondokumente der Nachkriegszeit im Essener Ruhrlandmuseum

Von Bernd Berke

Essen. Mit mehreren Sinnen kann man jetzt in Essen die Vergangenheit des Reviers erleben. Als Ergänzung zur Fotoausstellung „Bildberichte – Aus dem Ruhrgebiet der Nachkriegszeit“ gibt es seit gestern ein akustisches Archiv zum selben Thema. Es macht im Essener Ruhrlandmuseum Originaltöne aus der Zeit hörbar. als die Region in Schutt und Trümmern lag.

Die auf historische Rückblicke spezialisierte Redaktion „Zeitzeichen“ des Westdeutschen Rundfunks hat tief in den Radio-Fundus gegriffen. Dabei kamen uralte Hörbilder und Reportagen zum Vorschein. So etwa die Straßenumfrage eines Hasso Wolf bei Schwarzmarkthändlern, die bereits im Kindesalter Zigaretten, Schnaps oder Nähgarn feilboten. Übrigens gingen damals stets die kompletten Namen der Beteiligten über den Sender. „Datenschutz“ war noch ein Fremdwort.

Museumsbesucher können sich nun anhand einer Liste eine Art „Wunschprogramm“ zusammenstellen lassen. Mitarbeiter des Hauses steuern dann die gefragten Tondokumente via DAT-Rekorder sekundenschnell an – und sogleich ertönen historische Stimmen von A wie Konrad Adenauer bis Z wie Peter von Zahn. Insgesamt stehen acht Stunden Bandmaterial an fünf Hörplätzen zur Verfügung.

Da kann man zum Beispiel noch einmal jene bangen und frohen Minuten nachempfinden, in denen zu Weihnachten 1955 die Züge mit den Kriegsheimkehrern aus der Sowjetunion eintrafen. Fußballfreunde werden vielleicht einen Stadion-Kommentar von anno 1945 abrufen. Nur die Spielpaarung (Auswahl Westdeutschland gegen Süddeutschland) ist bekannt. Wie das Match ausgegangen ist und wer der enthusiastische Reporter war, weiß niemand mehr. Immerhin ist das Band noch vorhanden. Etliche andere Zeitzeugnisse, weiß Hasso Wolf, sind unwiederbringlich verloren. Anfangs löschte und überspielte man zahlreiche Dokumente wegen Bandmangels, später sortierte man aus Platzgründen aus.

Aufschwung und Krise der Kohleindustrie, Personen und Probleme der ersten NRW-Landesregierungen, aber auch die Entstehung der heutigen Kulturlandschaft sind weitere Felder der akustischen Rückschau. Und schließlich gibt es auch echte Raritäten wie die Stimme jenes Autokonstrukteurs in Neheim-Hüsten, der dort nach 1949 mit der Produktion des Sauerland-Wagens „Kleinschnittger“ begann: Kaufpreis rund 2000 DM, 60 km/h Spitze und 2 Liter Kraftstoffverbrauch auf 100 Kilometer. Da hatten wir es also schon, das Öko-Mobil…

Ausstellung „Bildberichte – Aus dem Ruhrgebiet der Nachkriegszeit“ (Ruhrlandmuseum Essen, Goethestraße 41; verlängert bis 17. September, di-so 10-18 Uhr, do 10-21 Uhr, Eintritt 5 DM, Katalog 29,80 DM). Bis einschließlich 20. August: Hörarchiv (Audiothek) zur Geschichte des Ruhrgebiets, zugänglich in den Öffnungszeiten des Museums.




„Tegtmeier“ lebt nicht mehr – Ruhrgebiets-Komiker Jürgen von Manger mit 71 Jahren in Herne gestorben

Von Bernd Berke

Für alle Auswärtigen war er die idealtypische Verkörperung des Ruhrgebiets-Kumpels: Jürgen von Manger, der mit 71 Jahren in Herne gestorben ist, erfand 1962 seine Figur „Adolf Tegtmeier“ – und verschmolz nahezu mit dieser Rolle.

Landauf landab verbinden die Menschen das Revier mit seinen Auftritten und glauben zu wissen, wie die Leute hierzulande reden. Was „Tegtmeier“ von sich gab, war allerdings niemals echtes Revier-Deutsch, sondern ein Kunstdialekt.

Tegtmeier war jener „kleine Mann“ von der Straße, der sich freilich bildungsbeflissen gab, sich möglichst gepflegt ausdrücken wollte – und dabei immer wieder in arge Sprachnöte geriet. Komischer Kontrast: Gerade wenn ihm eigentlich die Worte fehlten, war dieser Tegtmeier höchst mitteilungsfreudig. Und er hätschelte seine gesammelten Vorurteile, als seien es Weltweisheiten.

Mit Schiller trieb er besonders viel Schabernack

Besonders am hohen und pathetischen Ton eines Friedrich Schiller konnte sich dieser Tegtmeier regelrecht aufreiben. Unvergessen sein Bericht von einer „WaIlenstein“-Aufführung („Dat is von dem, der auch Schillers Räuber geschrieben hat“). Ähnliche Wirkung erzielte er mit eigenwilligen Deutungen von „Maria Stuart“ und ..Wilhelm Teil“.

Tegtmeier hatte natürlich auch das Patentrezept gegen jeden Bildungsballast parat: „Bleibense Mensch'“ empfahl er stets. Mit anderen Worten: Nur nicht zu weit abheben, alles halb so hoch hängen. Und das war nun wiederum ganz nach Art des Menschenschlags im Ruhrgebiet.

Jürgen von Manger stammte jedoch gar nicht aus dem Revier, er wurde am 6. März 1923 in Koblenz geboren. Seine Schulzeit erlebte er dann allerdings bereits in Hagen, wo er das Humanistische Gymnasium besuchte und im Jahr 1941 Abitur machte. Der Sohn eines Staatsanwalts studierte von 1954 bis 1958 in Köln und Münster Rechtswissenschaften, hatte aber zuvor schon erste Bühnenerfahrungen gesammelt, zunächst als Statist.

Nach einer soliden Schauspiel- und Gesangsausbildung wirkte er an den Bühnen in Hagen (bis 1947), Bochum (1947 bis 1950) und Gelsenkirchen (1950 bis 1963). Dabei spielte er auch unter dem legendären Bochumer Theaterchef Saladin Schmitt.

Die Markenzeichen gepflegt

Jürgen von Manger bekam im Theater zwar mitunter einige ernste Rollen, war aber schon bald als Spezialist für das Fach „Charakter-Komik“ gefragt.

Wie jeder bekannte Komiker, so pflegte auch Jürgen von Manger seine Markenzeichen. Da waren Schnauzbart und Kappe (die er angeblich wegen seiner „Maläste mitte Ohren“ trug), der immer irgendwie schiefgestellte, die Buchstaben geradezu genüßlich-quälerisch mahlende Mund, der so recht ahnen und mitfühlen ließ, wie Tegtmeier nach Worten rang, wenn er uns Gott und die Welt nach seinem Strickmuster erklären wollte; da war das listige Blinzeln unter den buschigen Augenbrauen, und da waren schließlich die immer wiederkehrenden Formeln und Floskeln wie das berühmte „Also äährlich!“

Hinter der etwas biederen Maskierung entfalteten sich manchmal ganz schön makabre Gedanken, zum Beispiel, wenn Jürgen von Manger einen seiner bekanntesten Sketche zum besten gab: den vom „Schwiegermuttermörder“. Dieser Mörder („Da hab‘ ich se gesäächt“) war weder teuflisch noch reumütig, sondern schilderte ganz beiläufig die Einzelheiten seiner Tat, so als gehe es um das Selbstverständlichste von der Welt. Es war übrigens eines der allerersten „Stücksken“ von Manger, mit dem er eigentlich nur die Wirkung beim Publikum testen wollte. Sie war durchschlagend, und er kam von der Figur nicht mehr los.

Makabre und peinliche Situationen

Manger ließ Tegtmeier fortan in alle möglichen und unmöglichen peinlichen Situationen geraten – von der Fahrschulprüfung („Hier hat die Omma Vorfahrt“) bis ins Eheinstitut (wo er eine Dame „mit dicke Oberaahme“ suchte), von der Delinquentenzelle bis in den Lehrgang für Unteroffiziere: „Womit wäscht sich der Soldat? – Mit Seife, Herr Unteroffizier! – Nein, mit nacktem Oberkörper.“ Tegtmeier geriet jedenfalls immer vom Regen in die Traufe, stolperte von einer Kalamität in die nächste. Doch er wurstelte sich immer irgendwie durch.

Großen Anklang fanden nicht nur Mangers insgesamt zwölf Langspielplatten, sondem auch seine Fernsehreihen wie zum Beispiel „Tegtmeiers Reisen“ mit gelegentlich hintersinnigen Plaudereien an den Orten des Massentourismus, wo er auch schon mal einen besonders schönen Kartoffelsalat und Übernachtungen in Jugendherbergen empfahl.

Im August 1985 erlitt Jürgen von Manger einen schweren Schlaganfall und war seither halbseitig gelähmt. Auch das Sprachzentrum wurde in Mitleidenschaft gezogen. Tapfer kämpfte er gegen die Krankheit an und hatte sogar schon bald wieder Pläne für neue Auftritte. Doch er mußte die Pläne aufgeben. Er hat sich nie wieder ganz erholt. Zuletzt lebte der Opern- und Antiquitäten-Kenner sehr zurückgezogen mit seiner Frau Ruth in Herne.




Guldas gesammeltes Granteln – Arrogante Plätschereien eines Weltklasse-Pianisten

Von Bernd Berke

Schon die dick aufgetragene Lobhudelei im Vorwort läßt ahnen, wo es langgeht: Dieses Buch über den Pianisten Friedrich Gulda ist eine Art Kult- und Opfergabe. Es handelt sich um Zusammenschnitte aus Gesprächen Guldas mit dem österreichischen Journalisten Kurt Hofmann.

Letzterer nimmt sich vollkommen zurück, der Text besteht nur aus den endlos aneinandergereihten Antworten Guldas. Hofmann verrät uns nicht einmal, auf welche Weise er sie protokolliert hat. Jedenfalls sieht es so aus, als a habe der Künstler reden dürfen wie ein Wasserfall, durch keinerlei Gegenfragen oder gar kritische Einwände gebremst. Offenbar hat er sich das ausbedungen, bevor er Hofmann die Huld seiner Äußerungen erwies.

Im Gegenzug hat Gulda-Verehrer Hofmann auch einige Griffe in des Tastenmeisters privates Fotoalbum tun dürfen. Doch wen interessiert es zu sehen, wie es beispielsweise „im Haus des Präsidenten des Gulda Fanclubs in Buenos Aires“ (Bildzeile) herging?

Manchmal möchte man am liebsten dazwischenfahren: „Bilde Künstler, rede nicht!“ Wieviel schöner ist es doch, Gulda Beethoven-Sonaten spielen als ihn salbadern zu hören. Denn was sich der Pianist da selbstgefällig zusammengrantelt und daherschwätzt, ist teilweise schwer erträglich. Da sortiert er als selbstherrlicher Richter jede Menge klassisch-musikalischer Prominenz in „oben“ und „unten“ ein, kaum jemand findet Gnade vor seinen Augen. Da thront Gulda selbst unter den allergrößten Genies („Damit muß ich leben, genau so wie der Michelangelo oder der Beethoven“) und natürlich turmhoch über der Zunftkonkurrenz („Sogar der Brendel … ist gegen mich immer abgestunken“, „Der Horowitz … hat mir immer weniger gefallen“) – von seiner PublikumsVerachtung zu schweigen.

Eines der Hauptthemen ist selbstverständlich Guldas Wanderschaft zwischen den Welten des Jazz und der Klassik, worauf sich der Meister sowieso viel zugute hält. Kaum jemand sonst habe halt einen derart weiten Horizont, daß er in beiden Musikrichtungen Weltklasse sei. Auch sein Verhältnis zur Weiblichkeit gerät in den eitlen Redestrom. Textprobe: „So habe ich mir bei der dritten Hauptfrau gesagt, sie soll sich als gleichberechtigte Partnerin fühlen.“ Und seine politischen Ansichten, etwa über die Folgen der Revolte von 1968, sind ebenso simpel-verkürzt wie unerheblich. Da will einer über alles und jedes reden. Und das ergibt nur stellenweise Sinn. Meist aber ist es (unfreiwillig?) komisch.

„Friedrich Gulda (Aus Gesprächen mit Kurt Hofmann)“. Langen-Müller Verlag, 232 Seiten, 38 DM.




Das millionenschwere Geschäft mit Klassik – ein hämisches Buch aus der „Spiegel“-Sprachwerkstatt

Von Bernd Berke

Man kennt das vom „Spiegel“. Manchmal gehen mit den Blattmachem des Hamburger Nachrichtenmagazins einfach die Pferde durch. Dann liegen unter Bergen von sprachlichem Brimborium grad mal ein paar Körnchen Informationsgehalt verborgen.

„Spielgel“-Kulturredakteur Klaus Umbach hat ein Buch über die millionenschweren Machenschaften im Geschäft mit der klassischen Musik geschrieben. Er bedient sich dabei über weite Strecken dermaßen exzessiv des „Spiegel“-Stils, daß es zuweilen ärgerlich wird. Man liest und liest und erfährt dabei vor allem, daß der Autor sich selbstgefällig in den Formulierungen seiner Gag-Schreibe „spiegelt“. Beispiel für viele:

„Jahrhundertelang lag das flache Land unter hohem Himmel in tiefem Frieden. Als Diogenes schon in der Tonne hauste, Cäsar nach Cleopatra grabschte und Nero die Christen zerfleischen ließ, kurzum: als das Abendland langsam seine wahre Bestimmung erkannte, da war an der Waterkant nur der Bär und nichts als der Bär los. Galt schon die ganze zottelfellige Germania bei den alten Römern als Blinddarm des europäischen Kulturrumpfes, so lag Holsatia, dieses Holstein ganz da oben, geradezu am Arsch der Welt: finster und windig, ein Loch in der Landkarte“.

Eine tolle Flut von Adjektiven. Erraten, worum es da gehen könnte? Um den laut Umbach idyllischen, weil praktisch musikfreien Zustand, bevor Justus Frantz den Nordlichtern sein Schleswig-Holstein Musik-Festival bescherte. Mit dem zitierten Absatz leitet Umbach ein ätzend-bissiges Kapitel über Frantz ein. Der umtriebige Pianist und Intendant ist eines von Umbachs Lieblingsobjekten. Doch auch Karajan und Bernstein bekommen posthum jede Menge Häme ab, wenn es gilt, die Geldscheffler des Gewerbes anzuprangern. Nicht verschont bleiben auch die Geigerin Anne-Sophie Mutter (anzügliche Kapitelüberschrift: „Edelstrich der Nation“), die Pianisten Ivo Pogorelich, Friedrich Gulda und Wladimir Horowitz, der Cellist Mstislaw Rostropowitsch, die Sänger Luciano Pavarotti und Peter Hofmann, der Komponist Karl-Heinz Stockhausen sowie einige andere.

Natürlich bekommt man auch viele Einblicke, die wahrhaft erschaudern lassen. Besonders die Passagen über monopolistische Praktiken von Konzert-Agenturen oder Gigantenkämpfe zwischen Plattenkonzernen sind lesenswert. Doch in erster Linie bedient Umbach routiniert (und manchmal hundsgemein unter der Gürtellinie) das Tratschbedürfnis im Kultursektor.

Der Ordnung halber gesteht er seinen „Opfern“ jeweils in aller Kürze gewisse musikalische Qualitäten zu, um dann desto ausführlicher und erbarmungsloser ihre Geldgier anzuprangern. Da werden Könige reihenweise vom Thron gestoßen. Der Autor vergißt dabei nie, seine über allem schwebende Kennerschaft ins Licht zu rücken und so zu tun, als sei er bei jedem Finanzdeal live dabeigewesen. Jedenfalls: Der gewiß gleichfalls nicht übel bezahlte Umbach steht hernach immer als strahlender, moralischer Sieger da.

Überhaupt lebt dieses Buch zum einen von unser aller Neid und Schadenfreude, zum anderen von der moralischen Fallhöhe, sprich: der Kluft zwischen hochveredeltem Gestus der Klassik-Szene und der zuweilen wirklich schamlosen Gier ihrer Weltstars. Fazit: Da wird im Grunde abgezockt wie im Rock-Business, allerdings unter dem Mäntelchen von unantastbarer Hochkultur.

In die normalen Niederungen des Musiklebens hat sich Umbach freilich nicht begeben. Dort herrscht erheblich weniger Luxus. Dennoch erweckt das Buch manchmal den falschen Eindruck, als werde die gesamte Musik im Übermaß subventioniert.

Klaus Umbach: „Geldscheinsonate. Das Millionenspiel mit der Klassik“. Ullstein-Verlag, 296 S., 39,80 DM.




Singende Kinder – ebbt die Welle ab?

Von Bernd Berke

Als Heintje in die Jahre kam, gab es eine Austrittswelle: Der Dortmunder Heintje-Fanclub, einst der größte seiner Art in der Bundesrepublik, schrumpfte zusehends. Innerhalb weniger Monate kehrten über 100 Fans des holländischen Kinderstars ihrem Hörder Verein den Rücken. Im Umland machten von 29 Heintje-Clubs zehn dicht.

Dr. Riemer vom Deutschen Institut für Jugendforschung in München erklärt sich das so: „Es scheint, als könnten sich die Fans mit einem erwachsenen Heintje nicht mehr abfinden. Sie können ihre geheimen Wünsche nicht mehr auf den Jungen übertragen.“

Manager poltert gegen früheren Schützling

Heute ist man Heintje richtig böse. Manager Gerd Rothenbusch (33), der bis vor kurzem noch landauf, landab Reklame für ihn machte, poltert gegen seinen früheren Schützling los: „Den würd‘ ich nicht mehr auftreten lassen. Der hat doch genug Geld verdient, der Knabe!“ Als hätte Rothenbusch es gerochen: Einen Tag später verpatzt Heintje – angeblich von Grippe geplagt – seinen Auftritt bei der Löwenverleihung in der Westfalenhalle. Rothenbusch freut sich: „Das geschieht ihm recht. Unser Club gönnt ihm keinen Erfolg mehr. Warum muß Heintje auch so viel Malteser saufen. Klar, daß ihn das fertigmacht!“

An Heintjes Stimmbruch und an der Tatsache, daß er seinen größten Club im Stich ließ. indem er ihn nicht mehr mit Informationen versorgte, wäre beinahe der Club eingegangen. Gerade noch rechtzeitig kam Clubchef Rudolf Omnitz (18) die rettende Idee: um weiter auf der Kinderstar-Welle mitreisten zu können, nahm er die heute zwölfjährige Norwegerin Anita unter die Fittiche des 500köpfigen Clubs.

Heintje als Ersatzkind?

Das fällt auf: Der Club, der sich um Kinderstars kümmert, hat sehr viele Mitglieder über 40 Jahre. Und es gibt sogar eine Art „Dunkelziffer“. Manager Rothenbusch: „Viele Mütter und Omas lassen ihre Sprößlinge in den Club eintreten, weil sie sich schämen, es selbst zu tun.“ Den Grund kann man nur vermuten. Beim Clubtreff ruft ein älterer Mann im Überschwang: „Den Heintje, den mag ich, der ist nicht so überheblich.“ Der Mann ist nicht verheiratet, hat kein Kind. Heintje als Ersatzkind?

Jedenfalls ist der Fan etwas „hinter dem Mond“. Für seinen Club nämlich ist Heintje „gestorben“. Und schon drohen Sorgen mit dem blonden Heintje-Ersatz Anita („Schön ist es, auf der Welt zu sein“), denn auch von der kleinen Roy-Black-Partnerin hört man kaum noch etwas. Letzte Chance: Clubgründer Rudolf Omnitz will einen Blitzbesuch in ihrer norwegischen Heimat machen und sie zu neuen Aktivitäten überreden. Und wenn’s nicht klappt, ist es auch nicht schlimm.

Flexibler Fanclub: von Anita zu Jürgen Marcus

Fanclubs sind flexibel: Schon ist Rudolf Omnitz mit einem Bein aus der Kinderwelle raus. Seme Fanclubzeitung (Auflage: 3000 Stück), die einst naiv bejubelte, daß sich „unser Heintje“ eine Villa mit 26 Zimmern leisten kann und dann Anita in den Schlagerhimmel hob, feiert heute in erster Linie Jürgen Marcus („Schmetterlinge können nicht weinen“).

Auch die Schallplatten-Industrie sieht den Boom der deutsch singenden Kinderstars abflauen. Bei der Ariola-Tochter „M Records“, die den zehnjährigen „Nicki“ unter Vertrag hat, heißt es: „Wir haben keinen anderen Kinderstar mehr. Der Nicki reicht uns.“ Auf andere Weise will die Firma Bellaphon nach Worten von Manager Helmut Kersting das Problem in den Griff kriegen: „Wir werden die Fanclubs straffer organisieren.“ Kersting betreut das britische Kinderduo „James Boys“.

Wie deprimierend auch das neue Clubleben aussehen kann, läßt ein Auftritt Jürgen Marcus im Dortmunder Clublokal „Kaiser“ in Sölde vermuten: Für 25 DM Eintritt „dürfen“ die Fans über eine Stunde lang auf seinen Auftritt warten. Und dann singt er nicht etwa, sondern wünscht nur einen guten Abend. Dann muß er weiter zu Fernsehaufnahmen.

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Rundschau-Wochenendbeilage