Die Schweiz kommt schräg

Schweizer Impression (Foto: Bernd Berke)

Schweizer Impression (Foto: Bernd Berke)

Basel/Genf/Dortmund. Drei Tage, fünf Städte, zwei Sprachzonen. Es war ein straffes Kurzreise-Programm, das die Schweizer Kulturstiftung „Pro Helvetia“ und die Organisation „Präsenz Schweiz“ arrangiert hatten. Unterwegs gab’s manchen Vorgeschmack auf die vielen Gastpiele der Schweizer Kultur ab Mai in NRW. Zentrum mit rund 100 der 160 Veranstaltungen wird Dortmund sein.

Die 37. Internationalen Dortmunder Kulturtage tragen den Titel „scene: schweiz“. Nicht so sehr mit Glanz und Gloria der Künste will das Alpenland bei uns prunken, sondern den Blick eher auf „Alternativen“ auf diverse Freie Szenen richten.

Eröffnet wird der Reigen, der zahlreiche Dortmunder Spielorte (u. a. Konzerthaus, Theater Fletch Bizzel, Jazzclub „domicil“) umfassen wird, allerdings festlich; so mit einem klassischen Ballett des Grand Théatre de Genève am 16. Mai (18 Uhr) im Opernhaus. Die renommierte Compagnie, die im altehrwürdigen Gehäuse am heimatlichen Standort Genf über eine der modernsten Bühnen-Maschinerien Europas verfügt, wird einen Querschnitt durch ihr jüngstes Schaffen darbieten. Es dürfte eine ästhetisches Ereignis ersten Ranges werden. Tatsächlich geradezu paradiesisch schön: die Szenen aus dem Tanzstück „Para-Dice“. Ballettfans aus Dortmund und der Region können sich schon darauf freuen.

Der Hauptlinie des Festivals entspricht jedoch eher die freie Tanztruppe im Théâtre Sévelin, die sich auf einem alten Fabrikgelände in Lausanne niedergelassen hat. Gründer und Leiter Philippe Saire, der hier die einzige reine Tanzbühne der Schweiz etabliert hat, huldigt einem aufregenden, ja bisweilen aufwühlenden Körper-Theater, das hie und da an die wundersamen Exerzitien der Pina Bausch erinnert. Um Liebeslust, Liebesweh und sexuelle Identitäten geht es hier wie dort. Am 4. Mai wird die Compagnie Saire ab 20.30 Uhr in der Dortmunder Reinoldikirche auftreten, danach in Bonn, Aachen und Düsseldorf. Vorführen wird man die Produktion „Les Affluents“ (etwa: die Zusammenfließenden). Vielfältige Begegnungen der Geschlechter setzen dabei die geradezu „obszön“ wirkende Urgewalt des Eros, jedoch auch ungeahnt zärtliche Momente frei. Das Gastpiel soll nicht ohne Folgen bleiben: Mit dem Tanzhaus in NRW (Düsseldorf) will man künftig dauerhaften Austausch pflegen.

Natürlich wird nicht nur getanzt. Einige kabarettistisch, clownesk oder satirisch geprägte Schweizer Bühnenproduktionen kommen ab 12. Mai im Dortmunder „Fletch Bizzel“ heraus. Es wird zudem etliche Filmvorführungen geben. Emil Steinberger wird am 21. Mai zur Lesung im Schauspielhaus erwartet.

Vor allem aber wird die bildende Kunst ihre „Auftritte“ haben: Im Museum am Ostwall lautet das Motto vom 16. Mai bis 11. Juli: „comment rester zen“ (frei übersetzt: Wie man gelassen bleibt). Hier spüren Schweizer Künstler den schweigsam schwingenden Kräften meditativer Weltbetrachtung nach.

Bereits ab 1. Mai (bis 4. Juli) wird die imposante Dortmunder „PhoenixHalle“ auf dem westlichen Gelände des früheren Hoesch-Stahlwerks von mehr als 20 Schweizer Künstler(inne)n bespielt, und zwar mit neuesten Ausformungen der Foto-, Video-, Computer- und Internet-Kunst. Kostproben waren in Basel zu sehen. Manches scheint schöne, gar naive Spielerei zu sein, anderes ist vielleicht unterwegs zur Vision kommender, vollends technisch bestimmter Zeitalter. Federführender Gastgeber der Schau „So wie die Dinge liegen“ ist der von Deutschlands Kunstkritikern jüngst preisgekrönte Dortmunder „hartware medien kunst verein“ (Iris Dressler, Hans D. Christ).

Ein visuelles Großereignis namens „Wind der Hoffnung“ freilich konnte sich Dortmund nicht sichern, aus logistischen Gründen musste man abwinken und Oberhausen den Vortritt lassen: Ein fast 60 Meter hoher Fesselballon mit 35 Metern Durchmesser wird (vom 26. Mai bis 31. November) im Inneren des 117 Meter hohen Gasometers aufgepumpt – „passt und hat Luft“. Kurator Wolfgang Volz, der am selben Ort schon Christos Fässer-Invasion („The Wall“) zum Event mit 400 000 Besuchern machte, plant dazu Ton- und Lichtinszenierungen (Musik von Philip Glass) sowie eine bündige Dokumentation über die phänomenale Schweizer Abenteurer-Familie Piccard, deren anekdotenträchtige Nachlässe sich im Musée du Léman zu Nyon am Genfer See befinden. Auguste Piccard fuhr als erster Mensch mit einem Ballon in die Stratosphäre hinauf, sein Sohn Jacques stellte in einer Krupp-Spezialkapsel den nicht mehr zu verbessernden Weltrekord im Tieftauchen (rund 11000 Meter) auf – und dessen Filius Bertrand wiederum umrundete 1999 in jenem Ballon, der in Oberhausen gezeigt wird, die gesamte Erdkugel. Das soll’s dann aber auch gewesen sein: Bertrand hat zwei Töchter, die auch nach dem Willen des Vaters das landesübliche Leben genießen möchten…

Noch wird letzte Hand angelegt ans Programm der Kulturtage, das komplett am 20. April in Dortmund vorgestellt werden soll. Für Lukas Heuss, Betreuer der internationalen Projekte bei „Pro Helvetia“, ist jedenfalls die Zielrichtung klar: Die Schweiz will weg vom Klischee aus Bergidyll und Geldwäsche, ja Heuss findet sogar: „Diese Imagepflege haben wir bitter nötig.“ Eine „freche, kunstvolle, selbstkritische Schweiz“ solle statt dessen sichtbar werden.

Ins Umfeld gehören z. B. auch der Schweiz-Schwerpunkt der Wittener Tage für Neue Kammermusik (23. bis 25. April) und das Jazzfest „europhonics“ (im Herbst im neuen „domicil“-Haus an der Dortmunder Hansastraße). Die Schweiz kommt also auf breiter Front: mit manchmal schrägen Bildern, Klängen, Szenen. Alphorn, ade!

(Der Beitrag ist zuerst am 15. April 2004 in der „Westfälischen Rundschau“ erschienen)




Peter Paul Rubens auf Schritt und Tritt entdecken – ein Streifzug durch Antwerpen

Von Bernd Berke

Antwerpen. Was wahr ist, muss wahr bleiben: Mag auch Europas französische Kulturhauptstadt Lille heuer die größte Rubens-Ausstellung zeigen, so klingen doch die Grundtöne seiner Lebensmusik besonders in der belgischen Hafenmetropole Antwerpen nach. Einladung in eine wunderschöne Stadt – zu Rundgängen auf den Spuren des Peter Paul Rubens:

In Antwerpen, der Stadt seiner Vorfahren, hat der 1577 in Siegen geborene Barock-Meister (nach Kölner Kindheit und unterbrochen durch italienische Lehr- und Wanderjahre) gewohnt und gewirkt; sporadisch ab 1589, dauerhaft von 1608 bis zu seinem Tod 1640.

Es „rundet“ sich weder das Geburts- noch das Sterbedatum, dennoch kann man füglich von einem „Rubens-Jahr“ sprechen. Als hätten sich die Städte verabredet, rücken auf einmal überall seine Werke in den Mittelpunkt. Antwerpen wollte erst 2005 einen Rubens-Zyklus beginnen, doch das Palais des Beaux-Arts in Lille preschte vor und trieb die Belgier zur Eile.

Neben diesen beiden Kommunen, die nun auf Basis eines gemeinsamen flämischen Erbes halbwegs vernünftig kooperieren, beteiligen sich u. a. Genua, Kassel, Braunschweig und New York am Reigen. Wenigstens Lille und Antwerpen sollte der Reisende koppeln, die Distanz mit Bahn oder Auto beträgt knapp zwei Stunden.

Vielleicht ist die Zeit wieder reif für seine Kunst

Vielleicht ist die Zeit einfach mal wieder besonders „reif“ für Peter Paul Rubens, für seine überwältigende Dynamik und Dramatik, die er (nach eher verhaltenen Anfängen) etwa ab 1612 mit leuchtenden Farben und oft diagonal zugespitzten Kompositionen noch jedem mythologischen oder biblischen Thema abgewann – bevor sich das Spätwerk des Gichtkranken auf intimere Porträts und Landschaften konzentrierte.

Geradezu berüchtigt sind die schwellenden, ungeheuer fleischlichen Körper seiner Frauenfiguren. Mit ihren drallen Formen hielten sie gleichsam ein malerisches Markenzeichen allzeit im Gedächtnis – bis hin zu jenen Heirats-Annoncen, in denen sich „Rubens-Damen“ anpreisen.

Propagandist der Gegenreformation

Einen wirksameren Bild-Propagandisten hat die Gegenreformation jedenfalls schwerlich hervorgebracht. Mit Marienverehrung und Verherrlichung der Eucharistie hat ausgerechnet Rubens, Sohn eines Calvinisten, eben jene Glaubensdinge betont, von denen sich die Protestanten verabschiedet hatten. Überdies genoss der polyglotte Mann auch als weltgewandter politischer Diplomat einen blendenden Ruf.

Dies bietet keine andere Stadt: Mit etwas Phantasie begegnet man dem barocken Künstler in Antwerpen (Slogan: „Entdecke P. P. Rubens“) auf Schritt und Tritt. Denn hier steht das famose Rubens-Huis, in dem der Maler mit Familie und zahlreichen Werkstatt-Schülern gelebt hat. Die vor allem im Hofbereich wahrhaft großbürgerliche Wohnstatt am Wapper hat Rubens nach italienischen Vorbildern gestaltet – mit ehrwürdigem Portal und zauberhaftem Garten.

Auch als Sammler häufte er Kostbarkeiten an

Drinnen findet man nicht nur manche Bilder von Rubens‘ eigener Hand, sondern auch anderweitige Schätze, die er gehortet hat. Die Hinterbliebenen sollten gut versorgt sein: Eine deshalb nach seinem Tod geführte Verkaufsliste enthielt rund tausend Nummern, darunter Gemälde vom Werkstatt-Gefährten Anthonis van Dyck, aber auch von Dürer, Tizian und Tintoretto; zudem antike Skulpturen, für die der wohlhabende Rubens einen Pantheon errichten ließ. Anhand der Aufstellung ließ sich mit ziemlicher Sicherheit sein Kunstbesitz rekonstruieren. Jetzt werden die Kostbarkeiten in der Schau „Rubens als Sammler“ (bis 13. Juni) erstmals in solcher Breite gezeigt.

Der virile Herr stellte gerne pralle Frauenleiber dar

Hochinteressant sind die (kon)genialen Kopien oder auch beherzten Retuschen, die Rubens vor allem nach Werken venezianischer Maler schuf. Vergleicht man sie mit den Originalen, so zeigt sich, dass Rubens häufig weibliche Kleider-Ausschnitte erheblich tiefer ansetzte oder gar üppige nackte Brüste prangen ließ, wo das Vorbild sich noch züchtig gab. Der virile Herr (drei Kinder mit Isabella Brant, vier mit seiner zweiten Frau Helene Fourment) war eben kein Kostverächter.

Auf sinnreich zusammengestellten „Stadtspaziergängen“ kann man in Antwerpen auch sonst seine Wege beschreiten, so etwa geradewegs vom Rubens-Huis zur St. Jacobskirche in der Lange Nieuwstraat. Man schreitet just durchs Privat-Portal, das seinerzeit dem honorablen Rubens vorbehalten war. Hier wurden einige seiner Kinder getauft, hier befindet sich sein Grabmal, gekrönt vom Bild „Maria, umringt von Heiligen“. Hernach wendet man sich zum Rockoxhuis in der Keizerstraat, benannt nach Nicolaas Rockox, dem damaligen Bürgermeister. Er war mit Rubens befreundet und verschaffte ihm manche Aufträge.

39 Deckenbilder bei einem Brand zerstört

Weiter geht’s: An den Entwürfen zur St.-Carolus-Borromäuskirche hat Rubens selbst mitgewirkt, abermals im italienischen Stile. Seinem Einfluss also verdanken wir den Barockturm und die mit Posaunenengeln geschmückte Fassade. Für die Seitenschiffe entwarf er nicht weniger als 39 Deckenbilder, die 1718 bei einem Brand zerstört wurden. In der St.-Pauluskirche am Veemarkt erstrahlen 15 Gemälde zum Mysterium des Rosenkranzes. Sie stammen von Rubens („Die Geißelung Christi“ und anderen, kaum minder begnadeten Künstlern wie van Dyck, David Teniers und Jacob Jordaens.

In der Liebfrauenkathedrale darf man u. a. Rubens‘ berühmte Triptychen „Die Kreuzaufrichtung“ und „Die Kreuzabnahme“ bewundern. Letztere entstand ab 1611 im Auftrag der örtlichen Schützengilde. Fürs selbe Gotteshaus schuf Marten de Vos gar eine kulinarische „Hochzeit zu Kana“ auf Geheiß der Wirte und Weinhändler.

Reichhaltige Bibliothek des Malers

Rubens hat nicht nur gemalt, sondern auch viel gelesen. Davon kann man sich bis 13.Juni im Museum Plantin-Moretus am Vrijdagmarkt überzeugen. Bücher aus seiner reichhaltigen, mühsam rekonstruierten Bibliothek sind hier erstmals zu sehen. Lateinische oder griechische Titel aus etlichen Bereichen (Botanik, Archäologie, Mathematik, Architektur) belegen den universalen Bildungsanspruch.

Am Anfang seiner zweiten Ehe kaufte Rubens galante spanische Liebesromane von Lope de Vega und Cervantes. Wahrscheinlich hat er die anregenden Schriften mit seiner Gattin im Schlafgemach gelesen.

Anreger einer aufgewühlten Romantik?

Antwerpens Königliches Museum für schöne Künste steht nicht beiseite, wenn es um Rubens geht. Schließlich verwahrt man hier einige wichtige Werke, von denen nur wenige an Lille ausgeliehen worden sind. Ein Bildersaal prunkt mit monumentalen Formaten wie „Die letzte Kommunion von Franz von Assisi“. Hier knüpft nun bis 13. Juni eine Sonderausstellung an, die Rubens‘ Fernwirkung erkundet. Farbschwelgerei gegen klare Linie: Rubens soll als Anreger einer aufgewühlten Romantik erscheinen und somit als Gegenpol des ruhigen Klassizismus.

Die These geht nicht so recht auf, bzw. sie ließe sich auch mit ganz anderen Exponaten aufstellen. Doch wer wird jammern, wenn die Behauptung mit herrlichen Werken von Ingres, Delacroix oder Courbet illustriert wird? Dass auch ein Genius wie Rubens nicht vom Streit der (Kunst)-Welt verschont blieb, belegt in dieser Schau ein Zitat des Dichters Charles Baudelaire, der den Maler als öden Quell aller Banalität gescholten hat. Wer sich so ereifert, ist wohl noch lange nicht „fertig“ mit Rubens.

Informationen: „RubensHotline“: 0032/70 233 799. Internet: www.rubens2004.be (beides auch auf Deutsch).

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P. P. Rubens aus Siegen

Wie kam es, dass Peter Paul Rubens 1577 gerade in Siegen geboren wurde? Dahinter steckt eine dramatische Vorgeschichte.

Rubens‘ Vater Jan, ein bis dato angesehener Jurist, hatte sich auf eine amouröse Geschichte mit seiner Klientin Anna von Sachsen eingelassen. Deren Gatte war kein Geringerer als Wilhelm von Oranien. Dem Ehebrecher Jan Rubens drohte gar die Todesstrafe. Die verzweifelte Anna und Jan Rubens‘ außerordentlich großmütige Ehefrau Maria Pypelinx setzten sich unermüdlich für ihn ein. So wurden Jan und Maria „nur“ für einige Jahre nach Siegen verbannt. Und hier begab es sich, dass…

 




Dosierter Reiz der Fremdheit – Cappenberg zeigt deutsche Brasilien-Bilder des 19. Jahrhunderts

Von Bernd Berke

Cappenberg. Der Mann geht als sehniger Jäger durch den Dschungel voran, einige Meter hinterdrein trottet seine Gefährtin mit der Kinderschar. Häufig kehrt dieses Familien-Muster in der neuen Cappenberger Ausstellung wieder. Falls die Bilder nicht trügen, herrschte bei den Indianern im brasilianischen Urwald vor rund 150 Jahren jedenfalls kein Matriarchat.

Die aus Berlin kommende Schau führt mit vielen Beispielen vor, wie einigermaßen begabte deutsche Reise-Künstler im frühen und mittleren 19. Jahrhundert brasilianische Verhältnisse bebildert haben. Eine Leitlinie ist der ebenso forschende wie staunende Blick, mit dem sich der große Alexander von Humboldt den Phänomenen der Welt näherte. Er, der zwar südamerikanischen, aber nie brasilianischen Boden betrat, animierte auch Maler und Zeichner, wissenschaftlich verwertbare Exaktheit mit Inspiration zu verknüpfen – ein ganzheitlicher, künstlerischen Sinn einbeziehender Ansatz. Aber auch die Perspektiven der Humboldt-Ära sind vom Zeithorizont begrenzt. Doch wer weiß, welche Aspekte wir Heutigen, medial Gesättigten schlichtweg ausblenden.

Die damaligen Darstellungen wurden meist von adligen Herren gefertigt, sie konnten sich ausgedehnte Reisen erlauben. Prinz Maximilian zu Wied-Neuwied etwa drang ab 1815 mit Gefolge in unwegsamstes Gebiet vor und hielt den Alltag der Puri-Indianer fest. Es muss beiderseits ein Kulturschock gewesen sein. Doch auf den Bildern wirkt alle Wildheit gedämpft, domestiziert, eingehegt, für europäische Geschmäcker zugerichtet.

Das Spektrum ist vielfältig: Einige erschöpfen sich in bloßer Wiedergabe (Abzeichnen von Pflanzen) oder ergehen sich in manchmal wohlig-schauriger Exotik, zeigen allerlei Waffen, Gerätschaften oder auch phantastischen Kopf- und Körperschmuck. Bestandsaufnahmen nach Art der „Wunderkammer“.

Vielfach werden die so unterschiedlichen Völkerschaften Brasiliens nur auf grob typisierenden Tafeln dargeboten. Andere Künstler geben sich hingegen Mühe, Individualitäten zu begreifen. Landschaften treten dann in ihrer besonderen tropischen Farbskala hervor, Menschen bekommen ein unverwechselbares Gesicht.

Es ist zumeist noch ein selbstzufriedener, kolonisatorischer Blick weißer Europäer, der sich auf „Eingeborene“ richtet, die oft bei Raufereien oder mystischen Ritualen und Tänzen gezeigt werden.

Das schöne Licht auf dem Sklavenmarkt

Diese als ursprünglich, doch auch als triebhaft wahrgenommene Fremdheit wird als dosierter Reiz eingesetzt, ebenso wie die Nacktheit der indianischen Bevölkerung. Doch das vermeintliche Paradies ist bedroht. Man sieht schon Bilder, auf denen die Abholzung des Urwaldes beginnt…

Rassen- und Klassen-Herrschaft auf Landgütern oder in Diamant-Minen kommt teils deutlich zum Ausdruck, doch dies wird nur registriert, nie mit Empörung dargestellt. Dunkelhäutige schuften vor einer Kirchen-Kulisse, portugiesische Einwanderer halten derweil ein Schwätzchen. Auf dem Bilde wirkt diese Ordnung der Dinge geradezu naturwüchsig.

Nicht einmal die Ansicht eines Sklavenmarktes hält sich bei sozialen Bedenken auf, sondern spielt mit Licht- und Schattenwerten, so dass das arge Geschehen pittoresk wirkt. Ähnlich verhält es sich mit der öffentlichen Auspeitschung eines vermeintlichen Übeltäters. Wahrscheinlich hat der Zeichner nur gedacht: Der Bursche wird’s wohl verdient haben.

Frappant die detailfreudig ausgemalten Urwald-Szenen des aus Augsburg stammenden Johann Moritz Rugendas, sie verströmen beinahe den Geruch tropischer Feuchtigkeit, rühren ans Dunkle auch in der Seele des Betrachters. Weitaus gebändigter kommen andere Landschaften daher. Da glaubt man sich etwa in liebliche Rhein-Gegenden versetzt. Auch in der Fremde sieht mancher nur das, was er von zu Hause her kennt.

Bilder aus Brasilien im 19. Jahrhundert. Schloss Cappenberg. Bis 23. Dezember. Tägl. außer Mo. 10-17 Uhr. Eintritt frei, Katalog 50 DM.




Fast wie im Revier: Aus Luxemburgs Industriewüste blüht Kultur

Von Bernd Berke

Luxemburg. Man stellt sich Luxemburg wohl ein wenig wie das Sauerland vor: sanfte Hügel, viel Grün, idyllische Dörfchen. Doch das ist nur die eine Seite: Mancherorts sieht es in dem kleinen Land so aus wie im Ruhrgebiet – ähnliche Probleme Inbegriffen. Und auch diese Parallele gibts: Wie im Revier, so entdeckt man auch in Luxemburg beim Strukturwandel die Kultur als zukunftsträchtigen Sektor.

Im aktuellen Partnerland der Ruhrfestspiele hat das Theater lange ziemlich brach gelegen. Doch jüngst stieg endlich das staatliche Kulturbudget, so dass sich allmählich auch ein Nationaltheater etablieren kann. Direktor Frank Hoffmann, der häufig in Deutschland inszeniert, schwebt ein „Europäisches Theater“ multikulturellen ZuSchnitts vor. Mit derlei Visionen kommt er Hansgünther Heyme nahe, der ja die Ruhrfestspiele zum Europäischen Festival erweitert hat. Hoffmanns Inszenierung nach Kafkas Roman „Das Schloß“ wird in Recklinghausen gastieren.

Die vorgesehene Nationaltheater-Spielstätte freilich, eine frühere Schmiede, muss noch umgebaut und mit einer Heizung versehen werden. Bei einer winterlichen Diskussionsrunde mit luxemburgischen Theaterschaffenden (die z. B. aus Frankreich, Finnland und Ostdeutschland stammen), froren hier alle Beteiligten. Doch innerlich erwärmten sie sich an günstigen Perspektiven. Die prestigeträchtige Zusammenarbeit mit den Ruhrfestspielen kommt als Impuls gerade recht.

Höchste Zeit, dass Luxemburg ein paar Francs mehr für die Künste aufbringt. Zu verdanken ist dies auch der Kulturministerin Erna Hennicot-Schoepges, von Haus aus Pianistin. Das insgesamt schwerreiche Großherzogtum, in dessen gemächlich wirkender Hauptstadt (nur 78.000 Einwohner) zahllose Bankpaläste und EU-Behörden strotzen, leistet sich übrigens Schulneubauten, von deren Palast-Charakter man in Deutschland nicht einmal zu träumen wagt.

Das gerade erwachende Luxemburger Theaterleben zeichnet sich durch zwei Be-sonderheiten aus: Es gibt keine festen Ensembles, man findet sich jeweils für bestimmte Produktionen zusammen. Zudem ist das Land (rund 400 000 Einwohner / Ausländeranteil 37 Prozent) dreisprachig. Manche Truppen spielen auf Deutsch, andere auf Französisch, wieder andere reden Letzeburgisch (eine dem Moselfränkischen verwandte Mundart). Da dürfte die Zielgruppen-Findung nicht leicht sein.

In der industriell geprägten Stadt Esch-sur-Alzette fühlt man sich an Dortmund-Hörde und das Areal des einstigen Hoesch-Werks Phoenix erinnert. Ein vom Arbed-Konzern geschlossenes Stahlwerk rostet bei Esch (Belval) majestätisch vor sich hin, ein paar Hochöfen wurden bereits nach China verkauft. Nun erfolgt – mit Hilfe von Arbed und einiger Ruhrgebiets-Firmen – der Umbau der ganzen Gegend. Dabei spielt auch Kultur eine Rolle.

Eine gigantische, 160 Meter lange Gebläsehalle auf dem filmreifen Gelände soll Schauplatz der Goldoni-Inszenierung des Ruhrfestspielchefs Hansgünther Heyme werden, die ab 13. Mai nach Recklinghausen kommt (Zeche Blumenthal/Haard). Selbst der phantasiereiche Theatermann hatte Mühe, sich das Stück „Der Diener zweier Herren“ in diesem rohen Ambiente vorzustellen. Bis zur Premiere am 1. April gibt’s noch viel zu tun, doch Heyme gefällt der wildwüchsige Ort mitsamt den „Spuren harter Arbeit“. Bisher beherrschen noch viele Füchse das Gebiet, die sich hier ihren Bezirk erobert haben – inmitten der maroden Stahl-Kolosse.

Nicht weit entfernt liegt jener vormalige, für 9 Mio. DM sanierte vormalige Schlachthof, in dem ein gleichfalls im Revier bekannter Mann sein Theaterglück sucht: Steve Karier, unter Leander Haußmann Schauspieler in Bochum, leitet die 1998 eröffnete „Kulturfabrik“, die sich (bemerkenswerte Quote) zu über 50 Prozent aus ihren Einnahmen trägt.

Das Einzugsgebiet reicht bis Lüttich, Saarbrücken und Trier. Mit jährlichen Subventionen von jetzt 750 000 DM entsteht hier ein ehrgeiziges Programm zwischen Rockmusik und Theater. Willy de Ville gastierte hier ebenso wie der ruhmreiche Regisseur Luc Bondy mit Becketts „Godot“. Der moderne Klassiker war die Ausnahme. Karier: „Sonst spielen wir kaum Stücke, die mehr als zehn Jahre alt sind. Neues Kultur-Leben blüht aus den Industrie-Ruinen…




Ein Zeitreisender in fremden Weltzonen – „Nootebooms Hotel“

Von Bernd Berke

Bis in die letzten Winkel der Erde dringen sie vor und lassen ihre Leser später an der oft verstörenden Fremde teilhaben – die großen Reisenden der Literatur. Der famose, so früh verstorbene Engländer Bruce Chatwin („Traumpfade“, „Mein Patagonien“) zählte zu ihnen. Und auch der Holländer Cees Nooteboom („Rituale“) gehört dem Menschenschlag an, der immerzu in die Ferne strebt.

Mit „Nootebooms Hotel“ liegen nun gesammelte Aufzeichnungen aus den Jahren 1968 bis 2000 vor. Sie handeln nicht nur von entlegenen Ländern, sondern auch von Aufenthalten in Venedig oder Berlin, zudem von Erkundungs-„Fahrten“ durch Gefilde der Literatur, der bildenden Kunst – und nicht zuletzt von Zeitreisen durch die eigene Vorstellungswelt. Hinzu kommen Interviews und Begegnungen, etwa mit Federico Fellini, Umberto Eco oder just Bruce Chatwin – allesamt umgetriebene, ja besessene Leute, sozusagen herrlich „Verrückte“.

Selbst-Erfahrung wie im Auge des Orkans

Fern von touristischen Pfaden hat sich Cees Nooteboom oft allein in äußerst fremdartige Weltzonen gewagt; dorthin, wo ein Europäer im Grunde gar nichts mehr begreift. Beispielsweise in Gambia, Mali und Bolivien fand er sich an Orten wieder, deren Aura ihn seltsam ergriff, jedoch auch so ratlos ließ, dass er auf sein Inneres verwiesen war und irritiert in sich hineinhorchte.

Es ist bei dieser Selbst-Erfahrung wie im Auge des Orkans, wo die größte Ruhe herrscht: Ganz umfangen von nie geahnten Gerüchen, Geräuschen, Turbulenzen und Ritualen, gelangt dieser Reisende zu einem nahezu religiösen, wenigstens meditativen Glücksgefühl des inneren „Leer-Werdens“. Es erweist sich mit der Zeit als Zielgelände all seiner Bewegungen in der Welt, ja er verspürt in solchen Momenten „die Sehnsucht, nicht existieren zu müssen“. Davon macht sich ein ewig im Heimischen Verharrender wohl keinen Begriff…

Ur-Szenen des Menschseins

Nicht Mystizismus ist dies, bewahre! Sondern eine Vermessung der Fremdheit nach individuellem Maß, deren Resultate uns angehen. Nooteboom versteht es meisterlich, seine Erfahrungen zu vermitteln. Manchmal werden Fremdheit und Ausgesetztheit zwischen den Zeilen geradezu Angst erregend greifbar. Beispielsweise auf dem Markt in Mali meint man Ur-Formen oder Ur-Szenen der Menschheit und des Menschseins mitzuerleben, wie sie uns längst abhanden gekommen sind; ein Umstand, den Nooteboom zutiefst betrauert, wie er denn überhaupt viele unwiederbringlich verlorene Dinge und Zustände hegen möchte – ein Sammler, ein Bewahrer von hohen Graden und aus guten Gründen. Und hier erfasst den Mann, der ständig unterwegs ist, so etwas wie Heimweh nach der verflossenen Zeit.

Nootebooms Vorlieben sind ansteckend. Dass er unter allen Malern gerade Jan Vermeer und Edward Hopper mit unverbrüchlicher Zuneigung bespricht, zeugt von erlesenem Kunstverstand. Seine literarischen Exkursionen stimulieren die Leselust, etwa auf Bücher des bei uns weithin unbekannten Niederländers Slauerhoff, oder auf die Werke des berühmten Jörge Luis Borges, dessen labyrinthische Gänge durch Bibliotheken und Lektüren in Nootebooms Denken häufig wiederkehren.

Die Welt ist, wie sie nun einmal ist

Während sich die Texte der 60er und 70er Jahre noch vielfach engagiert mit politischen Verhältnissen befassen, freilich auch schon hinter den Schleier gängiger Ideologien blicken (Stichworte: Elend und Befreiung der „Dritten Welt“, Castro, Che Guevara), gelangt Nooteboom mit den Jahren zu einer abgeklärteren Haltung: Die Welt ist, wie sie ist, und so muss man sie zunächst einmal nehmen.

Ist es Resignation oder höhere Weisheit? Dreimal darf man raten. Eine bessere Einführung in Nootebooms Sinnen und Trachten als dieses Buch dürfte es jedenfalls schwerlich geben.

• Cees Nooteboom: „Nootebooms Hotel“. Suhrkamp-Verlag. 520 Seiten, 49,80 DM.

Nooteboom liest heute, 2. November 2000, beim Dortmunder Literaturfestival „LesArt“ aus dem besprochenen Buch: Im Theater Fletch Bizzel (Humboldtstraße) kommen ab 18 Uhr die Autoren Barbara Köhler und Andreas Maier zu Wort, um 20 Uhr beginnt Nooteboom. Karten: WR-Ticketshop 0231/9573-1369.




Fundstücke von den Wegesrändern der Welt – Die visuellen „Reise-Notizen“ des Ulrich Gehret in Dortmund

Von Bernd Berke

Dortmund. Dieses Künstlerleben schmeckt nach Freiheit und Abenteuer: Ulrich Gehret (54) war Schwammtaucher in Griechenland, er bereiste intensiv halb Südamerika, unternahm eine strapaziöse Motocross-Tour vom Pazifik zum Atlantik, durchstreifte entlegene Gebiete Indonesiens und Australiens. Hauptsache: Weit weg sein von den allseits geregelten Konsumwelten Mitteleuropas!

Gehret konstruierte gar ein Spezial-Surfbrett, um sich vor der argentinischen Küste als Wellenreiter den Walen nähern zu können. Er hatte sich nun mal in den Kopf gesetzt, die Haut der Riesentiere eigenhändig zu streicheln. Es gelang ihm. Seither weiß er, anders als wir alle, wie das ist.

Aus derlei schweifendem Erfahrungshunger und Späher-Geist müßte doch eine äußerst sinnliche Kunst entstehen, denkt man sogleich. Die Probe auf rund 120 Exempel kann man jetzt im Dortmunder Ostwall-Museum machen.

Schlangenhaut und Schuppenpanzer

Die in Kooperation mit der Bochumer „galerie m“ präsentierte Werkschau vereint „visuelle Notizen“, die Gehret auf Reisen gesammelt hat. Allerhand Fundstücke von den Wegesrändern dieser Welt prägen seine Bildcollagen. Hier glitzert eine Schlangenhaut, dort wölbt sich gar der Panzer eines Gürteltieres. Auch sieht man Metallteile, Pflanzenstücke, Fischgräten oder diverse Papiere, so auch (ferngerückte Erinnerung ans frühere Dasein) eine vergilbte Kopie des 1969 erworbenen Führerscheins. Das alles ließe sich beliebig zusammenkleistern, doch unter Gehrets Händen fügen sich die Funde zu außerordentlich formsicher gestalteten Kunstwerken, die die Sinne unmittelbar ansprechen.

Die Qualität der Materialien ruft widerstreitende Emotionen hervor: schwere Eisenrahmen, weiche Paraffin-Schichten, übermalte Papierfetzen. Zumal der Tastsinn wird gereizt. Unwillkürlich möchte man die Materialbilder berühren, ihre schrundig aufgeschichteten Oberflächen spüren. Ein Impuls, dem man nicht nachgeben sollte, denn etliche Arbeiten tragen ohnehin Verwandlungs-Spuren der Zeit, sie scheinen würdevoll zu verwesen.

Mysterium des täglichen Erlebens

Die Schubladen der Kunstgeschichte müssen geschlossen bleiben. Wenn überhaupt, so ergeben sich mitunter Anklänge ans Informel, aber was besagt das schon? Auch mit markanten, womöglich die Phantasie befeuernden Bildertiteln kommt einem dieser Künstler, der sich um den Markt nicht scheren mag, kaum zur Hilfe. Man sieht sich aufs eigene Erleben verwiesen.

Obwohl aus mehreren Jahrzehnten stammend, bilden all diese Arbeiten doch einen Kosmos. Das Spektrum grauer und bräunlicher Erdfarben wird in alle Richtungen durchmessen, die rissige und brüchige, machmal wächserne, dann wieder kreidige Bilderhaut gemahnt an Formationen der Gesteinsgeschichte, sie ist gleichsam mit Fossilien-Abdrücken durchsetzt.

So wirkt diese Kunst denn auch seltsam urtümlich, zeitenthoben und beinahe anonym. Dabei ist sie doch unmittelbar aus Dingen des täglichen (Reise)-Lebens entstanden. So erhebt die Kunst das Tageserlebnis zum unerschöpflichen Mysterium.

Museum am Ostwall, Dortmund. Bis 24. Januar 1999. Di-So 10-17. Mi 10-20 Uhr. Eintritt 6 DM, kein Katalog.

 




Spröder Charme und Lockung des Geldes – Impressionen aus Europas Kulturhauptstadt Stockholm

Aus Stockholm berichtet
Bernd Berke

Man stelle sich vor: Ein Theater, das auf seinen sieben Bühnen bis zu 1400 Aufführungen im Jahr abliefert und von morgens 10 Uhr bis zum späten Abend in Betrieb ist. In dem Gebäude herrscht schon tagsüber ein Kommen und Gehen wie in einer deutschen Großstadt-Fußgängerzone am Samstag. So etwas gibt s vielleicht nur in Stockholm, der neuen „Kulturhauptstadt Europas“.

Stockholms „Stadsteater“, einst mit sozialistischer Zielsetzung städtisch gegründet und künstlerisch meist im Schatten des königlichen „Dramaten“, befindet sich im riesigen Glas- und Beton-Kasten „Kulturhuset“ am „Sergels Torg“ inmitten der Stadt.

Melancholie am Saum des Kontinents

Nein, schön ist dieses Zentrum der schwedischen Hauptstadt nicht. Man erschrickt über Architektursünden sonder Zahl. Eine Internationale Bauausstellung, die einige Scheußlichkeiten hatte mildern können, wäre im Kulturjahr keine üble Sache gewesen. Immerhin gibt’s eine Fachkonferenz zum Thema.

Es lastet zu dieser Jahreszeit immer noch eine fast durchgehende Dämmerung auf der Stadt. Derlei Düsternis hat wohl schon manchen Winter-Touristen mit sanfter Melancholie erfüllt. Die Schweden trösten sich mit der Vorfreude auf helle Mittsommerwochen.

Besucher der Euro-Kulturhauptstadt, die mit rund 1200 Veranstaltungen lockt, tun jedenfalls gut daran, sich vor allem die Altstadt rings ums königliche Schloß anzusehen. Hier spürt man den (spröden) Charme dieser Kapitale. In besagtem Schloß verrichtet König Carl XVI. Gustav nur noch seine Amtsgeschäfte, ansonsten residieren er und seine Gattin Silvia draußen vor den Toren der Stadt – im idyllischen Schloß Drottningsholm.

Bestens erhaltenes Barocktheater

Auf dem gleichen Areal erhebt sich auch das 1764-66 erbaute, wohl besterhaltene Barocktheater der Welt mit einer fabelhaften Illusionsbühne und funktionierender Maschinerie. Hier gibt es im Sommer Ballett und Musiktheater vor historischer Kulisse, in diesem Jahr z. B. Opern von Gluck. Für König und Königin sind zwei Zuschauersessel in der ersten Reihe reserviert.

Peter Wahlqvist, Intendant des Stadsteater, hofft mit allen Veranstaltern der „Kulturhauptstadt“, daß Schweden nun ein wenig aus seiner kulturellen Randlage in Europa herausfindet. Umgerechnet rund 120 Mio. Mark stehen zur Verfügung, mit rund 60 Ländern in aller Welt kooperiert man. Bereits der famose Auftakt war außereuropäisch: Ein japanisches Feuerwerk zauberte tausend Farben an den Himmel über Stockholm.

Robert Wilson, Peter Brook und Pina Bausch gastieren

Mit gutem Geld lassen sich Berühmtheiten des Welttheaters in die von Ostsee-Schären umsäumte Millionenstadt holen. Beispielsweise Robert Wilson, Robert Lepage, Peter Brook und – erstmals seit über 16 Jahren in Schweden – Wuppertals Tanztheaterchefin Pina Bausch. Wilson inszeniert August Strindbergs „Ein Traumspiel“, Lepage führt im Stockholmer E-Werk bei Fernando de Rojas „Celestina“ Regie, Brook zeigt Mozarts „Zauberflöte“, Pina Bausch unter anderem „Café Müller“.

Die bekanntesten Kulturschaffenden Schwedens steuern gleichfalls Neues bei: Film- und Theaterregisseur Ingmar Bergman sorgt für die Uraufführung von Per Olov Enquists Stück „Bildermacher“, der Dramatiker Lars Noren hat sein Drama „Personenkreis 3:1″ für die Bühne eingerichtet (zu neuesten Querelen zwisehen Noren und Bergman siehe Meldung auf dieser Seite).

Ein 69 Meter langer Mythos der Seefahrt

Das meistbesuchte Museum der Stadt heißt „Vasa Museet“. Hier kann man das erst 1961 geborgene, 69 Meter lange Kriegsschiff „Vasa“ fast im Originalzustand bestaunen. König Gustav II Adolf hatte es anno 1625 in Auftrag gegeben. Der Größenwahn des Monarchen, nachträglich eine weitere Kanonen-Etage obenauf setzen zu lassen, brachte die Dimensionen des Schiffs völlig aus der Balance. Schon bei der Jungfernfahrt im Jahre 1628 vor Tausenden von Zuschauern, kenterte und sank der „stolze“ Dreimaster – in Schweden ein Mythos von „Titanic“-Ausmaßen. Just vor diesem Schiff sollen im Rahmen des Kulturjahres die Berliner Philharmoniker spielen. Das werden erhabene Momente sein.

Programme der Euro-Kulturhauptstadt sind (in englischer Sprache) erhältlich über: Box 16398, SE-10327 Stockholm, Schweden (Tel.: 0046 8-698 1998).




Der Zauberer zeigt, was hinter den Dingen leuchtet – Zeichnungen und Aquarelle von Paul Klee in Hamm

Von Bernd Berke

Hamm. Einige wenige Künstler sind über Zweifel ziemlich erhaben. Pablo Picasso zählt dazu – und gewiß auch Paul Klee. Wollte sich einer erdreisten, Klee herabzustufen, so würde sich dieser Jemand selbst disqualifizieren. Umso erstaunlicher, daß von solch einem Künstler wesentliche Werkteile noch nicht zusammenhängend gezeigt worden sind. Unglaublich gar, daß man noch viele verschollene Bilder aufspüren kann.

Die jetzt in Hamm eröffnete Ausstellung „Paul Klee – Reisen in den Süden“ birgt stille Sensationen. Denn die Klee-Expertin Frau Dr. Uta Gerlach, die 107 Aquarelle und Zeichnungen zusammengetragen hat, konnte 13 Arbeiten auftreiben, von denen man geglaubt hatte, sie seien auf Nimmerwiedersehen verschwunden. Weitere 26 Werke werden entweder erstmals oder (nach Jahrzehnten im Depot) erneut öffentlich gezeigt.

Paul Klee (1879-1940),. hat sein Oeuvre selbst akribisch dokumentiert. Ab 1911 hat er rund 10 000 Blätter und Leinwände numeriert und ins Werkverzeichnis aufgenommen. Er war offensichtlich kein Jäger-Charakter unter den Menschen, sondern ein Sammler, der wohl auch an die Nachwelt dachte. Jedenfalls erleichtern seine Listen heute die korrekte Zuschreibung.

Südliche Reisen in das andere Licht

Reisen in den Süden also, Reisen ins Licht. Hier waren Farbklänge zu entdecken, die der Norden einfach nicht hergab – zu schweigen vom meteorologischen und menschlichen Klima, das die bereitwilligen Sinne anregt und öffnet.

Die Italienfahrt von anno 1901 hat man, des geringen künstlerischen Ertrages wegen, ausgeblendet 1914 fuhr Klee mit August Macke und Louis Moilliet nach Tunesien. Über diese legendäre Trio-Tour war 1982 im Landesmuseum Münster eine große Ausstellung zu sehen, an die in Hamm einige Stücke erinnern. Weitere Stationen sind Sizilien (1924), Italien und Elba (1926), Südfrankreich und Korsika (1927).

Der Schwerpunkt aber liegt, der ägyptologischen Sammlung des Gustav-Lübcke-Museums gemäß, auf Klees Streifzügen durch das Land am Nil (1928/29). Einige Motive, die Klee dort vorgefunden hat, kann man hier sogleich in archäologischen Originalen bewundern.

Klee, Meister der Abstraktion, hat sich innig an der Natur geschult. Hellwache Wahrnehmung landschaftlicher Realität beweisen zahlreiche Skizzen von Felsformationen oder Küstenlinien, die fast als Vorläge für Landkarten dienen könnten. Klee nahm sie ins Werkverzeichnis auf. Es sind tatsächlich keine bloßen Abbilder der Wirklichkeit, sondern bereits künstlerisch inspirierte Vergewisserungen.

Wo alles Farbe und Bewegung wird

Hochinteressant ist es nun zu sehen, wie solche Landschaften oder auch Häuser zu gültigen Chiffren umgestaltet werden. Es ist, als habe Klee einen magischen Blick, der die Dinge in eine andere, wahrhaftigere Welt überführt, in der alles Farbe und strömende Bewegung wird.

Vielfältig sind die Ausdrucksformen: Von einer solchen Feinheit der Strichführung zeugen manche Blätter, daß man denkt, Klee habe etwa die diesigen Luftschichten, gleichsam den Schleier vor den Dingen, mitgezeichnet. Andere Arbeiten, wie etwa die „Scene vor einer arabischen Stadt“ oder „Predigt für Wüstentiere“, sind kleine Grotesken feinsinnigen Humors. Die „Ruinen von Git“ werden pointillistisch dargestellt und wirken wie ein antikes Mosaik. „Blick in das Fruchtland“, eines der subtilen Farbstreifen-Bilder Klees, weckt die Ur-Idee gedeihlichen Wachstums auf der guten Mutter Erde.

Klee schuf eigene Hieroglyphen, überließ sich dem Rätsel der Sphinx und zitierte geisterhaft die Pyramidenform herbei. Doch nie wird der Blick dieses Seelen-Zauberers touristisch. Immer zeigt er unendlich viel mehr, als man mit bloßem Auge sehen kann.

Paul Klee – „Reisen in den Süden“. Gustav-Lübcke-Museum, Hamm, Neue Bahnhofstraße 9. Bis 13. April, täglich (außer montags) 10-18 Uhr, mittwochs bis 20 Uhr. Eintritt 12 DM. Katalog 52 DM.




Wo Deutschland am schönsten war – Reise-Impressionen von William Turner in Mannheim

Von Bernd Berke

Mannheim. „Deutschland ist schön.“ So tönte es uns sonor aus einer bayerischen Bierwerbung entgegen. Im 19. Jahrhundert, als die germanischen Gegenden wohl noch viel schöner gewesen sind, muß der berühmte englische Maler William Turner ähnlich gedacht haben.

Ob der des Deutschen kaum kundige Künstler vor den Landschaften zwischen Rhein, Donau und Elbe „marvellous !“ oder „wunderbar !“ ausgerufen hat, wissen wir nicht. Wir wissen aber, daß er in der nachnapoleonischen Zeit zwischen 1817 und 1844 gleich sieben Deutschland-Reisen unternommen und dabei Hunderte von Bildern angefertigt hat. Rund 150 Beispiele, vorwiegend Zeichnungen und Aquarelle, zeigt jetzt die Mannheimer Kunsthalle. Die Ausstellung (Versicherungswert: rund 80 Millionen DM) lohnt auch weitere Wege.

Im Verbund mit dem vorzüglichen Katalog vermittelt die Schau nicht nur ein bedeutendes Stück Kunsthistorie, sondern auch eine Geschichte des Reisens. Besonders Turners erste Touren ins kleinstaatlich zersplitterte „Deutschland“ (das es damals ja noch gar nicht als einheitliches Gebilde gab) müssen beschwerlich gewesen sein: Erst 1827 fuhren Dampfschiffe auf dem Rhein.

Strapaziöse Zeiten für einen Touristen

Zuvor ruderte man, setzte Segel, oder die Boote wurden vom Ufer aus mühsam mit Pferdekraft gezogen. Die Rheinlandschaften (ab Köln südwärts) waren alsbald Turners Lieblingsrevier, später kamen vor allem die Gestade von Mosel und Neckar hinzu. Zumal die grandiose Schloßkulisse Heidelbergs hatte es dem Engländer angetan. Vergleichbar häufig hat er nur noch die imposante Festung Ehrenbreitstein bei Koblenz skizziert. Auch Hamburg, Berlin, München, Nürnberg und Dresden hat sich Turner angesehen. Eigentlich hat er nur um Westfalen und Niedersachsen einen weiten Bogen gemacht.

Turner war sozusagen als Rucksacktourist mit leichtem Gepäck unterwegs, vielfach stramm zu Fuß. Also konnte er keine großen Ölbilder auf sperriger Staffelei malen, sondern füllte Skizzenbücher und aquarellierte. Aber wie! Was vielen der damaligen Kritiker „verschwommen“ vorkam, erwies sich später als genialer Vorgriff auf impressionistische Luftigkeit. Waren die frühen Bilder noch deutlich vom romantischen Zeitgeist geprägt, so befreite sich Turner Zug um Zug von solcher Beschränkung. Nun entstanden veritable Farbwunder wie etwa bei der besagten Festung Ehrenbreitstein, die im wechselnden Tageslicht gleißt und zauberisch illuminiert wird.

Goldener Frieden und Überfluß

Nach den am Ort hingehauchten Skizzen und Vorarbeiten (im Nachlaß fanden sich etwa 5000 Blätter mit deutschen Motiven) entstanden daheim in England zahlreiche Stiche und Ölbilder, von denen Mannheim ein grandioses Beispiel präsentiert: „Heidelberg“ (Öl auf Leinwand, 1844/45) ist die rückwärtsgewandte Utopie einer rauschenden Festlichkeit vor rekonstruiertem historischen Hintergrund. Ein Bild, aus dem goldener Frieden und Überfluß geradezu quellen. Ach, wenn es doch in Deutschland seither immer so gewesen wäre!

William Turner in Deutschland. Kunsthalle Mannheim (Anreise per Bahn ratsam, Fahrzeit ab Dortmund ca. 3 Stunden 45 Minuten). Ausstellung bis 14. Januar 1996 (anschließend Kunsthalle Hamburg). Geöffnet di/mi 10-17, do bis so 10-18 Uhr, montags geschlossen. Eintritt 12 DM, Katalog 49 DM.

 




Reichstag inklusive: Mit dem Sonderzug zu Christo / Per Bahn vom Revier nach Berlin und zurück – eine Expedition in 19 Stunden

Der verhüllte Reichstag 1995. (Foto: Bernd Berke)

Der verhüllte Reichstag 1995. (Foto: Bernd Berke)

Von Bernd Berke

Dortmund/Berlin. „Tschuldigen Sie, ist das der Sonderzug zu Christo?“ Frei nach Udo Lindenberg hätte man’s trällern können. Denn die Bahn schuf am Wochenende zusätzliche Kapazitäten zwischen Ruhrgebiet und Reichstag. Auf zur Verhüllung also, ab Dortmund in aller Frühe – am Samstag um 5.58 Uhr.

Zu Beginn der Fahrt sehen die meisten Leute noch ein bißchen unausgeschlafen aus. Aber zur Frühstückszeit – etwa kurz hinter Bielefeld – gibt sich das, und es macht sich eine leicht aufgekratzte, aber doch wohlgesittete Stimmung breit. Schließlich ist man unter Kunstfreunden.

Das schließt kleine Boshaftigkeiten nicht aus: Ein launig-ironisch aufgelegtes Trüppchen im Großraumabteil zerpflückt genüßlich einen pompösen Feuilleton-Artikel. Sie zeigen weltläufige Kennermiene, reden von gehabten Kunsterlebnissen in New York oder anderswo und haben sich schon am Bahnsteig dementsprechend begrüßt. Doch es sitzen auch „ganz normale“ Menschen, die sonst nur selten der Kunst nachreisen, im Zug.

Alle haben ein gemeinsames Ziel

Das Schöne an einem Sonderzug ist, daß alle einem gemeinsamen Ziel zustreben. In diesem Fall haben alle Christo im Sinn. Man kommt also leicht ins Gespräch. Und da zeigt sich, daß Christos Sogkraft über die Maßen geht: Ein Künstler aus Velbert, der – kaum zu glauben – noch nie in Berlin gewesen ist, läßt sich durch die Verhüllungsaktion erstmals in die Hauptstadt locken.

Auch der städtische Beamte aus Gelsenkirchen war noch nie an der Spree. Jetzt zieht’s ihn hin. Nicht mal so sehr wegen der Kunst, sondern wegen des Spektakels an sich. Schließlich hat der Schalke-Fan vor zwei Wochen Borussias rauschende Meisterfeier in Dortmund miterlebt. Jetzt hofft er auf ein ähnliches Massenfieber in Berlin, wo sich am Wochenende wieder rund eine Million Menschen ums Reichstagsgebäude geschart haben. Und die Theater-Angestellte aus Dortmund ist zwar erst vor wenigen Tagen dort gewesen, jedoch: „Ich war so begeistert, daß ich gleich nochmal hin muß.“

...und noch eine Impression vom großen Ereignis. (Foto: Bernd Berke)

…und noch eine Impression vom großen Ereignis. (Foto: Bernd Berke)

Wie auf einer Pilgerreise

Allseits erwartungsfrohe Gesichter, als der Zug gegen Mittag in Berlin eintrifft. Es hat was von einer Pilgerreise. Und als die Wallfahrer aus dem Revier sich nachher im vielsprachigen Menschenstrom am Platz der Republik verlieren, als endlich der verhüllte Reichstag ebenso machtvoll wie feingliedrig am Horizont auftaucht, so ist es beinahe wie eine Erscheinung. Jeder will gleich mal den Verhüllungs-Stoff mit eigenen Händen greifen, alle reihen sich brav in die lange Schlange ein, an deren Ende es kleine Probestückchen des Textils gibt. Auch das ähnelt einer Liturgie.

Nur ist es keine gravitätische, sondern eine fröhlich-friedliche Kunst-„Religion“, der hier i gehuldigt wird. Überall treiben Kleinkünstler und Gaukler ihr buntes Wesen. Man kann sich (gegen Entgelt) in Goldfolie einwickeln lassen und oder eine Stehleiter auf der Wiese mieten, damit man beim Fotografieren über die Köpfe hinweg den „Reichstag pur“ aufs Bild bekommt.

Auf dem Grün rundum lagern viele Tausende, als sei’s das legendäre Rockfestival von Woodstock. So gewaltig der Auftrieb auch ist, man sieht keine aggressive oder auch nur mürrische Miene. Kein Zweifel: Christo hat mit seiner physisch vergänglichen, aber unvergeßlichen Aktion ein Stück Utopie heraufbeschworen. Und selbst wenn es keine Kunst wäre, so wäre es doch schönstes Leben.

Besser läßt sich ein Tag kaum nutzen

Wirklich jammerschade, daß der Sonderzug am Abend schon wieder zurück ins Ruhrgebiet fahren muß. Man hätte die gleißende Hülle so gern auch noch im Licht der untergehenden Sonne gesehen. Viele haben sich tagsüber mit Christo-Devotionalien eingedeckt – vom Katalog bis zum T-Shirt („Reichstag – ich war dabei“), vom Poster bis zur Telefonkarte.

Auspacken, herzeigen, schwärmen, Preise vergleichen. Aber das Gewimmel hört bald wie von selbst auf, weil die Leute vor sich hin dösen wollen. Ankunft 1.15 Uhr nachts in Dortmund. Wir waren über 19 Stunden unterwegs. Es herrscht wohlige, zufriedene Erschöpfung. Besser läßt sich ein Tag kaum nutzen.

 




Auf der Suche nach dem Gleichgewicht – Cees Nootebooms „Der Buddha hinter dem Bretterzaun“

Von Bernd Berke

Cees Nooteboom muß man, spätestens seit der letzten Buchmesse, als er mitsamt der niederiändisch-flämischen Literatur im Mittelpunkt stand, kaum noch vorstellen. Er gilt als Kandidat für den Literaturnobelpreis, sein Buch „Rituale“ steht seit Monaten auf der Bestsellerliste. Jetzt liegt eine neue Erzählung von ihm vor.

In „Der Buddha hinter dem Bretterzaun“ beweist er seine Meisterschaft an einem Thema, das man nicht mehr für prosatauglich gehalten hätte. Denn über Thailands Hauptstadt Bangkok, so meinte man, ist doch in mehr oder minder seriösen Reportagen schon alles gesagt worden.

Nooteboom läßt einen Reisenden durch die Metropole streifen und gleich der im Titel erwähnten Figur begegnen. Hinter jenem Bretterzaun belebt sich „ein dicker Woolworth-Buddha, zwanzigstes Jahrhundert…“ Der öffnet dem Reisenden die Augen: Nicht sofort alles aufschreiben (und damit abhaken), sondern den Fluß des Geschehens erleben, heißt die Devise.

In der chaotischen Stadt prallt scheinbar Unvereinbares aufeinander: z. B. traditionell gelebter Buddhismus und Sex-Industrie. „Versöhn‘ die Bilder“, lautet eine ins Paradoxe zielende Aufforderung des Zaun-Buddhas. Auf der Suche nach Gleichgewicht (nicht nach satter Zufriedenheit) zwischen den Widersprüchen befindet der Reisende: „Die Welt ist eine bittere Waage.“ Und er weist vorschnelle Moral-Urteile von sich: „Vergiß doch mal, daß du aus Europa bist. Hier sind die Huren Engel…“

Hier also geht vielleicht zusammen, was in Europa nicht ginge. Nur muß man anders reisen, anders wahrnehmen lernen. Nootebooms Reisender versucht es und merkt: Hier läßt sich sogar die Vielfalt vorhandener Waren, anders als im Westen, als Kultur erfahren. Hier gibt es ein Behagen in der Menge. Und es gibt das Glück einfachen Tuns. Die Fülle der Eindrücke übersteigt das Vermögen der Sprache. Zitat: „Einen Ozean kann man nicht aufschreiben.“

Der Mensch, so heißt es an einer Stelle, werde im Buddhismus nur als „Durchgangsstation“ für ein überpersönliches „Karma“ begriffen, auch kenne das Thailändische kein Wort für „Ich“. Und so wird auch der Reisende zum Strom, der alles in sich einfließen läßt: Götter und Gold, fremdartige Worte, Zeremonien, Sitten.

Ein schmales, aber „großes“ Buch: über das Reisen, das Fremdsein und die Wege der wirklichen Erfahrung.

Cees Nooteboom:, Der Buddha hinter dem Bretterzaun“. Erzählung. Suhrkamp-Verlag, Frankfurt/Main. 85 S., 19,80 DM.