Dortmund in den 20er Jahren: Groß- und Weltstadtträume in der westfälischen Provinz

Dortmund in den 1920er Jahren – war da was? Da wird doch wohl nicht viel „Betrieb“ gewesen sein, oder?

Nun. Wie man’s nimmt. Es war gewiss kein Vergleich mit Berlin. Auch war es kein goldenes, aber doch ein vielfach hoffnungsvolles Jahrzehnt in Westfalens größter, seinerzeit (bis zur Weltwirtschaftskrise 1929) deutlich aufstrebender Stadt. Für den Sammelband „Die 1920er Jahre. Dortmund zwischen Moderne und Krise“ haben 23 Autor(inn)en jeweils in kurzen Aufsätzen einige Grundlinien der damaligen Entwicklung skizziert, die sich nach und nach zum facettenreichen Bild fügen. Hierauf könnten künftige Standardwerke aufbauen.

Das thematische Spektrum reicht von Bergbau und Brauereien über Begleitumstände der Motorisierung und den früheren Flughafen – bis hin zur lokalen Politik, zum Theater, der blühenden Kinolandschaft (angesichts der heutigen Dürftigkeit muss man da unwillkürlich seufzen) und den offenbar beachtlichen Vergnügungslokalen. Jawohl. Es hat da ein paar imponierende Etablissements gegeben, die national wohl allenfalls hinter Berlin oder Hamburg zurückstanden. Mehr noch: Die 1925 eröffnete, „alte“ Westfalenhalle (1952 völlig veränderter Neubau nach Kriegszerstörung) mit ihren Sechstagerennen, Boxereignissen oder Max Reinhardts gigantischen Mysterienspielen („Das Mirakel“) weckte bei manchen Menschen gar Weltstadt-Illusionen. Doch schon damals hat man sich des Bahnhofs geschämt, der nicht ins lokalpatriotische Wunschbild passen wollte. Es gibt Dinge von unheimlicher Dauer.

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Immerhin erschien in Dortmund der tief bis ins Rheinland ausstrahlende, erzdemokratische „Generalanzeiger“ (GA), die auflagenstärkste deutsche Tageszeitung außerhalb Berlins. Nebenbei geflüstert: Es macht einen geradezu ein klein wenig stolz, zu Beginn des Berufslebens noch in einstigen GA-Gebäuden an der Bremer Straße gearbeitet zu haben. Jetzt aber Schluss mit Rührseligkeit! Zumal Dortmund heute – so betrüblich man das finden mag – leider keine Pressestadt von exzellentem Rang mehr ist.

Das literarische und künstlerische Leben der 20er Jahre wird auf lokaler Ebene zwar abgehandelt, es hat jedoch bei weitem nicht die Dimensionen und Wirkkräfte des populären Amüsements erreicht. Auch hierbei kann man in der Stadt missliche Nachwirkungen bis in die heutige Zeit spüren.

Auch im Dortmund der 1920er kann man von einer Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen sprechen: proletarische Lebensformen, natürlich; provinzielle Enge und dörfliche Lebensweise in den Vororten; als Gegenkraft der feste bürgerliche Wille, endlich urban zu werden in einem entschieden modernen Sinne, wobei freilich die technisch-industriellen Aspekte der Moderne überwogen. Die Ideen der Futuristen und deren bedingungslose Maschinen-Begeisterung gaben den Takt vor. Da ließ man auch jede Rücksicht auf die Reste der mittelalterlichen Stadt fahren. „Vorwärts, vorwärts“ hieß die hämmernde Devise.

Alles, was irgend nach Großstadt roch, sollte gesteigert werden. In der Folge sind eine ganze Reihe von Gebäuden, die teilweise noch heute das Stadtbild mit nüchtern-neusachlichem Gestus prägen, in jenen Jahren entstanden. Zu nennen sind vor allem der mächtige Turm der Dortmunder Union-Brauerei (heute „Dortmunder U“) sowie der Dreiklang aus Westfalenhalle (1925), Kampfbahn Rote Erde (1926) und Volksbad (1927).

Übrigens gilt es gerade jetzt, ein weiteres wuchtiges Baudenkmal der 20er zu retten, nämlich die kühn geschwungene, bisherige AOK-Zentrale am Königswall. Deren ursprüngliche, zwischenzeitlich mit Platten verblendete Fassade muss nach dem kürzlich erfolgten Auszug der Krankenkasse unbedingt wieder ans Licht geholt werden. Alles andere wäre Frevel.

„Die 1920er Jahre. Dortmund zwischen Moderne und Krise“. Sonderausgabe der Zeitschrift „Heimat Dortmund“ (Doppelheft 1+2/2012). Hrsg.: Günther Högl (ehem. Stadtarchiv-Leiter) und Karl-Peter-Ellerbrock (Direktor Westfälisches Wirtschaftsarchiv). Klartext Verlag, Essen. 160 Seiten. 10 Euro.




Ein seltenes 24-Stunden-Freiluft-Museum mit alten Metall-Maschinen

Niemand zweifelt an der Bedeutung des Ruhrgebiets für die deutsche Industriegeschichte. Früher bezeichnete man das Revier übrigens in offiziellen Quellen als „rheinisch-westfälisches Industriegebiet“. Aber der Ursprung dieser Industrie liegt etwas weiter südlich, in den idyllischen Tälern des Sauerlandes, an den Nebenflüssen von Ennepe und Lenne, Volme und Ruhr. Hier begann die systematische Entwicklung der Erz-Verhüttung und der Kleineisenindustrie, angetrieben von der reichlich vorhandenen Wasserkraft.

PRAKTICA

Blick in die Museumshalle.
(Foto: lwl)

Manche Städte dort haben zur Erinnerung an diese Geschichte Teile alter Maschinen im öffentlichen Raum ausgestellt, Schwungräder zum Beispiel, doch nirgends wurde das so konsequent gemacht wie in Ennepetal. Dort haben Privatleute vor knapp drei Jahrzehnten die Initiative für ein „Straßen-Industrie-Museum“ ergriffen. Inzwischen findet man an 27 Stellen im Stadtgebiet alte Maschinen aus der Metallverarbeitung in der Region auf Betonsockeln, davor eine in Metall gegossene Schrifttafel mit Erläuterungen über die Funktion des Teils und seiner Herkunft, also den Hersteller und das „Fabriksken“, in der das Maschinchen seine Arbeit machte.

So findet man die „Doppelarmige Exzenterpresse“ vor der Sparkasse oder die „Langhobelmaschine“ vor dem Berufskolleg, die „Stabstahl-Schere“ steht an der Sonnen-Apotheke, ein „Luftdruckhammer“ auf dem Marktplatz und der „Fallhammer mit Schmiedeofen“ vor der Hauptschule Friedenshöhe. Für dieses 24-Stunden-Museum gibt es ein Orientierungsheft mit dem Plan für einen „Spaziergang durch 400 Jahre Eisengeschichte“. Und nicht nur das Museum selbst geht auf Privatinitiative zurück: Auch die Pflege der Objekte haben „Paten“ übernommen – Schulen und Vereine, aber auch Handwerksbetriebe aus dem Stadtgebiet. Ergänzt wird das Straßenmuseum seit ein paar Jahren durch das „Industrie-Museum Ennepetal“, das ebenfalls von einer privaten Stiftung in den Räumen einer denkmalgeschützten ehemaligen Eisengießerei aufgebaut wird und das von April bis November jeweils am ersten Sonntag eines Monats bei freiem Eintritt öffentlich zugänglich ist.

Weitere Informationen:

http://www.ennepetal.de/Strassenindustriemuseum.485.0.html

http://www.industrie-museum-ennepetal.de




Wie man mit einer Unterschrift die Armut verringern könnte

In regelmäßigen Abständen laufen Nachrichten über den Bildschirm über die zunehmende Armut in unserer Gesellschaft. Dazu gehört meist der Hinweis auf die entsprechende Definition von Armut: Wer weniger als 60 Prozent des Durchschnittseinkommens zur Verfügung habe, der gelte als arm. Wie absurd diese relative Festlegung ist, soll hier einmal am Beispiel der Stadt Ennepetal im Süden des Reviers, fast schon im Sauerland, dargestellt werden.

Rathaus

Rathaus der Stadt Ennepetal.

Das Städtchen hat gut 30.000 Einwohner mit, zum Beispiel, einem Durchschnittseinkommen von 15.000 Euro. Von den 30.000 Einwohnern haben nun 3.000 Einwohner weniger als 9.000 Euro zur Verfügung und wären nach obiger Definition als arm zu bezeichnen. Nun lebt aber in der Stadt auch ein millionenschwerer Unternehmer, der auf die Idee kommen könnte, seinen Wohnsitz ganz auf die geliebte Insel Sylt zu verlegen. Mit seiner Unterschrift im Einwohnermeldeamt des Rathauses sänke das Durchschnittseinkommen von einer Sekunde zur anderen um ungefähr 800 Euro. Die Armutsgrenze begänne nun nicht erst bei 9.000, sondern schon bei 8.520 Euro. Der gute Mann hätte also mit seinem Federstrich alle Menschen aus der Armut gerettet, die zwischen 8.250 und 9.000 Euro für ihr Leben zur Verfügung haben. Er wäre sozusagen ein Wohltäter, ohne etwas dafür zu bezahlen.

In der Weihnachts-„Zeit“ wird eine andere und meines Erachtens sinnvollere Statistik veröffentlicht: Wir, die Gesellschaft, versprechen in Deutschland allen Bürgern ein Mindesteinkommen, sei es als Grundsicherung, Asylhilfe oder Arbeitslosengeld II (Hartz 4). Die Zahl der Mitbürger, die auf diese Hilfen angewiesen sind, sank in den letzten fünf Jahren von etwa 8,15 Millionen auf 7,26 Millionen, also um ungefähr 10,9 Prozent. In absoluten Zahlen ist die Armut also gesunken. Natürlich muss man immer darüber reden, ob die Grundsicherung hoch genug ist, aber man sollte es nicht bei der Debatte über angeblich zunehmende relative Armut belassen.




„Aus“ für Opel – eine Katastrophe im Revier

Opel-Werk I in Bochum (Foto: Bernd Berke)

Opel-Werk I in Bochum (Foto: Bernd Berke)

Man sollte diese Bereiche beileibe nicht gegeneinander ausspielen. Doch eine solche Nachricht stellt leider erst einmal alle kulturellen Anstrengungen im Ruhrgebiet in den Schatten: Heute wurde verkündet, dass im Bochumer Opel-Werk ab 2016 keine kompletten Fahrzeuge mehr hergestellt werden sollen, sondern bestenfalls nur noch bestimmte Komponenten. Das dürfte den Verlust von weiteren 3000 Arbeitsplätzen bedeuten.

Zum Vergleich: In den „goldenen“ Zeiten fanden in den drei Bochumer Opel-Produktionsstätten etwa 20.000 Menschen Arbeit, derzeit sind es noch rund 4000. Der vor allem durch Management-Fehler verursachte Niedergang hält also seit vielen Jahren an, doch jetzt geht es vollends auf den Abgrund zu. Im ohnehin krisenhaften, zutiefst verschuldeten Ruhrgebiet ist dies eine Katastrophe.

Produktion im Bochumer Opel-Werk I - Werksbesichtigung im August 2008. (Foto: Bernd Berke)

Produktion im Bochumer Opel-Werk I - Werksbesichtigung im August 2008. (Foto: Bernd Berke)

Das Luftbild der Bochumer Opel-Werke hatte stets symbolische Bedeutung. Es durfte früher in keiner Erfolgsgeschichte des Ruhrgebiets fehlen. Hier war sie, die Zukunft, die sich nach den Zechen- und Stahlwerksschließungen auftun sollte. Und so entstand denn auch das im Oktober 1962 eröffnete Automobilwerk auf dem Gelände einer ehemaligen Zeche. Ab 1963 lief hier das Erfolgsmodell Kadett A vom Band. Die Bedeutung der Fabrik reichte weit über Bochum hinaus. Die Belegschaft kam praktisch aus dem ganzen Revier. Somit steht jetzt auch ein Stück der regionalen Identität auf dem Spiel. Und damit haben wir noch gar nicht von der ortsnahen Zulieferindustrie geredet.

Es wäre eine Illusion zu glauben, dass sich der immense Verlust etwa durch Gründung von avancierten Softwareschmieden oder Unternehmen der Bio- und Umwelttechnologie auch nur annähernd wettmachen ließe. Das sind andere Felder.

In den besseren Tagen wurde bei Opel die Basis erwirtschaftet, die sich irgendwann nicht zuletzt im kulturellen Überbau niederschlagen konnte. Es wäre daher nur recht und billig, wenn jetzt auch wieder Kulturschaffende des Ruhrgebiets – mit ihren speziellen Mitteln – den Opel-Beschäftigten beim Kampf um ihre Arbeitsplätze zur Seite stehen würden.

Unterdessen darf man sehr gespannt sein, ob und wie sie sich bei Borussia Dortmund (Werbepartnerschaft mit Opel) zur neuesten Entwicklung äußern werden…




Sang- und klangloses Ende für Berlins Kunsthaus „Tacheles“

„Die Bank hofft auf einen zweistelligen Millionenbetrag!“ Kernaussage eines Berichtes von Radio Berlin-Brandenburg über die künstlerisch-friedliche Räumung des „Tacheles“ an der Oranienburger Straße in Berlin.

Das gleichnamige Kunsthaus wird bald nicht mehr existieren, die HSH Nordbank, die gern mal über Wertberichtigungen (das sind nichts anderes als Verluste) berichten lässt und Beteiligungen im Finanzbereich auf den Cayman Inseln pflegt, will es dringend versilbern. Und Berlin verliert an einer seiner tollsten Straßen ein gutes Stück aus seinem prallen „Kessel Buntes“.

Es lohnt nicht, sich darüber auszulassen, wie es nach zweiundzwanzigeinhalb Jahren zu diesem finalen Akt kommen konnte, wie gering die Protestwellen gegen den drohenden Verlust ausfielen, der vor geraumer Zeit noch einen Tsunami ausgelöst hätte und ganze Stadtbezirke unter Wutwasser versenkt hätte, wie relativ still Künstler und rund um sie Handelnde das Streitfeld räumten und den „freien (?) Märkten“ überließen, was sie kurz nach der Einverleibung (auch Wende genannt) für sich in Anspruch nahmen.

Allein Martin Reiter, Sprecher der Besetzer (ja, das waren mal Hausbesetzer) rumpelte vor laufenden Kameras von „Kunstraub unter Polizeischutz“ und fand daselbst heraus, dass es folgerichtig heißen müsse: „Tacheles weg, Wowereit weg!“

Demo-Plakat zur Tacheles-Räumung (© Kunsthaus Tacheles)

Demo-Plakat zur Tacheles-Räumung (© Kunsthaus Tacheles)

Wie gesagt, es lohnt nicht, in diese Richtung Tiefenbohrungen anzustellen, leicht erkennbar ist indes, dass Kulturformen keine einflussreichen Wortführer mehr finden, die sich allzu weit abseits vom Mainchic bewegen und deren Duftmarken mehr nach Brecht als nach Precht (mediengewandter Jung-Vordenker der aktuellen Republik) riechen. Seit „Tacheles“ existiert, kannte ich es und hatte stets meinen Heidenspaß daran, in einer langsam Hauptstadtflair annehmenden Oranienburger Straße dieses hinfällig-charmante Haus wiederzusehen, wenn ich Berlin besuchte. Es blieb zwischen Straßenstrich und Feinschmeckermeile konstant und erinnerte verwittert und dennoch jung daran, dass seine Straße, in der es einst als Kaufhaus wirkte, von Krieg und Nachkriegssozialismus ziemlich zerschlissen worden war.

Vom angesagten Hackeschen Markt bis zur Mündung in die Friedrichstraße – dazwischen heute die schwer bewachte neue Synagoge – bildete und bildet die Oranienburger ein herrlich buntes Bild, zu dem das „Tacheles“ stets wie eine Festinstallation gehörte. Und die ist inhaltlich bereits vertrieben und wird als Hardware auch nicht mehr lange bestehen, falls nicht Investoren das Gelände ersteigern, die Vielfältigeres im Schilde führen als pure Gewinnmaximierung (was ich zwar erhoffe aber keinesfalls erwarte). Vielleicht gibt es ja was ganz Neues, Mediamarkt garniert mit H&M und eine Prise Liebeskind (Taschen, nicht Architektur), dazu ein Schuss Bubbletea.

Die Oranienburger wird das auch noch aushalten – sie überstand Übleres als Kapitalsucht. Die nachhaltig kreative Szene Berlins findet wieder neue Quartiere und: „Die Bank hofft auf einen zweistelligen Millionenbetrag!“




Belgische Kohle

Die 9. Manifesta auf den Spuren des Steinkohlebergbaus

Gemäß ihrer traditionell ortsspezifischen Ausrichtung bildet diesmal die vom Steinkohlebergbau geprägte Kultur der belgischen Region Limburg den Ausgangspunkt der zweijährigen Wanderausstellung, die sich im 1924 errichteten Hauptgebäude einer ehemaligen Mine vor pittoresk ruinöser Kulisse verteilt.

Waterschei Mine, Genk, BE. © Manifesta Foundation, Foto Kristof Vrancken

Waterschei Mine, Genk, BE. © Manifesta Foundation, Foto Kristof Vrancken

Dem Beitrag der Kohleindustrie bei der Erzeugung und Zerstörung von Kultur und Natur nähert sich die Ausstellung aus drei Perspektiven. Neben 36 zeitgenössischen Arbeiten aus bildender Kunst, Film und Performance zeichnet die kunsthistorische Sektion die Entwicklung des Kohlebergbaus als Gegenstand der Grafik und Malerei seit der Romantik nach, während die dritte Abteilung die soziokulturelle Entwicklung der Bergarbeiter-Region Limburg dokumentiert.

Der sich hierbei ergebende rhythmische Wechsel von Forschung und Anschauung entzerrt den potentiellen Informations-Overkill, zumal die vier Stockwerke des kathedralenartig dimensionierten Art Deco-Baus den mal kleingedruckten, mal monumentalen Exponaten ihre Hoheitsgebiete zugestehen.

Die Veranschaulichung abstrakter Prozesse von Produktion, Distribution und Zerstörung industrieller Produkte gelingt mittels einer Flotte buchstäblich zwischengelandeter Gebetsteppiche angeworbener Gastarbeiter ebenso wie mit freundlicher Unterstützung einer Ameisen-Kolonie.

Teppiche der ersten türkischen Bergarbeiter in den 50er & 60er Jahren. Foto CL

Teppiche der ersten türkischen Bergarbeiter in den 50er & 60er Jahren. Foto CL

Während Magdalena Jitrik die Aufbruchstimmung des revolutionären Russlands in einer multimedialen Installation beschreibt, beschränkt sich Claire Fontaines Kommentar zum Ende der Sowjetunion auf die Rekonstruktion der noch immer optimistisch farbenfrohen Neonschrift, die einst die Verwaltungsgebäude von Chernobyl zierte.

Beim Publikum führt die allgegenwärtige Ahnung der Einbindung in von unbekannter Seite gesteuerte Abläufe zur Identifikation mit Ante Timmermans, der inmitten eines Käfigs aus Tonnen geduldig wartenden Papiers mit quälender Gewissenhaftigkeit ein Blatt nach dem anderen stempelt, locht und abheftet, wobei er einen wachsenden Konfettihügel produziert. Angesichts der vom Fenster aus sichtbaren Halden ließe sich dies als Migration der Form bezeichnen, oder als postindustrielle Variante der Königstochter inmitten des Strohs, das sie zu Gold spinnen soll.

Ante Timmermans, Performance "Making a Molehill out of a Mountain (of Work). Foto CL

Ante Timmermans, Performance "Making a Molehill out of a Mountain (of Work). Foto CL

Die hier manifeste Aussichtslosigkeit entfremdeter Arbeit nimmt auch in Ni Haifengs hallenfüllender Mitmach-Aktion groteske Gestalt an, wo sich eine so majestätische wie lächerliche Kaskade wahllos aneinander genähter Fetzen auf ein Gebirge weiterer Textilreste senkt. Einzelnen, die das Ihre zum Gemeinwohl beizutragen wünschen, steht eine ganze Produktionsstraße funktionstüchtiger Nähmaschinen zur Verfügung.

Ni Haifeng, Installation "Para-Production". Foto CL

Ni Haifeng, Installation "Para-Production". Foto CL

Eine solch ästhetische Erfahrung unbewussten Handelns ermöglicht auch Nemanja Cvijanovićs Ermunterung zur Betätigung einer Spieluhr, woraufhin leise Die Internationale erklingt. Erst später und damit zu spät, wird das jeweilige Opfer – vielmehr Täter – feststellen, dass die arglose Einwilligung zum Gehorsam gegenüber einem undurchschaubaren System dazu führt, dass Verstärker im Außenbereich die Botschaft verlautbaren. Dass durchschnittlich drei Personen pro Minute auf diese Weise zu unwissenden Rädchen im Getriebe werden und die Völker auf der Terrasse zum Hören der Signale nötigen, wird vielleicht weniger zum letzten Gefecht inspirieren, als vielmehr dazu, über die räumlich und zeitlich entfernten Konsequenzen des eigenen Tuns früher nachzudenken, als es während der Industrialisierung mit all ihren Spätfolgen geschah.

Infos zur 9. Manifesta: http://manifesta9.org/en/home




Wie geht es weiter mit „Occupy“?

Vielleicht wird das Jahr 2011 in die Geschichte eingehen als Beginn einer neuen politischen Zeitrechnung. Denn nicht nur in den von Armut und Willkür beherrschten arabischen Diktaturen, auch in den Zentren des westlichen Turbokapitalismus, in denen Banken und Börsen schrankenlos walten können, haben Massenproteste die Straßen und Plätze erobert.

Nach revolutionären Umwälzungen in Tunis, Tripolis und Kairo, nach jugendlichen Aufständen und Zusammenrottungen in Madrid und London, hat sich eine globale Welle der Empörung breitgemacht. Seit die „Occupy“-Wall-Street-Bewegung den Zuccotti Park im New Yorker Finanzzentrum besetzt hat, zelten überall in der Welt Aktivisten gegen den Kapitalismus. Unter dem Motto „We are the 99 percent“ kämpfen sie für soziale Gerechtigkeit und die strikte Trennung von Wirtschaft und Politik, entwerfen sie Modelle für eine lebenswerte und menschliche Gesellschaft. Wie „Occupy“ entstand und welche Perspektiven diese neue antiautoritäre Bewegung haben könnte, davon berichtet jetzt eine mit flinken Fingern erstellte Dokumentation.

Neben atmosphärisch dichten und emotional aufgeladenen Reportagen sowie Tagebuchnotizen über den heißen Herbst in New York, versammelt der Band auch intellektuell anregende Essays über die ökonomischen Hintergründe und politischen Aussichten des Aufstands. Marco Roth, Mitbegründer des „Occupy“-Magazins „n+1“, schreibt bittere „Abschiedsbriefe an den amerikanischen Traum“; Anwältin und Schriftstellerin Marina Sitrin reflektiert über die Kraft der „neuen horizontalen Bewegungen“; Ökonomie-Nobelpreisträger Joseph E. Stiglitz legt Zahlen über die immer größere Kluft zwischen arm und reich in Zeiten der globalen Finanzkrise vor; und Philosoph Slavoj Zizek meint, es gehe jetzt, nach dem lauten Nein, um die Formulierung von Zielen: „Welche Gesellschaftsordnung kann den bestehenden Kapitalismus ablösen? (…) Welche Organe, einschließlich derer zur Kontrolle und Repression, brauchen wir?“

Anstelle eines Nachworts formulieren die Herausgeber ein paar Vorschläge: „Verstaatlicht die Banken“ und „Verbot aller Parteispenden von Unternehmen“ liest man da, aber auch: „Kostenlose Fahrräder für alle“, und: „Nie wieder Arbeitsessen!“ Klingt, als hätten die „Occupy“-Unterstützer ziemlich viel Spaß.

Wer es ernsthafter mag, dem sei das Fazit von Ökonom Stiglitz empfohlen: „Die oberen Zehntausend besitzen die schönsten Häuser, Zugang zu den besten Bildungseinrichtungen und den Top-Kliniken, sie führen das bestmögliche Leben, doch es gibt etwas, das sie mit Geld offenbar nicht kaufen konnten: die Einsicht, dass ihr Schicksal untrennbar an das der übrigen 99 Prozent geknüpft ist. In der gesamten Geschichte der Menschheit habe die Führungsschichten diese Tatsache am Ende immer eingesehen. Allerdings zu spät.“

„Occupy! Die ersten Wochen in New York“. Eine Dokumentation. Hg. von C. Blumenkranz u.a. Suhrkamp-Verlag, Berlin 2012, 94 Seiten, 5,99 Euro.




Ein knappe Skizze zur NRW-„Wahlarena“

Das politische Spiel (WDR-Fernsehen, 20.15 bis 21.45 Uhr) in der „Wahlarena“, übertragen aus Mönchengladbach, hat 90 Minuten gedauert. Und was ist da rund gewesen?

Das Publikum ist von infratest/dimap nach repräsentativen Gesichtspunkten ausgewählt worden. Immer wieder werden Befragungsergebnisse eingeblendet. Volkes Stimme. Pflichtschuldigst zelebriert und rasch abgehakt.

Einstiegsfrage nach dem Umgang mit den Benzinpreisen.

„Wir müssen weg vom Öl“, sagt Sylvia Löhrmann (Grüne). Ein schöner Satz. Sagt sich schnell.

Arena = Gladiatoren? Ach was! Es bleibt so zahm.

Mal wieder ein grausliches Studiodesign. Und eine wahrhaft fahrige Kameraführung. Bloß nirgendwo verweilen.

Norbert Röttgen (CDU): „Unsere Antwort heißt Elektro-Mobilität.“ Folgt eine kleine Fensterrede gegen die Ölkonzerne. Den kleinen Pendler dürfe man nicht – na? na? – „im Regen stehen lassen“.

Hannelore Kraft (SPD): „Ölkonzerne in den Griff bekommen.“ Auch das sagt sich flott. Wie denn überhaupt in dieser Sechserrunde (Arena) noch ungleich holzschnittartiger argumentiert wird als bei einem Duell. Doch früher hat es noch mehr gestanzte Sätze und betonierte Meinungen gegeben.

Joachim Paul (Piraten): Zur Pendlerpauschale wird eine Position „noch entwickelt…“ – „Wir Piraten kopieren gerne“ (z. B. Ideen aus anderen Ländern). Ein wohlfeiler Lacher.

Mehr oder weniger sprechen sich alle für die Förderung des öffentlichen Personennahverkehrs aus, die Piraten wollen auf Fahrscheine verzichten. Und wer bezahlt’s?

Freie Farbenwahl (Foto: Bernd Berke)

Freie Farbenwahl (Foto: Bernd Berke)

Thema Haushalt/Schulden

Christian Lindner (FDP): „Der Staat soll bescheiden sein.“ Die Wirtschaft muss schneller wachsen als der Staat. Ach, es gibt sie noch, die alte Tante FDP.

Kraft: Nicht zu Lasten der Kommunen sparen. Nicht zu Lasten der Kinder sparen. Und bloß nicht sagen, auf wessen Kosten man sparen will (gilt für alle).

Hier reden, so könnte man meinen, wandelnde Wahlplakate. Talking Heads.

Röttgen (CDU): Sparen mit uns ginge weitgehend schmerzlos. 2 Prozent der Subventionen einsparen, das täte nicht weh. Rotgrün geht euphorisch mit Steuereinnahmen um = verprasst das Geld. Vier Ausnahmen beim sparen: Familie, Schule, Kultur… (juchhu! Es hat einer Kultur erwähnt). Da vergisst man glatt die vierte Option. Röttgens traditionelle Suggestion: Sozis können mit Geld nicht umgehen.

Schwabedissen (Linke): Privaten Reichtum abschöpfen. Keine Kürzungsorgien im Haushalt.

Paul (Piraten): Bedingungsloses Grundeinkommen prüfen (auch fahrscheinfreies Fahren sollte just „mal ausprobiert“ werden). „Es gibt Überlegungen in Richtung Vermögenssteuer“… Aha. Und wohin führen die wohl eines fernen Tages?

Lindner: Rotgrüne Verschuldungspolitik wird zur Staatsphilosophie erklärt. „Legende der guten Schulden“ beenden…

Thema Arbeit/Löhne

Lindner (FDP): Bloß keinen Überbietungswettbewerb in Sachen Mindestlohn, etwa zwischen Gabriel und Gysi. Das führt nur zur höheren Arbeitslosigkeit.

Löhrmann (Grüne): Unterste Linie 8,50 Euro pro Stunde.

Kraft (SPD): „Auch da gilt es, klare Kante zu zeigen.“ (SPD-Wahlplakat „Klare Kante Kraft“)

Röttgen (CDU): Tarifparteien haben Vorrang.

Schwabedissen (Linke): 10 Euro Mindestlohn. Gewonnen! Ihr Lieblingswort: „absurd“.

Paul (Piraten): Für bedingungsloses Grundeinkommen. Kostet den Staat keinen Euro mehr = Nullsummenspiel. Es sollte wenigstens „mal untersucht“ werden. Dann übt mal schön.

Kraft (SPD): Arbeit ist wichtig für die Würde des Menschen. Wer könnte da widersprechen?

Der unvermeidliche Moderator Jörg Schönenborn würgt die laufende Debatte nach Minutenschema ab.

Thema Bildung/Kinder

Löhrmann (Grüne): Für Ausbau der Kitas und Verbesserung der Kitas. Das unsägliche „Betreuungsgeld“ einsparen und in Kitas stecken. Gegen aufgezwungene Kita-Pflicht. Doch wenn die Kitas gut sind, wären die Eltern schlecht beraten, wollten sie ihre Kinder nicht hinschicken. Statements wie aus dem Wahlomaten.

Lindner (FDP): Gegen Betreuungsgeld (hat aber im Bundestag dafür gestimmt).

Schwabedissen (Linke, zweifache Mutter): Für 150 Euro „Herdprämie“ lässt sich kein Kind erziehen. Kita sollte generell gebührenfrei sein. Auch für Millionäre?

Röttgen: 60-70% der Eltern lassen ihre Kinder in den ersten zwei Jahren ohnehin zu Hause. Die sollten gefördert werden – bei völliger Wahlfreiheit zwischen den Lebensmodellen. Ansonsten ist alles „in der Diskussion“ (hört sich in der faserigen Offenheit fast nach Piraten an).

Kraft (SPD): Wer Betreuungsgeld zahlt, glaubt wohl, er müsse keine weiteren Kita-Plätze schaffen…

Lindner (FDP): Erhalten Leute, die nicht in die Oper gehen, dann auch einen Scheck? (Juchhu, noch einer hat Kultur erwähnt – wie grinsbereit auch immer)

Paul (Piraten): Wir müssen erst mal kompetente Menschen befragen… Wir haben nicht auf alles eine Antwort, stellen aber die richtigen Fragen.

Lindner: Rotgrün trocknet Gymnasien in punkto Ganztagsbetreuung und Klassengrößen aus.

Löhrmann, Kraft & Röttgen (!) widersprechen gemeinsam. Oh, einsame FDP.

Schwabedissen (Linke): „Eine Schule für alle“ statt dieser chaotischen Schullandschaft.

Paul (Piraten): „Wir sind keine Linke mit Internet-Anschluss.“ Ein bis zwei Dutzend Schulen sollen neue Modelle erproben… Verwaltungskräfte einstellen, um Lehrer zu entlasten. Alle Lerninhalte digital vorhalten.

Schlussrunde/Koalitionsaussagen

Lindner (FDP): Wahrscheinlich ist eine große Koalition. Wir sind dann Opposition. Prinzip Hoffnung.

Kraft (SPD): Es wird wohl für Rotgrün reichen. Kann trotz vieler Nachfragen die Piraten nicht so recht einschätzen.

Paul (Piraten): Wir würden gern auf der Oppositionsbank lernen. Darüber hinaus jetzt keine Aussage.

Röttgen (CDU): Dies ist kein Lagerwahlkampf. Auch überraschende Koalitionen sind denkbar. Die Demokratie wird bunter.

Löhrmann (Grüne): Rotgrün bevorzugt.

Schwabedissen: Wer will, dass die SPD sozialdemokratisch ist und die Grünen ökologisch sind, muss die Linke wählen. Gut auswendig gelernt.

Und das Fazit? Diffus. Um das Mindeste zu sagen. Röttgen und Lindner rhetorisch gar nicht mal übel, aber mit ihren Positionen z. T. auf verlorenem Posten. Auch die Vertreterin der Linken gewandter als so manche ihrer NRW-Kollegen. Piraten bitte ein paar Jahre lang hinten anstellen und erst mal Positionen klären. Themen, bei denen die Grünen gern volkserzieherisch werden (Ökologie, Rauchverbot etc.), kamen kaum zur Sprache. Ich persönlich weiß immer noch nicht recht, was und wen ich am 13. Mai wählen soll. Zwischenzeitlich hatte ich schon erwogen, dem Wahllokal erstmals gänzlich fernzubleiben. Aber das darf ja wohl nicht wahr sein.




Denkwürdige Vokabeln (6): „Risikofreudig“

Es fiel mir sozusagen wie Schuppen aus den Haaren – oder hieß das Schuppen von den Augen? Na jedenfalls hörte ich aus dem Munde eines jungen Kollegen, dass ihn sein Bank-Berater ganz toll informiert habe. Der hätte ihm zunächst einmal eine sehr konservative Möglichkeit angeboten, sein Bares zu mehren, sozusagen in der Art eines Eichhörnchens, langsam, aber sicher. Und unter dem verschämten Geständnis, dass er als Banker derzeit eher mal bei diesen Dingen zurückhaltender sei, die sogenannte „risikofreudiger“ Version, sozusagen turboschnell, aber mit möglichem Totalverlust.

„Risiko-freudig“, eine Vokabel , die besonders gern in der Bankenwelt und ihrer näheren Umgebung, also auch bei denen, die über die Bankenwelt berichten, Wirtschaftsjournalisten, genutzt wird. „Risiko“ allein, das klingt schon eher so, als solle man Anlagen dieser Art mit Vorsicht genießen. Niemand indes käme auf den Gedanken, mit Risiken behaftete Anlagen als „gefährlich“ für die Kunden-Barschaft zu beschreiben, das wäre ja zu eindeutig abschreckend. Aber „Risiko“ für sich gestellt ja eigentlich auch.
Was tun? Eine frische und eher kecke Wortschöpfung muss her. Die sollte die Aussagen vor sich her tragen, dass eigentlich mit heiterem Auge dem immerhin möglichen Untergang des eigenen Geldes entgegengeblickt wird, freudig also. Die sollte ebenso implizieren, dass Risiken nicht im eigentlichen Sinne negativ sind, sondern eine Schwelle, über die jung-dynamisch gehüpft werden sollte. Positiv denkend, an eine sichere Landung glaubend, auch wenn jenseits der Schwelle ein tiefes Loch sein könnte, in das man unversehens stürzen kann.

„Risikofreudig“ setze ich denn nun zu einem Sprung an, der Herr mit dem Schlips und dem jung-dynamischen Gel im Haar lächelt vermutlich nur ermunternd, nicht etwa wegen der zu erwartenden Prämie, wenn ich unterschreibe. Ach nee, ich nehme denn doch lieber den Bundesschatzbrief, auch wenn der nur ein säuerliches Lächeln meines Gegenüber auf dessen marktkonforme Schmallippigkeit zaubert.

Und dann werde ich wach – beruhigt stelle ich fest, dass ich „Risikofreude“ nur im Traum erlebe. Bin halt ein ökonomischer Langweiler und bleibe konservativ. Ist ja auch so eine denkwürdige Vokabel für zwei sehr gegensätzliche Verhaltensweisen. Man kann auch als fortschrittlich denkender Mensch konservatives Handeln bevorzugen, ebenso wie man als Konservativer ungemein unfortschrittlich sein kann.

„Meine Sorgen möchte ich haben…“
(nicht von mir, sondern von Tucholsky)




Denkwürdige Vokabeln (5): Alternativlos

Sie hatte es zum Unwort des Jahres geschafft, das war 2010. Kanzlerins Lieblingsvokabel, unbedingt merkbar: „alternativlos“. Ganz geriet sie danach nie in Vergessenheit, weil Frau Merkel immer wieder mal etwas, was sie oder der unverzichtbare, aber ungeliebte Kollege Schäuble sich ausgedacht haben, oder eben mangels anderer, auf der Entscheiderhand liegender Möglichkeiten für unumgänglich (auch eine Möglichkeit, das zu beschreiben, was gemeint sein könnte) halten. Aber, dem Alltag sei Dank, seltener benutzt wurde das finale Abschusswort einer jeden kontroversen Diskussion indes schon.

Wir sehen einmal davon ab, dass eine Alternative ursprünglich und ausschließlich einmal gedacht war, um die Wahlmöglichkeit zwischen mindestens zwei Lösungen zu beschreiben – es ist der Lauf der Zeit, dass sprachliche Formen nun einmal lebendig sind und damit auch vielfältiger genutzt werden können. So bürgerte es sich spätestens mit dem vermehrten Auftreten neuer Bewegungen in der Politik ein, davon zu sprechen, dass sogenannte „Alternative“ sich einmengen in das, was drei Traditions-Gruppierungen für ihr ureigenes Geschäft hielten, in eben die Politik. Die „Grünen“ wurden, wohl auch, damit sich Journalisten im Text nicht wiederholten, immer häufiger zu „Alternativen“.

Ich interpretiere das wohlmeinend mal so: Die Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen wollten mit diesem Etikett „alternativ“ andeuten, dass diese neue politische Bewegung immer eine andere Möglichkeit auf dem Weg zu richtigeren Lösungen anböte als die anderen Parteien – sie eine neue, bisher nicht bedachte Möglichkeit skizzierte. Also kann es in den Vorstellungen der Grünen die Vokabel „alternativlos“ nicht geben. Eigentlich…

Wie wenig Spaß NRW-Landesgesundheitsministerin Barbara Steffens versteht, wenn es ums Rauchen geht, weiß ja auch ich, als Mehr-als-ein-Jahr-Nichtraucher und dennoch konsequenter Raucher-Mitfühler. Dass sie, Frau Steffens, aber sogar die Basis (ich meine damit die Grundfesten) der eigenen Partei verlässt und wesentliche Teile des kühnen Streitens gegen die Raucher als solche – auch nee, sie streitet ja mehr für die Nichtraucher – aber, dass sie ein Verbot von E-Zigaretten als „alternativlos“ beschreibt, gibt mir zu denken.

Wenn schon, dann richtige Zigaretten... (Foto: Bernd Berke)

Wenn schon, dann richtige Zigaretten... (Foto: Bernd Berke)

Ich persönlich halte diese Möchtegern-Kippe zwar für blöd. Wenn, dann muss es ordentlich Knarzen beim Inhalieren. Ich halte deren Bekämpfung unter anderem auch für eine Nettigkeit gegenüber der Tabakindustrie, die mit Recht fragt, warum das elektrisch ans Köcheln gebrachte Nikotin steuerfrei bleibt, das aus Tabak verbrannte indes durch Tabaksteuer unsere äußere Sicherheit mitfinanziert. Alternativlos empfinde ich das Verbot dieses Methadonprogrammes für Kettenraucher aber nicht.

Immerhin, ein Wort, dessen Notwendigkeit ich allein deshalb anzweifele, weil es, bei Gebrauch, jedes Gegenüber davon überzeugen soll, dass weitere Gedanken zum Thema wertlos seien, dieses Wort wird so noch breiter salonfähig gemacht. Denn nun nehmen es auch „Alternative“ in den Mund. Und doch nehme ich mir die Freiheit, mit dem Denken fortzufahren … und würde mir dabei mitunter gern eine anstecken, aber eine richtige, eine Aktive.




Die 10 Millionen-Euro-Versuchung für Hagen: „Christie’s“ will Hodlers „Der Auserwählte“

Nun erwarte ich gespannt, was sich Jörg Dehm und Kolleginnen und Kollegen in ihre Sinne kommen lassen, wie sie denn mit dem unmissverständlich bekundeten Interesse von „Christie’s“ an Ferdinand Hodlers „Der Auserwählte“ umgehen wollen. Taxierte 10 Millionen Euro ist dem Londoner Auktionshaus das Bildnis wert, Hagens christdemokratischer Oberbürgermeister Dehm gerät vollends in Wanken und stubst die Chefs der im Rat der Stadt vertretenen Fraktionen kräftig an, dass sie mit im Gleichtakt wanken. 10 Millionen Euro, das wäre mal ein Wort fürs finanzgestresste Hagen.

Schon fühle ich mich an meine düsteren Gedanken mit schwacher Vision für eine nennenswerte Zukunft lokaler Kultur erinnert. Einst wollte ein gewisser Karl-Ernst Osthaus mit dem „Hohenhof“ ein Gesamtkunstwerk erschaffen, und sorgte gemeinsam mit dem Architekten Henry van de Velde dafür, dass außen wie innen in einem engen Zusammenspiel der „Hohenhof“ nicht einfach ein Jugendstilgebäude wurde, sondern eine vollendete Hülle für bildende Kunst.

Jener Karl-Ernst Osthaus hinterließ seinem Hagen indes nicht nur den „Hohenhof“, den man ja eigentlich ins UNESCO-Weltkulturerbe einordnen möchte, er hinterließ ein kaum zu überschätzendes Museum mit einer durchaus weltweit großartigen Sammlung, er rief die Folkwang-Bewegung ins Leben und schuf damit die Grundlage dafür, dass ein Großteil seiner Bemühungen schon in den frühen 1920er Jahren von den Hagenern versilbert werden konnten – nach Essen, mit dem heute der Name Folkwang verbunden ist.

Karl-Ernst Osthaus hatte einen Traum: dass Kunst und menschliches Leben miteinander versöhnbar seien. Oberbürgermeister Dehm und die anderen Hagener Politiker seien daran erinnert: Ferdinand Hodlers flächiges Gemälde wurde von Karl-Ernst Osthaus und Henry van de Velde geradezu in den Empfangsraum des „Hohenhofes“ eingepasst, sozusagen umbaut. Das Bild ist Teil der Architektur und diese, wenn man so will, der Rahmen des Bildes. Denkt bitte nicht im Traum daran, dieses (wegen versicherungstechnischer Randerscheinungen ins Osthaus-Museum ausgelagerte) Ensemble dauerhaft zu zerstören, um Geld für die Stadt zu erwirtschaften!




Trübe Gedanken im Dämmerlicht: Die Kultur und die Ruhe vor dem Sturm

Wer genau in die Gespräche hört, die Kulturpolitiker führen, die Finanzpolitiker führen, die Politiker ganz allgemein führen, der bekommt ohne Schwierigkeiten mit, dass wir uns im Auge eines Orkans befinden, der nicht nur dazu in der Lage ist, die Kultur aus der Fläche in der Republik zu radieren, sondern uns auf Jahre die Kultur zur gleichermaßen kostbaren wie kostspieligen Privatsache zu machen, die öffentliche Hand von dieser Infrakstruktureinrichtung komplett zwangszubefreien und sie denen zu überlassen, die noch mit ausreichend Finanzmitteln ausgestattet sind, sich solches Luxusgut leisten zu können. Einzelne Mäzene werden wieder an die Stelle des Staates treten, es bleibt deren gnädiger Spenderhand überlassen, welchem Kulturgut sie ihre finanzielle Gunst widmen.

Gerade einmal Bildung und ihre möglichst breite Wirkung ist noch in aller Munde, hat sie doch einen Aspekt wirtschaftlicher Verwertbarkeit, ist doch Wirtschaft in absehbarer Zeit darauf angewiesen, jede Restressource noch zu nutzen. Sie, die Wirtschaft, formuliert noch äußerst zurückhaltend, Politik eilt voraus, das Beste im Sinn, aber – wie am Beispiel konservativer Wandlung ablesbar – in Wahrheit Erfüllungsgehilfe interessierter Schichten mit Macht und Einfluss.

Es ist stiller geworden um mutmaßlich überflüssige Theater, es ist stiller geworden um Museen, deren Kosten aus dem Ruder laufen, es ist selbst stiller geworden um autonome Kulturprojekte, deren Kosten-Nutzen-Rechnung von jeher vielen als unausgeglichen erschien.

Das werte ich aber als vorübergehend als Ruhe vor dem Sturm, als Atemholen der Rotstift-Anbeter in immer farbloser werdenden Rathäusern. In ein paar Jahren werden unsere Städte in einem Eiltempo den Verödungsprozess beginnen, dessen Folgen irreparabel sein dürften. Wenige Metropolen behaupten sich, werden Horte der kulturellen Erbauung für weite Landstriche sein, während ebenso weite Landstriche im Dämmerlicht existieren.

Geisterhafte Erscheinung (Foto einer Fotokopie: Bernd Berke)

Geisterhafte Erscheinung (Foto einer Fotokopie: Bernd Berke)

 

Zunehmend werden die Gewählten sich dem nicht mehr zu widerstehenden Druck beugen, werden sie nachgeben, nachgeben müssen, weil dem Geld gefolgt wird, das nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung steht, weil Geldsinn an die Stelle des Allgemeinsinns tritt. Steuern werden zögernd gezahlt, Gesetzgeber zögern, Steuern einzutreiben – könnte ja das Geld vertreiben – die öffentlichen Mittel reichen nur noch für wirklich notwendige Dinge, Kultur wird eines der Opfer sein, das als erstes auf den Altar gelangt.

„Wir können das doch teurer anbieten, die können das doch zahlen!“ Es ging nur um die Kosten einer Vormiete, die ohnehin schon über 75 Prozent Deckungsgrad erreicht – ziemlich viel. Nein, das waren die Worte von Grünen, nicht die der ins selbe Horn tutenden CDU. Klar, wenn ich weniger rauche, nur noch ein Glas Wein trinke, dem Sektchen entsage, eigentlich allem entsage, was Freude macht, dann kann ich mir das noch sehr lange leisten.

Wie gesagt, nur genau hinhören: „Müssen wir das eigentlich anbieten, die Nachbarstädte haben doch Theater, da kann man doch hinfahren?“ „Wollen wir noch subventionieren, Kindergärten sind doch wichtiger?“

Ja, das sind trübe Gedanken im Dämmerlicht, aber ehrlich, sind die so weit hergeholt, wenn es schon ausreicht, als Mitglied mittleren Adels ein Interview zu geben und anschließend daraus ein gebundenes Stück Kulturgut auf dem Markt für jedermanns Eitelkeiten vertrieben wird? Wir sind auf dem Wege, so was von herunter zu kommen, viele merken das nur noch nicht.




Kunstvoll Geld verdienen

In Zeiten wie diesen kommen viele Anleger auf die Idee, ihr Geld zu Kunst zu machen. Kurzfristige Gewinne erzielt damit jedoch vor allem eine Gruppe – die der Berater. Einer Szene auf der Spur.

Die "Lesende" von Gerhard Richter, dem teuersten deutschen Künstler.

Kann man sich leisten: Die "Lesende" von Gerhard Richter als Postkarte. Bringt aber kein Geld.

November 2011. Ein abstraktes Bild von Gerhard Richter erzielt bei einer Auktion von Sotheby’s in New York 15 Millionen Euro, fast doppelt so viel wie erwartet. Ein Monat zuvor kam bei Christie’s eines seiner Kerzen-Gemälde unter den Hammer – für 12 Millionen Euro. Gerhard Richter ist 79, und er malt noch immer. Fast jedes Bild, das sein Atelier verlässt, wird seinen Galeristen aus den Händen gerissen. Wohl dem, der einen Richter hat – doch jetzt Richter kaufen?

Wie anders erging es damals Pablo Picasso. Erst zwei Jahrzehnte nach seinem Tod konnte sich die Kunstwelt mit seinem Spätwerk anfreunden. Doch auf dem Kunstmarkt ist Picasso keine sichere Bank: Mal erreichen seine Werke Rekord-Ergebnisse wie im vergangenen Jahr, als ein Käufer für das Ölgemälde „Nackte, Grüne Blätter und Büste“ 106 Millionen Dollar ausgab. Mal zählt er zu den Ladenhütern, wie bei einer Auktion in diesem November.

„Viele glauben, wenn ich einen Picasso habe, habe ich immer ein gutes Bild. Das ist aber nicht so. Es gibt gute und schlechte Picassos, auch nicht so gut verkäufliche. Wir beraten unsere Kunden, dass sie das richtige Bild zu einem realistischen Preis kaufen“, sagt Dr. Stefan Horsthemke. Auch zum derzeit teuersten deutschen Maler hat er eine Meinung: „Die Preise für Richter sind auf einem sehr hohen Niveau. Als Invest würden wir das nur empfehlen, wenn es einem wirklich gut gefällt.“

Es ist offenbar leicht, Geld zu Kunst zu machen, aber eine Kunst für sich, sein Vermögen mit Kunst zu mehren. Dr. Stefan Horsthemke ist kein Künstler. Doch die Kunst, mit Kunst zu verdienen, beherrscht er gut. Kein Wunder nach einem passgenauen Studium der Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Kulturmanagement und der Kunstgeschichte, inklusive Dissertation („Das Bild im Bild in der italienischen Malerei“). Erfahrungen mit dem Kunstmarkt sammelte der Kunsthistoriker bei der AXA Art – er versicherte die Werke, bei deren Ver- und Ankauf er nun hilft, bewertete und beriet zahlreiche Privatsammlungen. Nebenbei baute er seine eigene Sammlung zeitgenössischer Kunst auf. Nun hat Horsthemke gemeinsam mit dem Düsseldorfer Kunst-Berater Helge Achenbach und der ältesten deutschen Privatbank, der Berenberg-Bank, die „Berenberg Art Advice“ gegründet. Ein eigenständiges Unternehmen, das sich nicht nur dem Aufbau und der Verwaltung von Sammlungen sowie der Kunstberatung verschrieben hat, sondern das Kunden auch dabei unterstützt, ihr Geld in Öl auf Leinwand zu investieren – und Kapital aus der Kunst zu schlagen. Ein genialer Schachzug für alle Beteiligten. Das prall gefüllte Adressbuchvon Kunstberater Achenbach, der, wie er in einem Interview verriet, seit 15 Jahren nicht mehr akquirieren muss, wurde noch angereichert durch die Sammler-Kontakte Horsthemkes und die Abwicklungsmöglichkeiten über eine Privatbank.

Immobilienblasen können platzen, Aktienbörsen zusammenbrechen, Währungen wertlos werden. Ein Bild bleibt dagegen ein Bild. Auch wenn die Finanzwelt verrückt spielt – mit einem Kunstwerk hat man nicht nur ästhetischen oder dekorativen Mehrwert, sondern besitzt ein Stückchen Kunstgeschichte. Man holt sich die Aura des Originals ins Haus. Und so beantworten Reiche und Superreiche die Frage „Wohin mit dem Geld?“ zunehmend mit „Kunst“. Der internationale Kunstmarkt hat aktuell ein Volumen von 20 Milliarden Euro, in Boom-Jahren wie 2010 können es auch schon mal 43 Milliarden sein. „Das liegt auch daran, dass der Markt internationaler geworden ist, immer mehr Sammler kommen aus Asien, vor allem aus China“, sagt Horsthemke.

Horsthemke spricht mit ruhiger, sonorer Stimme. Seine goldenen Manschettenknöpfe blitzen auf, wenn er während des Gesprächs kurz E-Mails auf dem iPad checkt oder das Klingeln seines iPhones unterdrückt. Die beiden Geräte wirken seltsam aus der Zeit gefallen in dem dunkel-gediegenen Konferenzraum der Stadtvilla direkt am Rhein mit ihrem schmiedeeisernen Gitter und dem Kamera-Auge am Eingang. Seine sorgfältig gegelten grauen Haare und die markante schwarze Brille lassen den 46-Jährigen nicht nur jünger wirken, sondern für einen gebürtigen Westfalen auch ziemlich düsseldorferisch. Wenn Horsthemke unterschreibt, wird daraus eher eine Zeichnung denn eine Signatur. Das ist vermutlich angemessen, wenn man seinen Namen unter Millionen schwere Transaktionen setzen muss.

Leztens hatte er fast wieder so einen Fall. Ein Kunsthändler sprach Stefan Horsthemke an. Er wollte einen Picasso zurückkaufen, den Horsthemke ihm vor zwei Jahren im Auftrag eines Kunden abgekauft hatte. Auf 2,5 Millionen Euro hatte man sich damals geeinigt – ein sehr gutes Preis-Leistungs-Verhältnis, fand Horsthemke. Und er hatte recht: Mittlerweile könnte der Kunsthändler das Bild für bedeutend mehr Geld verkaufen. Er bot Horsthemke 3,8 Millionen für das Bild. Horsthemke sprach mit seinem Kunden, dem damaligen Käufer. Eine Rendite von über 50 Prozent in zwei Jahren – ein Traum, sollte man meinen, auch wenn man die hohen Transaktionskosten von 10, bei Auktionshäusern bis zu 35 Prozent berücksichtigt. Doch der Picasso-Besitzer wollte sich nicht trennen. „Seine Liebe zu dem Bild ist gewachsen“, sagt Horsthemke, „ursprünglich hatte der Mann mit Kunst wenig am Hut und wollte nur sein Geld sinnvoll anlegen.“ Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Anleger zum Sammler wird.

Ein betriebswirtschaftlich irrationales Verhalten – und doch ein für diesen Markt typisches. Der Kunstmarkt ist noch unberechenbarer als andere Märkte, was nicht nur am unkalkulierbaren Verhalten der Marktteilnehmer liegt. Anders als bei Aktien oder Immobilien lässt sich der Wert von Kunst nur begrenzt kalkulieren. Und da ist sie wieder, die Frage aller Fragen: Was ist gute, qualitätvolle Kunst? Was ist Kunst wert?

Fragt man Stefan Horsthemke danach, dann klingt alles ganz logisch und transparent. Horsthemke redet von „Art Evaluation Process“ und „Due-Diligence-Prüfung“, einem Verfahren, mit dem man vor einem Kauf verborgene Risiken aufspüren und die Qualität prüfen kann. „Im Falle der Kunst schauen wir, wo das Werk herkommt und wie häufig es bereits gehandelt wurde, wie stark es restauriert wurde, ob es gefälscht sein könnte, und welche Preise es auf dem Kunstmarkt erzielt hat.“ Neulich etwa habe ein Kunde ein bestimmtes Gemälde von Ernst Ludwig Kirchner im Auge gehabt und um Beratung vor dem Kauf gebeten. Es zeigte sich, dass bei einer älteren Restaurierung Leinwand und Farbschicht des Bildes in Acrylharz getränkt wurden. Die schlechte Restaurierung ließ sich nicht mehr rückgängig machen. „Dadurch war das Bild wertlos geworden“, so Horsthemke, „es kommt für viele Käufer nun nicht mehr in Frage, auch wenn es motivisch interessant ist.“ Natürlich riet er vom Kauf ab.

Doch was, wenn Bilder weder gefälscht noch beschädigt sind? Wie kommt man rechtzeitig dahinter, dass Bilder aller Schaffensperioden von Gerhard Richter Summen erbringen, die der Künstler selbst „unverständlich, albern, unangenehm“ nennt?

Man kann es nur vermuten – also spekulieren. „In der Tate Modern in London läuft eine Richter-Ausstellung, die demnächst nach Berlin kommt, und er wird nächstes Jahr 80 Jahre alt – solche Faktoren spielen in die Bewertung hinein“, sagt Horsthemke, „für viele ist Richter ein zweiter Picasso.“ Aber niemand kann garantieren, das Richter an seinem 107. oder 122. Geburtstag von den Zeitgenossen noch ebenso geschätzt werden wird. Letztlich kann keine noch so gute Qualitätsprüfung die Wertentwicklung vorhersehen. Es ist der Markt, der den Rang eines Kunstwerkes bestimmt, und nicht das Werk selbst. Sobald es jemanden gibt, der bereit ist, Geld auszugeben, steigt der Wert. Ein einfacher Mechanismus.

Wenn man Stefan Horsthemke glauben darf, dann ist er glücklich darüber, dass der Millionen schwere Picasso-Rückkauf nicht zustande kam. „Eine Kunstinvestition“, sagt er, „ist für uns eine langfristige, konservative Anlage und kein kurzfristiges Spekulationsobjekt.“ Man sollte nur kaufen, was zu einem passt und einem gefällt, findet er, und es mindestens fünf, besser zehn Jahre halten – am liebsten noch länger. Kunstwerke, die Berenberg Art Advice als Geldanlage empfiehlt, haben alle eines gemein: Sie entstanden vor 1945. Ihre Schöpfer sind tot, ihr Stellenwert auf dem Kunstmarkt ist geklärt. „Wenn man die wichtigen, großen Künstler nimmt, die in Museen und Sammlungen vertreten sind, und auf gute Qualität achtet, kann man wenig falsch machen“, sagt Horsthemke. Große Wertverluste sind dann ebenso wenig zu erwarten wie große Steigerungen: Mal steht Renaissance-Künstlern eine Renaissance bevor, weil die Ausstellung „Gesichter der Renaissance“ im Berliner Bode-Museum das Interesse neu entfacht. Mal sind es die Impressionisten, die wieder im Interesse steigen. Natürlich muss man für Kunst dieser Kategorie tiefer in die Tasche greifen. Die Kunden von Berenberg Art Advice können das. Ihre Kunden investieren mindestens 100.000 Euro jährlich in Kunst. Zwischen fünf und zehn Prozent des Verkaufspreises landen als Beratungsgebühr bei Berenberg Art Advice.

Immer mehr Kunden wollen jedoch etwas anderes. Sie sind auf der Suche nach junger, zeitgenössischer Kunst, nach dem ultimativen Geheim-Tipp, der sich top entwickeln wird. „Ich werde das sehr oft gefragt, auch von Künstlern selbst“, sagt Horsthemke und schaut sehr ernst durch seine schwarze Brille. „ Kunstspekulationen sind für uns ein No-Go-Thema. Damit macht man Kunst zur Ware und zerstört jungen Künstlern den Markt.“ Beispiele dafür gebe es genug, seit Christie’s und Sotheby’s vor 15 Jahren damit begonnen hätten, auch sehr junge zeitgenössische Kunst zu versteigern. Zu viele Künstler seien zu früh auf dem so genannten zweiten Markt, dem Auktionsmarkt, gehandelt worden, anstatt nach und nach über Galerien ihre Weg in Sammlungen zu finden.

Kunst als Ware – ist das nicht die Basis des Geschäftsprinzips von Berenberg Art Advice? Diesen Umstand möglichst auszublenden, ist noch so eine Eigenheit der Akteure auf dem Kunstmarkt. Auch Horsthemke spricht lieber davon, wie glücklich das Sammeln von Kunst macht, welche Lebensfreude es bringe und wie wichtig die richtige Vermittlung von Kunst sei.

Viele Künstler sind da längst einen Schritt weiter. Jeff Koons oder Damien Hirst spielen mit den Mechanismen und Funktionsweisen des Marktes, der Flirt – wenn nicht gar der Beischlaf – mit Markt und Kommerz ist zu ihrem Markenzeichen geworden. Damit stehen sie in der Tradition Andy Warhols, der bewusst die Grenzen zwischen Kunst und Kommerz verwischte, und das weit über seinen Tod hinaus: Nie war er so teuer wie heute, was vor allem an den Absprachen der größten Warhol-Sammler untereinander liegt.

Wer sehr viel Geld in Kunst investieren will, dem raten Horsthemke und seine Kompagnons nicht zu Warhol, sondern eher dazu, sich an Ankäufen großer, teurer Werken zu beteiligen, die anschließend zum Beispiel an Museen ausgeliehen werden. Allerdings ist man auch dann vor bösen Überraschungen nicht gefeit. In Dortmund schrubbte unlängst eine Putzfrau Martin Kippenbergers Installation „Wenn’s anfängt durch die Decke zu tropfen“ kaputt. Das Werk war die Leihgabe eines anonymen Sammlers und ist nun irreversibel beschädigt. Dass die Versicherungssumme 800.000 Euro beträgt – ein für die kunstferne Öffentlichkeit unglaublicher Betrag angesichts des mageren Materialwertes aus einigen Brettern und einer rostigen Wanne – dürfte den Leihgeber kaum trösten, zumal die Installation nach Ansicht Horsthemkes stark unterbewertet war.

 

Der Text erschien zuerst in der Dezember-Ausgabe des NRW-Kulturmagazins K.West.




Der preußische König zeigt sich milde

Von Überfällen auf Spielhallen oder über dreiste Handtaschenräuber liest man heutzutage, wenn die Polizei ihren Tagesbericht abliefert. Früher, als die Menschen noch quälenden Hunger kannten, ging es noch direkter zu: Da wurden sogar Grundnahrungsmittel wie Getreide gestohlen.

In Berlin saß ein milder König. (Foto: Pöpsel)

Für den Bereich Schwelm ist aus dem Jahr 1795 eine regelrechte „Hungerrevolte“ überliefert. Wenn es in Notzeiten zu Getreideknappheit kam, hatten die Magistrate der Städte die Aufgabe, die vom preußischen Staat verordneten Korn-Ausfuhrverbote und die Einschränkung des Branntweinbrennens zu überwachen. Weil im Winter 1794/95 in der Grafschaft Mark die Brotpreise sprunghaft in die Höhe schnellten, griff die Not leidende Bevölkerung von Schwelm zur Selbsthilfe, indem sie Fuhrwerke mit Getreide überfiel, das trotz des Verbots in das nahe Bergische Land ausgeführt werden sollte: Die Kaufleute erhofften sich auf den dortigen Märkten noch höhere Erlöse als in der Mark.

Von einem dieser Überfälle gibt es im Archiv der Stadt Schwelm einen genaueren Bericht. Fünf „Rädelsführer“ wurden festgesetzt und angeklagt. Sie richteten daraufhin ein Bittgesuch an den preußischen König und baten um Milde, und dem kam der Regent sogar nach. Ihnen wurde unter anderem zugute gehalten, dass sie ja im Sinne eines königlichen Erlasses gehandelt hätten, wonach verbotenerweise ausgeführtes Getreide zu konfiszieren sei.

Die königliche Kriegs- und Domänenkammer in Hamm drängte zwar später auf ein scharfes Urteil, weil man revolutionäre Stimmungen wie im absolutistischen Frankreich fürchtete, doch der König lehnte eine Revision des Urteils ab. Zudem ordnete er an, aus den Heeresmagazinen die Hälfte des für die Truppen vorgesehenen Getreides an die Not leidende Bevölkerung im Herzogtum Cleve-Mark zu verteilen.

Solche Einzelmaßnahmen konnten an der fortschreitenden Verarmung weiter Teile der Bevölkerung im 19. Jahrhundert jedoch nichts ändern. Revolutionär wurde diese Entwicklung dann in den Hungerwintern der 40-er Jahre bis hin zur Revolution im Jahre 1848.

Heute haben wir keinen mílden König mehr, und auch eine Revolution ist nicht in Sicht. Oder?




Drei Meldungen – drei Erkenntnisse

Ich war mir nicht so sicher, ob diese Zeilen in ein kulturgeneigtes Medium wie dieses gehören, doch dann fiel mir ein, dass auch Kabarett als Kultur angesehen wird, dass auch Satire eine Kunstform darstellt, und so fragte ich mich, warum solle dann nicht auch Realsatire künstlerischen und kulturellen Beobachtungen unterworfen werden.
So seien sie denn genannt, die meiner Ansicht nach verwirrendsten Nachrichten des Tages:

Kanzlerin und Kabinett sind völlig perplex, weil die Herren Putin und Medwejew planen, wieder ihre Rollen zu tauschen.

Ein Herr Dirk Pfeil, hauptberuflich Insolvenzverwalter, ehrenamtlich FDP-Lenkungsfunktionär, hat das Rätsel gelöst: Nicht seine Partei ist zu dumm, die richtige Politik zu machen, die Wählerinnen und Wähler werden bewusst zu blöd gehalten (vermutlich von den politischen Konkurrenten), um die Politik der FDP zu verstehen.

Und dann noch Standard & Poor’s – ja, das ist eine von den drei mächtigen Rating-Agenturen in den USA, die ganze Länder in den freien finanziellen Fall herabstufen können. Also, Standard & Poor’s droht Strafverfolgung, weil sie während der Finanzkrise 2007 ein Hypothekenpapier falsch bewertet haben, und zwar so, dass sie offenbar gegen amerikanische Wertpapiergesetze verstießen.

Was lehrt uns das alles?
1. Es darf getrost deutsche Regierungen geben, die einerseits ganze Währungssysteme retten wollen, aber beim nächstliegenden Vorgang in der Außenpolitik ins Staunen geraten. Genauer: Naiv zu sein, ist kein Kabinetts-Ausschlussgrund.

2. Man kann durchaus mit Fingerspitzengefühl (siehe Opel) ein großes Unternehmen treuhänderisch durch eine schwere Situation lenken wie Herr Pfeil, und dennoch so dämliches Zeug erzählen, wie er das als führender Liberaler tut. Genauer: Es ist derzeit anscheinend Eintrittsvoraussetzung in die FDP, dass man nachweislich dazu in der Lage ist, quasi im Handumdrehen Quatsch von sich geben zu können.

3. Finanzexperten der höchsten Qualität zeichnen sich gegenüber denen, deren Geld sie waschen, aus, dass sie einem Schlüssel besitzen, der sie wieder ins Freie treten lässt, wenn sie die Kunden besucht haben. Genauer: Kriminelle Energie gehört anscheinend zum Erfolg mancher, die als Banker vor Seriosität beinahe platzen.

Das waren sie, die drei Top-Meldungen des Tages – und ich bin sicher, ich fände noch mehr, wenn ich mich nur bemühen würde.




Die vertraute Markenwelt

Es mag ja betrüblich zu sagen sein, doch ist es wahr: Unter allen Dingen und Verhältnissen, die uns Weltvertrauen einflößen, sind nicht zuletzt die seit Kindheit vertrauten Marken. Ziemlich klar, woran es liegt: Unser Weltausschnitt ist vorwiegend eine Markenwelt.

Einige Beispiele, ohne jeden Schleichwerbe-Effekt, abseits jeder Qualitätsvermutung, streng alphabetisch: Bosch, Hansaplast, Haribo, Langnese, Märklin, Miele, Nivea, Opel, Osram, Persil, Philips, Pril, Rama, Ritter Sport, Tempo, Tesafilm, Volkswagen. Und viele andere, je nach Generation wechselnd. Für manche beginnt die Erinnerung mit Nogger oder Nutella. Kaufartikel halten längst für die Benennung ganzer Altersgruppen her, siehe „Generation Golf“ etc. etc. Ich kaufe das, also bin ich. Ich stilisiere mein Leben mit Waren, also gelte ich.

Schon wenn man erfährt, dass sich hinter den gewohnten Namen neue (meist globale) Besitz- und Produktionsverhältnisse verbergen, fühlt man sich ein wenig verunsichert. Erst recht wird einem mulmig zumute, wenn solche Namen gänzlich getilgt werden. AEG, Borgward, Eduscho, Grundig, Nordmende, Simca, Telefunken, neuerdings Saab. Selbst um die dürftigen Ost-Labels von Trabant bis Rotkäppchen wird seit Jahren nostalgischer Kult getrieben. Oder mal aus Dortmunder Nahsicht betrachtet: Hoesch als „Name für Stahl“ (früherer Slogan) und etliche Biermarken gehören einer immer mehr entgleitenden Vergangenheit an.

Hin und wieder tauchen alte Namen wieder auf, doch meist handelt es sich um billigen Etikettenschwindel. Mit Markenrechten soll altbewährtes Vertrauenskapital umgemünzt werden. Pah! Auch ihr dreht die Zeit nicht um.

Und wie schnell der Schwund, dieser Wandelfraß sich ausbreitet! Man schaue sich nur Filme aus den 1970er oder 1980er Jahren an. Wie anders wirken da Kleidung und Straßen. Ja, die gesamte Farbpalette sieht fremdartig aus; ganz zu schweigen vom Takt der Wahrnehmung, der sich im Filmschnitt zeigt.

Zurück zu den Marken. Bereits im nahen Ausland verschieben sich Koordinaten des Konsums. Trotz regen internationalen Handels ist diese und jene Marke schon in geringer Entfernung nicht mehr vertreten, dafür tauchen andere auf, die einem zunächst oder auf Dauer nicht geheuer sind. Es sei denn, man wäre ein Anbeter des Immer-wieder-Neuen, des Täglich-Anderen. Allmählich scheint es ja zu gelingen, diesen kapitalistisch dringlichst erwünschten Menschentypus zu züchten. Dass dieser Typus wiederum weltweit das Vorhandensein gewisser Leitmarken verlangt, gehört zum Kraftfeld, das keineswegs widerspruchsfrei ist.

Die Beharrenden aber ahnen: Fortwährender Markenschwund ist ein Zeichen der Vergänglichkeit und ragt bis ins Existenzielle, kündigt also Stück für Stück das Sterben an.




Der Koloss von Dortmund

Dortmunds Innenstadt steht unmittelbar vor dem radikalsten Umbruch der letzten Jahrzehnte. Am 15. September wird ein Einkaufscenter mitten in der City eröffnet, das rund 160 Geschäfte umfasst und sich (wesentlich auf dem Gelände der früheren Thier-Brauerei) vom Wallring bis zum Westenhellweg erstreckt.

Schon jetzt steht fest, dass sich mit der „Thier-Galerie“ Charakter und Schwerpunkte des Stadtzentrums gründlich ändern werden. Der Investor und Betreiber ECE hat etwa 300 Millionen Euro in den weitläufigen Bau gesteckt und kalkuliert mit einem Einzugsgebiet, in dem etwa 3 Millionen Menschen leben. Das sind schon höhere Hausnummern.

Der riesige Komplex prunkt auf seiner Schauseite mit einer nahezu klassizistisch anmutenden, machtvollen Säulenformation und zitiert damit eine uralte Würdeformel der Architektur. Im Kontext der Dortmunder City wirkt dies besonders imposant, doch auch einigermaßen grotesk. Geborgte Grandezza…

Schauseite der "Thier-Galerie", 14 Tage vor Eröffnung (Foto: Bernd Berke)

Schauseite der "Thier-Galerie", 14 Tage vor Eröffnung (Foto: Bernd Berke)

Gewiss: Manche Filialisten lassen sich hiermit erstmals in dieser Stadt nieder und bringen neue Jobs. Doch etliche Händler ziehen aus anderen Dortmunder Lagen in den neuen Kauftempel. Deren bisherige Domizile werden in aller Regel frei, es gibt mithin erst einmal zahlreiche Leerstände. Reihen sich solche Punkte über die Maßen aneinander, so entstehen rasch Zonen der Unwirtlichkeit und Verwahrlosung. Man kann dies schon an bestimmten Stellen der Stadt beobachten. Doch das alles könnte nun weit übertroffen werden.

Auch die lokale Presse barmte zwischenzeitlich, dass so genannte 1-B-Lagen wie Ostenhellweg und Brückstraße gefährdet seien. Doch man kann wohl sicher sein, dass sich derlei skeptische Anwandlungen schnell beruhigen werden. Denn wer will es sich schon auf einen Schlag mit 160 potenziellen Anzeigenkunden verderben?

Aufblick zur "Thier-Galerie" (Foto: Bernd Berke)

Aufblick zur "Thier-Galerie" (Foto: Bernd Berke)

Der Autoverkehr, den der neue Koloss anziehen wird, dürfte gelegentlich einem Kollaps gleichkommen. Zwar gehört ein neues Parkhaus mit 730 Plätzen hinzu, doch wenn man diese Zahl durch jene der Geschäfte teilt, so kommt man bei 160 Läden auf gerade mal je viereinhalb. Der Autoschwall wird sich also auch in andere Parkhäuser und Tiefgaragen ergießen, die ohnehin oft schon gut gefüllt sind.

Gespannt darf man sein, wie sehr sich das Center vom sonstigen Stadtleben abschotten wird. Konsumpaläste dieser Größenordnung kommen schwerlich ohne Security-Kräfte aus; zumal, wenn die Geschäfte freitags und samstags bis 22 Uhr geöffnet bleiben. Man wird sehen, wie strikt die Sicherheitsleute gegen „unliebsame Personen“ vorgehen und wie sie diesen Begriff auslegen.




Nun hat sie ausgeglüht

Diesen 31. August 2011 hat sie noch, dann muss sie aus unserem Alltag für immer verschwinden, weil es EU-Gewaltige in Brüssel so wollen, weil Umwelt mit ihr immer schon Schaden genommen haben muss, weil von mir natürlich stets gemutmaßte wirtschaftliche Interessen dahinter stecken: Die 60-Watt-Glühbirne ist alsbald nur mehr im Museum zu betrachten – natürlich außer Betrieb, denn der ist von mächtigen EU-Kommissaren strikt untersagt.

In der „Reina Sofia“ konnte mensch sie schon lange als museales Objekt betrachten. Öl auf Leinwand, in exponierter Situation von Pablo Picasso auf der „Guernica“ verewigt. Demnächst vielleicht ein finaler Auftritt im Ruhrmuseum auf Zeche Zollverein in Essen. Oder direkt neben Exponaten aus dem umfänglichen Schaffen eines Joseph Beuys.

Nun preisen alle die, die etwas zu sagen haben (oder auch nichts), neue, hochtechnische Leuchtmittel an wie E 10 fürs Automobil, künden, dass dieser Einschnitt ein Schritt hin zur unmittelbar bevorstehenden Sanierung des Weltklimas sei, aber von möglichen Problemen redet niemand.

Ich selbst könnte ja noch damit leben, dass meine Abendlektüre energiesparend kühl beleuchtet wird, nachdem die Birne anfänglich flackernd angesprungen ist. Wie aber ist es mit Sehgewohnheiten wie etwa auf „Betende Hände“ oder Expressionistisches, beispielsweise aus der Hand von Macke? Wird solches nicht gänzlich anders angeleuchtet und uns somit ganz anders präsentiert? Wie sieht ein Bild, das womöglich bei Kerzenschein oder Glühbirnenfunzellicht entstand, ganz neu beleuchtet aus?

Oder wie wird es zukünftig im Zentrum für internationale Lichtkunst zu Unna gehandhabt, geben die Kunstwerke mit Glühbirnenbeleuchtung nicht zukünftig, ernergiesparend strahlend ein völlig anderes Bild ab?

Fragen über Fragen, und ich bin mir sicher, dass die herstellende Industrie optimale Lösungen finden wird, um auch die letzten Nörgler zufrieden zu stellen. Und dennoch: Ade, du ineffiziente Glühbirne.




Der verlegerische Verstand ward verlegt

Wir schreiben das Jahr 20.. – ach nee – ich will mich da lieber nicht festlegen, kann sein, dass es schneller geht, als ich es befürchte.
Also noch mal: Wir schreiben das Jahr 20 und X. Rast- und ziellos treibt das „Raumschiff Tageszeitung“ durch die Cyberwelt, irgendwo hin, da nie ein dereinst tätiger Journalist in seiner schlimmsten Fantasie gedacht hätte, dass es landen könnte.

Verlegende Damen und Herren in entsprechenden Verbänden stellten irgendwann fest, dass ihnen Einnahmen entgangen waren, die sie in interneten Seiten, die viele unter ihnen ohnehin viel zu spät einrichteten, hätten einfahren können. Und so beklagten sie 15 Jahre nach deren Geburt die Bemühungen von http://www.tagesschau.de, sich mit Apps um die Zuschaltung jugendlicher Interessenten zu bemühen.

Mein fassungsloses Kopfschütteln über so viel Dummheit nähert sich dem Gezappel einer Paralysis agitans. Wie konnten so viele Zartbegabte so lange Medien führend erfolgreich führen, um diese dann doch in jedes sich bietende schwarze Loch zu führen?




Denkwürdige Vokabeln (2): „Märkte“

„Märkte“, sie herrschen, sie beherrschen Schlagzeilen, sie haben die Macht, politisches Handeln zu steuern – nur, wer oder was sind diese „Märkte“, namentlich die Finanzmärkte?

Nun, erst einmal sind sie in der Mehrzahl, was einerseits den Vorteil hat, dass sie Überzahl signalisieren, weiterhin den Vorzug mit sich bringt, Anonymität zu heucheln.

Dann scheinen sie ebenso menschenleer zu sein wie seelenfrei. Sie haben nur ein wirklich signifikantes Merkmal: Sie sind ungemein empfindsam und reagieren postwendend auf ein wie auch immer geartetes menschliches Fingerschnippen.

Weiterhin scheinen diese „Märkte“ ein stillschweigendes gemeinsames Einverständnis zu haben, jeden gegen sie gerichteten Angriff, wo er auch auf der Welt von wem geführt wird, mit einem Tsunamigleichen inneren Beben zu beantworten, und zwar weltweit im Gleichschritt. Wohlgemerkt, dies alles geschieht offenbar ohne jedes menschliche Zutun – „Märkte“ sind autonom und ihre Reaktionen kommen Naturereignissen gleich.

Dass möglicherweise hinter diesen Märkten doch noch so ein Pole Poppenspäler, so ein Josef Ackermann in jeweiliger Landestracht stehen könnte, muss natürlich ausgeschlossen werden. „Märkte“ lassen sich nicht von Menschen lenken, sie sind gelenkt, dass sie Menschen lenken.

Stelle ich mir nur solche blöden Fragen und gebe mir Antwort, oder unternehmen das auch die Kolleginnen und Kollegen, die so unverdrossen veröffentlichen, dass die „Märkte“ mal wieder nervös werden? Sicher nicht durch mein Geschreibsel.

Ausschnitt aus den heutigen Finanzmarkt-Tabellen der FAZ (Bild: Berke)




Ein Ausflug an den Südrand des Reviers

Ausstellung "Textil verbindet" im Industriemuseum Ennepetal

Ein kleiner Ausflugstipp: Seit einigen Jahren gibt es am Südrand des Reviers in Ennepetal in einer alten, denkmalgeschützten Gießerei ein beachtenswertes Industriemuseum, das von April bis November an jedem ersten Sonntag im Monat geöffnet hat und – zur Zeit noch – kostenlos besucht werden kann. Es wird geführt von einem privaten Förderkreis, man kann Former- und Gießer-Vorführungen erleben, und auf dem Freigelände an der Neustraße treffen sich zu den Öffnungszeiten Besitzer von PKW- und Traktor-Oldtimern mit ihren Fahrzeugen.

Das Museum liegt auch nur wenige Minuten vom Eingang der Kluterthöhle entfernt, einer der längsten Naturhöhlen Deutschlands.




Griechischer Finanz-Krimi: Weiße Rosen waren gestern

Faule Kredite
In die Zeit, in der um die Verabschiedung des zweiten Griechenland-Hilfspaketes gerungen wird, Finanzmärkte stündlich die Farbe wechseln, Anleihen keine Option mehr sind, genau in diese Zeit fällt die deutschsprachige Veröffentlichung von Petros Markaris sechstem „Kostas Charitos“-Roman. In „Faule Kredite“ schickt der Autor seinen Kommissar mitten in die Athener Bankenwelt.

Die griechische Finanzwelt steckt in einer der schlimmsten denkbaren Krisen. Die Stimmung in Athen ist aufgeheizt. Täglich wird auf den großen Plätzen demonstriert, Aufrufe zum Bankenboykott werden in der ganzen Stadt plakatiert. Als ob das nicht Bewährungsprobe genug wäre, erschüttert eine Mordserie an Bankern und Finanziers die Stadt. Vier ranghohe Manager, allesamt Symbolfiguren für Korruption und Mißwirtschaft, werden nacheinander mit einem Säbel enthauptet. Charitos glaubt an einen persönlichen Rachefeldzug. Der Tod in Athen kommt heutzutage auf Kredit und bringt keine mythologisch verklärten Märtyrer mehr hervor. Mit dieser Meinung steht der Herr Kommissar zunächst einmal recht alleine da. So darf er sich zu allem Überfluss auch noch mit der Terrorabwehr mehrerer Staaten, diversen Ministerien und Botschaften herumschlagen. Darüberhinaus ist auch sein Privatleben nicht gerade von Spannungen frei. Die Krise hinterlässt auch hier ihre Spuren.

„Nur die ersten 80 Jahre sind hart. Ab dann hast Du für immer Deine Ruhe“ – sagt Charitos‘ lebenskluge Gattin Adriani. Sein Kollege greift zu noch drastischerem Trost “ ….wir zählen doch zu den PIIGS Staaten. Aber im Schweinestall lebt es sich immer noch besser als im Haifischbecken. Bislang haben wir versucht, dort mitzuschwimmen, aber wir sind kläglich abgesoffen. Schweine können eben nicht schwimmen.“ So kann man die aktuelle griechische Tragödie natürlich auch kurzfassen. Mit diesen und ähnlich schicken Wortbildern läßt Markaris seine Protagonisten über die aktuelle Krise diskutieren und an ihr leiden.

Markaris – intellektueller Weltbürger, einer der wichtigsten Autoren zeitgenössischer griechischer Literatur, als Übersetzer von Goethe und Brecht der deutschen Sprache fließend mächtig – ist durch seine Kostas-Charitos-Krimis europaweit bekannt geworden. Wie kein anderer ist er gerade hierzulande als Interviewpartner gefragt, wenn es darum geht, den Deutschen zu erläutern, wie die Griechen ticken. Nur folgerichtig, dass der Diogenes Verlag die deutschsprachige Veröffentlichung dieses allerersten Romans überhaupt zur Krise auf Anfang Juli vorgezogen hat. Die Zeit, die deutsche Fassung höchstpersönlich gemeinsam mit der sorgsamen Übersetzerin Michaela Prinzinger durchzusehen, hat der Autor sich dennoch genommen. Faule Kredite ist erst der Auftakt. Wie Markaris in mehreren Interviews ankündigte, arbeitet er an einer Trilogie der Krise, welche diese als Alltagsphänomen betrachtet wissen will. Da passt es gut, dass bereits in Teil eins das Renteneintrittsalter für hellenische Polizisten um fünf Jahre heraufgesetzt wurde. Nun hat er also noch genug Zeit, der Brunetti Griechenlands, für die Herkules-Aufgabe, die Krise zu beschreiben und zu reflektieren.

Der Roman ist im Präsens geschrieben. Somit ist klar – an eine Reflexion wagt Markaris sich (noch) nicht. Vielmehr serviert er dem Leser eine kriminaltechnisch aufbereitete Bestandsaufnahme neugriechischer Befindlichkeiten. Markaris erzählt unaufgeregt lakonisch, ohne larmoyant zu sein. Mit einem leichten Augenzwinkern blickt er auf sein Land. Der Zeigefinger ist manchmal mahnend, aber immer charmant erhoben. Sein Resümee ist eher humorvoll satirisch als zynisch resigniert. „Ob Krise oder nicht, die Griechen konsumieren gerne im Voraus, leben gerne von Vorschüssen und Vorauszahlungen. Ein Kredit ist nichts als eine übliche Einnahmequelle.“

Die kriminelle Rahmenhandlung jedoch ist ihm eher Mittel zum Zweck. Die eigentliche Handlung ist streckenweise hölzern konstruiert, Ausflüge in die Halbwelten dopingverdächtiger Leistungssportler und illegaler Migranten erzeugen Längen und erschweren die Abrundung des Plots. Der entlarvte Drahtzieher erweist sich zum Schluß als – wer hätte das gedacht – moralisch bewegter Täter. Nur sein Motiv ist arg weit hergeholt. Nicht umsonst schickt er der Erläuterung seines Motivs den Zusatz „Ich will es Ihnen erklären, obwohl Sie mich möglicherweise nicht verstehen werden“ voraus. Gut verständlich aufbereitet hingegen die sorgfältig recherchierten wirtschafts- und finanzpolitischen Hintergründe.

Das letzte Wort im Roman hat Gattin Adriani: „Da kann die Troika sagen, was sie will. In Athen kann kann Dir Vitamin B das Leben retten“. Ja, so ist das wohl. Weiße Rosen waren gestern.

Petros Markaris: „Faule Kredite“. Diogenes Verlag, Zürich. 397 Seiten. € 22,90




Das wandernde Tagebuch

Wie man dazu kam, wer weiß das schon?

Im Nachhinein kann man viel behaupten,

tut es dann vielleicht auch,

weil es mit der Erinnerung nicht soweit her ist.

Kurze Erinnerung.

Kleine Festplatte, auch genannt Hirn.

Aber immer behaupten, man wüsste es.

Ach, Frau Koch-Mehrin, damals bei Plasberg.

Und was kam noch alles danach,

vom Davor ganz zu schweigen.

Koch-Mehrin, was für ein Name !

Plötzlich tauchte die auf.

Blond und langbeinig, kein Mutter-Typ wie U.v.d.L. –

hier gemeint der Mutter-Typ des neuen Jahrtausends,

also nicht: Mütter aller Länder vereingt euch! –

das ist längst Vergangenheit.

 

In der Vergangenheit sitzt auch Camus und ruht.

Der gute Albert.

Oh Tipasa.

„Hochzeit des Lichts“

Und dabei ist es so finster…

Eine erschreckende Dunkelheit herrscht in deutschen Talkshow-Studios.

Und nicht nur dort.

Die UNTHINK-TANKS und ihre Truppen, haben ganze Arbeit geleistet.

So wie Mütter andere geworden sind,

so hat sich auch die Kriegsführung verändert.

Nur Guido Knopp will es nicht wahrhaben. Der tapfere Guido.

Der scheint jeden Morgen in der Sowjetunion aufzuwachen.

Und was macht eigentlich Guido II ?

Darf der noch?

Nach all dieser politischen Dekadenz.

Es war schon schwer das Maß zu überschreiten,

aber Guido hat es geschafft.

Und andere auch, aber nicht so wie Guido.

Zauberlehrlinge, die sich als Zauberer ausgeben.

Blond und langweilig, wollte in den Forschungsausschuss der Europäischen Union.

Da wachte manche Schnarchnase auf, spät, aber immerhin.

Man konnte ja mal was sagen, es half zwar nicht unbedingt,

aber man war für ein paar Minuten wenigstens mal wach.

Selbst der eine oder andere deutsche Literat hegte kurz

den Gedanken, die Seichtgebiete zu verlassen,

verwarf ihn dann aber wieder,

als er auf seinen Gehaltsstreifen schaute.

Dafür reicht es und dafür reicht es nicht.

Das ist ein gängiger Abwägungsprozess,

ob im Sport, in der Literatur, in der Politik, im Journalismus –

ja selbst in der Küche spielen sich solche Prozesse ab.

Es ist frühmorgens und man wägt ab,

ob der Kaffee noch reicht…

Man denkt an Camus und Algerien.

Ach, Algerien. Da sind die Tassen kleiner.

Wenn man also das algerische Maß zugrunde legen würde,

dann reichte auch der Kaffee.

Demzufolge ging es auch um Maßeinheiten, aber nicht vor allem.

 

„Das Maß ist voll!“ – dieser Satz und seine Bedingungen,

sind andere geworden.

Auch wenn Guido Knopp jeden Morgen in der Sowjetunion aufwacht,

heißt das nicht, dass Griechenland, Portugal und Spanien nicht

existieren Und wenn Frau Koch-Mehrin ihre Rechentheorien

so hart, aber nicht fair – in die Kameras verteidigt und vereidigt,

heißt es eben noch längst nicht,

dass das so ist.

Aber es wird durchgewunken.

Lange Zeit wird es durchgewunken.

Gleis frei für den ICE Guido, Gleis frei für den

Europa-Express Blondi.

Die Bediensteten des deutschen Journalismus stehen am Bahnsteig und staunen.

Manchmal sind sie auch ratlos.

Aber dann rauscht wieder so ein ICE an ihnen vorbei

und er ist schon weg, bevor sie ihr Laptop ausgepackt haben.




Kleine Fluchten mit Faltboot

Zusammengelegt passt das Faltboot in einen mittelgroßen Rucksack. Mit ein wenig Geschick ist es in etwa 20 Minuten gebrauchsfertig montiert, der Rekord wurde bei einem Aufbau-Wettbewerb mit 6 Minuten gestoppt.

In den 1930er und den 1950er Jahren rief das Sportgerät wahre Massen-Bewegungen hervor. Es ermöglichte die „kleinen Fluchten“ an den damals noch kurzen Wochenenden – ein frühes Signal für die gerade erst als solche wahrgenommene und gestaltete Freizeit. Ohne diese Boote hätte sich auch das Campingwesen nicht so rasant entwickelt. Wenn man den ganzen Tag gepaddelt hatte, wollte man abends entlang der Wasserläufe übernachten. Also mussten Zelte und Zubehör mit ins Gepäck.

Das Herner Emschertal-Museum präsentiert jetzt im Schloss Strünkede Ausstellung rund um das populäre Wasserfahrzeug. Motto ist die einst im Werbespruch verwendete, treuherzige Aufforderung „Fahr fröhlich in die weite Welt…“ Es zeigt sich mal wieder: Man kann aus sämtlichen Gegenständen und Lebensbereichen eine Kulturgeschichte des Alltags gewinnen, so auch aus dem (Eschen)-Holzskelett mit Klappscharnieren und Stoffbespannung.

Experten wie der Sammler Markus Heise aus Willich bei Mönchengladbach, aus dessen einzigartiger Kollektion die kleine Herner Schau bestückt wurde, können stundenlang angeregt über die Materie reden. Auch Dr. Rainer Söntgen vom Mitverstalter Concultura GmbH (Bonn) kennt viele spannende Geschichten zum Thema. Ohne kundige Führung hat man leider nicht gar so viel von den Exponaten, zu denen z. B. zwölf historische Boote, ein umfangreiches Zelt-Ensemble der 30er Jahre, etliche alte Reklameprospekte und einschlägige Belletristik („Drei Mädel und ein Paddelboot“) gehören.

Erste Entwicklungsarbeiten waren zwar schon in England und Schottland geleistet worden, doch auf Dauer erwies sich das Faltboot vorwiegend als deutsche Angelegenheit (weshalb sich auch die Nazis der an sich harmlosen Begeisterung perfide bedienten). Engländer ruderten lieber, anstatt in Kajak oder Kanu zu paddeln, Holländer setzten die Segel, und Franzosen bevorzugten die „Kanadier“-Bootsform (großes Paddel taucht nur an einer Seite ein). Die Klassenfrage stellte sich auch: Faltboote sind – auch wegen der anfangs recht hohen Preise – vor allem eine Domäne bürgerlicher, akademischer Kreise gewesen. Arbeiter versuchten es gelegentlich mit der günstigen Marke Eigenbau.

Als eigentlicher Erfinder der zusammenklappbaren Boote gilt der Architekturstudent Alfred Heurich, der am 30. Mai 1905 mit einem Prototyp die Isar von Bad Tölz bis München befuhr. Er lernte kurz darauf den Rosenheimer Schneider Johann Klepper kennen, der bis dahin vor allem Skikleidung angefertigt hatte und nun half, die Boots-Idee marktreif zu machen. Beim Namen Klepper klingelt was: Klepper-Faltboote waren alsbald und sind bis heute die deutschen Branchenführer auf diesem Sektor.

Schon 1914 (kurz vor dem Ersten Weltkrieg) wurde der Deutsche Kanu-Verband gegründet. Der erste ganz große Aufschwung kam um 1920 im Zuge der Wandervogel-Bewegung. Auch FKK-Anhänger (siehe Illustration) ließen sich nicht lange bitten.

In den 30er Jahren gab es bis zu 65 deutsche Werften, die (auch) Faltboote fürs „Wasserwandern“ herstellten, heute sind noch ganze zwei übrig. Denn längst haben leichte Plastikboote die hölzernen Faltlinge verdrängt. Vor allem mit dem massenhaften Aufkommen der Privat-Pkws in den 60er Jahren schwand der Faltboot-Absatz, denn nun konnte man ja komplette Boote aufs Autodach schnallen oder im Hänger transportieren. Daraus kann man indirekt auch schließen, dass sich die Faltboote in der DDR ein wenig länger gehalten haben als im Westen.

Zwar kommt man in der Regel nur mit 6 bis 8 Stundenkilometern voran, doch können Faltboote durchaus für athletische Action und Abenteuer herhalten: Ein Schotte wagte sich bereits kurz nach 1900 mit einem Faltboot-Vorläufer auf die Ströme Euphrat und Tigris. Erfahrene oder auch tollkühne Paddler riskieren Ostsee-Touren, Überfahrten nach Helgoland, Überquerungen des Ärmelkanals, Atlantik-Trips oder Wildwasserfahrten auf reißenden Gebirgsbächen.

Schon der Rhein ist für Anfänger zu schwierig. Novizen sollten ihr Können deshalb erst einmal auf Kanälen erproben. Da gibt es gerade auch im Ruhrgebiet so manche taugliche Strecke. Die gemütlichere Variante der Kanufahrt wird auf dem Museumsfaltblatt „binsenbummelnd“ genannt. Man kann sich was drunter vorstellen.

Alles nur reine Nostalgie? Nicht unbedingt. In letzter Zeit zeichnet sich sogar – etwas hochtrabend gesagt – eine „Renaissance“ ab, die sich ökologisch begründen ließe, aber auch mit weltweiter Mobilität zu tun hat. Man kann solche Boote nämlich per Rucksack auf Fernreisen mitnehmen und dann etwa in Kanada, Alaska oder auch Asien zu Wasser lassen.

Auch die Eskimos haben gehörigen Anteil an diesem Bootswesen. Zum einen stammt das Wort Kajak nicht von ungefähr aus ihrer Sprache, zum anderen gibt es jene furiose „Eskimo-Rolle“ (seitwärts kopfüber kentern und auf der anderen Seite wieder hochkommen), die man vielleicht trainiert haben sollte, bevor man sich auf heiklere Strecken traut.

Das vorgeschriebene Mindestalter für (allein paddelnde) Kanuten ist übrigens 14 Jahre. Und noch eine Bestimmung: Jedes Boot muss einen deutlich sichtbaren Namen haben. Besagte Firma Klepper lieferte zeitweise sogar Sekt in Piccolo-Fläschchen zur Bootstaufe gleich mit dazu.

„Fahr fröhlich in die weite Welt…“ Zur Geschichte des Faltboots. Ausstellung des Emschertal-Museums Herne im Schloss Strünkede (Karl-Brandt-Weg 5). Bis zum 4. Oktober 2009. Geöffnet Di-Fr 10-13 und 14-17 Uhr, Sa 14-17 Uhr, So 11-17 Uhr. Eintritt: Erwachsene 1 Euro, Kinder 0,50 Euro. Tel. Museum 02323/16-1072.




„Payback“: Das Leben besteht aus Schuld und Schulden – Margaret Atwood denkt über Tage der Abrechnung nach

Auf den ersten Blick scheint es ein Buch der Stunde zu sein. Unter dem Titel „Payback” (Rückzahlung) befasst sich die weltweit prominente kanadische Autorin Margaret Atwood mit Krediten, Zinswucher, Schuldnern und Gläubigern. Erste Ausläufer der jetzigen Wirtschaftskrise spielen schon mit hinein.

Doch Atwood bedient offenkundig keine kurzatmige Aktualität, sondern bereitet ihr Thema gründlich auf. Sie beginnt nicht etwa erst bei Adam und Eva, sondern setzt viel früher an: in den unvordenklichen Urzeiten der Evolution, in denen unser genetisches Erbe entstanden ist.

Daraus erwächst eine Kernthese. Die Idee eines gerechten Gleichgewichts zwischen Schuld(en) und Abzahlung sei tief in uns eingesenkt, sie habe sich – in wechselnden Formen – durch alle Epochen und Kulturen erhalten. Sprich: Wir ernten irgendwann, was wir gesät haben, jedes Soll und Haben wird im „großen Buch” verzeichnet und eines Tages abgerechnet.

Lektionen reichen
von der Urzeit
bis zur Börsenkrise

Atwood durchpflügt ganze Bereiche der Weltgeschichte, um praktisch immer und überall auf „Schulden” jeder Sorte als treibende Kraft zu stoßen; ganz so, als ließe sich die Welt aus diesem einzigen Beweggrund heraus erklären. Eigentlich keinWunder, denn natürlich findet Atwood überall das, was sie so innig gesucht hat. Immerhin hat sie einige sarkastische, lakonisch schnoddrige Wendungen parat („Raub und Plünderung sind ja schön und gut, aber . . .”), die mit gelegentlich angestrengter Lehrhaftigkeit versöhnen.

Da wird beispielsweise der tiefere Zusammenhang zwischen Geldschulden und Sündenschuld erwogen. Auch kommen Schuldknechtschaft, altertümliche Figuren wie der „Sündenesser” (der eine Schuld für eine Gegenleistung tilgt), Opfer und Blutrache in den weitschweifigen Blick. Ein Fazit: Im Leben bleibt man fast immer etwas schuldig.

Der Faustische Pakt mit dem Teufel (auch da droht der Tag der Abrechnung) wird ebenso ausgiebig erläutert wie die Dickens-Figur des kaltherzigen Geizhalses Ebenezer Scrooge, der zur Weihnachtszeit geläutert wird und mit seinen angehäuften Reichtümern fortan nur noch Gutes bewirkt. Auch Shakespeares Schulden-Klassiker „Der Kaufmann von Venedig” wird traktiert. Atwood buchstabiert all diese Fundstellen bisweilen etwas langwierig.

Immerhin: Man lernt dazu, man lernt nicht aus, auch gibt es manchen Geistesblitz. Doch auf Dauer kommen einem die Lektionen doch etwas umständlich vor. Auch das heutige, sich nüchtern gebende Wirtschaftsleben, so ahnt man jedenfalls, ist im Grunde von alten Mythen durchwirkt. Doch manches, was Atwood auftischt, wirkt wie aus dem Hut gezaubert.

Die Schrift, so erfahren wir, sei vor allem erfunden worden, um Schulden zu notieren, nicht etwa für poetische Ergießungen. Keine große Überraschung. Ein paar Seiten später sind wir plötzlich wieder bei weit überzogenen Kreditlinien und der in dieser Hinsicht bis dato so laxen US-Mentalität. So rollt das Ganze etwas ziellos vor sich hin.

Man hegt Hoffnung, dass am Ende eine literarisch unterfütterte Schulden-Theorie mit Nutzanwendung in der heutigen Krise stehen möge. Doch diese Hoffnung wird einigermaßen enttäuscht. Statt dessen wird der geizige Scrooge auf heutige GmbH-Verhältnisse getrimmt und (wie das Original) von Geistwesen auf lehrreiche Zeitreise mitgenommen. Doch hier soll er im finalen, globalen Schnelldurchgang sinngemäß lernen, dass man Geld nicht essen kann und dass wir die Erde von unseren Kindern nur geborgt haben. Klingt ausgelutscht? Wohl wahr! Tatsächlich läuft hier schließlich alles auf herzlich gut gemeinte Öko-Appelle hinaus. Nun ja.

Warum für diese Zeigefinger-Prosa gleich fünf (!) Übersetzerinnen ‚ran mussten, ist unerfindlich. War es etwa eine Gruppenübung im Rahmen eines Förderprogramms?

Margaret Atwood: „Payback. Schulden und die Schattenseiten des Wohlstands.” Berlin Verlag. 265 S., 18 €.




Wenn uns die Gier beim Kragen packt – über ein menschliches Grundgefühl

Von Bernd Berke

Ja, darüber kann man sich von Herzen moralisch empören: Wie schrecklich gierig sind doch jene Menschen, die viele Millionen auf dem Konto haben und dann auch noch Steuern hinterziehen! Oder Leute, die an der Börse zocken, bis nichts mehr geht. Anlässe zur Entrüstung gab’s jüngst genug. Aber ist man selbst frei von solchen Regungen?

Wohl kaum. Die Gier ist zwar mit einiger Mühe halbwegs beherrschbar, doch gehört sie zur menschlichen Grundausstattung. Erst wenn wir Lust- und Glückshormone wie das Dopamin abgeschafft hätten, wäre vielleicht auch die Gier verschwunden. Bei allem furchtsamen Respekt vor der Gentechnik: Damit ist auf mittlere Sicht denn doch nicht zu rechnen.

Geiz und Neid sind nur die Spiegelbilder

Unsere Wirtschaft und das Profitstreben, auf dem sie basiert. sind nicht allein rational zu erklären. In Banken- und Börsenkrisen ahnen wir, wie sehr das ganze Metier von Stimmungen, Mutmaßungen (eben: Spekulationen) und schwankenden Gefühlen abhängt. Wahrlich keine, verlässliche, logische Mechanik.

Wenn uns die Gier beim Kragen packt, so tritt noch ein Effekt ein, der an die sprichwörtlichen Lemminge erinnert. Viele tun irgendwann mit, wenn eine anschwellende Masse etwas vormacht; schon aus Angst, eine Gewinnchance zu verpassen. Auch da ist’s wie im Sprichwort: Den Letzten beißen die Hunde. Doch der hat dann hoffentlich wenigstens etwas fürs weitere Leben gelernt.

Ohne Habgier würde ja der ganze Kapitalismus nicht funktionieren. Wenn keiner mehr (und immer noch mehr) haben wollte als die anderen, so würde der Antrieb zu Geschäften aller Art fehlen. Die Gier besiegt auch die Angst vor etwaigen Risiken.

Maßlosigkeit gehört wesentlich dazu. Man kriegt den Hals nicht voll. Es ist wie beim steinreichen Enterich Dagobert Duck, der bekanntlich in Geld und Gold badet. Die Schatzkammern können nie groß genug sein. Und wehe, es fehlt ein einziger Taler.

Wer ängstlich seinen Besitz hortet, verhält sich nur spiegelbildlich. Beim Geiz ist gleichfalls Habgier der Antrieb – wenn auch in defensiver Spielart. Doch die „Geiz-ist-geil“-Phase, so hämmert man uns weiblich ein, sei sowieso vorüber. Im Zeichen des (schon brüchigen?) Aufschwungs darf und soll wieder gescheffelt und geprasst werden. Keine Zeit für Askese oder fürs „Maßhalten“, wie es einst der Altkanzler Ludwig Erhard empfahl. Statt dessen heißt es wieder: „Ich will alles – und zwar jetzt.“

Die katholische Kirch rechnet die Habgier (Lateinisch: avaritia) zu den berühmten „Sieben Todsünden“ – ebenso wie den Neid. Ein beliebtes, weil schauriges Thema in der Kunst. Nicht nur Hieronymus Bosch und Otto Dix haben sich drastisch und orgiastisch ausgemalt, wie der teuflische Sündenpfuhl wohl ausschauen mag.

Die Gier kann sich, weil sie zu Sucht und Exzess tendiert, wahl- und zügellos auf schier alles richten. Gier nach Geld ist beileibe nicht die einzige Form. Man denke nur an die rauschhafte Gier nach Sex oder Drogen. Eine solche Aufzählung könnte schier endlos geraten. Auch hier ist wohl die Biochemie der Hormone am Werk. Sie gibt keine Ruhe. Gier ist ein großes Lebensthema, das alle betrifft. Und Natürlich hat sie auch zutiefst mit unserer Sterblichkeit zu tun. Lebten wir ewig, müssten uns nicht ständig einbilden, etwas Unwiederholbares zu yersäumen und ein für allemal „zu kurz“ zu kommen.

 

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HINTERGRUND

Auch für Künstler ein Thema

  • Die sieben Todsünden nach dem Verständnis der katholischen Kirche:
  • Stolz, Neid, Zorn, Faulheit, Geiz, Gier und Wollust.
  • Das Thema hat immer wieder Künstler inspiriert. Das Spektrum reicht von Bert Brechts „Die sieben Todsünden der Kleinbürger“ bis zum Song der Simple Minds:„Seven Deadly Sins“.
  • „Gier“ ist ein häufiger Titel von Kunstwerken. Zu nennen sind etwa Erich von Stroheims monumentaler Film „Gier“ (Greed) von 1924, Gabriele Wohmanns Erzählsammlung „Habgier“ oder der Roman „Gier“ von Elfriede Jelinek.
  • Neueres Sachbuch: Hans Leyendecker „Die große Gier“ (Rowohlt, 299 S., 19,90 €).



Was darf uns die Kultur denn kosten? – Debatte um die Finanzen der Kulturhauptstadt

Alter Streit, der sich immer mal wieder entzündet: Wieviel Geld sollen „wir” für Kultur ausgeben? Genügt das, was die öffentliche Hand bezahlt – oder sollten Bürger, die es sich leisten können, freiwillig etwas drauflegen? Derzeit rankt sich die Debatte um die Finanzen der Kulturhauptstadt Ruhr 2010.

Als neulich in Düsseldorf die Förderbescheide des Landes NRW fürs „Dortmunder U” (Ex-Brauereiturm, künftig Museum und Zentrum der Kreativwirtschaft) überreicht wurden, gab’s neben aller Freude auch viele kritische Stimmen, so etwa im Internetportal http://www.derwesten.de/. Grundzug so mancher Äußerungen: Lieber Straßenbau, Schulen, Kindergärten und Schwimmbäder finanzieren – oder Hartz IV aufstocken . . .

„Hände weg
von meiner
Geldbörse!”

Gegen solch dringlichen Alltagsbedarf befindet sich Kultur seit jeher in der Defensive. Stets muss sie ihre finanziellen Ansprüche gut begründen und legitimieren, was ja völlig in Ordnung ist. Doch etliche Politiker sind auf diesem Ohr fast gänzlich taub. Denn massenhaft Wählerstimmen kann man mit den schönen Künsten nicht einheimsen. Eine kurzsichtige Art der Betrachtung.

Und so erntete denn auch Essens Stadtkämmerer Marius Nieland beileibe nicht nur Beifall, als er kürzlich vorschlug, jeder Bewohner des Reviers möge aus freien Stücken je einen Euro für die Kulturhauptstadt Ruhr spenden, deren Kassen bislang eher spärlich gefüllt sind. Die Reaktionen glichen im Großen und Ganzen jenen aufs „Dortmunder U”. Motto: Hände weg von meiner Geldbörse! Ja, es ist eine schwierige Gemengelage.

Nielands Idee ist ja an und für sich sympathisch, sie könnte Phantasien beflügeln. Aber ist sie nicht auch ein Blütentraum? Selbst Amtskollegen aus anderen Revierstädten bleiben skeptisch. Wie, bitte, soll das funktionieren? Per Überweisung? Mit Sammelbüchse an der Haustür? Mit Sparschweinen, die in den Rathäusern aufgestellt werden? Und: Ein Euro ist „gefühlt” nicht gleich ein Euro. Manche nehmen ihn aus der Portokasse, andere müssen ihn sich absparen.

Zudem kalkuliert Nieland ohne weiteres mit 5,4 Millionen Bewohnern (bzw. Euro) – vom Neugeborenen bis zur Hundertjährigen; von „kulturferneren” Menschen gar nicht zu reden. Größere Familien würden demnach rein rechnerisch mehr berappen, denn pro Kopf wäre ja ein Euro fällig. Wäre das gerecht?

Schnellere und stärkere Wirkung ließe sich erzielen, wenn sich mehr potente Sponsoren aus der Wirtschaft fänden. Fritz Pleitgen und Oliver Scheytt, die Geschäftsführer der Ruhr 2010 GmbH, arbeiten daran. Man kann ihnen nur Erfolg wünschen.

Mit Steuern und Abgaben finanzieren die Bürger ohnehin schon die Kulturhaushalte. Freilich: Die gesamten Kulturausgaben von Bund, Ländern und Gemeinden machen nicht einmal 0,4 Prozent des Bruttoinlandsproduktes aus – rund 8 Milliarden Euro stehen jährlich zu Buche. Man darf schon fragen, ob dies für eine Kulturnation nicht beschämend geringe Werte sind.

Doch auch da gibt’s wieder Gegenpositionen, die sich untermauern lassen: Es gibt wohl kein anderes Land auf Erden, das eine so dichte kulturelle Infrastruktur hat wie Deutschland. Ungefähr jedes siebte Opernhaus weltweit steht bei uns. Kulturschaffende haben sich vielfach an namhafte Subventionen gewöhnt. Jede Kürzungsabsicht zieht daher einen Aufschrei („Kahlschlag!”) nach sich.

An dieser Stelle folgt in Debatten rasch der Ausruf: Und das alles für eine betuchte Minderheit? Nun, das wäre zu engstirnig gedacht. Man stelle sich die Städte ohne Theater, Opern, Museen und Bibliotheken vor. Es wären öde Kommerz-Wüsten. Ausgaben für Kultur erweisen sich in aller Regel als sinnvolle Investitionen. Viele Euros fließen in die Städte und Gemeinden zurück. Es kommen mehr Touristen und Tagesgäste, die Geld ausgeben – nicht nur an der Theaterkasse. Und schließlich konkurrieren Betriebe und Behörden in allen Städten um gut ausgebildete, qualifizierte Mitarbeiter. Viele von ihnen lassen sich vor allem durch kulturelle Angebotsfülle locken.

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INFO:

  • Die derzeitige Finanzlage der Kulturhauptstadt Ruhrgebiet 2010:
  • Insgesamt stehen jetzt rund 52 Millionen Euro zur Verfügung. Das Geld kommt aus folgenden Quellen:
  • Der Regionalverband Ruhr (RVR) steuert 12 Millionen Euro bei.
  • Vom Land Nordrhein-Westfalen kommen 12 Millionen Euro.
  • Der Bund schießt 12 Millionen Euro zu.
  • Die Stadt Essen ist mit 6 Millionen Euro dabei.
  • Die Europäische Union (EU) stellt 1,5 Millionen Euro bereit.
  • Private Sponsorenmittel (bisher zugesagt): 8,5 Millionen Euro.
  • Was können die einzelnen Städte beitragen? Vor allem die Revier-Gemeinden, die unter Sparzwängen stehen, könnten eine Aufstockung ihrer Eigenmittel bestens gebrauchen.



Die „Neuen Wilden“ von Familie Berg

Bochum. So umfangreich haben die Sammler ihre eigenen Schätze noch nie beisammen gesehen: Die Eheleute Christine und Hans Berg füllen mit Teilen ihrer beachtlichen Kunst-Kollektion jetzt alle Etagen des Bochumer Museums.

Die Bergs hatten früher in Herne ein Familien-Unternehmen, das Röhren für Pipelines fabrizierte. In diesem Betrieb stellten sie alsbald Kunst aus – was vor über 30 Jahren noch nicht gang und gäbe war. Als die Firma im Mannesmann-Konzern (bzw. „Europipe“) aufging, zogen sie sich allmählich aus den Tagesgeschäften zurück. Heute leben sie komfortabel in der Schweiz (Luzern) und Italien.

Nicht so sehr mit kunsthistorischer Beratung haben sie ihre Sammlung aufgebaut, sondern eher spontan, persönlichen Vorlieben folgend – und fast immer einvernehmlich. Spekulationen auf steigende Werte hätten dabei keine Rolle gespielt, versichert Hans Berg. Er nennt einen anderen Beweggrund: „Ich habe eine Gegenwelt zur Wirtschaft gesucht.“ Eine Sphäre jenseits der Sachzwänge also.

Und tatsächlich: Nach den ersten Erwerbungen fingen die Bergs bald Feuer und knüpften Kontakte zu Künstlern – vor allem zu jenen, die in den frühen 80er Jahren im Umkreis der so genannten „Neuen Wilden“ die Szene beherrschten. Man irrte irgendwo in zeitgeschichtlichen Untiefen zwischen dem bleiernen deutschen Terrorherbst und den Vorboten der deutschen Vereinigung umher. Die Atmosphäre: Etliche Nachtseiten mit dem einen oder anderen (Neon)-Licht-schein. Und viel Archaisches, das in die Gegenwart ragte.

Inzwischen ist es weitaus stiller um K. H. Hödicke, Helmut Middendorf oder den gebürtigen Dortmunder Norbert Tadeusz geworden, so dass die Bochumer Präsentation einer Wieder-Entdeckung gleichkommt. Besonders eine Raumfolge mit Großformaten beschert diesen Malern einen grandiosen Auftritt – mit so exquisiten Bildern wie etwa Hödickes „Schrott“ (1976), einem geisterhaften Trio verrosteter Automobile. Middendorf s Berliner „Großstadteingeborene“ (1980) sind geradezu vollgesogen mit dem Zeitgeist von damals. Tadeusz‘ wüste Fleischbeschauen (egal, ob beim Metzger oder als Frauenakt) rücken dem Betrachter immer noch verstörend zuleibe. Den Kontakt zu Tadeusz bekam das Sammlerehepaar übrigens nach dessen Werkschau im Dortmunder Ostwall-Museum.

Auch Einzelstücke der klassischen Moderne (Nolde, Macke) und der informellen Nachkriegskunst (Emil Schumacher, Bernard Schultze) finden sich in der Auswahl. Hans Berg: „Wir hätten gern noch viel mehr gezeigt.“ Doch Bochums Museumschef Hans Günter Golinski hat ihn davon überzeugt, dass die Ausstellungsräume nicht „überladen“ werden dürften. In der Tat: Auch so gibt es reichlich zu sehen. Und vielleicht ist das Ganze ja fürs Bochumer Museum eine Option auf die Zukunft? Wer weiß.

Man kann in dieser Schau farblichen oder energetischen „Grundklängen“ nachspüren, die sich mitunter quer durch die Sammlung ziehen. Nur ein Beispiel: Es ist, als werde das magische Leuchten auf Noldes Bildern von Gotthard Graubners subtilen Farbkissen beantwortet. Bestimmt kein bloßer Zufall, denn: Wo mit Leidenschaft gesammelt wird, ergeben sich solche Zusammenhänge.

Deutsche Malerei aus der Sammlung Berg. Museum Bochum, Kortumstraße. Bis 6. Januar 2008. Geöffnet Di-So 10-17, Mi 10-20 Uhr. Eintritt 3 Euro, Katalog 20 Euro.

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  • Die Sammlung Berg umfasst rund 300 künstlerische Arbeiten. In der Ausstellung im Museum Bochum sind davon rund 130 zu sehen.
  • Auch persönliche Erinnerungen verbinden sich mit den Werken. Bei vielen Bildern haben die Sammler den Entstehungsprozess beobachten können.
  • In einem zerklüfteten „Saurier“-Bild von Bernard Schultze versteckten die Kinder gar einst Ostereier – nahezu unauffindbar. Das robuste Werk nahm dabei keinen Schaden.
  • Der Maler Bernd Finkeldei hat 1995 gleich die ganze Familie Berg nach fotorealistischer Manier großformatig verewigt.
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(Der Artikel stand am 13. Dezember 2007 in der „Westfälischen Rundschau“)




Wo Kummer sich auf Nummer reimt

Poesie auf Straßen und Autobahnen? Das muss wohl ein Irrtum sein, denkt man spontan. Doch dann besinnt man sich: Es sind einem – auf Lkw und Lieferwagen – unterwegs doch schon manche muntere Sprüche begegnet. Oder etwa nicht?

Wenn man zu heftig danach Ausschau hält, wird es freilich nichts. Umweltschützer, bitte weghören: Auf der Suche nach poetischen, möglichst sogar gereimten Lkw-Botschaften bin ich eigens von Dortmund nach Arnsberg und Schwerte gefahren – mit recht magerer Ausbeute. Man muss sich eben Zeit lassen und Sätze sammeln. Es könnte ja auch ein (Familien)-Spiel zum Zeitvertreib werden.

Welche Texte sieht man also auf der Autobahn? Nun, allerhand Wegweiser natürlich – und die Nummernschilder der Autos, deren Anspielungsreichtum oft vergnüglich ist – beispielsweise im österlichen Stau. Nicht alle sind ja so simpel wie DO-SE, HA-SE, OE-SE oder EN-DE.

Hier aber geht es vor allem um die Aufschriften der Lastkraftwagen, die für Abwechslung auf langen Strecken sorgen könnten. Beim Feldversuch drängt sich allerdings der Eindruck auf, dass die Tendenz zur Ernüchterung geht: Mindestens jedes dritte Lastfahrzeug, so scheint’s, führt etwas mit „Logistik” im Schilde – gern auch in coolen Verbindungen wie „intelligent logistics”, „logistic solutions worldwide” oder „temperature controlled logistics”.

Auch sonst häufen sich die Anzeichen der Globalisierung – mit ziemlich sinnfreien Prägungen wie „Innovation in motion” oder „Because we care”. Die Fahrzeuge der Filialketten sorgen für noch mehr verbalen Einheitsbrei.

Das Gros der Aufschriften ist nur sachlich: Firmenname, Branche, Internet-Adresse, Telefonnummer. Das war’s meist schon. Wo bleibt da die Vorstellungskraft? Mit lauen Sprüchen wie „Erfolgreich Hand in Hand” ist ihr kaum aufzuhelfen.
Angesichts solcher Ödnis schmunzelt man bereits, wenn eine Firma, die „Kater Planen” heißt, mit einer aufgemalten Katze wirbt. Vom Tierlaster herab grüßen glücklich lachende Comic-Schweine. Wenn man bedenkt, dass die Tour wohl geradewegs zum Schlachthof geht . . .

Von der bildenden Kunst zurück zur Literatur. Beliebt sind offenbar bescheidene Sprachspiele mit Mehrdeutigkeiten wie „Alles läuft gut” (für Mineralöl), „Der gute Ton beim Bauen” (das Material klingt freundlich mit an) oder „Carolinen – Aus gutem Grund” (die tiefe Mineral-Quelle ist eben mitgemeint).
Dann gibt’s noch die prolligen Klassiker wie diesen Lkw-Slogan: „Damen, aufgepasst: Meiner ist 18 Meter lang”. Just bei solchen Fahrzeugen prangt häufig noch das Namensschild „Manni” im vorderen Fenster. Tja, es geht doch nichts über richtig gut gepflegte Vorurteile.

Wir wollen keine Literaturtheorie daran knüpfen, aber: Auch die Abwesenheit von Text kann die Phantasie anregen. Denn was liefern eigentlich völlig unbeschriftete Lkw? Man darf rätseln und spinnen. Ebenso wie über die Worte etwa auf polnischen oder baltischen Wagen.

Mit Reimen aber haben die meisten gar nichts mehr am Hut. Früher erheiterten Slogans wie „Im Falle eine Falles / klebt Uhu wirklich alles” oder „Otto Mess / mit zwei ,s‘ / mit zwei ,o‘ / macht uns froh”. Dichter wie Peter Rühmkorf oder Robert Gernhardt haben später bewiesen, dass auch zeitnahe Lyrik Reime verträgt. Und Rolf Dieter Brinkmann hat einst mit dem „Gedicht auf einem Lieferwagen” das Genre literaturfähig gemacht. Warum also diese Nüchternheit? Kalauer frei: Dichter Nebel scheint schon der größte Dichter auf unseren Straßen zu sein. Hoho.

These: Reimschmiede jeder Güte toben sich fast nur noch auf den Lieferwagen der Handwerker aus – bevorzugt Elektriker, Installateure und TV-Reparaturfirmen. Die Verse, in denen sich „Kummer” auf „Nummer”, „fern” auf „gern” oder „verzagen” auf „fragen” reimt, sind poetisches Graubrot. Hübscher schon dies: „Ob groß, ob klein, ob steil oder flach / Mh-Mh (keine Schleichwerbung!) macht ihnen jedes Dach.” Oder: „Nur Döner macht schöner”. Und hier noch ein diamantenes Fundstück: „Zu Werner geh‘ ich gerner.”

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Sprüche im Internet:

Für Freunde der gereimten Werbelyrik gibt es eine Internet-Seite – auch mit vielen nostalgischen Sprüchen aus früheren Tagen: http://www.einzelhandelspoesie.de/
Offenbar authentische, mit Fundorten belegte Kostproben: „Beim Fußball ruft man freudig Tor! / Bei Fernsehsorgen ruft man Mohr!” Noch viel schöner: „Der Sommer naht – kauft Draht!”
Weiterer Internet-Tipp: www.ffhex.de/lkw.htm – dort werden allerlei Sprüche zum Thema Lkw gesammelt.




Die Klassik lockt mit Sex-Appeal – Während der CD-Absatz insgesamt schrumpft, wächst das Segment der E-Musik

Von Bernd Berke

Die Nachricht lässt aufhorchen: Während der CD-Absatz insgesamt seit Jahren rückläufig ist, ist der Markt für Klassikplatten zuletzt spürbar gewachsen. Woran könnte es liegen?

Die Deutschen haben 2006 rund 11 Millionen Klassik-Scheiben und damit 6 Prozent mehr gekauft als im Jahr zuvor. Der Absatz von Klassik-DVDs ist im selben Zeitraum sogar um 28 Prozentpunkte gestiegen. Auch der Klassik-Fan will seine Favoriten nicht nur hören, sondern sehen. Möglicherweise ist dies eine Nach- und Nebenwirkung der Videoclip-Kultur.

Peter Michalk, Sprecher des Bundesverbandes der Phonographischen Wirtschaft, mutmaßt: „Es gibt ja eine Renaissance der Bürgerlichkeit. Vielleicht hat der Trend zur Klassik damit zu tun.“ In diesem Zusammenhang erfahre offenbar der Musikunterricht für Kinder wieder höhere Wertschätzung. Denkbar sei also auch, dass manche Eltern Klassik-CDs erwerben, um sie ihrem Nachwuchs ans Herz zu legen.

Pop-Business prägt Konsumverhalten

Wir spekulieren mal mit: In den neuen Verkaufsziffern deutet sich wahrscheinlich an, dass das gesamte Publikum der Platten-Käufer im Schnitt etwas älter ist als früher. Klassikfans sind in der Regel gediegene Leute, die sich die meist nicht ganz billigen CDs leisten (können). Jedenfalls surfen sie wohl nur sehr selten durchs Internet, um dort Raubkopien ihrer Lieblingsmusik zu ziehen.

Andererseits ist auch diese etwas ältere Generation größtenteils mit Rock- und Popmusik aufgewachsen. Das prägt Hör-, Seh- und Konsumgewohnheiten. Da trifft es sich, dass die heutigen Klassik-Stars sich häufig wie Pop-Größen geben. Man muss hier gar nicht an wildere Vertreter wie etwa den Geiger Nigel Kennedy denken. Ein Mann wie der chinesische Pianist Lang Lang begreift sich ganz unverkrampft als Teil der weltweiten Pop-Kultur und viele andere ebenfalls. Mehr noch: Die strahlende Diva Anna Netrebko wird global glitzernd vermarktet – auf einem manchmal schmalen Grat zwischen zwischen seriöser Ausstrahlung und verhaltenem Sex-Appeal.

Auch hat sich hie .und da eine Hit- und Häppchen-Denkweise im Klassikbereich durchgesetzt. Gewisse „Format-Radios“ liefern unentwegt lediglich die „schönsten Stellen“ aus umfangreichen Werken. Nicht nur für puristische, konservative Hörer ist diese Praxis ein Graus, doch sie funktioniert im Sinne einer leichten Konsumierbarkeit.

Auch die HiFi-Technik spielt wohl eine Rolle

Wenn man sich die Plattenhüllen ansieht, ahnt man, wohin die Reise geht. Interpreten der klassischen Musik wirken längst nicht mehr so wirr-genialisch, weltenfern oder knorrig wie einst. Sie werden (mehr oder weniger dezent) erotisch in Szene gesetzt – in erster Linie natürlich die schönen Frauen der Zunft. Man denke nur an all die zierlichen Asiatinnen mit ihren schmucken Violinen. Aber auch so mancher Latin Lover spreizt sich da auf dem Cover. Imagepflege dieser Sorte ist fast schon inflationär.

Ähnliche Tendenzen zur glamourösen Oberfläche setzen sich im Literaturbetrieb gleichfalls durch. Gut aussehende Autor(inn)en haben am Markt erhöhte Chancen. Wenn sie überdies schreiben können, dürfte es in der Regel kein Hindernis sein…

Zurück zu den Klängen: Wer sich ernsthaft mit ambitionierter Rockmusik befasst, müsste sich über kurz oder lang ohnehin auch dem Jazz und der Klassik zuwenden. Hier finden sich eben die anderen Wege der Vollendung. Große, hinreißende Könner sind in all diesen Sparten zugange – um nicht gleich vollmundig von Genies zu reden.

Und noch eins kommt schließlich hinzu, nämlich die Segnungen der Technik. Wer sich eine bessere HiFi-Anlage gönnt, kommt an Klassik eigentlich gar nicht mehr vorbei. Denn die Dynamik guter Lautsprecher lässt sich mit einer Beethoven-Sinfonie ja noch mal ganz anders ausschöpfen als etwa mit den Beatles oder Beyoncé.

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HINTERGRUND

Zahl der Downloads steigt ständig

  • 2005 wurden in Deutschland insgesamt rund 124 Millionen CDs abgesetzt. Die Klassik oder so genannte „E-Musik“ hatte daran einen Anteil von immerhin rund 10 Prozent –  mit offenkundig steigender Tendenz.
  • Im ersten Halbjahr 2006 sank der gesamte Tonträger-Absatz um 3,4 Prozent. Im Vorjahreszeitraum war der Verkauf sogar um 10,1 Prozentpunkte gesunken.
  • Die abschließende Bilanz fürs Jahr 2006 wird erst Ende März vorliegen.
  • Unterdessen steigt die Zahl der Downloads im Internet Im ersten HalbJahr 2005 wurden 7.5 Millionen Einzeltracks legal heruntergeladen, im ersten Halbjahr 2006 rund 10,2 Millionen Titel.
  • Die Statistiken führt der Bundesverband der Phonographischen Wirtschaft.



„Der deutsche Buchmarkt ist mörderisch“ – Gespräch mit dem Dortmunder Krimi-Verleger Rutger Booß

Von Bernd Berke

Dortmund. Die Verteilungskämpfe im deutschen Buchhandel werden deutlich härter. Die WR sprach mit dem Dortmunder Verleger Rutger Booß („Grafit“-Krimis) über die aktuelle Situation.

Wenn jemand heute einen Buchverlag gründen wollte, würden sie zu- oder abraten?

Rutger Booß: Es wäre ein extrem hohes Risiko, weil schon alle Programm-Nischen besetzt sind. Es sei denn, man hätte eine ganz geniale Idee.

Gibt es weitere Risiken?

Booß: Wir haben generell einen gesättigten Buchmarkt, ein Überangebot bei tendenziell schrumpfender Leserzahl – Stichwort Bevölkerungsentwicklung. Die Titelproduktion müsste eigentlich reduziert werden, doch fast alle Verlage bringen Jahr für Jahr mehr heraus. Die Großverlage wollen damit vielfach nur Ausstellungsflächen in den Buchhandlungen besetzen. Um Inhalte geht es weniger. In dieser Titelflut verschwinden 75 Prozent aller Neuerscheinungen schon nach einem Monat aus den Auslagen. Das ist mörderisch.

Ohne Zugang zu den Ketten chancenlos

Es sind große Handelsketten entstanden – vor allem Thalia und DBH, die neue Fusion aus Weltbild und Hugendubel. Wie wirkt sich diese Konzentration aus?

Booß: Wenn ein Verlag keinen Zugang zu diesen Ketten findet, dann ist er verloren. Wir müssen bei Strafe unseres Untergangs bei Thalia präsent sein. Zum größten NRW-Anbieter, der Mayerschen Buchhandlung, haben wir traditionell ein gutes Verhältnis. MitDBH ist es etwas schwieriger. Haupteigentümer ist die katholische Kirche. Wesentliche Teile des deutschen Buchhandels werden mit DBH also letztlich von der Bischofskonferenz kontrolliert. Das könnte sich vielleicht einmal ungünstig auf kirchenkritische Publikationen auswirken. Immerhin hat „Weltbild“ jetzt doch – nach anfänglichen Bedenken – unseren Krimi „Eifel-Kreuz“ von Jacques Berndorf bestellt. Der Titel steht übrigens am kommenden Montag auf Platz vier der „Spiegel“ Bestsellerliste. Für uns bleibt es jedenfalls dabei: Wir machen Produkte mit unseren Autoren und für unsere Leser. Wir gehen nicht zu den Handelsketten und fragen: Welche Bücher hättet ihr gern, welche Themen laufen jetzt besonders gut? Dabei könnten nur „geklonte“ Bücher herauskommen, die sich an alte Erfolge anhängen.

Was muss ein Verlag tun, um bei den großen Handelsketten präsent zu sein?

Booß: Die Ketten verfolgen verschiedene Strategien Am konsequentesten ist Thalia, das zum Hagener Douglas-Konzern gehört. Wie in den Parfümerien, so in den Buchlungen: Ein Verlag mietet dort für einen bestimmten Zeitraum Präsentations-Tische. Die mildere Form läuft über „Werbekosten-Zuschüsse“: Der Verlag bucht Anzeigen im Magazin der Handelskette. Schlimmstenfalls kauft die Kette dafür gar keine Bücher ein. Dann wird die Kalkulation ganz schwierig.

Autorenmangel in Westfalen

Trauern Sie den kleinen Buchhandlungen nach?

Booß: Es gibt bereits viel zu wenige. Wenn eine Kette ein großes Haus eröffnet, dann sterben bald kleinere Läden. Die Zahl der Leser ist endlich, also läuft es auf eine Umverteilung hinaus. In Dortmund sind vor einigen Jahren noch sieben Buchhandlungen als „DO 7″ aufgetreten. Die letzte von diesen sieben war die Buchhandlung Krüger, die nun von der Mayerschen übernommen wird. Die Vielfalt in der sechstgrößten deutschen Stadt ist nicht mehr so, wie sie einmal war…

Wie schätzen Sie die literarische Szene der Region ein?

Booß: Man muss sagen, dass Dortmund für das Medium Buch und die Autorenförderung sehr viel tut – ganz im Gegensatz zu Essen. Die Lesungen bei der Stadt- und Landesbibliothek oder im Harenberg-Center sind wichtig. Auch die Arbeit des Westfälischen Literaturbüros in Unna ist beachtlich. Trotzdem leben in Westfalen nur ganz wenige Autoren mit bundesweiter Geltung. Gut wäre es, auch im Hinblick auf die Kulturhauptstadt 2010, ein regionales Literaturhaus zu gründen. Gefragt wäre ein starker Sponsor, aber wo gibt es den? Den Autorenmangel bemerken wir bei „Grafit“ auch. Wir kriegen kaum veröffentlichungswürdige Manuskripte. Aus Dortmund und Umgebung kommt fast nichts.

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HINTERGRUND

Trendsetter bei den Regionalkrimis

  • Rutger Booß wurde am 17. März 1944 in Riga (Lettland) geboren.
  • Nach dem Studium (Germanistik, Geschichte) ging er zunächst in den Schuldienst.
  • Seit 1974 ist er in der Verlagsbranche tätig.
  • 1989 gründete er den Grafit Verlag in Dortmund (Umsatz 2004: 2,46 Mio. Euro). Programmschwerpunkt sind regional verankerte Krimis – ein längst gefestigter Trend, bei dem Grafit einst eine Vorreiterrolle spielte.
  • Stammautoren sind u. a. Jacques Berndorf, Jürgen Kehrer, Leo P. Ard und Reinhard Junge.
  • Die neu geschmiedete Handelskette DBH (Fusion aus Hugendubel, Weltbild etc.) ist Marktführer mit rund 450 Filialen und 672 Millionen Euro Jahresumsatz.



Im Dschungel der Musik-Gebühren – GEMA-Niederlassung in Dortmund ist für ganz NRW zuständig

Von Bernd Berke

Dortmund. Wenn die GEMA zweimal klingelt, gibt’s manchmal Ärger. Denn dann werden meist Gebühren fällig. Ganz egal, ob Live-Band, gekaufte und gebrannte CDs oder MP3-Datei via Internet: Wer öffentlich Musik abspielt, muss mit der GEMA rechnen.

Diese Gesellschaft (siehe Infos am Schluss) zieht Urheberrechts-Gebühren im Namen von Komponisten, Textern und Musikverlegern ein. Die Dortmunder GEMA-Geschäftsstelle mit über 100 Mitarbeitern ist für ganz NRW zuständig. Was tut sich hier?

Bezirksdirektor in Dortmund ist Erich Wulff, der zuvor in der Geschäftsleitung einer Brauerei tätig war. Die Kundschaft blieb teilweise gleich: Früher hat Wulff den Gaststätten Bier liefern lassen, heute lässt er von rund 40 Außendienstlern prüfen, welche Musik dort gespielt wird.

Manchmal gibt es Reibereien

Die GEMA ist ungefähr so beliebt wie die Gebühreneinzugszentrale (GEZ). Jüngst gab es beispielsweise Reibereien mit dem Dortmunder Kulturbüro, weil die GEMA bei der Berechnung stets von ausverkauften Sälen ausgeht. Kommen weniger Besucher, so stehen – je nach Aufwand – zuweilen Verluste an. Mögliehe Folge: Veranstalter könnten künftig ambitionierte Programme scheuen.

Gelegentlich kommen bei Streitfällen auch die Juristen ins Spiel, manche Sache geht bis vor Gericht. Wulff bevorzugt allerdings die sanftere Gangart: „Weg von der bloßen Kontrolle, hin zur Beratung.“ Die meisten Klienten seien ja auch einsichtig…

86 verschiedene Tarife

Nicht weniger als 86 (!) verschiedene Tarife werden von der GEMA berechnet. Ein wahrer Dschungel. Das Spektrum reicht vom privaten Fest in der Kneipe bis zum Stadion-Auftritt der Rolling Stones. Auch musikalische „Warteschleifen“ am Telefon sind für den Betreiber kostenpflichtig. Und, und, und.

Die GEMA-Leute kennen örtliche Veranstaltungskalender genau. Wichtiges Bezahl-Kriterium (neben der bespielten Fläche) ist der Nutzen, den jemand aus seiner Veranstaltung zieht: Wenn einer Geschäftsfreunde einlädt und dazu Musik erklingt, fallen in der Regel Gebühren an. Wenn jemand sehr viele Gäste „beschallt“ oder Eintritt verlangt, gilt dies erst recht.

Mit zahlreichen Tanzschulen, Restaurants, Supermärkten oder Kaufhäusern (säuselnde Hintergrundmusik) hat die GEMA Pauschalverträge abgeschlossen, da wird nicht mehr auf jeden Song geachtet. In etlichen Discos werden nach dem Zufallsprinzip (das angeblich nicht manipuliert werden kann) Programme mitgeschnitten. Welcher Hit erklingt wie oft? Der ermittelte Mix dient dann als Berechnungsbasis für rund 3500 erfasste Tanzflächen in Deutschland.

Für Mozart muss man nichts bezahlen

„Für Mozart muss man nichts bezahlen“, stellt Erich Wulff klar. Das Urheberrecht erlischt 70 Jahre nach dem Tod eines Komponisten. Wenn man allerdings eine moderne Mozart-Bearbeitung verwendet, sieht die Sache schon wieder anders aus.

Akute Sorgen bereitet der GEMA das geplante neue Urheberrecht, das die Existenz mancher Tonschöpfer gefährden könne. Der Entwurf zur Kopier-Abgabe (z. B. für DVD- Brenner oder DVD-Recorder sei industriefreundlich und urheberfeindlich, findet die GEMA. Hier will man den Bund noch mit Lobbyarbeit zur Umkehr bewegen.

Komplizierte Ideen aus Brüssel

Außerdem droht ein Konflikt mit der EU. Brüssels Hüter des freien Wettbewerbs wollen erreichen, dass sich jede Verwertungsgesellschaft (wie etwa die GEMA) auch in allen anderen Mitgliedsländern entfalten kann. Wulff: „Das gäbe ein heilloses Durcheinander in Europa.“

Apropos internationale Beziehungen. Bizarres Beispiel: Sollten in Nordkorea deutsche Schlager gespielt werden, könnte man den Obolus schwerlich eintreiben. Immerhin aber kooperiert die GEMA mit ähnlichen Organisationen in über 60 Ländern. Alle, die im globalen Musikmarkt eine größere Rolle spielen, sind dabei – auch China.

Gar so weit reichen die Dortmunder Kompetenzen meist nicht. Wulffs Stellvertreterin Barbara Gröger: „Wir sind hier im relativ ruhigen Fahrwasser.“ Um neue Techniken (Podcasting, Handy-Klingeltöne), kümmert sich die in Berlin und München ansässige Bundeszentrale.

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HINTERGRUND

852 Mio. Euro eingenommen

  • Die GEMA heißt im Volltext „Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte“.
  • Sie macht keine Gewinne. sondern schüttet die Einnahmen nach Abzug der Verwaltungskosten an rund 60 000 Mitglieder (Komponisten, Texter, Musikverleger) aus – nach ausgeklügelten Verteilungsschlüsseln.
  • Die Gesamterträge lagen im Jahr 2005 bei 852 Mio. Euro, verteilt wurden 731,9 Mio. Euro.
  • Die GEMA steht unter Aufsicht des Deutschen Patentamtes und des Bundeskartellamtes.
  • Die Gründung geht zurück aufs Jahr 1903. Treibende Kraft war damals der Komponist Richard Strauss.
  • GEMA-Bezirksdirektion in Dortmund: Südwall 17-19, Tel.: 0231/577 01-0.

 




Was ist uns die Kultur noch wert? – eine dringliche Frage anlässlich der finanziellen Streitfälle in Dortmund und Hagen

Von Bernd Berke

Man stelle sich vor: Es ist kurz nach 20 Uhr, die Geschäfte haben nun allesamt geschlossen. Wer sorgt dafür, dass die Bürgersteige nicht gleich ganz „hochgeklappt“ werden, dass die Stadt nicht menschenleer und öde daliegt?

Gewiss: Gaststätten, Discos und wohl auch manches schummrige Etablissement. Nun ja. Doch vor allem Opern, Sprechtheater, Kinos, Konzerte oder Lesungen bringen lebhaften abendlichen Betrieb mit sich – und Museen, sofern sie gelegentlich Öffnungszeiten zu späterer Stunde anbieten, wie in echten Metropolen üblich.

In der seit Jahren laufenden Kosten-Debatte. die sich angesichts kommunaler Haushaltsnöte zuspitzt, drängt sich die Frage auf: Wozu brauchen wir Kultur, warum sollten wir sie uns auch „in Zeiten knapper Kassen“ (so die gängige Formel) leisten? Ein Thema mit vielen Aspekten und Emotionen.

Zwei gewichtige Streitfälle in unserer Region erhitzen die Gemüter und füllen Leserbriefspalten: Das Dortmunder Konzerthaus macht abermals erhöhten Zuschussbedarf geltend (morgen Thema im Stadtrat), und das für Hagen geplante Emil Schumacher-Museum droht(e) an Finanzfragen zu scheitern.

Damit die Städte lebendig bleiben

In beiden Städten spielen zwar auch politische und menschliche Klimafragen ihre Rolle doch letztlich geht’s ums Geld. Manche, die schnell fertig sind mit dem Wort, behaupten kurzum, Kindergärten oder Schwimmbäder seien wichtiger als Kultur. Es ist läppisch leicht und irrwitzig, dies gegeneinander auszuspielen. Eins wie das andere gehört zur menschlichen „Daseinsvorsorge“, wie (nicht nur) der Deutsche Kulturrat unermüdlich betont.

Das eingangs skizzierte Szenario lässt es ahnen: Wir brauchen Kultur nicht nur, um uns unseres Herkommens, unserer Werte und Aussichten zu vergewissern. Kulturgenuss gibt’s auch daheim (mit Buch oder CD), vor allem aber belebt er unmittelbar die Städte. Zudem profitieren Wirtschaftszweige davon, so etwa Gastronomie oder Hotels; ganz zu schweigen von der eigentlichen Kulturwirtschaft mit Verlagen, Galerien, Kinos, an denen etliche Arbeitsplätze hängen.

Die Sache mit den „Subventionen“

Wer wollte bestreiten, dass das vor einigen Jahren noch recht finstere Dortmunder Brückstraßen-Viertel durchs Konzerthaus erheblich vitaler und urbaner geworden ist? Davon hat beileibe nicht nur das „gehobene Bürgertum“ etwas.

Zunächst einmal ist es zweitrangig, ob öffentlich finanzierte Häuser, private Einrichtungen oder die „Freie Szene“ das Lebensgefühl steigern. Auch sind Sponsoren, denen es um die Sache geht, jederzeit willkommen. Bei ambitionierten Programmen geht es allerdings kaum ohne öffentliche „Subventionen“. Jedoch: Was gestern noch sperrig schien, ist morgen schon fast Allgemeingut. Kultur bedeutet somit auch Zukunft.

Nicht von ungefähr steht der Begriff „Subventionen“ hier in Anführungsstrichen. Denn eigentlich sind Kulturausgaben Investitionen – längst nicht nur, aber auch im wirtschaftlichen Sinn. Öffentliche Mittel sorgen dafür, dass Eintrittskarten nicht noch teurer werden. Je preiswerter die Tickets, desto breiter die möglichen Zielgruppen. Und am oberen Ende der Gehaltsskala? Nun, unsere Firmen brauchen gute Manager. Die arbeiten meist ungern in Städten, welche kulturell wenig bieten.

Pflichtaufgabe und Staatsziel

Mit landläufige „Schnäppchenjäger-Mentalität“ ist auf kulturellem Felde nichts zu bestellen. Geiz ist gar nicht geil. Umsichtige Sparsamkeit aber schon. Denn natürlich haben auch die Kulturschaffenden eine gewisse Bringschuld: Selbstgefällig gleißende, sündhaft teure Inszenierungen wirken in Zeiten, da manche auf manches verzichten müssen, mitunter obszön. Auch jene eitlen Regisseure, die mit ihrer Weltverachtung Zuschauer vertreiben, sind keine idealen Sendboten der Ästhetik.

Gern schmückt sich der Staat mit etablierter Kultur vom Beethoven-Quartett zur Feierstunde bis zum Kunstwerk in der Amtsstube. Der vormalige Bundespräsident Johannes Rau ist mit sie eben nicht ohne einige Schritte weiter gegangen, und Kulturstaatsministerin kann Christina Weiss ist ihm darin gefolgt: Wir reden von der Forderung, Kultur zur Pflichtaufgabe zu erklären, sie als Staatsziel in den Verfassungen zu verankern – damit sie eben nicht ohne weiteres weggespart werden kann.

Vielleicht lässt sich dies derzeit nicht politisch durchsetzen, doch als Denkimpuls sollte es fruchten. Wann wird man dazu ein paar klare Worte von unserem jetzigen Staatsoberhaupt Horst Köhler hören?




Man muss die Menschen ins Theater locken – Debatte beim „Kulturwirtschaftstag“ in Dortmund

Von Bernd Berke

Derart geballte Expertenschaft in Sachen Theater und Kulturvermittlung dürfte sich in Dortmund noch nie versammelt haben: Rund 500 Fachleute aus der ganzen Republik trafen sich gestern im Opernhaus, um neue Vermarktungs-Chancen für die Bühnenkunst auszuloten. Knapp gefragt: Wie lockt man mehr Publikum ins Theater?

Offiziell hieß das Ganze „Kulturwirtschaftstag Nordrhein-Westfalen“. Theater- und Marketing-Leute machten Bekanntschaft mit der jeweils anderen Mentalität. Mag sein, dass manches Misstrauen sich im Laufe des Tages gemildert hat. Im Prinzip jedoch walten alle ihres Amtes: Theatermenschen halten die Kunst in Ehren, Vermarkter hingegen gieren nach zählbaren Erfolgen. Gegen volle Häuser aber hat wohl niemand etwas einzuwenden. Mit dem auch gestern oft zitierten Goethe („Faust“) zu reden, ist’s halt fein, „wenn sich der Strom nach unserer Bude drängt.“

Jammern helfe nicht weiter, beschied NRW-Ministerpräsident Wolfgang Clement zum Auftakt: „Jammernde Kranke bekommen auch keinen Besuch.“ Analyse sei gefragt. Die ökonomischen Chancen des Theaters seien bisher kaum ausgeleuchtet worden. Dabei erweise sich immer mehr, welch ein wichtiger Wirtschaftsfaktor die Kultur sein könne – nicht nur die öffentlich finanzierte. Der private Sektor breite sich als belebende Konkurrenz rasant aus.

Clements Hoffnung auf die kommende Ruhr-Triennale

Rechtzeitig, so Clement, müsse man sich allerseits Gedanken über das „Publikum von morgen“ machen. Die Gesellschaft entwickle sich derart differenziert, dass man eines Tages nicht mehr ein „Theater für alle“ anbieten könne. Als Lokomotive (oder gar als Metrorapid?) der NRW-Bühnenzukunft sieht Clement bekanntlich die kommende „Ruhr-Triennale“ unter Leitung von Gerard Mortier.

Mortier sprach gleich anschließend und dämpfte die etwaige Euphorie: Wirtschaftlieher Erfolg sei eine wünschenswerte Folge von Kultur, nicht aber ihr Ziel. Kunst wiederum sei keine lässliche Freizeit-Beschäftigung, sie solle vielmehr das ganze Leben durchdringen und Freude bringen – nicht etwa bloßen Spaß. Er verstehe die „Vermittlung“ als Chefsache. Zuerst komme allerdings stets das Kunst-Ereignis, dann die Aufgabe, es den Menschen nahe zu bringen. Mortier: „Es bleibt immer eine Gratwanderung.“

Forsch ging Bernd M. Michael von der Düsseldorfer Werbeagentur Grey zur Sache. 15 Millionen Menschen seien in Deutschland für Kultur gewonnen, 50 Millionen könnten es sein. Woher er nur diese phantastische Zahl nimmt?

Angst vor dem Kommerz und „elitäres Denken“

Michael warf den Theatermachern vor, meist immer noch elitär zu denken und höchstens „handgestrickt“ zu werben. Als leuchtende Gegenbeispiele nannte er Konzerte mit Pavarotti oder Theaterauftritte von Harald Schmidt in Bochum; anz so, als könne es jeden Tag „Events“ dieser Sorte geben.

Sein provozierender Vertrag stachelte jedenfalls die Debatten des Nachmittags an. Rolf Bolwin vom Deutschen Bühnenverein stellte klar, dass schwere Kost nicht dem Kommerz geopfert werden dürfe, denn Theater habe einen gesellschaftlichen Auftrag. Nur sollte man eben auch das Schwierige besser „verkaufen“. Und da bot Marketing-Mann Michael, zugleich Vorsitzender eines Agenturen-Verbandes, unverhoffte Hilfe an. Er werde anregen, dass Berufskollegen auch mal kostenlose Werbung für Theater machen. Über Erlöse könne man später reden. Na, bitte. Immerhin ein Ansatz.




Der Kult um den Besitz – Düsseldorfer Ausstellung erkundet Wechselströme zwischen Geld und Kunst

Von Bernd Berke

Düsseldorf. „Wir zeigen keine Aktenkoffer“, stellt Jürgen Harten gleich klar. Der langjährige Chef der Düsseldorfer Kunsthalle, inzwischen im Ruhestand, hat noch einmal eine große Schau an früherer Wirkungsstätte inszeniert: „Das fünfte Element – Geld oder Kunst“.

Der Titel sagt’s: „Mammon“ wird als so elementar begriffen wie Feuer, Wasser, Luft und Erde. Er breitet sich überall aus, macht sich alles Untertan – so mitleidlos das Lebendige niederdrückend wie auf jenem Gemälde von George Frederick Watts (1884). Gewiss: Geld setzt die Werte, doch Kunst setzt die Zeichen.

Keine Aktenkoffer also. Es wäre ja auch zu naheliegend. Nein, hier geht es ungleich subtiler zu: Zwischen archäologischen Kostbarkeiten, älteren und neueren Kunstwerken sowie Alltagsdingen werden Wechselströme im Spannungsfeld zwischen Kunst und Leben aufgespürt.

„Das Museum der höchsten Werte“

Die sechs Abteilungen der Ausstellung tragen so schöne Überschriften wie „Im Atelier des Kapitals“ oder „Das Museum der höchsten Werte“. Bestimmt auf der Basis anspruchsvoller theoretischer Überlegungen, jedoch vom Besucher eher flanierend und assoziativ zu erschließen, begegnen einander die Epochen ganz unmittelbar: Neben dem altägyptischen Kodex findet sich etwa eine Raum-Installation neuesten-Datums, oder kurz nach dem klassischen Tafelbild (besonders prägnant: Quinten Massys‘ „Der Geldwechsler und seine Frau“, 1514) trifft man auf eine Harley Davidson, Baujahr 1945, jene fahrbare Wertanlage mit Kultcharakter.

Es gibt Motive, sozusagen Wert-Zeichen, die durch all die Jahrhunderte gelten. Beispielsweise das Gold als archaisches Unterpfand des Reichtums. Rein wirtschaftlich ist es nicht mehr so bedeutsam, doch das kultische Wesen des Besitzes kommt in ihm zum reinsten Ausdruck. Wir sehen es als Lasur auf einer Mumienmaske, in Gestalt altrömischer Münzen, aber auch als Phantasie-Währung und als Goldfarbe auf fotografierten Gesichtern der Künstler Joseph Beuys oder Katharina Sieverding, die sich somit selbst zu glitzernden Kultobjekten stilisieren.

Die Warenform drängt zur seriellen Kunst

Den „Tanz ums Goldene Kalb“ vollzieht man hier freilich nur virtuell, indem man um einen 1995 von Jeffrey Shaw gestalteten Bildschirm herumgeht. Apropos: Auch das Rind, als Hinweis auf stattlichen Besitz und Zeugungskraft, zählt zu den uralten Reichtums-Symbolen mit sexuellem Anspielungspotenzial. Selbst die Kuhkopf-Tapete von Andy Warhol bezieht sich lässig auf diese Tradition.

Spürbar werden nicht nur die aus Religion und Künsten geborgten kultischen, sondern auch die vom Einzelstück abstrahierenden, gleichmacherischen Kräfte des Geldes. Senta Connerts Regale mit Hemden und Handtüchern (1998) oder ein Verkaufsraum voller Teddybären zeigen die Dinge in ihrer Warengestalt, welche zur seriellen Kunst drängt. Die Sachen werden wie in einer Fabrik vervielfacht und damit letztlich herabgewertet.

Roboter zerreißt Familienbilder

Erschreckend konkret wird derlei Entseelung in einer Maschine von Max Dean, deren Roboterarm sich nach festem Zeitraster Familienfotos (Hochzeiten, Urlaube etc.) greift und sie säuberlich zerschnitzelt. Sind menschliche Bindungen derart zerstört, offeriert sich die käufliche Lust: Edward Kienholz baute 1980 den „Playboy“-Flipperautomaten. Heftige Hüftbewegungen beim Abschießen der Kugeln kann man hier gleich in die Öffnung eines vom ans Gerät montierten weiblichen Torsos leiten…

Gnadenlos abstrakt und lebensfern wirkt die abgebildete Realität des alles regierenden Geldverkehrs: Laura Kurgan macht den unaufhörlichen Fluss weltweiter Devisenströme mit Hilfe des Reuters-Nachrichtendienstes in beängstigender Echtzeit als ein schier ewig weiter zitterndes Kurvenbild sichtbar. Vorher las man auf einer Tafel: „Nur noch 1017 Tage bis zum Ende des Kapitalismus.“ Es muss wohl Jahre heißen, oder?

Kunsthalle Düsseldorf, Grabbeplatz. Bis14.Mai. Di-So11-18, Fr 11-21 Uhr. Katalog 65 DM.




Die Druckware trotzt den Silberscheiben – Skeptische Töne zum Auftakt der 49. Frankfurter Buchmesse

Von Bernd Berke

Frankfurt. Probleme an allen Fronten des Buchmarktes: Die Umsätze wachsen bei weitem nicht mehr so üppig wie vor Jahresfrist. Die Europäische Kommission droht die für kleinere Verlage lebenswichtige Buchpreisbindung aufzuheben und damit den Lesestoff so zu behandeln wie jede beliebige andere Ware. Zudem bereiten das Hin und Her um die Rechtschreibreform sowie die immer schmalbrüstigeren Ankaufsetats öffentlicher Bibiliotheken Kopfzerbrechen – und das „Gespenst der Globalisierung“ erhebt gleichfalls sein schauriges Haupt.

Skeptische, ja stellenweise furchtsame Töne bestimmten gestern die Pressekonferenz zum Auftakt der 49. Frankfurter Buchmesse. Selbst das Geschäft mit elektronischen Publikationen, seit 1993 in die weltgrößte Bücherschau integriert, entwickelt sich nur im Kriechgang. Hatten Experten Anfang der 90er Jahre für die Jetztzeit einen satten Marktanteil von rund 20 Prozent vorhergesagt, so sind es nun tatsachlich gerade mal zwei bis drei Prozent.

Auch solche ernüchternden Zahlen lassen sich – mit etwas rhetorischem Geschick –freilich rasch ins Positive wenden. Gerhard Kurtze, Vorsteher beim Börsenverein des Deutschen Buchhandels, gestern in Frankfurt: „Das Buch hat sich als erstaunlich vital erwiesen“, sprich: Die gute alte Druckware hat dem Angriff der Silberscheiben (CD-Roms) und der virtuellen Text-Attacke aus dem Internet tapfer getrotzt.

Immerhin: Im deutschen Buchhandel ging’s zuletzt noch sanft aufwärts (1,7 Prozent Umsatzplus), aber die Konjunkturflaute wird nun (mit Verzögerung im Vergleich zu anderen Branchen) auch hier spürbar. Im Vorjahreszeitraum konnte man nämlich noch mit vier Prozent Steigerung prunken.

Appelle für den Erhalt der Preisbindung

In anderen Ländern sieht es sehr uneinheitlich aus: Die USA erleben beispielsweise einen Boom beim Bücherverkauf, in Frankreich und Italien weisen die Kurven hingegen nach unten. Der Buchmesse selbst geht’s unterdessen prima. Sie kann – fast schon Routine – abermals anschwellende Größe vermelden. Genau 9587 Aussteller sind diesmal in Frankfurt dabei – etwa 300 mehr als im letzten Jahr. Die stolze Steigerung hat man besonders osteuropäischen Verlagen zu verdanken. Dort scheint das zarte Pflänzchen des Buchgeschäfts allmählich wieder zu gedeihen. Daß die weltweit erzeugte, am Main präsentierte Titel-Produktion von rund 311 000 auf etwa 306 000 abgeschmolzen ist, läßt sich wohl verschmerzen.

Geradezu händeringend sind die Appelle an die EG-Kommission in Brüssel, die bewährte Buchpreisbindung doch um Himmels Willen beizubehalten. Andernfalls könnten wenige große Handelsketten mit knallhart kalkulierter -Billigware den ganzen Rahm abschöpfen, was wohl den Tod zahlreicher kleiner und mittlerer Verlage nach sich ziehen dürfte. Angesichts solcher Befürchtungen traf es sich gut, daß EG-Kommissionspräsident Jacques Santer gestern abend zur Messeeröffnung erschien. Man wird ihm einiges über den Segen der festgelegten Ladenpreise zugeflüstert haben.

Portugal ist der Schwerpunkt

Messedirektor Peter Weidhaas konnte auf erste Auswirkungen des diesjährigen Messeschwerpunkts Portugal verweisen: Insgesamt lägen in Deutschland nur 105 portugiesische Buchtitel übersetzt vor. Davon aber seien allein 40 in diesem Jahr herausgekommen, vermutlich aufgrund des Frankfurter Impulses. Mit rund 300 großen und kleinen Portugal-Veranstaltungen, die bis tief in die deutschen Regionen reichen, setzt man zudem auf Breitenwirkung. Hoffentlich kein Strohfeuer.

Weidhaas, der das Buch ein „Überlebensmittel“ und unabdingbar für „Zukunftsfähigkeit“ nannte, ermunterte dazu, nicht nur dem Hauptstrom der Messe zu folgen, sondern ruhig auch mal Unscheinbares und Kurioses aufzusuchen. Kein schlechter Vorschlag.

49. Frankfurter Buchmesse. Bis 20. Oktober (nur Samstag/Sonntag fürs breite Publikum, ansonsten für Fachbesucher). Tageskarte 10 DM, für Fachbesucher 25 DM.




Kunst-Stoff für Christo – Fabrik in Emsdetten fertigt das Gewebe für die Reichstags-Verhüllung

Von Bernd Berke

Emsdetten. Es rattern und rattern die Webmaschinen. Sie machen Lärm für die Kunst, Tag und Nacht. In einer Emsdettener Fabrik entstehen jene 110.000 Quadratmeter Textil mit denen der Verhüllungskünstler Christo im Juni den Berliner Reichstag in ein magisches Zeichen der Geschichte verwandeln will.

Hart war die Konkurrenz. Gleich 19 Betriebe wollten den Stoff anfertigen, aus dem der l gigantische Kunst-Traum besteht. Den Zuschlag erhielt die Firma im Münsterland: Die J. Schilgen GmbH hat ihre Arbeit fast erledigt. Vier Monate lang sind zwei elektrische Webstühle rund um die Uhr nur für Christo gelaufen. Außerdem ging natürlich die übliche Produktion weiter.

Insgesamt 75 Tonnen wiegt die Fracht. Der Zeitplan ist strikt: Sobald wieder ein paar Rollen fertig sind, gehen sie gleich auf die Reise. Ende nächster Woche werden die letzten Stoff-Bahnen die Emsdettener Fabrik in Richtung Herbolzheim verlassen, wo sie mit einer hauchdünnen Aluminiumschicht (nur acht Kilogramm zur Bedampfung der gesamten Stoffhaut) versehen werden, bevor im sächsischen Taucha die Näh-Arbeiten beginnen. Nach der Alu-Behandlung glitzert das zuvor unscheinbar mausgraue Geflecht silbrig in der Sonne. Da kann man sich ausmalen, welch ungeheuren Effekt ein derart eingekleideter und von Licht umspielter Reichstag abgeben wird – auch bei Nacht, wenn Scheinwerfer ihn anstrahlen.

Stephan Schilgen (44), Chef des 1873 gegründeten Emsdettener Familienunternehmens, hatte sein Christo-Erlebnis mit 16 Jahren: „Damals ging’s mit dem Kunstlehrer auf Klassenfahrt zur documenta in Kassel.“ Ein Wahrzeichen der Weltkunstschau von 1968 war Christos 85 Meter hoch in den Himmel ragende Ballon-Wurst. Der Jugendliche aus Emsdetten, wo derlei ästhetische Wagnisse keine Heimstatt haben, war fasziniert.

Reißfest und feuerbeständig

Die alte Begeisterung erwachte wieder, als das Reichstags-Projekt spruchreif wurde. Schilgen: „1992 habe ich an Christo geschrieben und ihm unsere Faser angeboten.“ Christo, der schon seit Beginn der 70er Jahre auf eine Verhüllung des Reichstags sann, war interessiert. Als Vorlage hatte Schilgen ihm ein Gewirk namens Polypropylen geschickt, das sonst profanen Zwecken wie der Filter-Abdichtung dient. Es besaß aber schon einige der von Christo verlangten Eigenschaften.

Zwar hat sich der weltweit umtriebige Künstler nicht in Emsdetten blicken lassen, doch in Absprache mit seinen Mitarbeitern wurde das Material verfeinert. Es mußte noch reißfester werden, feuerbeständig sein, dabei aber luftdurchlässig bleiben und möglichst wenig wiegen. Eine Art Zauberstoff war gefragt. Doch schließlich waren alle Härtetests bestanden – und beim Wettbewerb konnte kein anderer Hersteller besser und billiger (5 DM pro qm) produzieren.

Anfangs hätte all das noch vergebliche Liebesmüh‘ sein können, denn erst am 25. Februar 1994 entschied der Bundestag nach heftigen Debatten, daß Christo zum Zuge kommt.

Die 250 Schilgen-Mitarbeiter sprechen mit Stolz von ihrem reißfesten Beitrag zur Kunstgeschichte. Wenn Christo und seine vielen Helfer sich ab 17. Juni an die Verhüllung des Reichstages machen, gibt’s gleich zwei Betriebsausflüge: nach Berlin!




Die Kunst des Kaufens – „Art Cologne“ mit 323 Galerien aus 22 Ländern

Von Bernd Berke

Köln. Bündigen Bescheid gab die Dortmunder Galerie Utermann den Veranstaltern der Kölner Kunstmesse „Art Cologne“. Die hatten wissen wollen. was die Teilnehmer der Messe erwarten. Utermanns Antwort: „Neue Kontakte. Gute Geschäfte.“ Das dürfte im Kern für alle 323 Galerien aus 22 Ländern gelten, die diesmal dabei sind.

Utermann kann tatsächlich auf ein besonders gutes Geschäft hoffen, hat man doch eines der spektakulärsten Angebote parat, nämlich vier Jahresmappen der expressionistischen Künstlergruppe „Brücke“ (Heckel, Kirchner u. a.) aus den Jahren 1909-1912 – eine Rarität sondergleichen. So haben sich, dem Vernehmen nach, auch schon ein US-Museum und ein solventer Privatsammler dafür interessiert. Nach Möglichkeit sollen die Mappen nur komplett veräußert werden. Der Preis soll sich nahe der Ein-Millionen-Grenze bewegen. Die Blätter sollen nicht sofort an den Käufer ausgehändigt, sondern zuvor noch in Dortmund gezeigt werden.

Wahrend Utermann und die Galerie Friedrich die Dortmunder Farben vertreten, ist aus ganz Südwestfalen nur eine einzige Galerie präsent, nämlich Friebe aus Lüdenscheid. Erst 1989 gegründet, hat diese Galerie seit drei Jahren ihren Platz auf der „Art Cologne“ und spürt längst die wohltuende Werbewirkung. Denn seither hat man einen Bekanntheitsgrad erlangt, der auch schon mal Käufer aus München oder Hamburg ins Sauerland pilgern läßt. Auch Friebe lockt mit recht prominenten Künstlernamen, so etwa Reiner Ruthenbeck oder Raimund Girke. Bis zu 30000 DM pro Arbeit kann man hier ausgeben, kleinere Stücke kommen deutlich billiger.

Kritik an den Kriterien ruhiggestellt

Überhaupt lohnt ein Messebesuch auch dann, wenn man nicht mit prallem Portefeuille gesegnet ist. Die preiswertesten Stücke sind für rund 100 bis 200 DM zu haben. Dafür freilich kann man keine berühmten Namen erwarten, sondern muß auf Spürsinn setzen. Das war ja schon früher so. Hätte man etwa vor vielen, vielen Jahren ein kleineres Format des Hagener Künstlers Emil Schumacher günstig erworben, so würde man heute freudig Preise um 200 000 DM registrieren, wie sie jetzt auf der Messe verlangt werden. Immerhin: Eine Farblithographie des auch nicht ganz unbekannten E. W. Nay schlägt bei Vömel (Düsseldorf) mit „nur“ 2500 Mark zu Buche.

Der Bundesverband Deutscher Galerien e. V., Veranstalter der „ArtCologne“, hat diesmal zu einem probaten Mittel gegriffen, Kritik im Keime ruhigzustellen. Hatten sich noch im Vorjahr – unter dem anklagenden Titel „Unfair“ – einige „aus Qualitätsgründen“ abgelehnte Galeristen separat vorgestellt, so dürfen sie diesmal mitmachen.

Fast schon vergessen ist der Streit um die Teilnahme der Galerie Gabrielle Pizzi (Melbourne), die u. a. Kunst australischer Ureinwohner (Aborigenes) offeriert. Ursprünglich hatte der Galerienverband den Australiern eine Absage erteilt, weil die Aborigine-Bilder eher Folklore denn Kunst seien. Daraufhin wurde gar der Vorwurf des Rassismus laut. Nun ist Pizzi dabei, weil – so die geschickte Wendung der Veranstalter – die australische Auswahl erheblich besser sei als 1993. Bloß keinen Streit riskieren. Es könnte die Geschäfte stören.

„Art Cologne“ – 28. Internationaler Kunstmarkt. Köln-Deutz, Messegelände (Hallen 1, 2, 3 und 5. Vom 10. bis 16. November; tägl. 11-20 Uhr. Tageskarte 15 DM, Messekatalog 15 DM.




Erlebniskauf im Buchladen oder: Gestöbert wird nicht

Von Bernd Berke

Wenn Buchhändler am Markt überleben wollen, dürfen sie längst keine versponnenen Leseratten mehr sein, sondern sie müssen vor allem Verkaufs-Profis sein. Und wie wird man das?

Den Königsweg zum Erfolg weist eine neue Broschüre des NRW-Verbandes der Verlage und Buchhandlungen. Darin werden einschlägige Seminare fürs erste Halbjahr ’94 angepriesen. Wir zitieren gern daraus. Denn da geht’s schon sprachlich so modern und dynamisch zu, daß uns um den Aufschwung dieser Branche nicht mehr bange sein muß.

„Bei der derzeitigen Konjunkturlage und dem damit verbundenen Kaufkraftverlust ist es auch für unsere Branche ein hartes Stück Arbeit, sich am Markt zu behaupten“, mahnt der Verband – und fährt fort: „Kostensenkung (steht) ganz oben auf der Prioritätenliste.“ Ganz wichtig daher: „Für praktische Übungen bitte einen Taschenrechner mitbringen!“

Bei der Beschreibung der Seminare geht’s dann Schlag auf Schlag mit schneidigen Manager-Merkformeln à la „Der Erfolg beginnt im Kopf“ oder „Mehr Umsatz durch gute Dekoration“. Auch etwaige menschliche Probleme bewältigt der top-geschulte Buchhändler im Nu, denn er weiß ja, wie das funktioniert: Der„,energo-kybernetische Engpaß pro Konflikt-Beteiligter“ ist ihm eben geläufig.

Aus Einwänden Argumente machen

Vor allem aber gilt: „Der Markt lebt von der Aktualität.“ Die wiederum lebt nicht zuletzt von Elektronik. Also soll man „die Installation des VLB auf CD-ROM“ ebenso erlernen wie „die Präsentation der neuesten Leistungsmerkmale auf der ersten 94er Scheibe“. Alles zum höheren Wohle der Lesekultur, versteht sich.

Im Geschäft will man uns natürlich nicht einfach etwas andrehen, sondern einen „Erlebniskauf“ ermöglichen. Grundregel: Dabei darf man den Kunden niemals in Ruhe stöbern lassen. Vielmehr muß sofort die „aktive Gesprächseröffnung“ gesucht werden. Bleibt der Kunde störrisch, muß man die richtige Fragetechnik anwenden und ihm – so was gibt’s – „aktiv zuhören“.

Man benutze als Buchhändler ferner geheimnisvolle, vielleicht gar magische „Transferworte, die direkt den Kunden ansprechen“ und nutze auch noch dessen sicherlich hilflose „Einwände als Argumentationshilfe“. Ganz wichtig der Eindruck: „Nicht Sie verkaufen, sondern der Kunde kauft.“ Und überhaupt heißt die Devise: „In positiver Erinnerung bleiben.“ Puh! So positiv wollten wir es gar nicht haben. Wir wollten doch nur mal gucken.

Nach all dem marktwirtschaftlichen Neusprech („Kundenbindung durch Updating oder Upgrading?“) wirkt es wohltuend, wenn einmal glasklar festgestellt wird: „Auch Buchhändler sind Menschen.“ Menschen, die so fit und verkaufstüchtig gemacht werden, müssen dann freilich auch mal wieder aufs Eigentliche zurückkommen: „Wie unterscheidet sich das Video vom Buch?“ lautet eine Seminar-Frage. Ja, worin bestand er denn noch gleich, der kleine Unterschied?




Wie kommt die Kunst zur Autobahn? Ein kleines Lehrstück in mehreren Akten

Ein paar Kunstwerke entlang der Autobahn aufstellen – nichts einfacher als das. Von wegen! Der Dortmunder Bildhauer Dr. Bernd Moenikes (37) kann da ganz andere Geschichten erzählen. Eine solche Sache kann schier endlos dauern. Ein kleines Lehrstück in mehreren Akten, Ende offen.

Es begann vor etwa drei Jahren – so genau weiß das Moenikes schon gar nicht mehr. Damals hatte er die Idee zum Projekt „Crossing“ (Kreuzung): Wenn Leute nicht ins Museum gehen, muß die Kunst eben zu ihnen kommen. Zum Beispiel auf die Autobahn. Geeignetes Aktionsfeld, so befand Moenikes nach Testfahrten, sei der Strang A 430 (B1/A 44) sowie die A 1. Beide Linien kreuzen einander. Grenzpunkte sollten der Anschluß Dortmund-West, das Kreuz Werl, das Kamener und Westhofener Kreuz sein.

Moenikes, bereits mit Umweltkunst-Aktionen („Tanz auf dem Müll“) hervorgetreten, dachte angesichts der Asphaltbänder und Blechlawinen nicht von ungefähr auch an einen leidensreichen Kreuzweg. Doch andererseits sehnte er lange Staus beinahe schon herbei, denn dann hätten die Menschen ausgiebig Gelegenheit, an den zwölf Stationen des Kreuzwegs Holzskulpturen zu sehen…

„Man braucht Beziehungen“

Doch zunächst mußte „das Umfeld sondiert werden“ (Moenikes). Mehrmals ging’s zum Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL), der für die Sicherheit hiesiger Autobahnen zuständig ist. Im Prinzip, so Moenikes, hatte man dort nichts gegen die Skulpturen, wollte aber natürlich bei der Standortwahl mitreden.

Komplizierter wurde es, als Moenikes beim Kultusministerium in Düsseldorf vorsprach. Der Dortmunder erkannte: „Man braucht Beziehungen.“ Die Referenten fragten geradezu begierig nach Namen. Sie zeigten sich von der Idee angetan, gaben sich aber finanziell zugeknöpft. Bevor man Zuschüsse zu dem auf mindestens 500 000 DM geschätzten Vorhaben zusage, wolle man (aus Sicht des Ministeriums nur zu verständlich) ein präzises Konzept sehen, samt Teilnehmerliste und möglichst fertigen Probestücken. Das aber hieß: Moenikes hätte erhebliche Vorleistungen erbringen müssen, denn kein halbwegs prominenter Künstler hätte gratis und auf Verdacht gearbeitet.

Sponsoren haben, um Sponsoren zu finden

Einer der nächsten Wege führte zum Leiter des Dortmunder Ostwall-Museums, Dr. Ingo Bartsch. Auch der fand die Idee gut und nannte gleich hochkarätige Künstlernamen: Magdalena Jetelova, Stephan Balkenhol, Jiri Hilmar, Dani Karavan, Thomas Schütte, Claus Bury, Wilfried Hagebölling – allesamt mögliche Teilnehmer, allesamt Bekannte von Bart&ch. Der Museumsmann versprach, Kontakte zu vermitteln, falls Geld vorhanden wäre. Der Ostwall-Etat ist schmal.

Zugleich verfiel Moenikes auf die Idee, vor dem großen Autobahn-Projekt eine Schau von Planskizzen und beispielhaften Skulpturen am Ostwall zu veranstalten, die weit weniger, nämlich rund 20 000 DM, kosten und Sponsoren aufmerksam machen sollte. Doch auch diese 20 000 DM (angesichts der klingenden Namen viel zu niedrig angesetzt) wollen aufgetrieben sein. Also: Um Sponsoren zu finden, muß man schon Sponsoren haben.

Moenikes denkt an einen Ostwall-Termin im Jahr 1993, was Bartsch auf Befragen weit von sich weist: „Bis 1995 sind wir ausgebucht!“ Außerdem sei „Crossing“ ganz und gar kein Ostwall-Projekt. Er, Bartsch, habe lediglich ideelle Hilfe in Aussicht gestellt.

Ein Scheck über gerade mal 100 Mark

Auf dem Umweg über eine Münsteraner Kulturstiftung hat sich laut Moenikes kürzlich immerhin eine Holzfirma gefunden, die das Material stellen will — doch auch dazu müßte die Aktion bereits laufen. Also weiter auf Sponsoren-Suche, deren Gesetze Moenikes erst ganz allmählich kennenlernte. Der Verein „pro ruhrgebiet“ etwa habe ihn zwischendurch „monatelang vertröstet“ (Moenikes) und dann abgewunken. Weitere potentielle Förderer wollten abwarten, was die anderen machen.

Gleichwohl will Moenikes die Flucht nach vorn antreten: „Jetzt kommt der Endspurt.“ Er verschickte eine ganze Reihe von Projekt-Infos an Firmen, denen er bereits die mögliche Zahl der werbewirksamen Medien-Kontakte und sogar das Verkehrsaufkommen auf besagten Autobahn-Abschnitten vorrechnet. Der umweltkritische Ansatz ist unterdessen etwas unter die Räder geraten. Für eine autofeindliche Aktion fänden sich eben kaum potente Sponsoren.

Derzeit kommen erste Antworten auf Moenikes‘ Briefe. Eine Dortmunder Kunststoff-Firma sagte 2000 DM für die vielleicht ganz illusorische Ostwall-Vorschau zu, ein Bauunternehmen schickte einen Scheck über gerade mal 100 DM, den Moenikes enttäuscht zurücksandte. Resignation? Moenikes ist frustriert, will sich aber nicht unterkriegen lassen: „Wenn die Sache jetzt nicht läuft, belebe ich sie vielleicht irgendwann mal wieder.“