Kunst gefällig? Museen verleihen Meisterwerke – Mit Leasing könnten Institute den Etat aufbessern

Von Bernd Berke

Im Westen. Das „Phantom der Oper“ treibt seit Jahren in den Musical-Palasten der Welt sein Unwesen. Jetzt scheint es auch ein „Phantom der Museen“ zu geben – und es betätigt sich vorzugsweise im Ruhrgebiet. Die Rede ist von einem eigentlich pfiffigen Kunst-Leasing-Projekt, dessen Früchte aber noch nicht so recht sprießen wollen.

Zwei Frankfurter hatten die Idee: Ulrich Schanda und Reinhold Brunner (beide 35) dachten sich, es sei doch schade, daß so viele Kunstschätze in Depots vor sich hin dämmern. Statt dessen könne man sie (gegen Gebühr) an zahlungskräftige Kundschaft ausleihen. Beispiel: Ein Bild hat einen Versicherungswert von 100 000 DM. Will z. B. ein Unternehmer es in seine Geschäftsräume hängen, sind davon jährlich 10 Prozent Leihgebühr fällig, macht also 10 000 DM – je 5000 DM würden an die Vermittler Schanda/Brunner und ihre „ulyssis art broking GmbH“ sowie an das Geber-Museum fließen. Die Transportkosten gehen zu Lasten der Frankfurter Broker.

Eine verlockende Sache, besonders für Kunsthäuser des Ruhrgebiets, die so ihre schmalen Etats etwas aufbesgern könnten. Denn die Gebühren würden als Spenden oder Beiträge deklariert, so daß keine Stadt die Extra-Erlöse ohne weiteres vom Budget abziehen könnte. Kein Wunder also, daß man hierzulande besonders aufgeschlossen war und daß fast die Hälfte der beteiligten Museen im Revier zu finden ist: Das Städtische Museum Gelsenkirchen ist ebenso dabei wie die Kunsthalle Recklinghausen, das Märkische Museum Witten und das Osthaus-Museum in Hagen. Renommierte Häuser in Nürnberg, Mannheim, Hannover und Ludwigshafen vervollständigen die Liste der Interessenten.

Doch die ganze Sache „hakt“. Dr. Michael Fehr, Chef des Hagener Osthaus-Museums: „Die Idee ist ja ganz gut. Doch wir haben seit einem halben Jahr nichts mehr davon gehört. Das Projekt ist offenbar ,gestorben‘.“ Kein einziges Bild habe den Weg zu einem UNternehmen gefunden.

Die gleiche Auskunft bekam die WR bei der Kunsthalle Recklinghausen: „Die Industrie spielt wohl nicht mit.“ Das Sprengel-Museum in Hannover ist sogar „vorübergehend“ aus dem Verleiher-Pool ausgestiegen. Erst wenn sich Erfolge einstellen, will man wieder mitmachen.

Immerhin, hört man aus Hagen, will das „heute-Journal“ im ZDF über das Projekt berichten. Bis jetzt ist der Beitrag zwar noch nicht gelaufen, doch schöpft man neue Hoffnung, nachdem endlich auch der erste Bild-Transfer geklappt hat. Reinhold Lange vom Städtischen Museum Gelsenkirchen meldete Vollzug: Aus „seinem“ Fundus trat das Bild „Fliegende Formen“ des (nicht am Erlös beteiligten) 86jährigen Konstruktivisten Anton Stankowski die Reise nach Berlin an. Es schmückt nun einen Geschäftsraum der Firma Eternit. Lange: „Ein willkommener Zuschuß für uns.“

Vielleicht bleibt es also doch kein „Phantom“. Über 150 Kunstwerke sind mittlerweile im Angebot – mit Versicherungswerten zwischen 15 000 und 900 000 DM (Spitzenpreis: ein Bild von Max Pechstein). Die Quote der Leihgebühren bewegt sich zwischen 7 Prozent für die teuersten und 15 Prozent für die preiswertesten Arbeiten.

Kunst-Makler Reinhold Brunner beteuert unterdessen im Gespräch mit der WR die seriöse Geschäftsgrundlage. Vor einer eventuellen Leih-Aktion schaue man sich die Geschäftsräume der Unternehmer sehr genau an. Man überprüfe Klima-, Licht und Sicherheits-Bedingungen und ermittle, ob in den Zimmern geraucht wird und wann die Sonne durch welches Fenster scheint. Bei ausgesprochen teuren Werken rede man ausführlich über Bewachung und Alarmanlagen. Natürlich werde aus eine Extra -Versicherung abgeschlossen. Brunner: „Und falls die Museumsleute Bedenken haben, bekommen sie Zutrittsrecht“.

 




Geldnot bei den Kunstvereinen: Die Wirtschaft knausert immer mehr

Von Bernd Berke

Im Westen. Deutschlands Kunstvereine geraten finanziell zusehends in die Klemme. Nach Alarm-Meldungen aus Dortmund, wo das Spendenaufkommen bis zur Jahresmitte praktisch „gleich Null“ war, wollte die WR wissen: Wie sieht es bei anderen Kunstvereinen aus?

Offenbar steht es bundesweit nicht zum besten. Beim Dachverband, der „Arbeitsgemeinschaft Deutscher Kunstvereine“, heißt es, die Bereitschaft zu Spenden sei „eindeutig geringer“ als bis vor ein paar Jahren. Verbandsvorsitzender Andreas Vowinckel, zugleich Chef des Badischen Kunstvereins in Karlsruhe: „Die Wirtschaft verhält sich jetzt sehr, sehr zögernd.“

Nicht nur in Dortmund ist die Lage heikel

Kein Einzelfall: Man verschickt mehrere hundert Bittbriefe, bekommt dann nur eine Spende – und die Portokosten übersteigen den Ertrag. Fast alle Firmen machen die allgemeine Konjunkturflaute oder dringende Investitionen in Ostdeutschland geltend. Selbst in Baden-Württemberg und in Rheinland, bislang favorisierte Regionen für Kunst-Sponsoring, sei das Auftreiben von Spenden nun „ein hartes Brot“ (Vowinckel). Doch auch die öffentlichen Mittel, weiß Vowinckel, „fließen nicht mehr so recht“. Finanzprobleme durch die deutsche Vereinigung hätten auch hier eine traurige Trendwende bewirkt.

Der Düsseldorfer „Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen“ gehört mit rund 6000 Mitgliedern zu den größten der Republik. Man ist – im Gegensatz zu Vereinen im Revier – alteingesessen, und es gibt rundum kunstsinniges Publikum zuhauf. Doch selbst hier heißt es, man müsse „unheimlich ackern“ (Mitarbeiterin Doris Rother), bis man an Sponsoren herankomme. Zudem falle neuerdings ein wichtiger Sponsor aus, nämlich die Lufthansa, die sich auf rigidem Sparkurs befindet. Den ganz harten Einschnitt merkt man in Düsseldorf noch nicht, doch hat man bereits arge Schwierigkeiten, die Jahresgaben an Mitglieder zu verkaufen.

Man muß sich sehr abstrampeln

Etabliert ist auch der Westfälische Kunstverein zu Münster, der seit 1831 existiert und heute 1250 Mitglieder hat. Aus dem letzten Jahrhundert datiert denn auch ein Glücksfall, dessen Folgen den Verein noch heute über Wasser halten. Die Altvorderen konnten Kirchenschätze wie mittelalterliche Tafelbilder und Altäre günstig erwerben. Vor sechs Jahren veräußerte man ein einziges dieser Bilder, gab den Erlös in eine Stiftung – und kann sich nun aus den Zinsen bedienen. Hildegard Feldmann, zuständig für die Buchführung: „Ansonsten muß man sich aber sehr abstrampeln. Bargeld von einzelnen Sponsoren kommt praktisch nie.“ Sowohl die Stadt Münster als auch der Landschaftsverband hätten seit vielen Jahren ihre Zuschüsse nicht mehr erhöht — angesichts von Preissteigerungen ein herber Verlust. Verwundert zeigt man sich in Münster über die Dortmunder Situation: „In Dortmund gibt es doch viel mehr Großfirmen als in Münster“.

Im Revier nur Geld für den Sport übrig?

Und wie sieht es aktuell in Dortmund (540 Kunstvereins-Mitglieder) aus? Nun, immerhin hat der Notruf drei örtliche Firmen zu Spenden bewegt, eine Hypothekenbank will gar Mitglied werden. Die Geschäftsführerin des Kunstvereins, Annette Reker, findet trotzdem: „So dramatisch wie bei uns ist es fast nirgendwo“. Zu allem Überfluß habe man gerade die Mitgliedsbeiträge erhöhen müssen, was vielleicht manchen Kunstfreund abschrecke. Zuweilen fühle man sich in Dortmund wie in einer künstlerischen Diaspora.

Diesen Eindruck bestätigt Hugo Koch, Zweiter Vorsitzender des Kunstvereins im nahen Bochum (680 Mitglieder). Wenn es überhaupt Spenden gebe, seien sie meist „beschämend gering“. Koch: „Im Revier hat man wohl nur Geld für Sport übrig.“ Ein Jahresbeitrag von 60 DM für den Kunstverein könne kaum erhöht werden, sonst drohe eine Austrittswelle. Koch: „Für ihren Tennisclub zahlen die Leute das Mehrfache im Monat…“

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Kommentar

Anschluß verpaßt

Kunstvereine bieten selten leichte Kost. Die meisten Firmen aber wollen, wenn sie für Kultur spenden, große Besucherzahlen sehen. Das bereitet den Vereinen schon längst Probleme. Jetzt, da die Finanzen allenthalben knapper werden, bekommen sie das noch deutlicher zu spüren.

Unsere Kunstvereine sind als Ausdruck bürgerlichen Selbstbewußtseins entstanden. Bis dahin hatten praktisch nur der Adel und die Kirehe Kunst gehörtet. Das ist lange her. Fast könnte man sich jetzt in die Zeit des alten Bildungsbürgertums zurücksehnen. Doch damals hat man Kunst nicht nur aus edlem Sinn gefördert, sondern sich damit auch über politische Realitäten hinweggelogen. Wünschen wir uns das lieber nicht zurück.

Betrüblich ist, daß sich die Lage im Ruhrgebiet besonders schlimm darstellt. An der Bevölkerungsstruktur, die sich der von anderen Zentren angleicht, kann es nur zum Teil liegen. Man muß wohl von kulturpolitischen Versäumnissen sprechen, die auch sinnfällig werden: Man schaue sich nur die öde „Kunst am Bau“ in unseren Städten an.

                                                                                                                   Bernd Berke

 




Die Industrie drängt sich ins Bild – Münster zeigt sozialgeschichtlich bedeutsame Privatsammlung

Von Bernd Berke

Münster. Wer kennt schon Leonhard Sandrock, Johan Coenders oder Gottlob Gottfried Klemm? Hauptsächlich Werke wenig bekannter Künstler (rare Ausnahme: Conrad Felixmüller) gehören zu einer dennoch interessanten Sammlung, die lange im Verborgen wuchs und jetzt erstmals öffentlich wird. Es geht um Industrie-Bilder von 1850 bis 1950.

Manche Künstler waren einfach vom Thema fasziniert und haben auf eigene Faust gemalt, andere – formal meist weniger ehrgeizig – illustrierten im Unternehmer-Auftrag. Dabei kam es mitunter zu einer fast „fabrikmäßigen“ Bilderproduktion.

Im Westfälischen Landesmuseum zu Münster wurde jetzt, erst kurz vor Ausstellungs-Eröffnung, das „Geheimnis“ um den Namen des Sammlers gelüftet. Es ist Dr. Ernst Schmacke, heute in Hamburg, früher im Ruhrgebiet (u. a. als Pressesprecher der Firma Demag) tätig. Seit rund 20 Jahren trägt er speziell Industrie-Bilder zusammen.

Sozialkritik allenfalls in harmloser Dosierung

Dieses Genre kommt selten auf Auktionen. Kaufchancen ergeben sich eher durch Beziehungen und Mundpropaganda. Den Beständen sieht man jedenfalls an, daß der Sammler die Unternehmersicht doch einigermaßen verinneriicht hat. Sozialkritik kommt auf den Bildern ganz selten und höchstens in harmlosen Zwischentönen vor. Zudem gibt es hier kaum Spitzenwerke, das allermeiste ist künstlerischer Durchschnitt.

Trotzdem befinden sich unter den 65 Exponaten, die noch um zwölf thematisch verwandte Bilder aus Münsteraner Museumsbesitz ergänzt werden, sozialgeschichtliche Fundstücke erster Güte. Beispiel dafür sind Arbeiten des Niederländers Herman Heijenbrock, von dem die meisten Bilder der Schau stammen (und der zur Zeit auch im Dortmunder Hoesch-Museum vorgestellt wird). Der Mann, der auf der Suche nach Industrie-Motiven durch halb Europa reiste, malte um 1908 den „Zug der Kohlenhauer“, der als Reproduktion aus vielen Geschichtsbüchern bekannt ist. Das jetzt gezeigte Originalbild galt indes als verschollen, bis Schmacke seine Kollektion zugänglich machte.

Direktorenvilla, mit Palmzweigen bekränzt

Bemerkenswert auch, wie die Industrie in den frühen Bildern zunächst an den Rändem der noch weitgehend unversehrten Landschaft auftaucht und erst später zunehmend ins Bildzentrum drängt. Auch erkennt man, wie die Unternehmer der Jahrhundertwende versuchen, das Image ihres Gewerbes durch Kunst veredeln zu lassen, etwa indem die religiös vorgeprägte, dreiteilige Altarform des Triptychons bemüht wird, um ein profanes Hamburger Fischtran-Lager darzustellen oder indem eine Direktorenvilla unter einer Art Bethlehem-Stern steht und mit Palmzweigen sowie Blümchen bekränzt wird. Gleich nebenan machen Bilder mit wüst rauchenden Schloten klar, daß es an der Quelle des Reichtums weniger blitzblank und schon gar nicht sakral zuging.

Nicht nur Zechen und Stahlwerke wurden gemalt, sondern u. a. auch Glasbläsereien, Steinbrüche, Eisenbahnen und Bahnhöfe, letztere als besonders dynamische Zeichen der Industrialisierung. Wenn man gezielt Bilder des Ruhrgebiets sucht, kommt man ebenfalls auf seine Kosten. Eugen Brachts Blick auf die „Hochofenanlage des Stahlwerks Hoesch in Dortmund“ (1905), eine Ansicht der Hattinger Henrichshütte oder Heinrich Arnold Tillmanns fabrikdurchsetzte Flußlandandschaft von Hohenlimburg (1887) vermitteln ein Stück Regionalgeschichte. Eine ungefähre Ahnung vom oft düsteren und beengten Alltag der Arbeiter im Revier zeigen derweil Bilder wie Fritz Uphoffs „Trunkene Kumpels“ von 1925.

„Industrie im Bild“. Westfälisches Landesmuseum Münster, Domplatz. 10. Juni bis 19. August, di-so 10-18 Uhr. Katalog 20 DM.




„DGB muß der Kultur mehr Stellenwert geben“ – WR-Gespräch mit dem scheidenden Geschäftsführer der Ruhrfestspiele

Von Bernd Berke

Recklinghausen. „Der Deutsehe Gewerkschaftsbund muß der Kultur endlich mehr Stellenwert einräumen als bisher.“ Das forderte gestern, in einem Gespräch mit der Westfälischen Rundschau, der scheidende DGB-Geschäftsführer der Ruhrfestspiele, Dr. Fred Eckhardt.

Mit seiner Forderung benennt Eckhard, der nach zwölf Jahren in Recklinghausen um Lösung seines Vertrags bat (WR berichtete), zugleich einen Hauptpunkt, der ihn zu diesem Schritt bewogen hat. Seine Entscheidung, so Eckhard, habe subjektive und objektive Gründe. Subjektiv: Als künftiger Leiter einer Berufsfachschule für Theatertanz und Theaterpädagogik könne er in seine alte Heimatstadt Hamburg zurückkehren und endlich wieder vorwiegend künstlerisch tätig sein.

Doch nicht nur persönliche Interessen sind der Grund für den Wechsei. Eckhard: „Die Sparzwänge bei den Ruhrfestspielen sind in den letzten Jahren immer mehr gewachsen. Dieser Druck schlägt auf die künstlerischen Ergebnisse durch.“ Seit Jahren müsse man mit einem gleichbleibenden Etat stetig steigende Kosten bewältigen. Sogar längst zugesagte Gastspielreisen – z. B. in die UdSSR – müßten mangels Finanzmasse auf die lange Bank geschoben werden.

Die beiden Träger der Ruhrfestspiele (Stadt Recklinghausen und DGB) hätten gewiß ernsthafte Geldsorgen. Doch sei die finanzielle Ausstattung der Festspiele zunächst auch eine Frage des Bewußtseins. Eckhard: „Im Grundsatzprogramrn des DGB steht, daß sich die Gewerkschaften auch für kulturelle Belange der abhängig Beschäftigten einsetzen sollen“. Dies sei, obgleich es Zeichen eines Umdenkens gebe, noch nicht ausreichend der Fall. Die Basis in den Einzelgewerkschaften, aber auch der DGB-Bundesvorstand müßten dringend darüber reden, ob sie hauptsächlich eine „Tarif-Maschine“ sein oder ob sie auch kulturelle Zeichen setzen wollten.

Der große Apparat des DGB erweise sich in Kulturfragen oft als schwerfällig, man müsse viel schneller auf die Herausforderungen der „Freizeitgesellschaft“ reagieren. Die mißliche Situation der Ruhrfestspiele, die „endlich wieder eine Perspektive brauchen“, vergleicht Eckhard mit der eines leckgeschlagenen Ozeanriesen: „Da kann man doch auch nicht sagen: ,In vier Wochen laufen wir Singapur an, dann wird alles repariert‘.“

Eckhard nennt Zahlen: Zehn Mio. DM wären für eine halbwegs vernünftige Renovierung des Festspielhauses (vorsintflutliche Bühnentechnik, 23 Jahre alte Bestuhlung) und anderer Festspieleinrichtungen vonnöten. Und: „In der Jubiläumssaison 1986 hatten wir ausnahmsweise eine Million Mark Zusätzlichen Jahresetat“. Stoßseufzer: „Damit konnten wir tolle Sachen veranstalten. Wenn wir nur diese Zusatz-Million in jedem Jahr hätten…“

Einen Hoffungsschimmer sieht Eckhard im Gutachten des Berliner „Deutschen Instituts für Urbanistik“ (DIFU). Die Expertise entsteht unter Leitung von Prof. Dieter Sauberzweig und soll im Frühjahr vorliegen. Die Studie, so Eckhard, könnte den Ruhrfestspielen gangbare Wege in die Zukunft weisen. Dann dämpft er freilich die eigenen Erwartungen. Bis das Gutachten alle Gremien passiert habe und „greifen“ könne, würden auch die Festspiele 1990 ins Land gehen – eine kaum noch erträgliche Durststrecke.

Eckhards Appell: „Wir sind es den Gründern, die in der Hungerzeit nach dem Krieg kulturellen Weitblick bewiesen haben, schuldig, die Festspiele zu stärken“.




„Herrgott“ auf dem Verlegersessel – TV-Porträt des Siegfried Unseld

Von Bernd Berke

Der Schriftsteller Martin Walser schüttelt den Kopf. Wieder einmal mattgesetzt! Gegen seinen Freund und Verleger Siegfried Unseld, den Chef des Frankfurter Nobelhauses Suhrkamp, kann er im Schach fast nie gewinnen. Walser: „Nur nach Mitternacht, da ist er schlagbar.“

So war denn Unseld in dem Porträt „Der Verleger und die Lust am Buch“ (ARD) gleich als Gewinnertyp eingeführt. In diesem Stile ging es in dem Film von Hilde Bechert und Klaus Dexel weiter: Unseld, „ins Gelingen verliebt“; Unseld, der Mann auf der Sonnenseite des Lebens; Unseld, der kraftvoll „Ja“ sagt zu Dasein und Erfolg. Ein typischer Vertreter der „Wende-Zeit“, könnte man argwöhnen, wäre da nicht sein Buchprogramm, einst zu großen Teilen Pflichtlektüre der „APO“ – und auch heute noch eins der besten und profiliertesten im Lande.

Unseld ließ sich und seinen „Riecher“ gebührend bewundem, aber nicht in die Karten blicken. Mit gepreßter Stimme gab er abgewogene Auskunft, als halte er immer noch etwas Entscheidendes zurück. Welch ein Gegensatz zum „Kritikerpapst“ Marcel Reich-Ranicki, der hier als „Zeuge“ angerufen wurde: Mit ein, zwei Sätzen gab Reich-Ranicki mehr preis als Unseld in einer Stunde. Was etwa Reich-Ranicki offen als Macht des Verlegers bezeichnete, nannte Unseld vornehm eine gewisse „Entscheidungsbefugnis“. In Unselds Augen blitzte es am hellsten auf, als er sich ausmalte, wie der spanische Markt für Brecht geöffnet werden könne. Mit Geist Geld zu machen, das ist seine Leidenschaft.

Die Aussagen der Suhrkamp-Autoren (Martin Walser, Max Frisch, Thomas Bernhard) ließen ein durchaus zwiespältiges Verhältnis zum Literatur-Markt und seinen Machern erkennen. Zwar kamen höflicherweise keine Schriftsteller zu Wort, die Unseld abgelehnt hatte, doch greinte Thomas Bernhard: Er hänge vom Verleger ab „wie a Bauer von d’r Ernte“; der Verleger sei halt ein „Herrgott“.




Bochumer Bergbau-Museum entdeckt die Ökologie – Erweiterungsbau für 13 Millionen DM fertig

Von Bernd Berke

Bochum. An der Ökologie kommen auch technische Museen nicht mehr vorbei: In seinem „Erweiterungsbau Süd“, der am Freitag eingeweiht wird, hat das Deutsche Bergbau-Museum Bochum die wohl wichtigste neue Abteilung der Umwelt-Beeinflussung durch den Bergbau gewidmet.

Schon 1556 hatte der Vorfahr aller Bergbau-Theorien, Georg Agricola, geargwöhnt: „Durch das Schürfen nach Erz werden die Felder verwüstet“. Nun dokumentiert also auch das Bergbau-Museum die Geschichte der Bergschäden, des Landschaftsverbrauchs und der „Altlasten“. Ein Grund dafür sind wohl die Legitimationsnöte im Zuge der (häufig befehdeten) Nordwanderung des Revierbergbaus. Da das Museum (Träger: Westfälische Berggewerkschaftskasse und Stadt Bochum) dem Montanwesen naturgemäß zugetan ist, werden zwar Umweltschäden registriert, aber Erfolge wie Entschwefelung und Neubegrünung von Halden stehen doch im Mittelpunkt.

In dem Erweiterungsbau, der nach Plänen des Architekten Kurt Peter Kremer in vier Jahren Bauzeit für 13 Millionen DM entstand, geht man teilweise originelle Wege, um die Sinne des Besuchers anzusprechen. So soll demnächst zum Thema „Altlasten“ ein echtes Stück verseuchter Erde in einem Glaskasten ausgestellt werden, so daß man die einzelnen Schichten plastisch vor sich haben wird. In einer weiteren Abteilung, die sich Problemen der Arbeitssicherheit im Bergwerk zuwendet, finden sich auch Gegenstände, die bei Unglücken eine Rolle gespielt haben: eine zerbrochene Grubenlampe (Radbod-Katastrophe 1908), ein Schuh, in den man einem eingeschlossenen Bergmann durch ein Notloch flüssige Nahrung träufelte – und ein Etui. dem ein unvorsichtiger Kumpel jene Zigarette entnahm, mit der er 1934 in Böhmen eine tödliche Grubenexplosion auslöste.

Das auffälligste Ausstellungsstück ist aber zweifellos jene Dampfmaschine von 1799 (die älteste erhaltene in Westdeutschland), die im Lichthof drei Stockwerke hoch emporragt. Bis 1932 arbeitete der Gigant in der SoIeförderung auf der Saline Königsborn bei Unna und verbrauchte riesige Mengen Kohle. Es sind weitgehend noch die (restaurierten) Originalteile, die nun in Bochum zu sehen sind. Am verblüffendsten sind wohl die Maschinensäulen, die antiken griechischen Vorbildern nachempfunden worden sind – ein industrieller „Klassiker“ in jedem Sinne also.

Eigentlicher Anstoß für den Neubau war das Fehlen eines akzeptablen Restaurants fürs Publikum (1985: 430 000 Besucher). Also enthält der neue Trakt, neben 2500 qm zusätzlicher Ausstellungsfläche, Depots, Werkstätten, Hörsaal und Seminarraum auch eine Cefeteria mit rund 130 Plätzen. Besucherfreundlich soll es auch am 27. und 28. September zugehen. An beiden Tagen ist der Eintritt frei.




Rock-Musiker wollen über ihre Renten reden – Erstmals Bundeskongreß: Beruf soll seriöser werden

Von Bernd Berke

Berlin/Lüneburg. Die „wilden Jahre“ sind offenbar endgültig vorüber: Deutsche Rockmusiker wollen ihren Beruf jetzt auf seriöse Grundlagen stellen. Auf ihrem erstmals stattfindenden Bundeskongreß (15.-18. August am Rande der „Show-Tech“-Messe im „ICC“ Berlin) soll eine geregelte Rentenversorgung für „Alt-Rocker“ ebenso diskutiert werden wie eine solide Ausbildung des Nachwuchses.

Treibende Kraft ist die erst 1983 gegründete „Bundesarbeitsgemeinschaft der Rockmusiker“ mit Sitz in Lüneburg und Ortsvereinen in bislang 26 Städten. Ole Seelenmeyer (38), Mitgründer der Organisation und als Bassist seit gut 20 Jahren im Geschäft, klagt: „Es gibt bei uns ein riesiges ,Rock-Proletariat‘. Die meisten Bands krebsen am Rande des Existenzminimums dahin.“

Wo schon die Gegenwart so trübe aussieht, ist es auch um die Zukunft schlecht bestellt. Zwar ist noch nicht heraus, in welchem Alter Rockmusiker eigentlich aufs Altenteil gehören, doch wird ein Experte die Musiker in Berlin vorsorglich darüber aufklären, wie sie das weitmaschige Netz der seit kurzem bestehenden Künstler-Sozialversicherung durch flankierende Maßnahmen dichter knüpfen können.

Erst einmal aber wollen die Versicherungs-Beiträge aufgebracht sein. Die Kongreßteilnehmer werden deshalb auch „über Möglichkeiten einer vernünftigen Ausbildung nachdenken“ (Seelenmeyer), die den „Rockern“ – so hofft man auf lange Sicht – geregeltere Einkünfte garantiert. Ein „Rockprofessor“ vom einzigen Deutschen Institut für Populärmusik in Hamburg hat vor, den Musikern eine Art „Diplom“ schmackhaft zu machen. Ole Seelenmayer findet, daß man nicht zuletzt dem Publikum eine derart „beglaubigte“ Musizierleistung schuldig sei: „Viel zu viele Kollegen ersetzen mangelndes Können durch Bühnen-Flitter“, schilt er seine Zunft. Auf solche Weise werde man nie wirklich aus dem Schatten der afroamerikanischen Konkurrenz treten können, sondern auf ewig „Rock-Provinz“ und Absatzmarkt für US-Plattenkonzerne bleiben.

Ein weiteres Thema des Bundestreffens, zu dem auch Amateure und Fans kommen dürfen, hat ebenfalls mit Finanzen zu tun: Es soll geklärt werden, wie man sich reichlicher aus dem „Goldenen Topf“ der GEMA-Gebühren bedienen kann. Hier sei noch „einiges zu holen“. Ole Seelenmeyer: „Wenn wir die Rechtslage besser kennen würden, könnten wir unsere Ansprüche weit wirksamer durchsetzen.“

Die „Bundesarbeitsgemeinschaft der Rockmusiker“ (2120 Lüneburg, Kolbergstraße 30) hat inzwischen auch Prominente als „Ehrenmitglieder“ gewinnen können: Udo Lindenberg, Achim Reichel und Konzertmanager Fritz Rau gehören dazu. Die Stars der Branche sollen den Interessen der „Basis“ mehr Nachdruck verleihen.




Neue Kulturstiftung Ruhr will das Revier auch im Ausland zum Begriff machen

Von Bernd Berke

Essen. Einen Chirurgen benötige die Kultur des Ruhrgebiets zwar keineswegs, „wohl aber immer wieder frische Blutzufuhr“. So bildhaft begrüßte Ministerpräsident Johannes Rau gestern in der Essener Villa Hügel den Start eines hocheingeschätzten Projekts: Seit gestern gibt es die „Kulturstiftung Ruhr“, die laut Satzung alle überörtlichen Maßnahmen fördern soll, die geeignet sind, das Revier als „einheitliche Kulturlandschaft von Rang“ im In- und Ausland darzustellen.

Die Initiative ging von der Krupp-Stiftung und ihrem Kuratoriumsvorsitzenden Berthold Beitz aus. Die Stiftung bringt in den nächsten zehn Jahren je 1 Million DM in die Kulturstiftung Ruhr“ ein. Prof. Paul Vogt, Direktor des Essener Folkwang-Museums und neben Beitz im Vorstand der Stiftung, umriß die Förderungs-Aufgaben der neuen Institution wie folgt:

  • Aus- und Weiterbildung eines qualifizierten künstlerischen Nachwuchses
  • Dokumentation herausragender ruhrgebietsspezifischer Ereignisse
  • Unterstützung von Pilotprojekten mit besonderer Bedeutung für das Ruhrgebiet
  • Ausstellungen oder ähnliche Veranstaltungen, die Maßstäbe für das Kulturleben im Revier setzen können und dessen internationales Ansehen fördern.

Wie gestern weiter mitgeteilt wurde, werden erste Projekte im Sommer dieses Jahres spruchreif. Einzelheiten wurden noch nicht verraten.

NRW-Kultusminister Hans Schwier gab sich in Essen zuversichtlich. Kulturförderung sei indirekt auch Wirtschaftsförderung. Mit Blick auf den Landeshaushalt meinte Schwier, man habe endlich die „Talsohle erreicht“ und werde sie durchschreiten, indem man künftig auch im Kulturbereich wieder schrittweise aufgestocken werde. Bei diesem Normalisierungsprozeß, so Johannes Rau, könnten private Initiativen wie die soeben gegründete Stiftung wichtige „Signalwirkung“ haben und öffentliche Anstrengungen beflügeln. Insofern sehe er in der Stiftung nicht nur einen Geldgeber, sondern auch einen „Hoffnungs-Stifter“. Kultur werde gerade in sozial weniger rosigen, zur Resignation neigenden Zeiten zur „Lebensfrage“. Das Revier sei eben nicht nur eine Region der Arbeit, sondern zähle zu den wichtigsten Kulturzentren der Welt.

Ein Wermutstropfen fiel gestern dennoch in den Freudenbecher. Berthold Beitz beklagte die nach seiner Ansicht kleinlichen Richtlinien des deutschen Stiftungsrechts. Ursprünglich habe man die „Kulturstiftung Ruhr“ mit einem Grundkapital von 10 Millionen DM ausstatten wollen. Dies sei aus steuerlichen Gründen nicht möglich gewesen. Nun müsse man den Betrag auf zehn Jahre verteilen, was enormen Zinsverlust bedeute. Beitz drastisch: Es sei steuerlich einfacher, afrikanische Fußballer zu fördern als einheimische Kultur. Um das Mindestkapital aufzubringen, griff Beitz in die Privatschatulle. Betrag: 100 000 DM. Da die Stiftung sich als „Sammelbecken“ verstehe, könne jedermann sein Scherflein beitragen.




Geld bewegt den Kunstbetrieb: Mäzene und Besitzer machten 1983 die meisten Schlagzeilen

Auch 1983 hatte der Kunstbetrieb oft mehr mit „Betrieb“ als mit Kunst zu tun. Nicht so sehr um Stilrichtungen und Werke drehte sich das Medienkarussell, als vielmehr um Mäzene und Erlöse.

Einer der Höhepunkte war die Ersteigerung des Evangeliars Heinrichs des Löwen für satte 32,5 Millionen DM am 7. Dezember bei Sotheby’s in London. Ob und wieviel die Welfen dabei mitkassieren, wird diskret verschwiegen. Der Verdacht, daß mit knappen öffentlichen Geldern ein marodes Fürstenhaus saniert wird, drängt sich auf.

Offener liegen die Vorgänge um Watteaus Rokoko-Gemälde „Einschiffung nach Cythera“ zutage. Als Hohenzollern-Prinz Louis Ferdinand für das Liebesinsel-Bild stolze 15 Millionen DM verlangte, widrigenfalls das Bild außerhalb Berlins verkauft werden könne, löste das eine Spendenwelle aus. Just zu Weihnachten waren 5 Mio. DM beisammen, so daß der Bund und Berlin jeweils mit dem gleichen Betrag als Retter beispringen können.

Nicht nur adelige Kunstbesitzer, auch bürgerliche Mäzene machten von sich reden. Der Aachener Schoko-Fabrikant Peter Ludwig veräußerte im März eine Kollektion mittelalterlicher Handschriften ans steinreiche Getty-Museum in Malibu/Kalifornien. Kölner Museumsleute fielen aus allen Wolken, hatten sie doch den Verkaufswert durch wissenschaftliche Bearbeitung gesteigert und fest damit rechnet, die Sammlung in der Domstadt halten zu können.

Günstiger scheint sich unterdessen die Liaison zwischen Lothar Günter Buchheim und Duisburg zu entwickeln. Der Stadtrat beschloß, dem Lehmbruck-Museum einen 11-Millionen-Bau anzugliedern, der für die Buchheimsche Expressionisten-Sammlung bestimmt ist – Pilgerstätte für Kunstliebhaber, aber auch ein zu Lebzeiten errichtetes Monument für den Stifter…

Im Revier war es ein Jahr der neuen Museen

Duisburg kommt 1986 dran, aber schon 1983 war ein denkwürdiges Jahr, was Museen im Revier betrifft: Das Museum Bochum eröffnete im Oktober einen Erweiterungsbau, in Essen wachsen Folkwang- und Ruhrland-Museum Zug um Zug, in Dortmund wurde am 26. November das Museum für Kunst und Kulturgeschichte eingeweiht. In Köln wehte der Richtkranz über dem Neubau des Wallraf-Richartz/Ludwig-Museums, Wuppertal hob ein Technikmuseum aus der Taufe – Keimzelle für ein „Historisches Zentrum“.

1983 war zwar ein Jahr der Museen, weniger ein Jahr der weltbewegenden Ausstellungen. In NRW dürften in Düsseldorf (das im Kunstmarkt-Gerangel Köln unterlag) noch die gewichtigsten präsentiert worden sein: im Januar die Matisse-Retrospektive, im Mai der voluminöse „Hang zum Gesamtkunstwerk“, im Dezember die Picasso-Skulpturen. Doch auch das Westfälische Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte in Münster wartete mit bemerkenswerten Ausstellungen auf, u.a. mit der „Tunis-Reise“ von Macke, Klee und Moilliet, die allein über 100000 Besucher anzog. Das Museum Folkwang in Essen setzte mit Erich Heckel und der „Sammlung FER“ erneut Maßstäbe fürs Revier.

Wenn denn überhaupt Trends auszumachen sind, so vielleicht – als Gegenbewegang zur mehr national gewichteten Strömung der „Neuen Wilden“ – eine Rückbesinnung auf die USA als Hauptland neuester Kunst. Die Düsseldorfer Kunsthalle zeigte „New York Now“, das Rheinische Landesmuseum in Bonn „Back to the USA“.

Auf den nationalen bzw. regionalen Aspekt heben zwei Großprojekte ab, die für 1984 angekündigt werden. Unter Regie der Arbeitsgemeinschaft deutscher Kunstvereine wachsen im Sommer 46 Städte zu einer „Kunstlandschaft Bundesrepublik“ zusammen, in der jede Region ihr Eigengewicht behält. Elitärer gibt sich die von einem finanziell wohlbestallten Düsseldorfer Verein geplante „Neue Deutsche Kunst“, mit der man im Herbst ’84 in Düsseldorf ausschließlich deutsche Spitzenleistungen vorführen will.

Auf nationale Elite scheint sich auch Bundesinnenminister Zimmermann zu kaprizieren. Was er beim Film mit neuen Förderungsrichtlinien zu verhunzen droht, hat – stimmen die Befürchtungen von Museumsexperten – Entsprechungen: Bundeskunsthalle raus, Gedenktempel nach Walhalla-Art rein.

Bleibt die Hoffnung, daß Kunst und Künstler sich nicht vereinnahmen lassen und standhaft bleiben – wie der „Zürcher Sprayer“ Harald Nägeli, der weiter mit seiner Auslieferung an die Schweiz rechnen muß und (gottlob) eine Dozentenstelle in Wiesbaden ablehnte.




Kölner Kunstmarkt: Veranstalter geben sich optimistisch – Streit um Zukassungs-Kriterien und Standort

Von Bernd Berke

Köln. „Der Kunstmarkt expandiert wieder kräftig.“ Bogislav von Wentzel, Vorstandsvorsitzender des Bundesverbands Deutscher Galerien, machte auf Optimismus.

Auf einer Pressekonferenz zum heutigen Start des Internationalen Kölner Kunstmarktes (bis 17. November), wischte er gestern alle, in den letzten Wochen an der Verbandsspitze geübte Kritik vom Tisch. Hatte noch tags zuvor der Bundesverband Bildender Künstler (BBK) die Messe als „nicht repräsentativ“ bezeichnet, so ging von Wentzel nun in die vollen. Der Kunstmarkt könne „die Szene deutlicher repräsentieren, als die scheinbar so großen unabhängigen Ausstellungen“ wie die „documenta“ oder die Biennale.

Dieter Ebert, Hauptgeschäftsführer der Kölner Messe- und Ausstellungs GmbH, stieß nach: „In Köln finden sie (die Besucher) alles, was ihr Herz begehrt: Kunst aller Stilrichtungen und Epochen!“ Eine Übertreibung, gelinde gesagt. Aktionskunst, Performance oder Video-Arbeiten fehlen beispielsweise.

152 Galerien (darunter eine aus Dortmund) aus acht Ländem sind auf dem Deutzer Messegelände dabei. US-Galerien glänzen – wie letztens auch in Paris und Basel – durch Abwesenheit. Die Käufer, so glaubt die Bundesverbandsspitze festgestellt zu haben,, wenden sich wieder der „Avantgarde“ zu. Im Rahmen eines Förderprogramms werden daher auch 25 noch nicht durchgesetzte Künstler vorgestellt. Weitere Sonderschau: 80 Werke (Giacometti, Yves Klein u.a.) aus dem Louisiana-Museum Humlebaek, nördlich von Kopenhagen gelegen.

Der gestern verbreitete Optimismus tut not, wird doch die Messe von mehreren Seiten attackiert. Hauptstreitpunkte sind „Zulassungkriterien“ und Standortfrage. Galeristen, die sich vom längst fallengelassenen Vorstands-„Konzept der 100″, das die Zahl der Aussteller auf eine Hundertschaft hatte begrenzen sollen, ausgebootet fühlten, probten den Aufstand.

Auch mit der Standortwahl (der Markt soll nur noch in Köln stattfinden) setzte sich der Verband in die Nesseln. Der Beschluß brachte besonders Galeristen aus dem Raum Düsseldorf auf die Barrikaden. Um die Rivalität der Rheinmetropolen doch noch zugunsten der Landeshauptstadt ausschlagen zu lassen, erzwangen sie für morgen eine außerordentliche Sitzung des Galeristenverbandes.




Sinkt das Interesse an großen Museen?

Von Bernd Berke

Münster. Die großen Museen, etwa in Köln, München und Berlin, verzeichnen sinkende Besucherzahlen, die kleinen und mittelgroßen Institute holen auf. Das sind die Trends, die sich in der (noch nicht abgeschlossenen) Statistik für 1982 deutlich abzeichnen.

Vertreter des Deutschen Museumbundes (DMB), dessen Jahrestagung gestern in Münster zu Ende ging, sprachen in diesem Zusammenhang von einem „Rückgang aufs normale Maß“ und nannten als mögliche Gründe für die Einbußen das Fehlen besonders spektakulärer Ausstellungen sowie die in der Rezession immer öfter geübte Praxis, dort Eintrittsgelder zu erheben, wo es bislang Museumskultur „zum Nulltarif“ gab. Auch sonst stand die Tagung zum großen Teil im unheilschwangeren Zeichen der Finanzmisere.

Dr. Christoph B. Rüger (46), Direktor des Rheinischen Landesmuseums Bonn und frischgebackener Vorsitzender des Deutschen Museumsbundes (der 636 „Vollmitglieder“ vertritt), beklagte vor allem die Auswirkungen des neuen Künstler-Sozialversicherungsgesetzes. Die Paragraphen schreiben vor, daß fünf Prozent der Ankaufsummen für Objekte lebender Deutscher Künstler an deren Sozialfonds abzuführen sind. Rüger: „Damit werden die ohnehin schon knappen Mittel für den Kunstankauf nochmals verkürzt“. Zwar sei eine solide Absicherung der Künstler wichtig, doch dürfe sie nicht auf Kosten der Ankaufsetats gehen. „Die öffentlichen Haushalte müssen unsere Etats entsprechend aufstocken“, forderte Rüger.

Fast schon selbstverständlich: Auch das Thema „Veräußerung von Magazinbeständen“ spielte bei der Tagung wieder eine überragende Rolle. Während Galeristenverbände auf eine „Belebung des Marktes“ hoffen, wenn Angestaubtes aus den Kellern der Musentempel geholt und feilgeboten wird, wehren sich die Museumsleiter beharrlich gegen diese Art der Etataufbesserung. Hauptargument: In den Tiefen der Magazine schlummere vieles, was dereinst wiederentdeckt und für kommende Generationen wichtig werden könne. Zum Teil würden die Magazine auch jetzt schon „aktiviert“, indem große Museen Leihgaben an kleinere aus diesem Fundus bestritten. Schließlich koste auch die marktgerechte Erfassung und Aufbereitung der „Keller-Kultur“ horrende Summen, so daß gar nicht viel Profit für die Museen abfallen würde. Christoph Rüger an die Adresse der privaten Galeristen: „Außerdem sind wir nicht dazu da, einen Berufsstand zu versorgen.“

Eine in Münster diskutierte Initiative des Museumsbundes kündigte dessen neuer stellvertretender Vorsitzender, Prof. Siegfried Rietschel (Karlsruhe), an: Man wolle verstärkt die Leiter der räumlich beengten Universitäts-Sammlungen beraten. Leider „vergammelten“ viele der dort aufbewahrten Schätze. Auf diesem Gebiet verschenke manche Hochschule eine Chance, sich der Öffentlichkeit freundlicher zu präsentieren.




Von einer hartnäckigen Linde und blitzschnellen „Blumen-Uhren“ – Kreis Kleve will weg vom Negativ-Image des „Schnellen Brüters“

Von Bernd Berke

Der Kreis Kleve hat Image-Sorgen. Allzu häufig, so meinen Offentlichkeitsarbeiter vom Niederrhein, hat allein der „Schnelle Brüter“ für (eher unrühmliche) Schlagzeilen gesorgt. Den Ruf des bloßen Sammelplatzes für Großdemonstrationen zu korrigieren, war denn auch der Zweck einer Pressefahrt, die das Amt für Wirtschaftsförderung des Kreises an der deutsch-niederländischen Grenze veranstaltete. Tenor: „Wir haben mehr zu bieten als teure Großtechnologie.“ Hier einige Eindrücke:

Wer auf dem Marktplatz von Kalkar steht, hat historischen Boden unter den Füßen. Die Pflastersteine sind dieselben, über die die Altvorderen im 16. Jahrhundert schritten. In jener Zeit wurde auch die ehrwürdige Gerichtslinde gepflanzt, die noch heute den Stadtmittelpunkt ziert. Eigentlich sollte der Baum schon längst gegen einen jüngeren „Nachfolger“ ausgetauscht werden, doch dank der Künste eines Nürnberger „Wunderdoktors“, der alljährlich heilsame Emulsion in den Stamm injiziert, hält sich die Linde immer noch.

Wenige Kilometer von diesem spätmittelalterlichen Idyll entfernt entsteht jenes Bauwerk, das nach Ansicht seiner Befürworter den Weg ins Jahr 2000 markiert: der „Schnelle Brüter“. Kalkars Stadtdirektor Rainer Jürgenliemk hält viel von dem Milliarden-Projekt, und das ist aus seinem Blickwinkel auch ganz verständlich, bringt doch der Koloß von Kalkar schon lange vor seiner Inbetriebnahme (frühestens 1986) einiges fürs Stadtsäckel. Rund ein Viertel der gesamten Gewerbesteuereinnahmen Kalkars kämen bereits jetzt von der Betreibergesellschaft des Nuklearriesen, die damit der bei weitem größte Steuerzahler des Städtchens sei – und das, obwohl von hier noch kein Kilowatt elektrischer Energie geflossen ist.

Kein Wunder also, daß der Verwaltungschef Proteste gegen das Mammut-Vorhaben beiseite wischt: „Die Bevölkerung unseres Kreises ist sowieso zu 95 Prozent neutral in dieser Angelegenheit“, meint er. Demonstranten kämen überwiegend von weither. Der „Brüter“ schaffe zunächst etwa 140, später dann 200 Arbeitsplätze. Stille Hoffnung: Jetzt könne sich Kalkar sozusagen am eigenen Schopfe aus dem Sumpf des Gemeinde-Defizits ziehen.

Rings um den neu 12 000 Einwohner-Ort Straelen findet man die dichteste Konzentration von Gewächshäusern im gesamten Bundesgebiet. Straelen selbst ist Schauplatz eines besonders farbenreichen Spektakels. Hier findet täglich die größte bundesdeutsche Blumenauktion statt. Etwa 15 Prozent aller in Westdeutschland umgesetzten Schnittblumen gehen hier den Weg vom Züchter zum Händler. Der Laie kann die hektische Auktion (1400 Verkäufe pro Stunde!) erst richtig verfolgen, wenn er sich mit den Geheimnissen der Straelener „Blumenuhren“ vertraut gemacht hat. Das sind zwei zifferblattähnliche elektronische Anzeigetafeln, die die wichtigsten Fakten zum Versteigerungsgeschehen innerhalb von Sekundenbruchteilen anzeigen. Für Statistiker: auf dem Straelener Versteigerungs-Großmarkt werden pro Jahretwa 250 MillionenEinzelblumen (Stiele) angeliefert, davon z. B. 30 Millionen Rosen.

Der sagenhafte Lohengrin würde vermutlich wohlgefällig nicken, wenn er von seiner Stammburg in Kleve heute das Land überblicken und eine weitere Attraktion des Niederrheins sehen könnte. Ein bei Wandervögeln beliebter Rheinarm von fast 5 Kilometer Länge, der zu versanden drohte, wurde mit einem Saugbagger entschlammt und führt jetzt wieder sauerstoffhaltiges Wasser. Das zwischen Emmerich und Rees gelegene Areal bietet nun etwa 60 000 Wildgänsen aus dem hohen Norden ein ideales Winterquartier.

Perfekte Fliesen aus Emmerich riefen Fälscher auf den Plan

Auch hochwertiges Kunsthandwerk kommt aus dem Kreis Kleve. Eine Keramik-Manufaktur in Emmerich hat neuerdings Fliesen und Kacheln im Programm, die originalgetreu nach alten Motiven handbemalt werden. Sogar die Haarrisse der Vorlagen werden nachgeahmt. In limitierter Auflage und mit Echtheitszertifikat ausgestattet, sind die Stücke zu begehrten Sammelobjekten geworden. Sorgen bereitet den Herstellern allenfalls die eigene Perfektion: die Fliesen sind so täuschend „auf alt gemacht“, daß Fälscher schon das Emmericher Firmenzeichen abschmirgelten und die dekorativen Produkte als „echte Antiquitäten“ zu Phantasiepreisen unter die Leute brachten.

Der Wallfahrtsort Kevelaer ist Sitz einer der bedeutendsten Werkstätten für Glasmalerei ganzen Bundesgebiet. Das Unternehmen hat sogar das althergebrachte, verbriefte Recht, sich mit dem Beinamen „päpstliche Hofglasmalerei“ zu schmücken. Jeder Arbeitsgang wird hier noch von Hand ausgeführt. Die Farbpalette läßt kaum Wünsche offen. Mehrere tausend Farbwerte in allen denk- und kaum noch sichtbaren Abstufungen sind als koloriertes Glas lieferbar. Ergebnisse sind weltweit zu besichtigen. In die Weltfriedenskirehe Hiroshimas wurden ebenso in Kevelaer gestaltete Fenster eingesetzt, wie in die Dome zu Trier und Köln. Besonders hat man sich auf die Restaurierung unersetzlichen alten Glases verlegt.

Vom Kunsthandwerk zur Kleinkunst:. Heinz Bömler (35) aus Goch ist Herr über die wohl kleinste fahrende Puppenbühne weit und breit. Das Mini-Theater wurde in einen Speditionswagen aus dem Jahr 1913 eingebaut, auf dessen 9 Bänken bis zu 50 Kinder Platz finden. Gezogen von einem DDR-Uralt-Traktor rollt die Wanderbühne von Ort zu Ort.

Zu nennen wären etwa noch die supermoderne Zuckerfabrik Appeldorn, in der täglich 5000 Tonnen Rüben verarbeitet werden oder das Niederrheinische Museum für Volkskunde und Kulturgeschichte in Kevelaer mit seiner umfangreichen Spielzeug-Sammlung.

Es mangelt also nicht an Attraktionen und Kuriositäten im Kreis Kleve, die den „Schnellen Brüter“ freilich nicht ganz vergessen machen können.

Nähere Informationen gibt’s bei der Kreisverwaltung Kleve, Amt für Fremdenverkehr, Postfach 1507, 4190 Kleve (Tel.: 02821/85340).

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(Sonderseite „Bilder und Berichte“)




Die Logik der Kernkraft-Freunde – Hildebrandts „Scheibenwischer“ zur Atomenergie

Von Bernd Berke

Dieter Hildebrandt läßt sich nicht beirren. Allen Anfeindngen zum Trotz, hat er mit der neuesten Ausgabe von „Scheibenwischer“ (ARD) in die gleiche Kerbe gehauen wie mit seiner schon legendären Sendung über den Rhein-Main-Donau-Kanal. Diesmal ging es um Kemkraftwerke, und siehe da: Die Namen einiger bayerischer Politiker, die schon in der Kanal-Sendung in wenig schmeichelhaften Zusammenhang aufgetaucht waren, standen erneut im Mittelpunkt. Unnachahmlich Gerhard Polt, der durch die simple mehrfache Nennung des bayerischen Sozialministers die Lachmuskeln reizte.

Hildebrandt sagte eingangs, er habe sich ganz fest vorgenommen, endlich mal „hemmungslos positiv“ über Atomkraft zu sprechen. Polt und Gisela Schneeberger sollten – als Werbekolonne der Stromerzeuger – dabei Hilfestellung leisten. Klar, daß ihnen die hinrissigsten „Argumente“ in den Mund gelegt wurden, die Hildebrandts gute Vorsätze mitunter ins Wanken brachten.

Kein echter Vertreter der Pro-Kernkraft-Linie würde zwar so ohne Umschweife und zynisch seine Meinung vertreten, doch wurde durch satirische Übertreibung manches deutlich, was sonst im beschönigenden Wortgeklingel untergeht. Absurder Gipfel der vermeintlichen Atomstrom-Propaganda: Berechnungen, die darauf hinausliefen, daß der Stromverbrauch zwar sinke, der Bedarf aber steige. Ein logischer Bruch, fürwahr! Er entstand daraus, daß die Bedarfsprognosen der Stromproduzenten als über jeden Zweifel erhaben dargestellt wurden.

Schade, ewig schade, daß Hildebrandt und seine Mitstreiter nicht ausführlicher auf die jüngsten Ereignisse in Bonn eingingen. Bereits die Titulierung des wechselfreudigen FDP-Vorsitzenden Genscher als „Doppelstecker“ und das Wortspiel mit der „Wandelhalle des Bundestags“ ließen ahnen, welches Bravourstück daraus hätte werden können. Gerade durch die Bonner Wechselspiele hat jedoch auch das gewählte Thema „Energiepolitik“ neue Aktualität erlangt.




Der Busen muß der Heimat weichen – WR-Umfrage: Was tun deutsche „Aufklärer“ nach der Sex-Welle?

Von Bernd Berke

Die Sexwelle, so hört man allenthalben, sei zu Ende. Nun gibt es für diese Behauptung einen untrüglichen Beweis: Selbst Alois Brummer, Bayerns und Deutschlands unermüdlichster Sex-Film-Produzent („Graf Porno“), ist von der Welle an Land gespült worden. An Heimatland.

Brummer resignierend: „Ich bin auf Heimatfilme und Abenteuerstreifen umgestiegen.“ Sein einst so zahlungswilliges Publikum ist übersättigt, und der bayrische Produzent sucht derweil nach neuen Kassenschlagern, denn Heimatfilme – so bekennt er – sind für ihn „nur eine Übergangslösung.“

Qualität hat wieder eine Chance in deutschen Kinos. Unter 27 Filmen, die in der letzten Hitliste der Kinoeigentümer ganz oben rangieren, befinden sich nur fünf ausgesprochene Sexstreifen. Die Hongkong-Welle, deren dominierendes Element brutale Karate-Szenen sind, ist in dieser Liste gleichfalls fünfmal vertreten. Nach Meinung des Filmverleiherverbandes freilich haben Sado-Filme dieser Machart ebenfalls ihren Höhepunkt überschritten. Was Filmtheaterbesitzer nicht für möglich hielten: Selbst der durch erboste Proteste populäre „Krankenschwestern-Report“ erklomm lediglich den 27. Rang.

Bei der Freiwilligen Selbstkontrolle (FSK) ist man über den Zahn der Zeit, der nun am Geschäft mit der Pornographie nagt, glücklicher. Die Wiesbadener „Sittenwächter“ beobachten ein sinkendes Interesse an Zelluloidlust. Ein FSK-Mann dazu: „Eine Zeitlang waren die Gerichte verunsichert, was erlaubt sei und was nicht. Jetzt, da feststeht, daß die Pornographie-Freigabe nicht so weit geht wie anfangs geplant, ist es besser.“ Inzwischen sei es so weit, daß Sex fast nur noch ankomme, wenn er ironisch verfeinert oder in härteren Dosen dargeboten werde.

Auch beim Verband der Filmverleiher e.V. Düsseldorf wird „Sex“ kleiner geschrieben als zu Kolle-Zeiten. Mit Sorge beobachtet man, wie allerorten Filmklubs wie Pilze aus dem Boden schießen, in denen es ein wenig lebendiger zugeht, als dies in öffentlichen Kinos möglich wäre.

Der Düsseldorfer Constantin-Verleih, mit Kolle-Produkten Wellenvorreiter und mit Schulmädchen-Reports einer der eifrigsten Serienverkäufer, setzt nur noch bedingt auf „nackte Tatsachen“: Von 70 Streifen, die im vergangenen Jahr vertrieben wurden, behandelten nur noch zwölf das „Thema Nummer eins“. Ganz froh ist man nicht über die Entwicklung, denn Sexfilme habe man „außerordentlich preiswert herstellen“ können.

Im übrigen sei die Welle in der Provinz schon verebbt, während sie in Großstädten ihre letzten Ausläufer in wenigen Kinos habe. Statt dessen kämen in letzter Zeit immer häufiger Anfragen – auch von privater Seite –, ob denn die großen Verleihe nicht mit deftigerer Kost aufwarten könnten. Das können sie nicht: aus rechtlichen Gründen.

Selbst im neuen Kolle-Roman spielt die Lust nur eine Nebenrolle

Günther Hunold, Autor der populärwissenschaftlichen Vorlagen für die „Schulmädchenreports“, deren siebte Folge zur Zeit produziert wird, meint, daß die Sexwoge sich zwar geglättet habe, teilweise aber in die Privatsphäre geschwappt sei. Hunold: „Das sieht man schon daran, daß der Sex-Versand von Beate Uhse hohe Umsatzsteigerungen verzeichnet.“ Der Trend, sich wieder auf den Partner statt auf die Leinwand zu konzentrieren, sei nicht zuletzt durch die Fahrverbote Ende letzten Jahres begünstigt worden.

Das Niveau der Sexfilme sei ohnehin bedenklich gesunken, „obwohl man dachte, jetzt geht es nicht mehr tiefer“ (Hunold). Hunold, dessen bebilderter „Sexatlas“ mittlerweile in zehn Sprachen erschien, wundert sich, was in den Filmstudios aus seinen Reports gemacht wird. „Neulich habe ich mir einen der Schulmädchenfilme im Kino angesehen. Als ich das Kino verließ, habe ich mir die Mütze tief ins Gesicht gezogen…“ Er selbst befinde sich nicht im Sexwellental: „Noch nie war ich mit Arbeit so ausgelastet wie heute.“

Und was meint Oswalt Kolle, einstiger Aufklärer der Nation? „Sexwelle?“, fragt er ungläubig. „Die Menschheit hat seit 2000 Jahren immer viel vom Sex gehalten.“ Allerdings: „Diese Filmwelle, von wegen ,Dampf in der Lederhose‘ und so, das geht wohl jetzt vorbei.“ Er selbst habe mit dieser Welle nichts zu tun. Sein Bestreben, den Sex „aus dem Dunkel und dem Schmutz herauszuziehen“, sei durch einige Filmprodukte arg verwurstet und ins Lächerliche gezogen worden.

Kolle lebt sehr zurückgezogen im holländischen Hilversum. Filme macht er nicht. Statt dessen arbeitet er an einem größeren Werk: „Ich schreibe einen Roman, aber keine Aufklärung, sondern ’ne richtige Geschichte.“ Die Sexwelle ist wohl doch vorbei.