„Ungestört sein“ – ein kurzes Gedicht

Im Schlafzimmer

will fast

jede

und

jeder

ungestört sein.

Aber Religion

soll keine

Privatsache

sein

mancherorts.

Ungestört

will jeder

Atheist sein

im Schlafzimmer

im Ohr

in seinem Gehirn.

Amen

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Manege frei für die Revierpassagen-Weihnachtsgeschichte(n)

Weih-Baum

Finde den Fehler! Foto: GH

Über uns der Rest vom Mond
oder
Siebenundzwanzig Geschichten ohne Sinn und Verstand


Eine erste Geschichte
Draußen im Schnee kleben drahtige Kerle
knallbunte Plakate mit Panther, Clown und Frau.
Der Zirkus ist da.

Und plötzlich des Nachts
trägt Wind Savannengeruch mir in die Träume –
fernes Löwengebrüll, Elefanten trompeten.

Des Morgens Freikarten, auf der Straße ruft einer:
„Zwangsarbeiter! Stechuhranbeter!
Hier ist er,
der Fehler mit Geschmack!
Probieren Sie das Abenteuer Ich!
Werden Sie Alltagskaiser!“

 

Eine zweite Geschichte
„Weg mit den Auf- und Zu-Gesichtern des Januar.
Gehen Sie mit uns auf die Gratisreise.

Tanzen Sie unter dem Seil
oder legen Sie Ihren Zopf
in den Rachen des Alligators.

Hereinspaziert, Mädchen und Jungen,
heute ist der Eintritt frei!
Erwachsene zahlen die Hälfte.“

 

Eine dritte Geschichte
Gern wär‘ der traurige Panther heut‘ Abend
das Drehorgeläffchen.

Gern stünde er
im Vorzelt des Zirkus, kurbelte Katzenmusik
und sammelte Münzen auf.

Gern sähe er die Kinder rufen:
„Owiesüß, owiesüß!“

Nur zwei, höchstens drei von ihnen
fräße er.

Gern verbeugte er sich
vor den anderen.

 

Eine vierte Geschichte
Vorhang auf!
Fünf wilde Hengste.

Manege frei!
Machen Männchen.

„Allez hopp!“
Auf den Pfiff
(„Allez, allez!“)
einer Frau.

(Zur Belohnung zwei Stück Zucker.)

 

Eine fünfte Geschichte
Schimmelpaare mit blutrotem Federschmuck
tänzeln grazil ihr Pferdeballett.

„Hüha!
Hüüühaaa!“
schreit da ein Kind,
und dann ein zweites, drittes …

 

Eine sechste Geschichte
„Ja, wo gibt’s denn das?

Ein Feuerschlucker
mit Schluckauf!

Der soll hier mal bloß nicht
so große Töne spucken.

Der soll gefälligst mal
die Luft anhalten.

Kommt der
jetzt etwa zu uns?“

 

Eine siebte Geschichte
Dummärrr August traurig.
Dummärrr August weint.

Tränen tropfen
in eine klitzekleine Tuba.

Die klitzekleine Tuba
hat riesengroße Löcher.

Mit der Tuba
geht der Au-Au-August
unter die Leute.
Und bläst hinein.

Manche Menschen
werden nass,
viele
klatschen vor Freude.

 

Eine achte Geschichte
Allein der Herr neben mir
gibt sich unbewegt.

Ist immer zu entgegnen bereit,
dass mit dem Handrücken er
(obwohl noch kaum in Tränen)
sich nur die Augen wische.
Er nicht wünsche
in Winkeln Weibliches.

 

Eine neunte Geschichte
„Wie die da balanciert!
Wie die da balanciert!

Wie die da die Balance hält!
Wie die dabei Bananen schält!

Ich glaub‘,
mir wird gleich schlecht.“

 

 

Eine zehnte Geschichte
Das Orchester verstummt.
Ein Trommelwirbel kommt auf.

Der Seiltänzer kniet.
Die Spannung steigt.

Der vierfache Salto mortale!

Ein Paukenschlag!
Ein Tusch!

Der neue Drummer
hält sich gut.

 


Eine elfte Geschichte

Das wunderschöne Mädchen
im Parkett.

Der Equilibrist –
völlig aus dem Gleichgewicht –
schwankt, stürzt
genau in den Schoß
der Schönen.
Alle atmen auf,
hörbar selbst sie.

 

Eine zwölfte Geschichte
Don Gazpacho Andaluz,
bärbeißiger Magier aus Sevilla (nahe Winsen an der Luhe),
zersägt Jungfrauen bis sie ihm ausgehen.
Als Zugabe lässt er vier Ehemänner verschwinden.

„Hochverehrte Damen aus dem Publikum,
Eintrittsgelder können heute an der Kasse
leider nicht erstattet werden.

Einen schönen Abend noch!

(Seh’n wir uns nachher, gnä‘ Frau?“)

 

Eine dreizehnte Geschichte
„Der da!
Ja, der da!

Der steht doch gar nicht
im Programm.

Ja, gibt’s denn das?
Ja, gibt’s denn den?

Is‘ das ´n Clown?
Oder warum lachen die da so?“

 

Eine vierzehnte Geschichte
In Windeseile
bauen die Requisiteure
einen kreisrunden Käfig.

Aaaahhh:
Die gemischte Raubtiergruppe.
Drei Löwen, vier Tiger,
die dralle Dompteuse.

Ein Löwe brüllt
und springt vor das Gitter.
„Simba, Simba!“, zischt
die Frau mit der Peitsche.

„Sie waren ein wunderbares und
charmantes Publikum“,
faucht der Löwe
hinüber zur Loge.

 

Eine fünfzehnte Geschichte
Die bunten Wagen.
Die bunten Lichter.
Die bunten Kostüme.
Das bunte Treiben.
Die bunten Träume.

Das blaue Zelt.
Der blaue Abend.
Mein blaues Herz.

(Pause.)


Eine sechzehnte Geschichte
Der Kunstschütze tritt auf.

Das Schießen als Kunst.
So geht es,
vielleicht

Zur Not.

Er trifft ja nur ins Herz.
Ins Herz der Herzdame.

(Zur Not
geht es so.)

 

Eine siebzehnte Geschichte
Hoppla,
der große Zastelli
jongliert mit zehn Fischen.

Traurig sieht der Seehund
seiner Mahlzeit
beim Fliegen zu.


Eine achtzehnte Geschichte
Die Schlangenfrau
im knappen Trikot.

Wie die sich
dehnt und biegt und
spreizt.

Plötzlich
erwachen die Väter.
Ein jeder von ihnen heute Abend
der stärkste Mann der Welt.

 

 

Eine neunzehnte Geschichte
Melancholisch geigt auf der Säge
der Weißclown
und singt mit den Augen,
was jede versteht.

Lauthals und ganz im Vertrauen:
Er sei ein Streu-eu-euner,
ohne Haus, ohne Katze.

Auf den Lippen Gesänge,
auf der Haut Maccheroni,
bissfest
und süß.

 

Eine zwanzigste Geschichte
„Wir bitten
um absolute Stille und Konzentration
für unsere Spitzenartisten am Trapez.

Wen’s nicht auf den Stühlen hält,
der darf stehen.

Die fliegenden Menschen
im Lichtkegel dort
zeigen Ihnen in wenigen Minuten
das schwebende Rad.

Weltpremiere,
heute Abend!
Nur für Sie.
Nur für Sie.

Wer’s nicht glauben will,
muss geh´n.“

 

 

Eine einundzwanzigste Geschichte
„Der Messerwerfer da,
der Stümper,
immerzu
trifft er
daneben.

Die Frau da
auf der rotierenden Scheibe,
die lebt ja noch.

Der Messerwerfer da,
früher war der
ein Ass.“

 

Eine zweiundzwanzigste Geschichte
Zum Finale
rollt der Große Wagen
übern nördlichen Zirkushimmel.

Drei Nilpferde
steigen noch zu.

Der Applaus
ist gewaltig.

 

Eine dreiundzwanzigste Geschichte
Seltsame Paare schreiten durch die Manege:
Der gelbe Mandarin und seine Mandarine
gleichauf mit Sultan, Sultanine,
dahinter Kamel und Chamäleon,
ein verliebter Hornist mit Hornisse,
ein dicker Tubist und seine Turbine,
zuletzt – im gläsernen Wasserbecken –
der Hammerhai mit seiner Hammer-Heike.

Die Frau mit den zwei Köpfen
kann es einfach nicht fassen.

 

Eine vierundzwanzigste Geschichte
Hochverehrtes Publikum!
Zum Schluss
entschuldigen wir uns
im Namen der Direktion
für der Ausfall
der sensationellen
Faultier-Darbietung.

Als kleiner Trost
gibt am Ausgang
der Eisbär
jedem Dritten von Ihnen
die Tatze und
sagt „Auf Wiedersehn“!

 

Eine fünfundzwanzigste Geschichte
„Achgottachgott!
Achgottachgott!
Die Dame
ohne Unterleib
ist mit der Kasse
durchgebrannt.

Hat jemand
Arthur, den Zwerg,
geseh´n?“

 

Eine sechsundzwanzigste Geschichte
Draußen ist es
schon dunkel.

In den Kleidern der Geruch
von Sägemehl,
Schweiß und Tier.

In den Ohren
das Brüllen der Affen.
In den Augen Keulen, Ball
und Sterne.

Über uns
der Rest vom Mond.

 

 

Eine „Was auch immer für eine“-Geschichte
Diese Nacht
träumte den Pferden
von der endlosen Steppe.

Den Tigern
erschien die Große Mutter
Antilope.

Die Elefanten
hatten sowieso
nichts vergessen.

Selbst den Pudeln
träumte
von ihren Ahnen,
den Wölfen

Am Morgen
steht der Zirkus
stumm
und verlassen.




Gereimtes oder Ungereimtes

Ich möchte hier einen Versuch wiederholen. Beim für immer entschlafenen
Kulturblog Westropolis (2007-2010) hat es der entsprechende Thread über die
Jahre hinweg auf rund 1500 Wortmeldungen gebracht. Man verzeihe mir den preiswerten kleinen
Stolz, damit einen Rekord angestoßen zu haben, der dort nicht mehr gebrochen werden kann, weil jene Plattform der WAZ-Mediengruppe Anfang 2011
unwiederbringlich gelöscht worden ist.

Die Idee, wenn man sie überhaupt so nennen soll, ist denkbar
simpel und keineswegs originell:

Statt eines Kommentars hinterlässt man/frau hier just einen selbst verfassten Zweizeiler, Vierzeiler,
ein Sonett oder sonst etwas Gereimtes / Ungereimtes mit lyrischer Anmutung bis Zumutung.

Einstiegsschwelle niedrig, Skala der Ansprüche nach oben offen.

Als die A40/Bundesstraße 1 im Sommer 2010 fürs
kulturhauptstädtische „Stilleben“ gesperrt wurde, gab es etliche Stände, an
denen die Passanten Gedichtetes hinterlassen sollten, meist auf meterlangen
Textrollen. Ein Werk der Vielen. Es sollte „volkstümlich“ sein, und da ist – bei halbwegs strenger Observanz – peinliche „Volkstümelei“ nie allzu weit
entfernt. Kulturell etwas kleidsamer, doch ebenfalls zwiespältig, ist die immer wieder
gern kolportierte Auffassung von Joseph Beuys, jeder Mensch sei Künstler.

Hier möge es, wenn es denn in Gang kommt, vor allem freudig
zugehen. Gerade gereimte Zwei- oder Vierzeiler führen nicht selten zu (höherem) Nonsens und
blühendem Blödsinn.

Warum auch nicht? Wir werden sehen.




Gernhardt, Waechter, Bernstein – das Dreikönigstreffen des höheren Sinns und Unsinns in Menden

Von Bernd Berke

Menden. Man beachte den Unterschied: Es war kein Event, es war ein Ereignis. Der vor rund dreieinhalb Jahrzehnten geschmiedete Dreierbund des parodistischen Nonsens erneuerte sich am Samstag glorreich im Kinocenter Menden: Robert Gernhardt. F. K. Waechter und F. W. Bernstein waren da – gleichsam das Dreikönigstreffen des feinfühligen Humors.

Die Briten hatten „Monty Python“, unsereins hatte Loriot und diese drei: Zur Mitte der 60er-Jahre war’s, als das unvergleichliche Trio die „Welt im Spiegel“ (WimS) schuf, jene legendären Seiten für höheren Sinn und Unsinn, die dem Satiremagazin „Pardon“ beigeheftet waren. Als so genannte „Neue Frankfurter Schule“ haben sie gewiss den Humor des sensibleren Teils der 68er-Generation mitgeprägt.

Drei einflussreiche Pioniere des geistvollen, oft das Philosophische streifenden Ulks also. Gernhardt gilt längst auch der hochmögenden Literaturkritik als feste Größe, Waechter machte seinen weiteren Weg nicht zuletzt als Kinderbuch- und Theaterautor.

Wie schön, dass ihre Bruderschaft noch besteht. Und wie gut, dass sie ins sauerländische Menden fanden, wo der rührige Verein „Katastrophen Kultur e.V.“ ihnen allerdings weder das Theater Scaramouche (wegen angeblicher Einsturzgefahr geschlossen) noch das Theater am Ziegelbrand anbieten konnte. Also zog man ins Kinocenter. Und der große Saal war derart ausverkauft…

Es geht um „Mann und Maus, Mensch und Frau“

Gernhardt gab die globale Leitlinie vor: Um „Mann und Maus, Mensch und Frau“ werde es in den Texten aus 35 Jahren gehen. Sogar der „Page Herbert“, eine Figur aus den Anfangsjahren, hatte nochmals einen absurd-frechen Auftritt antiautoritären Zuschnitts: Wiederum dürfte er seinem zornigen König den Kauz ins Gesicht werfen und siedende Fettmasse hinterdrein gießen („…und das heiße Schmalz / zischt dir an den Hals^).

Oder dies: Die Viktor-Schlawenz-Gesellschaft will Leben und Werk dieses Mannes fördern. Doch leider gibt es nirgendwo einen, der so heißt. Tja. Die Goethe-Gesellschaft hatte eben unverschämtes Glück: Da lebte einer dieses Namens, der sogar Meisterwerke schrieb. Oder das: Ein selbsternannter Experte behauptet, die Zentralgestalt der Kunstgeschichte sei ja wohl die Bisamratte. Gewiss doch. Etwa bei Rembrandt, dem alten „Bisamratten-Pinsler“.

Oh, ihr tiefen Wonnen der Albernheit! Allerlei hintersinnige Dichtungen und Dramolette wurden mit verteilten Rollen gelesen. Sündiger Sex und seliger Suff bilden das Gerüst, um das sich ausgefeilte Reime ranken. Gar oft ist auch der Tod zu Gast, der alte Sensenmann. Doch selbst ihm wird Hohn und Spott zuteil.

Ältere Texte erklären sich aus der Reibung an überkommener Sexual-„Moral“ der 50er- und frühen 60er-Jahre. Damals waren es befreiende Akte, inzwischen sind sie mit Würde gealtert. Nicht Patina haben sie angesetzt, wohl aber Jahresringe. Ganz so wie F.K. Waechter, der immer noch die gleiche (inzwischen schlohweiße) Freak-Frisur trägt wie „damals“; ganz so wie Bernstein, der vielleicht Skurrilste, Verschrobenste von den Dreien (was einiges heißen will). Mag sein, dass es ihnen ergeht wie Bob Dylan, dem die Fans immer wieder die Songs aus den 60ern abverlangen. Sie lassen sich keinerlei Routine anmerken. Im Gegenteil. Hut ab!




Lachend die Zeichen der Zeit erkennen – Dicker Sammelband des vielseitigen Robert Gernhardt

Von Bernd Berke

Welcher deutsche Gegenwartsautor ist vielseitiger als Robert Gernhardt? Der 57jährige hat etliches auf Lager – von der Satire und dem niveauvollen Nonsens bis zum beachtlichen Roman; von der trefflichen Zeitkritik bis zum raffiniert gereimten Gedicht.

Mehr noch: Ohne Gernhardts Texte wäre Otto Waalkes nicht halb so gut gewesen. Und er ist einer der besten Cartoon-Zeichner. Wen wundert’s, daß der Vielfältige jetzt mit einem üppigen Sammelband zum Klassiker erhoben wird. Der Titel („Über alles“) weist schon auf Gernhardts kreative Bandbreite hin.

Seit seinen Anfängen beim Satire-Blatt „Pardon“ (frühe 60er Jahre), wo er mit F. K. Waechter und F. W. Bernstein „Welt im Spiegel“ schuf, jene legendäre Beilage für den  höheren Blödsinn, zählt Gernhardt zu den produktivsten Grenzgängern zwischen Ernst und Scherz, zwischen Sinn und Widersinn. Das ist – gerade in deutschen Landen – ein Vorzug sondergleichen.

Jenseits der gängigen Meinungen

Im Sammelband kann man genußvoll nachlesen, welch ein versierter Stilist dieser Mitbegründer der „Neuen Frankfurter Schule“ ist. Er läßt sich keine wolkigen Formulierungen durchgehen. Gerade indem Gernhardt seine kleinen Künstler-Eitelkeiten offen ausspricht, vermeidet er selbstgerechten Zungenschlag. Derlei stete Wachsamkeit macht auch den Zeitbeobachter aus, der sich schwerlich von gängigen Meinungen beirren läßt.

Im Rückblick ist es frappierend, wie behutsam und differenziert er z. B. 1982 eine Reise in die DDR beschrieben hat. Darin steckt schon das Unbehagen an der innerdeutschen Fremdheit, mit der wir uns heute plagen. Und Prägnanteres ist – zumal in dieser unterhaltsamen Kürze – auch über die deutschen „Fifties“ kaum geschrieben worden als Gernhardts mal eben neun Buchseiten langer Beitrag „Die geile Welt der 50er Jahre“.

Die neue Art der Geistes-Schnüffelei

Gernhardt geißelt nicht nur konservative Widersacher, sondern auch linke Auswüchse: Hinter manchen Spiegel gehören seine Texte über die Stellvertreter-Empörung, die im Namen von Minderheiten alle Geistesprodukte einschließlich Satire auf politische Korrektheit abklopft und dabei jedes Maß verliert. Verständlicher Seufzer: Da sei man mühsam der autoritären Schnüffelei der 50er Jahre entronnen und falle einer neuen, sich fortschrittlich gebenden Inquisition anheim, die einem gar noch die Mülltonnen inspiziert, um nachzusehen, ob man auch ja sortenrein gesondert hat.

Apropos Müll: Auch das ewig „betroffene“ Gewühle im Abraum der Psyche geht Gernhardt auf den Geist: „Daß Beziehungen problematisch waren, lag in ihrer Natur begründet, sie zusätzlich noch zu problematisieren war ungefähr so sinnvoll wie – ach, ihm fiel gar kein Vergleich für diesen Unfug ein … Die Panzerknacker problematisierten ihre Brüche doch auch nicht“.

Straßen, in denen Kanzler Kohl aufwuchs

Aufgelockert durch Zeichnungen und allerlei Gedichte (irgendeine Doktorarbeit wird gewiß mal seine lyrische Verwandtschaft zu Peter Rühmkorf nachweisen), werden mit Leichtigkeit, die bekanntlich so schwer zu erzielen ist, Grundfragen abgehandelt: Die Kapitel heißen „Kunst und Leben“, „Mensch und Tier“, „Mann und Frau“, „Wort und Bild“, „Zeit und Raum“, „Gott und die Welt“, „Spaßmacher und Ernstmacher“.

Gernhardt schlägt Funken aus unscheinbaren Dokumenten. So gewinnt er etwa den Unterwäsche-Seiten von Versandhauskatalogen eine kleine Nonsens-,,Philosophie“ der Geschlechter ab. Beim Gang durch die Straßen, in denen Kanzler Kohl aufwuchs, erspürt Gernhardt mehr vom Gepräge dieses Politikers als mancher Groß-Essayist. Oder er entlarvt Zeitgeist-Hanseln wie den Psycho-Autor Wilfried Wieck („Männer lassen lieben“) durch Vergleich mit dem großen christlichen Bekenner Augustinus. Da sieht Wieck ganz alt aus. Und der Leser hat abermals die doppelte Portion bekommen: Lachen und Erkenntnis auf einen Streich.

Robert Gernhardt: „Über alles“. Ein Lese- und Bilderbuch. Haffmans-Verlag, Zürich. 479 Seiten, 44 DM.