Neue Suhrkamp-Titel nur noch als Paperback – Verlag bestreitet Hardcover-Programm aus dem Archiv

Von Bernd Berke

Frankfurt. „Tragisch und unerfreulich“ findet Franz Xaver Kroetz die ganze Angelegenheit, doch er resigniert: „Ich muß mich wohl fügen.“ Grund für das Stimmungstief des bekannten Dramatikers („Stallerhof, „Wildwechsel“) ist eine Hiobsbotschaft aus dem Frankfurter Suhrkamp-Verlag. Erstmals in seiner 33jährigen Geschichte will das renommierte Haus im Frühjahr 1983 keine Neuerscheinungen in Hardcover-Ausstattung (fester Einband) herausbringen.

Stattdessen grub man vergriffene Bande aus der Zeit seit Verlagsgründung aus, um sie dem Leservolk wieder zugänglich zu machen. Dazu äußerte sich Siegfried Unseld, Leiter des Verlags, in wohltönender Beschönigung schon schriftlich: „Der Suhrkamp-Verlag hat sich mit diesem ,Weißen Programm‘ zu einem Experiment entschlossen. Es soll… Autoren wie Lesern dienen.“

Ob sich freilich die Autoren, die gerade an neuen Werken arbeiten, mit dem Nostalgie-Programm anfreunden können, darf bezweifelt werden. Immerhin ist Suhrkamp einer der ganz wenigen Verlage in der Bundesrepublik, die den Mut aufbrachten, auch neuere, experimentelle Literatur zu verlegen. Zu den Autoren des Frankfurter Unternehmens zählen Peter Handke, Thomas Bernhard, Franz Xaver Kroetz, Thomas Brasch, Martin Walser und Herbert Achternbusch – mithin ein Großteil der bundesdeutschen Schriftsteller-Elite.

Beispiel Franz Xaver Kroetz, der soeben den zweiten Teil einer Romantrilogie abgeschlossen hat. Kroetz, quasi beim Leser „im Wort“, dem ersten Teil („Der Mondscheinknecht“) eine Fortführung folgen zu lassen, zur WR: „Ich hatte mich schon so darauf gefreut, daß der Band im nächsten Frühjahr bei Suhrkamp erscheint. Daraus wird jetzt wohl nichts.“ Kroetz denkt trotzdem, nicht daran, sein Buch einem anderen Verleger anzubieten, denn bislang habe er mit der Verlagspolitik von Suhrkamp gute Erfahrungen gemacht: „Meine Bücher sind ständig im Buchhandel vorrätig und werden oft neu aufgelegt.“ Auch die Auflagenhöhen könnten sich sehen lassen.

Nachfragen bei Franz Xaver Kroetz und Karin Struck

Suhrkamp-Chef Siegfried Unseld, der seinen Rückgriff auf ältere Werke von Oskar Loerke, Hermann Hesse und Wolfgang Koeppen schon vorab werbewirksam darzustellen versuchte, war nicht zu sprechen. Er befinde sich auf einer USA-Reise, hieß es. Auch sein Stellvertreter war nicht erreichbar. In „unteren“ Verlagsetagen gab man sich äußerst wortkarg. Immerhin; Der bereits von der „Frankfurter Rundschau“ erhobene Vorwurf des „künstlerischen Offenbarungseides“ sei „Quatsch“, im übrigen seien die Autoren vorher informiert worden und einverstanden gewesen. Nachfragen der WR ergaben: Franz Xaver Kroetz und Karin Struck („Klassenliebe“, „Die Mutter“) waren zum Beispiel nicht unterrichtet. Kroetz wußte nur vom Hörensagen von den Verlagsplänen, Karin Struck erfuhr es erst durch die WR („Da muß ich gleich mal meinen Lektor anrufen.“) Kroetz und Struck sind seit Jahren Suhrkamp-Autoren.

Ein Suhrkamp-Verlagsmitarbeiter salopp: „Wenn uns jetzt das ,Werk des Jahrhunderts‘ auf den Tisch flattert, werden wir es wohl doch als Hardcover veröffentlichen.“ Schließlich hoffe man, mit dem „Weißen Programm“ einen höheren Umsatz zu erzielen, als mit ehrgeizigen Neuerscheinungen. KeinWunder: Schließlich lassen sich auf diese Weise erkleckliche Autoren-Honorare einsparen.

Franz Xaver Kroetz, dessen Romanteil dem harten Kalkül zum Opfer fallen wird: „In meinern Fall hält sich aber der finanzielle Verlust in Grenzen, weil ich am meisten durch Aufführungen meiner Theaterstücke verdiene.“ Mit Galgenhumor kann Kroetz der farbloseren Neuerscheinungspalette gar noch positive Seiten abgewinnen: „Vielleicht bin ich selbst mal froh, wenn meine Bücher 20 Jahre nach Erscheinen plötzliche Neuauflagen erleben.“ Härtere Worte fallen derweil bei der Bundesgeschäftsstelle des Schriftstellerverbands (VS) in Stuttgart: „Da bekommt der Suhrkamp-Verlag wieder unverdiente Publizität.“




Fürs Taschengeld gibt es das Blutbad leihweise – Initiative: Keine brutale Video-Filme für Jugendliche

Von Bernd Berke

Im Westen. Die Godesberger Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften erhält derzeit gleich stapelweise Video-Kassetten. Die sieben festen Mitarbeiter werden sich un- glaubliche Szenen ansehen müssen: Kannibalistische Orgien, bei denen die Kamera minutenlang auf Mündern verweilt, die genüßlich Menschenfleisch schmatzen; Großaufnahmen von herausgerissenen Eingeweiden und Bilder von zahllosen anderen Greueltaten, die die Ekelschwelle überschreiten.

Die Quelle der Flut von Brutalitäten, die über die Filmbegutachter hereinbrechen wird, liegt im rheinischen Neuss. Nicht weniger als 744 Indizierungsanträge gegen gewaltverherrlichende Videofilme hat das dortige Sozialdezernat bereits an die Bonner Behörde gerichtet und ist damit bundesweit zum Vorreiter geworden. Auch das Dortmunder Jugendamt zog mittlerweile nach und machte die Prüfstelle auf einige schlimme Produkte (Herkunftsländer sind vorallem die USA und Italien) aufmerksam. Der Neusser Sozialdezernent Dr. Rolf Wiese zur WR: „Wir wollen bestimmt keine Zensurmaßnahmen veranlassen. Erwachsene sollen weiterhin sehen können, was sie für richtig halten. Daß aber Kinder und Jugendliche so etwas schon für ein paar Mark Taschengeld ausleihen können, ist ein großes Übel.“

Einem Mitarbeiter des Neusser Jugendamtes war aufgefallen, daß minderjährige Besucher im örtlichen „Haus der offenen Tür“ Video-Treffs veranstalten, die allen Jugendschutzbestimmungen Hohn sprechen. Mit dem hauseigenen Recorder und vom zusammengeworfenen Taschengeld organisieren sie regelrechte „Mutproben“ nach der Devise: Wer die meisten optischen Brutalitäten aushält, ist König der Clique…

Seither läßt der Amtmann, der aus verständlichen Gründen nicht namentlich bekannt werden möchte, Prospekte der wichtigsten Video-Produzenten an seine Privatadresse schicken und durchforstet die dort abgedruckten süffigen Inhaltsangaben nach Gewaltanpreisungen. Zuweilen standen ihm schon bei der bloßen Lektüre die Haare zu Berge.

Daß dieser Abschreckungseffekt – nicht nur bei Jugendlichen – rasch nachläßt und die Reizschwelle zusehends steigt, bestätigt aus eigener Erfahrung die stellvertretende Leiterin der Bonn-Bad Godesberger Bundesprüfstelle, Elke Monssen-Engberding: „Beim Anblick der ersten Bilder ist mir schlecht geworden. Heute könnte ich schon mein Butterbrot dabei essen.“ Keine Frage aber, daß auch sie die Video-Schocker verurteilt. Nur: Ohne genaues Hinsehen geht nichts – schon gar keine Indizierung, die den Film unter die Ladentische verbannt und gegen die der Hersteller auch Rechtsmittel einlegen kann. Die dehnbare Bestimmung lautet: Liegt der jugendgefährdende Inhalt eines Streifens „offen zutage“, so reicht die Prüfung durch ein Dreier-Gremium. In komplizierteren Fällen muß eine zwölfköpfige Gruppe ran.

Hier liegt auch ein Problem der Neusser. Dr. Wiese: „Es reicht nicht, die Indizierung zu beantragen, man muß auch die entsprechende Kassette beilegen.“ Wegen der immensen Kosten, die durch Ankauf oder Kopie der Bänder entstehen, tat man sich inzwischen mit den Jugendämtern anderer Städte zusammen. Gemeinsam zahlt sich’s leichter.

Die Neusser Initiative kann erste Erfolge verbuchen. Mehrere Videofilme wurden tatsächlich schon aus dem unbeschränkten Verkehr gezogen und sind nur noch für Interessenten über 18 erhältlich. Bis freilich der komplette Antragsschwall in Godesberg bewältigt sein wird, werden noch Monate vergehen.

Unterdessen keimt sowohl in Neuss als auch in Godesberg eine stille Hoffnung. Dr. Rolf Wiese: „Da die gesamte Videobranche durch solche Filme in Verruf gerät, nehmen wir an, daß sich dort bald eine Art Freiwillige Selbstkontrolle nach dem Muster der Kinofilm-Hersteller bildet.“ Lokale Videohändler jedenfalls hätten sich schon einsichtig gezeigt.




Haßtiraden gegen die Kunst und Vandalismus bei der Kasseler documenta 7

Van Bernd Berke

Kassel. Das Team des Hessischen Rundfunks traute den Ohren kaum. Sechs Wochen lang hatte man ein „Mecker-Tonband“ auf der Kasseler documenta postiert. Was den Funkleuten beim Abhören der Bander entgegentönte, erinnerte vielfach an längst überwunden geglaubte Zeiten. Da verschaffte sich Besucherzorn mit Haßtiraden gegen ,,entartete Kunst“ Luft. Ein wütender Zeitgenosse wünschte sich die endgültige Aktion von Joseph Beuys: der Künstler moge sich doch vom hohen Dach des Fridericianums stürzen.

Bei den markigen Worten ist es nicht geblieben. Noch nie wurden auf der im Vier-Jahre-Rhythmus stattfindenden Kunstschau dermaßen viele Schäden durch mutwillige Zerstorung angerichtet wie diesmal. Vorsichtige Schätzungen beziffern den materiellen Verlust auf annahernd 100000 DM. Spektakulärster Fall: Ein Jugendlicher ging mit dem Stock auf eine Spiegelplastik Dan Grahams los. Das Kunstwerk ist nur noch als Torso vorhanden, denn weder die documenta GmbH noch der Künstler haben die Mittel für eine Restauration. Da die Plastik unter freiem Himmel stand und nicht bewacht war, winkten auch die Versicherungen ab.

documenta-Pressesprecher Klaus Becker hält die zahlreichen Zerstörungen nicht fur das Werk einzelner Psychopathen, sondern vermutet einen allgemeinen gesellschaftlichen Trend. ,,Die Einstellung zur Gewalt 1st durchweg laxer geworden.“ Auch Gewalt gegen Personen sei auf dieser documenta bereits einige Male vorgekommen. So wurden mehrere der 80 Kasseler Wärter, die die Kunst vor Unbill schützen sollten, von aggressiven Besuchern mit Fausthieben traktiert. Ohnehin konnen die eigens angeheuerten Studenten gegen die Zerstörungswut wenig ausrichten. Fast alle Schäden werden erst bemerkt, wenn die Verursacher längst über alle Berge sind.

Pressesprecher Becker: „Ich habe zwar kein Verständnis, wohl aber eine Erklärung fur diese Vorfälle. Eine ganze Reihe von modernen Kunstwerken besteht aus Alltagsgegenständen, etwa aus Kuchengerät oder Autoschrott. Vor diesen Werken steht man mit weniger Ehrfurcht als vor einem Rembrandt-Bild und deshalb langt mancher auch schon mal eher hin.“ Hinzu komme, daß sich die documenta 7 nicht mehr allzu betrachterfreundlich gebe, sondern ganz bewußt so konzipiert sei, daß das Kunstwerk einen Teil seiner musealen Eigenständigkeit wiedererlange. An das Publikum sei erst in zweiter Linie gedacht worden. Vermutliche Folge: Der Besucher wird mit seinem Unverständnis (wer ist schon Experte für moderne Kunst) alleingelassen und dies Gefühl schlägt häufig in Angriffslust um.

Am kommenden Wochenende ist ,,Halbzeit“ bei der doumenta 7. Der 6,9-Millonen-Etat ist zwar schon jetzt überschntten, doch hofft man, das Defizit durch einen neuen Besucherrekord wettzumachen. 162 000 Menschen sahen das Sektakel schon. Da die zweite Hälfte der Ausstellung erfahrungsgemäß noch mehr Zuspruch findet, hofft man bis zum Ende (28. September) auf 350 000 bis 400 000 zahlende Gäste.

Wären die Zerstörungen nicht, so könnte man von einer recht positiven Halbzeit-Bilanz sprechen. Die internatiole Presse lobte die Ausstellung teilweise über den grünen Klee. US-Journalisten zeigten sich besonders begeistert von den Arbeiten Anselm Kiefers und stellten das KasseIer Ereignis in ihrer Wertung turmhoch über die Biennale in Venedig. Unerbittliche „Verrisse“ gab es nur in wenigen Alternativblättern, die die Exponate elitär und realitätsfern fanden. Der Großteil der Besucher interessierte sich offenbar am meisten für Malerei, weniger für neuere Kunstformen wie Aktionen und Persformance.