Jetzt die Hauptmahlzeit! – Umfangreiche Matisse-Ausstellung in Düsseldorf

Von Bernd Berke

Düsseldorf. Autofahrer können es kaum übersehen. Als hieße so ein neuer Düsseldorfer Stadtteil, geleiten Schilder mit der Aufschrift „Matisse“ den Ortsunkundigen zur Kunsthalle am Grabbeplatz. Dem logistischen Aufwand entspricht ein nahezu sensationelles Ereignis: Noch nie war in einem deutschen Kunsttempel das Schaffen von Henri Matisse derart umfassend dokumentiert wie jetzt am Rhein.

Genau 97 Exponate sind zu sehen, Leihgaben aus aller Welt. Die Ausstellung, die 1982 in Zürich Furore machte, dürfte derzeit eine der wichtigsten überhaupt sein. Stolz verglich denn auch Kunsthallen-Direktor Jürgen Harten die Schau mit der „kleinen“ Bielefelder Matisse-Ausstellung 1981, die lediglich ein „hors d’oeuvre“ (Vorspeise) gewesen sei, während man nun in Düsseldorf die „Hauptmahlzeit“ serviere.

Nahezu alle avantgardistischen Stilrichtungen bezogen oder beriefen sich in irgendeiner Form auf Henri Matisse (1869-1954), Picasso ebenso wie die wichtigsten Vertreter der US-amerikanischen Popart. Neuerdings richtet sich wieder ein verstärktes Interesse auf die Werke des Nordfranzosen, der nun auch als früher Vorläufer einiger Tendenzen in der Ausdrucks-Malerei der „Neuen Wilden“ gehandelt wird.

Die Düsseldorfer Ausstellung ist zwar gegenüber jener in Zürich (dort wurden 119 Werke gezeigt) geschrumpft, doch hat der Zürcher Museumsdirektor Felix Baumann, der auch die Hauptarbeit bei der Zusammenstellung für Düsseldorf leistete, zum Ausgleich einige rare Werke aufgetrieben, die in der Schweiz nicht zu sehen waren. Besonders stolz ist man darauf, das „Portrait d’Auguste Pellerin“ erstmals in der Bundesrepublik der Öffentlichkeit zugänglich machen zu können. Bislang kannten allenfalls Spezialisten dieses Bild.

Ein Novum ist auch, daß die Erben von Henri Matisse Bilder für eine Ausstellung in Deutschland zur Verfügung stellten. Es ist nur zu verständlich, daß dies bisher nicht der Fall war, denn Angehörige der Familie Matisse wurden als Mitglieder der Résistance (Widerstandsbewegung) von Deutschen verhaftet. Wie Jürgen Harten, Direktor der Kunsthalle, ausführte, sei es gelungen, in Düsseldorf eine glückliche Mischung aus verschiedenen Präsentationsformen zu finden: „Die Skala reicht von Monumentalität bis zur Intimität.“ Großflächige Matisse-Werke, so etwa „La danse“ („Der Tanz“) gewinnen im weiten, offenen Raum an Wirkung. Andere Bilder wiederum, die sich dafür eignen, wurden in kleinen „Inseln“ aufgehängt.

Die Ausstellung ist ein Erlebnis, und zwar allein schon deshalb, weil man hier ohne aufwendige Auslandsreise erstmals die Entwicklung von Henri Matisse an Originalbeispielen nachvollziehen kann. Gerade sein meisterhafter Umgang mit flächigen Farbwerten nämlich kommt selbst in teuren Reproduktionen nicht annähernd zum Ausdruck.

Außerdem liegt in Düsseldorf ein Schwerpunkt auf dem bisher wenig beachteten Spätwerk aus den 1940er Jahren. Aber auch aus der frühen, impressionistischen Phase sind genügend Werke (darunter „Le jardin du Luxembourg“ von 1901/02 und „Notre-Dame“ von 1905) vertreten, so daß man sich auch hier einen Überblick verschaffen kann. Wenn man genügend Zeit mitbringt, bleibt es nicht beim Überblick. Einige Werke – mir ging es so zum Beispiel mit „Interieur mit Harmonium“ – nehmen einen länger gefangen als nur für einen flüchtigen Augenblick.

Henri Matisse. Städtische Kunsthalle Düsseldorf, Grabbeplatz. 29. Januar bis 4. April 1983. Öffnungszeiten: dienstags bis donnerstags 10 bis 18 Uhr, freitags bis sonntags 10 bis 20 Uhr; montags und am Sonntag, dem 13. Februar, geschlossen, Karfreitag und Ostern (1. bis 4. April) von 10 bis 21 Uhr. Katalog (122 Abbildungen) 40 Mark.




Peymann bleibt doch bis August 1986 in Bochum – SPD-Meinungskorrektur nach Spar-Zusage des Schauspieldirektors

Von Bernd Berke

Bochum. Gegen 21 Uhr waren die Würfel gefallen. Bochums SPD-Fraktion korrigierte ihr Votum vom Montag und entschied sich „mit großer Mehrheit“ dafür, den Vertrag des Schauspieldirektors Claus Peymann doch um zwei weitere Jahre zu verlängern.

Es gilt damit als sicher, daß Peymanns Vertrag nunmehr bis zum 31. August 1986 läuft und nicht bereits am 31. August 1984 endet. Wie Peter Hampel, der die Geschäfte der Bochumer SPD führt, gegenüber der WR erklärte, kann das Thema Peymann höchstens dann noch einmal zum Gegenstand der Ratssitzung am 10. Februar werden, wenn eine andere Fraktion – etwa die CDU – einen ausdrücklichen Antrag stellt. Andernfalls verlängere sich Peymanns Vertrag automatisch. Sollte wider Erwarten eine Abstimmung im Rat nötig werden, werde die SPD-Fraktion, so Hampel, sich ihrem gestern gefaßten Beschluß entsprechend verhalten.

Wie weiter zu erfahren war, war der gestrigen Abstimmung der SPD-Fraktion eine dreistündige, „sehr harte und hitzige“ (Hampel) Debatte vorausgegangen. Den Ausschlag hat schließlich vor allem die Tatsaehe gegeben, daß Peymann zuvor dem Bochumer Oberstadtdirektor Herbert Jahofer (SPD) zugesagt hatte, kooperativ an dem von der Stadt angepeilten Finanzkonzept für das Bochumer Theater mitzuwirken. Dies Konzept sieht nach einem ebenfalls in dieser Woche erfolgten Beschluß des Haupt- und Finanzausschusses vor, für 1983 den Zuschußbedarf der Bühnen bei 17,33 Mio. DM festzuschreiben. Das bedeutet, daß die Zuschüsse – verglichen mit 1982 – auf dem alten Stand „eingefroren“ werden. Mittelfristig sollen weitere Einsparungen durch Einnahme-Steigerungen bzw. Ausgabenkürzungen erzielt werden. Zielvorstellung: Einsparungen von einer bis 1,5 Mio. DM.

Peter Hampel wertete das Votum für Peymann in einer ersten Stellungnahme als „mutige Entscheidung“ angesichts der schlechten Finanzlage. Daß diese Entscheidung vertretbar sei, habe auch einzelnen Mitgliedern der SPD-Fraktion „erst noch vermittelt werden müssen“.




„Schön isst hier“ – aber die Krise ist gegenwärtig

Von Bernd Berke

Dortmund. Die nicht gerade leichtgewichtige Tana Schanzara wirbelt temperamentvoll über die Bühne im Hörder „Bollwerk-Eck“ und besingt die Schönheit eines Schrebergartens. Sie bekommt den größten Beifall des Abends.

Die Revier-Revue „Schön isset hier“, eine Produktion des Ruhrfestpielensembles (Regie: Corinna Brocher), die gestem Abend in Dortmund-Hörde Premiere hatte, präsentierte – abgesehen von jenem Schanzara-Auftritt – fast nur kritische, nachdenklich machende Texte. Der Titel täuscht somit. Davon, daß es sich zwischen Dortmund und Duisburg angenehm oder gar sorgenfrei leben ließe, hörte man in dem 100-Minuten-Programm so gut wie nichts. Wohl zu Recht. Die wirtschaftliche Lage ist zu ernst, um eine kunterbunte Show über diese Region zu veranstalten.

Der Abend war, wenn auch nicht bunt im Sinne von optimistisch, so doch farbenfroh im Sinne von vielfältig. Eigentlich zu viele Themen hat man hineingepackt: Zechen- und Stahl-Probleme sowieso; dazu Ausländerfeindlichkeit, apokalyptische Konsequenzen des hiesigen U-Bahn-Baus und der Automatisierung im Büro, „Dallas“-Fieber, Umweltzerstörung und, und, und…

Auch die Auswahl der Textquellen verriet nicht eben ein straffes Konzept: Klaffen nicht allzu große Lücken etwa zwischen der Art, wie Franz Kafka einen „Besuch im Bergwerk“ beschreibt, und Kroetz-Auszügen oder Slang-Szenen Elke Heidenreichs? Dennoch gab es Entdeckungen zu machen. Wer hätte zum Beispiel gedacht, daß man Franz Kafka überhaupt halbwegs plausibel in solch ein Programm einbauen könnte?

Für das heutige zweite Gastpiel (17 Uhr, „Bollwerk-Eck“) gibt es noch Karten.




Bochums Ensemble stellt sich hinter Peymann – Hektische Betriebsamkeit nach SPD-Abstimmung

Von Bernd Berke

Bochum. Hektische Betriebsamkeit hat gestern am Bochumer Schauspielhaus die Nachricht ausgelöst, daß die SPD-Fraktion sich – wie berichtet – mit einer Mehrheit von 20:19 Stimmen gegen eine Vertragsverlängerung für Schauspieldirektor Claus Peymann aussprach.

Um 15 Uhr begann eine Ensemble-Versammlung, die bis etwa 17 Uhr dauerte, danach tagte das Direktorium (Peymann, Kirchner, Beil, Jensen und Paulin) bis gegen 19.30 Uhr. Während das Direktorium noch keine Erklärung abgab, verfaßte das Ensemble einen Brief, der gestern abend Bochums Oberbürgermeister Heinz Eikelbeck überbracht wurde. In dem Brief steht ein einziger Satz: „Die Nichtverlängerung des Vetrags von Claus Peymann wird mit Sicherheit die Bochumer Theaterarbeit zerstören.“ Unter dem Brief stehen über 60 Unterschriften. Damit hat sich beinahe das gesamte Ensemble hinter Peymann gestellt. Etwa 10 Unterschriften fehlen, weil einige Schauspieler nicht erreichbar waren. In Peymanns Umgebung wird vermutet, daß andernfalls auch diese Ensemblemitglieder unterzeichnet hätten.

Das Direktorium des Schauspielhauses werde dem lakonischen Ensemble-Brief eventuell heute eine Erklärung folgen lassen, hieß es gestern abend. Claus Peymann selbst war den ganzen Tag über zu keiner offiziellen Stellungnahme bereit.

Unterdessen hat der Bochumer Landtagsabgeordnete Georg Aigner durchblicken lassen. auf welche Weise es zu dem ablehnenden Beschluß der SPD-Fraktion gekommen sein könnte. In der achtstündigen Fraktionsdebatte am Montag war es 4 Stunden lang um Etatfragen und weitere 4 Stunden lang vornehmlich um Peymanns Person gegangen. Etatfragen scheinen auch – zumindest im Vordergrund – eine Rolle beim Abstimmungsergebnis über Peymanns Vertrag gespielt zu haben. Aigner sagte, er sei zuversichtlich, daß Peymann in Bochum bleiben könne, falls der Schauspieldirektor bereit sei, über sein Sparangebot von 1,7 Millionen DM hinaus weitere Kürzungen am Theateretat hinzunehmen. Wie Aigner ergänzend mitteilte, hätten sich aber auch einige andere Meinungsverschiedenheiten zwischen Peymann und einer großen Anzahl von Ratsmitgliedern angestaut.

Bei den angedeuteten Differenzen zwischen Peymann und Stadtrat könnte es sich zum Beispiel um Peymanns Verhalten bei der Schließung der Spielstätte „BO-Fabrik“ handeln. Peymann hatte damals die Aktion einiger Jugendlicher gutgeheißen, die das Bochumer SPD-Büro besetzt hatten und war besonders mit dem Fraktionsvorsitzenden Hossiep in Streit geraten.




Muß Peymann Bochum verlassen?

Von Bernd Berke

Bochum. Die Vertragsverlängerung zwischen dem Direktor des Bochumer Schauspiels, Claus Peymann, und der Stadt Bochum ist stark gefährdet.

Wie gestern bekannt wurde, hat sich die SPD-Fraktion mit der denkbar knappen Mehrheit von 20:19 Stimmen gegen eine Fortführung des Vertragsverhältnisses ausgesprochen. Bochums Kulturausschußvorsitzender Hans-Dieter Kaulfuß meinte gegenüber der WR, er sehe „gewisse Möglichkeiten, die Fraktionsmitglieder noch umzustimmen“.

Peymanns Vertrag läuft, falls er nicht doch verlängert wird, am 31. August 1984 aus. Die endgültige Entscheidung fällt am 10. Februar im Rat.

Der Bochumer CDU-Pressesprecher Paul Schrader glaubt angesichts der Stimmungslage in seiner Fraktion, daß jetzt kaum noch Chancen für eine Vertragsverlängerung bestehen. Vermutlich am 7. Februar wird in der CDU-Fraktionssitzung abgestimmt. Die CDU verfügt im Rat über 27 Stimmen, die SPD über 44, die F.D.P, hat eine Stimme, die „Liberale Fraktion“ drei.

Bestandteil von Peymanns Vertrag ist eine beiderseitige Mitteilungspflicht darüber, ob der Vertrag verlängert werden soll. Eine solche Mitteilung muß eineinhalb Jahre vor Vertragsende erfolgen, hier also bis Ende Februar 1983.

Das genaue Abstimmungsergebnis in der SPD-Fraktion lautete: 20 Stimmen gegen Vertragsverlängerung, eine Enthaltung und die schriftliche Äußerung eines abwesenden Fraktionsmitglieds, das für Peymanns Verbleib votierte. Kulturausschuß-Vorsitzender Kaulfuß konstatiert „eine Art Patt-Situation“ und hofft auf einen Sinneswandel. Dadurch, daß vier SPD-Fraktionsmitglieder nicht an der Abstimmung teilnahmen, gibt es noch eine geringe Aussicht.

Peymann wurde noch nicht offiziell über das Abstimmungsergebnis in der SPD-Fraktion informiert und war bis gestern Abend auch nicht zu erreichen. Es hieß, er sei nach einer Probe direkt nach Düsseldorf gefahren.

Kürzlich hatte Peymann vergleichsweise maßvoll auf inzwischen aufgegebene Erwägungen reagiert, die Kammerspiele zu schließen.




Auch Dortmunder Theater erwägt verbilligte Karten für Arbeitslose – Umfrage nach Krefelder Initiative

Von Bernd Berke

Im Westen. Sehr unterschiedliche Reaktionen hat die Nachricht ausgelöst, daß das Krefelder Theater als angeblich erste deutsche Bühne Karten für Arbeitslose um die Hälfte billiger abgeben will.

Während es beim Wuppertaler Theater auf WR-Anfrage hieß, dies könne beispielgebend sein, meinte Bochums BühnenVerwaltungsdirektor Dr. Rolf Paulin: „Verbilligte Theaterkarten für Arbeitslose sind ein uralter Hut. Die gibt’s in Bochum schon seit langem“.

Während in Bochum der Eintrittspreis für Erwerbslose um 50 Prozent reduziert ist, gibt es beim Westfälischen Landestheater (WLT) in Castrop-Rauxel 40 Prozent Ermäßigung. WLT-Rendent Günter Dammeier: „Was die Krefelder jetzt machen wollen, praktizieren wir schon seit Jahren“. Das Angebot werde freilich nicht sehr intensiv genutzt. Eine möglich Erklärung dafür hat Bochums Verwaltungsdirektor Paulin parat: „Kaum ein Arbeitsloser nimmt die Vergünstigung in Anspruch. Die meisten wollen sich lieber nicht zu erkennen geben auch nicht an der Theaterkasse“. Deshalb hätten Bochums Kassierer auch strikte Anweisung, sich nur kurz die übliche Arbeitslosen-Bescheinigung zeigen zu lassen. In Münster wird’s schon komplizierter: Dort müssen Arbeitslose vor verbilligtem Kunstgenuß ein Extra-Papier vorlegen.

In Dortmund gibt es noch keine entsprechenden Ermäßigungen. Wie der stellvertretende Theater-Verwaltungsdirektor Friedrich Gidde der WR sagte, wird eine solche Regelung jedoch seit einigen Wochen ernsthaft erwogen. Gidde: „Das Thema wird den Rat mit Sicherheit in Kürze beschäftigen“. Wenn es eine neue Preisgestaltung geben sollte , so werde sie frühestens zum Beginn der nächsten Saison wirksam. Auch in Dortmund hätten die Betroffenen sich bislang nicht geregt. Friedrich Gidde: „Kein einziger Arbeitsloser hat sich bei uns nach eventuellen Preissenkungen erkundigt.“

Überhaupt keine Chancen gibt man einer Kartenermäßigung in Hagen. Wie aus der Theaterverwaltung zu erfahren war, glaubt man dort, angesichts der Sparzwänge keine Mindereinnahmen verkraften zu können. Wuppertals Verwaltungsdirektor Erich Neumann hingegen hat sich das Krefelder Beispiel zu Herzen genommen. Er will „seinem“ Kulturdezernenten demnächst entsprechende Überlegungen vortragen.

Übrigens: Die Agenturmeldung aus Krefeld hatte einen weiteren Haken. Nicht nur, daß Krefeld gar nicht als erstes Theater preiswerte Arbeitslosenkarten anbietet. Auch den Stadtrat hat der Vorschlag des Generalintendanten noch nicht passiert, sondern erst den Kulturausschuß. Da es dort ein einstimmiges Votum gab, rechnet man allerdings fest mit der Zustimmung des Rates.




„Heartbreakers“ – die Aufbruchstimmung der frühen Beat-Jahre

Von Bernd Berke

Im Westen. 1966. Beim Stones-Konzert sind „die Brocken geflogen“. Eine Gruppe von Jugendlichen landet auf der Polizeiwache. Ein Beamter wagt es, Stones-Boß Mick Jagger zu beleidigen: „Warum wackelt dieser ,Mick Jäger‘ immer so mit dem Arsch? Hat der Hämorrhoiden oder ist der schwul?“ Das stößt den Jugendlichen übler auf als alle sonstigen Repressalien. Im Nu gleicht die Wache einem Tollhaus.

Die ersten Szenen von Peter F. Bringmanns neuem Film „Heartbreakers“ (Herzensbrecher) zeigen gleich, wo’s langgeht: Musik, so die nicht ganz abwegige Botschaft dieses Films, war in jenen Jahren, als gerade Who, Animals und Rolling Stones erste Ruhmeshöhen erklommen hatten, das, was die Welt der Jugendlichen im Innersten zusammenhielt.

Vor allem Dank der Tatsache, daß hier jugendliche Laiendarsteller agieren, kommt viel von der damaligen Atmosphäre zum Ausdruck: Beengtheit gleichermaßen wie die aus ihr resulitierende aggressive Aufbruchstimmung.

Die Story über eine Amateur-Beat-Band, die im Ruhrpott „alles niederbügeln“ will, zielt gleichermaßen auf die heute etwa 30- bis 35jährigen, denen vor Nostalgie der eine oder andere Schauer über den Rücken laufen wird, wie auf 14- bis 18-jährige. Ganz bewußt haben Bringmann und Drehbuchautor Matthias Seelig („Theo gegen den Rest der Welt“) Signale in den Film eingebaut, die beide Altersgruppen zur Identifikation auffordern: Die mittleren sechziger Jahre sind nicht nur in Gestalt von alten Automodellen präsent. Einiges gemahnt andeutungsweise auch an die Gegenwart, so zum Beispiel die „no future“-Attitüden des Bandleaders Freytag.

So schwankt der Film an einigen Stellen etwas unentschlossen zwischen dem Vorhaben, eine fast schon historische Stimmung zu dokumentieren und dem Ansinnen, den dazugehörigen Gefühlen neue Aktualität zu verleihen. Die Liebesgeschichte zwischen Freytag und Lisa wirkt leider sehr konventionell und wie nachträglich aufgepfropft. Gut hingegen die Kontraste zwischen Beat-Fieber und dem immer wieder als Kontrast am Rande erscheinenden Beharrungsvermögen der Revier-Umwelt mit Bergmanns-Skat, Männergesangsverein, Rumba-Tanzstunde und Kleingarten.




Von einer hartnäckigen Linde und blitzschnellen „Blumen-Uhren“ – Kreis Kleve will weg vom Negativ-Image des „Schnellen Brüters“

Von Bernd Berke

Der Kreis Kleve hat Image-Sorgen. Allzu häufig, so meinen Offentlichkeitsarbeiter vom Niederrhein, hat allein der „Schnelle Brüter“ für (eher unrühmliche) Schlagzeilen gesorgt. Den Ruf des bloßen Sammelplatzes für Großdemonstrationen zu korrigieren, war denn auch der Zweck einer Pressefahrt, die das Amt für Wirtschaftsförderung des Kreises an der deutsch-niederländischen Grenze veranstaltete. Tenor: „Wir haben mehr zu bieten als teure Großtechnologie.“ Hier einige Eindrücke:

Wer auf dem Marktplatz von Kalkar steht, hat historischen Boden unter den Füßen. Die Pflastersteine sind dieselben, über die die Altvorderen im 16. Jahrhundert schritten. In jener Zeit wurde auch die ehrwürdige Gerichtslinde gepflanzt, die noch heute den Stadtmittelpunkt ziert. Eigentlich sollte der Baum schon längst gegen einen jüngeren „Nachfolger“ ausgetauscht werden, doch dank der Künste eines Nürnberger „Wunderdoktors“, der alljährlich heilsame Emulsion in den Stamm injiziert, hält sich die Linde immer noch.

Wenige Kilometer von diesem spätmittelalterlichen Idyll entfernt entsteht jenes Bauwerk, das nach Ansicht seiner Befürworter den Weg ins Jahr 2000 markiert: der „Schnelle Brüter“. Kalkars Stadtdirektor Rainer Jürgenliemk hält viel von dem Milliarden-Projekt, und das ist aus seinem Blickwinkel auch ganz verständlich, bringt doch der Koloß von Kalkar schon lange vor seiner Inbetriebnahme (frühestens 1986) einiges fürs Stadtsäckel. Rund ein Viertel der gesamten Gewerbesteuereinnahmen Kalkars kämen bereits jetzt von der Betreibergesellschaft des Nuklearriesen, die damit der bei weitem größte Steuerzahler des Städtchens sei – und das, obwohl von hier noch kein Kilowatt elektrischer Energie geflossen ist.

Kein Wunder also, daß der Verwaltungschef Proteste gegen das Mammut-Vorhaben beiseite wischt: „Die Bevölkerung unseres Kreises ist sowieso zu 95 Prozent neutral in dieser Angelegenheit“, meint er. Demonstranten kämen überwiegend von weither. Der „Brüter“ schaffe zunächst etwa 140, später dann 200 Arbeitsplätze. Stille Hoffnung: Jetzt könne sich Kalkar sozusagen am eigenen Schopfe aus dem Sumpf des Gemeinde-Defizits ziehen.

Rings um den neu 12 000 Einwohner-Ort Straelen findet man die dichteste Konzentration von Gewächshäusern im gesamten Bundesgebiet. Straelen selbst ist Schauplatz eines besonders farbenreichen Spektakels. Hier findet täglich die größte bundesdeutsche Blumenauktion statt. Etwa 15 Prozent aller in Westdeutschland umgesetzten Schnittblumen gehen hier den Weg vom Züchter zum Händler. Der Laie kann die hektische Auktion (1400 Verkäufe pro Stunde!) erst richtig verfolgen, wenn er sich mit den Geheimnissen der Straelener „Blumenuhren“ vertraut gemacht hat. Das sind zwei zifferblattähnliche elektronische Anzeigetafeln, die die wichtigsten Fakten zum Versteigerungsgeschehen innerhalb von Sekundenbruchteilen anzeigen. Für Statistiker: auf dem Straelener Versteigerungs-Großmarkt werden pro Jahretwa 250 MillionenEinzelblumen (Stiele) angeliefert, davon z. B. 30 Millionen Rosen.

Der sagenhafte Lohengrin würde vermutlich wohlgefällig nicken, wenn er von seiner Stammburg in Kleve heute das Land überblicken und eine weitere Attraktion des Niederrheins sehen könnte. Ein bei Wandervögeln beliebter Rheinarm von fast 5 Kilometer Länge, der zu versanden drohte, wurde mit einem Saugbagger entschlammt und führt jetzt wieder sauerstoffhaltiges Wasser. Das zwischen Emmerich und Rees gelegene Areal bietet nun etwa 60 000 Wildgänsen aus dem hohen Norden ein ideales Winterquartier.

Perfekte Fliesen aus Emmerich riefen Fälscher auf den Plan

Auch hochwertiges Kunsthandwerk kommt aus dem Kreis Kleve. Eine Keramik-Manufaktur in Emmerich hat neuerdings Fliesen und Kacheln im Programm, die originalgetreu nach alten Motiven handbemalt werden. Sogar die Haarrisse der Vorlagen werden nachgeahmt. In limitierter Auflage und mit Echtheitszertifikat ausgestattet, sind die Stücke zu begehrten Sammelobjekten geworden. Sorgen bereitet den Herstellern allenfalls die eigene Perfektion: die Fliesen sind so täuschend „auf alt gemacht“, daß Fälscher schon das Emmericher Firmenzeichen abschmirgelten und die dekorativen Produkte als „echte Antiquitäten“ zu Phantasiepreisen unter die Leute brachten.

Der Wallfahrtsort Kevelaer ist Sitz einer der bedeutendsten Werkstätten für Glasmalerei ganzen Bundesgebiet. Das Unternehmen hat sogar das althergebrachte, verbriefte Recht, sich mit dem Beinamen „päpstliche Hofglasmalerei“ zu schmücken. Jeder Arbeitsgang wird hier noch von Hand ausgeführt. Die Farbpalette läßt kaum Wünsche offen. Mehrere tausend Farbwerte in allen denk- und kaum noch sichtbaren Abstufungen sind als koloriertes Glas lieferbar. Ergebnisse sind weltweit zu besichtigen. In die Weltfriedenskirehe Hiroshimas wurden ebenso in Kevelaer gestaltete Fenster eingesetzt, wie in die Dome zu Trier und Köln. Besonders hat man sich auf die Restaurierung unersetzlichen alten Glases verlegt.

Vom Kunsthandwerk zur Kleinkunst:. Heinz Bömler (35) aus Goch ist Herr über die wohl kleinste fahrende Puppenbühne weit und breit. Das Mini-Theater wurde in einen Speditionswagen aus dem Jahr 1913 eingebaut, auf dessen 9 Bänken bis zu 50 Kinder Platz finden. Gezogen von einem DDR-Uralt-Traktor rollt die Wanderbühne von Ort zu Ort.

Zu nennen wären etwa noch die supermoderne Zuckerfabrik Appeldorn, in der täglich 5000 Tonnen Rüben verarbeitet werden oder das Niederrheinische Museum für Volkskunde und Kulturgeschichte in Kevelaer mit seiner umfangreichen Spielzeug-Sammlung.

Es mangelt also nicht an Attraktionen und Kuriositäten im Kreis Kleve, die den „Schnellen Brüter“ freilich nicht ganz vergessen machen können.

Nähere Informationen gibt’s bei der Kreisverwaltung Kleve, Amt für Fremdenverkehr, Postfach 1507, 4190 Kleve (Tel.: 02821/85340).

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(Sonderseite „Bilder und Berichte“)




Wenig Raum für Gespräche – Dortmunder Michael Braun mit neuer Jugend-Talkshow

Von Bernd Berke

Jetzt ist die „Neue Deutsche Welle“ kurz vor ihrem Abebben noch in eine Programmform geschwappt, die noch nicht Infiziert war: in die Talkshow. So wirkte jedenfalls die erste Folge von „Jugend: Ohne Titel“, der Serie, die künftig alle 14 Tage samstags gesendet wird. Ein endgültiger Titel wird noch gesucht.

Zwar gibt es noch eine Couch (wie beim seligen „Kölner Treff‘), doch hat das sonstige Drumherum eher mit Elektronik-Spielen oder Comics zu tun. Mittenmang Michael Braun, Talkmaster und Dortmunder Filmemacher. Er gibt sich smart und locker, und könnte mit dieser Mischung aus „Altrocker Udo Lindenberg“ und „Jungdynamiker Thomas Gottschalk“ bei Jugendlichen richtig liegen.

Wirkliche Gespräche fanden jedoch nicht statt. Andreas Dorau, Vertreter eben jener „Neuen Deutschen Welle“, gab nur coole Sprüche von sich. Es klaffte schon eine veritable Generationslücke zwischen ihm und Michael Braun, der immerhin versuchte, die eine oder andere „linke“ Polit-Anspielung unterzubringen. Durchaus „locker vom Hocker“, versteht sich.

Über das Talk-Schicksal des zweiten Gastes war schon entschieden, bevor er überhaupt die Szene betrat: Hermann Josef Richter, CDU-Fraktionsvorsitzender und „Punkerschreck“ aus Wuppertal, wäre vom Publikum wohl schon allein wegen seiner äußeren ‚Erscheinung ausgebuht worden. Da er zudem eine restriktive „Straßensatzung“ verteidigte, die im Zweifelsfall Wuppertals Innenstadt veröden ließe, durfte er nach Herzenslust attackiert werden. Das war billig zu haben und sinnlos genug, denn weder hörten ihm die Jugendlichen zu, noch er den Jugendlichen. Die Differenzen waren einfach zu groß, als daß sie in einem 10-Minuten-Schnack auch nur hätten angetippt werden können. Eine halbe Stunde Sendezeit, noch dazu unterbrochen durch Live-Musik (diesmal die Dortmunder „Ace Cats“), setzt einem Meinungsaustausch eben enge Grenzen.




Premiere für die „Aktuelle Stunde“: Mehr Verpackung als Inhalt?

Köln. „Wir sind nicht unzufrieden“, sagte Werner Sonne auf Anfrage der WR über die Premiere der „Aktuellen Stunde“ im Westdeutschen Fernsehen. „Die Sendung war nicht repräsentativ wegen der Vorstellung, aber die sonst enthaltenen Elemente sahen so aus, wie sie aussehen sollten. Natürlich kann man inhaltlich und auch bei der Form noch immer etwas verbessern.“ Eine Einteilung nach Landesteilen werde es nicht geben. Die Sendung werden je nach den Ereignissen gestaltet.

WR-Redakteur Bernd Berke beurteilt die beiden ersten Ausgaben so:

Es mag Ungerechtigkeiten mit sich bringen, das neue WDR-III-Nachrichtenmagazin „Aktuelle Stunde“ gleich beim Start unter die Lupe zu nehmen. Volltönend genug aber haben die Macher in Werbespots vorab ihren „Straßenfeger“ hochgejubelt.

Die erste Viertelstunde verstrich gespenstisch: Sämtliche Beteiligten zogen in schier endloser Reihe durchs Bild. Wenn dies auch nur in der Startsendung vorkam, so ließ der Beginn doch schon ahnen, was für diese „news Show“ prägend sein dürfte: übermäßige Personalisierung nach US-Muster. Das (erstrebenswerte?) US-Vorbild wurde dennoch nicht erreicht. Es fehlte jene, letztlich wohl unnachahmliche, Mixtur aus absoluter Professionalität und Hemdsärmligkeit.

Die vielbeschworene lockere Stimmung wollte nicht aufkommen. Möglicherweise lag’s nur amP remieren-Fieber. Deshalb kann man auch über kleine Pannen hinwegsehen. Wichtiger der Gesamteindruck: Optische Elemente rückten in den Vordergrund, so daß man sich nur schwer auf den gesprochenen Text konzentrieren konnte.

Eigentlicher Dreh-und Angelpunkt der Sendung soll die Regionalberichterstattung sein. Der (rheinlandlastige) Regionalblock der Auftaktsendung enthielt jedoch nur einen wirklich aktuellen Bericht („Privatschulfinanzierung“). Die Beiträge über den Traberchampion und das Tanzforum waren wohl vor allem der schönen Bilder wegen – edle Pferde, hübsche Balletteusen – ins Programm gerutscht. Zu befürchten steht, daß hier (nicht nur) kulturelle Themen so pittoresk präsentiert werden, daß die Inhalte verblassen.

Bei all dem hielt sich das Moderatorenpaar (Sigi Harreis, Werner Sonne) recht gut. Peinlich nur, wie Sigi Harreis einen Jugendlichen von der Straße weg ins Studio zerrte, um ihm die neue Sendung aufzuschwatzen. Ernst Huberty mit seinem Sportquiz, ganz Sonnyboy, strahlte, als habe er soeben Helmut Kohl die Kanzlerschaft abgerungen. Eine Pärodie seiner selbst: Chris Howland mit dem albernen Wetterbericht.

Erstes Fazit (mit Vorsicht zu genießen): die Verpackung könnte wichtiger werden als die „Ware“ Nachricht. Hoffentlich erweist sie sich nicht auf Dauer als Mogelpackung.

Schon besser: die zweite Ausgabe der „Aktuellen Stunde“ gestern Abend. Tatsächlich etwas mehr Aktualität, mehr Kritisches, mehr „regionaler Stallgeruch“, auch wenn erneut der rheinische Teil des Landes besser wegkam. Diesmal war es nicht zweimal Köln, wie am Montag, sondern zweimal Bonn. Aber vielleicht gibt sich das mit der Zeit. Beim Bridge-Bericht lag der Regionalbezug nur in der bloßen geographischen Lage des Ortes: Es wurde halt in Bad Salzuflen gespielt – und nicht auf der britischen Insel.

Der journalistische Alltag ist, wohl auch beschleunigt durch Ernüchterung nach der anfänglichen Hochstimmung, eingekehrt. Keine Rede mehr vom „Straßenfeger“. Allein Chris Howland war noch alberner als bei der Premiere. Wenigstens machte er diesmal deutlich, wann es sich um Tagesrückblicke und wann es sich um Wetter-Prognosen handelte.