Suchtverhalten aller Art: „Mensch ich lieb dich doch“ eröffnet NRW-Kinder- und Jugendtheatertreffen

Von Bernd Berke

Dortmund. Dortmunds Kindertheater hat’s mit der „Roten Grütze“.

Nachdem bereits das Aufklärungsstück „Darüber spricht man nicht“ aus dem Repertoire der Berliner übernommen worden war, folgte nun die Premiere von „Mensch ich lieb dich doch“, ebenfalls aus der „Grütze“-Werkstatt und schon (mittlerweile hinlänglich bekannter) „Klassiker“ des Jugendtheaters. Die Aufführung im nicht ausverkauften Theater am Ostwall eröffnete zugleich das NRW-Kinder- und Jugendtheatertreffen.

Es geht um Sucht und Drogen: Wer ist wann, wo und warum high, „bedröhnt“, „knülle“ oder „schicker“? Die Dortmunder haben das ursprünglich vier Stunden lange Stück gekürzt und zu einer Schlag-auf-Schlag-Revue mit vielen, zuweilen kabarettistischen „Nummern“, typisierten Figuren und jeder Menge Rockmusik (auch so eine Droge!) umgebaut. Das garantiert Kurzweil, birgt aber auch die Gefahr, das Publikum mit bloßen Oberflächenreizen bei der Stange zu halten.

Bestens eingespieltes Ensemble

Dem Thema versucht man auf breitester Front beizukommen: Arbeits- und Liebesrausch sowie Vaters Fernsehsucht, die er sich mit Schnaps und Kettenrauchen verschönt, kommen ebenso vor wie Mutters „kleine Helfer“ (Tabletten), Alkohol auf der Baustelle oder Haschisch in Schule und Jugendheim. Effekt: Manchmal sieht man den Wald vor lauter Bäumen nicht. Beabsichtigtes Fazit: Alles kann süchtig machen, wenn’s im Leben nicht stimmt. Etwas zu kurz kommen die „Mechanismen“, die zur Sucht führen; in diesem Punkt wirkt die Aufführung etwas hilflos, weil sie im Großen und Ganzen darauf hinausläuft, simplen „Frust“ oder Gleichgültigkeit als Auslöser zu unterstellen.

Dennoch ist es ein Vergnügen, dem gut eingespielten Ensemble zuzusehen. Den Schauspielern (besonders Ulrike Heucke und Ludwig Paffrath) merkt man an, daß sie nicht irgendeinen beliebigen Stoff herunterspielen, sondern an der Thematik selbst interessiert sind. Auch die Musik, die sie abliefern, ist nicht übel, besonders die Parodien auf die „Neue Deutsche Welle“.

Kleine Anmerkung: Ist der gedankenlose Zuruf Gabriele Hintermaiers („Hallo, Spasti!“) unbedingt vonnöten, wenn Ludwig Paffrath in einer Szene wild herumhampelt?




Großer Überblick: Westfälische Kunst aller Richtungen – „Exponata ’83“ in Münster

Von Bernd Berke

Münster. „Exponata ’83“ hinter diesem Titel verbirgt sich – laut Veranstalter – die seit Jahren größte Präsentation westfälischer Kunst.

Die vom „Berufsverband Bildender Künstler Westfalen Süd/Nord“ ausgerichtete Kunstschau in Münster verdankt sich nach Ansicht der Organisatoren einem Mißstand. Hubert Teschlade, Sprecher der maßgeblich beteiligten Bildhauergruppe Münster: „Im offiziellen Ausstellungsbetrieb kommen viele von uns überhaupt nicht zum Zuge.“ In den wichtigen Museen präsentiere man jeweils nur die am Kunstmarkt gängigen Stilrichtungen. Teschlade: „Die Künstler können sich kaum noch selbst wirksam darstellen, sie werden von anderen dargestellt. 95 Prozent von uns werden dabei sozusagen ,abgehängt‘.“

Also schritten die westfälischen Kunstproduzenten zur Selbsthilfe und bauten eine Ausstellung in eigener Verantwortung auf, wenn auch mit Zuschüssen des NRW-Kultusministeriums. Das Ergebnis – über 500 Skulpturen und Gemälde von 110 Künstlern aus dem Kernbereich Westfalens – ist nach halbjähriger Vorbereitungszeit ab Sonntag an verschiedenen Münsteraner Stätten zu besichtigen. Und tatsächlich: Ein umfassenderer Überblick zum regionalen Kunstschaffen läßt sich kaum denken.

„Pluralistisches“ Konzept mit Schwächen

An der Schau können wegen des „pluralistischen“ Konzepts, das sich nicht an trendnaher Avantgarde orientiert, auch einige Künstler teilnehmen, die seit Jahren auf keiner Ausstellung mehr vertreten waren. Kehrseite der Medaille: Es finden sich in kunterbunter Reihe Beispiele fast aller möglichen Stilrichtungen – und manche darunter haben sich nun wirklich überlebt. Daß zum Beispiel im Stadthaussaal (am Prinzipalmarkt) zahlreiche Werke einander „beißen“, weil sie einfach zu unterschiedlichen Kunstauffassungen entspringen und zu dicht beieinanderhängen, ist ein nicht zu übersehendes Manko.

Das Spektrum reicht vom abstrakt gemusterten Wandteppich (Elisabeth Altenrichter-Dicke, Ennepetal) über eher plakative Industriemotive (Otto Bahrenburg, Dortmund), klassisch-schlichte Skulpturen (Siegfried Erdmann, Dortmund) und kubistische Kompositionen (Herbert Lange, Münster) bis hin zu Anklängen an die Pop-art (Uwe Pfannschmidt, Halver).

Geringere Schwellenangst

Wo Vorbilder oder Orientierungspunkte zu suchen sind, spürt der Betrachter manchmal leider allzu deutlich. Annähernd plagiatorische „Zitate“ von Versatzstücken ‚a la Dalí oder Feininger bleiben zwar die Ausnahme, aber längst nicht jeder im Münster vorgestellte Künstler hat einen wirklich eigenen oder gar seinen unverwechselbaren Stil gefunden.

Da man nicht an typisch musealen Orten ausstellt und also die „Schwellenangst“ der Besucher sehr viel geringer sein dürfte als sonst, hofft Berufsverbandsvorsitzende Elisabeth Altenrichter-Dicke, daß hier auch Leute mit der Kunst in Kontakt kommen, die sich nicht ins Museum trauen würden.

Ziel der Veranstalter ist es, die „Exponata“ zu einer fester Einrichtung zu machen. Man spricht von einem olympischen Vierjahres-Rhytmus, in dem der imposante Aufgalopp westfälischer Kunst sich wiederholen soll.

„exponata ’83 – Kunst aus Westfalen in Münster“: 12. Juni bis 31. Juli: Bürgerhalle/Rathaus, Mo-Fr. 9-17 Uhr. Sa. 9-16 Uhr, So. 10-13 Uhr. – Stadtsparkasse mit Galerie und Druffelschem Hof. Mo.-Fr. 8.30-16.30 Uhr. -12. Juni bis 2. Oktober: Schloßgarten(Skulpturen), durchgehend geöffnet; Botanischer Garten, tagl. 8-17 Uhr. Katalog: 5 DM.




Zentrum für DDR-Kunst entsteht im Revier – Großmäzen Peter Ludwig engagiert sich in Oberhausen

Von Bernd Berke

Oberhausen. An der Revierstadt Oberhausen wird künftig keiner vorübergehen können, der sich aus erster Hand über DDR-Kunst auf dem laufenden halten will.

Das glaubt jedenfalls Deutschlands bekanntester Kunstmäzen: Professor Dr. Dr. h. c. Peter Ludwig, Schokoladenfabrikant, Sammler und Stifter von Kunst en gros, erkor „Schloß Oberhausen“ zum Depot einer einzigartigen Kollektion. Nirgendwo sonst (außerhalb der DDR) wird man so viele Werke der bildenden Kunst aus dem zweiten Deutschen Staat haben wie hier.

Zugleich soll ein „Ludwig Institut für Kunst der DDR“ ins Schloß einziehen und die wertvolle Sammlung (104 Stücke, u. a. von Willi Sitte, Werner Tübke und Bernhard Heisig) wissenschaftlich aufarbeiten. Publicityträchtig zauberte Ludwig gestern noch eine Überraschung aus dem Hut und legte eine Ergänzungsliste mit 30 von ihm erworbenen Bildern der 9. DDR-Kunstausstellung (Dresden 1983) vor. Auch in Zukunft soll die Sammlung laufend ergänzt werden – „positive Zusammenarbeit“ vorausgesetzt, wie es im Vertrag heißt.

Am 27. Juni wird der Rat der Stadt Oberhausen höchstwahrscheinlich sein Placet geben. Alle Ratsfraktionen zeigten sich angetan. Auch NRW-Ministerpräsident Rau war beeindruckt und schrieb an Oberhausens OB van den Mond, „daß es auch im Interesse des Landes liegt, im Ruhrgebiet einen weiteren kulturellen Schwerpunkt zu setzen“.

Peter Ludwig, dem jüngst heftige Vorwürfe gemacht wurden, er versuche, Einfluß auf Museen zu erlangen, war gestern in einer Pressekonferenz bemüht, jeden Verdacht zu entkräften. Die Initiative sei von der Stadt Oberhausen ausgegangen und werde durch deren Kooperationsvertrag mit der Aachener „Ludwig-Stiftung für Kunst und internationale Verständigung“ rechtswirksam. Ludwig: „In dieser Stiftung bekleide ich kein Amt.“ Seine Sammlung, so der kürzlich mit einem „Ehrendoktor“ der Uni Leipzig bedachte Mäzen, trage auch zu gutnachbarlichen Beziehungen zwischen beiden deutschen Staaten bei.

Bedauerlich: Die Gemälde, Skulpturen und Grafiken aus der DDR werden nicht als allgemein zugängliche Dauerausstellung im Oberhausener Schloß zu sehen sein. Das Gebäude soll vielmehr anderen Museen als zentrale Anlaufstelle dienen. Von hier aus sollen (Dauer-)Leihgaben an Kunsthallen in aller Welt gegeben werden, Kunstexperten sollen hier „Forschung am Objekt“ betreiben. Kulturdezernent Dr. Friedrich Wilhelm Fernau schließt jedoch zeitheilige Präsentationen für ein breiteres Publikum nicht aus. Die Stadt Oberhausen wird jährlich 100 000 DM fur das neue Institut beisteuern müssen. Diese Ausgabe werde durch Etatumschichtungen sowie aus Förderungsmitteln des Landes und des Kommunalverbands Rühr (KVR) bestritten, hieß es.

Zum Vorwarf, er habe lediglich Werke der offiziell geduldeten DDR-Kunst zusammengetragen, meinte Peter Ludwig, die von ihm gesammelten „Spitzen-Werke“ stammten „nicht von propagandistischen Hofsängern“. Ludwig salopp: „Auch wer das alles für Mist hält, muß sich künftig erst mal in Oberhausen umsehen, um mitreden zu können“.




Künstler will 350 Kilometer langen Kreidekreis ziehen – Gunter Demnig kommt auch durch Dortmund und durchs Sauerland

Von Bernd Berke

Im Westen. „Spuren-Demnig“ ist ab Sonntag wieder unterwegs. Mit einer 350 Kilometer langen Linie aus Schlämmkreide“ (Titel: „Kreidekreis“) will Günter Demnig (35) binnen 14 Tagen eine abgezirkelte Spur um die Wuppertaler „Galerie Brusten“ ziehen.

Weil er sich dabei stets im 40-Kilometer-Abstand vom Kreismittelpunkt bewegt, wird er auch in Dortmund (Scharnhorst) und Iserlohn Kreide hinterlassen sowie an Altena, Lüdenscheid und Olpe vorbeikommen. Start und Ziel: der Kölner Kunstverein.

Demnig wird sein Plexiglaswägelchen, aus dem die Kreide (umweltfreundlich und bei trockenem Wetter eine Woche haltbar) rinnt, von Köln aus im Uhrzeigersinn durch die Lande schieben. Für den Kreidenachschub hat er Depots ausgeguckt, etwa Gaststätten am Streckenrand. Genächtigt wird im Zeit.

Was soll der Betrachter denken? Demnig will der Phantasie nicht vorgreifen, nennt aber Stichworte: „Meine Strecke ähnelt auf der Landkarte den Ziel- und Fadenkreuzen militärischer Planer.“ Mögliche Assoziation: Der Mittelpunkt als Ziel eines Angriffs, der Radius als Grenze der betroffenen Region. Gerade dieses abstrakte, lebensferne Szenario will Demnig, Assistent an der Kasseler Gesamthochschuie, durchbrechen, wenn er die „im Fadenkreuz“ liegenden Gegenden erwandert. Demnig: „Dabei löst sich die Abstraktion der Karte auf, und ich sehe eine konkrete Landschaft, begegne lebendigen Menschen.“ Solche Begegnungen will er auch zu Dokumentationszwecken nutzen; Neugierigen wird er seinen Fotoapparat in die Hand drücken. Das erspart Stativ und Selbstauslöser.

Demnig machte des öfteren mit aufsehenerregenden Spur-Gestaltungen von sich reden: So zog er 1981 eine „Blutspur“ von Kassel nach London und 1982 einen „Ariadne-Faden“ von Kassel nach Venedig. Relikte dieser Fern-Gänge sind ab morgen in der erwähnten Wuppertaler Galerie zu sehen.

Des Künstlers weitere Vorhaben für 1983: Im September schippert er mit einem polnischen Frachter nach New York und versenkt dabei mehrfach Flaschenpost im Atlantik. Antwort erbeten ans New Yorker Museum of Modern Art, das die Rückmeldungen sammeln will. Im November geht Demnig nach Köln und „hinterläßt besonders dauerhafte Spüren: Mit dem Brenneisen will er seine Signatur in den Schuhsohlen mutiger Interessenten verewigen. Etwaige Sorgen zerstreut er: „Das Brenneisen drückt zwar symbolisch Besitzergreifen aus, dringt aber nur 2 bis 3 Millimeter tief“.