Duisburger Projekt: Gezielte Integrationshilfe in der Bibliothek

Von Bernd Berke

Duisburg. Duisburgs Stadtbibliothek verfügt über die mit 40 000 Titeln größte türkischsprachige Abteilung aller bundesdeutschen Büchereien. Wer soll sich da noch auskennen? Die türkischen Benutzer und die deutschen Bibliothekare haben den Überblick verloren. Die Qualität der Beratung sinkt zwangsläufig.

Dem Übelstand soll ein Projekt abhelfen, das von Duisburg aus als Service-Leistung für alle Büchereien (und Schulen) betrieben wird. Projektleiter Tayfun Demir erstellt einen Katalog besonders wichtiger und empfehlenswerter türkischer Literatur – vom Kinderbuch über den Klassiker bis hin zum Religions- oder Sachbuch. Wichtigstes Auswahlkriterium: Integrationsfördernde Werke sind gefragt, nationalistische Pamphlete verpönt. Seit die Militärs in Ankara an der Macht sind, gestaltet sich eine so motivierte Suche zunehmend schwieriger. Werke, denen der „Ruch des Liberalen“ anhaftet, erscheinen am Bosporus nicht mehr.

Stöbern in den Duisburger Regalen und Recherchen bei türkischen Verlagen förderte allein 50 Romane und Erlebnisberichte zum Thema „Leben in der Bundesrepublik Deutschland“ zutage – vielleicht für manchen Ratsuchenden eine Hilfe, die jedoch erst einmal erschlossen werden muß. Tayfun Demir hat da seine Erfahrungen. Zwei Jahre lang klapperte er mit dem Bücherei-Bus die Duisburger Stadtteile mit hohem Türkenanteil ab. Demir: „Erst seitdem weiß ich, welche Lektüre meine Landsleute brauchen“.

Etwa 1500 Bände werden bis zum Schluß des Projekts (Ende 1984) aufgelistet sein. Jeder Titel wird mit einem Kurzkommentar in türkischer und deutscher Sprache vorgestellt. Diese Orientierungshilfe soll von einem Berliner Verlag veröffentlicht werden. Bereits in diesem Herbst kommt eine Aufstellung mit 300 Kinderbüehern heraus. Demir: „Türkische Kinder sind die eifrigsten Bibliotheksbenutzer.“

Gefördert wird das in aller Stille verwirklichte, wichtige Projekt von der Krupp-Stiftung (220 000 DM). Vertreter der Duisburger VHS sitzen im Projektbeirat.




Rundfunk-Premiere: Hörer sollen Themen selbst kommentieren – Idee aus dem WDR-Studio Dortmund

Von Bernd Berke

Dortmund. Hörer als Kommentatoren vor dem Rundfunkmikrophon – diese im WDR-Studio Dortmund aufgekommene Idee wird jetzt heiß diskutiert.

Bei Vorüberlegungen zum neuen Konzept der Sendung „Echo West“ (1. WDR-Hörfunk- Programm), die ab 1. Oktober im Rahmen der Regionalisierung um täglich eine Stunde verlängert wird, keimte der Gedanke: Warum, so fragten sich die Rundfunkleute, soll nicht einmal ein Stahlarbeiter zur Lage in der Stahlindustrie Stellung beziehen, warum soll nicht eine Hausfrau die Lebensmittelpreise aufs Korn nehmen oder ein Landwirt die unzuverlässigen Wettervorhersagen geißeln? Sollte die Idee verwirklicht werden, so wäre der WDR der erste Sender in der Bundesrepublzk, der die Zeitläufte von „Normalverbrauchern“ kommentieren läßt.

Claus-Werner Koch, Leiter von „Echo West“, wendet sich schon jetzt gegen Bevormundung durch die Funk-Profis: „Wenn s nach mir geht, können die Leute drei bis vier Minuten lang frei von der Leber weg reden“. Koch zum Ablauf: „Wenn zum Beispiel Stahlarbeiter demonstrieren, könnten wir hingehen und fragen: Wer hat Lust

zu sagen, wo der Schuh drückt? Ob der Kommentar dann auf der Straße oder im Studio gesprochen wird, ist Nebensache.“ Koch hält das alles „eigentlich nicht für eine große Sensation, sondern für selbstverständlich. Der Stahlarbeiter weiß doch in seinem Metier Bescheid“. Also könne er auch eine fundierte Meinung äußern.

Überhaupt solle „EchoWest“ (durchschnittliche Hörerzahl pro Tag derzeit bei einer halben Million) attraktiver, nämlich „hörernah“ gestaltet werden. Koch: „Wir bosseln noch daran“. Jedenfalls werde man das Team ab 1. Oktober öfter als bisher mit dem Mikrophon vor Ort antreffen, es solle mehr Aktionen geben, an denen sich die Hörer beteiligen können und jedes „Echo West“ solle einem Schwerpunkt-Thema gewidmet sein.




Kaii Higashiyama – Düsseldorf präsentiert Altmeister der japanischen Landschaftsmalerei

Von Bernd Berke

Düsseldorf. In seiner Heimat ist er eine Berühmtheit: Kaii Higashiyama, 1908 in Yokohama geborener Altmeister der japanischen Landschaftsmalerei, ist gar Träger des äußerst selten verliehenen Titels „Lebender Kulturschatz“. Von ihm stammt ein großes Wandgemälde im kaiserlichen Palast.

300 000 Besucher drängten sich auf seiner letzten großen Ausstellung in Tokyo. Zum Vergleich: Henri Matisse zog „nur“ 260 000 Japaner in seinen Bann. Seit dem vergangenen Wochenende ist – als Nachtrag zu den dortigen„Japan-Wochen“ – in der Düsseldorfer Kunsthalle eine Auswahl seiner Werke zu sehen.

Higashiyama arbeitet fast ausschließlich mit hierzulande kaum verwendeten Mineralfarben. Zerriebene Mineralien, durch besondere Verfahren „streichfähig“ gemacht, verleihen den Bildern eine ganz andere Oberflächen-Struktur als Ölfarben. Feinkörnig, zuweilen ganz leicht glitzernd, geben sie den Landschaftsmotiven etwas Magisch-Geheimnisvolles, Meditatives.

„Aussagen“ im herkömmlichen Sinne wird man diesen Naturbetrachtungen kaum abgewinnen können. Sie nähern sich der „reinen Anschauung“. Es sind menschenleere Landschaften, oft in sanftesten Schattierungen einer einzigen Farbe gestuft, Orte des stillen Nachdenkens und nicht Räume, in denen der Mensch sich ausbreitet.

„Weg“, 1950 auf Seide gemalt, zeigt eine ins Unendliche verlaufende Strecke zwischen hingehauchtem Grün. Ein „innerer Weg“, keiner, den man zu Fuß bewältigt. Farben und Lichtverhältnisse sind fahl, niemals kraftvoll oder gar plakativ. Zahlreiche Bilder zeigen Strukturen von Wurzeln oder Verzweigungen kahlen Geästs. Bleiche Monde spiegeln sich in vollständig ruhigen Wassern. Welch ein Kontrast zur Ausstellung „New York Now!“ (WR vom Samstag) in den oberen Stockwerken, mit ihren grellen und in jedem Wortsinn aufregenden Bildern.

Während Higashiyama trotz seiner Studien im Deutschland der frühen 30er Jahre deutlich in der japanischen Tradition steht, zeigen gleichzeitig ausgestellte Arbeiten von fünf jüngeren japanischen Künstlern die vorsichtige Annäherung an eine universelle „West-Kunst“.

Kaii Higashiyama, Fünf zeitgenössische Künstler aus Japan; Kunsthalle am Grabbeplatz, Düsseldorf: bis 28. August.




New Yorks Ruf wird aufpoliert – Neue Aufmerksamkeit für die Kunstmetropole

Von Bernd Berke

Düsseldorf. Seit die gar nicht mehr so neuen europäischen „Wilden“, allen voran die Italiener Clemente und Cucchi, weltweit Furore machen, steht eine Stadt nicht mehr im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, die bis weit in die Siebziger Jahre als d i e Metropole aktueller Kunstströmungen galt: New York.

Der Düsseldorfer Kunstverein führt daher jetzt in seiner Ausstellung „New York Now“ (New York jetzt!) die neuesten Stimmungen an der US-Ostküste vor, wie sie sich in der Malerei äußern. Und siehe da: Auch jenseits des „großen Teiches“ geht der Trend offenbar stracks in Richtung „Gegenständliches“.

Auch in New York hat sich, nimmt man diese Ausstellung zum Maßstab, eine meist expressive, grelle Malweise durchgesetzt, die oft auf ganz einfache Chiffren, wie sie in Zeichnungen von Kindern vorkommen, zurückgreift (besonders deutlich bei Richard Bosman und Jean Michel Basquiat).

Weitere Rückbesinnungen, nämlich auf zurückliegende Epochen der Bildenden Kunst, sind ebenfalls kaum zu übersehen. So malt Jonathan Borofsky ein skurriles Portrat von Frans Hals, und der heute zur New Yorker Kunstszene zählende, gebürtige Kölner Rainer Gross nicht minder ironische Werke, die auf Rubens anspielen. Daß der Umgang mit der Tradition nicht bierernst gemeint ist, zeigen schon die Titel. So nennt Gross eine seiner Rubens-Szenen mit drei beleibten Grazien „Schokolade, Erdbeer und Vanille“. Thomas Lanigan-Schmidt geht noch einen Schritt weiter: Mit bewußt überkitschten Arrangements aus golden und silbrig glitzernder Alufolie umkränzt er Imitationen russischer Ikonen, jener Heiligenbilder also, die als Abklatsch mittlerweile in jedem halbwegs gutsortierten Kaufhaus zu haben sind.

An US-„Pop“-Väter wie Warhol, Oldenburg und Rauschenberg wird kaum angeknüpft. Eher scheint sich eine amerikanisch-europäische Wechselwirkung anzudeuten. Nur wenige der Künstler, die in Düsseldorf präsentiert werden, sind einem breiteren deutschen Publikum schon ein Begriff. Manche waren zwar auf der letzten „documenta“ oder der Berliner „Zeitgeist“-Ausstellung vertreten (John Ahearn, Judy Pfaff mit ihren grellbunten Papierstreifen-Collagen, Julian Schnabel) die meisten aber entstammen den jungen Jahrgängen 1950 bis 1960 und haben teilweise gerade erst ihr Einzelausstellungs-Debüt in den USA gegeben („Futura 2000″, Rainer Gross).

Insgesamt sind von 25 Künstlern 70 Arbeiten zu sehen, die vornehmlich in den Jahren 1980 bis 1983 entstanden sind. Man kann also mit Fug und Recht behaupten, daß diese Schau – soweit es das durch parallel laufende Expositionen begrenzte Raumangebot in der Kunsthalle zuläßt – einen, wenn auch nicht repräsentativen, so doch auch nicht völlig dem Zufall überlassenen Querschnitt durch die New Yorker „Szene“ bietet.

Dem Zufall zu verdanken ist hingegen die Chance eines interessanten Kulturvergleichs, der dadurch möglich wird, daß ebenfalls seit gestern eine Ausstellung mit Werken des japanischen Landschaftsmalers Kaii Higashiyama im selben Haus gezeigt wird. Wir werden auf diese Ausstellung (in Tokyo sahen sage und schreibe 300 000 Besucher die Bilder des Altmeisters) noch zurückkommen.

Düsseldorf, Kunsthalle am Grabbeplatz: „New York Now!“ (bis 4. September)




2568 Fotos stellen die TV-Realität in Frage

Von Bernd Berke

Bonn. Unsere vom Fernsehen entscheidend umgeprägten Sehgewohnheiten stellt ein Mammutwerk dar, das jetzt in der Bonner Kunsthalle zu sehen ist.

Sein Urheber, der 33-jahrige Wahl-Düsseldorfer Klaus Mettig, muß sich einer beachtlichen TV-Nachrichtenberieselung unterzogen und dabei seinen Fotoapparat stets „schußbereit“ auf den Bildschirm gerichtet haben. So entstanden Tausende von Schwarz-Weiß-Bildern, „eingefrorene“ Mattscheiben-Momente, von denen Mettig exakt 2568 Stück zu riesigen Bildwänden zusammenfügte.

Die schier endlose Fotoreihe (alle Bilder dicht an dicht, im einheitlichen Rechteckformat), die sich in Bonn durch eine ganze Raumflucht zieht, war bisher nur im holländisehen Eindhoven komplett und auf der „documenta 7″ in Teilen zu sehen.

Man mag an das kürzlich von Bodo Harenberg in Dortmund präsentierte Geschichts-Allerlei „Monumenta ’83“ denken. Aber: Was beim ersten Hinsehen wie eine gestaltlose Addition oder bloße Anhäufung wirkt, enthüllt sich hier bei näherer Betrachtung als listenreicher Kommentar zur gewohnten Mediennutzung: 2568 Ausschnitte aus der TV-„Realität“ – das sind zahllose pompöse Staatsakte, geschniegelte Nachrichtenverleser, lakonische Schrifteinblendungen zu Katastrophen, garniert mit Börsentabellen, dazu Kriege, Demonstrationen, Porträts der Mächtigen und Massenszenen mit den Ohnmächtigen.

Dies alles, so legt es Mettigs schmucklose Aufreihung nahe, wird über den gleichen Medienleisten geschlagen, somit eingeebnet und sämtlich gleichermaßen (un)wichtig oder (un)wirklich. Was, etwa als „Tagesschau“ oder „Heute“, schnell und gnädig am Zuschauer vorüberflimmert, ist hier von unerbittlicher Statik.

Die optische Kürzelsprache der Nachrichtenvermittlung, sonst kaum noch bewußt, wird in ihre Einzelteile zerlegt. Und seltsam: Man bekommt so etwas wie Mitleid, nicht nur mit den „behandelten“, sondern auch mit den handelnden Personen der Zeitgeschichte – so hilflos und verloren wirken die Gesichter der Machthaber im fotografisch gestoppten Fernsehbild.

Kunstmuseum Bonn, Rathausgasse 7, bis 4. September




Engelmann übt friedlichen Widerstand im Trainingscamp – Aktionen gegen Nachrüstung: Volker W. Degener rät zur Vorsicht

Von Bernd Berke

Im Westen. Verschiedene Meinungen über die ratsamste Haltung westdeutscher Autoren im „heißen Herbst“ der NATO-„Nachrüstung“ haben der Bundes- bzw. der NRW-Landesvorsitzende des Schriftstellerverbandes (VS) auf Anfrage der WR geäußert. Während Nordrhein-Westfalens VS-Vorsitzender Volker W. Degener sich „gegen jede gesetzwidrige Handlung“ im Zusammenhang mit einer Pershing-2-Stationierung wendet und auch Blockade-Aktionen dazu zählt, will sich Bundesvorsitzender Bernt Engelmann selbst an Blockaden beteiligen.

Zugleich kündigt Engelmann effektreiche „Aktionen im Verlauf der Frankfurter Buchmesse“ (11-17. Oktober) an, die sich mit der bundesweiten „Friedenswoche“ (ab 15. Oktober) überschneidet. Details werden nicht verraten, denn: „Seit den Krefelder Ereignissen sind wir vorsichtiger. Wir wollen nicht, daß Gewalttäter sich uns anschließen.“

Volker W. Degener, hauptberuflich bei der Bochumer Polizei, gibt sich zurückhaltender. Mit Engelmann sowohl einig im strikten Nein zur „Nachrüstung“ als auch in der grundsätzlichen Ablehnung gewaltsamen Widerstands, setzt er doch andere Akzente: Prominente wie Heinrich Böll und Günter Grass stellten Degener zufolge ihre Teilnahme an Blockade-Aktionen vor allem deshalb in Aussicht, „weil das sin aufsehenerregender Appell ist. Ob sie wirklich mitmachen werden, ist fraglich.“

Bernt Engelmann hingegen verweist auf den „einstimmigen Beschluß des deutschen PEN-Zentrums“, der deutlich in Richtung eines gewaltfreien Widerstands ziele und – anders als etwaige Resolutionen des der IG Druck und Papier angegliederten VS – für die Mitglieder (darunter Böll und Grass) „zumindest moralisch bindend“ sei. Degener wiederum beruft sich auf den VS-Landesverbandstag vor zwei Monaten in Hagen, der jedem Mitglied die persönliche Entscheidung freigestellt habe. Die Mehrzahl der Delegierten sei dabei deutlich von Engelmanns Position abgerückt. Degener: „Herr Engelmann kann uns nichts vorschreiben. Wir sind ein eigenständiger Landesverband“.

Bernt Engelmann hat unterdessen die rein theoretischen Vorüberlegungen hinter sich gelassen. Man wolle das friedliche Verhalten bei Blockade-Aktionen sorgfältig einüben. Er selbst werde sich in einem Camp in der Nähe eines möglichen Stationierungsortes entsprechend schulen lassen. Verstärkt arbeite man mit US-Autoren zusammen. Antiamerikanismus sei gerade nicht beabsichtigt. Seine Kollegin Ingeborg Drewitz habe jetzt in den Vereinigten Staaten sondiert und gefunden, daß dort bei vielen Schriftstellern Interesse an gemeinsamen Aktionen bestehe. Man werde für weitere Überraschungen sorgen. Engelmann: „Eines haben wir reichlicher als unsere Regierung, nämlich Phantasie!“




Finanzknappheit: Dunkle Wolken über den NRW-Freilichtbühnen

Von Bernd Berke

Im Westen. „Allmählich stellt sich die Frage, ob den Behörden die Laienkunst noch etwas wert ist!“ Karl Voss (59), Vorsitzender des Verbands der NRW-Freilichtbühnen, sieht dunkle Wolken am Horizont. Das bis Ende Juni von ihm geleitete „Bildungswerk zur Förderung des Freilichtspiels“ (BWF, mit Sitz in Hamm) geht schweren Zeiten entgegen.

Beliefen sich die Landeszuschüsse 1980 noch aufvergleichsweise stattliche 280 000 DM, so verfügt man in diesem Jahr nur noch über 120 000 DM. Folge: Die Zahl der Kursstunden (z. B. Bewegungs-, Sprech- und Atemübungen), in denen sich Laiendarsteller schauspielerisch fit machen sollen, sank im gleichen Zeitraum von 9000 auf 4000 pro Jahr. Das jetzt erschienene NRW-Kursheft geriet merklich schmaler als frühere Ausgaben.

In der Bildungswerk-Außenstelle Dortmund (Naturbühne Hohensyburg) beispielsweise, wo 1982 immerhin 366 Kursstunden abgehalten wurden, sind in diesem Jahr nur noch 192 Stunden im Angebot – ganze zwei Kurse furs zweite Halbjahr. Seufzt Ingo Mallée, ehrenamtlicher Leiter der Dortmunder Freilichtbühne: „Wenn das so weitergeht, müssen wir die Weiterbildung in unserer Außenstelle ganz aufgeben. Der bürokratische Aufwand ist für das dürftige Restprogramm zu groß.“

Geradezu absurd erscheint ein weiterer Sachverhalt. Obgleich 14 NRW-Freilichtbühnen das bundesweit einmalige Bildungswerk eingerichtet haben, darf in dessen Kurstiteln das Wort „Freilicht“ nicht mehr auftauchen. Eine Stelle beim Regierungspräsidenten in Arnsberg wacht streng über die Einhaltung dieser Vorschrift. Grund: Da das BWF als „Einrichtung der Erwachsenenbildung“ firmiert, muß es – gleichsam eine VHS im Kleinformat – jedermann offenstehen und darf niemanden durch Themen-Spezialisierung abschrecken. Da ersetzt denn der unverfängliche Nähkurs auch schon mal die theatralische Übung.

Bedenklicher sind freilich die Auswirkungen der Finanzknappheit. Kursleiter müssen für immer geringere Honorare tätig werden. Da etliche Stunden ganz wegfallen, geht ein wichtiges Rekrutierungsinstrument für den Nachwuchs verloren. Ingo Mallée: „Viele sind erst durch die Kurse zu uns gestoßen und haben dann angefangen, Theater zu spielen.“ Somit sind – auf indirektem Wege – langfristig sogar eine Ausdünnung des Spielbetriebs bzw. ein sinkendes Niveau zu befürchten. Karl Voss, der sich sparsamkeitshalber kürzlich selbst seines Postens als hauptamtlicher BWF-Leiter entheben mußte: „Dabei wird heute gerade den Amateurtheatern eine höhere Leistung abverlangt als früher“.




Theaterthema Umwelt: In den Wald statt an den Schreibtisch

Von Bernd Berke

Recklinghausen. „Saurer Regen“, „Waldsterben“, „Atomstaat“ – kein Mangel an Schlagworten zum Thema Natur- und Umweltpolitik! Daß es nicht beim wohlfeilen Wortgeklinge bleibt, ist Ziel eines beispielhaften Projekts in Recklinghausen: Auf theatralischem Wege sollen Profi-, Schüler- und andere Laiengruppen bis zum Herbst die ökologie im Wortsinn „an der Wurzel“ packen.

Bei Waldgängen und Wochenendseminaren bereiten sich derzeit 15 Theaterspielkreise auf die dem Umweltthema gewidmeten Recklinghäuser Theatertage (24. bis 30. Oktober) vor. Selbsterfahrung ist beabsichtigt: Wie weit hat sich der Mensch selbst mit seiner Lebensweise von natürlichen Ursprüngen entfernt, so daß er mit Schlagworten vorsichtiger umgehen sollte? Projektpartner sind die „Landesanstalt für Ökologie, Landschaftsentwicklung und Forstplanung“ sowie die für pädagogisch wirksame Darstellungskunst zuständige „Landesarbeitsgemeinschaft Spiel und Theater“.

„Umwelt- und Friedensparolen werden meist gedankenlos nachgeplappert“, klagt Hermine Bredeck (50), Studiendirektorin und Vorsitzende der Spiel- und Theater-AG. Es komme darauf an, solche Aussagen durch sinnliche Erfahrung tragfähig zu machen. Zur Umsetzung seien gerade die Ausdrucksmittel des Theaters geeignet.

Beispiel: An einem Wochenende beschäftigte man sich mit dem Begriff „Wurzel“. Der Aufbau von Pflanzen kam dabei ebenso zur Sprache und zur mimischen Darstellung wie etwa die „Entwurzelung“ im sozialen Bereich. Und schon war man mitten im komplexen Thema „Mensch und Natur“ (Arbeitstitel des Projekts).

Auch das unmittelbare Naturerlebnis gehört für die Akteure (u.a. Günter Stahlschmidt aus Lüdenscheid) zum Pensum. So streifte man gemeinsam durch die Haardt, „um den Wald mit allen Sinnen zu erleben, zu fühlen und zu riechen“ (Hermine Bredeck). Dabei erfuhr man, „daß alles noch viel schlimmer ist, als man es vom Fernsehen her kennt“ (so eine Teilnehmerin). Ein Vertreter der Landesforstbehörde schilderte die traurige Historie der Haardt-Waldungen. Früher ein buchenreiches Gebiet, nimmt der Boden heute gar keinen Samen dieser Baumart mehr an. Die Nutzholzindustrie hat eine ganze Landschaft binnen 40 Jahren vollständig umgemodelt. Der arglose Spaziergänger merkt von all dem nichts. Für ihn sieht’s nach „Natur“ aus.

Mit konkreten Erfahrungen versehen, machen sich die Theatergruppen an die Improvisation. Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt. Pantomime ist ebenso erlaubt wie Multi-Media-Einschübe. Die Aufführungen entstehen also nicht am Schreibtisch, sondem aufgrund direkter Erfahrungen. Bekräftigt Hermine Bredeck: „Erst wenn Kopf und Bauch übereinstimmen, machen politische Aussagen Sinn.“

Zu den Theatertragen im Oktober sollen auch Gruppen aus dem Ausland eingeladen werden. Das Projekt (Gesamtkosten etwa 60 000 DM) wird u. a. aus dem Landesjugendplan und durch die Landesanstalt für Ökologie bezuschußt.

Anschrift für Interessenten: Landesarbeitsgemeinschaft Spiel und Theater NW e. V., Klarastraße 9, 4350 Recklinghausen (Tel.: 02361/81601). Die Teilnahme an den vorbereitenden Seminaren ist kostenlos.