Immer Kohlestaub auf dem Zeichenpapier – Künstler Alfred Schmidt arbeitete vier Monate lang unter Tage an einem Großbild

Von Bernd Berke

Gelsenkirchen. „Nimm lieber ’ne Schippe und verdien dir dein Geld richtig!“ Solche Schmähungen mußte Alfred Schmidt (53) über sich ergehen lassen, als er die ersten Male auf Zeche „Hugo“ in Gelsenkirchen-Buer einfuhr. Seit über 100 Jahren wird auf „Hugo“ Kohle abgebaut, doch ein Maler war noch nie vor Ort.

Alfred Schmidt ließ sich nicht verdrießen: Vier Monate lang war er jeweils mit der Mittagsschiebt unter Tage – Staffelei, Zeichenpapier, Rohrfeder und Tusche immer dabei. Schmidts Dauerstandort: Schacht V, Sohle 7, in 940 Meter Tiefe. Dort kommen praktisch alle 3500 Kumpel vorbei, die bei „Hugo“ unter Tage arbeiten.

Nach und nach gewöhnte man sich an den Künstler, der mit Helm, Stahlkappenschuhen, Schienbeinschutz und Geleucht einfahren mußte und die Schutzhandschuhe beim Zeichnen ablegte. Das Ergebnis der Ze(i)chenarbeit liegt jetzt, nach dem Riesenverbrauch eines Viertelliters Tusche, vor: Ein 2,40 Meter breites und 1,06 Meter hohes Bild auf Büttenpapier, bei dem kleinste Einzelheiten stimmen. Alfred Schmidt: „Da gehe ich jede Wette ein“. Seine Überzeugung: „Den Bergbau kann man nur dann richtig abbilden, wenn man mit unter Tage ist, wenn immer eine Schicht Kohlestaub auf dem Papier liegt. Da unten haben mir die Kumpel ständig mit Anregungen und Kritik geholfen.“

Das Bild kommt in die neue Filiale der Gelsenkirchener Stadtsparkasse, die im Schatten der Zeche „Hugo“ entstand und nach dem Bergwerk benannt wird. Wunschkundschaft: die Bergarbeiter. Vermutet Hermann Mähr (55), „Hugo“-Betriebsdirektor für Personal- und Sozialfragen: „Mancher wird Frau und KInder mit in die Filiale mitnehmen, auf das Bild zeigen und sagen: Da arbeite ich!“

Eine fast formatgetreue Kopie des Großbilds hing gestern im Zecheneigangsbereich nahe der Horster Straße. Immer wieder blieben Kumpel davor stehen, kommentierten fachmännisch, bewunderten die Detailtreue. Am kommenden Samstag will Schmidt (der vor der Düsseldorfer „Schickeria“ floh und in eine Marler Zechensiedlung umzog) die Kopie beim „GE-Spektakel“ vor dem Musiktheater im Revier zeigen.

Der Künstler, der seit 1975 ausschließlich Szenen aus dem Bergarbeiterleben darstellt und 1981 mit einem Bilder-Wagen 750 Kilometer weit quer durch die Zechensiedlungen des Reviers zog, „um dem einfachen Mann die Kunst nahezubringen“, steckt voller Pläne. „Möglichst bald“ will er in Bergkamen (Haus Aden / Grimberg III-IV) ein noch größeres Untertage-Werk beginnen. Schmidt: „Es gibt dort ein Füllort mit gewaltigen Ausmaßen.“ Schmidt will dort – er plant eine Masssenszene in Lebensgröße – vor allem Gesichter festhalten, die Gedanken und Gefühle des Bergmanns widerspiegeln.




Neues Ruhrfestspiel-Ensemble will engen Kontakt zur Arbeitswelt – zu Besuch im Dortmunder Rundschau-Haus

Von Bernd Berke

Dortmund. „Es ist eine ganz neue Erfahrung, Eisenstaub, Hitze und Lärm bei Hoesch selbst zu erleben.“ So staunte, stellvertretend für seine Kollegen, ein Mitglied des neuen Ensembles der Ruhrfestspiele beim gestrigen Besuch im Rundschau-Haus. Die 29köpfige Truppe kam direkt von Betriebsbesichtigungen bei Opel/Bochum und den Dortmunder Hoesch-Werken „Westfalenhütte“ und „Phoenix“.

Beim Redaktionsbesuch diskutierten die Theaterleute mit Wirtschaftsredakteur Frank Bünte und WR-Kulturredakteur Johann Wohlgemuth. Thema: Krise und Zukunftsaussichten des Reviers.

Den Kontakt zur Arbeitswelt nimmt das neue (im Schnitt recht junge) Ensemble sehr ernst. Seit 14 Tagen knüpfte und festigte man Verbindungen zu Betriebsräten, Gewerkschaftern und Belegschaftsmitgliedern. Auch die Kumpel der bedrohten Dortmunder Zeche „Gneisenau“ und ihre streitbaren Frauen standen auf dem Besuchs-Programm der Bühnenleute. Eine „Gneisenau“-Besichtigung vor Ort scheiterte allerdings an „geologischen Schwierigkeiten“, die dort geltend gemacht wurden.

Wolfgang Lichtenstein, neuer Ensemble-Leiter: „Wir müssen immer wieder in die Betriebe gehen, damit es nicht bei einern oberflächlichen ,Sozialtourismus‘ oder einem unverbindlichen Ausflug in die Arbeitswelt bleibt.“ Da die aus allen Teilen der Bundesrepublik stammenden Ensemblemitglieder erst seit dem 15. August fest miteinander arbeiten könnten, befinde man sich noch in einem frühen Vorbereitungsstadium. Bis zur Stunde sei keine größere Festspiel-Produktion für die nächste Saison zur Bekanntgabe reif. Die Stück-Auswahl erfolge nach streng demokratischen Regeln. Lichtenstein: „Jeder kann Vorschläge machen, die dann vom gesamten Ensemble diskutiert werden.“

Ein Projekt über die 35-Stunden-Woche, das gemeinsam mit 19 Opel-Arbeitern verwirklicht werden soll, ist allerdings schon vereinbart. Ins Auge gefaßt hat man auch eine Aufführung über das Verhältnis von Arbeiterschaft und Friedensbewegung, an deren Ausformung betriebliche Friedensinitiativen mitwirken sollen. Beide Projekte werden also nicht von einzelnen Autoren betextet. Wolfgang Lichtenstein versicherte aber, daß man für künftige Vorhaben bereits in Verbindung zu Autoren wie Max von der Grün und Günter Wallraff stehe.

Beim Gespräch über die immer noch von den Krisenbranchen Kohle und Stahl dominierte Wirtschaftsstruktur des Ruhrgebiets äußerten die Darsteller, Dramaturgen und Techniker vor allem Skepsis. Sie sehen die Perspektiven offenbar eher düster. Deutliche Zweifel wurden an optimistischen Äußerungen von Bundesarbeitsminister Blüm geäußert. „Es gibt doch nur noch Krisen-Managements. Wo bleibt der wirkliche Aufbau?“, hieß es zum Beispiel. Vermißt wurden von Politikern zu entwerfende Zukunftsaussichten und „Utopien“. Besonderes Interesse zeigte das Ensemble an den mutmaßlichen Auswirkungen einer 35-Stunden-Woehe sowie am Problem der allgemeinen und der Frauen-Arbeitslosigkeit.

Allen Krisenphänomenen zum Trotz, mögen sich die Theaterleute jedoch nicht gänzlich dem Pessimismus verschreiben. Wolfgang Lichtenstein: „Wir wollen die Probleme dieser Region nicht nur bierernst darstellen.“ Humorig lautete denn auch der Arbeitstitel eines weiteren Projekts: „Mutter Kohle-Vater Stahl“.




Schocks und Lügen – Fotos aus 35 Kriegen

Von Bernd Berke

Siegen/Recklinghausen. K e i n Kunstgenuß erwartet die Besucher der Kunsthalle Recklinghausen und der Städtischen Galerie „Haus Seel“ in Siegen.

Gleichzeitig in beiden Häusern wird man jetzt mit schonungslosen Dokumenten menschlichen Leids konfrontiert: „Bilder vom Krieg“, eine vom Hamburger „Stern“-Magazin zusammengestellte Ausstellung mit 254 Schwarz-Weiß-Fotos, zeigt unfaßbare Szenen der Grausamkeit vom Amerikanisch-Mexikanischen Krieg (1848) bis zur Schlacht um Beirut (1982): US-Bürgerkrieg, Krimkrieg, Kolonialkriege, die beiden Weltkriege, Hiroshima, Korea- und Vietnamkrieg, Sinaikrieg und, und, und…

Der Schock, der sich unfehlbar einstellt, wenn man die Bilder aus über 130 Jahren und 35 verschiedenen Kriegen sieht, ist selbstverständlich beabsichtigt. Man kann die Ausstellung nur mit dem brennenden Wunsch „Nie wieder Krieg!“ verlassen.

Allerdings zeigen nicht all diese Bilder das wahre Gesicht des Krieges. Besonders in der Frühzeit der Fotografie nämlich gaben Schlachtenlenker die Parole „No dead bodies“ („Bloß keine Leichen“) aus, um dem Volk weiter den hehren Einsatz fürs Vaterland und siegreiches Heldentum vorgaukeln zu können.

Waren es zunächst naiv-idyllische Genre-Szenen, die man mit dem Fotoapparat herbeilog, so sollte die Illusionsmaschinerie bald zur Attacke übergehen: Regierende und Militärs erklärten die Arbeit des Kriegsfotografen zum kriegswichtigen „Wehrdienst mit der Kamera“ (man denkt unwillkürlich an den Ausdruck „ein Bild schießen“). Statt zerfetzter Leichen mußten also also z. B. stolzgeschwellte Veteranen des Krimkriegs oder auch eine pittoreske weiße Wolke vor dem Kanonenröhr abgelichtet werden, als diene der Gebrauch der Waffe einzig dem ästhetischen Vergnügen. Kriegslüstern jubelnde Soldaten und Zivilisten (Aufbruch in den 1. Weltkrieg), immer wieder von falscher Romantik triefende Bilder mit Soldatenbräuten oder zynischer Show-Glamour beim Auftritt von Front-Unterhaltern (z.B. Marilyn Monroe im Koreakrieg) gehören in verwandte Kategorien. Man erschrickt über die vielföltigen Möglichkeiten fotografischer Manipulation.

Wenn dennoch realistische Bilder gemacht wurden, bekamen die jeweiligen Zeitgenossen sie oft nicht zu Gesicht. Die Aufnahmen verschwanden in Archiven und wurden erst späteren Generationen zugänglich gemacht. In neuerer Zeit, so macht die Ausstellung deutlich, nahm die Ehrlichkeit (oder nur die Abgebrühtheit der Massenmedien und ihrer Konsumenten?) zu: Bei den schlimmsten Ereignisse waren und sind die Zeitgenossen nun „live“ dabei. Der Vietnam-Krieg war übrigens der erste, bei dem die Kamera Anklägerfunktion bekam und bewußt als „Waffe“ gegen den Krieg eingesetzt wurde.

„Bilder vom Krieg“: Kunsthalle Recklinghausen 28. August bis 20. September / Siegen (Städtische Galerie Haus Seel) 27. August bis 18. September, Katalog 29,80 DM