Dem Zeitgeist hinterhergerannt – Werke von Bernhard Hoetger in Dortmund

Von Bernd Berke

Dortmund. Wohl wenige aus dem Dortmunder Raum stammende Künstler dürften so sichtbare Zeichen ihres Wirkens gesetzt haben wie Bernhard Hoetger. Wer, bitte?

Bernhard Hoetger, am 4. Mai 1874, also vor 110 Jahren, im damals noch selbständigen Ortsteil Hörde geboren, Lehrjahre in Paris, Hauptwirkungsstätten Darmstadt und Worpswede/Bremen. Hoetger entwarf nicht nur die Bauten in der Bremer Böttcherstraße oder das „Cafe verrückt“ in der Künstlerkolonie Worpswede; um ein Haar wäre nach seinen Plänen auch noch Deutschlands erste und einzige „äyptische Stadt“ gebaut worden – im Auftrag des Keksfabrikanten Bahlsen, dessen Tod (1919) das monströse Projekt einer Arbeitersiedlung im Pharaonenstil allerdings scheitern ließ. Den Architekten, Designer und vor allem den Bildhauer Hoetger stellt jetzt das Ostwall-Museum mit einer Werkschau vor. Erstmals wird dabei auch der Nachlaß gezeigt, der 1962 in städtischen Besitz überging (bis 13. Mai, Katalog 24 DM).

Wer fast sämtliche Kunststile bis zur Mitte des 20. Jahrhunlerts nachgeahmt sehen möchte, der gehe jetzt ins Ostwall-Museum. Hoetger hat sich nach und nach – offenbar wahllos – Stilrichtungen „einverleibt“. Am Anfang stehen Einflüsse Rodins, dann dominieren Vorlieben für ägyptische, afrikanische, ostasiatische, gotische und expressionistische Kunstauffassungen. Die Ergebnisse haben nie unverwechselbare Gestalt; sie sind lediglich mal nah am Zeitgeist, mal weit von ihm entfernt. Wie abwegig Hoetgers Entwürfe gerieten, wenn sie sich auf keinen fremden Stil stützten, zeigt sein nichtssagendes Berliner Alterswerk.

In den 20er Jahren entstanden allerdings Werke, die sich annähernd auf der Höhe ihrer Zeit befanden: Möbel im Art Deco-Stil oder Plastiken, die, eigenartigerweise auf dem Wege der Beschäftigung mit afrikanischer Kunst, in Richtung „Neue Sachlichkeit“ wiesen. Doch Nachahmung – und das dokumentiert diese Ausstellung nachhaltig – hat Schattenseiten: Bemerkenswertes steht neben Unsäglichem. Damit ist nicht nur der „Schweinehund als Tischfeuerzeug“ gemeint, den man notfalls noch als witzige Kuriosität à la Dada durchgehen lassen könnte. Geradezu prekär ist Hoetgers Anpassung geworden, als die Nazis die Macht erschlichen. Hitler wollte das von Hoetger konstruierte Portal der Böttcherstraße abreißen lassen. Hoetger entfernte das mißliebige Dekor und ersetzte es durch eine Drachen-Szene im Dutzendstil.

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Leserbrief: „Schnoddrige Polemik“

Sehr geehrter Herr Berke, ich bekomme erst jetzt Ihren Artikel über die Hoetger-Ausstellung im Museum am Ostwall in die Hand. So haben da nicht bloß mit schnoddriger, sondem auch mit böswilliger Polemik gearbeitet. Jedenfalls zeigt Ihr Text doch wohl, daß Sie über Entwicklungsvoränge bei Künstlern nicht besonders unterrichtet sind. Hoetger war, und das liegt in seiner Zeit, zu einer – suchenden – Existenz verureilt. Wenn einer sich bloß anpaßte, konnten niemals solche Qualitäten entstehen – die in vielen seiner Werke doch wohl unbestritten vorhanden sind. Nicht in allen – klar.

Jedenfalls kommt es mir so vor, als ob Sie sich in erster Linie spektakulär profilieren wollten – und nicht daran gedacht haben, daß die Stadt Dortmund (der ich sehr verbunden bin) in Sachen bildender Kunst doch eine starke Grauzone ist. Da wäre eher mit sachlicher Aufklärung gedient – die selbstverständlich auch Kritik beinhalten sollte.

Eva Niestrath-Berger, 58 Hagen-Helfe




Bochums OB: Aussichten für Peymanns Bleiben gestiegen – „Krisensitzung“ mit Kultusminister Schwier

Von Bernd Berke

Bochum/Düsseldorf. Ist er mit dem Wiener Burgtheater handelseinig geworden, oder bleibt Claus Peymann doch am Bochumer Schauspielhaus? Es darf weiter gerätselt werden – auch nach der dreistündigen „Krisensitzung“, zu der Bochums Oberbürgermeister Heinz Eikelbeck Peymann und (als Vermittler) NRW-Kultusminister Hans Schwier am späten Montagabend nach Wattenscheid gebeten hatte.

Manfred Gutzmer, Pressesprecher der Stadt Bochum: „Der Oberbürgermeister ist optimistisch und beziffert die Chancen dafür, daß Peymann bleibt, jetzt wieder auf über 50 Prozent.“ Das Gespräch mit dem OB und dem Kultusminister habe „Eindruck auf Peymann gemacht“.

Nach Auskunft von Michael Rüdell, Pressesprecher des Kultusministeriums, sind Peymann von keiner Seite aus bindende Zusagen gemacht worden. Insbesondere Peymanns kostspielige Forderung nach einer zweiten Schicht seiner Technik (nötig für häufige Auswärts-GastspieIe) könne vom Land ebensowenig erfüllt werden wie sein Wunsch, die Bühne zu einem höher bezuschußten „Staatstheater“ zu machen. Rüdell: „Zur Bereitstellung von ein paar Hunderttausend Mark würden sich Mittel und Wege finden.“ Man könne, um die notwendigen Mittel freizumachen, notfalls den gesamten Haushalt des Kultur-Ressorts auf Einsparmöglichkeiten durchforsten oder auch beim Finanzministerium sogenannte „überplanmäßige Mittel“ beantragen. Die Hauptlast der finanziellen Zugeständnisse müsse gegebenenfalls aber die Stadt Bochum tragen. Dort war zu erfahren, daß man sich „über gewisse Steigerungsraten“ beim 17,5-Mio.-Zuschuß fürs BO-Theater durchaus verständigen könne.

Bochums OB Eikelbeck ging gestern auf Reisen – dem Vernehmen nach nicht in Richtung Wien, sondern rein privat nach Paris. In Wien jedenfalls gehen alle beteiligten Stellen davon aus, daß Peymann an die „Burg“ kommt; es ist gar von einer „Zusage“ die Rede, wobei in der Schwebe gelassen wird, ob bereits Unterschriften geleistet wurden.

Schwiers Sprecher Rüdell faßt die in Wattenscheid gewonnenen Eindrücke bündig zusammen: „Ein Pokerspiel, und zwar auf fallen Seiten.“ Minister Schwier, der in Begleitung eines Finanzexperten erschienen war, habe Peymann nahegelegt, sich genau zu überlegen, „was er da eigentlich gegen seine Tätigkeit in Bochum eintauschen würde.“ Der Kultusminister wolle Peymann zwar in NRW halten, werde dem Intendanten aber „nicht nachlaufen“. Schwier habe mit seiner Vermittlerrolle Oberbürgermeister Eikelbeck „eine Gefälligkeit erweisen wollen“. Nun erwarte man in Kürze eine von Peymann angekündigte Erklärung. Da Peymann Eikelbeck versprochen hat, zuerst ihn persönlich von seiner Entscheidung in Kenntnis zu setzen, wird die Erklärung vermutlich frühestens nach der Rückkehr Eikelbecks am 5. April erfolgen. Bis dahin soll Rolf Paulin, Verwaltungsdirektor des BO-Theaters, mit Schwiers Finanzexperten Vorverhandlungen aufnehmen.




Einöden der Historie – Werkschau von Anselm Kiefer in Düsseldorf

Von Bernd Berke

Düsseldorf. Jahrgang 1945, und schon eine nennenswerte Werk-Rückschau – Anselm Kiefer, Schüler des einstweilen noch berühmteren Joseph Beuys, ist schon ein Jemand in der Kunstwelt. 50 Gemälde, zumeist in den Kiefer-typischen Riesenformaten, dazu 100 Aquarelle, Gouachen und Buchobjekte zeigt jetzt die Düsseldorfer Kunsthalle (bis 5. Mai, Katalog 30 DM).

Kiefer bezieht seine Stoffe teilweise aus heiklen Bezirken: Germanische Mythen, deren Umformung durch Richard Wagner, „hehre“ Historie: Auf einem Bild namens „Wege der Weltweisheit“ werden führende Köpfe deutscher Geistesgeschichte zu einem mythischen Reigen rund um eine Feuerstelle arrangiert: Dichter und Denker, die (Kiefer zufolge) die „Hermannschlacht“ des Cheruskers immer wieder zum Zentrum nationaler Identifikation gemacht haben.

Gegen Kiefer ist wiederholt der Vorwurf erhoben worden, „faschistische Kunst“ zu produzieren. Auch mir fällt es schwer, unmittelbare und entschiedene Brechungen des skizzierten Themenkreises auszumachen. Vielleicht ist Kiefers Kunst tatsächlich faschistisch (miß)deutbar. Große Vorsicht ist aber geboten, wendet sich Kiefer doch z. B. auch frei nach Theodor Fontane dem „Märkischen Sand“ oder biblischen Motiven zu. Außerdem sollte zu denken geben, daß gerade israelische und französische Aussteller weniger Berührungsangst zeigen: Jerusalem und Paris sind weitere Stationen der Retrospektive.

Auf dem Bild „Vater, Sohn, Heiliger Geist“: drei Stühle, von lodernden Flammen besetzt. Auch auf zahlreichen anderen Bildern wiederkehrend: Feuer, leerer, erdfarbener Raum, zur Mitte zentriert, den Betrachter gleichsam dorthin „einsaugend“.

Weiteres Schlüsselwerk: „Malerei dcr verbrannten Erde“ – eine Palette schwebt in versengter Landschaft. Auch hier, wie so oft bei Kiefer, hingeworfene Schriftzüge. Sie schweben in menschenleeren Räumen oder verlassenem Gelände, durchziehen (u.a. mittels Ankokeln der Bildoberfläche) aufgerauhte, verwüstete Landschaftsformationen. Endzeitbilder einer Einöde, welche die Geschichte hinterlassen und aus der sich der Mensch verabschiedet hat?




Sechs NRW-Museen zeigen „Westdeutschen Impuls“ – Kunst und Design im Rhein- und Ruhrgebiet nach 1900

Von Bernd Berke

Im Westen. Vom „Museum der gescheiterten Hoffnungen“ war die Rede, und Johann Heinrich Müller, Direktor des Hagener Osthaus-Museums, sah bestätigt, daß „Kunst seit jeher in politischen Sackgassen endet.“ Eine Pressekonferenz mit Molltönen: Dabei lautet der Titel des gestern in Essen vorgestellten Ausstellungsprojekts von sechs NRW-Museen selbstbewußt: „Der westdeutsche Impuls.“

Die insgesamt 1,1 Mio. DM teure Gemeinschaftsaktion von Museen in Hagen, Wuppertal, Essen, Düsseldorf, Krefeld und Köln soll künstlerische Anregungen und deren Umsetzungen in Architektur, Industrie und Handwerk darstellen, die zwischen 1900 und 1914 im Land an Rhein und Ruhr besonders ausgesprägt waren. Nur wenige Relikte haben „überlebt“, von der Aufbruchstimmung ganz zu schweigen. Darauf bezogen sich die eingangs zitierten Aussagen.

Der Anstoß kam vom Essener Folkwang-Museum, das heute große Teile der Sammlungen von Karl Ernst Osthaus beherbergt. So rankte sich das ursprüngliche Konzept auch um den Hagener Bankierssohn Osthaus, der um 1900 (umgerechnet) 60 Mio. DM erbte und vor allem in die Kunst „steckte“. Leitidee: dem Leben im industriellen Raum durch Verschönerung der Alltagsgegenstände Weihe zu verleihen. Von Osthaus und „seinem Architekten Henri van de Velde gingen „Impulse“ zu einem „Gesamtkunstwerk“ aus, das sich sogar auf eine umfassende Regionalplanung für das Revier erstrecken sollte – eine Keimzelle für den 1920 gegründeten Ruhrsiedlungsverband und für Ideen, die später vom „Bauhaus“ weitergeführt wurden.

Das Essener Konzept erweiterte sich. Das Ergebnis ist kaum überschaubar. „Von der Teekanne bis zur Schwebebahn; von Picasso bis zur Keksdose“ – so könnte man pointieren. Die einzelnen Schwerpunkte:

  • Hagen (Osthaus-Museum und „Hohenhof): Dokumente zur Sammlertätigkeit von Karl Ernst Osthaus, der Hagen nach 1900 zu einem Stützpunkt der Avantgarde machte; Mobiliar, das sich Osthaus im Jugendstil entwerfen ließ.
  • Wuppertal (Von der Heydt-Museum): Dokumente zur Schwebebahn, dem zukunftsweisenden Verkehrsmittel jener Zeit; Ideen zu einer funktionellen „Architektur ohne Ornament“ und Beispiele für die damals in Elberfeld und Barmen geleistete Vermittlung vorausweisender Kunst (z. B. 1911 weltweit der erste Picasso-Ankauf für ein Museum).
  • Essen (Museum Folkwang): Dokumente zur Siedlung Margarethenhöhe, Paradebeispiel für „Gartenstadt“-Konzepte; Industriedesign, das seinerzeit deutschen Waren auf die Weltmärkte verhelfen sollte, wodurch Bestrebungen, dem Alltag etwas „Kunstschönes“ zu verleihen, oft mit imperialistischen Unterströmungen in Berührung kamen.
  • Düsseldorf (Kunstmuseum): Peter Behrens und seine Entwicklung vom Jugendstilkünstler zum Industrie-Designer; „Sonderbund“ -Ausstellungen 1909-1911.
  • Köln (Kunstverein): Dokumentation zum „Werkbund“ (Gründung von Künstlern und Industriellen).
  • Krefeld (Kaiser Wilhelm-Museum): Erstmals eine geschlossene Präsentation der 1923 aus Hagen erworbenen Teile der Osthaus-Sammlung.
  • Sämtliche Ausstellungen beginnen an diesem Wochenende und dauern – je nach Lokalität – bis Mitte oder Ende Mai bzw. Mitte Juni. Der Katalog (6 Bände) kostet komplett 125 DM, einzeln je 25 DM.



Tisa von der Schulenburg: Skizzen zum Leben der Bergarbeiter

Von Bernd Berke

Essen. „Heute läßt man mich nicht mehr runter“, bedauert Tisa von der Schulenburg (80), daß sie nicht mehr in Bergwerke einfahren darf. Und man glaubt ihr, daß ihr die damit verbundenen Strapazen wenig ausmachen würden. Im Essener Ruhrlandmuseum, bei der Vorstellung ihres neuen Buchs „Meine dunklen Brüder“ (Herder-Verlag, Freiburg, 80 Seiten, 6,90 DM), wirkt sie beileibe nicht wie eine 80-Jährige.

Unerläßlich sind einige Stichworte zu ihrer Biographie: 1903 als Offizierstochter Elisabeth („Tisa“) Gräfin von der Schulenburg geboren; Kunststudien in Berlin und Paris, Begegnungen mit Bert Brecht, Heinrich Mann, dem Bildhauer Henry Moore und anderen bedeutenden Künstlern. 1933 folgt sie ihrem jüdischen Mann ins britische Exil, wo sie erstmals Szenen aus dem Bergarbeiterleben zeichnet. 1938 kehrt sie nach Deutschland zurück, arbeitet aktiv im Widerstand gegen die Nazis mit; 1947 wird sie Zeitungskorrespondentin im Ruhrgebiet, seit 1950 lebt sie als „Schwester Paula“ im Ursulinenkloster in Dorsten.

Ihr neues Buch enthält Berichte und Zeichnungen aus dem Umkreis des Bergarbeiteriebens in Großbritannien (30er Jahre) und im Ruhrgebiet (1947-1960). 40 Originale dieser Zeichnungen sind – leider nur bis zum Freitag – im Ruhrlandmuseum zu sehen: einfache, aber höchst ausdrucksvolle Skizzen in der Tradition von Käthe Kollwitz. Detailtreu, aber nicht detailversessen. Von der schweren Arbeit gebeugte Gestalten, illusionslos und doch mitfühlend festgehalten. Adolf Schmidt, Vorsitzender der IG Bergbau und Energie (IGBE), schrieb das Buchvorwort. Kernsatz: „Ich schätze an ihr besonders, daß sie den Schritt aus dem elfenbeinernen Turm der Kunst herausgewagt hat und sich mit dem arbeitenden Menschen befaßt.“

Für den Herbst kündigt ihr Verlag bereits das nächste Buch Tisa von der Schulenburgs an: In „Umkehr in die Freiheit“ wird sie ihre Erfahrungen mit dem Ordensleben darstellen.




„Filmland NRW“ lockt mit Mammutprogramm in zehn Städten

Von Bernd Berke

Im Westen. Mit einem Paket von 78 Filmen geht jetzt die Veranstaltung „Filmland NRW“ bis zum Jahresende auf eine Tournee durch zehn Städte.

Gestartet wird der massive Einsatz des heimischen Films am 21. März in Münster; vom 27. April bis 10. Mai macht die Musterschau in Essen Station, zwischen dem 17. und 25. September ist sie in Dortmund. Spielstätten sind örtliche Programmkinos, Museen oder Volkshochschulen.

Noch nie wurde ein so breites Spektrum des hiesigen Filmschaffens in so kompakter Form präsentiert – vom Zweiminuten-Streifen bis zum abendfüllenden Beitrag sind alle Längen und Genres vertreten. Kurze „Kulturfilme“ aus den 50er und 60er Jahren sind ebenso im Angebot wie politische Animationsfilme der Landeszentrale für politische Bildüng, Kinder- und Jugendfilme, Preisträger der Oberhausener Kurzfilmtage und Spielfilme aus den Jahren 1958 bis 1984 (z. B. Winkelmanns „Abfahrer“, Ulrich Schamonis „Alle Jahre wieder“, Herbert Veselys „Das Brot der frühen Jahre“).

Der Beginn der Zelluloid-Rundreise markiert zugleich den Start für das Projekt „Kultur NRW ’84 – Beispiele für Vielfalt“, das in den kommenden Monaten über 30 Veranstaltungen aus allen Bereichen landesweit koordiniert bzw. aus der Taufe hebt (u.a.: Autorentreffen in Lüdenscheid, Kulturmesse in Unna, Laienmusikfest in Bad Berleburg). Landeszuschuß für den kulturellen Kraftakt: 4,3 Mio. DM.

Als eine unter 30 Veranstaltungen nimmt sich „Filmland NRW“ mit einem Zuschußtopf von 300 000 DM fast noch bescheiden aus. Immerhin soll aber jeder der zehn Veranstaltungsorte heben dem allgemeinen Filmpaket seine ganz spezielle Erstaufführung erleben. In Münster wird etwa Muschas „Decoder“ gezeigt (der freilich schon im Jungen Forum der Berlinale lief), in Köln steigt die Premiere von „Der Sprinter“ des Bochumer Filmemachers Christoph Böll.

Zum Beiprogramm gehören jeweils Diskussionen mit Filmemachern und Gauklerspiele rund um das „Kinomobil“, das für die Kinder- und Jugendfilme auf Reklamefahrt geht. Auf Einzelheiten zum Thema Filmförderung in NRW wollte sich Dr. Joachim Klinger, Filmreferent im Kultusministerium, bei der gestrigen Vorstellung des „Filmland“-Projektes in Düsseldorf nicht einlassen: „Das sind zwei verschiedene Paar Schuhe“. Zur Erinnerung: Nachdem NRW in den 50er Jahren bundesweit beispielhaft förderte, muß man sich nun sputen, den Anschluß an die anderen Bundesländer zurückzugewinnen, denn erst seit September 1981 gibt es in NRW wieder eine Landesfilmförderung.




An der Grenze zur Klamotte – Friedrich Wolfs „Koritke“

Von Bernd Berke

Wuppertal. „Kunst ist Waffe!“ Mit Stücken, die dieser Parole zu Bühnenwirksamkeit verhelfen sollten, war Friedrich Wolf (1888-1953; das Programmheft verrät so gut wie nichts über ihn) einer der meistdiskutierten Arbeiter-Schriftsteller der Weimarer Republik.

Wolf, im Brotberuf Arzt, ab 1928 Mitglied der KPD, schrieb nach expressionistischen „Oh-Mensch“-Anfängen Agitprop-Stücke immer reineren Wassers. In Wuppertal, wo man jetzt Wolfs „(Die Zeche zahlt) Koritke“ (Regie: Dieter Reible) ausgrub, kam freilich ein grundbiederes Stück auf die Bühne. Arbeitertheater hart an der Grenze zur Klamotte.

Allerdings hat bereits der Text deutliche Schwächen, so zum Beispiel die aus heutiger Sicht überaus dick aufgetragehe Symbolik des Oben und Unten, die überdies um Begriffe wie „Blut“ und „Licht“ kreist. Sprachlich steht dazu ein abgehackter Telegrammstil in seltsamem Kontrast.

Inhaltlich dreht sich alles um Mia, die mit Vater Koritke und Stiefmutter in einem Kellerloch haust. Doch dann wird sie allenthalben „entdeckt“: Fabrikdirektor Lomm (wie sich später herausstellt: Mias eigentlicher Vater) will aus ihr eine propere Chefsekretärin machen; der Student Miltiz jubiliert über ihre tänzerische Begabung, mit der sie gewiß „hinauf ans Licht“ kommen werde; Koritke und die Industrielle Lis Benz schließen sich ihm an. Ein jeder will sie nach seinem Bilde formen.

Doch halt! Erst kommt, frei nach Brecht, das Fressen, dann die Kunst. Die Tanzausbildung kostet Geld, und das ist bei Direktor Lomm zu holen: Vom Platin-Diebstahl bis zum Mordversuch – fortan ist der Mann seiner Habe und seines Lebens nicht mehr sicher. Am Schluß bleibt jedoch Koritke auf der Strecke.

Wo immer Wolf Zähne (sprich: Klassenverhältnisse) zeigt, da hat man sie ihm in Wuppertal „gezogen“. Einzig Norbert Kentrup als muskulöser Proletarier, der sich als Rausschmeißer und Ringer verdingt, ließ etwas von den Triebkräften ahnen, die auch Friedrich Wolf bewegt haben mögen. Kentrup setzte Wolfs Forderung, das Theater solle auch „Muskelentladung, Akrobatik, Gymnastik“ sein, überzeugend um und gab auch verhaltenere Szenen intensiv. Während Andrea Witt als „Die Koritkin“ und Gerd Mayen als Direktor Lomm solide spielten, war Noemi Steuer mit ihrer zentralen Rolle nach meiner Ansicht überfordert.

Ob Rena Liebenow (hier als Industrielle Lis Benz) sich danach drängt, Boulevardstil zu spielen, ob die Regie es ihr abverlangte oder ob sie gar nicht anders kann – sie selbst mag es am besten wissen. Zu diesem Stück paßt es jedenfalls nicht – ihr stets verbindliches Lächeln, das vielleicht „Ist ja alles halb so schlimm“ besagen soll. Dazu Alexander Pelz als Student Miltiz. Nun ja. Ob er Jubel oder Trauer mimt, man weiß jedenfalls sofort genau, was gemeint ist. Weniger Nachdruck wäre mehr. Franz Träger als Filmregisseur trat so auf, wie Klein Mäxchen sich früher einen solchen vorgestellt hat.

Die Bühneneinrichtungen (Peter Werner) verrieten immensen Aufwand, sie huldigen wenigstens keinem platten Abbildungs-Naturalismus. Zwar getreulich nachgebautes Interieur zeigend, werden sie doch so hingestellt, daß keine falsche Illusion aufkommt. Rundum bleibt die Bühnentechnik sichtbar.

Der Beifall, mächtig angeheizt von strategisch verteilt sitzenden „Freunden des Hauses“, war beinahe frenetisch. Als das Regie-Team sich auf der Bühne zeigte, ertönten auch vereinzelte Buh-Rufe.




Hang zur Hysterie: Roberto Ciulli inszeniert Tschechows „Möwe“ in Mülheim

Von Bernd Berke

Mülheim. Saison für „Die Möwe“. Am nächsten Wochenende kommt eine Inszenierung von Anton Tschechows Künstlerdrama in München heraus, an diesem Wochenende hatte es Premieren in Augsburg und in Mülheim (Regie: Roberto Ciulli). Das Theater an der Ruhr liegt mit der Wahl des Stücks offenbar im Trend.

Zu Beginn völlige Dunkelheit. dann Scheinwerfer auf einen schweren roten Vorhang, der zwischen Metallgerüsten hängt. Davor, dem Zuschauerrum abgewandt, sieben Stühle. Nach und nach lassen sich die Protagonisten, zugleich Zuschauer eines „Stücks im Stück“, darauf nieder: Die aufgedrehte, sich gegen das Altem sträubende Bühnendiva Irina, die wie ein Kind (oder: ein Besitz, ein Ding) hereingetragen wird von ihrem Liebhaber, dem vielgelesenen Schriftsteller Trigorin; dann Irinas Sohn Konstantin Treplev, Trigorins Kunst verwerfend, mit eigenen Schreibversuchen aber Gelächter hervorrufend; ferner Irinas Bruder, ein Arzt, ein Lehrer, ein Gutsverwalter, die Alkoholikerin Mascha und schließlich die verwundbare „Möwe“ Nina (gute Besetzung: Veronika Bayer), die Opfer Trigorins werden wird.

Eine Wartezimmersituation also, sinnreiche Vergegenwärtigung des für Tschechow-Personal typischen, ziellosen Wartens. In einer späteren Szene liegen die Schauspieler, todweiß geschminkt, so unterm Vorhang, daß nur ihre kalkigen Gesichter unterm Saum hervorlugen. Unbeweglichkeit, Starre, verfehltes Leben. Ein Theaterbild von Becketts Gnaden. So weit, so eindrucksvoll. Aber: Weil gleich alle Personen auf der Bühne versammelt sind und ihre – im Text zu Einzelszenen parzellierten – Dialoge jeweils in Gegenwart der anderen absolvieren, wird das filigrane Beziehungsgeflecht zu entschieden, zu kraftvoll gebündelt. Der elegische Grundton der Vorlage wird übertönt.

Löst sich endlich jemand aus den langen, oft genug funktionsarmen Schweigepausen (Spieldauer: drei Stunden), so gerät das vor allem bei zwei Figuren gleich zur expressiven Selbstdarstellung, zur schrillen, unvermittelten Ausrufung: Gordana Kossanovic als Irina spielt um entscheidende Grade zu überdreht. Hysterisch geht sie mit eitlen Kapricen schwanger, doch da ist – Scheinschwangerschaft eben – viel heiße Luft.

Hannes Hellmann als ihr Sohn Konstantin steht dem kaum nach. Unzulänglicher Prophet eines Traumtheaters, der er laut Text zu sein hätte, krächzt er seine Sätze lautstark heraus, als wolle er sie nur loswerden und nichts damit ausdrücken. Beide zusammen begraben sie die prekäre Mutter-Sohn-Beziehung unter ihrem Schwall.

Zweifellos wohnt Tschechows Figuren eine Neigung zum Ausbruch, zur Hysterie inne. Diese latent vorhandende Prägung aber als Quintessenz hervortreten zu lassen, rührt nach meiner Meinung an die Substanz des Stücks.

Ciullis Experiment mit Tschechow fördert viele richtige Ansätze zutage. Die Aufführung krankt aber daran, daß allzu forsch abstrahiert und überbetont wird. Das gilt auch für die Langeweile des russischen (in Mülheim eher ortlosen) Landlebens: Statt daß sie mit Bedeutung aufgeladen wird, wird sie durch Zerdehnung verdoppelt.




Duisburg schickt dreidimensionale Kunst auf Weltreise

Von Bernd Berke

Duisburg. Die Treppe zum Hauptraum hinuntergehend, sieht man die Spitze eines metallischen Geschosses auf sich gerichtet. Das überdimensionale Projektil steckt in einer zersplitterten Holzsäule. Es hätte sonst genau den Betrachter getroffen. Man ist „ganz knapp noch einmal davongekommen“.

Das Objekt stammt vom 1936 in Gelsenkirchen geborenen Wolfgang Liesen, heißt „Umformer Nr. XVII“ und gehört zur gestern im Duisburger Lehmbruck-Museum eröffneten Ausstellung „Dreidimensional – aktuelle Kunst aus der Bundesrepublik Deutschland“ (bis 23. April).

Die 68 Bildhauerarbeiten und Objekte (flankiert von 120 Zeichnungen derselben 40 Künstler) gehen nach der Duisburger Ausstellung für volle acht Jahre als „Botschafter“ in Sachen Kunst auf Weltreise. Das in Stuttgart ansässige Institut für Auslandsbeziehungen, Zweig des auswärtigen Amtes in Bonn, läßt die Werke dann in fünf Container verpacken und verschiffen. Stationen: Tokio und Städte u. a. in Korea, Indien, Australien sowie Südamerika.

In Anlehnung an den Ausstellungstitel kann festgestellt werden: Die dritte Dimension ist, nachdem besonders in den 60er Jahren horizontale, flache Bodenplastiken dominierten. mit Vorstößen in die Vertikale „wiedererobert“ worden. Das lassen zumindest die in Duisburg gezeigten, von einer Fachjury ausgewählten Objekte vermuten, die einen repräsentativen Querschnitt durch die aktuelle Kunst darstellen sollen.

Eine weitere Akzentverschiebung bei den Arbeiten, die von Künstlern der Jahrgänge zwischen 1920 und 1952 stammen und fast ausnahmslos in den letzten fünf Jahren entstanden, bezieht sich auf die Wahl der Materialien. Industriell vorgefertigte Stoffe und Teile sind eindeutig von naturnäheren, wie zum Beispiel Holz, Stein und Textil zurückgedrängt worden.

Die Gestaltungsformen sind jedoch so verschieden und subjektiv geprägt, daß der Querschnitt ein fast vollständiges Kompendium der Bearbeitungstechniken illustrieren könnte. Beispiele: Franz Bernhard versetzt ein klobiges Konstrukt aus Holz und Eisen in spielerische, scheinbare Bewegung (Titel: „Tänzerisch“); Otto Boll hängt an kaum sichtbaren Fäden einen hauchdünn sich verjüngenden Stahl- und Aluminiumbogen auf, der wie aus einer anderen Welt herniederzuschweben scheint; Timm Ulrichs hat „Schlemihls Stuhl“ entworfen – ein irritierendes Spiel mit dem Schatten.




Experte: „Löwen-Evangeliar“ wird Ausstellungen nicht schadlos überstehen – Vorschlag: „Lieber eine Kopie zeigen“

Von Bernd Berke

Bremen. Gerhard Knoll schlägt Alarm: „Das Evangeliar Heinrichs des Löwen wies bereits beim Kauf deutliche Schäden auf. Um das zu merken, muß ich nur flüchtig die Abbildung im Auktionskatalog ansehen.“ Schlimmer noch: Wenn das „teuerste Buch der Welt“ demnächst – wie beabsichtigt – an mehreren Ausstellungsorten gezeigt werden sollte, werde es „wohl noch weit schwereren Schaden nehmen“.

Gerhard Knoll ist Leiter der Handschriftenabteilung und der Restaurierungswerkstatt der Bremer Uni-Bibliothek. Der Experte ist über Zustand und Erhaltung der im Dezember 1983 für 32 Millionen Mark bei „Sotheby’s“ in London ersteigerten mittelalterlichen Handschrift besorgt.

Knoll, der ausdrücklich „nur als Privatperson zitiert werden“ mag, gestern zur WR: „Falls das Original gezeigt wird, gibt es einen spektakulären Zuschauerandrang. Keine Klimaanlage verkraftet das.“ Stücke wie das Evangeliar seien aber höchst klimaempfindlich; das Pergamentpapier vertrage kaum Temperatur-Schwankungen. Die großen Wittelsbacher- und Staufer-Ausstellungen hätten zum Beispiel eindeutig Schadspuren an den Exponaten hinterlassen.

Allein die Beleuchtung setze den im Mittelalter aufgetragenen Farben mächtig zu. Gerhard Knoll: „Ganz übel wird es, wenn ein Stück auf Tournee geht. An jedem Ort herrschen andere Bedingungen.“ Das teure Evangeliar werde dann einem klimatischen „Wechselbad“ ausgesetzt. Vermutliche Folge: „Die Handschrift wäre ein für allemal dahin, denn es gibt für solche Stücke noch immer keine erfolgversprechenden Restaurierungs-Methoden.“

Knoll fürchtet, daß Politiker, die die Ersteigerung des Evangeliars veranlaßt haben, solche Warnungen in den Wind schlagen werden: „Die Herren werden ihre kulturelle Großtat gebührend feiern und die Handschrift möglichst oft herzeigen wollen“, schwant es dem Fachmann. Knolls Vorschlag: Schnellstens ein Faksimile (getreue Nachbildung) erstellen, damit Wissenschaftler sich an die Auswertung begeben könneu. Und weiter: „Mit einem Faksimile könnte man auch schöne Ausstellungen machen.“ Zu behaupten, der Steuerzahler habe ein Recht, das Original zu besichtigen, sei unsinnig. Knoll: „Der Steuerzahler finanziert so manches – und bekommt es dann nie zu sehen.“

Den Einwand, daß etwa das Land Bayern seinen Anteil am Kaufpreis sperren könnte, sollte das Original nicht auf seinem Boden zu sehen sein, läßt Knoll nicht gelten: „Da wird sich eben zeigen, ob ein kulturpolitischer Propaganda-Effekt höher bewertet wird als die Erhaltung eines historischen Dokuments.“

Knoll, der sich wegen seiner kritischen Anmerkungen an seinem Wohnort Bremen schon mit einer Gegendarstellung in der örtlichen Presse hat auseinandersetzen müssen, schätzt den Wert des Heinrichs-Evangeliars auch in dessen gegenwärtigem Zustand eher zurückhaltend ein: „Es gibt qualitätvollere Evangeliare.“ Der für das „Löwen“-Evangeliar gezahlte hohe Auktionspreis bringe jedenfalls „den ganzen Markt durcheinander“. Daraus schöpft Knoll allerdings auch eine schwache Hoffnung: „Vielleicht muß die Versicherungssumme so hoch angesetzt werden, daß man doch auf mehrere Ausstellungen verzichtet.“




Täglich vier Stunden lokales Fernsehen – Projektleiter Erdmann Linde zum Dortmunder Kabelpilotversuch

Der neue Leiter des Kabelprojekts Dortmund, Erdmann Linde (zweiter von links), im Gespräch mit den Rundschau-Redakteuren Bernd Berke, Johann Wohlgemuth und Dieter Rosenkranz (von links nach rechts). (WR-Bild: Franz Luthe)

Von Bernd Berke und Johann Wohlgemuth

Dortmund. Spätestens zur Jahresmitte 1985 wird in Dortmund ein neues Funk- und Fernsehzeitalter beginnen. Bei einem Besuch der WR-Redaktion nannte Erdmann Linde, künftiger Leiter des Dortmunder Kabelpilotprojekts, seine Vorstellungen zu der bis 1988 dauernden Versuchsphase.

Folgende Programme sollen nach Lindes Angaben ins Kabelnetz eingespeist werden:

  •  ARD und ZDF in verbesserter Qualität, ein Querschnitt durch die verschiedenen Dritten Programme, dazu der „ZDF-Musikkanal“;
  • Ein lokales Fernsehen (täglich bis zu 4 Stunden);
  • Sogenannte „Spartenprogramme“ auf insgesamt vier Kanälen, d. h. zum Beispiel bis zu 14 Stunden täglich ausschließlich Sportsendungen, Kultur oder Bildung;
  • Ein „Offener Kanal“, in dem alle Bürger eigene Sendungen unterbringen können;
  • Ein lokales Hörfunkprogramm, das auch ohne Kabel empfangen werden kann;
  • Ein Kabel- oder Videotext-Informationsdienst mit bis zu 3000 „Seiten“.

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„Wir brauchen nicht mehr Denver-Clan“

„Mehr ,Denver-Clan‘ brauchen wir nicht!“ So umriß der neue Projektleiter für das Kabel-Pilotprogramm in Dortmund, Erdmann Linde, der von seiner Berufung „völlig überrascht“ war, seine Leitlinie zu den Programm-Inhalten. Da das Dortmunder Projekt im Gegensatz zu den anderen Kabelprojekten (Mannheim/Ludwigshafen, München, Berlin) unter dem Dach des Westdeutschen Rundfunks (WDR) öffentlich-rechtlich organisiert sei und ganz ohne Werbung auskommen werde, müsse man weniger Rücksichten nehmen. Der Zwang, etwa durch redaktionelle Beiträge ein „passendes Umfeld“ zur Werbung zu schaffen, entfalle.

Linde räumte ein. daß für das lokale TV-Programm noch zeitliche„Nischen“ gesucht werden müßten, da man nicht mit der ARD-„Tagesschau“ oder anderen Standardsendungen konkurrieren könne. Aktuelle Berichte und Kommentare würden ebenso zum Lokal-TV gehören wie der tägliche Veranstaltungskalender. Programm-Lücken könnten mit Auftragsproduktionen oder aus dem just von der ARD erworbenen Spielfilm-Paket der MGM/UA (Metro-Goldwyn-Mayer / United Artists) gefüllt werden. Linde: „Auch Dortmund profitiert also von diesem Millionen-Einkauf.“ Damit werde die Leistungsfähigkeit des öffentlich-rechtlichen Systems auch im Rahmen des Kabelprojekts bewiesen. Klaus Katz, der Linde als Programmdirektor des Dortmunder Kabelprojekts zur Seite stehen wird (dazu als Technischer Direktor: Herbert Schude), denke außerdem über ein Konzept für regelmäßige lokale Live-Sendungen nach, bei denen das Publikum mitwirken kann. Auch Linde erhofft sich davon eine Belebung: „Wir wollen ja niemanden zum Dauerfernsehen animieren, sondern zu Gesprächen und Aktivitäten anregen“.

Die „Spartenprogramme“ werden nicht allen (Wunschzahl: bis zu 30.000) Teilnehmern, sondern gegen Aufpreis nur einigen von ihnen ins Haus geliefert. Ohne Zusatzdecoder werden diese Spezialsendungen nicht zu empfangen sein. Lindes Ideen am Beispiel eines reinen „Sport-Kanals“: Übertragungen der Auswärtsspiele des örtlichen Bundesliga-Clubs Borussia Dortmund, wobei vorher mit dem DFB geredet werden müsse, oder auch zeitversetzte Ausstrahlungen von Sportsendungen anderer Anstalten, damit Schichtarbeiter nichts versäumen. Als Zulieferer für einen „Bildungs-Kanal“ könnten örtliche Weiterbildungseinrichtungen auftreten. Auch an spezielle Politik- bzw. Kulturprogramme werde gedacht.

„Offener Kanal“: Vom Ständchen bis zur Bürgerinitiative

Selbst senden können die Zuschauer via „Offenen Kanal“, dessen genaue Ausgestaltung noch erarbeitet werden muß. Im Gesetz über den Kabelversuch in Dortmund sind allerdings eindeutige Vorgaben schon formuliert. Strafrechtliche Unbedenklichkeit vorausgesetzt, soll hier niemand ein Blatt vor den Mund nehmen müssen. Wenn sich viele Interessenten melden, werden ihre Beiträge numeriert und in eine „Warteschlange“ eingereiht. Probleme, die noch zu klären sind: Höchstdauer der Einzelbeiträge; ausgewogenes Verhältnis zwischen Gruppen- und Einzelbeiträgen. Ansonsten aber sieht Erdmann Linde gerade im „Offenen Kanal“ den Versuch, ein inhaltlich nicht ausgewogenes Programm zu testen. Von Verlautbarungen einer Bürgerinitiative bis hin zum TV-Ständchen zu Omas Geburtstag wird alles erlaubt sein. Bei der Produktion werden Fachleute im Studio als Medienhelfer zur Verfügung stehen. Auch die sogenannte Infrastruktur (Kameras, Tonmaschinen und dergleichen) soll gegen geringe Gebühr den Nutzern „ausgeliehen“ werden können.

Wer nicht live auf Sendung geht, sondern eine Videoaufzeichnung bringen will, trägt die Materialkosten. Das Band bleibt Eigentum des Produzenten und geht nach einer gewissen Lagerungszeit auch wieder in seinen Besitz über. Allerdings kann es durchaus möglich sein, daß in Verhandlungen auch andere Möglichkeiten gesucht werden. Denn es ist durchaus vorstellbar, daß man solche privaten Bänder für spätere Dokumentationen auch im Kabel-Studio gebrauchen kann. Die Nutzer des offenen Kanals haben jedoch keinen Anspruch auf ein Honorar, wenn ihre Bänder ausgestrahlt werden.

Noch größere Erwartungen, was den „Offenen Kanal“ betrifft, setzt Erdmann Linde in den dafür vorbehaltenen Teil des auch ohne Kabelanschluß empfangbaren lokalen Hörfunkprogramms: „Mit einem einfachen Kassetten-Rekorder ist jeder dabei!“ Für den Lokalfunk plane man im übrigen eine Mischung aus Wort- und Musikbeiträgen, suche aber noch nach neuen Sendeformen, die sich von den herkömmlichen Magazinen abheben.

Zur personellen Ausstattung sagte Linde, das Kabelprojekt (Zentrale: Ehemalige Bergschule Dortmund) werde, „wenn wir voll auf Sendung sind“, rund 150 Mitarbeiter beschäftigen, darunter 50 Redakteure. Dienstherr werde vermutlich der WDR sein. Bei Einstellungen solle auf engere Bindungen an Dortmund Wert gelegt werden. Die Mitarbeiter würden teilweise bis 1988 befristete Verträge bekommen, zum Teil aber auch solche mit Garantieklauseln auf spätere Übernahme. Als mit „vielen Rechten ausgestattetes Organ“ werde ein 27köpfiger Projektrat die Testphase begleiten.