Das Material ist die Botschaft – Skulpturenausstellung „Bella Figura“ in Duisburg

Von Bernd Berke

Duisburg. Konservative Kunstbeflissene haben sie unablässig gefordert – die Rückkehr zum erkennbar Figürlichen, zum Menschenabbild in den Künsten. Es scheint, daß sie erhört worden sind.

Nach allen Minimal- und sonstigen Experimenten, die allemal auf Abstraktion hinausliefen, entstehen nun wieder körperhafte, allerdings fast immer in irgendeinem Grad deformierte Skulpturen. Die Zeit der flachen Bodenplastiken – schon die Duisburger Ausstellung „dreidimensional“ hat es gezeigt – ist vorerst vorüber.

„Bella Figura“, Präsentation von 12 Bildhauern im Duisburger Lehmbruck-Museum (1. Juli bis 2. September, Katalog 20 DM), verdeutlicht den Trend noch. Der Titel führt in die Irre: Kein einziger italienischer Bildhauer ist vertreten, sondern zehn aus der Bundesrepublik und je einer aus Österreich und den Niederlanden.

In zumeist expressiver Manier erheben sich die Plastiken wieder in die Vertikale. Zugleich treten die verschiedensten Materialien und ihre Behandlung deutlich in den Vordergrund. „Botschaften“ gleich welcher Art sucht man vergebens, allenfalls findet man Privat-Mythologien wie etwa beim diesjährigen deutschen Biennale-Vertreter A. R. Penck, auf dessen rätselhaften Holzskulpturen die magischen Zeichen erscheinen, die er auch in seinen Bildern verwendet.

Penck gehört zu jener Hälfte der Ausstellung, die dem plastischen Werk bereits arrivierter Maler gewidmet ist. Hierzu zählen auch Georg Baselitz‘ grob behauene, mit Farbspuren überzogene Holzköpfe. Von Jörg Immendorff sieht man unter anderem an Totempfähle erinnernde Holzpflöcke mit eingeschnitzten Gesichtern. An einem Pfahl hängt, als schütteres Netz. die schwarzrot-goldene „Fahne“. Markus Lüpertz, weiterer „Star“, fertigt farbübersprühte, verquollene Bronzeköpfe.

Wie die nachfolgende Künstlergeneration die Anregungen der mittlerweile berühmten Vorbilder weiterverfolgt, wird in einigen Beispielen dokumentiert. Zu den Interessantesten Entdeckungen zählt wohl die „Alibi-Frau“ der Ausstellung, die in Schwerte geborene und in Köln arbeitende Rosemarie Trockel, zum Beispiel mit ihren aus Gips und Graphit geformten, hermetischen „Philosophenköpfen“, die kaum noch etwas mit dem Generaltrend „Expressivität“ zu tun haben.

Eine Überraschung auch die Arbeiten von Heinz Kleine-Klopries. Der gebürtige Mülheimer verwendet vornehmlich Pappe, die unter seinen Händen ungeheure Ausdrucksstärke gewinnt. So windet sich etwa eine Pappgestalt, höchst glaubhaft „Streßphänomene“ (Titel) demonstrierend. Die plakastivsten Beiträge sind die Figuren des Holländers Henk Visch mit ihren ausladenden Gebärden und Formen.




Neuer Atlas stellt das Revier ohne Vorurteile dar – Kommunalverband schickt auch ein Exemplar an Lothar Späth

Von Bernd Berke

Essen. Im Jahr 1840 war alles ganz anders: Als im Ruhrgebiet noch Schafe grasten, machte sich im Märkischen Sauerland bereits die Industrialisierung bemerkbar. Damals bestand Oberhausen noch aus einem Gutshof, und Gelsenkirchen zählte ganze 600 Seelen.

Diese erstaunliche Fakten und weit mehr macht jetzt ein Ruhrgebiets-Atlas transparent – im wahrsten Wortsinn. Auf 28 durchsichtigen Folien wird das Revier in kartographisehen Übersichten dargestellt. Die Idee wurde geboren, als immer mehr Lehrer Kritik am herkömmlichen Unterrichtsmaterial übten, in dem das Ruhrgebiet schlechter als andere Gegenden behandelt werde.

Der jetzt vom Kommunalverband Ruhrgebiet (KVR) und einem Bielefelder Verlag als jederzeit ergänzbarer Ringbuchordner herausgebrachte Folienatlas soll also vor allem im Schulunterricht einen vorurteilsfreien Umgang mit dem größten Industriegebiet Europas erleichtern. Aber auch Bibliotheken und Volkshochschulen sollen sich der projizierbaren Folien bedienen.

„Nur vereinzelte Daten“ zur Umweltbelastung

Eingeleitet wird das Werk mit einem Satellitenbild. Die Region aus Weltraumperspektive, inklusive Dunstglocke. Es folgen, jeweils durch Wortbeitrage erläutert, Karten zur historischen Entwicklung, zur natürlichen Gliederung, zum Straßen- und Eisenbahnnetz, über Wasserversorgung, Bevölkerungsentwicklung, Industriestandorte, Kultur- und Freizeiteinrichtungen. An eine Übersicht in Sachen Umweltbelastung wagte man sich allerdings nicht. Begründung: Es stünden dazu nur vereinzelte Daten zur Verfügung.

Durch beliebige Kombinierbarkeit sind die Folien papiernen Atlanten überlegen. Zwei Folien ergeben, übereinander gelegt, etwa den augenfälligen Zusammenhang zwischen Bergbau und Stromversorgung.

Der vom KVR subventionierte, 198 DM teure Ordner wird (bei geringen Schuletats ist Vorsieht geboten) mit einer Auflage von 500 Stück gestartet. Das Ziel, mit diesem Band das Revier auch jenseits der NRW-Grenzen in günstigerem Licht zu zeigen, wird sich so vorerst kaum realisieren lassen.

Immerhin, so KVR-Direktor Dr. Jürgen Gramke gestern in Essen, soll auch Baden-Württembergs Ministerpräsident Lothar Späth ein Gratis-Exemplar bekommen. Nachhilfe für den Landesvater, der in Japan das Revier als „sterbende Region“ madig machen ließ?




Kriegspropaganda auf Postkarten – Ausstellung in Witten

Von Bernd Berke

Witten. Andächtig steht das kleine Mädchen vor dem Wandbild: „O du mein Hindenburg!“ lautet die schmachtende Unterzeile. Was aus heutiger Sicht wie Satire wirkt, muß vor dem (tod)ernsten Hintergrund der Entstehungszeit gesehen werden.

Die kitschbunte Postkarte gehört zu einer Ausstellung, die ab Montag im Wittener Märkischen Museum zusehen ist und sich unter dem Titel „Schwarz-weiß-rot Heldentod“ dem Ersten Weltkrieg und seiner Propagierung auf Postkarten widmet.

Rund 1500 dieser Trivial-Dokumente für den sprichwörtlichen „kleinen Mann“ hat man in Witten zusammengetragen (das Museum kooperierte dabei mit der VHS Witten-Wetter-Herdecke). Hinzu kommen 500 weitere Belege – vom Mobilmachungsbefehl bis zum „Entlausungs-Paß“.

Vorteil: Die Postkarten lassen, anders als hochoffizielle Dokumente und aller Deutschtümeiei zum Trotz, manches vom Alltag der Soldaten und der Zivilbevölkerung ahnen. Nachteil: Kritische „Reflexion“ kommt fast überhaupt nicht vor. Hilfestellung gibt diese Ausstellung nur in Ansätzen. Ein aufschlüsselnder Katalog ist unbezahlbar. Lediglich einige Arbeiten von Otto Dix beziehen sich unmittelbar auf die Schrecken des Krieges. Alles andere muß „gegen den Strich“ betrachtet werden.

Sämtliche Exponate stammen aus dem Eigenbesitz des Wittener Museums. Einiges befindet sich schon seit 1918 in seinen Mauern. Zahlreiche Stücke sind während der dreieinhalbjährigen Vorbereitungszeit hinzugekommen. Museumsleiter Dr. Wolfgang Zemter tat sich auf Auktionen um, wenn irgendwo alte Postkarten offeriert wurden. Viele Bürger schauten in ihren „Privatarchiven“ nach und steuerten manche Raritäten bei, die der Ausstellung einen starken Lokalbezug verleihen. So fand sich zum Beispiel ein Foto, auf dem tausende von Pickelhauben „made in Witten“ säuberlich aufgeschichtet ihrer Bestimmung harren. Makaber auch, daß nicht einmal Geburtstagskarten der kriegerischen Motive entraten konnten: „Herzlichen Glückwunsch“ mit U-Boot.

Eine Erkenntnis, die man dieser Ausstellung abgewinnen kann, ist die, daß manch eine Propaganda-Form des deutschen Faschismus schon zwischen 1914 und 1918 bis zur Verwechselbarkeit vorgeprägt war. So sandten die (natürlich strenger Postzensur unterliegenden) Frontsoldaten aus Osteuropa Karten, die „Russische Typen“ (Originalzeile) zeigten – Vorform der widerlichen „Untermenschen“-Hetze der Nazis. Die Kaiserreich-Farben Schwarz, weiß und rot tauchten eben nicht zufällig in den Fahnen wieder auf, die den Nazis voranflatterten.




Endlich ein neues Museum für Gelsenkirchen

Von Bernd Berke

Gelsenkirchen. Seit Beginn der 60er Jahre bestand Bedarf, die Kunstsammlung Gelsenkirchens in angemessenem Rahmen zeigen zu können. Jetzt wird die Geduld belohnt: Mit einern großen Volksfest, das am Samstag um 11 Uhr beginnt, wird im Stadtteil Buer (Horster Straße 7) der 8,5 Mio. DM teure Neubau des Städtischen Museums eröffnet.

Damit findet eines der jüngsten Museen des Reviers (Gründungsbeschluß 1950) endlich eine würdige Heimstatt. Nahezu 60 Prozent der Bestände aus Klassischer Moderne und Gegenwartskunst können nach langem Magazin-Dasein der Öffentlichkeit präsentiert werden.

In Gelsenkirchen ist nicht etwa der große Wohlstand ausgebrochen: Ursprünglich als Kommunikationszentrum mit Museum und Bibliothek geplant, schrumpfte das Bauvorhaben angestehts leerer Stadtkassen. Auch mußte wegen der Baukosten ein Null-Etat für Neuanschaffungen in Kauf genommen werden. Museumsdirektor Reinhold Lange hofft, daß diese „Trockenlegung“ des Museums mit dem nachsten städtischen Haushalt ein Ende findet.

Der jetzt verwirklichte Museumsneubau (Nutzfläche über 2600 Quadratmeter) wurde mit einem Übergang an seinen Vorläufer, eine alte Villa, angeschlossen. Die Villa wird künftig vom Kunstverein für Wechselausstellungen genutzt. Den Reigen eröffnet am Wochenende die Künstlergruppe „JMBH“.

Das Eingangsforum mit Brunnen soll Besuchern die Schwellenangst vor dem Bildungsgut „Kunst“ nehmen. Einen ähnlichen Effekt erhofft man sich von Leuchtskulpturen (u.a. eine Neon-lnstallation von Kriwet), die weithin sichtbar nach draußen strahlen. Der Bau selbst windet sich mit gegeneinander versetzten Geschoßebenen, die im Innern Durchblicke gestatten und Querbezüge verdeutlichen, rund um den für Skulpturen geeigneten Museumsgarten, dessen Baumbestand erhalten blieb.

Das Untergeschoß beherbergt die Erd- und Kulturgeschichtlichen Sammlungen. Oben findet man auf mehreren Halb-Etagen die sehenswerte Kunstsammlung mit Schwerpunkten auf dem deutschen lmpressionismus (Liebermann, Slevogt, Corinth) und dem Expressionismus („Brücke“-Maler). Beispiele neuerer Kunst (z. B. Yves Klein, Gerhard Richter, Konrad Klapheck) dokumentieren, daß in Gelsenkirchen seit Mitte der 60er Jahre der Hauptakzent auf Werken der Zeitgenossen liegt.




Saufen und sauigeln – „Richards Korkbein“ in Wuppertal

Von Bernd Berke

Wuppertal. Im Foyer konnten sich die Premierenbesucher mit Guinness und Irish Whiskey auf Geistigkeit von der Grünen Insel einstimmen.

Der Extra-Anwärmung hätte es diesmal nicht unbedingt bedurft. Auf der Bühne gab’s nämlich wohl die erfreulichste Wuppertaler SchauspielAufführung dieser Saison: „Richards Korkbein“, jenes vom irischen Saufbold und knasterfahrenen IRA-Kämpfer Brendan Behan unvollendet hinterlassene Potpourri aus Saufgelagen, Hurengesängen und Religionslästerung, in dem immer wieder republikanisches Pathos aufflackert.

Nachlaßverwalter haben das 1961 verfaßte Fragment ergänzt und auf abendfüllende Länge gebracht. Von Struktur kaum eine Spur. Die Brüche fallen bei einer Nummern-Dramaturgie allerdings nicht übermäßig ins Gewicht. Vor allem nicht, wenn mit so leichter und sicherer Hand inszeniert wird wie von Jürg Low. Er führt das Ensemble zu einer soliden Gesamtleistung, aus der Erich Leukert als „Mr. Cronin“ herausragt.

Andernorts mag man das weniger glatt zu spielen versuchen. Da dem Stück schwerlich ein durchgängiger, „tieferer“ Sinn zu entlocken sein dürfte, ist es legitim, gleich ganz auf die unterhaltenden Elemente zu setzen. Die Schocks von ehedem (sauigeln und saufen auf dem Friedhof) sind sowieso keine mehr, sie können getrost nebenbei hingesagt werden. Und auch die wenigen politischen Aussagen Behans haben Patina angesetzt.

Im Bühnenbild von Helmut Stürmer wird der Hauptort der Handlung, der Friedhof, vermittels einiger „Rostlauben“ in die unmittelbare Nachbarschaft eines Autofriedhofs gerückt. Eine Girlande bunter Glühbirnen erzeugt Tingeltangel-Effekte. Stimmige Kulisse für die Song-Auftritte, die vor allem Horst Fassel („Bonnie Prinz Charlie“) und Andrea Witt („2. Nutte“) zu liegen scheinen. Die Musik (Hansgeorg Koch) freilich klingt in den wenigsten Momenten „irisch“, sie kommt in einem etwas unentschiedenen „übernationalen“ Idiom daher.

Verdienter, wie gewohnt minutenlanger Beifall des Publikums in Wuppertal.




Start der „Fensterprogramme“ im WDR-Hörfunk: Seit gestern früh meldet sich „Radio Essen“ – mit vorwiegend leichter Kost und hohem Musikanteil

Von Bernd Berke

Essen. „Radio Essen“ läßt Dortmunder Putzfrauen über die Angst vor dem Krankfeiern reden, von Düsseldorf aus spricht Hanns-Dieter Hüsch sein „Wort zum Montag“, Münster berichtet über Volleyball, Bielefeld widmet sich dem Binnenschiff „Klara“ – und das alles zur selben Zeit.

Gestern um kurz nach 6 Uhr morgens. Die WDR-Hörfunk-Regionalisierung – Stichwort „Fensterprogramme“ – macht’s möglich. In drei Sendeblöcken begibt man sich zwischen 6.05 und 9 Uhr auf WDR 1 insgesamt 135 Minuten lang näher vor die Haustür der Bürger. So sind zum Beispiel die Frequenzen des Essener Programms u.a. fürs Revier (100,4 MHz), fürs Siegerland (88,2 MHz) und fürs Sauerland (90,3 MHz) eingerichtet.

Die „Fenster“ also sind seit gestern geöffnet. Weht nun auch frischere Luft? Oder kommt über die Ätherwellen Provinzmief ins Haus?

Direkt nach dem Start kann jedes Urteil nur vorläufig sein. Erste Reaktionen vor allem älterer Hörer bezogen sich gestern besonders auf die Musikbeitrage. Die meisten Anrufer wünschten sich mehr deutsche Schlager. Ohnedies war die Musikauswahl, verglichen etwa mit dem „Morgenmagazin“ in WDR 2, betulicher, weit weniger „rockig“. Der Musikanteil in den „Fensterprogrammen“ ist enorm hoch, er dürfte über zwei Drittel liegen.

Die mehr oder weniger beschwingten Noten mögen zwar die Schar der Frühaufsteher munter machen, gehen aber eklatant auf Kosten der Wortbeitrage: Daß ein Ereignis wie die Eröffnung der Dortmunder U-Bahn-Strecken fehlte, ist eigentlich unverzeihlich. Überhaupt vermißt man im Essener „Fenster“ eine Nachrichten-Zusammenfassung aus der Region (Studio Bielefeld bietet sie an) sowie – an einem Montag nahezu unverzichtbar – Streiflichter vom regionalen Sport (Studio Münster bringt sie). Verwunderlich auch: Das Wort „Streik“, derzeit in aller Munde, kam überhaupt nicht vor. Erst mit dem alteingeführten „Echo West“ (10.05 bis 12 Uhr) wird man nachrichtlich besser bedient.

Man will die Hörer ganz offensichtlich nicht „überfordem“. Das Leichte dominiert: Es meldete sich via Essen Hajo Jahn aus Wuppertal, um eine Postkutsche samt Postillion aus dem Bergischen Land vorzustellen, es meldete sich Gisbert Baltes aus Siegen, um mit dem bei weitem längsten Wortbeitrag den Beginn der Elsper Karl-May-Festspiele zu würdigen. Allzu kurz geriet hingegen die Rundfrage zum umstrittenen Talsperrenbau in Brunskappel.

In der Tat: Das Ziel, steife Politiker-Statements zu vermeiden, hat man schon im ersten Anlauf erreicht. Dafür droht allerdings die Flucht in mancherlei Belanglosigkeit. Am schwächsten in der Premierensendung war der zweite Sendeblock: Nochmaliges Resümee der heimischen Wetterlage; dann die Ermunterung, im Studio anzurufen, schließlich ein Gelsenkirchener Elektroschweißer mit seinem Gedicht „Bei uns anne Bude“ und ein derart kurzes Interview mit ihm, daß es fast schon an Unhöflichkeit grenzte – das war’s zwischen 7.20 und 8 Uhr.

Den besten Ansatz ließ die eingangs erwähnte Befragung der Dortmunder Putzfrauen erkennen. Hier wurde tatsächlich etwas vom Alltag der Mensehen vermittelt. Schnickschnack ist hingegen das Zeitzeichen. Die Essener wählten die Anschläge eines Förderkorb-Signals. Reviertypische Akustik, deren Originalität sich in der dichten Abfolge der Zeitansagen jedoch schnell verbraucht…