„Botschaften zwischen Hals und Nabel“ sind museumsreif – Haus Industrieform zeigt bedruckte T-Shirts

Von Bernd Berke

Essen. 86,9 Millionen Stück wurden 1983 in der Bundesrepublik verkauft. Jetzt werden die massenhaft verbreiteten „Botschaften zwischen Hals und Nabel“ – bedruckte T-Shirts also – ausstellungswürdig.

Essens „Haus Industrieform“, just gestern 30 Jahre alt geworden und seit jeher mit Zeugnissen der Alltagskultur liebäugelnd, zeigt nun 260 der längst „salonfähig gewordenen Unterhemden“ aus 20 Ländern aller Erdteile – ein Stück Zeitgeist auf Baumwolle. Die Schau (bis 1. September, di-sa 10-18 Uhr) setzt eine Traditionslinie des Design-Museums fort. 1980 waren dort originelle Plastiktüten präsentiert worden, 1982 Autoaufkleber.

Seit Marlon Brando 1947 in „Endstation Sehnsucht“ im „T“-förmigen Hemd Furore machte, haben sich die leichten Kleidungsstücke zum Ausdrucksmedium gemausert. Firmen, Vereine, Städte und Touristengebiete werben per Sieb-Aufdruck (der – je nach Qualität – im 30- oder 60-Grad-Waschgang verblaßt) für ihre Vorzüge. Rock-Staes wie Nena oder die Anfangsnoten von Beethovens „Neunter“ werden ebenso auf der Brust spazierengefiihrt wie etwa „Lucy’s Tiger“ – Blickfang eines ganz besonderen Stücks der Essener Ausstellung, das auf einen Massagesalon in Bangkok aufmerksam machen soll.

Den Ideen der Mode-Designer sind kaum Grenzen gesetzt: Auf der Vorderseite eines T-Shirts grinst Mickey-Mouse. Dreht sich der Träger um, so springt dem Betrachter „Mickeys“ blankes Hinterteil ins Auge. Neuester Schrei sind offenbar Hemden mit eingenähten Zellophansäckchen, die einige Milliliter Wasser enthalten. Darin tummeln sich Plastikfische oder Miniaturschwimmer.

Auch politische Strömungen haben sich der „Botschafter auf Brust und Rücken“ bedient. So findet man in Essen etwa ein Hemd, das sich auf mittelamerikanische Guerilla-Kämpfe bezieht und eines, auf dem der „Solidarnosc“-Schriftzug prangt. Schließlich dürfen natürlich auch die locker-flockigen Sprüche nicht fehlen, die vorzugsweise das eigene Erscheinungsbild kommentieren: „Bier formte diesen wunderschönen Körper“, heißt es etwa selbstbewußt auf einem Exemplar.

T-Shirts haben sich, so Ulrich Kern, Leiter des „Haus Industrieform“, zu derart wirksamen Informationsträgern entwickelt, daß auch Künstler sich nicht zu schade sind, Entwürfe zu liefern. Spitzenstücke dieser Gattung kosten den Sammler heute bis zu 10000 DM.

Zum 30jährigen Begehen des Hauses zeigt man im oberen Stock eine zweite Ausstellung mit Gebrauchsgegenständen aus den 50er Jahren. Das am 30. Juli 1954 auf Privatinitiative gegründete, zuerst in der Villa Hügel, dann in der Essener Synagoge und seit 1979 am Kennedyplatz ansässige Design-Zentrum war weltweit das erste seiner Art. Mit insgesamt 110 Sonderausstellungen hat man versucht, Beispiele „guter Form“ für Industrieprodukte zu geben.




WDR: Rege Reaktion auf das Essener „Fensterprogramm“ – Anrufe vorwiegend von Rentnern und Arbeitslosen

Von Bernd Berke

Im Westen. Rege Reaktionen auf seine Hörfunk-Fensterprogramme meldet der Westdeutsche Rundfunk (WDR). Zum Beispiel Studio Essen: Etwa 40 bis 50 Anrufe erreichen die fürs Revier und Südwestfalen zuständige Redaktion täglich – und das, obwohl dieser am 4. Juni gestartete Teil der Funk-Regionalisierung schon zum Alltag gehört.

Für die morgens zwischen 6 und 9 Uhr (auf WDR 1 bzw. WDR 4) mit Wortbeiträgen der leichteren Art und ebensolcher Musik ausgestrahlten Sendeblöcke gibt es freilich noch keine genaueren Aufschlüsse über Umfang und Struktur der Hörerschaft. Wie es gestern beim Studio Essen hieß, werden präzise Ergebnisse erst in einem halben Jahr erwartet. Bis dahin kann allenfalls darüber spekuliert werden, ob vielleicht die Anrufer für die Zusammensetzung der gesamten Hörerschaft repräsentativ sind.

Laut WDR-Pressestelle in Köln greifen vor allern Kranke, Rentner, Behinderte und Arbeitslose zum Telefon, um Beifall und Kritik beim Essener Team anzumelden. Angelika Böhrke, Redakteurin im Studio Essen, bestätigt dies, warnt aber vor übereilten Schlußfolgerungen: „Wer um acht zur Arbeit muß, ruft bestimmt seltener bei uns an als jemand, der den ganzen Tag im Haus ist.“

Besonders in der Startphase habe es negative Äußerungen gehagelt. Die Stammhörerschaft, bis zum Start der Fensterprogramme auf diesen Wellen und zu dieser Stunde an reine Musiksendungen gewohnt, lief Sturm, selbst gegen die äußerst knapp bemessenen Wortbeiträge des „Fensters“. Diese Art von Kritik, so Angelika Böhrke, habe merklich nachgelassen. Man darf rätseln, ob die damals Verärgerten zufriedener sind, ob sie resigniert haben oder ob sie jetzt andere Stationen bevorzugen.

Am Konzept der kurzen Wortbeiträge will man in Essen auf jeden Fall festhalten: „Wir sind kein kleines .Morgenmagazin'“, wehrt Angelika Böhrke jeden Vergleich mit der erfolgreichen Muntermacher-Sendung im 2. WDR-Hörfunkprogramm ab. Man setze weiterhin auf Beteiligung der Hörer, auf „erzählende Elemente“. Auch künftig wolle man keinen Nachrichtenblock aus der Region anbieten.

Wie dieses Konzept in die Praxis umgesetzt wird, das steht allerdings auf einem anderen Blatt. Eine Sendung, deren Informationswert – den mehrfach wiedergekäuten Wetterbericht einmal ausgenommen – hart gegen „Null“ tendiert, müßte dann wenigstens die unterhaltsamen Einsprengsel inspirierter handhaben, als dies hier meistens geschieht. Überhaupt pendeln manche Beiträge sehr unentschlossen auf halbem Wege zwischen Unterhaltung und Information. Die Abstinenz von „harten“ Nachrichten erzeugt mitunter seltsame Zwittergebilde, die denn doch eine Botschaft transportieren wollen, aber auf launige Weise. Das wirkt vielfach gequält. Gestern früh gab’s zum Beispiel, als wolle man sich für ein ernstes Thema entschuldigen, gleich drei Sketche über Waschmittel, nachdem zur sparsamen und umweltschonenden Verwendung derselben aufgerufen worden war.

Eins steht fest: Wer über das Tagesgeschehen (und seien es auch nur Verkehrshinweise) informiert sein möchte oder muß, befindet sich hier auf einer Art „Abstellgleis“. Viele Beiträge, die man serviert bekommt, sind von erstaunlicher Beliebigkeit. Sie könnten heute gesendet werden, morgen, in drei Wochen – oder gar nicht.




Spaniens Klassische Moderne – Druckgraphik im Ostwall-Museum

Von Bernd Berke

Dortmund. Frauengestalten feiern frenetische Feste, eine Stierkampfszene wird zur grazilen Tanzfigur; Kröte, Hummer oder Ziegenschädel ergeben frappierend plastisch wirkende Stilleben-Kompositionen – kein Zweifel, das ist die Bildwelt Pablo Picassos. Sie steht jetzt im Mittelpunkt einer Ausstellung des Dortmunder Ostwall-Museums (bis l. August, kein Katalog), die sich der Druckgraphik aus Spaniens „Klassischer Moderne“ widmet und aus lang nicht mehr gezeigtem Eigenbesitz bestritten wird.

Die Blätter von Picasso, Dalí, Miró und Juan Gris wurden in den 50er und frühen 60er Jahren dem berühmten Kunsthandler Daniel Hanry Kahnweiler abgekauft. Seither ist ihr Marktwert schwindelerregend gestiegen.

In der Eingangshalle sieht man 23 Graphiken von Picasso – Demonstration der außerordeutlichen Vielfalt von Techniken, mit denen der Künstler in den 50er Jahren operierte. Dieser Vielfalt entspricht die Unterschiedlichkeit der Quellen, aus denen Picasso zitierend schöpft.

Im ersten Stock folgen eine Serie kubistischer Buchillustrationen von Juan Gris, sowie Arbeiten aus Salvador Dalís nachsurrealistischem Schaffen – fast „barock“ gestaltet, aber mit hintergründigen Einsprengseln von Traumgeheimnis. Beispiele für Joan Mirós scheinbar simple und naive Darstellungsart (darunter das in seiner archaischen Gewaltsamkeit erschütternde Pastellbild „Ehebruch“ von 1928) setzen den Schlußakzent.

Wiewohl in der Summe nicht eben üppig geraten, bietet die Ausstellung doch eine Reihe hinlänglich interessanter Anschauungsstücke abseits vom Hauptwerk der spanischen Meister.




Eine Epoche der Plastik wird neu besichtigt – „Skulptur des Expressionismus“ in der Kölner Kunsthalle

Von Bernd Berke

Köln. Ein Ausstellungs-Glücksfall in der Domstadt: Die meisten gezeigten Arbeiten sind so gut wie unbekannt, die Epoche, aus der sie stammen, ist jedoch allgemein anerkannt. „Skulptur des Expressionismus“, ab heute in Gestalt von 125 plastischen Arbeiten von 33 Künstlern in der Kölner Kunsthalle zu sehen (bis 26. August, Katalog 38 DM), schließt eine bislang kaum bewußt gewordene Lücke in der Kunstgeschichte.

Vermutlich kein Zufall, daß dies gerade jetzt geschieht. Allerneueste Bildhauerei knüpft ja – wie jetzt in der bewußt parallel zur Kölner Ausstellung gezeigten Duisburger Schau „Bella Figura“ zu sehen –nicht selten beim Expressionismus an.

Wohl zählt die Malerei jener Stilrichtung längst zum unverzichtbaren Grundstock aller größeren Museen, doch daß z. B. Erich Heckel, Ernst Ludwig Kirchner und Emil Nolde auch plastische Meisterwerke schufen, ist noch nie in dieser Breite demonstriert worden. Köln ist die einzige Station der „bahnbrechenden“ Schau (US-Kommentar) in Europa. Zusammengestellt wurden die aus 70 Museen und PrivatSammlungen stammenden Exponate (Entstehungszeit: 1907 – 1925) vom Los Angeles County Museum of Art. Dabei tauchten sogar verschollen geglaubte Werke wie etwa Kirchners „Tänzerin mit Halskette“ (1910) wieder auf.

Die landläufige Vorstellung, expressionistische Plastik sei im Wesentlichen mit den Namen Barlach und Lehmbruck abgetan, kann angesichts dieser Ausstellung kaum aufrecht erhalten werden. Gewohnte Auffassungen müssen differenziert werden, denn gerade die bis dato nur als Maler berühmten „Brücke“-Mitglieder vollzogen entschiedene Abkehr von den Leitfiguren.

Schon die Wahl des Materials (Barlach bevorzugte Bronze und Stein) macht einigen Unterschied aus. Heckel und Kirchner bearbeiteten Holz und setzten dessen Eigen Struktur als bildnerisches Mittel ein. Ihre meist blockhaften, ungeglätteten Figuren mit versunkenen oder ungestümen, immer aber „elementaren“ Gesten entstanden nach dem Vorbild afrikanischer Plastik. Naturproportionen werden gestaucht oder ins Längliche verzerrt, die Form dient dem Ausdruck psychischer Grenzsituationen.

Alle Versuche, den Expressionismus überhaupt als einheitliche Stilrichtung zu beschreiben, enthüllen sich hier als bloße Hilfskonstruktioneu. Zwar haben die Ausstellungsmacher auch Randfelder (etwa Archipenko oder Gerhard Marcks, jeweils mit gewisser Berechtigung) einbezogen, doch auch ohne diese Ausdehnung wären die Stilprägungen unterschiedlich genug. Rudolf Bellings Arbeiten etwa atmen mindestens ebensoviel konstruktivischen Geist wie expressionistischen (z.B. „Schreitender“, eine aus technoiden Formelementen gestaltete Figur). Christoph Voll wiederum widmet sich (ähnlich wie Käthe Kollwitz) sozialer Thematik.

Eine Entdeckung dieser Ausstellung ist der Schweizer Hermann Scherer, ein Adept Kirchners. Seine monumentalen Liebespaar-Figuren sind von selten erreichter erotischer Vitalität, seine als Dreiergruppe aufragende »Totenklage“ (1924/25) ist eines der eindruckvollsten Stücke der ganzen Ausstellung.